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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.05.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-05-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18930512023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893051202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893051202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1893
- Monat1893-05
- Tag1893-05-12
- Monat1893-05
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Als die Nachricht von der Auflösung des Reichstags von dem Telegraphen in alle Theile dcS Reiches getragen wurde, da erweckte diese Nachricht in allen Wählern, die das Scheitern einer Berständigung über die Militairvorlage be klagten, nur eine einzige Empfindung, nur einen einzigen Vorsatz: die Empfindung, daß durch jenes Scheitern ein Makel auf die deutsche Nation gefallen fei, und den Borsatz, diesen Makel zu tilgen. Kein anderer Gedanke beseelte un mittelbar nach der Auflösung jenen Theil der Wähler, als der, daß ein neuer Reichstag gewählt werden müsse, der mit den verbündeten Regierungen auf der Grundlage des Antrags Huene sich einigen und dadurch entweder den Arieben, oder den Lieg de« Reiches sicher» und das Vaterland vor fchmerc» äußeren und inneren Gefahren schirmen werde. Aber kaum ist eine Woche in- Land gegangen, so beginnt jener Gedanke schon zu verblassen und ankeren Gedanken Raum zu geben, deren Verwirklichung uns alles Andere bringen wurde, als einen Reichstag, wie ihn das vor schweren Gefahren stehende Vaterland braucht. Ta wird eine Gliederung der Par teien des künftigen Reichstags nach wirlhschastlichen Ge sichtSpuncten empfohlen und mithin bei den Wählern die Meinung erweckt, eS handle sich jetzt um wirthschastliche Fragen mehr als um hochpolitische, and es komme auf das wirthschastliche Programm d*r Eandidaten mehr an, al« ans ihr politisches. Welchen Motiven solche, gerade jetzt verwirrende und gefährliche Empfehlungen entspringen, und ob sic mehr der geschäftlichen Spekulation oder veni Mangel an politischer Bildung ihren Ursprung ver danken, wollen wir dahin gestellt sei» lassen. Iedensall« sind sie jetzt weniger als je am Platze und gehen hoffentlich an allen Wählern, welche die große Ausgabe verstehen, zu deren Lösung sie jetzt berufen sind, spurlos vorüber. Nickt minder bellagenSwcrlh ist eS, daß die programmarligen Erklärungen einiger Parteien die Entscheidung über die Militairvorlage von einer befriedigenden Lösung der Deck ungSs rage mehr oder minder abhängig machen. So findet die Ansicht der Secessionisten, daß die Milicairvorlage nur annehmbar sei, wenn man wisse, welche Mehreinnahmen den Mehrausgaben gcgenübergestellt werden sollen, und wenn man mit den ne» ;» erschließenden Einnahmequellen einverstanden sei, auch bei weiter rechlS stehenden Politikern Anklang. Sie liegt ja sehr nahe, denn sie entspricht den Grundsätzen wirlhschaft- licher Erwägungen im Haushalte Privater. Denn hier ist da« Einkommen die auS der gesammten wirthschaftlichen Situation sich ergebende feste Größe, nach welcher sich die Ausgaben rickten müssen. Ganz anders in der Finanz- wirtbschaft de« Staate«: Hier ist umgekehrt der oberste Grundsatz: die als nothwendig erkannten Ausgaben müssen durch Einnahmen in gleicher Höhe gedeckt werben. Dieser Grundsatz muß herrschen, weil die Existenz deS Staate« die Vorbedingung für die wirthschastliche und kulturelle Existenz seiner Bürger ist, und weil daher die Aus gaben für die Sicherung seiner Existenz den privatwirthschaft- (ichen Au-gabeu der Staatsbürger vorangehen. Allerdings Fauillat»«. La-y Sibylle. Roman von S. Schroeder. ri-chdnick »erboten. lk> (Fortsetzung.) Sie stieß r« in fliegender Hast hervor, ihr ganzes Wesen war plötzlich voll zitternder Unruhe. Zum dritten Mal er schien sic dem Mann, der sie von Kindheit an kannte, in einem fremden Licht. Er fragte sich aber nicht mehr weshalb, er wußte den Grund! Nicht umsonst war ihm der Mensch, der da so selbstbewußt und gelassen vor ihm stand, gleich beim ersten Anblick antipathisch gewesen. »Sprich für Dich selber!" drängte Sibylle. .Ich habe hier weder etwa« zu fordern, noch etwas zu wünschen", entgegne« Kar»brooke in seiner steifsten Weise. „Herr Graf, ich bedauere —" „Mein Herr, ich habe alle Ursache, Sie wegen der Be lästigung um Verzeihung zu bitten!" „Eure Herrlichkeit werden einschen, daß e« mir unmöglich ist, Geschenkte- wieder zu verschenken!" „ES wäre eine Beleidigung der Grberin — nicht mehr, nicht weniger, mein Herr." Die beiden blickten sich Dolche in die Augen, während sie sich mit artiger Verbeugung von einander trennten KarSbroote« Herz quoll über von Bitterkeit. Man batte ibn in einer Komödie Mitwirken lassen und in einer Rolle, die wahrlich nicht die de« Helden gewesen! Man? Sibylle bat eS gelhan, Sibylle, die er von Kindheit an vergötterte. Ihn hatte sie erniedrigt und sich mit ihm. Zu welchem Zwecke? Da« war nicht klar ersichtlich. Vielleicht hatte e« sick um einen Zank gehandelt — so einen, den eia Wort bervorrust und rin Blick schlichtet — ein Zank zwisckcn Liebenden! — Ja — ja, eS nützte nicht«, sich selber Sand m dir Augen streuen zu wollen. Wenn ein Mädchen von der edelweiblichen Art, da« sein Leben lang geradeaus gewandelt war, plötzlich auf krummen Wegen und skrupellos über ein wird der Staat die bestebende Au-gabe- und Einnabme- wirthschaft unter normalen Verhältnissen derart weiter leiten, daß er seine Ausgaben nur in den Grenzen au-dehnt, inner halb derer seine Einnahme» infolge der nationalwirlhschaft- licken Entwickelung wachsen. Ganz anders aber, wenn es sich, wie bei der Militairvorlage, darum bandelt, durch eine eingreifende Reorganisation die bedrohte und nach^ sach verständigem Unheil nicht mehr hinreichend gestützte Sicher heit des Staate- auf ein festeres Fundament zu stellen. Hier kann, wie die „Schles. Ztg." mit vollem Reckte betont, einzig und allein die Frage a»f- geworsen werden: liegen die Verhältnisse so, daß die vorgeschlagcne Reform für die gesicherte Existenz ersorderlich ist oder nicht? Für die Entscheidung über die Noth- wendigkeit der Reform ist aber die DecknngSfrage ganz irrelevant, wenn nur die wirlbschaftliche Leistungsfähigkeit des Volkes durch die gewählte Deckung nicht überschritten wird, lieber letztere kan» man sehr verschiedener Ansicht sein, und dennoch kann man in der Erkenntniß übcrcinstim- mcn, daß die Sicherheit des Vaterlandes die militairische Reform erheischt. Dann aber muß man auch für die letztere einlreten, selbst aus die Gefahr hin. daß die erst an zweiter Stelle siebende DeckungSfraze in einer Weise gelöst wird, die man selbst nicht wünicht. Eine Verquickung beider Fragen, welche bei der weit überwiegenden Wichtigkeit der Militair vorlage nicht als so eng zusammengekörig betrachtet werde» können, daß sie Ein gescklosseneS Ganzes bilden, kann nur die Schwierigkeiten einer Verständigung erhöhen, ohne daß sic innerlich berechtigt wäre. Die seit einigen Tagen in der italtentschen Kammer be gonnene Berathung de- Marine budgclö für 1893/l89 t muß die Deutschen mit ganz eigenthümlichcn Empfindungen erfülle». Es ist bekannt, mit welchen Schwierigkeiten die italienische Finanzverwaltung zu kämpfe» hat, wie seit Jahren dort diese Calamitäl den Anitoß zu Ministerkrisc» gegeben, wie beute der ganze Ehrgeiz einer Regierung fast nur darauf ge richtet ist, de» Fehlbetrag au« dem Bürget verschwinden zu machen, ohne von der Kammer neue Steuern zu verlangen, denn di« Volksvertretung will vo» neuen Laste» nicht« wissen und verlangt dagegen immer wieder Erspar nisse. Auch da« Marineministcrium bat sich in den letzten Jahren diesem Sparzwang gefügt. Nachdem in dem Zeit raum 1881-1889 in steigendem Maße die Ausgaben für die Flotte schließlich bis aus 197 Millionen (1888—1889) ge langt waren, begann das Ministerium EriSpi, von dem Parlament gedrängt» mit dem Jahre 1889 90 auck in, Marine-Ressort die Ersparnißpvlitik. das Eabinet Rudini setzte dieselbe fort. Der Nachfolger BrinS, Admiral Saint- Bon, sonst ein bewäbrtcr ««mann, gab sich ganz besondere Mühe, seinen VerwaltungSzwcig mit geringen Mitteln im Stande zu halte». DaS von ihm »ock entworfene, nach seinem Tode durch de» neue» Marine-Minister Admiral Racchia vertretene Budget für l893,9l begnügt sich gar mit 99?/,» Millionen, worunter nur knapp 1 Millionen im außerordentlichen Theil. Man sollte nun denken, daß einem so bescheidenen Marincininisterium von der Kammer ein einstimmiger Lobgcsang gewidmet würde. Aber gerade das Gegenthcil ist der Fall. Nickt nur der Berichterstatter des BudgetauSschusscS, sondern auch sämmtliche sechs Redner, die bis >etzk zu dem Marinebudget das Wort ergriffen haben, sind obne Unterschied de« Parteistandpunctes der Mcuiung, daß die Fortsetzung der Sparsamkeit-Politik in den Ange legenheilender Nation a len Verlhcidigungb öch st be denklich sei. Der Berichterstatter Bettolo spricht Namen-de- Ansschnsses die Hoffnung auö, daß die eingesührten Er sparnisse nur vorübergehend seien, erklärt, daß ans die Organisation der Marine daS strenge SparsamkcilSgesctz nickt anwendbar sei, daß man neue Opfer für die Seemacht bringen müsse, um nicht von Frankreich überflügelt zu werden, das vermöge seiner reichen Mittel große Fortschritte in der Erneuerung seiner Flotte gemacht habe. Gleich der erste Redner znm Bndgclcntwurf, der keineswegs der Opposition an gekört, üble in derselben Weise eine scharfe Kritik an den be scheidenen Forderungen des Marineministers, erklärte sic für völlig unzureichend und, indem er daran erinnerte, daß noch sekr viel zu ilmn übrig bleibe, bezeichne« er eS als ein Zeichen vollkommener politischer Verderbnis!, wenn man im Volke den Glauben aufkoinmen lasse, daß die Opfer für die nationale Vertbeidignng die Ursache seiner Leiden seien. In derselben Tonart patriotischer Erhebung setzte sich die ganze Erörterung fort. Die italienische Volksvertretung hat in der Tbal ihren Eollcgcn des verbündete» Reiches eine recht beschämende Lection gegeben! Die WabrbeitSliebe zwingt dazu, diese- Geständniß, wenn auch mit Widerstreben, zu machen. In Frankreich verwert!,« ein Theil der Presse die Aus lösung des deutschen Reichstages dazu, Beunruhigung im Lande hervorzurufen. Man stellt sich an, alö ob man von deutscher Seile „Zwischenfälle" befürchte, die zu denc Zwecke bcrvorgerufc» werden könnten, die Wable» in Teutschlanv im Sinne der Regierung zu beeinflussen. Man verlangt von der französischen Negierung Vor- beugungSmaßrcgel» und stellt als Muster den russi schen KriegSininislcr auf, von dem der „Petit Pa- risien" wissen will, er habe sofort nach dem Bckannt- werden des RcickStagsvotumS den General Ganetzky, Eoni Mandanten der Militairbezirke Wilna und Kowno, zu sich be rufen; die unter dem Eommandv Ganetzly'S siebende Artillerie und ebenso diejenige des General« Gurko würden unvcrzüg' lick aus Kricgösnß gestellt werden, die Grenzwachen würden verstärkt und ein Theil der Kosaken Ganetzky'S nach Westen delacknrt werben. ES unterliegt wobl keinem Zweifel, daß die französische Negierung ebensowenig an diese angebliche Meldung aus Petersburg, wie an die der deutschen Negierung angetichtete Absicht glaubt, durch provocirtc „Zwischenfälle" die Aussichten der Militairvorlage zu verbessern. Immerhin scheint das französische Eabinet öS für nötdig zu ballen, die im Lande hervorgernsene Beunruhigung dnrck, Meldungen über Vorbeugungöiiiaßrcgel» zu beschwichtigen. So wenigstens fasse» wir die bereits im Morgenblatte mitgetheil« Meldung aus: Pa ris, 1l. Mai. Wie der „Evenement" meldet, wird die Verstärkung der Truppen an der Oslgrenz« methodisch und regelmäßig fortgesetzt, ebenso die Ausdehnung und Ver besserung der ConcentrationSlinien. DaS „Echo de Paris" berichtet, die Easermrungcn des verschanzten Lagers vo» Verdun würden beträchtich vergrößert. In Epinal sollen zwei neue Casernen erbaut nnd die Garnison verstärkt werde». Zwischen BleSme und Revigny aus der Bahnlinie PariS-Nancy wird eifrig an dcr Verdoppelung der Gleise gearbeitet, wodurch im Modi lisirungSfalle zwei Linien zur Verfügung sichen sollen. I» Deutschland wird man fick durch diese Meldung weder beunruhigen, noch zu besonderen Maßnahme» bewegen lassen; kegk man hier doch keinen anderen Wnnsck, als den, durch die Militairvorlage den Frieden wirksamer zu gewährleisten, als eS obne sie durch die deutsche Armee geschehen könnte. Aber wir rathen den Franzose», auch ihrerseits nicht die Bedrohten zu beuchcln und nickt mit einem Feuer zu spielen, das leichter entfacht als gelöscht werden kann. Der Plan der sranzösischr» Kammrrauslösung scheint ins Wasser zu fallen. Er war von vornherein nicht recht lebensfähig und «kielt nur von den angesehensten und dcr Re gierung nahestehenden Zeitungen einen vcrlrauercrwcckenden Anschein. Der „TenipS", das „Journal des DvbatS" nnd einige ankere republikanische Blätter von Bedeutung treten noch beule für ibn ein. Tic Monarchisten erkläre», daß ihnen die Auflösung schon reckt sei. Die Mehrzahl der Radikalen hingegen will nichts davon wissen. In Elcmenceau'S Blättchen, der „Justice", eifert Eamille Pell et an Fege» daö Projcct. Die persönlichen Freunde des Herrn E o n st a » ö vollend- sinken daS Benehmen des Ministeriums scandalöS; sie erinnern daran, daß Dupny in seiner Antritl-tundgebuiig den Depulirtcn die volle Tauer ihres Mandats zugcsichert habe, und bemerken daß daS jetzige Eabinet nur unter der Bedingung, dF Kammer gewähren zu lassen, die Nachsicht der Volks" Vertreter gefunden kabe. EonstanS und Genossen hoffen nämlich noch immer, an die Regierung zu kommen nnd die Wahlen selber zu machen. WaS Dupuy betrifft, so cheinl eS, daß er die Lebenslust der Volksvertretung wesentlich unterschätzt hat. Er ließ den Deputieren daS Project seiner Resolution zur Selbstauslösung nakelcgen, clwa^ wie eS vorgekvmmen sein soll, daß Ofsicicre einen» durch Spiel schulden und Wortbruch entehrten Kameraden wohlmeinend eine geladene Pistole binlegen. Aber die Deputirten wollen sich nicht erschießen; sie fühlen sich durchaus nicht so entehrt, wie Dupuy meint, sie fürchten sich auch gar nicht so arg vor den Schwierigkeiten, die ihnen beim Weiterleben devorstehen, wenn die Berathung des Budgets 1894 an die Reihe kommt. Für die Kammer ist diese Ausgabe überhaupt nicht so schlimm, wie für die Regierung ; und wenn sich Jemand au« Angst um- bringen sollte, meinen die Deputirten, so wäre e- das Mini sterium. Eigentlich wäre eü nun Sache dcr Regierung, die Kammer wider Willen aufzulösen, aber hierzu ist Dupuy ein viel zu guter Mensch. ES hat ikm schon bitter leid gethan, daß Baudin geprügelt worden ist. Die Schroffheit, mil welcher er den Geschlagenen, der sich beklagte, abwieS, bat sich nachträglich als die rauhe Schale eines weichen Gemülh» erwiesen. Baudin wird, obgleich er nach unzweifelhaftem Zrugniß die Schlägerei angcsangcn und einen Polizisten zuerst gehauen hal, nicht gerichtlich verfolgt. DaS Ministerium sucht im Uebrigen durch Gunstbeweise die Socialrevolutionairen wieder zu versöhnen und ihnen ein Pflästerchen auf die Wunden zu kleben. In der Sitzung des nngartschen Oberhause« am Mittwoch ist cS zu dem längst erwarteten heftigen Zu-, sammenstoß zwischen dem Ministerium Wekerle und den conservariv-klerikal gesinnten Magnaten, die dabei von den katholischen Bischöfen unterstützt wurden, ge kommen. Mit geringer Mehrheit gelang c«, ein Tadelsvotum gegen das Ministerium wegen dessen kirchenpolitischer Haltung zu Stande zu bringen, wir konnten jedoch auch bereit« melden, daß der Beschluß keine irgendwie bedeutsamen Folgen haben, sondern daß die ungarische Regierung unentwegt an ihrem Vorgehen festhaltc» werde. Schon die Verkündung de« Ab stimmungs-Ergebnisses in Betreff de- eingebrachten Mißtrauens votum- wurde ohne jede Bewegung ausgenommen. Der Verlaus der Sitzung war folgender: Nachdem Obersthofmarschall Graf Anton Szcescn, fernerGrasMori tzPalfsyund derkatho- lischc Bisckos Baron Hornig gegen die Regierung be sprochen, äußerte sich dcr lutherische Bischof Zelenka ,m Sinne der Regierung Er erinnerte an die Kämpfe, die vor einem Jabrbnndert der tlltramonIaniSmuS gegen die evangelische Kirche geführt, drückte seine Ueberzeugung a»S, daß unter der Herrschaft von Freiheit, Gleichheit nnd Brüderlichkeit jene Zeit sich nicht wiederholen werde, und schloß mit einer schwungvollen VertraucnSknndgebung für die Regierung, auf deren Kirchenpolitik er Gottes Segen berabflehte. Hieraus sprach der Dichter und rcformirte Bischof Karl SzaSz für die Regierung. Er erklärte, daß die Stimmen der Mlinicipicn jedenfalls mehr Gewicht hätten, als die auch von Kindern unterschriebenen Petitionen gegen die kirchenpolitischrn Vorlagen, nnd schloß mit dem Wunsche, daß christliche Nächsten liebe und Anhänglichkeit an Staat nnd Nation die heute Wider strebenden wieder einigen werde. Sodann sprach mit großer Würde nnd sebr entschieden EultuSminister Graf Csaky, der seinen Standpunct vertheidigte. Endlich hielt Minister präsident Wekerle eine geradezu Aussehen machende Rede. ES sei gesagt worden, daS Volk wolle eine liberale Kirchenpolitik nicht; so conservativ jene Herren auch seien, die daö behaupten, diese Redensart sei einfach rcvoluiionair. Tie gesetzliche Volk-Meinung komme »um Aus drucke durch daö Abgeordnetenhaus, Niemand dürfe zu be haupten wagen, das Abgeordnetenhaus verdolmetsche nicht die Gefühle des Volkes. Ucber die weittragenden Folgen, die damit verbunden wären, wenn daS Oberhaus sich zu den blutende» Menschcnberz wcgschreilcnd, sein Ziel verfolgte, dann liebte eS und — wie liebte eS dann! Ob sie ahnte, WaS in ihm vorging? Jedenfalls schmiegte sie sich plötzlich an ihn — so daß Waldstedt im Hintergründe einen Fluch durch die zusamiiiengcbisscnen Zähne stieß — und flüsterte, bemüht, die wiedergeborene Seligkeit in ihr« Brust nicht laut werden zu lassen: „Du bist doch nicht böse, KarSbrooke?" „Ich hätte an des Herrn Stelle genau gebandelt, wie er!" „Wir schieben Exlratänze ein und ich gebe Dir, so viele Tu willst." ,^Du bist sehr freundlich, Sibylle!" Sein Ton war so dumpf, seine Miene so niedergeschlagen — daS Gewissen regle sich in ibr, aber wie eS ihr Vorwürfe machen wollte, konnte eö vor deni jubelnden Herzen nicht zu Worte kommen. Dann stand der Herzog vor ihr mit dcr Erfrischung, die er brachte, und gleich darauf ein Partner, sie zum Tanz zu sichren. Sie verlor KarSbrooke aus dem Gesicht und aus den Gedanken und — merkte cS kaum! Wieder dreh« sie sich mit einem glcichziltigen Menschen im Kreise, aber diesmal war cS keine Tortur, sondern nur ein Mittel, die Zeit zu tödten, bis jener andere Walzer kam. Und der kam endlich — endlich! Waldstedt stand vor ihr. „Also das wollten Sie mir anthun?" murmelte er. die düsteren Angen voll bitteren Vorwurf« in dir ihren senkend. „Mein Ücrr —" „Lady Sibylle, wie konnten Tie — gerade Sie so grausam gegen mich sein?!" Aus dem „gerade Sie" lag eia so schwerer Nachdruck, daß sie ihm wie ein reuige« Kind ihre Gedanken offenbaren muß«. „Ich — ich Vach«, e« sei Ihnen an der Sache so wenig gelegen", stammelte sie. „Mir wenig?" stieß er fast bohnlachend hervor. „Wem in aller Welt daun wobl viel?!" Sein Auge fuhr durch den Kreis und traf haßsprühend den Grafen KarSbrooke. „Ihm etwa?" knirschte er ingrimmig, und dann hatte er den Arm um sie geschlungen und sie fand sich sortgewirbelt durch den Saal. E« waren zwei tadelte« schön« Gestalten und sie tanzten, wie man im steifleinenen England nicht tanzen zu scheu ge wohnt ist. Manch' geflüstertes Wort dcr Bewunderung folgte ihncn.und hier und da stellte man sogar die eigene Thätigkeit cm, »m ihnen zuznschauen. Sie ahnten nicht« davon. Sibylle fühlte sich wie von seligen Wolken getragen und Waldstedt sab die leuchtenden Blumensterne in ihrem braunen Haar, die feinen Züge ihres RoscnblatlanIlitzeS, sah den bcrrlickcn Nacken, die Arme und — dachte nicht mehr daran, das Geschick zu ver wünschen, daS ihn hierher verschlagen batte. Mit den allerbeste» Vorsätzen war er zu diesem Ball ge kommen. Er wollte Sibylle meiden, wie er nur konnte; er wollte cS ihr durch seinen Mangel an Eifer nahe legen, die Tänze, die er ihr unvorsichligerwcije abgebcttelt, an Andere zu vergeben. Er wollte weder seiner eigenen keimenden Neigung noch dcr ihren die geringste Nahrung mehr zusührc», und morgen in aller Frühe unter irgend einem Vorwand wollte er daS Schloß verlassen. Allein des Grasen Erscheinen hat« alle seine lobenSwertbcn Entschlüsse über den Hausen geworfen. Wie dieser kühlblickende Aristokrat plötzlich vor ibm gestanden hat«, und »eben ihm, auf seine» Arni gestützt, ver traulich an ibn geschmiegt, Sibylle, da halte cS ibn mit einer rasenden Eifersucht überkommen. An dcr Größe dieser Eifer sucht hatte er die Tiefe deS Gefühles messen können, daS ihn erfüll«. Seither befand er sich in einem Rausch, einem Taumel Dieser Walzer ging zu Ende, aber der andere ließ nicht gar zu lange auf sich warten und dann war es wieder dieselbe überwältigende Seligkeit auf der eine», dieselbe wildstüemenke Leidenschaft auf dcr andcren Sei«. Gesprochen ward nicht, oder doch nur mil Blicken. Lord KarSbrooke machte unterdessen in gewissenbafler Weise den bösliche» Wirth. Er war sehr ernst und sehr bleich, aber daS siel an ihm nicht sonderlich aus — böckstens die klein« Alice Ralrigb fand, daß er bei ähnlichen Anlässen schon ver gnügter auSgesehen hat«. So vft ein Tanz eingeschobcn wurde, ließ er Sibylle vergeben- warten. Endlich gmg sie, nach der Ursache zu forsche», aber sie nahm, ihrer selbst un bewußt, ein heitere« Lächeln auf den Lippen mir und einen Widerschein inneren Glücke« in den Augen. „Wo steckst Du, KarSbrooke'?" ries sie. „Ich muß Wohl selber kommen und Dich holen!" „Ich danke Dir", entgegne« er, sich gepeinigt von ihrem strahlenden Anblick wendend, „aber ich habe wohl die Ver pflichtung. einmal mit der armen Miß Treherne —" „Wie? Du gicbst mir einen Korb?" „Du wirst in, Nn einen Ersatz für mich gefunden haben und ich fühle nun einmal heute eine unendliche Sympathie für alle — Verschmähten!" De» Nachsatz hatte er im Davongehcn mehr für sich bin- zugcfügt, allein verstanden hatte sic ihn doch. Da« Blut stieg ibr in« Gesicht, weil er ibr Gebeimniß durchschau«, zugleich aber griffen ihr die bitteren Worte an daS Herz. So gut, wie er, war nie ein Mensch gegen sie gewesen und nun konnte sie nickt anders, als cS ikm schlecht lohnen. Thronen wollten sich ihr in die Augen drängen, da — sah sie Waldstedt mit MrS. Senmour tanzen. Im Nn war dcr Freund ihrer Kindheit vergessen und ihre See« in Fiebcrangst und Aufregung bei diesen Beide». Sic batten ihr vorbin schon einmal dies fatale Schauspiel gegeben und sie hatte Gott gedankt, als die Folterqual deS Anblicks zu Ende gewesen. Sie glaub« — sie wollte ja so schrecklich gern glauben, daß Waldstedt nur nvtbgedrungen der HöslichkcitSpflicht genüge gelban hatte! Nun aber flogen sic wieder so engnmschlungen dahin und — er sah gar nickt auS, als ob er fick unter einem lästigen Zwang befinde. Im Gegenlbcil! Er lächle, er plauderte — viel mehr als vorhin mit ihr und sie schmiegte sich an ihn, daS abscheuliche Weib, und blickte ihm so von nuten heraus in die Augen, als ob — „Lady Sibylle, dürste ich Sic bitten, mir zu sagen, wer die junge Dame dort drüben ist?" Mit verstörtem Gesichte kehrte sie sich um. „Mr. Percy!" stammelte sic, diesen Herrn gewahrend. „Von welcher Dame reden Sie?" „Sic steht u»S gerade gegenüber in der Fensternische. „Ah so! Miß Raleigb!" „Verzeihung — ich hatte bereit« vorbin die Ehre, Miß Raleigb « Bekanntschaft zu machen — es ist die stattliche Er scheinung gleich neben ihr im gelben AtlaSklcide mit flammend- rothcn Mohnblumen im schwarzen Haar!" „Da- ist Miß Fitzslepden von Astoni« Folly. Soll ich sie Ihnen vorstellen?"
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