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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.06.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-06-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18930616029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893061602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893061602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1893
- Monat1893-06
- Tag1893-06-16
- Monat1893-06
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Die größten wahrscheinlich erst bei den Stich wahlen, die in noch nie dagewesener Zahl sich nölhig machen lenden. Immerhin läßt sich schon jetzt sagen, daß diese Überraschungen für die Freunde einer ausreichenden Ver stärkung unserer Wehrmacht sehr erfreulich sein müsseii, wem, die Hoffnung auf einen Reichstag sich ersitllen soll, der von dem aufgelösten vortheilhast sich unterscheidet. Die Socialdemokratie hat bereits eine Reihe von Siegen zu enzeichnen, die nur schwer werden ausgeglichen werden könne». Um so dringener wird in allen Wahl kreisen, in denen ein Candidat der staatöerhalten- de» Parteien mit einem socialdemvkratisch eu in die Stichwahl kommt, für alle Wähler, denen die Erhaltung des inneren und de« äußeren Friedens am Herzen liegt, die Pflicht, mit aller Kraft und mit voller Beiseitcsetzung aller persönlichen Differenzen und Sonder- lviinsche sür die Wahl dieses Eandidatcn einzu- trelen. Daß diese Pflicht in unserem Leipzig mit vollster Hingebung erfüllt werden wird, glauben wir um so zuver sichtlicher erwarten zu dürfen, je größer bei allen staatS- nhrllenden Elementen die Genuglhuung darüber sein muß, daß sie gestern trotz de» getrennten MarschirenS den gemein samen Gegner gemeinsam geschlagen und ihrer Vaterstadt die lrhre, eine der deutschesten unter den deutschen Stäbien zu sei», gewahrt haben. Die Hauptstadt Belgien« wird in diesem Herbst der Sitz eine« wichtigen internationalen Eongrefses sein. Die inter parlamentarische Eonserenz, d. b. der Eongreß aller derjenigen Mitglieder europäischer Parlamente, welche An- bänger der vollständigen Abschaffung der Regelung inter- valionaler Streitigkeiten durch den Krieg und de« Ersätze« derselben durch internationale Schiedsgerichte, wird, sosern der Beschluß der englische» Deputaten durch die Par lamentsmitglieder der übrigen Nationen nicht umgestoßen tvird, am 1. Oktober in Brüssel zusammentrcten. Die Ar beiten des ConarcsscS werden dieses Jahr, wo die Frage der Militairischen Abrüstung mehr als zu einer andern Epoche im Vordergrund steht, ganz besonder« interessant sein. Lin Deutscher, der vor wenigen Tagen von einem länger» Aufenthalt in Frankreich zurückgekehrt ist, stellt der „K. Ztg." Beobachtungen über die Fortschritte des französischen HeereS zur Verfügung. Darin heißt es: Wie tonnte die ftanzösische Regierung cs möglich machen, bei der vollständigen lrrschopsung des Menschenmaterials noch weitere 24 Iäger- balaillonc und 2 Eavallerirregimcnter zu bilden? Die Sache wäre unausführbar, hätte der Kriegsminister nicht ben ausgezeichnete» Einfall gehabt, eine Einrichtung, die während br« Züjäbrigen Krieges und bis tief in« vorige Jahrhundert hinein ia ganz Europa üblich war, sür Frankreich wieder im Großen iuSbeben zu rufen. Die Sache war vor der Hand nickt für die Veröffentlichung bestimmt, da sich die französischen Zeitungen ta« Wort gegeben, vor den deutschen ReichstagSwable» unS Deutschen keinen Lorwand zu bieten, die Miliiairvorlage durch Hinweise auf Frankreich zu begründen. Einige Zeitungen brachten eS indeß nicht über sich, ihren Lesern den Trost auf eine Erhöhung der französischen Streitkräfte so lange vorzueutbalten. Kurz, General Loizillon läßt in allen Kolonien Werbeämler errichten und die in Algier bestehenden vermehren, um eine weitere Reibe von Corp« zu gründen, die der Fremdenlegion entsprechen. Tic ans diesem Wege erhaltenen Massen ermöglichen cS, die bisher für die Eolonic» bestimmten Mannschaften i» Frankreich zurückzubeballen und außerdem im Falle eine« europäischen Krieges das Eonlinentalhcer durch die zu bildende Eolonialarmee zu verstärken. Damit nicht zufrieden, ver stärkt man auch die EingeborencncorpS immer mehr, und bald werden sich an die tiiailleur» »lgsriens (Turkos). an die tnailleui's könöynlüis und touquinui» und deren ent sprechende SpahiS die tirailleurz ilalwmöeuz und lunirivns anschließen. Daß ein großer Tbeil dieser Truppen, wenigsten« die, deren Garnisonplätzc Frankreich zunächst liegen, für eine» europäischen Krieg bestimmt sind, weiß jeder Franzose. In Spanien soll nunmehr am l. Juli das seltsame Schauspiel slaltsindcn, daß in einzelnen Städten die Apo theker ihre Läden schließen. Die gestern eingetroffene „Epoca" bestätigt, daß die Apotheker von Valencia in dieser Hinsicht sich den Apothekern der spanischen Hauptstadt an- gcschlossen haben. Das eigentbümliche Verhalten der spanischen Apotheker wird durch die neuen Bestimmungen über die Gewerbesteuer hervo,gerufen, denen sich die „FarmacönticoS" nicht fügen wollen. Sie werden also streiken, obgleich die Eholeranachrichlen au« dem südlichen Frankreich so bedenklich lauten, daß für die spanischen Nachbarprovinzen Gesahr vorhanden ist. Zu dieser „Arbeits einstellung" kommt dann noch eine nicht minder seltsame, dir der Advocatcn, die gegen die Reformen de« Justizminister« durch einen Ansstand demonstriren. Und endlich streiken in der Kammer die Eonservativen, die, weil ibr Gegenantrag zum Budget abgelebnt worden ist, in der Lbstruclionspoluik verharren. Spanisch! In vnglanä tritt seit einigen Tagen mit zäher Beharrlich keit da« Gerückt auf. die Ausschußderathung über Hsinc-tziule werde gar nicht zu Ende geführt werden, da Gladstone sie al« aussichtslos fallen lasten wolle. E« wird abruwarten sein, ob und inwieweit man cs hierbei mit einem Gedanken zu tkun bat, besten Vater ein unionistischer Herzenswunsch ist. Indessen e« ist nicht zu verkennen, daß Gladstone'« Lage von Tag zu Tag schwieriger wird und die Aussichten für daö Gelingen des „irischen BefreiungSivcrks" sich stetig ver düstern. Die Stachclrcdcn sind nickt ohne Wirkung ans da- Land »nd einzelne liberale Abgeordnete ge blieben, da- Gezanke >>» irischen Lager, da«, kaum beschwichtigt, jeden Augenblick wieder loSbrechen kann, erzeugt bei den Liberalen eine an Entmutbigung grenzende Mißstimmung, und zu allem Uebel kommt noch eu« böser, vielleicht verbängnißvcller Rechenfehler, der sich in die finanziellen Bestimmungen der Homerule-Bill eingeschlicke» bat. Es hat sich hcrausgcstellt, daß Einnahme», welche England zu Gule koinmen sollten, um fast sieben Millionen Mark zu hoch eingestellt waren. Der vormalige, durch die bekannten Ereignisse so jäh von seiner Höhe hcrabgeschleudertc serbische Regent Ho van Ristitsch hat in diesen Tagin mit seiner Familie Serbien verlassen und sich zunächst nach Marienbad zum Eurgebrauch begeben. Noch cbc die Ckupschlina zusammengelrete» ist, hat Ristitsch den heimischen Staub von den Füßen geschüttelt »nd seinem Vaterlande den Rücken gekcbrt. Die Gerüchte, daß die Skupschtina seine und Balimarkowitsck's Ausweisting zu beschließe» beabsichtige, haben zwar bis jetzt noch keine Bestätigung gefunden, aber es war gleichwohl nur rin Aet kluger Vorsicht, daß Ristitsch sich bei Zeiten ans einen even tuellen Beschluß der Skupseblina derart gefaßt machte, namentlich nachdem durch die Exiliruug der Königin Ralalic ei» Präcedcnzsall geschaffen worben war. Ueberdie» dürste wahrscheinlich auch ein Antrag ans Versetzung des früheren Ministerium« Aoakumorvilsch in Anklagezustand gestellt werten, so daß eS schon bei dieser Gelegenbeit zu den heftigsten An griffen aus Ristitsch und sein Regiment kommen muß. Man begreift daher, baß eS der Ex Regent geratben findet, diesem drohenden Ungewilter aus dein Wege zu gehen. Freunde Ristitsch'S versichern zwar, daß sein Aufenthalt im Auslände blo« zwei Monate dauern werde, während von anderer Seite mit Bestiinnilbeit verlautet, daß er alle Anstalten getroffen bat.^ui» sich bleibend in München nickerzulasscn. Der älteste Sohn Ristitsch'S, der Lcgations-Srcreiair bei der serbischen Gesandtschaft in Pari« war und nach dem Umstürze vom 13. April zum Postossicial bei der Belgrader Postdirection deararirt wurde, dal schon frülxr aus den Staatsdienst verzichtet, und nun baden dies auch seine beide» jüngeren Brüder gclban. Auch dies deutet darauf hin, daß der greise Staatsmann, der aus eine so lange und tbalcnreichc öffentliche Lausbahn zurückblicken kann, seine Stellung in Serbien gänzlich auszugebcn gewillt ist. Man kann sich angesichts dessen eines Gefühl« ausrichliger Tbeilnabnic nicht erwehre», wenngleich die Dinge in Scrlne» so rascheln Wechsel anögesetzt sind und Ristitsch'S Nolle noch nicht sür immer auögcspiclt zu sein braucht. Don de» in Deutschland dcsindlichen EmisstonSstellen griechischer Wcrtbc ist i» diesen Tage» eine Erklärung ver öffentlicht worden, nach welcher die Baarmiilcl zur Ein lösung der am 15. Juni fälligen ZinSschcine nnd a»S- geloostcn Stücke der fünsproceiiligcn Goldanleibe des Aönig- rrichcs «ltriccheiilaiid vom Iabre l8W nicht cingeirvffen seien, also auch die Zahlung nicht erfolgen werde. Ohne alle zur Verdunkelung des ThatbestandeS bestimmten Redens arten beißt das »icklS Ändere«, als daß Griechenland den StaatSbankerott vollzogen hat, wie früher Argentinien und Portugal. Wir halte» diesen Anögang seit geraumer Zeit vorausgesagt, und in den Berichten aus Athen ist über d>e Lage der griechische» Finanzen nicht der geringste Zweisel gelassen worden. Es ist nichts al« Humbug, wenn jetzt den Inhabern griechischer Anleihen angebole» wird, statt de« haaren Geldes, La« ihnen zuionimt, sich mit geduldigem Papier für die Zukunft abfinden zu lasten. Denn wer bietet die geringste Gewähr dafür, daß diese Zettel mit baarem Gelte eingclöst werden? Etwa da« Londoner Bankhaus Hambro? Diese« Hau« übernimmt von der neuen Anleihe, so viel ibin ungefährlich scheint, maHt dabei ein gute« Geschäft und überläßt den Leuten, die mit den neuen Schuld scheinen zusriedc» sind, das Nachsehen, wen» sie wieder betrogen werden. Nickt« aber liegt dem Bankhause ferner, al« eine Bürgschaft sür die Anleihe zu übernehmen, die e« auf den Markt zu bringen den traurigen Muth bat. Die deutsche Nation brauchte sich um diese Dinge nickt weiter zu kümmern, wenn nicht nur zu viel „exotische" An leihe» im letzten Iabrzebnt bier zu Lande in den Verkehr gebracht worben wären. Die Bankkäuser, welche die Vermitte lung besorgt und mit den Gewinnen ihre Dividenden und die Tantiemen der Direktoren vergrößert baden, waschen nach träglich ihre Hände in Unschuld. Sie legen „Protest" ein, sie entrüsten sich über di> Vergewaltigung. Sie wollen von dem baldigen Bankerott nicht die leiseste Ahnung gebabt haben. Das Publicum, dem sie die sogenannten „Werlhe" empfohlen haben, findet in solchen Enlsckulvigungen einen geringen Trost. Tenn ob es Böswilligkeit, ob es Kurz sichtigkeil war, sie bat die Eapitaliste», die im Vertrauen aus die vermittelnde» Bankhäuser ihren Prospeclen folgte», schwer geschädigt. Deutsches Reich. Berit», 15. Juni. Da« Ergebniß der Berliner Wahlen ist heute verhältnißmäßig zeitig bekannt geworben und wurde durch zahlreiche Extrablätter milgetheilt. Im vierten und sechsten Wahlkreis, die vornehmlich von Arbeitern bevölkert sind, sind wieder wie seit Iabre» die Socialdemo traten, die Herren Singer und Liebknecht, gewählt worden. Man balle cs nicht anders erwartet; in beide» Wahlkreisen hatten außer den Freisinnigen alle anderen Parteien auf den LuxuS einer besonderen Candidatur von vornberein verzichtet. Die freisinnige Volköpartei batte in beiden Kreisen Eugen Richter ausgestellt, eigentlich nur als Zäblcaiiditatc», und erzielte damit auch nur einen kleinen „Achtungserfolg". In den vier anderen Wahlkreisen Berlins ist durchweg eine StichwahI z >vischen dem Socialdcmo - traten und dem Freisinnigen erforderlich und zwar siebe» ini ersten der Schneider Täterviv und der Stadtver- ordncken-Vorstcbcr Hr. La »gerb anS, im zweiten der Schrist- setzerFischer »nbGebeinirathBirchotv.im dritten Kaufmann Vogl Herr unv Iustizratb Munckel und im sünsten Gasl- wirtb Schmidt und Oberbürgermeister Bau mbach zur engere» Wahl. Damit ist offenbar bereit« ein Erfolg der Soeialveuiokralen im Vergleich zur 18stncr Wahl festgcstellt. Die Zahl der Stimme», die sür die llnisturzpartei in Berlin abgegeben sind, ist beträchtlich gewachsen, da« zeigt sich ganz besonder« im ersten Wahlkreis, dem Sitze der Eentral- bcbördeii des Reiches und Preußen«, dein Bezirke, der vor nehmlich von der Beamten-, Geburlö- und Finanz-Aristokratie bcwvbnt wird. Was die Aussichten der Eandidatcn bei den lichwahlcn in Berlin betrifft, so ist cs keineswegs sicher, das; nicht im zweiten,dritten und fünslenWahlkreis derSocialdemokrat als Sieger a»s der Urne hervorgehl. Den» i» diesen drei Bezirken überwiegt jetzt dercilS seine Stinimenzahl die des Freisinnige» ui» ein Bedeutendes — De» Socialdemokraten standen nicht nur die zahlreichste» opferwilligen HilsS- kräste zur „kleinen Wühlarbeit", vielfach auch die Frauen zur Verfügung, sondern auch recht bedeutende Gelder, i» Berlin, wie im ganzen Reiche, und dem eulspreckend werden sie auch mit einer gewaltigen Zahl „social- dcmokralischer" Stimmen reiiommiren können. Dem gegenüber ist daraus hinzuweisen, daß keine andere Partei so viel Zäbl- candibalcn ansgeftcllt hat. Auch daran darf erinnert werden, daß die Socialdemokralen es diesmal geflissentlich überall ver miede» baben, da« socialtemokralische Programm, den Zu kunstsstaat, aus die Fahne zu schreiben, daß sie vielmehr lediglich bestrebt waren, die in viele» Kreisen ans den ver schiedensten Ursache» tbatsächlich vorhandene Unzufriedenheit zu schüren und für sich auszubcuten. Kaum die Hälfte der abgegebenen sociald«mvkratischenSti»»»zettel dürste aus das Eontv überzeugter Socialdemokraten zu schreiben sein; sicher aber zeuge» sie sainmllich dafür, daß man mit deni „neuen Enrse" ,n hobciii Grade unzufrieden ist. — Ii» Ganzen genommen ist der Wabltaz in Berlin ruhiger verlausen, als vielfach er wartet worden war. Die Spannung war eine allgemeine, doch von irgend welchen erheblichen Ruhestörungen ist bis zum späten Abend nichts bekannt geworden. Die Befriedigung darüber, daß endlich der Wahltag erschiene», wird allseilig geäußert, das Betürsniß nach Stetigkeit in Hantel unv Wandel ist groß, und wer einen rcckllickcn bürgerlichen Berus hat, ist angcwidert durch die andauernde Thäligkeit der geschäsllichen und geschäftige» Agitation. Leider baden wir diesmal »n Reiche eine vorher noch nickt dagewescne Zabl von Stichwahlen zu bewältigen, doch hält sich sür diese die Agitation in engeren Grenzen. Mögen die Stichwablcn dem patriotischen Geiste zu», Siege vcrhelsc», auf daß der neue Reichstag im Bunde mit der Regierung sich der Situation gewachsen zeige! Berlin, 15. Juni, lieber die beute vollendete» Haupt- wahleii hinaus richtet sich der Blick jetzt sofort ans die Stichwahlen. Bei der übergroßen Slimiiienzersplittcrnng durch Ausstellung der verschiedenartigsten Eantikakcn in jedem einzelnen Wahlkreise ist die Annabiue gercchlsertigt, daß die Zahl der Stichwahlen, die überhaupt in beständigen, Anwachsen begriffen ist, diesmal eine außergcwölinlich große sein wird; sicherlich wird die Mehrzahl der Wahlen nicht gleich im ersten Wahlgang vollendet werden. Die Stichwahlen sinke» diesmal ini ganzen Reich (mit Ausnahme von Bayern) an einem einzigen Tag, dem 2 4. Juni, statt, eine Neuerung, die wir sür zweckmäßig Hallen. Ter Termin Kälte auch »och ein paar Tage früher angcsetzt werden können und e« wäre damit dix i > UI FeuiUetsn. Offene Pforten. Roman von B- W. Howardt. (Fortsetzung.) «acht ruck,«rd«t,n. „Sie steht aus, al« hätte sie sich in Morgendust und Tau- tiopsen gebadet", murmelte Graf Hugo vor sich und dann sagte er laut: „Da ick nickt weiß, um welche Sckwelgcrei sich « bandelt, laiin ich kein Urtbeil in Betreff der Stärke abgeben, aber ich möchte dasür stimmen, daß ei» genügender Borrath von Mailrank bereitet wird." Gabriele lachte fröhlich auf. „Ja freilich. Sie wissen von nicht«." „Nein, wie sollte ich? Aber da« ändert nicht« an meiner BereNwilligkcit, Ihnen sogar da« Heidelberger Faß zur Ver fügung zu stellen, wenn es in meinem Besitz und mit Wein gesullt wäre." „O, da« wäre zu viel", lackte Gabriele, „wenn e« sich uichl um Pcier bandelte, Kälte ich Sic überhaupt nicht gestört" „Peter ?" wiederholte Graf Hugo fragend. Doch, weshalb sollien Sie sick aus Details einlassen! Sie wünschen Wein, «al Sie sollen ibn haben." „Aber Sie müssen wirklich erst hören, wie Alle« kam", sagte sic eilig, und dann berichlele sic von ihrer Unlerhallung mn den Arbeitern und schloß mit den Worten: „Wäre Peter mcht ein so »ujufricdencr Ebarakter, der siel« auf eie Reichen stichelt und Uber ikre Hartherzigkeit schilt, dann würde mir mchl so viel daran liege», ihm mein Wort zu halten." „Ich wnßte bisher nickt, daß Damen in diesem Puoct« empfiarlich sind", warf Graf Hugo trocken ei». „Ith bin e«", sagte Gabriele ruhig, „aber in diesem Falle würde ich mir weniger daran« machen, mein Wort zu breche», wenn e« sich um einen Eavalier — sagen wir um Sie, Graf Knast!«, handelte, al« diesem Peter gegenüber." »Ich danke Ihnen", murmelt« Hugo erost, „aber wenn Sic meine Frage unbescheiden finden", fuhr er dann lebhafter fort, „möchte ich wissen, warum Sie nicht ebne Weitere« Herrn Lcible Ihre Befehle hinsichtlich de« Weine« gaben, Baronesse?" Bei sich dachteGrafHugo: Nun wird'« kommen— sie wird über Mama klagen. Aber eS kam doch nicht ganz so, wie er erwartet hatte; Gabriele blickte ihn offen an und sagte einfach: „Graf Hugo — heute Morgen versprach ich den Leuten, ihnen de» Trunk zu schicken; ich folgte dabei einer augenblick lichen Eingebung, ebne zu bedenken, daß ich hier nicht zu Hause bin und folglich nichts anbieten konnte, wa« ich nicht batte. — Daheim in Dol na ihat ich in dieser» sowie fast in jeder Hinsicht, wa« ich wollte. Sehen Sie rin, daß ich mich übereilt batte, Graf Hugo, wenn ich auch immer noch der Ansicht bin, mein Versprechen halten zu mUssen?" „DaS müssen Sie jedenfalls", nickte Hugo, die Beantwortung der Frage umgehend. „Gut, also — beim Gabelfrühstück theilte ich der Gräfin Kronsel« die Sache mit, fand aber keine Billigung." „Ab, Mama weigerte sich rundweg, Ihr Versprechen ein- jul'ösen ?" unterbrach Hugo die Redende aesvannt. „Ja, aber um ausrichlig zu sei», muß ich bemerken, baß die« wohl nur die Folge einer oiciuerseit« kurz zuvor begangenen Ungeliörigkeit war." „Und wäre e« indiScret, nach der Natur diese« Verbrechen« zu forschen?" „Gewiß nicht — es wurde eine Aeußerung gethan, welche mein Mißfallen erregte, und daraus hin verließ ich i» sehr — unceremoiiiöser Weise das Zimmer. E« war recht häßlich von mir, Gras Hugo, aber ick habe leider ein hrstige« Temperament. Nun also, nack der Weigerung der Gräfin wollt« ich anfänglich direct in die Stadt gehen, und den Wein dort lausen, aber dann erschien mir dieser Ausweg doch zu undelicat und demonstrativ, besonders ta ich den Abschlag provocirt batte, und dann — danu entdeckte ich, daß ich auch mein Mon.rl«- gelt schon völlig au«geg»ben hatte", sügie Gabriele in reizender VcrleHcnbeit hinzu, „und da dachte ich an Sir, Gras Hugo, daß «ie inir Helsen würden." Hugo batte wie im Traum der süßen Stimme gelauscht — wie offen und ehrlich bekannt« Gabriele ihre Fehler, und mit welchem kindlichen Vertrauen batte sie sich an ibn gewandt. Seine Ritterlichkeit drängte ibn, de» offene» Appell gleich offen zu beantworten und dicS seltene Geschöpf seiner wärmslcn Sympathie 'zu versichern. Aber dann stieg wieder eine tiefe Bitterkeit über sein elendes Dasein i» ihm auf — waö lag der glänzenden Erscheinung daran, ob ein Krüppel Sympathie sür sic hegte — mochten doch Andere, Glücklichere ihre Huldigungen darbringen „Ich crinüte Sie wohl", sagte Gabriele, welche den ver änderten Gesichtsausdruck des Leidenden gewahrte; „ach, ich bin so selbstsüchtig, »nd Sie waren doch diese Nacht gewiß noch kränker als sonst!" Nein — daS warme Mitgefühl, welches aus den braunen Augen sprach, war echt, und echt war auch der süße HerzenSlo», der an sein Ohr schlug. — — „Nicht wahr — Sie süble» sich matt und angegriffen?" fragte sic ängstlich, indem sie sich ihm näherte, und er schule sich zu antworten: „Ia. ich bin malt und elend zum Tode", aber er that es nicht, er sagte nur leise: „Ich bi» nickt kränker als sonst." „Ich will jetzt gehe»", flüsterte Gabriele sanft. Und wieder überkam ihn da« sehnende Verlangen, sie anzuflebcn: „Gehe »och nickt, bleibe bei mir und trötte mich in meiner Einsam keit! Gleich einen, Engel des Licht« bist Du über meine Schwelle geschritten — wenn Du jetzt gehst, wird c« Nacht sür mich. Anderer Mitleid weise ich stolz zurück — »ach dem Deinen lechze ich, wie der Verschinachlciide »ach dem frischen Trunk!" Ihre Hand ruhte aus der Lehne seine« Fabrscsse'.S — wenn er sie faßte, brachte sie ihm Trost und Heilung. Schon hob er die Rcckie, aber dann ließ er sie schlaff herniebersinken. — „Thor — Feigling", ries e« in ihm, „wa- sollen Dir zarte weiche Hände und fuße Augen! In der Vergangenheit, die todt unk begraben ist, konntest Tu an dergleichen teuken — eine Zukunft hast Du nicht, außrr der, dir da« kleine schwarze Buck Dir verbürgt — die offene» Pforten m« Jenseits." Die kalbe Belaubung, die ihn umsponnen, abschüttelnd, sagte Graf Hugo rudig: „Baronestr — ich danke Ihnen herzlich sür Ihr Zutrauen und bitte Sie, sich auch in Zukunft stet« an mich wenden zu wolle», wenn ick Ihnen irgend einen Dienst leisten kann. Hinsichtlich des Wein« bitte ich Sie nur, Lips das Nölbige zu sagen, er soll denselben in den Spciicsaal bringe», und auch für die Zuknnst steht mein Keller, der weit über ineinc» Bedarf gefüllt ist, Ihiicu für Ihre Schützlinge gern zur Ver- süguna." „Ach", ineintc Gabriele kopfschüttelnd, „ich werde nickt so bald wieder Maitrank für Andere brauen." Wie abscheulich muß Mama daS arme Kind behandelt habe», dachte Gras Hugo; wenn'- nicht gerade Mama wäre, kvnnle »na»'« gar nicht glaube». „Es ist mir, offen gestanden, nicht leicht geworden, Ihre jZeslung zu stürmen", sagte Gabriele, indem sie sich lächelnd in dem schöne», geräumigcn Gemach umsah; „ich —" „Hören Sie nicht«?" unterbrach Hugo da« junge Mädchen, „das muß Mauscken sei»!" Ein leises Kratzen an der Thür und ein ärgerliches Knurren war vernehmbar; bann trottele Mäuschen idenn natürlich war er'S gewesen) den Eorridor hinab, und Gras Hugo bc merkte vollkommen ernsthaft: „MäuScken hat an der Thür gelauscht, er besitzt säminllickc menschliche Laster! Jetzt troltdt er zu seiner Herrin und be richtet ihr, daß Sic bier sind." „Aber das ist doch weder ein Verbrechen, noch ein Ge- heiniiiiß", lachte Gabriele. „Für mick war Ihr Besuck eine große Ebrc »nd Freund lichkeit", sagte Gras Hugo so ernst und gemessen, daß Gabrielen« Vorsatz, ihn zu bitte», ibr täglich einen Besuch zu gestatten, ibr aus der Zunge erstarb. Doch überwand sic rasch ihre Verstimmung und sagte heiter: „Eigentlich ist Manschen an Allem schuld Ich traf ihn aus der Straße und solgte ihm ru de» Bauplätzen, wo sich dann da« Gespräch mit Peter entspann " „To bin ich Mäusll en herzlich dankbar sür die unerwartete Freude, die er mir bereitet Kat", versetzte Gras Hugo lebbast ; „ich habe übrigens die Wahrnebmung gemacht, „daß nicht« liier im Hause geschieht, woran nickt MäuScken direct oder indirekt belbeiligt ist" „Ja. ta« babe ick auck schon bemerkt", nickte Gabriele, indem sie sich zum Gdben wandt«. 's ' t
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