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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.06.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-06-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18930630023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893063002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893063002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1893
- Monat1893-06
- Tag1893-06-30
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Nachdem der „Reich-anzriger" das Grsamml- resultat der Neich-tagSwablen frstgestrllt bat, läßt sich auch die Parlrizusammenfetzung de« neuen ReichStag« einigermaßrn übersehen Fraglich bleibt nur noch, ob einige Liberale sich als Hospitanten den Natwnalliberalen ansckließen oder „Wilde" bleiben, ferner, cb eine Anzahl von Abgeordneten sich den Drutschconservaliven, den Frciconservativen oder den Antisemiten einreihen wird, und ob die Herren Fu«a»gel, Prinz Arenberg und Lender »n Centrum deS Herrn Lieber Aus nahme finden oder für sich allein zu bleiben entschlosien oder gezwungen sind. Auch ob die Antisemiten von Licdermann v. Sonnrnberg bi- Ahlwardt sich zu einer Fraktion zu- sammenschließen oder in Gruppen zerfallen werden, muß man abwarten. Wahrscheinlich ist das Erster« schon de-balb, weil die Bildung einer Fraktion, wozu nach der Geschäfts ordnung (bebusS Aiitragstellung) >5 Mann geboren, gewisse Bortheile gewäbrt, deren kleine Gruppen oder „Wilde" ent behren. Betrachtet man die Stärke der Parteien, so rrgiebt sich zunächst, daß es nicht zwei Fraktionen giebt, die für sich allein schon eine Mehrheit zu bilden fähig sind. Der Reichs tag zerfällt (die Aiilisrniitcn als Fraktion gerechnet) in acht Fraktionen und in fünf Gruppen. Die ersteren sind bekannt, die letzteren sind die freisinnige Ber einigung, die Elsässer, die süddeutsche Bolkspartei und die bayerischen Bauernbündler. Das liberale Element ist im Reichstage schwach vertreten. ES zählen die beiden BolkSparleien, die freisinnige Vereinigung und die Nationalliberalcn mit den dazu gehörigen Wilden un Ganzen höchstens 104 Stimmen. Rechnet man die Freiconservaliven dazu, so sind e- immer erst 128, und selbst wenn man in einem Falle, in dem e- sich um die Abwehr reactionairer Maßregeln handeln würde, die Svcialdemokralen mit in Rechnung ziehen dürfte, würde man nur auf 172 Stimmen kommen. Auch mit den Danen und einigen liberalen Elsässern würde hier aus keine Mehrheit werde», nicht eiumal wenn man die Polen mit riurechnet. Dagegen besitzen die Parteien der Rechten, wenn man ihnen das Cenkrum zugesellt (ohne die Elsässer und Polen), beinahe die Mehrheit. E« zählen nämlich Centrum, Deutsch - Cooservative, Welfen, Antisemiten und Bayerischer Bauernbund zusammen lS7 Abgeordnete. Für manche Forderungen bezüglich der Gewerbeordnung würde sich also unschwer eine Mehrheit finden, da die fehlenden Stimmen schon aus dem Lager der Polen und der Elsässer sich berüberziehen lassen. Aber bekanntlich haben dir verbündeten Regierungen gerade diesen Forderungen gegen über sich ablehnend verhallen. Zn den handelspolitischen und agrarischen Fragen giebt da- Ctntrum de» Ausschlag, dessen Haltung ja völlig im Dunklen schwebt. Von der Mililair- frage abgesehen, eröffnet demnach der neue Reichstag weder für den Liberalismus überhaupt, noch für den ge mäßigten Liberalismus der Mittelparteien, noch für die Coiiservaliven uud die verbündeten Regierungen erfreuliche Au«sichten, Auch eine Cartrlmebrbeit, die Herr Richter wäh rend der Wahlen al» Schreckmittel an dir Wand malte, ist nicht vorhanden. Graf Caprivi wird daher ru einem Eier tänze seine Huflucht nehmen muffen, und auch in dem nickt sehr wahrscheiulichen Falle, daß er dieser unangenehmen Auf gabe mit Geschick sich entledigt, ist nicht abzusehen, wie er fünf Jahre lang mit diesem Reichstage auSkommcn will, ohne auf greifbare Resultats zu verzichten. Je mehr ein Tbeil der Parteien von dem Resultate der Wahlen in seinen Hoffnungen sich enttäuscht sieht, um so eifriger stellen die Blätter dieser Parteien Betrachtungen über die i»efa««tztffer an, welche die verschiedenen Parteien im Reiche bei den Haupttuahlen erhalten haben. Besonder« dir frei sinnigen Blätter und ein Theil der konservativen finden einenTrost darin, daß die Gesammtziffer der auf itttttonnltiberale Candidaten gefallenen Stimmen gegen den 20. Februar 1890 angeblich erheblich zurückgegangcn ist. Wir vermögen di» in der Presse umlaufenden Hahlen nicht zu cvntrvliren, und sind ja außerdem in der angenehmen Lage, bi- zum Erscheinen der entsprechenden amtliche» Veröffentlichung uns unsererseits mit der Tbatsache zu trösten, daß die Hahl der national- liberalen Sitze im Reichstage nicht unbeträchtlich zugrnommen ha». Einige Bemerkungen über den Werth der Grsammt- ziffern sind inteß nicht überflüssig. Es mag nickt unberechtigt sein, sie im Allgemeinen als einen Maßslab für die Ver breitung der verschiedenen politischen Anschauungen und Strömungen im Reiche zu betrachten, aber wie wenig sie von praktischer Bedeutung sind, das hat nächst der Socialdemokratie keine Partei so sehr zu empfinden gehabt, wie die national liberale. Ihrer Gesammtziffer entsprechend, hätte sie im letzten Reick-tage mindestens die doppelte Anzahl von Sitzen haben müssen. Der Einrichtung unseres Wahlsvstcm« gegenüber aber ist diese Erwägung absolut macht- und zwecklos. Trotzdem soll dem Bestreben, im ganzen Reiche eine möglichst große Stimmenzahl aufzutreiben, rin gewisser agitatorischer Werth nicht bestritten werden. Die Social- demokratie hat diesmal in fast allen Wahlkreisen eigene Candidaten ausgestellt und dadurch zweifellos rin ganz bedeutendes Anwachsen ihrer grsammtcn Stimmenzahl er» zielt. Aus dieser Zahl werten nun ihre Agitatoren in den nächsten Jahren herumreiten und natürlich werden sie damit Demjenigen, der die Hohlheit und Bedeutungslosigkeit nicht zu durchschauen vermag, nach Kräften impvniren. Die nationalliberale Partei, al« eine Partei der praktischen Politik, bat dem Kunstgriffe einer mehr oder weniger künstlichen Steigerung der Stimmenzahl durch Aufftellung einer Vielbeil absolut aussichtsloser Hählcandidaturen niemals Geschmack abgewinnen können; bei den diesmaligen Wableo aber hat die Parteileitung von Aufstellung bloßer Zähl- candidaturen, wo dieselbe nickt durch besondere Vrrbältnissr ausnahmsweise geboten erschien, ausdrücklich abgeratbrn, ein fach au« dem Grunde, um die für irgend einen mit einiger Aussicht aus Erfolg austauchenden Freund der Militairvor- lage vorbandcncn Stimmen nicht zu zersplittern Wenn in Folge dessen, wie leicht möglich, die Gesammtziffer der aus natioualliberale Candidaten gefallenen Stimmen am 15. Juni 1898 geringer gewrsen ist, als am 20. Februar 1890, so soll uns das nicht weiter betrüben; im Gegentheil, dir national- liberale Partei darf da« Bewußtsein hegen, dem Vaterlande mit dieser Selbstbeschränkung einen Dienst geleistet zu haben Während früher im österreichischen Kaiserstaat alle Ver suche, der deutschen Sprache auch in der Armee, in der sie bisher! die allein zu Recht bestehende gewesen, möglichst den GarauS zu machen, an dem Widerlpruch der Heeres verwaltung diesseits und jenseits der Leitha gescheitert sind, haben leider — und wir bedauern dies nicht nur um de» dadurch geschädigten DeutschlhumS willen, sondern auch im Interesse de- dem Deutschen Reiche so innig verbündeten benachbarten Kaiserstaates — neuerdings die Magyaren einen schwerwiegenden Erfolg errungen, der die MaguarisirungS- bestrebungen auf Kosten der mililairiscben und aesammtstaat- lichtn Interessen fördert. Ihr unablässige- Streben nach Einbürgerung der magyarischen Sprache imDienst- vcrkebr der Armee hat bei der Krieg-Verwaltung wider Erwarten Gehör gefunden. Da- mitilairische Gebiet war bis zum Amtsantritt de- gegenwärtigen KriegS- ministcrS Freihcrrn v. Bauer ben chauvinistischen Forderungen der Magyaren verschlossen geblieben. Der jetzige Krieg«- minister aber hat den Bemühungen der Magyaren von Anfang an keinen rechten Widerstand entgegengesetzt. Zuerst erwies er fick ihnen in minberwichtigen Sachen gefällig und als mit den Erfolgen begreiflicher Weise die Begehrlichkeit der Ma gyaren wuchs, wich er noch weiter zurück, bis er endlich mit seiner letzten Verfügung auch den Grundsatz der einheitlichen Armeesprache preiSgab. Diese jünFt erlassenen Vorschriften verpflichten sämmtliche CommandoS, Truppen und Anstalten de« gemeinsamen Heere« zur Annahme und Erledigung magyarischer Zuschriften oder Eingaben. Zwischen den Militairbehörden in Ungarn nnd Oesterreich wird insofern ein Unterschied gemacht, als die ersteren magyarische Eingaben zwar in deutscher Sprache erledigen, aber zweimal bei jeder Eingabe die Ueber- setzungSdiknstr beS ungarischen ErgäiizungSbezirk-commaiidoS, au« dessen Bezirk sie stammt, in Anspruch nehmen muffen. Da« ungarische ErgänzungSbezirkScommaiito bat nämlich die Eingabe zunächst in- Deutsche zu übersetze» und die deutsche Erledigung der österreichischen Militairbebcrdc dem Einreicher in magyarischer Uedcrsetzung derzustellrn. Dir ungarischen CommandoS haben übrigen« nicht nur die Erledigungen, sondern auch die Zuschriften an ungarische Behörden und Privatpersonen stet- magyarisch abzusaffen. Da» Magyarische erhält sonach in der Armer den Rang einer zweiten Dienstsprache. Die mehr al- die Hälfte der Bevölkerung Ungarns ausmachenden Nichtmagyarrn werden darüber wenig erfreut sein, denn sie erhalten jetzt von den Militairbehörden magvariscbr Zuschriften, die sie nicht versieben. Wie wenig übrigen- selbst der Krieg-minister von der Zweckmäßigkeit de« zweisprachigen milita,rischen Dienstvcrkedr« überzeugt ist, kann man barau« schließen, daß die neuen Vorschriften nur für den Frieden gelten und daß bei Versetzung auf den Kriegsfuß neue Weisungen brvorstehen. Hoffen wir, baß wenigsten- diese Weisungen zu Gunsten der deutschen Sprache auSsallen! Sollte diese Hoffnung sich nickt erfüllen. so würden wir dicS um so mcbr beklagen, als da- Dcutschthuni sich auch diesseits der Leitba nicht gerade besonderer Begün stigung erfreut und Gras Taaffe trotz aller anderslautenden Berichte, nach denen seine Stellung in den letzten Tagen einigermaßen erschüttert sein sollte, bi- auf Weitere« keine Miene macht, als ob er seinen Platz einem deutschfreund licheren Nachfolger einräumrn wolle. Tie belgische Regierung hat am 28. Juni in der Depntirtenkammer auf dem Gebiete der auswärtigen Politik eine äußerst empfindliche Niederlage erlitten. Be kanntlich wurde Luxemburg 1839 getheilt; ein Tbeil kam zum Grcßherzogtdum Luxemburg, der andere Tbeil blieb bei Belgien; erst am 7. August 1843 wurde zwischen beiden Ländern ein Grenrvertrag abgeschlossen, worin u. A. die Zollsreibeit von Schiefer ausdrücklich sestarftellt wurde. Luxemburg trat 1842 in den deutschen Zollverein; bi« 1879 ging Alle- glatt. In diesem Jahre führte Deutsch land einen Einfubrzoll von 0,50 per lOOO Stück Schiefer rin, welcher Zell >885 erhöbt wurde. In Folge besten erhob da« Großberzogthum Luxemburg von den au« dem belgischen Luxemburg kommenden Schiefer Zoll, während der au« Deutschland nach Belgien kommende Schiefer zollfrei blieb. Die belgische Regierung protestirte in Berlin und Luxemburg auf Grund de» GrcnzvrrtrageS, aber alle Verhandlungen scheiterten an der ablehnenden Haltung der deutschen ReichSregicruna, die jede« Zuqestänbniß verweigerte. Unter diesen Umstanden schloß nunmehr die belgische Regierung mit der luxemburgischen einen Vertrag ab, der die Zollfrei- heit de« Schiefer« sür beide Länder beseitigte. Ter Ver trag kam in der vorgestrigen Kammersitzung zur Erörterung. Die luxemburgischen Vertreter bestritten aus da« Entschiedenste, daß HandelSabmachungen und Einmischung Dritter inter nationale Grenzvertrage ändern könnten; überdies hätten belgische Schirserproducenlea dir luxemburgische Regierung wegen der erhobenen Zölle verklagt und die Entscheidung der luxemburgischen Gerichte stehe bevor — cS komme also nur Verwerfung oder Vertagung de« Vertrage» in Frage; der Minister deS Auswärtigen Gras de Mörode trat aus Grund der thatsächlichen Verhältnisse für die Annahme de« Vertrage« ein, fand aber in dem progressistische» Deputirten Janson einen entschiedenen Gegner, der die Bollgiltigkrit de« Vertrage- von 1843 aufrecht hielt, neue diplomatische Verhandlungen und, fall« man in Berlin nickt nachgebrn wolle, schiedsrichterliche Ent scheidung forderte. Er mahnte eindringlich zur diplo matischen Verständigung mit der neutralen luxemburgischen Negierung, denn „bald werde» sich die Neutralen zu ver ständigen haben, um die Bedingungen der Neutralität sest- »»stellen und die Stampfe mit bewaffneter Hand zu verhüten." Ministerpräsident Beernaerl trat diesen AuSsühruugen ent gegen. Die belgische Diplomatie bade in Berlin keinen Er folg erzielt, da die deutsche Rcichsregicrnng den betreffenden Artikel de« GrenzvertrageS als abgeschafft ansebe und schwer lich sich aus schiedSlichiertichc Entscheidung cinlaffcn werde, llm den unleidlichen tbatsächlichc» Verhältnissen ein Ziel zu etzen, sei die Annahme des Vertrage« nolbivendicz. Diese Ausführungen fanden selbst auf der Reckten Widerspruch, so daß bei der Abstimmung nur die Minister sür den Vertrag timmten und die Vertagung, also die Verwerfung desselben, beschlossen wurde. AuS Frankreich kommen die düstersten Schilderungen der durch die monatclange Dürre bewirkten Nothlagc der ländlichen Bevölkerung. Mil Ausnahme des Weines ind alle Erntchoffiluiigen auf ei» Minimum herabgesunken und der Bauer giebt sich den größten Befürchtungen sür die Zukunft hin. Die Sachlage hat nicht nur ihre wirtbschaft- lich, sondern vielleicht mehr neck politisch heunruhigende Seite. Denn in Frankreich ist das Volk souverain, und wenn sich zu der endemischen Unzufriedenheit d«S städtischen UmsturzprolrtariatS »och die epitoinisct'c Unzusricdenhcil der Landleure gesellt, so kan» da- Ztisammcnwirkcn beider Faktoren die verl>ä»gnißvollstcn Folge» habe». In erster Linie für den Bestand der jetzigen Regierung. Dieselbe ist an der natürlichen Heinisuct'ung, welche die blühendsten Culturstrecken zu einer Wüstenei gemacht, gewiß völlig unschuldig, aber gleichwohl wird >etzt von allen Seiten, verlangt, sie solle helfend, lindernd, vorbeugend und was noch Alle«, eingrrifen. Weil nun hierzu über menschliche Mittel und Krastleistungen gehören, muß sie ualürlich die auf ihr Dazwiscbentrcten gesetzten Hoffnungen unverständiger und geistig kurzsichtiger Leute enttäuschen, und da« wird wiederum dem bestehenden Regiment selbst auf« Kerbholz geschrieben. Wenn nun die Republik ohne hin schon den kommenden Wahlen nickt mil allzuleicbtem Herzen entgegenblickie, so ist ihre Lage jetzt eine säst verzweifelte geworden. Die ländliche Bevölkerung bildet in Frankreich noch mehr al« anderswo da- staalüerkaltende Gegengewicht gegen die unruhigen großstädtischen Artzeitcrsckaarc» Wird ihre Wider standskraft durch einen allgemeinen Notdstand erschüttert, so liegt die Gesabr einer plötzlichen Umstülpung des Verhältnisse« der bisherigen politischen Krästeabmcssung nabe, und damit die Möglichkeit von Uebcrraschunge», an die bis vor Kurzein noch kein Mensch gedacht hat. Au« diesem Grunde interessirt die gegenwärtige Notblagc der sranrösischen Laiidwntbschafl nickt allein den Nationalökononicn, sondern niehr noch den Politiker. Am S. April hat im englischen Unter Hause die zweite Lesung der Homrrule-Vorlage begonnen und jetzt ist man erst bei Clausel 5 angelangt. Würbe mit gleicher Lang samkeit die Einzelberalhung fortgesetzt, wir bisher, so könnte dieselbe unter Umstände» nock, Monate in Anspruch nehmen. Bei dieser HinschleppungSpolitik der Opposition ist eü sehr begreiflich, daß das Cabinet endlich nach Mitteln und Wegen forscht, die eine Beschleunigung der Debatte ermöglichen. Die in Aussicht gestellte Resormgefetzgebung für England, Schott land uud Wale« fordert die« ebenso gebieterisch, wie die nahe liegende Gefahr, daß die ministerielle Mehrheit allmälig er müdet und zum Auseinanderfallen geneigt werden könnte. Ein au-diesen Erwägungen hervorgcgangener VorschlagLabouchöre», die Bcrathunge» der Homerulc Vorlage zu Anfang deS nächsten Monat« zu vertagen und erst in der nächstjährigen Tagung wieder aufrunchmen, fand in ministerielle» Kreisen keinen Anklang; Gladstone bat da« zweite ihm zu Gebote stehende Mittel vorgezogen und sich entschlosien, eine Resolution cin- zubringen, die für die Beendigung der Einzelberalhung einen ganz bestimmten Termin in Aussicht nimmt. Nack dem von Jobn Morley im Unterhaus« mitgetheilten Wortlaute Feuilleton. Heber Klippen. 8j Roman von Caroline Deutsch. «»»druck «»»«teil. (Fortsetzung.) - IV. Da« neue Stuhlrichteramt stand am Markte. E« war eia großer, stattlicher Bau, ganz im modernen Stil ausgeführt; mit der Flucht seiner hoben Bogenfenster, der säulengetragenen Vorderfront unk dem künstlerisch au-gesübrteo Eingang, den zwei mächtige Löwen an- grauem Sandstein schmückten, machte der Bau einen gar imposanten Eindruck. E« bildete rm Eckhaus und war zweistöckig. Die Vorderseite war dem Marktplätze zugewantt, während eine der Nebrnseiten sich in eine breit«, von schattigen Bäumen besetzte Straße zog, die direct au« dem Städtchen nach dem Badeorte Schmrrtizsek führte. Die Privalräume de« Stublricbter« lagen im oberen Stock, und Stefan K>« batte mit seinem AuSsprucke Recht gehabt. — E« war eine große, geräumige und sogar bübfch auSge- stattete Wohnung denn die Stadt, die rbn vertzeiratbet wähnte und ihn von vornherein gewinnen wollte, batte ihr Möglichste« gethau, iba zufrieden z» stellen. Und doch war e« eine reckt einsame, öd« Junggesellenwobnung, da der junge Beamte nur einen Burschen zu seiner Bedienung batte, nnd e» auch nicht in seinem Wesen lag, tHemütblichkrit um sick zu vrrbreilen. Franz Persall war vollständig auf sich selbst gestellt — und nicht nur hier im Orte, wo er eia Fremder war Er hatte keine Freunde, keia« Verwandte»; da« Einzig», wa» ihn mit der Welt und den Menschen verband, waren sein Beruf, die Erinnerungen an seine Eltern und die Freundschaft zu Stefan. Und diese Freundschaft war schon alt — so alt, wie die Träume ihrer Kinderjadrr .... Sie batten sich schon im Waisenbause eng an einander geschlossen, wohin sie >m zarten Alter gekommen waren, schon damals hatte e« unter den Vorgesetzten und Genossen Aussehen erregt, mit welcher Herzinnigkeit sich der sonst so starre Knabe, der ein solch finstere-, abweisende« Benehmen batte, an den arten, sanften und schwächlichen Gefährten anschloß. In den pätrren Studienjahren, die sie ebenfalls zusammen verlebten, konnte e- sich auch so Mancher nicht erklären, wa« di« beiden so entgegengesetzten, scheinbar innerlich ganz sreniden Menschen so innig und fest zusammenhielt .... Keiner ahnte, welche Nothwendigkeit gerade der milde, gütige Sinn Stesan'S für da- verschlossene, so schwer zugängliche und doch so licbebe- dürstigr Herz Franz Persall « war, wie oft der Eine Händel ausglich und Streitigkeiten beseitigte, die di« starre Unerbitt lichkeil de« Andern Kervorrirf.' Dann trennte» sich auf einige Jahre ihre Wege. Stefan wählte den geistlichen Stand, Franz die richterliche Laufbahn, und während dann der erster« al« Hils«psarrer angestellt war, betrat Persall al« untergeordneter Schreiber die erste Sprosse seine« Berufe». Er kam zwar rasch vorwärts, wenn e« auch nur zuerst von den unteren in die höheren Gericht«- kanzlrien war, di- ihn ein glücklicher Zufall al« Schreiber in eine der Ablheilungen de« Justizministerium« brachte. Dort wurde man bald aus seine Bedeutung aufmerksam, und al« der Stublrichterpostea in W. plötzlich frei wardr, übersah der Jnstizministrr au« persönlicher Zuneigung sür ihn dir vor hergehenden Grade und Uberwie« ihm die Stelle. Und sür Franz bedeutete die- ein doppeltes Glück. Eine derartige Stellung war ja das eigentliche Feld für seine Krast und seine Fädigkeiten, sür sein heiße«, fast leidenschaftliche« Gesiihl sür die Heiligkeit und Unverletzlichkeit der Gesetze; dann wcbnle auch sein liebster, sein einziger Freund dort, der ri> kalbe« Jabr vorder in W al« Pfarrer angestellt worden war. Da« Arbeitszimmer de« Siuhlrichlrr« lag — wie über- kaupt die Amtslocalitäten — im Parterre de« Hause«; r« stieß an den großen GerichtSsaal, wo die Unterbramten ar beiteten, unk war der Nebengasse zugewendet, deren grüne« Baumlaud freundlich hrreingrüßie Und dir Fenster standen meist offen: denn Perfall konnte in einem geschloffenen Raume nicht arbeiten. Auch beule waren die Fenster geöffnet, und die volle Bor- mittagSsonne drang Herrin und umspann mit golbnen Netzen den ernsten, schmucklosen Raum, da« einfache Ledersopba in der Ecke und den noch einfacheren runden Stuhl vor dem Schreibtisch; sie wagte sich sogar aus all die Acten und Schriften, dir Len Tisch bedeckten, sie in ein wahre« Lichtmeer hüllend, al« wollt« sie all die kalten, todten Buchstaben, die oft so viel Fehl, Schuld und Jrrlhnm enthielten, zu warmem Leben er wecken . . . nur über die ernsten Züge de« jungen Manne« vermochte sie nickt«, der vor dem Tische saß und dem eine finstere Falte zwischen den Brauen stand. Er war in« Lesen von Briefen vertieft. Sie mußten älteren Datum« sein; denn da« Papier war vergilbt und die Schriftzüge schon verblaßt Al« er den letzten zu Ende gelesen batte, lehnte er sich einen Augenblick zurück, während ein noch finstererer Ausdruck in sein Gesicht trat. „Ein wahre« Sckelmenstück!" murmelte er. „So reckt, wa« man einen raffinirlcn Gaunerstreich nennt! Ich babe mir diesen Herrn von Schmertiz« hierher bestellt; er soll über rascht werden von Dem, wa« ihn hier erwartet —" Er nahm den einen Brief und überflog ihn nochmal« „Ich bin mir dessen wohl bewußt, wa« ick lhun will", fuhr er daun fort. „Ja ein Wespennest stecken ist nickt« da gegen! . . . Mir ist aber wie einem Soldaten zu Muthe, den eS in die Schlacht drängt und der die KrirgStrommel hört..." seine Augen blitzten. „Sie sollen mich kennen lernen, o, sie sollen mich kenne» lernen! Wir mir Stefan erzählte, ist ja auch diese« neue GerichtSgebäude der Großmuth diese« Herrn zu verdanken. Wenn r« wahr ift, gleicht er ganz dem Manne in jenem Märchen, der sich in seinem «ignra Walde da- Holz zu seinem Galgen gefällt hat . . . „Seine Gnaden, der Herr Ritter vou SckmertizSI" meldete in diesem Augenblick der dieostthuende Heiduck. „Soll eintretenl" »ersetzte der Stublrichtrr, ohne sich nm- zuwenden. Ein Herr trat geräuschvoll ein, dann schloß sich die Tbüre hinter ihm Herr von Schmertiz« war rin bock- gewachsener, schlanker Mann mit einem glatten, blühenden Gesickle und fast weiblichen Zügen. Einen lebhaften, fast unruhigen Au-truck hatten nur seine Augen und seine Be wegungen. sonst war Alle« glatt, elegant und von der pein lichsten Sauberkeit an ibm, von dem glatlrasirten Gesicht, den gescheitelten Haaren, den weißen, woblgepslegten Händen bi- zu dem eleganten Uebcrzichcr, von der Cravattr mit den blitzenden Diamanten bi- zu den glänzende» Lackstiefeln. Wie er jetzt dastand, de» leichten Strolutt in der Hand, machte er ganz den Eindruck eine« jugendlichen Lebemannes. Frisch und munter klang seine Stimme, als er rief: „Guten Morgen, Herr Stuhlrickter! Die Vorladung bat mich überrascht! Ich bin, offen gestanden, gewohnt, daß sich di« Herren zu mir bemühen, wenn sie etwa« haben . . . Und ans den Besuch de- Herrn StublrichlerS warte ich schon seit Monaten, und wie e< scheint — vergeblich . . Jetzt wandte sib Persall um und wie- auf einen Stuhl ibm gegenüber. Die Hand aber, die ibm Herr von Schmertiz- zum Gruße enlgegcnstteckte, schic» er nicht zu bemerken. Eine dunkle Rölhr schoß plötzlich in taS Gesicht de« Guts besitzer- Da« war stark, »nt so clwa« war ibm noch nie passirt. Was backte sich dieser junge Mann ? Er stand einen Augenblick wie verplüsst über das Unerhörte, dann wandelte sich sein Gefickt: der muntere, joviale Ausdruck schwand und machte eineni bockmütbizen Platz „WaS wünschen Sie von niir, Herr Stuhlrickter Persall?" fragte er. und seine Stimme klang ganz verändert; sie klang kurz und schroff „Bedarf es meiner Heugenschast in irgend einer Sacke, oder planen Sie etwa« tür dir Stadt, wobei Sie meine» Ratb und meine Hilfe brauchen? Sie sollen sich in mir, al« gefälligem Mann, nickt getäuscht habe», obwohl ich vielleicht ebenso ans Ihren Besuch in mcineni Hause hätte Anspruch macken känne» " Persall sab ihn rubig an „Sie irren in der einen, wie in der anderen Voraussetzung", erwiderte er mit kaltem Tone. „Ich bedarf Ihrer al« Zen^e nickt, auch beabsichtige ich keine Verbesserungen für die Stadt, wenigstens in Ihrem Sinne nickt — meine Ausgabe liegt hier ans einem andern Gebiete, und dabei können Sir mir am wenigsten belsen . . . Franz Persall machte liier eine kleine Pause, lehnte sich zurück und sab seinen Besuch mit dem ibm eigenen durch dringenden Blick an. „Bevor ich birrber kam, Herr von Schmertiz«, hörte ich von Ihnen al« einem reichen, angesehenen und sebr wobltbätigen Manne sprechen Sie sollen unendlich viel sür die Stadt gelhan habe», und wa« Ihren Besitz betrifft, so repräsentire«
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