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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.07.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-07-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18930708021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893070802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893070802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1893
- Monat1893-07
- Tag1893-07-08
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vez»g».Pr1» G> N» od« den im Stadt, «d d«u Vororte» errichteten Au«, «llen abg « holt: vierteljährlich 4.S0. iveimaligrr täglicher Zustellung in« ' -«l ückO. Durch die Post bezogen für hlaud und Oesterreich: vierleljäbrlich -^l 6.—. Directe tägliche Arruzbandienduug tu« Autland: monatlich 7.öO. DieMorgeu-Autgabe erfcheint täglich '/,?Uhr, die Abend-Lu-gabe Wochentag« b Uhr. NeLartton und Lrpedition: J«h«n»eS,affe 8. DteErpeditio» ist Wochentag« ununterbroche» ««öffnet voa früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Filialen: ktt» Me»«'« Gortt«. («lfrr« dahu), UntversitätSstraße 1, Laut« Lösche, RaHarineustr. 1«, pari, und -önigSplatz 7. Abend.Ansgabe. cipWer TllgMM Anzeiger. Organ für Politik, Localgeschichte, Handels- nnd Geschäftsverkehr. M»zeige».Prei- die «gespaltene Petitzeile 20 Wg. Neckamen unter dem Redactiontstrich («ge spalten) SO/H, vor den Familien nachrichte, (6gespalten) «0^. Gröbere Schriften laut unserem Preis» verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra»Vellage» (gefalzt), nur mit der Morgen.Sulgab«, ohne Postbeförderua- ^l KV.—, mit Postbesörderung ^l 70.—« Äunahmeschluß für Auzeise«: Abend-Ausgabe: Vormittag« 10 Uhr. Morgen.Ausgabe: Nachmittag« «Uhr. Sonn, und Festtag- früh '/»S Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je «in» halb« Stunde früher. Anzeige» sind stet« an di» Evtedttla» zu richten. Druck und Verlag von L. Polz t» Leipzig Tonnabend den 8. Juli 1893. 87. Jahrgang. Unsere Expedition ist morgen Sonntag, den 9. Juli, Vormittags nnr bis Vs9 Uhr gcvssuet. Lxpeilltlou «los l.elir/.i^r ^a«sc;lt1n1te8. Die erste Sitzung des neuen Reichstages. tzß. Berlin, 7. Juli. Ter Reichstag bol beute bereits lange vor Beginn der Sitzung das interessante Bild, daS so oft nach „großen" Sitzungstagen geschildert worden ist: Zahl reiches, sich drängendes Publicum vor den Pforten und auf dem Bürgersteig, die Beamten bcmiibt, den Durchgang frei zu halten, fast »och größeres Drängen im Borflur, wo Hunderte „ihren" Abgeordneten abzufangcn versuchen, wo die ReichStagSmitglicder von allerlei Vettern und Freunden be grüßt werden, deren Dasein ihnen vordem gänzlich verborgen geblieben war. Und dann daS rege Treiben im „Foyer", in den Wandclgängen! Hier gehen Mitglieder des Reichstags und LeS BundeSrothS aus und ab, bilden Gruppen, unterhalten sich untereinander und mit Vertretern der Presse — und dazwischen nock einige Gäste, die trotz aller Wachsamkeit und strengster Ccnirole der Tbürstcber dnrchgeschlüpst sind , um noch aus irgend eine Weise eine Karte zur Tribüne zu erhaschen. Aber — laßt lieber alle Hoffnungen draußen, den» alles Bitten und Betteln, alles Drängen und Beschwöre» kan» nichis nützen, da längst alle Plätze der Tribünen besetzt, alle Karten vergeben sind. Auch im ^itzungSsaale zeigen die Bänke nur wenig Lücken, der Bundesrath ist, mit zahlreichen Eo.nmissaren, durch die meisten Mitglieder vertrete», der Reichskanzler, der Kriegsminister, Herr von Boetticher sind bereits vor Eröffnung der Sitzung zur Stelle, auch der sächsische Ge sandte Graf Hohen tbal, der wobl kaum eine Sitzung ver säumt, tauscht mit dem Grafen Caprivi und seinem Stellvertreter- Gruß und Händedruck. Unter der „üblichen" Unaufmerk samkeit beS Hauses wird eine Reibe geschäftlicher Mit- theilnngen erledigt, werden Urlaubsgesuche bewilligt, werden ohne Widerspruch Anträge auf Einstellung des Straf verfahrens gegen verschiedene Mitglieder — fast immer sind es Socialdcmokraten — genehmigt. Endlich tritt das HauS in die Tagesordnung ein und der Präsident verkündet: „Der Herr Reichskanzler hat das Wort". Sofort verstummen alle privaten Unterhaltungen, daS Gemurmel und Gesänscl ist beendet, lautlose Stille herrscht im Saale. Graf Caprivi ist bekanntlich ein gewandter und sympathischer Redner, dabei von klangvollem Organ ; er spricht ohne den leisesten Anklang eines DialectS unk wird in dem großen Raume, trotz der schlechten Akustik, überall gut verstanden. Auck beute ent ledigte er sich seiner Aufgabe mit vielem Geschick. „Kürze ist des Witzes Würze." -Knapp und mititairisch bestimmt sagte er. was zu sagen war, nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig. Im Ganzen weiß er ja auch, so gut wie alle Anderen, daß selbst durch die beste Rede nur in den aller- seltensten Fällen ein einziger Abgeordneter anderer Meinung wird; das Bolnm, das tpäter abgegeben wird, bat ein Ietcr sich fast immer vorder gebildet, mindestens ist ihm in der Fraclionssitzung die richtige „Ueberzeugung" beigebrachl worden. Graf Caprivi bemerkte einleitend, daß nach der überaus gründlichen Erörterung, welche die Militairvorlage seit brei viertel Jabren im Parlament und in der Presse erfahre», sich nichts Neues mehr sagen lasse. Er stellte fest, daß die verbündeten Regierungen sich betreffs der FrickenSpräse»; und der Geldsorderung zn einer erbebliche» Herabminternug, etwa ein Sechstel, berbeigelaffe» haben, und gab schließlick, die Grundsätze bekannt, nach denen die Dccknngssragc — im nächsten Winter — gelöst werden soll. Er schloß mit der dringenden Mahnung, dem Lande endlich durch den Abschluß der Äilitairfrage die so »otbwendige und ersehnte Ruhe zu bringen. Ans der rechten Seite folgte lebhafter Bcisall, die Socialbemokratcn und die Demokraten um Richter und aus Süddentschland verhielten sich schicklicher, als sie cS sonst über fick gewonnen. Sie zischten nicht, nnd überhaupt ent hielt sich beute Herr Richter aller Zwischenrufe. Man bars also die Hoffnung doch nicht ganz anfgcbcn, daß er, je kleiner sein Gefolge, um so mebr den Forderungen der guten Sille zugänglich werde. Bon den Gegnern sprachen beule die Abgg. Payer und Liebknecht, die sich in den ausgetretenen Geleisen ihrer Parlcischlagworte bewegten, um sich schließlich mit ihrer „Festigkeit" und Unbelehrbarkcit zu brüsten. Beide boten der Mehrheit Gelegenheit, sich außerhalb des Saales zu erholen. Die Herren v. Manteuffel nnd v. Stumm verdienen Anerkennung wegen der Kürze ihrer Ausführungen. ES gilt als sicher. Laß morgen die erste Beratbung zum Ab schluß kommt, wcSbalb die «itznng schon um l l Ubr beginnt, und wenn nicht Rücksicht auf die bayerischen LanttagSwahlcn zn nehmen wäre, würde in nächster Woche auch die Session ein Ende nehmen könne». Nun freilich wird die zweite Lesung erst am 13. und die drille am l7. beginnen können. Ein Antrag auf commissarische Behandlung des Gesetzes wird von keiner Seite gestellt werden und das Bündel von An trägen, daS vom Ccntrum gestellt ist, kommt in keinem Fall auf die Tagesordnung. Morgen wird auch Herr v. Bennigsen sprechen nnd seinen in voriger Session gestellten Antrag in der schließlich von Prinz Carola th befürworteten Fassung für die zweite Lesung ankündigen. Es gilt für wahrscheinlich, daß jetzt auch der Reichskanzler seine Bedenken fallen läßt und daß die Militairvorlage schließlich in dieier Form verabschiedet wird. 8S. Berlin, 7. Juli. Vor fast voll besetztem Hause, das in dieser Frequenz die neuen Züge in seiner Physiognomie nicht verkennen ließ, hat die Beratbung der Militairvorlage begonnen. Gras Eaprivi, der die Erörterung einleitetc, faßte sich kürzer, als in seinen Hauptrcdcn im aufgelösten Reichstage, ohne darum weniger wirksam zu sein. Er begann und schloß glücklich mit dem Hinweise auf daS Ausland, daS eine abermalige Ablehnung, ja nur eine Verzögerung als einen V<r;icht Deutschlands auf seine Machtstellung, als Schwäche auslegen werde. Daß in diesem Glauben eine ge wisse Ermunterung für gewisse Nachbarn liegen würde, diese Folgerung zu ziehen, mußte der Leiter der auswärtigen Politik den Hörern überlassen. Er durfte dies auch, denn die frivole Antwort des württcmbergischcn Demokraten und Mit- unterzeicbnerS des Richler'sche» Wahlmanifestcs, Pave r, werden sich selbst Gegner der Militairvorlage, die auf Repu tation halten, nicht aneignen. Paner meinte, Deutschlands Ansehen und Sicherheit würden durch die Ablehnung gewahrt werden, denn es zeige durch sie, daß es einen „inneren Willen" habe. Der innere Wille kann sich also nach der Ansicht dieses Logikers und Patrioten nnr durch negative Ent schlüsse betätigen. Schade, daß die französischen Republikaner nicht die gleiche Auffassung baben, wie ihre deutschen Gesinnungs genossen. Herr Payer bat als Rechtsanwalt zahlreiche criminali- stische Erfahrungen gesammelt. Ob cs ihm jemals vorgekommen ist, daß ein zum Einbrechen geneigtes Individuum von seinem Vorhaben abstand, weil der auS- ersehene Besitzer seinen „Willen" durch daS Nickt- anlege» von Schlössern bekundet batte? Diese süd deutsche volksparteiliche Weisheit steht auf der Höhe der nord deutschen des Herrn Virchow, welcher fordert, man solle mit der HecrcSvcrslärkung warten, bis ein Krieg ausbricht. Der Reichskanzler rückte diese staatsmännische Anschauung unter die angemessene Beleuchtung, nachdem er vorher überzeugend dar- gethan, daß Gefahr im Verzüge sei. lieber die Art der Einführung der z w e i j ä h rigen Dienstzeit in daS Militairgcsetz äußerte sich Graf Caprivi mit einer gewisse» Vorsicht, indem er ein räumte, daß die Frage nur „theorcthischen Werth" habe. Die bedeutungsvollste Erklärung dcS Leiters der Reichs- rcgierung war diejenige über die DcckungSfrage. Er bemerkte, daß zur Ausarbeitung neuer Vorlage» keine Zeit gewesen, er corrigirte aber gleichzeitig die vielfach aus der ^.bronredc geschöpfte Ansicht, daß die Regierung noch an der Erböbung der Branntwein- und Börsensteuer lestkaltc. Die darauf bezüglichen Vorlagen „cxistiren nickt mehr". Und daß sie nickt wieder anslcben, darf man wohl mit Sicherheit auS der An kündigung schließen, daß das landwirthschastliche Gewerbe von neuen Steuern frei bleiben werde. Denn sowobl die Bicr- wie die Branntweinsteuer berühren die Landwirthschaft. Daß das dritte li anders (durch eine Emissionssteuer?) und aus giebiger herangezogen werden solle, wurde mit Beifall ver nommen, der, wie erklärlich, ans der linken Seite eine übrigens schwache Opposition bervorricf. Herr Payer, der nach dem Kanzler Las Wort ergriff, gab seinem und seiner engeren und entfernteren Genossen Miß behagen über diese Anlündignngen und die Mitlheitung, daß Or. Miquel an der Ausarbeitung der Stcuergesetz- enlwürfc nicht unbetheiligt ist, dadurch Ausdruck, daß er die Nicktbclastung der Laudwirtbschafl als einen Ausfluß der Inicrcsseiipolitik kennzeichnete, die nack seiner Vermuthung dem neuen Reichstag den Stempel ausdrücken würde! Dann aber ist der von der gesammten Demokratie mit großem Nachdruck unterstützte Kamps gegen die Höherbesteuerung des Tabaks auch ein Ausfluß der Intcressenpolitik gewesen und die Opposition gegen die Börscnsteuer nicht »»»der. Sebr ersrcutich war cs, auS dem Munke dieses Redners zu hören, daß die n a l i o n a l l i b e r a l e Partei sich in und durch die letzte» Wahlen „verschlechtert" habe. Seit zwanzig und mehr Jahren ist der Natioualliberalismus von der Volkspartei und ihren Assiliirten als der Gipfel der Schlechtigkeit, als die Incarnation des bösen PrineipS hingestellt worden. Nun räumt der Führer dieser Partei ein, daß die Nationallibcralcn doch »och etwas an Güte zuzusctzen hätten und am Ende noch haben. ES ist dies für uns eine erhebende Anerkennung und nur rnm Dank sür sie ist hier der Rede des Herrn Payer ein Raum ge widmet, der in starkem Mißverhättniß zu der Bedeutung ibreS sonstigen Inhalts steht. Herr Liebknecht, der nach der Befür wortung der Militairvorlage durch Frhrn. v. Manteuffel das Wort ergriff, sagte sich und seiner Partei die plumpe Schmeichelei, die HecrcSvcrslärkung werde nickt wegen eines möglichen Krieges, sondern aus Furcht vor der Socialdemo- kratie anzestrcbt. Dieser eifernde Oberbonze des „Gottes des SocialiSmuS" überschätzt sich. Von politischer Bedeutung in den heutigen Abgeordnclcnreden war nur die Erklärung des Frbrn. v. Manteuffel, daß er keineswegs gewillt sei, der Regierung ein unbedingtes Vertrauen ohne Weiteres zuzu gestehen. Nachdem als letzter Redner Herr v. Stumm ge- sproaien, sind heute vier Parteien zu Worte gekommen und die Möglichkeit, daß am Sonnabend die erste Lesung werde zn Ende geführt werden, ist dadurch näher gerückt. Politische Tagesscha». * Leipzig. 8. Juli. DaS Lteucrprogramm, das der Reichskanzler Graf Caprivi in seiner gestrigen ReichStagSrede kurz entwickelte, baut sich im Wesentlichen auf denselben Grundsätzen auf, wie die nunmekr sür Preußen zur Durchführung gelangte Steuerreform. Ebenso wie in Preußen sollen nach dem Wilkn der verbündeten Regierungen auch im Reiche die wirtbschaftlich schwächeren Existenzen geschont, die stärkeren nach Maßgabe ihrer Leistungsfähigkeit zu den erhöhten Lasten herangczögr» werbe». Diese Erklärung des leitenden Staatsmannes wird, wie sic aus der Mitte des Hauses mit lebhaftem Beifall begrüßt wurde, nickt ermangeln, auch in den weitesten Kreisen der Nation einen wobltbuenden Eindruck hervorzubringen. Wen» die neue Militairvorlage trotz ihrer vortheilhaften Ab weichungen von der ursprünglichen Bortage bei einem Tbeit rer ReichStagsabgeorvneten einer nur zögernden und bedingten Zustimmung begegnete, so trug daran gerade die Ungewißheit über die Kostendeckung die Schuld. Die Wähler sollten zuvor betreffs des Punctes der Kostendeckung beruhigt sein. Nachdem die Worte des Reichskanzlers nun mehr hierüber die gewünschte Klarheit verbreitet habe», ent fällt das vornehmste Hinderniß, daS einzelne Gruppen in der freien Bethäliguna ihres patriotische» Dranges, für die Vcrlheidignng des Vaterlandes daS Nöthigc zu bewilligen, »och im Wege stand. Der Reichskanzler hat in ent gegenkommendster Weise dem Reichstage die Babn geebnet, aus der er seine Pflichten gegenüber der Gcsammtheit erfüllen kann, obne daß die einzelnen Mitglieder ihrem den Wählern gegebenen Versprechen, iyrc Einwilligung nur nach vorgängiger Klarstellung der steuerpolitiscken Gesichtspuncte zu ertheilen, un treu zu werden brauchten. Au dem Reichstage liegt eS nun mehr, aus die entgegenkommende Haltung der verbündeten Regierungen durch gleiches Entgegenkommen zu antworten. Das zu erwarte», bat besonders die ungeheuere Mehrzahl der im nationalen Erwerbsleben thätige» und von dessen gedeihlichem Aufschwünge abhängigen Reichstags-Wähler ein Recht. Die Interessen der deutschen Industrie sowohl als der deutschen Landwirtbschast weisen mit aller Entschiedenheit daraus bin, daß die parlamentarische Verabschiedung der Militairvorlage nunmehr ungesäumt erfolge. Der Uebermuth der -ungrzecheu, die immer mehr in« radical-socialiftische Fahrwasser gcratken sind, hat nun selbst eine» der bisher treuesten Andänger und Vorkämpfer de« Czechenlhums, den Grafen Harrach, der durch seinen Einfluß eS erreicht hat, daß einem großen Tbeil des Riesen- gebirgeS der czcchischc Ebaralter gewahrt geblieben ist, stuhig gemacht und ihn veranlaßt, in einem Schreiben an seine Wähler und einem zweite» Brief an die Deutschen an- zuzcige», daß er, wiewohl schweren HcrzcnS und nach langem schwanke», sich doch entschlossen habe, sein Abgeordneten- mandat für den Landtag niederzulezen. Zu dieser Mandat«- Niederlegung bemerken die „Narodni Llsty": „Wir hegen nicht den geringsten Zweifel an den, warmen Patrio tismus dcö Grasen Harrach, aber sein Schreiben ist der beredteste Beweis dafür, daß eS bereits die höchste Zeit war, sein Mandat »iederzulegen. Die in diesem Schreiben ausgesproche nen Grundsätze sieben nickt nur im größten Widerspruche mit dem Stankpuiicte seiner Wähler, sondern mit dem Stand- puncte des gesammten czechischen Volkes. Wir wundern uns nur darüber, daß der Herr Graf zu der Ueberzeugung, welcher er in seinem Schreiben unverhohlen Ausdruck verleiht, so spät gelaugt ist. lieber seine Bemerkung, betreffend die Einig keit im czechischen Bolle, wollen wir zur Tagesordnung übergehen, da es doch bekannt ist, welcher Schaden gerade Feuilleton« Ueber Klippen. 10) Roman von Caroline Deutsch. Nachdruck Verbote». (Fortsetzung.) Bon seinem Thema abweichend, sprach er plötzlich von der stillen Tugend im einfachen Gewände, die wie die Natur im Verborgenen wirkt und schafft und das Geschaffene Andern zum Genuß und zur Freude überläßt, von dem Opsermuth eines hingebcnkcn Herzens, das nur sür Andere wirkt. Anderen lebt, nur im Geben und Beglücken seine» einzigen Lebenszweck findet und so still durch das Lebe» schreitet wie die leuchtenden Gestirne über der Erde, die Licht und Wärme, Thau und Regen geben. Segen und Gedeiben jedweder Creatur und obne Anspruch auf Dank, auf Vergeltung ... er svrack plötzlich von Lory Salwar. Und wie Musik binrcißt und berauscht oder ein großer, lichter Gedanke, so bob ibn sein Gegenstand, und es war ein Leuckten in seinen Augen, wie cs noch Niemand darin gesehen. Als er geendet, herrschte tieseS Schweigen, nnd Jeder sagte sich: so wie beute habe Pastor Kis »och niemals gesprochen. Lory batte einmal wäkrend der Predigt aufgeblickt und Stesan'S strahlenden Blick ausgesangcn; das gab ihr, wen» auck kein unangenehmes, doch ein schmerzliches Gefühl, bas sie sich selber nicht hätte erklären können. Dan» hatte sie aus diesen leuchtenden Blicken herausgefiiklt, daß er in einer gewissen Art von ihr spreche, und das verursachte ihr eine peinvollc Empfindung. Sic saß wie am Kohlen, das Gefickt war wie niit Glutb übergossen, denn da sie ihn verstand, meinte sie, eö seien Aller Blicke aus sic gerichtet. Als der Gottesdienst zn Ente war unk sich die Kirche zu leeren begann, war sie mit den Knaben unter den Ersten draußen, und hastig, ohne sich umzusehen, schlug sie den Heim weg ein. Das Erscheine» Wilma Szentiwanv'S in der Kirche batte sie nickt überrascht^ sic wußte von deren Ankunft: begrüßt hatte sie sie »och nickt, und auch jetzt wich sie absichtlich cmem Zusammentreffen auö. Als sie nach Hause kam. war daö Mittagessen sertig, und Teretka führte sie in die Küche und zeigte ihr mit Stotz ibr Werk. Die Paprika und die gebratenen Hühnchen feie» ge- rathen wie nock nie und die Kirsckenstrndel ein wahres Kunst werk. Der Teig sei auch wie der durchsichtigste Schleier ge worden, dabei nicht daS kleinste Rißchen, nicht einmal ei» Sprung. „Hast Tu Dich auch nicht zu sehr angestrengt, Liebling?" fragte die ältere Schwester, ihr zärtlich daS erhitzte Geflcht streichelnd. TereSka verneinte mit strahlenden Augen. Es wäre ibr eine solche Freude gewesen, und die Marka hätte ihr ja auch dabei geholfen. Hätte Lory geahnt, daß die Kleine mit einer Art Andacht die Speisen bereitete, die Pastor KiS essen sollte, so hätte sic nicht gefragt, und cs hätte ibr sicherlich zu denken qcgeben. Lory deckte den Tisch im Garten unter den Baumen, nnd als sie damit fertig war, erschienen auch schon die Herren. Am Tiscke präsidirl: Gräfin Agnes, und in ihrem unver wüstlichen Seidenklcide, den weißen Kasckemirsbawl um die Schultern, den nie fehlenden Fächer auf dem Sckooße, machte sie immer den Eindruck, als sei sie zu dem Empfange irgend einer bedeutenden Persönlichkeit bereit. Das Essen schmeckte vorzüglich, und TereSka erntete viel Lob, das ihr Gesichtchen hoch erglühen machte. Aber sie tbeilte dies Lob redlich mit der Alten in der Küche, der sie immer Alles mittbcilte, waS gesprochen wurde, als gekörten ihr die Ehren des Tages nicht allein. Lory benahm sich beute seltsam gegen Stefan; sie wich seinen Blicken aus, in denen eine solch stille Gchobenheit und zugleich strahlende Heiterkeit lag; sic konnte zuerst den rechten Ton ihm gegenüber nicht finden. Perfall entschuldigte sich, daß er beute die Predigt ver säumt. er batte einen Spazierritt gemacht nnd sich weit über Gebnbr verspätet. Wenn er einmal im Gebirge sei, falle ihm die Rückkehr schwer. „Aber etwas hast Du beute doch versäumt, daS Wunder von W. zu sehen", bemerkte Pastor Kis, „die schöne, die viel gepriesene Frau von Szcntiwany! Nu», geräuschvoll genug ist die Dame ausgetreten, das muß man sagen." „Ah, die Baronin war in der Kirche!" rief die Gräfin lebhaft. „Seil wann ist sie denn so fromm geworden? Es ist Lies dock, sonst ihre Art nicht. Sie hat sich gewiß in ihrem vollen, glänzenden Staat zeigen wollen, um die Leute zu überraschen. Nun, wie gefallt sie Ihnen denn, Herr Pastor? Finden Sie sie auch so schön?" „Ihre Schönheit kann Keiner bestreiten, aber — gefallen hat sie mir doch nicht", meinte Stefan lachend. „DaS versteh' ich nicht", sprach Gräfin Agnes verwundert. „Was schön ist, gefällt doch!" „Nicht immer. ES ist etwas in der Schönheit dieser Frau, daS mir — gerade nicht gefällt. Definircn kann ich's nicht." „Schön und immer schön!" meinte auch jetzt Pcrfall mit spöttischer Gleichgiltigkeit. „Ist das ibr ganzer Vorzug?" „Nack dem CultuS, der, seit ich mich erinnern kann, mit der Schönheit Frau von Szentiwany's getrieben wurde, glaubte ich, es sei ein hoher, wenn nickt der böbste, den eine Frau besitzen kann", sagte Lory mit einer leisen, seinen Ironie in der Stimme. „Es ist aber auch ei» Gesicht von so wunder barer Sckönbeit, daß es Einem immer neu erscheint, daß man nickt müde wird, bineinzublickcn", fügte sie dann in neid loser Anerkennung hinzu. „Nach Ihrer Schilderung, Comtessc Lory, könnte Einen die Lust anwandcl», die Dame von Angesicht zu Angesicht zu sehen", versetzte der Stuhlricktcr mit einem leisen Anflug von Scherz. „Und wie ist sonst ihr Wesen?" ,,^ie ist eine lebhafte, geistreiche Frau", meinte daS Mädchen. Man fühlte deutlich, daß cS ihr widerstrebte, eine nähere Auseinandersetzung der Vorzüge der betreffenden Dame zu geben. Die Gräfin aber rief wie unwillig: „Ich begreife Dich nicht! Geistreich, lebhaft! Tie Herren werde» cS auck schon gekört haben, was das für eine Person ist. Die berz- loseste Kokette, die jemals gelebt, die mebr Romane schon durckgemacht und hinter sich liege» hat, als Mancher gelesen." Lory war frob, daß TereSka mit einem Auftrag ins Haus gegangen war und die Knaben anderSwo ihre Aufmerksamkeit bingewandt batten; denn die Mutter fuhr, obne auf ihre bittende» Blicke zu achten, unbeirrt in der Schilderung der Baronin fort. Sie sei hockmütbig, launeobaft, rücksichtslos und babe Lory manche bitteren Stunde» bereitet ; ihre Schön- beit sei geradezu gefährlich, und solche Frauen müßten hinter Schloß und Riegel gekalten werden, damit sie nicht so viel Unheil anrichte» sollten. Mit sechzehn Jahren hätte sie schon den Tod eines Menschen aus dem Gewissen gehabt, eines armen Schreibers, der sich ihretwegen ein Leid angetban. Tann wären cS wieder zwei Ossiciere gewesen, die sich aus Liebe zu ihr duellirt hätten und von bene» der eine aus dem Platze geblieben sei. Der Sohn eines achtbaren Advocaten im Nachbarstädtchen sei ebenfalls ihretwegen in den Tod ge gangen. Selbst den Tod ihres Mannes, des Freiherr» von Ezentiwany, mit dem sic nur kurz verbcirathct gewesen, führe man aus keine natürliche Ursache zurück. Nun wurde eS aber Lory zu viel. „Tu bist zu hart, und Du ziehst nur Mutbmaßungen, Erzähltes wieder", sagte sie; man sah cS ihr an, wie peinlich ibr das Ganze war. „Frauen von solcher Schönheit stellen vielleicht andere Anforderungen an das Leben, als Unsereiner. Und dann — es ist bei ihr so Manches zu entschuldigen, milder zu beurthcilen. Sie ist von ihrem Vater in jeder Weise und nicht nur von ihm, sondern von der ganzen Welt seit ihrer frühesten Jugend bewundert und verhätschelt worden, und, was nicht zu vergessen ist — obne Mutier groß geworden, da sie diese in frühen Jahren schon verloren bat." Bei diese» Worten sahen sich die jungen Männer, wie von einem Gedanke» berührt, in die Augen. War Lory Satwar daS ErziebungSwerk ihrer Mutter?.... Nein, die Gräfin hatte den kleinsten Anthcil an dem feinen Gold in der Seele ihres Kindes und auck der Vater konnte nicht diese großen, reinen Spuren hinterlassen baben! „Für alle diese Fälle, die Sic aufgezäblt haben, mache ick die Frau am wenigsten verantwortlich", nicinte Perfall. „Was kann sie dafür, daß eS soviel Narren und Feiglinge gicbt, die so leicht Kops und Herz verlieren ?" Der Ausdruck in seinem GesickK zeigte nicht, daß eS ein Scherz war. „Ta gehen Sie ja »och weiter als ick und sprechen Den völlig frei, der die Gabe», die ihm die Natur verlieben bat, auf diese Weise verwendet", sagte die Cvmtesse. „O, Sie kennen Freund Persall nock nickt von dieser Seite!" sprach Pastor Kis halb ernst, halb scherzend. „Er ist erstens ei» kleiner Drako und möchte sür daS kleinste Ver geben daS köckste Strafmaß setzen, dann stellt er die Menschen obne jede Beziehung zu einander und bürdet jedem Einzelnen allein die ganze Last seiner Irrlbünicr ans." „Uebcrtreib nicht nach Predigerart!" meinte der junge Beamte, und der Ton seiner Stimme zeigte, daß er aus den Sckerz nickt einging. „Ich stelle kleine und große Vergehen nicht i» dieselbe Rubrik, ich sehe nur keines al« geringfügig an. in Betracht der Folgen, die aus dem kleinsten Dinge ent stehen können." „Da muß ick Ihnen recht geben, Herr Stuhlrichter", ver setzte das Mädchen nach einigem Nachsinnen. „Wie manche zerstörende FeuerSbrnnst würde verhindert worden sein, wenn man den ersten Funken beachtet hätte! Und so wird eS wohl bei vielen Dingen sein! . . ." Sie war. während sie daS sagte, rzanz blaß geworden, auch zitterte die Stimme leise. Dachte sie bei diesen Worten an die Auseinanderfolgt von Irrthum, Fcbl und Schuld, die sich in ihrem eigene» Haus« abgespielt hatte?
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