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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.06.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-06-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18930628023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893062802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893062802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1893
- Monat1893-06
- Tag1893-06-28
- Monat1893-06
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Gröbere Schriilen laut unserem Preis» vcrzeicnaiß. Taöellanfcher und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Uptra-Vrilagr» sgesalj»), nur mit dek Morgen - Ausgabe , od n e Postbesorderung -«t 60.—, nur Pojlbesvrüerung 70.—. Ilnnahmrschluß für Änzeigenr Adend-AuSgabe: vormittag« 10 Uhr. Margen.Ausgabe: Nachmittag« 4 UhrB Sou»- und Festtag« früh V,0 Uhr. Bei den Filiale» und Annabmeste>Ien i« eia« halb« SluilSe früher. knze>,ru sind stet« an di« Expedition zu richte». Druck und Verlag von S. Pol» in Leipzi-. 87. Jahrgang. Politische Lagesschau. * Leipzig. 28. Juni. Die Wahlergebnisse sind nun bi, auf einige wenige be kannt. Kleine Veränderungen können nock bei den Nachwahlen eiatreten, die durch Doppelwahlen (Ablwardt, Bebel, Träger, Werner und Zimmermann) nothwcndig geworden sind, -oei dem günstigen Ausfall der letzten Stichwahlen darf man jedoch die Annahme »er Viiiitatrvorlage als sicher betrachten, auch wenn, was aber ausgeschlossen erscheint, die Nachwahlen ausschließlich den Gegnern zugute komme» sollten. Die bayerische Pfalz hat ihren alten Nus bewährt und der iiatiooalliberalrnPartei wieder ihre sechsAbgeordneten zugesülirt. Trotz der vou der freisinnigen VolkSpartei eifrig unterstützten ultramontanen und socialbemokratischcn Bemühungen ist die ganze Pfalz der nationalen Sacke treu geblieben. Auch im rechtsrheinischen Bayern, wo die Agitation gegen die Militair- Vorlage am heftigsten betrieben wurde, ist der AuSgang zu sriedenstellend. Welligsten« haben die Socialdemotralen dort keinen einzigen neuen Sitz hinzugewvnnen. Da- Hauptorgan der bayerischen Socialdemokratie, die „Fränkische Tagespost", ist denn auch recht kleinlaut und giebt zu, daß, von den Mandaten ganz abgesehen, in Nordbayern schon der Stimmen zuwachs bei den ersten Wahlen „nicht völlig den ge >etzten Erwartungen entspricht". In Allbayern, wo ultramontane EcntrumSgegner und Eentrunisfractionelle die Bauern mit der Socialtemokratie um die Wette verhetze», hat die letztere Partei allerdings etwas an Stimmen- zahl zugenommen, in Franken hingegen, obwohl es viel mehr Industrie hat, als Siidbayern, weisen die meisten Wahlkreise einen Rückgang auf. Im ganzen Reiche ist der socialdemokratische Stimmenzuwachs kein sehr bedeutender zu nenne», wenn man bedenkt, daß die Partei in fast allen Wahlkreise» Kandidaten aufgestellt hatte. Bei scharfer Agitation ist eS für keine Partei schwer, in jedem Wahlkreise einige hundert Stimmen zu erbalten. Mag der Gesammtgewinn der Socialdemokralic wirklich 200 000 Stimmen betragen, so entfielen auf den einzelnen Wahlkreis durchschnittlich noch nicht 750 Stimmen. Das wäre bei einer durchschnittlichen Wählcrzahl von 20 000 nicht erschreckend viel; in Wirklichkeit sind aber die Hauptgewinne in den großen Städten und in den Industrieaegenben gemacht worden, auf die ländlichen und viele gemischte Kreise entfällt mithin ein viel geringerer Zuwachs, als der angeführte. Erwägt man ferner, dag die Socialdemokralie in einem Zeitpuncte, wie er giiiistigcr für sic niemals gewesen ist, nur 2t Sitze aus eigener Kraft behauptet hat, so kann man, ohne die Nolhwendigkeit eifrigster Gegenarbeit zu verkennen, sagen, daß der Schein des socialdemokratischen Erfolges größer ist als der Erfolg selbst. Für die praktische Politik— es ist die- für ein natio nales und liberales Blatt ein trauriger Trost — hat der socialdemokratische Zuwachs von zehn Mandaten ja nichts zu bedeuten. Bei der bisherigen und zweifelsohne künftigen Haltung der Richter'sckeu Partei und der süd deutschen Volkspartei ist eS für den nationalen Fortschritt vollkommen gleickgiltig, aus welchen Elementen die äußerste Linke zusammengesetzt ist. Bon den Alliirten der elsasser Protestler und llllramontanen ist für die Befestigung, oder auch nur Erhaltung des Reichs und den Liberalismus so wenig zu hoffen, wie von den Herren Liebknecht und Singer. In dieser Hinsicht haben die Neuwahlen sogar eine nicht unerhebliche Besserung berbcigeführt. Die äußerste Linke (Soclaldemokraten, freisinnige VolkSpartei und süddeutsche VolkSpartei) ist trotz der Bermehrnng der socialdemo- kratischen Sitze und de- kleinen Zuwachses der süd deutschen Volkspartei ganz beträchtlich reducirt, ungefähr um 3b Mandate. Muß man auck diesen grundsätzlich oder thatsächlich antinationalcn Parteien Herrn ör. Sigl und seine paar bauernbündlichen Geuossen biozurechnen, so ist per Ge winn doch ein erheblicher zu nenne», zumal die Vortheile, welche die Antisemiten errungen haben, mindestens nicht un mittelbar als Hinternisse einer nationalen Politik angesehen werden können. Grnugthuung kann bei alledem das Wahl- ergebniß nicht gewähre», um so weniger, als bei der Ab stimmung für di« Militairvorlage die Polen auch jetzt nicht unentbehrlich sind. Aber Alles in Allem ist da« Resultat doch besser, als man eö in dieser Zeit der Irrungen und der Verwirrung erwarten konnte. Au« Wien wird gemeldet, daß polnische Blätter über Mißhelligkeiten im Ssterretchischr» Ministerium berichten. Ein Tbeil der Minister sei für Erfüllung der Wünsche der Deutschbvhmen. insbesondere bezüglich Errichtung deS Kreis- gericktcS in Trauteuau. Eine Ministerkrise bestehe, doch sei ihre Lösung auf den Herbst vertagt. Dann werde entweder eine Umbildung des Ministeriums bei Fortsetzung seiner bis herigen Politik mit Anlehnung an die Linke oder die Bildung eines neue» Cabinctö mit neuem Programm erfolgen. Gegenüber diesen Meldungen wird indessen von der Re gierung das Bestehen einer Ministerkrise geleugnet, und die officiösen Blätter veröffentlichen förmliche Bulletin- über den Stand der Berathungen, betreffend die bekannte Novelle zu den Abgrenzungsgesetzen. Ueber den Zweck dieser auffallenden Redseligkeit giebt man sich in den Kreisen der Deutschen keiner Täuschung hin. Die Regierung will nämlick offenbar durch die Ankündigung der „Novelle" der deutschsortfchrittlichen Partei jeden Vorwand zu einer Front- veränderung in der Richtung der Opposition nehmen und sie gleichzeitig mit diesem mageren Knocken adspeiscn. Es »st aber gegründete Hoffnung verbanden, daß dieser Plan scheitern werde Wir geben zu: Wenn man die D autenauer Frage rein juristisch aussaßt, dann läßt sich über die Zulässig keit der Bezirksabgrenzung im Verordnung-wege bei nicht ab gegebenem oder verweigertem Gutachten de« Landtage« streiten. Allein die Legalitätsscrupel stehen in zweiter Reihe und die ganze Angelegenheit hat eine viel mehr politische als juristische Seite. Nicht um Trautenau handelt es sich vorerst, sondern ui» die Autorität de« Staate-, ui» die Unter drückung eines rein revolutionairrn Acte«, um eine Grnug thuung für die in ihrem Rechte so schwer gekränkten Deutschen. Es galt zu beweise», daß die Regierung sich vor dem juna- czechischen Uebermutbe nicht fürchtet, und diesen Beweis ist sie bisher schuldig geblieben. Mit einem langsichligcn Wechsel aus dir künftige Energie werden sich die Deutschen nicht zu frieden geben. Der Ausbruch der «halrra in Part« vervollständigt das Situationsbild, welches vor wenigen Tagen an dieser Stelle Uber de» Gang der Epidemie in Frankreich und deren concentrisckeS Vorrücken gegen die Metropole entworfen wurde. Wie voriges Jahr der Osten, so scheint diese« Jahr der Westen Europas am gefährdetsten. DaS Londoner Local Government Board bat bereits eine Eholerawarnung an alle saiiitaireii Behörden London- und der näheren Umgebung er geben lassen, auf ihren Posten zu sein und bei den geringfügigsten VerdachlSsympIomen alsbald mit voller Energie einzuschreitcn. WaS Deutschland betrifft, so können wir nur wieder holt darauf Hinweise», daß für die offenlliche Meinung kaum ein Grund zur Beunruhigung vorliegt, da alle erforderlichen Maßregeln getroffen sind, und die im Gefolge der vorjährigen Heimsuchung eiiihergegaugene gründliche Durchforschung bezw. Säuberung und Desinsection deS Boden- und der Wasscr- läufe, iiameutlich in und nahe den großstädtischen BevölkerungS- centren, dafür gesorgt hat, daß, dem Anschein nach, lebenS- und eutwickelungsfähige Krankheitskeime nicht in die diesjährige kritische Jahreszeit übernommen worden sind. Die Freundschaft des Königs Menelik von Abessinien zu Frankreich nimmt immer mehr an Innigkeit zu und ist ganz dazu angetha», das schon seit lange gegen diesen König bei den Italienern vorhandene Mißtrauen noch zu verstärke», obwohl Menelik natürlich nicht zugiebt, daß diese seine Freund schaft zu Frankreich ihre Spitze gegen Italien kehrt, und ob wohl man auch von Paris aus die Italiener glauben machen will, daß ein solche- Mißtrauen ganz unberechtigt schon des halb sei, weil die Franzose» ihre Stellung an der Meerenge von Bab-el-Mandeb nie ausgenutzt hätten. Der König deS Tigregebiete« habe bereit- 1850 die Bai von AduliS an die Franzosen abgetreten, welche Abtretung durch einen mit dem NeguS geschloffenen Vertrag 1887 bestätigt wurde. Nicht« desto weniger habe man Italien dort eine wichtige Stellung cinnchmen lassen. Man werft darauf hin, daß England Zeila und Berbers an der Somaliküstr besetzt hätte, während die Republik nur Obok mit der Tad- schurabai bis zum Eap Dschrbutil behalten bade und ihr Augenmerk nur auf die Förderung ihrer Handels- und industriellen Interessen richte. Es sei sogar möglich, daß ma» einen französischen Eonsul am Wohnorte Menelik « ein- seycn und einen Eonsularagcnten für da- Harrargebict be stellen werde, auch sei der Bau einer Eisenbahn, System Decauvillr, von Dschibuti! nach Harrar und die Herstellung verschiedener Karawanenstraßen in Betracht gezogen Erfreulich klingen diese Beschwichtigungen für di« Italiener indeß nicht, be sonders wenn man erwägt, daß König Menelik den Franzosen dir Salinen am Eap Affal abgetreten bat und daß der einstige Unterhändler de« NeguS >» Rom, Ras Makonnen, dessen Name unter dem gekündigten Vertrage von Utschalli steht, kürzlich von Harrar au« zum Besuch in Obok weilte und von dem französischen Gouverneur Lagarde mit der größten Auszeichnung ausgenommen wurde. Rechnet man hierzu die «»gekündigte Entsendung russischer InslructionSosficierc nach Abessinien, so siebt man. daß die italienischen Besorgnisse voll kommen gerechtfertigt sind. Menelik treibt ein doppeltes Spiel, und es ist gut, daß Italien in dem Ra« von Tigre einen gewissen Rückhalt hat, obwohl auch dieser nicht zu den zuverlässigsten Bundesgenossen gehört. In Ptzante« sind bekanntlich unlängst in Ilichrcrcn Orten, besonders in Madrid und Barcelona, zahlreiche Verhaftungen erfolgt. Zugleich wurden viele Schriftstücke mit Beschlag belegt, durch welche die Regierung auf die Spur einer großen anarchistischen Verschwörung gelangt ist. Im Senate brachte denn auck der Senator FabiS unverzüglich einen Antrag rin, in dem die Abänderung gewisser Artikel de- Strafgesetzbuches in dem Sinne verlangt wurde, daß die Dynamitattentate mit besonderen Strafen belegt werden können. Der Iustizmm.ster erachtete jedoch derartige Abänderungen nicht für dringend, zumal die gegenwärtige Gesetzgebung der Regierung genügende Waffen gewähre. Seitdem habe» Vor kominniffe, die sich in jüngster Zeit in der spanischen Haupt stadt abspielten, dort neuen Schreck verbreitet. So wurde ganz Madrid durck eine gewaltige Detonation in Aufregung verzeyt, ohne daß die Spuren ausgrsunden werden konnte». Da jedoch der Knall in der Nähe des königlichen Schlosses besonder« stark vernommen wurde, herrscht die Annahme vor, daß eine Bombe in den Gartenaiilagen des unweit gelegenen Platzes explodirt sein konnte. An» 20. Juni hat ferner gegen das Hau« deS früheren Eonseilpräsidenten EaiiovaS del Eastillo ein Attentat stattgefnnde», das großes Aussehen erregte. Jetzt ist nun die gerichtliche Untersuchung über die an archistische Verschwörung beinahe beendet. Der Untersuchungs richter tbeilt dieAngeschutdigten in dreiElassen. Zunächstkoi»i»en die Urheber und die Mitschuldigen des gegen das HauS de« früheren Ministerpräsidenten gerichteten Bombenattentate«. Es folgen die Urheber und die Mitschuldigen der Explosionen, die in Tetuan, unweit von Madrid, am Wohnsitze des Anarchisten Ruiz erfolgten. Eine dritte Elasse solle» dann die Anarchisten bilden, die a» Le» Bersamiiilungen in Madrid und Tetuan theilgenomiuen habe», um die Propaganda zu betreiben und in Eorrespondenz mit den Anarchisten in den Provinzen zu treten. Wir haben schon wiederholt daraus hingcwicsen, wie Außlantz mit dem Vatican liebäugelt und sich trotz aller Unterdrückungen, denen die römische Kirche namentlich in Polen, aber auch iu andern Lantcstheilcn gerade so aus- gesetzt ist, wie die evangelische Kucke beispielsweise in den russischen Oslseeprvviiizen, doch den Anschein giebt, als liege dein heiligen Rußland au nichts mehr, als an der Pflege der beste» Beziehungen zuni heiligen Vater in Rom und mit der ganze» rviuischen Klerisei. Daß dies alles nicht« weiter ist als Heuchelei und daß den orthodoxe» Russen nicht« er wünschter wäre, als alle Bewohner Rußlands, die nicht offen zur russisch orthodoxe» Kirche schwöre», mit Feuer und «schwer! au«zurotte», ist so bekannt, daß eS eigentlich nicht nöthig sei» sollte, »och ausdrücklich diese Tbatsache weiteren Leserkreisen wieder und wieder ins Gedälbtniß zu rufe». Und dennoch ist es gut und nützlich, von Zeit zu Zeit daran zu erinnern, wen» auch gerade derjenige, den die Sacke besonders augeht, Papst Leo XIll. dank dem ib»i eigenen Scharssinn einer solchen Erinnerung nickt bedarf, vielmehr von der wahre» Gesinnung der russische» Regierung und deS russichen Volkes gegen die römisch-katholische Kirche ziemlich ebenso genau unterrichtet ist, wie — die Stockrussen selber eS sind. Die russische Presse »nn pflegt bei der strengen Eensur, welche in Rußland herrscht, i», großen und ganzen nichts weiter zu tbu», al« u»S eine» Einblick in die Gesinnung nickt nur de- russischen Volke«, sonder» auch seiner Regierung zu gewähre», nicht immer mit der »vtbigen Zurückhaltung und Klugheit, aber deshalb un« zu um so größerer Freude, da wir Deutschen au« derartigen unvorsichiigen Kundgebungen ersehen, wie de», echte» Russe» alles verhaßt ist, WaS nickt politisch und religiös sich willenlos dem MoSkoniitertbum uulrrordnet. So benutzt die russische Presse auch die (telegen- beit, a»S Anlaß des brutalen Verhallens der ruthenischen Studenten in Wie» gegenüber dem Bischof Sem brat o- witsch ihrer wahren Gesinnung beredten Ausdruck zu gebe». Das Vorgehen der unreife» und wüste» Geselle» als eine Hclventhat berauSzustreichcii, wagt diese für de» PaiislaviSmuS cinlrclcndc Presse freilich nicht, vielmehr muß sie selber zugebeu, daß dies Vorgebe» recht ungeschickt und tactloS war. Dennoch ist der russischen Presse die Thalsachc der erwähnten Demonstration an sich hochwillkommen, denn sie war sehr unzufrieden mit der Bischof« Pilgerung »ach Rom. Seuibralowilsch nennt sie einen charakterschwache» Man», welcher dem Latinismus huldige und die ruthcuische unirtc Kirche dem Papste und de» Jesuiten auSIiefern wolle. ES ist rührend und kölnisch zugleich, welch ein inniges Interesse Rußland an der Union in Galizien »imnil, an derselben Kirchengenicinschasl 'also, welche cs innerbalb der eigenen Grenze» geradezu mit Feuer und Schwert verfolgt bat, deren Anhänger noch zu Tausende» in der sibirischen Verbannung — um ihre« Glaubens willen — schiiiachte». Die aus Anlaß des erwäbutcu Vvrsallcs an die Adresse des Katho- licisuiu«, des Papstes und der Jesuiten gerichteten Lieben« Würdigkeiten der russischen Blätter wirb man jedenfalls im Vatican zu würdigen wissen, wo uia» längst eigent lich den schwankende» Boden erkennt, auf weichem eine Verständigung de- Heilige» Stuhles mit dem orthodoxen Rußland ausgebaut ist; nivgeu Vanutclli und PobcdouoSzew noch so liebenswürdige Schreibe» austauschcn, es sind und bleiben eben Gegensätze, die aus die Dauer sich nickt ver decken lassen, »anicullich weil beide» Kirchen das Gcinein- sauie eigen ist, daß sie weltliche HerrsckastSzwecke ver folgen uno trotz der Soutane und des Popcurockes ihrer Apostel der politische Pferdefuß nur zu häufig zum Vorschein getankt. Ob aus der Elken,,tniß, daß das Siockrussentbuiil die römisch-katbolischc Kirche am liebsten ganz au« Rußland verbannte, endlich einmal di« »ötbige Nutzanwendung vom Vatican gezogen werde» wird, da« ist freilich sebr zweifelhaft, denn die weltliche Politik gebt tei» Vatican nun einmal über Alle«, lind Rußland ist der Verbündete Frankreichs, desselben Frankreichs, welches dein Vaiicau »och dereinst helfen soll, da« zum Dreibund gehörige Königreich Italien zu zertrümmern und den Kirchenstaat wieder berzustellen, »iid in dieser frohe» Erwartung giebt man sich in den Gemächern des Vatican« den Anschein, als wenn man dort manches nicht sähe, was Feuilleton. Ueber Klippen. Roman von tlaroline Deutsch. I. Viachdruck verboten. W. war eine Bahnstation, und man konnte daS Städtchen das Thor in die Karpatkcnwclt nennen; denn von da ging cs über Trcntsin, Cilein, die Turotz, bis in die Arawa hinauß den höchsten Punct deS Lande-, wo sich die Kette der großen Karpathen gleich einer Riesenmauer zwischen Ungar» und Galizien schiebt Der Ort war nicht sebr groß, die Bewohner unterschieden sich aber durch einen größeren Bildungsgrad und einen regeren, geselligeren Geist von jenen der benachbarten Städte, wo die ganze Abwechslung in dem Wandel der Jahreszeiten und — dein Aus- und Abwärisstcigcn deS eigenen Dasein«, wie dies in GcdirgSorlcn meist«»- der Fall ist, zu bestehen pflegt... WaS W. Liesen Vorzug gab, war seine Lage; eS bildete so zu sagen den VerdindungSknoten zwischen den tiefer liegencen Eomitaten und dem Lohen Norden; auch befand sich ein Bade ort in nächster Näbe, der zwar erst seit wenigen Jahren ent deckt, aber durch die anßerortentliche Heilkraft seiner Quellen zur großen Blütbe gelangt war W. war malerisch kalb aus einem waltgekrönten Berge erbaut, dann weiter in eine große, fruchtbare Ebene binein- geschobrn, die bewalrelc Hügelketten umsäumle; diese schienen aber nur die Einleitung in die gewaltige GedirgSwclt zu bitten, die in weiterer Entfernung aniphitbeatralisck ausstieg. Steil, zackig, in Spitzen mit Kämmen auölausciid, taon wieder in grandiosem Pnramidenbau vereinzelt in die Lüfte starrend, die gewaltigen Häupter mit ewigem Schnee bedeckt, ragten diese Berge, scheinbar so dickt an einander geschoben, in den tiefblauen Himmel hinein, al« gäbe eS keinen Ausgang mehr zwischen ihnen hindurch, als sc, dir Welt dort abgeschnitten. Da« Städtchen war sauber gebaut, hatte einen durch schöne Gebäude gezierten Marktplatz und breite, regelmäßige Straßen. Der Bach, der vom Bcrgwalv kommend, den Markt und die Hauptstraße dnrchschnitt, gab ihm ein eigenartig malerische« Gepräge; denn in seine», hastigen Laufe abwärts über Steine und Gerolle bildete er einige kleine Wasserfälle, die gewöhnlich ein leises, murmelnde« Geräusch verursachten, bei Gewitter und Rcgengüffen jedoch tosten und zischte». Prachtvolle Nuß- und Kastanieiibäuine umsäumle» seine Ufer, und drei zierliche Holzbrücken verbanden die zwei getrennten Etadttheile mit einander; unterhalb des Orte« vereinigte sick der Bach mit einem anderen Gefährten und floß, einen weilen Bogen beschreibend und an dein Badeort Schinerlizsek vorbei, als Strom weiter durck die Ebene. So bot W. in doppelter Beziehung eigenartige Reize; in seinen engeren Grenzen ein lieblich inaleriiche« Bild, machte die Landschaft >m Ganzen den Eindruck überwältigender Schönheit und Erhabenheit. Im islwanischen Kaffeehaus« am Markte standen die Fenster weit offen, und die weiche, warme Frübling«luft drang i» breiten Strömen herein, aber nicht nur der volle, golbne Morgcnstrabl, auck der ernste, stierlicht Klang der Sonntag«- alockcn. . . Und Sonnenschein, lachender, goltner Sonnen- lchein allüberall! nicht nur aus Häusern, Dächern, Straßen, auch aus Mcnsckeiiangrsichtrrn. — Geputzte Schaaren zogen zur Kirche zum Voru»ttagSgol>e«Viens»e, lachende Kinder spielte» ans der Straße in ihrem Sonntagsstaat, die Mädchen am Brunnen lackten und warfen sich Scherzworte zu; jedes Anilin, da« sich an den Fenster», in den Thüren, aus der Straße zeigte, trug diesen heitere», sonntagssrohen Ausdruck, und unaufhörlich tönten die Glocken der beiden Kirche», bald lange auS , dann wiederum zuiaiiimenballend i» dicStiinmung der Menschcn hinein, in da« Meer von Licht und Farbe ringsum. — Nur bei den Herren, die im großen Saale de« Kaffeehauses saßen und sich denn Frühschoppen lebhaft unterhielten, schienen diese Klänge eher ärgerliche als geweihte Empfindungen bervorzuruscn; denn Einer von ihnen sland aus und schloß mit einer deftigen Bewegung die Fenster. „Man hört vor dem Gebimmel und Gebammel sein eigenes Wort nicht!" sagte er mit ungeduldigem Au-drucke. ,Q, Bruder Apotheker, welche profane» Worte!" erwiderte eia Anderer, sich seinen dunkeln, stattlichen Vollbart streichend, der «in äußerst kluges Gesicht umrahmte. „Wenn Deine Fra» Dich Hörle! — Bei dieser Gardinenpredigt uiöchl ich nicht zugegen sein!" „Doctor, meine Frau weiß, wie ich denke!" brummte Apo theker Ianowitsck, und der ti<sr Baß seiner Stimme vermehrte »och den finster», bärbeißige» Ausdruck seines hageren Gesichtes. „Ich pflege vor Niemandem mit meinen Gesinnungen hinter dem Berge zu ballen." „DaS wissen wir hier Alle zur Genüge", meinte Holz- Händler Stephany lachend. „Aber geändert hast Du Dich doch, Ianowilsch, Du bist unter die Frommen gegangen! Wann sah man Dich früher in der Kirche? Jetzt fehlst Tu keinen Sonntag darin." „Daran ist meine Frömmigkeit weniger schuld al« — die Predigten unseres Herrn Pastor KiS". bemerkte Ianowilsch. „Und diese sind derart, daß sie ein Jeder, auch ein Atheist, mit Vergnügen hören wird." „Darin stimm ich Dir bei", mischte sich Obercomniissar Strakosck ins Gespräch. „Ich zählte früher auch nickt zu den fleißigen Kirchgängern; seit Pastor Ki« hier ist, habe ich »och keine Predigt versäumt." „Und woher kommt e«, daß dieser Mann so beliebt ist? Daß er so gerne gehört wird?" ergriff Doctor Nikolinq da« Wort. „Ick will Euch da« Geheimniß verratben Weil seine Rede» frei von jeder confessionellcii Färbung sind, frei von jeder Phrase, jeder Schönrednerei. Wie eia frischer, erquickender BeraqueU ströme» ihm die Worte au« dein Herzen und dringen zu Herzen, denn sein unerschöpflicher Born ist die reine, er lösende Menschenliebe" „Es ist rin gar lieber Herr, und sein freundliches Herz liegt ibm in den klaren, blauen Augen", meinte ein Anderer mit Eifer. „Man kann « den Frauen gar nicht verargen, daß sie so begeistert für ibn sind, wir Männer sind es nicht lycniger." „Eines »imint mich Wunder", »ersetzte Eisenhändler Marko, „d«ß er mit Stublrichtrr Persall so besreunret ist, und zwar vom ersten Augenblicke au, baß dieser hierher versetzt wurde. Sie leben wie Brüter mit einander und bilden unter sich doch den größten Gegensatz, de« man sich denken kann." „Unser neuer Herr Stuhlrichter!!" In dem Ausrufe, der von verschiedenen Seilen klang, lag kein besonders zärt licher To». „Wie hat Euch denn der Toast gefalle», den er vorige Woche beim Fcstbanket auSgebrachl bat?" fragte jetzt die Stimme des Sladtbauptmaniicö. Es war dies ein kleiner corpulcnlcr Herr, der fick bi« jetzt nock niit keinem Worte an dem Gespräche betbeiligt halte, sonder» ins Zeitung-lesen verliest gewesen war. Er uabm die Brille ab, putzte sie und sagte mit eine», seltsame» Zwiukcr» seiner kurzsichtigen Augen: „Ein besondere« Lob hat für uns Alle nicht karin gelegen .. ." „Für Euch nicht, Ibr Herren Beamten, für Euch nicht! Laßt uns an- dem Spiel!" rief der Apolhekcr in seiner rück sichtSlose» Weise und mit einem Lacke», da« grimmig genannt werden konnte, so tief klang es. „Diese Schüssel war direct für Euch bestimmt, und ich habe Euck einen — guten Appetit dazu gewünscht . . DaS war einmal ei» reckt gehöriges: Aus die Finger klopfen!" Tic Herren lachten, und Einer sagte: „Es war überhaupt das erste Mal, daß er mit uns in Gesellschaft zusammen war, eine Ebre, die wir ibm hoch anrccknen »lüsscn. Und batte eS der Einweibung des neuen GerichtSgcbäudeü nicht gegolten, so hätte er die Einladung gewiß zurückgewicstn, wie er'S bis jetzt noch stet« getban." „Er benimmt sich, als wäre er a»S fürstlichem Geblüte, «iid ist doch ein solch guter Bürgerlicher wie wir", rief «in Anderer. „Sagt lieber, wie Euck daS Fest gesallc» bat?" fragte ein Herr. „Ick glaube, zu schämen brauchlcn wir uns nicht." „Was schämen! Es war geradezu pompös!" unterbrach ibn der dicke Ziegeleibcsitzer Paulu, der reichste Mann im Orte. Und Last er sich dessen bewußt war, zeigte nicht nur sein rctbes, breite« Gesicht, da- eine» Ausdruck schmunzelnden BebagcnS batte, die »icbr als stattliche Leibesfülle, das ganze duinnislvlze, gespreizte Wesen, das er zur Schau trug, sondern auch die viele» Ringe, die er an de» feisten Fingern batte, und die gewichtige Goldkcltc, die ibm schwer von der Brust bis über den kalben Bauch bcrabbing. ..Pompös war eS, geradezu pompös!" wiederholte er noch einmal mil Begeisterung und, al« verursache ibm das Aussprechen des letzten Worte» ein besondere« Vergnügen.
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