Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.06.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-06-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18930612024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893061202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893061202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1893
- Monat1893-06
- Tag1893-06-12
- Monat1893-06
- Jahr1893
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis tz 1« Hauptexpeditton oder den km Gtads- tatrk and de» Vororten errichteten Aus- Mellen adgeholt: vlettestadrllch^ssLO, ZS zveimallger täglicher Zustellung int hat » bLO. Durch dir Post bezogen sitr Jatschlaud und Oesterreich: vierteljährlich -l t.—. Directe täglich« Kreuzbaudlendung i»t Lutland: monatlich 7.SO. U,R»rsen->asgab« erscheint täglich '/,7 llhr; di, Lbrud-Lutgab« Wochentags ü Uhr. Rrdsrtio« u«d Lrpe^iti»,; A«tza»«e»,ofir 8. Ue-rpeditio, ist Woche»tag» ununterdroch«, Muet vo» früh S bi« Abend« 7 Uhr. Filialen: VN, >»«»'« e»rii». (Alfred ditzttfh Universitätssrrah, 1, r«ni« Lisch«. kMckiniftr. Ich hart, und »Sniasvl«» 7. Abend-Ausgabe. Anzeiger. Drgan für Politik, Localgeschichte, Handels- und Geschäftsverkehr. Anzeigeu-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg.' Reklamen unter dem Redactiontstrich (4 gm spalten) bO/^, vor den Familiennachrichlca (6 gespalten) 40^. chräßerr Schriften laut unserem Prei». derzeichaiß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Srtra-Veilagen (gesalzt), nur mit de« Morgen«Ausgabe. ohne Postbesörderuag M.—, mit Postbesörderuag 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bonnittag« 10 Uhr. Marge a-Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Sonn- und Festtags früh '/.9 Uhr. Bei den Filialen und «nnodmesiesleu je ein» halbe Stund« früher. Aa«ei«e« sind stets an dt« Gx-rdtti«i> za richten. Druck und Verlag von E. P olz tu Leipzig. ^-29«. Montag den 12. Juni 1893. 87. Jahrgang. Politische Tagesschau. ' Leipzig. 12. Juni. Zu den HauptagitationSmitteln, mit denen die social- demokratischen, demokratischen, ultramvntanen, welfischen und rrelestlerischen Gegner der Mititairvorlage diese bekämpfen, gehört auch die Behauptung, daß der t« Zähre lM ,r»ätzlte «eichst«, ein „Ansftproduet" gewesen fei und ohne Notd dem deutschen Volke schwer« Lasten auferlrgt habe. Schwindel und eitel Blend» werk sei dir damalige Behauptung, e« bestehe ein« Kriegs- zrsahr, gewesen und Schwindel und eitel Blendwerk sei k« auch heute, wenn den Wählern vorgerrdet werde, irir seien nicht stark genug, um mit Zuversicht der Zukunst »izegenzusehea. Um dieser groben Entstellung der Wahrheit mlgegenzutreten, greift die „Köln. Ztg." au« der Fülle von Beweisen sür di« Wirklichkeit der damaligen Kriegsgefahr kiie Anzahl der schlagendsten heraus, di« wir hier folgen lasten: I. Zeugnisse aus Frankreich. Die Verhandlungen des Pro- eisses-egen Boulanger haben unzweideutig dargelhan, dag nicht »« unmittelbar nach, sondern auch während und vor der Sietchstagtwahl von ISS? der Friedr mit Frankreich an einem lüden«» Faden hing. Sticht nur die Anklageschrift der Staats- -nwalilchaft und di« Zeuaeaoussagen beweisen dies, sonder» Mose Aeußerungeu französischer Zeitungen und Politiker, die sich mit der Beurtheiluag jenes Processe» befaßt haben. Auch Bou- lanaer selbst bezeugte in seiner schriftlichen Beantwortung dernntlage, und die französischen Kammerverhandi ungen besltttaten es hinterher, daß die Kriegagesahr damals acut war, d. t. ldalsäqlich unmittelbar bevorstand. 1) Zn dlescm Sinne sagte der Ldauvlntst Lassognac tu der sia»iös>schen klammer: „Gablet (der mit Boulanger zugleich Macher war und Boulanger'« Drängen zum Krieg unterstützt halte) mochte damals ln Privatgesprächen Mittheilunaen, die sehr ernster Itt waren. Frankreich hätte Inder größten Gefahr ge- schwebt, wenn nicht Im La biaet ein sichtsvoll er» Männer ««leisen hätten, olsGoblet und Boulanger." L) Freunde Boulanger'«, di» seine weis« Vorsorge und «ILHeude Vaterlandsliebe ra der Vorbereitung des damals g«. plante« Krieges herau-streicheu, enthüllen, daß „aus der Zen, al« der Krieg vor der Thür stand", noch jetzt in den Bnreaur de» Krtegsmiutstertui»« zu Paris von Bau- langer siz und fertig ausgearbettete Erlasse liegen, die dem Präsidenten Grevh zur Uuterschrift vorgelegt »erden sollten und wonach, sobald der Krieg erklärt »ire (er sollte also erklärt werden!), 40000 t» Frankreich wohnend» Deutsche al« Geiseln feftgeuammea werden sollten. 3) Der Secretair de« frauzöslschen Senats. Bertrand, sagt in seinem I88S erschienenen Buch „Die französische Kammer" wörtlich: „Als der Gchnäbelefall den tzühepunct erreicht hotte, »erlangte der Krtegsmtntster General Boulanger Maß- regeln, die den Krieg zur Folge haben mußten. Tdat. sichelst, daß er die Absendung eine» Ultimatums an Teutlch- !a,d rerlangte. Dank der Festigkeit Grävy's erfolgte »tne srted- sich« Lösung." 4) Freunde Grävy's bestätigten diese Enthüllung mit den Worten: „Boulanger drang aus jede Weise in Grävy, «lese» Ultimatum zu stellen; ela solcher Schritt hätte einem stnegtsall verzweifelt ähnlich gesehen. Grävy ober klopft« Boulanger begnügend aus die Schulter mit den Worten: Lieber Freund, ruhig, ichig! Und ave Bemühungen des Kriegsminlster«. den Präsidenten °»s de» Kriegspsad zu ortn-eu, scheiterten au besten Sland- hosiigteit." U. Zeugnisse aus der deutschen Opposition-Presse. Der Meiinitjnbel, der da- sranzösische Heer und Volk in «ine wilde Begeisterung sür den Krieg versetzte, die Baracken- und Magazin- baulen dicht an unserer Grenze im Winter 1886 87 (die seltsamerweise kürzlich noch von einem weiland deutschfreiiinnigen Redner geleugnet wurden), dir nur sür den Fall eines Krieg»« nöitnge und er- tiäriiche kolossale Verproviantirung der französischen Osikestungen tu Verbindung mit der fast bis zum Wahns»,» überreizte» Sprache der sranzöiiichen Presse — das alles sind Dinge, di« unmittelbar vor brr Leplennarswahl spielten und in der Wahlbewegung von den Lartelparieien ganz wahrheiisgetrcu hingenellt wurden als das, was sie wirklich waren, nämlich höchst gefährliche Anzeichen der Möglichkeit eines naben Krieges. Ties wurde damals von den Oppositionsparteien für Wayischwindel erklärt; allein nach dem Proceß Boulanger trat «in völliger Umschwung ein, insofern als nun auch ausgesprochene Lpvosilionsblätter die drohende Gefähr lichkeit her damaligen Lage zugestanden. Bon dieser Wandlung nur di« folgenden Beispiele: 1) Ta- fortschrittliche „Berliner Tageblatt" schrieb am 23. Juli 1889: „Es kam di» Melinitwuth; um die Kammern zu bcthören, lud der brave xäoäral sie zu den Versuchen mit den neuen Geschützen und Geschosse» «in, und um die Armee in kriegslustige Stimmung zu verleben, begann der Tärouläde-Schwindel, womit Hand in Hand die stärkere Grenz belegung. der Locomotiven» und Magazinbou im Osten gingen; dann war dem brav« ßsaärul klar, daß er sein Pro- tectorat am besten durch «ine petit« Huerr» kleinen Krieg) einleiten könne. Indem er sich Rutjland« BundeSgenosienschast zu sichern dachte, glaubte die französische Armee, der Tag der Rache sei gekommen, und Boulanger war thatsächiich «ine zeitlang der König der Armee! Man weiß heute, wie nahe wir damals einem Kriege waren!" .... „Boulanger wollt, den Krieg! Er hatte zu dem Zweck an der Ostgrenze entlang eine Barackenwelt geschaffen, er hatte alle Festungen, besonders bie großen Plätze Verdun, Belsort, Toul auf Jahre hinaus mit Proviant und Munition versehen ; er speiste die Privat- Industrie mit Aufträgen von vielen Millionen, sein Geheimfonds sür da« Spionagewesen soll 1886—87 mehrere Millionen Francs betragen haben; er erhielt »inen außerordentlichen Lredtt sür Baracken- und Magazinbau, sür Herrichtungen von Eise», bahnen u. s. w., für Beschaffung von Kriegsgeraih, Unisormeu, Waffen von vielen Millionen." 2) Sogar dir „Freisinnige Zeitung" des Herrn Eugen Richter hat angesichts dieser unleugbaren Tdatsachen am 2l. Juli 1889 bekannt: „Es sind gewisse Anzeichen dafür ausgedeckt, daß unter Umstände» ein Krieg hätte auSbrechrn könne n." 3) Diese„gewissen Anzeichen" bestanden inden indiesemAussad geschilderten Dingen und, wie rin Redner im Reichstag wideripriich- los darthat, darin, daß thatsächlich der Mtntsterrath in Pari« sich im Winter 1886—87 zweimal mit einem Antrag aus Erlaß der Kriegserklärung an Deutschland zu beschäf tigen hatte, und daß tn einem kritischen Falle Boulanger nur mit einer Stimme Minderheit tm Ministrrrath unter lag; das andere Mal scheiterte sein Antrag überhaupt nur an dem Widerstände des Präsidenten Grävy. Und dieselbe socialbemokratischc, demokratische, nltramcn- tane, welsische und protestlcrische Opposition, die im Jahre 1887 die damals drohende Kriegsgefahr leugnete und die Mittel zur Sicherung vor dieser Gefahr verweigerte, wagt es jetzt, nachdem da« thalsächlichc Borhandensein jener Gefahr nachgewiesen und in ihren eigenen Reihen an erkannt worden ist, die patriotischen Männer, die jener Gefahr Vorbeugen halfen, als verächtliche „Angstmeier" zu beschimpfen! Wären Liese Männer nicht gewesen und hätte nicht ihnen, sondern ihren Verführern das Volk sein Vertrauen geschenkt, wer weiß, wie bitter cS jetzt dasür zu büße» hätte. Jetzt dankt das deutsche Volk den verbündeten Regierungen und jenen Parteien, die damals trotz alles Hohnes und,Spottes der Opposition die SeptennatSvorlage Zur Annahme brachten, die Bewahrung des Frieden«. Es wäre deS Friedens nickt Werth, wenn eS am 15. Juni den falschen Propheten von 1887 sein Vertrauen schenkt«. Ter Präsident des österreichischen AbgeordnttcnbauseS, Freiherr von Chlumecky, ist vor einigen Tagen bei einem ihm zu Ekren veranstaltelen Eommcr- deS dcntsckien Vereins zu Olmütz erschienen und hat eine längere bedeut same Ansprache an die Festoersammlung gerichtet. In allen derartigen Reden bat sich Freiherr von Cklumecky seit seiner Wahl zum Präsidentcn deS Abgeordnetenhauses große Zurückhaltung auferlegt, und was die Kennzeichnung der augenblicklichen Lage betrifft, so ist Herr von Edlumccky in seiner jetzigen Rede noch schweigsamer als sonst. Trotzdem bat cs Herr von Ehlumecky nicht unterlassr», a» zwei Stellen seiner Rede de» Ernst der gegenwärtigen Lage zu betonen, ja sogar auf die Möglichkeit seines Rücktrittes von dein parlamentarischen Ekrenamte, zu welchem ihn das Vertrauen de« Abgeordnetenhauses kurz vor seiner Vertagung berufen bat, hinzudculcn. Man weiß, daß Herr v. Ehlnniecky sonst kein Schwrrzfärber ist und daß es seinen Neigungen entsprechen würde, wenn er die Lage als eine minder ernste bezeichnen könnte. So gestaltet sich die jüngste Rede de« Präsidenten des Abgeordnetenhauses trotz, )a eben wegen der Zurückhaltung, deren sich der Redner befleißigte, zu einem ernsten Anzeichen dieser unerquickliche« Lage, welches durch andere Symptome unterstützt wird. Die Politik Frankreichs wird in neuerer Zeit mehr als je von zweierlei Empfindungen beherrscht: einmal von dem Drang, sich für die Ereignisse in Europa mit gesammtcr Kraft bereit zu halten, und zweiten- von dem Wunsch, auch auf colonralem Gebiet, insonderheit in Asien und Afrika, neue Erwerbungen zu machen und den alten Einfluß z» verstärken Beides legt der französischen Regierung die größte Anspannung in materieller wie diplomatischer Beziehung auf. Es vergeht keine Woche, fast kein Tag, der davon nicht Zeugniß gäbe. Reibungen und Zusammenstöße nicht bloS mit den kleinen afrikanischen Herrschern und Stämmen, sondern auch mit größeren überseeische» Ländern und in Folge dessen Streitig keiten mit europäischen Staaten, welche coloniale Nachbar» der Franzosen in Afrika und Asien sind und in deren Einflußgebicte Frankreich übergreifl, sind beständig an der Tagesordnung. Wir Deutschen fühlen taS sran zösische Andrängen im Hintcrlandc von Kamerun, wo man unü von Adamaua und dem Tschadsec unter Nicht beachtung der Verträge, welche die Jnlercssengehiete begrenzen, mit allerhand Vorwänden abzudrängcn sucht. Aus den Sudan möchte Frankreich von Algier und Tunis aus ebenso wie vom Eongo her die Hand legen. Hier werde» auch die Engländer am oberen Nil und i» Uganda zu Vorsichtsmaßregeln ge- wungen, denn der Entschluß Giadstoue'S, dieses Land der eng- ischci, Schuyberrschafl zu unterstelle», da die vfiasrikaiiische britische Gesellschaft eS nicht zu behaupten und zuschützeuvermag, Fsnilletsn. Offene Pforten. Ivs Roman von B. W. Howardt. «»«druck »erd st»». (Fortsetzung.) Nach der Oper mußte Gabriele noch rin Weilchen im Boudoir der Tante sitzen und sich anschwärmen lassen; die Arasin meinte, sie müsse einen Schmeichelnamen für sie finden, und erklärte schließlich, sie werde sie „Monbstrahl" nennen. Ta Gabriele glücklicherweise das frühere Gespräch der Gräfin nnd ihre« SohneS über diese- Thema nicht gehört hatte, fand sie nicht« gegen diese Bezeichnung einzuwenden, und als sie der Tante gute Nacht wünschte, sagte diese zärtlich: „Gute Nacht, mein süßer Mondstrahl — ich hoffe, ich babe in Dir das liebende Herz gesunden, nach welchem ich mich so lange vergeblich sehne ' „O, Tante Adelheid — bat es Dir je an Liebe gefehlt?" „La Lied« — Gott behüte — ich wurde verehrt, za ver göttert, aber niemals hat mich Jemand verstanden!" „Arme Tante Adelheid — so verstand Dich auch Dein Gemahl nickt?" „Gabriele — wir albern Du fragst — mein Gemahl hegte die größte Verehrung für mich, aber für meine sentimentalen Stimmungen hatte er kein Berständniß." „Und Graf Hugo?" „Hugo erst recht nicht." „Das ist doch recht traurig", seufzte Gabriele. „Nu» — so tragisch brauchst Du's nicht zu nehmen, kleines Närrchen", lachte die Gräfin, „und nun gehe und schlafe Dich g»! au«. Höre nur, wie behaglich Mäuschen schon schnarcht, >ch bin so froh, daß der süße Schelm sich wieder erholt hat. S-Ie Nacht!" „Gute Nacht!" murmelte Gabriele, indem sie Röschen, dir mit einem brennenden Lichte erschien, in ihr Himmer folgte. Tort sah sie zu ihrem Befremden die beide» Spiegel dicht ver dingt, und auf Befragen erklärte Röschen, es sei aus Befehl der Gr,sin gestehen, dir es für hockst schädlich halte, wenn man de, unverhangten Spiegeln schlafe — da» mache nervös. Gabriele mußte wider Willen lachen. „Nehmen Sie die Tücher nur wieder ab, Röschen", sagte sie. „ich bin nicht nervös." Da« Mädchen geborchte schweigend, und nachdem sie Gabriele das schwere Seidenkleid abgenommen und ihr einen bewemra Schlafrock übrrgeworsrn batte, zog sie sich zurück, wabrnid Gabriele nachdenklich ans Fenster trat und ibr Tagewerk Revue passtrr» ließ. Li« Ausbeute rrschiru ihr recht kläglich — ihre Gegenwart hier im Hause däuckte ibr so überflüssig, und sic begriff nicht recht, waS die Gräfin be wogen hatte, sich ibre (Gesellschaft zu erbitten. Uneingcdeiik der Thatsache, daß ihre Zimmer über Graf Hugo'S Gemächern lagen, schritt das junge Mädchen wieder aus und ab, und der Krank« drunten lauschte ihren Schritten wie am vergangenen Abend. Gewiß hatte Gabriele Kummer, den sie Niemandem anvertraurn konnte — vielleickt fühlte sie sich unglücklich in der neuen Stellung, deren Schattenseiten Hugo nur zu gut kannte. Wenn Graf Hugo geahnt hätte, daß Gabriele in der Stille der Nacht ernstlick erwog, ob sie nickt der Villa den Rücken kehren sollte? Nur die Erwägung, daß rS sckimpflick sei, so rasch die Flinte ins Korn zu werfen, kielt sie zurück — nein, sic mußte ausharren, so schwer eS auch war! Ack, sie hatte sich Alle« so ander« gedacht — e« empörte sie, daß die Gräfin niemals fragte, ob sie Dies oder Jene« tbun möge — sie decretirtr und Gabriele hatte zu gehvrcken! Wenn sie davonlies? Die nächsten Wochen verbrachte der Vater mit seiner jungen Frau in Paris — sie konnte die Reiscnoen noch einholen! Ach, wie albern sie doch war! Man batte ihr ja frrigestellt, die Reise milzumachen, und sie batte sich energisch geweigert — sollte sie jetzt durch ibr Verhalten dartbun, daß kindischer Trotz ihre Weigerung dictirt hatte? — Die Augen mit der Hand beschattrnd, saß Gabriele eine Zeit lang unbeweglich am Fenster — dann erhob sie sich entschlossen und murmelte vor sich hin: „Ich bin viel zu selbstsüchtig — ich muß lernen, meine eigene Persönlichkeit nicht stet« in den Vordergrund zu stellen, und dafür bin ich hier in der besten Schule! Die Dohna« haben stelS auf ihrem Posten ausgeharrt — ich will nicht di« Erste sein, die davoalaust!" Zehntes Capitel. Gräfin Adelheid hatte die Gewohnbeit, Nein« Billet«, wie sie Schulmädchen sich gegenseitig schreiben, zu verlassen und dieselben ans d,c abenteuerlickste Arl gefallet ibrem Sobn und auch ihren jeweiligen Gästen auf silbernem Teller zusiellcn zu lassen. So erhielt denn Graf Hugo am nächsten Morgen in der Frühe ein Brirflein folgenden Inhalts: „Theuerster Hngol Bevor ich mich zur Ruhe begebe, will ich meinem lieben Sohne herzlich gute Nacht zurusen. Zugleich gebe ick Dir, mein theurer Hugo, Gelegenbeit, Dich an einem wobltbätigen Werl zu betbeiligen. In Ancona ist ein furchtbares Unglück geschehen, wie Du au- dem einliegenden ZeitungSblalt c>- siehst. — Die Majorin sammelt Beiträge zur Linderung des Elends, welche« da« Geschebniß im Gefolge bat. Ick babe der herrlichen Frau 1606 Mark überwiesen und ick würde es sehr paffend finden, wenn auch Tu einen namhaften Beitrag zeichnen wolltest. Gute Nacht, mein lieber Hugo — ich werde mich morgen früher als gewöhnlich bei Dir kinslntcn und Deine Entschließung ciilgegeiinehme». Treu Deine Mutter." Gras Hugo warf da« Billet achtlos bei Seile, und laS da- Zciiungrblalt. „Tie Armen", murmelte er schaudernd, und dann ries er: ,^!ip-, bringe mir Papier und einen Bleistift!" Nachdem LipS da« Verlangte gebracht, schrieb Graf Hugo Folgende-: „Liebe Mama! Ich bin zu wenig Pbilantbrop, um von meinem Grnndsatze, niemals aus den Sammcllislcil der Frau Majori» zu sigurirc», abzugcöcn. Als berüchtigtes „schwarze« Schaf" würde ich mich unter de» Frommen und Gerechten zu unbebaalich süblcn. Glücklicherweise verleibt Deine Spende unserem Namen ge nügenden Glanz und so bitte ich zu entschuldigen Deinen Dich liebenden Sohn Hugo." Nachdem daS Billet gefaltet war, las Graf Hugo noch mals den Zeitungsbericht, dann Überlegte rr lange und ernst. „LipS", sagte er plötzlich, ist « beule warm genug, daß ich mich in den Garten tragen lassen könnte?" „Gewiß, Herr Graf — die Luft ist sehr milde." „Schön — aber vielleicht könnte man mein Lager beute in dem Hinteren Thcil deS Park«, neben dem kleinen Spring brunnen ausscklagen, dort schützt mich das dichte Gebüsch vor jedem Blick ven der Straße." „Ich will gleich binau-gehen und Alle- Herrichten, Herr Graf — die frische Lust wird dem Herrn Grafen gewiß gut thun", sagte der treue Man» hoffnungsvoll. Ter Graf blickte nochmals in da« Brieschen der Gräfin. ,Sic schreibt, sic wolle mich heute früher als sonst bcsucken. Wenn sie mein Billet erhält, wird sic wütbend werden, geben wir dem ersten Anprall au« dem Wege", murmelte er vor sich bin, und kann sagte er laut: „LipS, sorge dasllr, daß unser Aukzug möglichst leise bewerkstelligt wird, damit wir Niemanden stören. Sobald ich dann im Park »ntergebracht bin, girbst Du Babetle die« Billet für die Gräfin, verstanden?" Lips nickte, und bald lag Gras Hugo bequem gebettet in einem geschützten Winket de« Parks. Tie warme Frühlings- sonne fiel durch das dickte Geäst einer mächtigen Ecker; ein Neine« Ficklenwäldchen hauchte würzigen Tust aus, und das sanfte Plätschtni de« Springbrunnens, dessen Wasser in ein epbeuumsponnenks Brenzebecken nirdersiel, belebte daS hübsche Plätzchen in anmuibigcr Weise. ^So, Lips, jetzt kannst Tu geben", nickte der Graf befriedigt; „lege niir die Bücher »aber und lehne meine Krücken hierher an den Gartenseffel — im Fall eine- seindlichen ist aus der Erkcnntniß der Notbwendigkeit hervorgegangen, die Interessen England- gegen die Begehrlichkeit Frankreichs z» vertbeikigen. Hoffentlich werden auch bald die maßgebenden Kreise in Deutschland zu dem Einsehen gelange», daß die deutsche» Interessen in Ecntralafrika einen gleichen Schutz verlangen, wenn nicht der werlhvolle coloniale Besitz in Kamerun schweren Schaden erleiden soll. In Frankreich ist, wie wir schon mehrfach hervorgebobcn haben, Consta nS der Held de« Tage- und wahrscheinlich auch der Mann der Zukunft. Die Franzosen suckle» nach Jemand, der ihnen sür einige Zeit wieder Rübe und Sicherheit vor socialistischeii Meuterern und womöglich auch ein wenig Frieden mit der Kirche verschafft. Coiis'.aiiö meldete sich zum Wort und zum Werk. In seiner Toulonser Rede schlug erden rechten To» an, uni die Leute sür sich zn gewinne». Er drobte Niemand, prahlte nicht mit seiner Stärke, sondern bezauberte alle Well mit der Liebenswürdigkeit seines Auf tretens und mit der Mannigfaltigkeit seiner Versprechungen. Ten Katholiken versprach er, daß sie iiiibehelligt die Messe besuchen dürste», den Weltkintern der Republik, daß ihre Militair- und Schulgesetze bcibebalten werden sollten, der conscrvativen Bürgerschaft vcrbicß er die Wiederauf- richtung der RegierungSaulorität und eine „sanfte, doch feste" Haiikhabtnig der Centralgewalt, und auch di« Arbeiter gingen in seine» Verheißungen nickt leer aus. Es beißt nun, baß die künftigen Kammcrwahlen nickt im Ministerium de- Innern, soiiter» in dem eleganten Hause der ChampS ElnsteS, wo CoiistanS wohnt, „gemacht" werde». Der Mtinsterpräsident Dupu», der sich gcrllbmt hat, daß er- bei de» Wahlen den Vorsitz führen werde, dürfte nur »ock Anspruch auf den Ebrcnvorsitz, nicht auf die tbat- sächlicke Leitung haben. Die Präfcetc» werden den Winken deS Mannes, den sie als künftige» Herrn erwarten und »lit dem sic übrigens in bcslänbigcr Verbindung geblieben sind, aufmerksamcr folgen, als de» Befehlen ihre» zur Zeit „och amilicheit Vorgesetzten. Geld genug bat Conslaiis in seiner Casse: die Sckaar von Goschallsleulcii »iid Specu- jante», die ibn seit Jahren ilmgicbt und auf Gegenseitigkeit unterstützt, wird für die ferner »ölbigcii Millionen sorge», da ihr Weizen beste Aussicht aus baldige Blütbc bat. Rechnet man Hinz», daß Coustaiis die Liste aller beim Paiiamascaiidal eomprvmittirteii Deputirte» besitzt und selber frei vo» allem Panamismus ist, da er zur Zeit der große» Geldvcr- Ibeilmig in Hinicriudic» weilte, so begreift man, wie viel Trümpfe dieser Man» in seinem Spiele hat. Ati.i^ingS giebt es auch einige Lücke» i» seiner Karte. Die Abenteuer seine« früheren Leben-, die sich mit gelindem Ausdruck a S absonderlich bezeichnen lassen, könnten ihm, wie im Februar vorige» Jahres, so auch diesmal wieder zum Unglück ge reichen. Toll' sür den Augenblick ist hiervon »ittit die stecke. Ganz Frankreich freut sich, einen Mann wie ihn gefunden zu haben Neuerdings eingcgangenr Nachrichten kaffen keinen Zweifel darüber, kaß Italien nun auch durch Frankreich, i», Verein mit Rußland, in seiner Slellung in Abcssynicn bedroht wird. Italien beansprucht aus Grund seines LändererwerbeS in Massauah und dem dazu gehörende» Landstrich Keren eine Art von Oberaussicht über den König Menelik von Abessynien, Angriffs muß ick doch eine Waffe haben", schloß er mit bittcreni Spott, „und es ist mir eine Beruhigung, daran zu denken, daß ich im Notbsall Einem meine Krücke» »achwerscn könnte!" LipS verschwand und Gras Hugo niurmelte schmerzlich vor sich bin: „Es waren so viele Kinder in jener Kirche zu Ancona — die armen, kleinen Geschöpfe!" Tann »ah», er ein illustrirtcS Blatt zur Hand und durchslog dcu Inhalt. Aber seine Gckaiike» kehrte» immer wieder zu der Kirche vo» Aiiccna zurück, die Hand ließ daS Blatt sinken, und che sick'S Gras Hugo versa!,, hatte cö sich unter seinen Fahrstuhl geschoben. Ter Kran!« streckte den Arm aus und suckle das Blatt zu erfasse», aber eS wollte nicht geben, er versuchte cs wieder und wieder und endlich griff er nach seiner Pfeife. Bevor er dieselbe indeß an de» Mund setzte, ließ er sic wieker sinken und murmelte: „Nein, LipS soll wenigstens einmal enie Stunke ungestörter Ruhe haben, der arme Schelm hat'« ja schlimmer w,e ein Gatecrenselave" Seine Krücke ergreifend, suchte Graf Hugo den Flüchtling zu sich bcraiizuzichcii, alle», auch dieser Versuch mißlang, und jeuszend gab es der Kranke auf. Ta körte rr plötzlich ein Geräusch, als ob Jemand über die Hecke springe, und gleich darauf erklangen Schritte in seiner nächsten Nähe. Eine kräftige Gestalt in weißer, gipöbcstanbter Btousc ward sichtbar, fre»»dliche braune Auge» blickten aus einem hübschen, pon blondem Vollbart uiiirabmtcn Gefickt aus den Leibenten nieder, und eine schwielige Hand reichte kein Grasen das kleine illnstrirtc Heft. „Danke", sagte Graf Hugo, die schlanke Gestalt mit stillem Neid betrachtend, „da habe ich unverhofft Glück gehabt. Wie kam eS denn, daß Sic meine Verlegenheit merkten?" „O, ick, sab über die Hecke und gewahrte, wie Ihnen das Blatt entfiel", versetzte der Mann cinsack. Aha — wenn er über die Hecke blickte, thal er eS doch wobl nur in einer bestimmten Absicht, dachte Hugo bei sich, und aller Wahrscheinlichkeit nach nicht, um nach mir, sondern nach etwa« Hübscherem zu sehen — „okercber la femwo ' wird - wobl auch hier heißen. „Ich bin srob, daß Sie über die Hecke blickten", sagte er dann laut, „ich hätte da« Heft mir meinen elenden Gliedern nun und nimmer erreicht." Seine Blicke galten sicher dem hübschen Röschen, subr Graf Hugo in seinein Selbstgespräch fort; die ankere weibliche Dienerschaft recrutirt sich au« Vogelscheuchen, welche Mama, Gott weiß wesbalb, sür tugenkhastcr hält, als bübsckr Mädchen. „So sind Sie ohne Anlauf, nur vom Boden aus über die Hecke gesprungen?" fragte er dann mit einem leisen Lcufzcr. „Ja, und eS tbut mir leid, daß Sie's mir nicht mehr gleich tbun können, Herr Gras", antwortete Bernhard Dich warm. (Fortsetzung solgt.)
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite