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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.07.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-07-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18930717021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893071702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893071702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1893
- Monat1893-07
- Tag1893-07-17
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Man bemängelt keineswegs die geringe Majorität, sondern sagt sich, baß kiese, die uuter den ungünstigsten Verhältnissen auS den Wahlurnen hervorgezangcn ist, ganz gewaltig anschwellen würbe, wenn die „getreuen Nachbarn" zenseitS der Vogesen mit ihren Plänen offen hervorlreten und die verbündeten deutschen Negierungen nölbigen sollten, von der Volksvertretung die Mittel zur kriegerischen Verwendung der neuen Organisation zu fordern. Mit aufrichtiger Freude hat man dagegen in Wien die Abstimmung vom 15. Juli begrüßt und dem schließt man sich auch i» Nom und in London an, wo man besorgt war, daß ein etwaiger Conflict zwischen den verbündeten deutschen Negierungen und dem Parlament dem Ansehen dcS Reiche» Schaben bringen könnte. Jetzt hat Deutschland wieder einen nicht geringen Vorsprung vor Frankreich gewonnen, der noch dadurch erweitert wird, daß auch die Neuwahlen zum Reichstag in Elsaß-Lothringen eine Besserung i» den Beziehungen des Landes zu dem alten Mutterlande gebracht haben. Dazu treten für Frankreich die Verschlechterung der diplomatischen Beziehungen zu England und die dreifache Enttäuschung, die neuerdings wieder seine heiße Liebe zu Rußland er fahre» bat. Denn erstlich macht das russischeGesch wader keinen Besuch im Hase» von Cherbourg und zweiten» bat sich für Frankreich die Bedeutung der handelspolitischen Zugeständnisse Rußlands wesentlich dadurch abge- schwacht, daß sie auch anderen Nationen zugebilligt werden. Drittens aber muß man sich eingcstchen. daß die Begebungen zwischen dem Berliner und dem Petersburger Hofe durchaus nicht so gespannt sind, wie man das gewünscht und gehofft hatte. Man muß nothgedrungen von dem Besuche de« russischen Thronfolgers in PotSdaui und von dessen freundschaftlichem Verkehr mit dem deutschen Kaiser Notiz nehmen, während dieser Besuch in Wie» und fast noch mehr in Rom eine sekr sympathische Benrtheilung gesunden bat. In Rom siebt man in ihm einen neuen Beweis von der Richtigkeit der Erklärungen des Grasen Kalnoky, in denen ein fortschreitendes Nachlassen der Spannung betont würbe, die bi'S dahin zwischen Rußland »»d den Mächten des Dreibundes bestanden hatte. Auch die Theilnahme des Kronprinzen von Italien an den d cutscken Kaisermanövern im nächsten Herbst verstimmt in Frankreich um so mehr, als diese zum Theil in Elsaß- Lothringen stattsinben werden. So läßt sich daö Regierungs blatt, der „Tcmpö", durch die osficiöse „Agence Havas" aus Rom melden, das „Parliamenlo" versichere, der Kronprinz werde sich wohl an den deutschen Manövern, aber nicht an den auf dem linken Rkcinufer (sie!) stattfindeudcn betbeiligen, wäbrcnd eS auf derselben Seite mittheilt, daß der Prinz bei dieser Gelegenheit in Metz, unk zwar >m Eabetkenhause, Ouartier nehmen werbe. Selbstverständlich geht die obige Notiz an die Adresse der italienischen Negierung, von der man zu verlangen scheint, baß sie de» Kronprinzen verhindere, die deutsche Gastfreundschaft aus dem linken Rheinufcr anzu- nebmen, daS den Franzosen so sehr am Herzen liegt. Die alte journalistische Wetterfahne, das weitverbreitete Pariser Boulevardblatt der „Figaro", macht zur Ab wechslung wieder einmal für die geistlicken Genossen schaften in Frnnkrrich, welche durch die aiigekiuidigle Inter pellation in der Depulirtcnkauimer schwer bcdrobk sein sollen, mit Feuereifer Propaganda. Jamnierl da in dem Blatte der Redaciionssecrrtair desselten, Gaston Calmette, es sei gar nicht wahr, daß die geistlichen Genossenschaften Frankreichs wieder aufgestanten seien und sich in aller Stille — nach echtem Jcsuitenbrauche — neu gebildet hätten. Seit dreizehn Jahren, sagt Ealmette, der freilich etwas einseitig berichtet sein dürste, hätten die verschiedenen Ministerien unausgesetzt streng und starr mit einer Folgerichtigkeit, die man anderswo vergebens gesucht balle, die Tecrele betreffs tiefer Genossen- schäften durchführen lassen. In jeder „freien" Lehranstalt sprächen die Schulinspeckoren mehrmals jährlich vor, ließen sich die Register zeigen, auf denen die Namen der Lehrer und Aufseher eingetragen siud, und wachten streng darüber, daß nicht zwei oder drei Ordcusleute in den Anstalten lehren, wo früher nur Dominikaner, Jesuiten oder Maristen den Unterricht leiteten Zur Stunde dürfe man also behaupten, es gebe keine geistlichen Lcbranstalten mehr. Nur „freie" Anstalten gebe es, in denen die Ordens- leute in verschwindender Anzahl Vorkommen. Da» mag wobl richtig sei», so lange es sich um Ordcnsleute (religienx) im strengsten Sinne des Wortes handelt; aber wenn man von den Ordensleuten den Begriff auf die Geistlichen austebiit, so stellen sich die Dinge doch wesentlich anders. Das wissen alle Diejenigen, welche irgendwie zu den freie» Anstalten in Beziehungen stehen. Statt der Laien, die nach dein „Figaro" neben den zwei oder drei Ordensleuten lehren, finden sich da zahlreiche Abbös, und diese sind alle ehemalige Mitglieder des Ordens, welche die Priesterweihe empfange» habe» und, um in Frankreich bleiben zu können, ihr Ordens Neid mit weltlicher Tracht vertauschten. Wirklich sonderbar klingt es daher, wenn der RedaclionSsecretair des „Figaro" jammert, die freien Anstalten, die vor den Märzkecreten >2 000 Zöglinge zählten, hätten jetzt deren nur noch 8000 aufzuwetien. Sonst wird da» Gcgentheil behauptet und können die Freunde der freien Schuten nicht genug rühmen, wie sehr die „Verfolgung" ihr materielles Gedeihen gefördert habe. Und die das rühmen, haben jebenjallS mehr Recht, als der „Figaro", der es wagt, für die armen und jo be denklich decunirlen geistlichen Genossenschaften einzutretcn. Eine Angelegenheit, die seit längerer Zeit ganz Italien in fieberhafte Aufregung versetzt und auch in der Dcputirtcn- kammer schon wiederholt lebhafte Debatten hcrvorgcrufc» hat, scheint jetzt endlich zum Auslraa zu kommen. Tie Ratbs- kamuicr dcS römischen Gerichtshofs hat nämlich endlich be schlossen, zwei der Personen, denen an dem Krach der Banca Romana ein Verschulden vorgeworfcn war, nämlich Pera lta und Mortera, gänzlich, mehrere andere theilweise außer Verfolgung zu setzen, während das Strafverfahren gegen de Zerbi wegen des Ablebens desselben selbstverständlich auch vollständig eingestellt werden mußte. Tie Anklage wird aber aufrecht erhalten gegen Bernhard Tau- longo, den ehemaligen Leiter, und Cäsar Lazzaroni, den ehemaligen Cassirer der Banca Romans, wegen Unter schlagungen im Betrage von über 28 Millionen Lire, wegen Urkundenfälschung, Herstellung und Ausgabe verdoppelter Bank- notcnserien und Beamtcnbeftcchnng, gegen Baron Michele Lazzaroni, Cäsar Lazzaroni's Neffe», wegen Unterschlagung von fünf Millionen Lire und Urkundenfälschung, gegen Peter Tanlongo, Bernhard Taulongo'ö Sohn, wegen Beibilfe dazu, gegen den Rechtsanwalt Bcllncci-Sessa wegen Bei hilfe zur Unterschlagung und Bestechung dcö inzwischen ver storbenen Depulirlen Rocco de Zerbi, gegen den Ministerial- direclor Monzilli wegen Bestechlichkeit, Beihilfe zur Unter schlagung und Fälschung, gegen Zammarana wegen Bestechlichkeit, gegen den Bankier Mortera und drei Andere wegen Veruntreuung von Summen zwischen 5000 und einer Million Lire. Ein Dcputirter oder Senator befindet sich unter den Angeklagten nicht. Die derzeitigen Leiter der Banca Nomaiia trete» als Nebenkläger aus. Der Proceß, der nicht in Rom vor sich gehen wird, wird jedenfalls in seinem Fortgang dem Publicum noch manche Ucberraschnngcn bereiten. In Portugal haben die Republikaner das Bedürfnis; gesüblt, nach iängcrcr Pause wieder von sich reden z» mache». Die hervorragendsten derselben haben nämlich einer Einladung ihrer spanischen Gesinnungsgenossen nach Badajoz Folge geleistet und mit ihnen daselbst Bcralhung gepflogen. Bei dieser Gelegenbcit lernten die Anführer der republikanischen Parteien in Lissabon und Madrid einander persönlich kennen und lauschten ihre Gedanken über die Verwirklichung ibrcr Zteen aus. Natürlich wurde ein Festbankel mit den obligate» Reden abgekakien. Tie porkngicsischen Redner drückten vielfach die Zweckmäßigkeit einer Föderation der beiden Völker der Halbinsel auS, um gemeinsam das erwünschte Ziel einer republikanischen RegierungSform zu erreiche». Es würbe hierbei zwar nieist die Notb- wcndigkcit der vollen Anfrechtcrbaltnng der beiderseitigen Autonomie betont, cS scheint aber koch, als ob der eine ober der andere der Redner in dem Wunsche nach der Vereinigung zwischen Portugal und Spanien weiter gegangen sei, als cS den Jnlenlionen seiner Gesinnungsgenossen entsprich». Dies wird denn auch von mehreren republikanischen Blättern scharf gerügt, und eines derselben erblickt in solchen Aeußecungcn sogar einen Verrath am Vaterlande. Andere republikanische Preßorganc aber sieben einer engeren Verbindung zwischen Portugal und Spanien nicht so feindselig gegenüber, und man sieht bei dieser Gelegenheit wieder, daß die republikanische Partei Portugals noch immer in zwei gegensätzliche Gruppen gespalten ist, nämlich in die föderalistische und die nationale. Selbstverständlich Kat sich auch die monarchische Presse Portugals über die Ver sammlung von Badajoz geäußert und dabei ibre Ansichten über die repulikaiiische Partei Portugals entwickelt. Es muß aussallcn, daß diese sonst loyalen Organe bei diesem Anlasse deftige Klage» gegen die leitenden Staatsmänner führen und ihnen die «cbulb geben, wenn die Republikaner Anhang im Lande finden. Es wirb dabei aus die Finanznolb und die traurige Lage der portugiesischen Landbevölkerung bingewicscn, zwei Uebelftände, die natürlich von den Gegner» der fetzigen Rcgieruttgssorm für ihre Zwecke im auSgiebigstcn Maße auSgeuntzt werden. Tie irische Homernle-Arage wird vom milita irischen Gcsichtspnnctc aus >» tcr „Pall Mall Gazette" von General Sir Edward B. H a m ley behandelt. Was — so meint der General — Wirt nach Einführung der Homerulc die Pflicht des MilitairS in Irland sein? 1) Die Suprematie des ReichSparlamenlS gegen etwaige Uebergrifse der irischen Legis latur in Schutz nehmen und 2) alle Iren zu zwingen, der Homcrule-Rezierun.z zu gehorchen. Für den ersten Fall ist die Pflicht jedes LsficicrS klar vorgeschriebe». Anders aber ist der zweite Fall beschaffen, wenn britisches Mililair den Wider stand der Ulster-Leute mit Gewalt ersticken soll. „Diese wollen nichts weiter, als unter den Gesetzen des Staates bleiben, den: sie bisher anzcbört baden. Sie bebaupten, daß nicht sünszig Parlamentöacle sie zu Angekörigen eines anderen Staates machen können." Ter Widerstand Ulster« würde nach britischem Rechte nickt einmal eine Jnsnrrection sei», da eine solche den Stur; einer bestehenden Regierung zum Zwecke hat. Die Einwohner Ulsters wollen aber die britische Regierung nicht stürzen, sondern unter ihr bleiben. Diese und andere logische Delikatessen führt General Hamley in drei Spalten auS, natürlich stets von der Anschauung aus gehend, daß die Homcrnle Irland zum selbstständigen Staate mache. Deutsches Reich. 7 kschatz, 16. Juli. Vor einigen Tagen brachte das „Dresdner Journal" die Mittbeilung, daß Se. Kgl. Hoheit I)r. zur. Prinz Max seine militairische Laufbahn ausaegcben bade und seine Studien i» Eichstädt forlzusetzen beabsichtige; inzwischen ist Se. Kgl. Hoheit von hier ohne Dienerschaft und Begleitung abgereist, nachdem er aus Nimmerwiedersehen von seiner Umgebung Abschied genommen; er ist in ein Kloster gegangen. — Dazu schreibt ein gelegentlicher Mitarbeiter unseres „Amtsblattes" Folgendes: „La auch bei uns in Sachsen der Grundsatz gilt, daß Jeder nach seiner Fayon selig werde, so würde diese Tbatsache an sich Niemand näher berühren; allein sie bat einen hochbedeutenden politischen Hintergrund, der jeden VaterlandSfrennd mit Sorge in die Zukunft blicken läßt. E« handelt sich hier nickt um eine Privatperson, sondern um einen Prinzen deS königlichen Hause-, de» Neffen des Königs. Man fragt sich unwillkürlich: Wie war es nur möglich, daß der jugendliche, hochbegabte, hochgebildete und wohlunterrichtete Prinz, der sich in Ehren die Doctorwürde erworben bat, seine Laufbahn aufgeben und den vcrhäiignißvollen Schritt thun konnte? Ganz sicher nicht völlig auS fick, auS eigner Entschließung heraus, sondern nur unter dem Drucke eines mächtigen Einflusses. Und wo dieser zu suchen ist, darüber kann Niemand in Zweifel sein. Man gebt sicher nicht fehl, wenn man hier auf den Einfluß des IesuitismuS zurückkommt, wie er in dem Bischof Wahl zu Dresden (der Genannte hat Wohl auch dem Prinzen während seine- Aufenthaltes in Oschatz zweimal einen Be such abgestattet. Bem. deS Corresp.) repräsentier wird. Man weiß, wie regelmäßig der Prinz die von diesem abgehaltencn Gottesdienste rc. besuchte, und man erinnert sich, wie gerade dieser Mann es war, der gegen den Schluß des vorigen Landtags sich beruscn fühlte, in der ersten Kammer aus besondere Weisung aus Rom die Aufhebung des die katholische Kirche betreffenden sächsischen Gesetzes vom Jahre 1876 zu verlangen ES gelang ihm nicht, damals den Cultnrkumpf nach Sachsen zu tragen, aber daß er im Sinne und Geiste RomS die Macht dcS KatboliciSmuS in Sachsen mit allen Mitteln auSzudehnen nickt unter lassen werde, daS befürchtet Jedermann von ihm. Der Gang des Prinzen inS Kloster ist eine Wirkung dieser Bestrebungen." 88. Berltu, 16. Juli. In den Betrachtungen, welche die Berliner Blätter der geschloffenen ReichSkagSsession widmen, nimmt das Auftreten des Grafe» Bismarck einen ziemlich breiten Raum ein. Bei bem vorherrschenden Charakter der rcichshauplstäbtiscken Presse ist es nicht zu verwundern, daß die Beurtbcilung eine abfällige ist. Sich dagegen zu wenden, wäre zwecklos, aber die thalsächliche Feststellung ist noth- wendig, daß über den Eindruck, den die Rede des Grafen im Hause hcrvorrief, von den Berliner Zeitungen fast aus nahmslos der Wahrheit zuwider bericytct worden ist. Von einem „unglücklichen Debüt" kann keine Rede sein. Abgesehen von gewissen Aeußerlichkeiten, verrieth der neue Abgeordnete die Fähigkeit, klar, entschiede» und wirksamer zu sprechen, als seinen Gegnern lieb sein dürfte. Daß er das Handwerks mäßige des Parlamentarischen noch nicht durchweg im sicheren Griff bat, beweist, wie zahllose, namentlich englische Beispiele lehren, gar nichts gegen seinen Beruf als Abgeordneter, und der groge Lärm, de» die Routiniers wegen dieser Nebenfach- Fenilletsn. lieber Klippen. 17j Roman von Caroline Deutsch. Nachdruck »erboten. (Fortsetzung.) Nun ja, sie batten sich gesunden, wozu brauchte eS noch einer Mittelsperson? .... Es gab jetzt aiiverc Mittel und Wege zu Begegnungen. — Wilma war ganz offen, das heißt, wie cS ihre Art war, rücksichtsloser vorgegangen. Sie halte Lorv ein Briefchen geschrieben. Der zierliche Bogen mit dem freiherrlichcn Wappen daraus atbmete Rosen- und Veilcken- duft, aber die Worte glichen giftigen Pfeilen, geringelten Schlangen, die ihre Köpfe gegen Lory hoben .... Nun sei sie selber zu der Erkennniß gekommen, daß der Verkehr zwischen ihnen ein unnatürlicher und auf die Dauer ein unmdglichcr sei.... Bei dem Koben Zartgefühl der Lcbreri» sei cs kein Wunder, daß endlich doch etwas davon auf die Schülerin uber- gefangen wäre. ES habe zwar etwas lange gedauert, aber spate Erkenntniß sei bock bester als gar keine; sie verzichte von nun an aus den Unterricht, der auch Lory. besonders in der letzten Zeit keine besonvcre Freude bereilct babe. Ein großer Gedankenstrich schloß den letzten Satz ab, aber das Mädchen Kälte den Sinn auch okne diese» verstauben. Von der Mutter und TereSka batte sie erfahren, daß die Baronin mit Persall an jenem Abend zusammen den Meicrbos verlassen; er hatte sie begleitet, und das klebrige — fand sich!.... Keiner war zugegen, als Lory de» Brief erbielt. und Nacht« in stiller Stunde, von Niemandem gesehen, zündele sie ein Lickt an unk verbrannte ihn daran, bis nichts als ein Häuflein Asche zurückblieb. Vorbei, vorbei Alles, wie tiefer Weiße Staub, der auseinander siel! .... Würde ikr Leben wieder werden, wie cö gewesen war? Der Weg so mühelos und eben erscheinen wie früher? Oder glich sic jenen, Hirten knaben, der nur eine einzige Stunde im Zaukerreick geweilt und. als er zurückkehrte, weder die Heimath, noch die Menschen wieder erkannte? .... Aber, daß er war, wie die Anderen alle, daß er die Zahl der Narren und Feiglinge vermebrle, wie er sich damals auS- gcdrückt, das war daS Schmerzlichste von Allem Eine starke Versuchung batte daö Märchen ergriffe», das Honorar von 100 Gulden, das als Einlage dem Briese beigeschlossen war, dieses Judaögelb — ebenfalls zu verbrennen, dann aber über dachte sie, welche Freude, welchen Genuß sie der Mutter und Schwester damit bereiten konnte, und sie zog die Hand, die schon nach der Flamme gezuckt hatte, wieder zurück. Und Tereöka bedurfte wirklich einer großen Freude; sie sab sebr angegriffen auö und hatte daS Lachen und Singen ganz verlernt. Früher, wenn Lory aus der Schule nach Hause kam. tönte ihr der frische, herzinnige Gesang weit entgegen; jetzt schlich das Kind malt und trübe umher, sprach kein Wort, wenn sie nicht direct angcredet wurde, ikat Alles ohne Lust und Freude, und ihr junges Gesicht nabn, oft eine» solch starren, schmerzverlorenen Ausdruck an, daß es in die Seele schnitt. Das konnte doch nicht allein die Tebnsncht nach den Brüdern sein? War cs möglich, daß ein solches Gefühl eine» derart krankhaften Charakter annchinen konnte! — Sie beschloß, den Arzt zu Rathe zu ziehen, aber Tercska wollte nicktS davon wissen Zum ersten Male setzte sie einen an Eigensinn grenzenden Widerstand den sanften Bitten der Schwester ent gegen. Ihr fehle nichts, sie brauche keinen Doctor, inan solle sie i» Ruhe lassen, nicht quäle»! Da brachte Lory eines TaaeS Doctor Nikoliny i»S Haus, und Tereska konnte der ärztlichen Untersuchung nicht entgehen. Doctor Nikoliny war sonst ein tüchtiger und erfahrener Arzt, aber diesmal ging er vollständig fehl. Wie konnte er auch ahnen, daß dies Wesen, das, den Jahren »ach, fast noch ein Kind, schon von jenem Sturm durchbrauft war, dem oft starke, gereifte Naturen nickt standhalten können. Er bczeichncte den Zustand al« hochgradige Bleichsucht, verordnete gute Pflege und viel Bewegung ,m Freien; Ver änderung des Klimas wäre natürlich Allem vorzuriebcn. Er sah den halb mitleidigen, halb geringschätzigen Blick nicht, den ihm daS junge Mädchen von tcr Seile zuwarf, ein Blick, der zu sagen schien: „Für klug hältst Du Dich, Doctor Nikoliny, und dreimal so alt bist Du wie ich, aber Deine Auge» reichen nicht weiter, als die eines Kindes, und was hier vorgebt, weißt Du so wenig, wie der Spay, der eben vor- übersliegt! ..." Lorv geleitete den Arzt hinaus; als sie wieder bincinkam, bemerkte Tereöka mit vor innerer Aufregung bebender Stimme: „Wenn Du mich fortschicken willst, ich gehe nicht, ich sage es Dir gleich!" „Wobin sollte ich Dich denn schicken? Wir habe» ja Niemanden, dem ich Dich anvertrauen möchte", versetzte Lory beruhigend. „Zu Fremden würde ich Dich niemals geben und gegen Deinen Willen gewiß nicht, aber pflegen wollen wir Dick, Liebe! Wir nehmen ein Mädchen zur Aushilfe ins HauS, damit Tu de» ganzen Tag im Freien weilen kannst, und zu Weihnachten, wenn Bela und Arzad zu Besuch kommen, oder wir zu ihnen fahren, dann hast Du wieder Deine frischen, rvlhcn Backen und Dein fröhliches Lachen, nickt wahr, Tereska!" Welche tiefe, herzinnige Liebe lag in der Stimme und den Augen der älteren Schwester! Wie eine beiße Welle quoll es in dem Herzen deS gequälten Mädchens auf, auf Momente Alles iiberflulhend .... Die Neue war es, die Neue, daß sie Lory nicht mehr so lieble wie früher, daß sie nicht mehr ihr Alles war, daß sie ibr ihr Glück mißgönnte .... Laut aus- fchluchzrnd warf sie sich ibr in die Arme, und hätte Lory jetzt gefragt, so wäre ihr das Gebeimniß kund geworden. — Der Doctor batte ikr aber draußen gesagt, daß die Wein krämpfe, über die sic besonders geklagt, mit dem Zustande Tercska'S verbunden seien und Laß es in diesem Falle da« Beste wäre, sie weder mit Fragen noch Ermahnungen zu quälen, sondern rubig ausweme» zu lassen, was dem Patienten eine große Erleichterung verschaffe, und so ließ Lory Len glücklichen Moment vorübergeben. Spätherbst war gekommen. Fable, graue Wolken jagten über die Gipfel der Berge und blieben wie wallende Schleier bald an dsm einen, bald an dem andern hängen. Die Winde wurden scharf und kühl, «nd häufige Regenschauer gingen nieder. Oedc dehnten sich die Stoppelfelder, und das Laub der Baume lag kalb verfault am Wege, öde und verlassen war auch der Badeort Schmertizsek. Die letzten Gäste waren sortgezogen, und bewohnt waren nur noch das Herrenhaus und die Beamtenwvhnungen, da auch die Beamten den Winter über kort blieben. Lory Salwar ging täglich die schleckten, ausgewaschenen Wege dorthin. Sic crthciltc beim Batcdirector Unterricht, wo sich die Kinder der anderen Beamten zu einem Cursns zusammenfaiiden; eS war für diese, von denen noch einige in zartem Alter standen, zu beschwerlich, im Herbst und Winter den Weg nach der Stadt zu machen. Die Arbeitslast de« Mädchens batte sich nickt vermindert, eher vielleicht »och vermehrt, trotzdem sie der Sorge über die Brüder enthoben war. Ein Dienstbote war in« Haus ge nommen Worten. TereSka mußte eine besondere Pflege habe» ; auch konnte sie jetzt der Mutter so manches Benagen, so manche Freude bereiten, die sie ibr früher versagen miigtk. Und wieder war cö so ein grauer, trüber Nachmittag, als Lory von ihrer Stunde aus Schmertizsek beimlehrte. Sie kalte sich ein wenig verspätet, ein kleiner Knabe war vom Stuhl gefallen, u»v sie war geblieben, bis das Kind mit Weine» ausgehört und sie sich überzeugt hatte, daß cS keinen Schaden genommen. Seit Stunden hatte es nickt geregnet, und doch war der Boden naß und schmutzig; «vischen de» Stämmen der Bäume schwamm ein feuchter Dunst, und wenn der Wind durch die fast entlaubten Aestc fuhr, troff es in einzelnen schweren Tropfen herab. Lory ging gewöhnlich durch den Schmertizscrkcr Park, die Wiese» entlang; ei» Weg, der etwas kürzer war und direct in die Meierei führte. Ein graue«, fahles Lickt lag aus ihrem Wege, gespenstisch streckten die Bäume ihre schauernden Zweige ihr entgegen, und manchmal hob sich mit jähem Flü elschlage ein a»fge- scheuchtcr Rabe und flog kräckzend über ihrem Haupte dahin. ... Es war ein todcstraurigcr Anblick, und Lory war eS, als sie so dahinschritt, als legten sich ihr die Abend- fchatten schwer und erdrücknb aus die Seele. Mehr als wci Monate waren die Brüder fort, sie sehnte sich nach ihrem Anblick, auch der Zustand Tere-ka'S hatte sich nickt gebessert, und was ihre eigene Herzensangelegenheit be traf, so hatte sie Franz Perfall seit Wochen nickt gesehen, seit jenem Gewitterabend, wo sie mit Stefan früher sortgb- gangen war. Zweimal hätte cs bald der Zufall gesügt, daß sie ihm begegnet wäre. Einmal war cs in ihrem eigenen Hause gewesen, wo an einem Vormittage eine Stunde in der Schule auszesalle» war. Sie hatte ibn vom Fenster a»S kommen sehe» und war rasch in die Küche und von da durch eine Hintcrtbür aus dem Hause gegangen. DaS zweite Mal war cs in der Apotheke gewesen, wo sie Unterricht gegeben batte. Al- sie diese verließ, sah sie ihn über den Marktplatz kommen. Nasch trat sie in daS HauS zurück und wartete, bis er vor» übcrgcgangen war — und vielleicht noch einige Augenblicke länger.... denn bei seinem unverniutbctc», so lange entbehrten Anblick pochte ibr arme- Herz so heftig, daß ihr der Atbem versagte und sie zu ersticken glaubte O, er tonnte ruhig sein. Sie würde ihm gcwiß nicht in de» Weg treten, sich ihm aufdrängen! . . . Welche« Recht batte sie denn an ibn? Hatte er jemals von Liebe mit ihr gesprochen? Weil er ihr in der erste» Zeit unverhohlen gezeigt batte, wie hoch er sie hielt, wie sehr er sie achtete? Aber war denn dies ein Liebe--, rin Ehcversprechen? .... (Fortsetzung folgt.)
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