Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.07.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-07-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18930704026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893070402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893070402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1893
- Monat1893-07
- Tag1893-07-04
- Monat1893-07
- Jahr1893
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Vrz«-D>P«r» W> DU» ^LLpU^yrvMlM 00« VC» VN VkTvM MW« »^ bVWklo Ekk^chlrtrn UllR» oebestrlle» «stgeholt: vtrrlrljLhrlich^ 4^0. »t itottmaltarr täglich« Zust»llo»g tu« HanUbLO. Durch dt« Post bezogen für Deutlchlaud o»d Oesterreich: vierteljädrlich » 6.—. Direct» täglich« Dreuzbandlenduog tu« Ausland: mooaUich 7.Ü0. Dir Mo di. NeLarttou »uL Er-Mi-a: AstzoweAgaG« 8 Diel ,'»i1 Filialr»: vtt» Ale»»'« Tartt«. (Nlfrr» HttHuX Ulliversität-strabe 1« La«iS L-fche. Ketharinrustr. 1«. patt, »ud KSuiaSplatz 7. Abend. Ausgabe. tip.rigtr.Tageblatt Anzeiger. Organ für Politik, Localgeschichte, Handels - and Geschäftsverkehr. A«zeige»»PreiS die 6 gespaltene Petitzeile LS Pfg. Veclameu »oter dem Rrdactivulstrich (4«« spalten) SO-ck, vor den gamilieunachttchk» (6 gespalten) 40-4. Srößere Schnsten laut unsere» Preis- verzeichoiß. Tabellarischer und Zistmlsatz »ach höherem Tarif. ^ Extra «Vellage« (gesalzt), »ur «tt d« Morgen-Ausaabe, ohne Postbeförderuug >l 60.—, mrt Postbeförderuug 70.—^ ^nnahmeschlnß für Anzeige»: Nbeud-Au-gabe: Bormittagt 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Siachmittag» 4 Uhr. Sonn- und Festtags früh '/^ Uhc. v«i deu Filialen und AunahmesteAeu je et» halbe Stund« früh«. Anzeige» sind stet« au di» Oxtzstzttta» zu richte». Druck und Verlag von L. Polz ta Leipzig 337. Dienstag den 4. Juli 1893. 87. Jahrgang. Die Eröffnung des neuen Reichstags. * Der Kaiser hat heute den neuen Reichstag mit folgender Thronrede eröffnet: Geehrte Herren! Nachdem Sie zu gemeinsamer Arbeit mit den verbündeten Regierungen berufen worden sind, ist eS Mir Bedürsniß, Sie beim Eintritt in Ihre Be rathungen zu begrüßen und willkommen zu heißen. — Der dem vorigen Reichstag vorgelegte Entwurf eines Ge setzes über die Friedenspräsenzstärke des deutschen Heere-, durch welchen eine stärkere Ausnutzung unserer Wehrkraft ermöglicht werden sollte, hat zu Meinem Bedauern die Zustimmung der Volksvertretung nicht gefunden. Die von Meinen hohen Verbündeten einmüthig getheilte Ueberzeugung, daß das Reich gegen über der Entwickelung der militairischeu Einrichtungen anderer Mächte auf eine seine Sicherheit und seine Zukunft verbürgende Fortbildung unseres Heerwesens nicht länger ver zichten dürfe, mußte zu dem Entschlüsse führen, den Reichs tag aufzulösen und durch die Anordnung von Neuwahlen das für nothwendig erkannte Ziel zu verfolgen. Seit der Vorlage jenes Gesetz-Entwurfs hat die politische Lage Europa-keine Aenderung ersah ren,dieBezichungen des Reichs zu den auswärtigen Staaten sind zu Meiner großen Befriedigung nach wie vor durchaus freund lich und frei von jeder Trübung. Das Verhält- niß der organisirten militairischeu Kraft Deutschlands zu derjenigen unserer Nachbarn hat sich indessen noch ungünstiger gestaltet, al« im verflossenen Jahre. Wenn schon seine geo graphische Lage und seine geschichtliche Entwickelung Deutschland die Pflicht aufcrlegt, auf den Bestand eines verhältnißmäßig großen HeereS Bedacht zu nehmen, so wird die weitere Ausbildung unserer Wehrkraft mit Rücksicht auf die Fortschritte des Auslandes zu einer zwingenden Nothwend igkeit. Um den Mir ver fassungsmäßig obliegenden Pflichten genügen zu können, erachte Ich cs für unumgänglich, daß mit allen zu Gebote stehenden Mitteln aus die Her stellung einer ausreichenden und wirksamen Vertheidigung der deutschen Erde hingewirkt wird. Es wird Ihnen deshalb unverzüglich ein neuer Gesetzentwurf über die FriedenS- präseuzstärke de« HeereS vorgelegl werden. Darin sind die bei der Berathung des fdRhettst Entwurfs laut gewordenen Wünsche, soweit dies angänglich erschien, berücksichtigt und demgemäß die Anforderungen an die persönliche Leistungsfähigkeit und an die Steuer kraft des Volkes, soweit dies ohne Gefährdung des Zwecks geschehen konnte, herabgemindert. — Das Interesse dcS Reichs erheischt eS, zumal im Hinblick auf den im nächsten Frühjahr bevorstehenden Ablauf de» SeptennatS, daß der Gesetz-Entwurf mit möglichster Beschleunigung verabschiedet wird, damit die diesjährige Recruten- Einstellung schon auf der neuen Grundlage vorgenommen werden kann. Eine Versäumoiß des Termin» dieser Ein- stellung würde sich auf mehr als zwei Jahrzehnte zum Nachtheil unserer Wehrkraft fühlbar machen. Um eS Ihnen zu ermöglichen, Ihre Arbeitskraft ungethrilt der Berathung der Vorlage zuzuwenden, werden die ver bündeten Regierungen davon absehen, die Session mit anderen umfassenden Vorlagen zu beschweren. Wenngleich bei Mir und bei Meinen hohen Verbündeten die Ueberzeugung fortbesteht, daß die durch die Neu gestaltung unserer Hecreseinrichtungen bedingten Mittel zweckmäßig und ohne Ueberlastung auf dem Wege beschafft werden können, welcher in den im verflossenen Herbst vorgclcgtcn Steuergesetz-Entwürfen in Vorschlag gebracht war, so bildet doch die DeckungSfrage den Gegenstand fortgesetzter Erwägungen. Ich gebe Mich der Erwartung hin, daß Ihnen beim Beginn der näcksten Winter-Session Vorlagen zugehen werden, in welchen der Grundsatz, daß die Bereitstellung jener Mittel nach Maßgabe der Leistungsfähigkeit und unter thunlichster Schonung der Steuerkrast erfolgen muß, noch vollständiger als in jenen Vorlagen zum Ausdruck gelangt. Bis zuui Ablauf dcS gegenwärtigen EtatSjahrcS werden für die Deckung de» Mehrbedarf- die Matricularbeiträge heranzuziehen sein. Geehrte Herren! Unter schweren Opfern ist eS gelungen, die deutschen Stämme durch ein festes Band zu einigen. Die Nation ehrt Diejenigen, welche für dieses Werk Gut und Blut eingesetzt und das Vaterland einem politischen und wirth- schastlichen Aufschwünge zugefübrt haben, welcher, wie er den Zeitgenossen zum Stolz unv zur Freude gereicht, den nachkommenden Geschlechtern, wenn sie im Geiste der Väter weiter bauen, des Reiche» Größe und Glück ver bürgt. Die glorreichen Errungenschaften zu wahren, mit denen Gott uns in dem Kampfe um unsere Unab hängigkeit gesegnet hat, ist unsere heiligste Pflicht. Solcher Pflicht gegen das Vaterland werden wir aber nur dann genügen, wenn wir uns stark und wehrhaft genug machen, um ein zuverlässiger Bürge des europäischen Friedens bleiben zu können. Ich ver traue, daß Mir und Meinen hohen Verbündeten Ihre patrio tische und opferbereite Unterstützung bei der Verfolgung dieses Zieles nicht fehlen wird. ES weht durch diese Thronrede ein Hauch de» Ver trauens zu dem neuen Reichstage, daß er den Fehler seines Vorgängers schleunigst gut machen und die neue HeereS- vorlage annehmen werde, deren Abänderungen den Be weis liefern, daß die verbündeten Regierungen einem inneren Conflicte möglichst auSzuwcichen entschlossen sind. Trotz dieses Hauches von Vertrauen ist aber die Sprache der Thronrede eine sehr ernste, weit ernster, als man nach dem Ausfälle der Wahlen und den angestellten Berechnungen über die Zahl der Freunde einer Verständigung hätte erwarten sollen. Dieser Ernst spricht besonders aus dem Satze, in dem der Kaiser die ihm verfassungs mäßig obliegenden Pflichten und den festen Willen betont, „mit allen zu Gebote stehenden Mitteln" auf die Herstellung einer ausreichenden und wirksamen Vertheidigung ver deutschen Erde hinzuwirken. ES ist möglich, ja sogar wahrscheinlich, daß der Telegraph, der uns den Wortlaut der Thronrede übermittelt, in diesem Satze ein bedeutsames Wort, das Wort „gesetzlich" („mit allen zu Gebote stehenden gesetzlichen Mitteln") aus gelassen bat. Aber auch wenn dieses Wort gesprochen worden ist, behält der Satz seinen ernsten Ebarakter und kündigt dem neue» Reichstage das Schicksal seines Vorgänger- im Falle einer abermaligen Ablehnung der Militairvorlagc an. Ja, auS dem Hinweise auf die schweren Folgen, welche aus einer weiteren Verschleppung der Reform entstehen müßten, wird man darauf schließen dürfen, daß der Kaiser eine nochmalige Recrutcn-Einstellung auf der alten Grundlage nicht für ver einbar mit den ihm verfassungsmäßig obliegenden Pflichten erachtet. Erklärlich wird dieser strenge Ernst durch den Hin weis darauf, daß seit der Fertigstellung der Vorlage da» Verbältniß der organisirten militairischcn Kraft Deutschlands zu derjenigen unserer Nachbarn sich noch ungünstiger als vorher gestaltet bat. Es beziebt sich dieser Hinweis aus die neueren organisatorischen Maßregeln unserer westlichen Nachbarn, auf die auch wir schon wiederholt hingewiesen haben. Sie fügen den Motiven der Vorlage ein neues und schwerwiegendes Glied ein, daS hoffentlich auch auf einen Theil jener Abgeordneten einwirkt, die sich die Entscheidung noch Vorbehalten haben. Diesen ernsten Hinweisen gegenüber verschwindet der übrige Inhalt der Thronrede fast ganz. Hcrvorzuheben ist nur der diplomatiscke Rückzug, den sie in Bezug auf die im verflossenen Herbste cingcbrachten Steuer gesetz-Entwürfe antritt. Diese Entwürfe werden zwar als zweckmäßig und jede Ueberlastung ver- vermeidend bezeichnet, dabei aber wird eingestanden, daß sie besser hätten sein können und bis zum nächsten Winter so verbessert werdensollen, daß sie die Mittclfür die.Heercsreforin nach Maßgabe der Leistungsfähigkeit und unter thunlichster Schonung der Steuerkrast ausbringen. Hiernach wird von den altenVorlaaen so gut wie nichts übrig bleiben. Diese Erwartung wird dem Reichstage die Zustimmung zu der Militairvorlagc nicht unwesentlich erleichtern. Hoffen wir, daß eS eine verhältniß mäßig starke Mchrheilist, diezu dieserZustimmung sichentschlicßt. Je ernster die Thronrede die Nothwcndigkeil einer schleunigen Herbeiführung der Reform betont, einen um so tieferen Eindruck wird eS auf daS Ausland macken, wenn der Reichstag seine Zustimmung zu der Reform mit erheblicher Mehrheit aus spricht. Politische Tagesschau. * Leipzig, 4. Juli. An dem aufgelösten Reichstage ist während der Wahlbewegung kein gutes Haar gelassen worden und er hat es in der Thal redlich verdient, daß auf ihn daS Wort „äv mortui» nil uisi bene" nicht in Anwendung kam. Immerhin ist eS gerade jetzt am Platze, daraus hinzuwcisc», daß eines der von ihm beschlossene» Gesetze bei rechter An wendung geeignet ist, der »othleidrnden Landwirsthschaft ersprießliche Dienste zu leisten. Wir meinen das Gesetz, betreffend die Abänderung der Bestimmungen gegen den Wucher, das unter Umständen solchen Landwirthen, die aus Futtermangel ihr Vieh ganz oder theilweise veräußern müssen, wenigstens davor schützen kann, daß die wucherliche Aus beutung ihre Nothlage zur Verschaffung übermäßiger Por theile sich zu Nutzen mache. Besonders ist eS, wie die „Köln. Ztz." hcrvorhcbt, der neue 8 302e, der den Gerichten die nur irgendwie wünschenSwcrtben Mittel in die Hand giebt, um jedem derartigen tadelnSwerthen Unternehmen mit gebühren dem Nackdruck zu begegnen. Wenn Händler die augen blickliche Lage dcS Klein- und Großbauern dazu mißbrauchen wollen, ihm sein Vieh für lächerliche Schleuderpreise abzu- kausen, so fällt dies unter die rbengrnanntc Gesetzesbestim mung, und wir dürfen wohl erwarten, daß die StaatS- anwaltschasten den jetzt vorkommcnden Vichvrrkäufen die uöthigc Aufmerksamkeit schenken werden. DaS Gesetz tritt l t Tage nach seiner Verkündigung in Kraft : was bislang gesckchen oder binnen dieser Frisi noch geschieht, kann daher nicht nack Maßgabe seiner Bestimmungen beurtheilt werde», jeder Verkauf nach Ablauf derselben unterliegt aber der richterlichen Würdigung unter dem GcsichtSpuncte der neuen Vorschriften. AuS den Berichten über den Nothstand scheint hervorzugchen, daß Händler sich bereit« der Sachlage be mächtigt und die Bauern zum Verkaufe von Vieh zu den geringste» Preisen zu bewegen verstanden haben; um so mehr ist es geboten, den betreffenden Geschäften die Auf merksamkeit zuzuwenden. Sache der landwirthschast- lichcn Vereine dürfte eS sein, die ländliche Bevölkerung über die Rechte zu belehren, die ihr das neue Gesetz giebt, denn daS schärfste Gesetz gegen den Mucker nutzt gar nicht», so lange von den Opfern wucherischer Ausbeutung nicht An zeige erstattet wird; die Erstattung dieser setzt daher mit Nothwcudizkcit voraus, daß man da« Gesetz und die Befug nisse kennt, die cs der schwächeren Bevölkerung einräumt. DaS preußische Abgeordnetenhaus hat gestern dem Gemcindeabgabengesctz, wie es in etwa- veränderter Gestalt aus dem Hcrrenhause herübergekommen, seine Zu stimmung ertheilt, und damit ist da» große Werk der preu ßische» Steuerreform zum vollen parlamentarischen Abschluss« gekommen. Seit dem Herbst vorigen Jahre» waren die beiden Häuser dcS preußiscken Landtags ununterbrochen mit dieser mühevollen und schwierigen, die wichtigsten Interessen de» öffent lichen wie de» privaten Lebens berührenden Angelegenheit beschäf tigt: mancherlei Schwierigkeiten, Gegensätze und Reibungen mußten überwunden werden. Aber schließlich brach sich da» große Werk siegreich Bahn, weil eS eine Nothwendigkeit für da» Staats und Gemeindeleben in Preußen war, wpil die ge sunden Grundgedanken, auS denen eS entsprungeu ist, vielfache Bedenken im Einzelnen und manchen energischen Wider spruch überwanden und weil ein thatkrästiger, zielbetoutzlcr und genialer Mann seine volle Geisteskraft und sein hohes parlamentarische- Geschick an dieses sein hauptsäch lichste« LebenSwcrk gesetzt hatte. Wir werden auf die Grund gedanken dieses Gesetzgebung-Werke- rurückkommen und können uns daher für jetzt auf den Hinweis beschränke», daß die Reform auf durchaus gesunden und volkSthümlichen, im besten Sinn de« Wortes demokratischen Grundlagen beruht, indem eS von dem Streben auSgeht, die schwächeren Schultern zu entlasten, die tragfähigeren stärker anzuspannen. Die Wohlthaten dieser Reform wird man darum gerade in den ärmeren Schichten des preußischen Volkes empfinden. Mancherlei Schwierigkeiten, vielleicht auck Härten des UebcrgangS werden bald überwunden sein, und die gesundere Gestaltung dcS staatlichen Finanz wesens, die jedem bürgerlichen Erwerb zu Gute kommt und auch manche neue Aufwendungen für öffentliche Zwecke gestatten wird, muß bald manchen Widerspruch verstummen lassen und die wohlhabenden Schichten mit ihrer stärkeren Belastung versöhnen. Die jetzt im Wesentlichen vollendet« Steuerreform kann sich den größten Gesetzgebung-Werken der preußiscken Geschichte würdig zur Seite stellen. In einer Zeit, wo sonst so wenig gelingen will, verdient dieser große Erfolg die höchste Anerkennung. Möchte ein genialer Kopf Deber Klippen. 6f Roman von Caroline Deutsch. Ne-drus »ertöten. (Fortsetzung.) „DaS wäre Sache de« Vormunde» gewesen", meinte der junge Mann. „Wie aber dieser Herr Buran in allem ge wissenlos gehandelt hat, so ist er auch hierin leichtfertig vor gegangen. Wenn Sie noch für keinen Nackfolger gesorgt baden, Frau Gräfin, so soll eS mir ein Vergnügen sein, auch in dieser Angelegenheit seine Stelle einzunehmen. Meine erste Aufgabe soll sein, um Aufnahme in die Eadcttenschule nachzusuchen: an dem Erfolg zweifle ick keinen Augenblick. Bi» dahin wird mein Freund. Pastor KiS, sehr gern den Unterricht der Knaben überwachen." Gräfin Satwar dankte mit überschwenglichen Worten, und Stuhlrichter Persall erhob sich, um zu gehen. Sein Besuch batte sich weit über Gebühr ausgedehnt, auch war vor Mittagsschluß noch etwa» im Amte zu erledigen. Die Gräfin bedauerte eS sehr, daß ihre älteste Tochter noch nickt zu Hause wäre, aber sie hatte eS kaum auSgesprocken, als ein Sckatten durchs Fenster siel, eine Hobe schlanke Mädchenaestalt vvrüberging und eine Minute später ins Zimmer trat. Durck die halbofsene Thür erblickte man den dunklen Krauskopf TereSkaS, die mit großen neugierigen Augen hereinblickte. Die Gräfin winkte auch dieser, hereinzukommen, und stellte daun ihre Töchter vor. Der junge Mann hatte sich vielleicht ein andere» Bild von Lory Satwar gemacht. Ein Gefickt, da« eigentlich nicht schön genannt werden konnte, aber unendlich anziehend durch die Feinheit und Anmuth der Züge war; die großen, grauen, sprechenden Augen ließen auf den Grund der Seele sehen. Eine Fülle hellbraunen Haare» legte sich wellenförmig um die breite, Weiße Stirn und war am Hinterkopf in schweren Flechten aufgesteckt. Die schlanke, biegsame Gestalt umschloß ei» einfacke-, dunste» Wollkleid; ein schmaler, weißer Kragen legte sich kleidsam um den Hals. Mit ruhiger, stiller Vor nehmheit hieß sic den Gast willkommen, und nichts in ihrem Wesen zeigte von irgend welcher Befangenheit. „Comtesse Satwar". begann Persall da- Gespräch, „ent schuldigen Sie mein Eindringen in diese Wohnung! Ich hatte aber der Frau Gräfin wichtige Mittheilungen zu machen, die sie die Güte haben wird, Ihnen mitzutheilen. Ich erbitte mir zweierlei al» Gunst: daß auch Sie mir erlauben, meine Besuche zu wiederholen, und zwar als Freund Ihre- Hause», und daß Sie zu dem Anträge Ihre Zustimmung geben, den ich der Frau Gräfin unterbreitet habe, und der die fernere Ausbildung Ihrer Brüder betrifft." Dann verneigte er sich noch einmal ehrerbietig vor ihr, reichte der Gräfin die Hand und warf TereSka im Vorübergehen einen freundlichen Blick zu, der sie hoch erglühen machte. VI. Die Grafen von Satwar waren ein uralte», eiust mächtige- Geschlecht, die große Besitzungen im ganzen Eomitate hatten. Der Stammsitz war das Grasenschloß in W. Es hatte gute und böse Herren gegeben, Herren, die in roher Willkür ihre GutSbauern drückten, in einer wilden Weinlaune oft die Mühen eine» ganzen Sommers aus den Feldern zertraten, für die eS kein Gesetz und keine Schranke gab, andere wieder, die in schöner Menschlichkeit viel Gutes thaten unv wirklicke Wohlthäter der Gegend wurden; solche, die sich in starre Un nahbarkeit hüllten, andere wieder, die sich unter LaS Volk mischten, an seinen Festen theilnahmcn, mit ihm spielten, tranken und ganz kameradschaftlich verkehrten. Der letzteren Richtung neigte sich Graf Johann Adolar zu. den man den tollen Grasen nannte. Er war schon als Knabe wild und unbändig und unverwüstlich in tausend Narrenstreichen. Und dock war er nicht unbeliebt und Keiner gönnte ihm etwas Böse»; denn er war ein schöner, lustiger und freigebiger Herr. „Er ist wie ein junge» Füllen", hieß eS im Orte; „er wird sich auStoben, dann ruhig werden!" Und der schöne Vergleich endete gewöhnlich mit der logischen Schlußfolgerung, daß auS feurnzen Füllen die besten zuverlässigsten Pferde würden. Aber, wie so Viele» im Leben, traf auch diese« nicht ein. Gras Johann Adolar Satwar schien eine unverwüstliche Fülle gährenden Moste» zu besitzen, den er Zeit seine« Leben« nicht lo» wurde. Alle Satwar- waren Soldaten, die sich, wenn sie eS zu einem bestimmten militairischcn Rang gebracht hatten, mit einem ehrenvollen Abschied auf ihre Guter zurückzogen Beim Grafen Iobann kam eS nicht so weit; er wurde, ein Beispiel ohne Gleichen, wegen ewiger Händel und zu hohen Spiel« einfach auS der Armee gewiesen. Einige Jahre versuckte er e» in fremden Diensten, dann kehrte er wieder auf seinen Stammsitz zurück, um sich auf Wunsch der Mutter zu ver mählen. Der Vater war schon langc todt und er der einzige Erbe. In der ersten Zeit machte er wenigstens Anläufe zum Bessern, aber von seiner Frau nicht unterstützt, selber von Leidenschaften beherrscht und fremden Einflüssen zugänglich, befand er sick nur zu bald auf dem abschüssigen Pfade wieder. Er lebte nur die kürzeste Zeit dcS Jahre» auf seinen Gütern, den übrigen Tbeil hielt er sich in Pari» und London oder in den besuchtesten Bädern aus. Da auch seine Frau die Tugend der Sparsamkeit nicht kannte, so dauerte es nicht lange, daß ihr rcickcr Besitz in andere Hände überging. Das Letzte, was blieb, war der Stammsitz der Familie, daS Grafenschloß bei W. Dies anzugreifcn, scheute sich der Graf doch eine Zeit lang. Da kam »UN wieder einmal eine Nacht, die Tausende im Spiele verschlang, und auch Schloß Satwar ging in fremden Besitz über. In seiner Bedrängniß griff der Graf nunmehr zum falschen Spiele; eS war die- der letzte Ring an der unheilvollen Kette eines derart ver lorenen Menschenlebens, dessen Schlußstein — der Selbstmord ist. Und so jagte sich Graf Johann Adolar Satwar eine- Tages eine Kugel durch den Kopf, als sein falsche- Spiel er kannt und er in Gefahr kam, gefänglich eingezogen zu werden. Fünfzehn Jahre war Lory Satwar alt, als sich jene schreck lichen Ereignisse abspiclten, aber wie ein mutbiger Capitain, der ein steuerloseS, halbzerstörtes Schiff noch zu retten und in sickern Hasen zu bringen sucht, so nahm sie mit einem Muth und einer Hingabe, die weit ihren Jahren voraus war, das Schicksal der Ihrigen in die Hand. DaS Verhängniß hatte sich in Paris abgespielt, und die Familie wäre zu Grunde gegangen, wenn sich nicht Lory an den ungarischen Eonsul gewendet hätte, der der auzenolick- lichen Noth abbals und für die Reise in die Hcimath sorgte. Und so waren sie nach W. gekommen, wo sie froh waren, die Meierei beziehe» zu können, die ihnen Herr von Sckmertizs großmüthig überwiesen hatte. Lory war bis zu ihrem fünf zehnten Jahre in einem der besten schweizerischen Institute erzogen worden, wo sie wegen ihrer geistigen wie seelischen Anlagen und Vorzüge die Aufmerksamkeit Aller erregt und sich auch — zum Liebling Aller gemacht batte. Als ihr Schicksal eine derartige Wendung nahm, beschloß sie, ibre Kenntnisse zum Unterhalte der Ihrigen zu verwerthen. Entfernte Verwandte batten zwar eine kleine Pension auS- gesetzt; sie schützte aber kaum vor Hunger. Gras Satwar hatte ihnen, so lange er lebte, nur Kummer gemacht, sein Tod hatte einen Makel auf die ganze Familie geworfen; sie thaten nur so viel, um die Familienehre zu wahren, damit eine Satwar nicht zum Betteln gezwungen werde. Wie die Gräfin mit der kleinen Pension auskam, da« war ihre Sache. Jedes Mal aber, wenn diese Geldsendungen astkamen, die so viel Erinnerungen an die Vergangenheit, Ermahnungen für die Zukunst und Andeutungen über die schwere Last enthielten, stieg Lory das Blut in die Wangen, und sie wünschte sich älter und kräftiger, um für ganz die Ihren sorgen zu können. TereSka war bei de« Vaters Tode fünf Jahre att, die Zwillinge erst einige Monate später geboren und die Mutter so schwach und haltlos wie ein schwankende» Rohr im Winde. Von Lory hing Alles ab, an Lory klammerte sich Alle-, Lory war der Halt, die Stütze Aller. Aber die Herrschsucht, die so nahe bei der Allmacht liegt, im Großen, wie im Kleinen — blieb der unendlich liebreichen Natur de» Mädchen» fern. daS nur einen Zweck, ein Ziel im Leben kannte, für da» Wohl und Behagen dieser vier Menschen zu sorgen. Und wieder war SchmertizS der Erste, der ihr seine Tochter, die einige Jahre jünger war, zum Unterricht anvertraute und der jugendlichen Lehrerin ein säst fürstliche- Honorar gab. Hatte man zuerst über die gräfliche Lehrerin gespottet, so beeilte sick jetzt Jeder, ihr seine Kinder anzuvertrauen und ibrcn Unterricht als eine Ehre anzuseben; bald aber verwandelten sich die früheren Gefühle in Achtung und Bewunderung, als man sab, wie unentwegt, mit welcher Ruhe und Sicherheit da» junge Mädchen vorging. Lory's Absicht war zwar zuerst die gewesen, nach Pest mit den Ihrigen zu geben. Es bedrückte sic, daß Jeder im Orte die Vergangenheit ihre» Vaters kannte, Jeder davon sprechen durfte .... In der fremden, großen Stadt war sie unbekannt, da trat sie in den großen Kreis der Arbeitende» und verschwand darin, wie der Tropfen im Meere. Doch die Mutter hatte nicktS davon wissen wollen. Sie war nur schwach und nachgiebig, wo eS die Interessen der Andern betraf; kamen ihre eigenen in Betracht, war sie starr und eigensinnig wie ein Kind. „Ich kann nicht, Lory. ich kann nicht!" war ihre Antwort gewesen. „Ich will nicht leben, wo mich jeder Beliebige als Seinesgleichen behandelt! Hier kennt man mich; wenn ich durch die Straßen gehe, beißt eS: Da geht die Gräfin Satwar! Man ziebt vor mir den Hut, die Bauern küssen mir die Hand, und diese Erinnerung niuß ich haben, wenn ich leben soll." Ja, sie mußte täglich, stündlich daran erinnert werde»,
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite