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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.07.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-07-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18930722025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893072202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893072202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1893
- Monat1893-07
- Tag1893-07-22
- Monat1893-07
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oo.— 03.30 »7,75 03.25 »7.S0 33.— 32,75 »8,75 14.75 '^7,— >3,75 v.— >1,75 l-4,— '3,— >3,75 >7^- 0,75 ,7,50 0.— 4.50 >8.— 7.— 0. 1.- 3,— ö^— »,— o.— 1.50 4.— 8.— 0,50 3 — 8.50 3,25 2,— 1. « loL <t«e o»t- lo roa wa, »»r- lov, i«i>, r« Vez«g-.Pre1» -i d«r Hauptexpedttlou oder den im Stad», bezirk aud den Borortea errichteten Au«, oabesteklen ab geholt: vierteljährlich »ei zweimaliger täglicher Zustellung in« Han« ^l b.üO. Durch die Post bezogen sür Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich k.—. Directe tägliche Kreuzbandienduog tu« Ausland: monatlich ^4 7.öO. Die Morgen-AnSgab« erscheint täglich'/,? Uhr^ die Abrud-Ausgabe Wochentags b Uhr. Ledartion und Expedition:. AohanneSgasse 8. unnnterbroche» 8 bi«'Abend- 7 Uhr. Filialen: Ltt» Slemm's Sortim. (AlfreH Hahn), UniversitätSstrab« 1, Loui« Lösche. AaHarineustr. 14, part. und KöntgSplah 7. Abend-Ausgabe. MipWtr. TagMalt Anzeiger. Organ für Politik, Localgeschichte, Handels- und Geschäftsverkehr. Anzeigen-Pret- die 6 gespaltene Petitzeile SV Pfg. Reklamen unter dem Redaction«strich (4 ge spalten) ÜO^, vor den Familieunachrichw» <6 gespalten) 40-^. Gröbere Schristen laut unserem Preis- Verzeichnis- Tabellarischer und Zissernsatz nach höherem Tarif. ' Extra »Vellage« (gefalzt), uur mit de» Morgen-Au«gabe, ohne Postbesördernug >l 60.—, mit Postbesördernug ^l 70.-^ Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittag« 10 Uhr.) Morgen-Ausgabe: Nachmittags SUHL Sonn- und Festtag» früh '/,S Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je ein« halb« Stunde früher. Auzrigru sind stets an di, Er-rdltjZP zu richten. Druck und Verlag von E. Polz tu Leipzig ^-371. Sonnabend den 22. Juli 1893. 87. Jahrgang. Zur gefälligen Beachtung. Unsere Expedition ist morgen Sonntag, den 23. Juli, Vormittags nur dis VsN Uhr gcvsfuet. IhXpetMlott Ü68 l-vlp/i^er Die Huldigungsfahrt der Braunfchweiger zum Fürsten Bismarck. ^ Friedrichs»»h, 21. Juli. Achthundert Braunschweiger aus Stadt und Land machten heute, geleitet von einem über wiegend nationalliberalen Comits, mittelst Sonderzuges eine Huldigungsfahrt zum Fürsten Bismarck. Gegen 1 Uhr trafen die Theilnehmer, unter denen sich Ehrenjunzsrauen, viele Damen und Abordnungen der hiesigen technischen Hoch schule befanden, in Fricdrichsruh ein. Justizrath Seniler kielt eine schwungvolle Ansprache, in welcher er der Huldigung für den Einiger des Reichs und dem Unbehagen über den neuen EurS Ausdruck gab. Er schloß, cS gebe Höheres als Parteipolitik und Interessenvertretung: DaS sei das Bat er laub, das der Fürst wieder habe erstehen lassen. Nach dem mit endlosem Jubel ausgenommenen Hoch auf den Fürsten wurde von einer Ehrenjungfrau der Fürstin gedacht. Dann ergriff Fürst Bismarck das Wort zu einer bedeutsamen Rede, die überwiegend politischen Charakters war. Derselbe führte nach unseren stenographischen Aufzeichnungen wörtlich Folgendes auS: „Meine Herren und Damen! Ich danke Ihnen von ganzem Herzen für die Ehre und das Wohlwollen, welches Sie mir erzeigen durch den Besuch und welches in so beredten Worten Ihres Herrn Redners Ausdruck gefunden hat. Mir ist die Begrüßung von Seiten des braunschweigischen Landes in meiner Eigenschaft als Altmärkcr noch besonders wertb. Wir sind Nachbarkindcr und sprechen in der Heimath dasselbe Platt, unter dessen Tönen ich an der Elbe geboren bin. Und diese Stammverwandtschaft, die Nach barschaft macht mir den Ausdruck Ihrer Sympathien besonders werth. Es ist Ihnen bekannt, von wie viel Seiten ich in den letzten Jahren auS allen Gegenden des Deutschen Reiches Kundgebungen deS Wohlwollens und der Anerkennung erhalten habe; im vorigen Jahre im Süden und Westen deS Reichs, in diesem Jahre im Norden von Oldenburg und Mecklenburg — ich kann wohl sagen auS allen Bundesstaaten, mit alleiniger Ausnahme des jenigen, dem meine engere Heimath angebört. ES »st dies eine eigenthümliche Erscheinung, und wenn ich in diesen Kundgebungen des Wohlwollens für meine Person und der Anerkennung sür meine politische Wirksamkeit ein Be- kcnntniß zu der heute vorhandenen Einheit des Deutschen Reiches erblicken kann, so möchte ich doch aus der Thatsache, die ich vorhin andeutete, nickt den Schluß ziehen, daß in Preußen die nationale Begeisterung, das Gefühl der Zu sammengehörigkeit minder lebendig wäre, wie in den nicht preußischen Bundesstaaten. Es liegt das in den Eigenthüm- lichkeiten und in der politischen Erziehung meiner engeren Landsleute. Sie sind, möchte ich sagen, viele Generationen hindurch ministeriell geschult und entfernen sich ungern von der von oben her vorgcschriebenen Linie. In früherer Zeit, wo ich an der Spitze der politischen Leitung stand, war das nicht in dem Maße der Fall. Ich habe scharfe Opposition als Minister, namentlich von meinen engeren Landsleute» und von der conservativcn Partei, auS der ich hcrvorgcgangcn bin und der ick angebört bade, soweit es die nationale Ent wicklung überhaupt gestattete, von da her habe ich als Minister präsident in Preußen doch zu Zeiten sehr scharf und rück sichtslos Opposition gesunden, wie sie heul zn Tage von jener Seite kaum jemals versucht worden ist. Ich will den Gründen dafür nicht weiter nachspüren, als ich vorhin im Hinblick auf unsere preußische Borgcschichte an- dcutete. Aber ich will doch noch einen ansühren. Zur Zeit des alten CurscS sah man keine Gefahr in der starken Opposition. Man hatte das feste Vertrauen, daß durch die schärfste Opposition der Bestand des Reiches und des Königreichs Preußen nickt geschädigt werden würde, weil das Steuer in den festen Händen des Königs Wilhelm I. und seiner Minister ruhte. (Lautes, anhaltendes Bravo.) Dieser feste Glaube an die Festigkeit der Situation ist viel leicht nicht in allen Kreisen mehr in derselben Stärke vorhanden, und es kommt heut zu Tage vor, wie sich jüngst gezeigt hat, daß rcichS- und staatöfreunblichen Elemente, wenn sie die Wahl haben, nach ihrer Uebcr- zeuaung zu stimmen oder die Negierung der Versuchung einer neuen Auslösung des Reichstages und dessen, was sich daran schließen könnte, auözusetzen, doch das Opfer ihrer Ueberzcugung als daö kleinere Uebel erkannt haben. Und was die Militairvorlage anbetrifft, die im Anfänge Widerspruch fand und von allen Seilen bekämpft wurde, so haben schließlich nicht nur Diejenigen, die nicht glcichziltig gegen unsere Wehrkraft sind, sondern auch die der Vorlage, um einen juristischen Ausdruck zu gebrauchen, angebrachlcr- maßcn abhold waren, geglaubt, ihre eigene Ueberzcugung lieber auf dem Altar deS Vaterlandes opfern zn müsse», als der Ungewißheit entgegen zu gehen und für die Ablehnung der Vorlage, auf welche die Negierung so hohen Werth legt, und für die Folgen einer neuen Reichstagsauflösung einen Theil der Verantwortlichkeit auf sich zu nehmen. Ich rede, wenn ich vicS sage, einigermaßen zwo clomc». Mein ältester Sohn ist Mitglied des Reichstags (Bravo!) und hat für die Vorlage, wie er mir sagt, auS dem Grunde gestimmt, weil er die Ver antwortung für den Fall einer Ablehnung nicht auf sich nehmen wollte, die Verantwortung sür die Folgen, die nicht notb- wendig daraus hervorgehen müßten, sondern die die Negierung muthmaßlich daran knüpfen würde. Deshalb hat er eben die Annahme einer Vorlage, mit der er ursprünglich nicht einverstanden war, als das kleinere Uebel betrachtet und seine Ueberzcugung seinem Verständniß des Allgemein- intercsseS bereitwillig untergeordnet. DaS ist, meine Herren, eine Aeußcrung, die ich hier zwo äomo — da Sie mich in äomo besuchen — spreche, und das hat nichts mit Politik zu thun. Ich benutze die Gelegenheit, von den Fenstern meines Hauses her das zu äußern, was mich per sönlich bewegt. Ich bitte — die Sonne kommt herauf — entschuldigen Sie, daß ick meinen Hut aufsetze. Ich bitte, thun Sie daS Gleiche. Ich bin überhaupt nicht der Meinung, daß die Begeisterung, die uns mit dem Strom der l>0er und 70er Jahre in die Einheit hineingetragen hat, in der Ge sinnung des Volkes vermindert sei. Sie ist nur in ihrer äußeren Wahrnehmbarkeit vermindert, ich möchte sagen: der Kanal, in dem sie strömt, ist schmäler geworden. Schmäler wodurch? Durch die Zurückhaltung der parlamentarischen Körper schaften. Ich habe zu der Zeit, wo ich auS dem Dienst geschieden war, zuerst einer studentischen Corporation in Kissingen gegenüber die Mahnung ausgesprochen, unter allen Umständen festzuhalten an der Verfassung und den Rechten, die sie den einzelnen Wählern verleiht. Ich habe mich im selben Fsuillstsn. Aeber Klippen. 22) Roman von Caroline Deutsch. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) XXIV. Franz Perfall hatte einen schweren Tag. Ter Tod der Gefangenen hatte ihn mehr erschüttert und auö dem Gleich gewicht gebracht, als es, vielleicht außer Stefan, Jemand ahnen mochte. Er war noch am Abend vorher bei ihr gewesen, hatte ihr mitgetheilt, daß sie morgen nach N. inS ComitatSgesängniß gebracht werden würde, und hatte cs zum lehten Mal versucht, sie zu einem Geständniß zu bringen. Sie war aber nur bei dem geblieben, was sie schon so oft wiederholt batte, daß sie an dem Tod ihres Mannes unschuldig sei; dann hatte sie ihn beschworen, sie nicht fortzubringen, sondern zu ihrem Kinde zu lassen, daS krank sei und obne ihre Pflege sterben würde; sie hatte sich wie eine Verzweifelte geberdct, so daß Perfall selber davon erschüttert wurde, aber er konnte doch nicht anders handeln. Gleich nach der Gefangensctzuna war sie erkrankt, und Monate lang hatte sich ihre Uebersiiyrung verzögert; von der Comitatsbehörde waren schon einige Nachfragen in Betreff dieser Angelegenheiten gekommen. Nun war sie genesen und von dem Arzte als transportfähig erklärt worden. Tag und Stunde waren bestimmt und ihre Ankunft amtlich angezcigt. Eö war grausam von dem Gefängnißwärter gewesen, ihr noch in der letzten Stunde die Mittheilnng von der plötzlichen Erkrankung des Kindes zu machen, und er sollte eine strenge Rüge dafür erhalten, aber Helsen konnte Perfall ihr nicht. Und selbst zugegeben, die Abreise würde wieder verschoben, durste er sie srcigeben und sie zn ihrem Kinde lasten? Oder sollte er die Gefängnißzelle zu einer Krankenstube machen? In der Nacht hatte dann die Unglückliche den Selbstmord ausgesührt. Gewiß, Persall hatte nur seine Pflicht getban. Aber er fand jetzt, daß Stefan recht hatte, und was ihm ja auch seine eigene Erschütterung zeigte, daß nickt jede Pflichterfüllung ein Gefühl der Befriedigung hervorriefe, sondern oft das Gcgen- theil. Er hatte sich ja nichts vorzuwerfen, nichts gut zu machen, und doch nahm er sich vor, um daS lästige Gefühl los zu werden, dem verlassenen Kinde eine besondere Auf merksamkeit zuzuwenden. Er batte an diesem Tage viel zu tbun; die Leichenschau, die gerichtliche Protokollaufnahme und die Ueberführung der Todten in das Leichenhaus waren zu ordnen. Es war Nach mittag geworden und er dachte zum ersten Mal heute an das Stelldichein. Hätte er Wilma nicht abschreiben können? Er war gar nicht in der Stimmung. Und fast zwei Stunden Verspätung waren eS auch schon! Sie würbe schon an Ort und Stelle angelangt und verurtheilt sein, so lange auf ihn zu warten. Er ging i»S Bureau und sagte seinen Leuten, daß er ausreiten werde, er würde beute nicht mehr in die Kanzlei komme»; sie sollten um acht Uhr schließen. Und diese wunderten sich nicht mehr darüber, ihr Chef pflegte sehr häufig zu fehlen.... Es war lange nicht mehr das alte Verhältniß, und Obercoinmissar Strakosch hatte schon mehr als einmal in hämischer Weise sich über ihn gegen d>e Schreiber geäußert. Als Perfall, zum Ausreiten bereit, die Treppe zu seiner Wohnung hinunterging, stieß er auf den Briefträger, der gerade in das Amtszimmer gehen wollte und der ihm ein großes, mit vielen AmtSsiegcln bedecktes Schreiben übergab. Der Stuhlrichter erbleichte; er wußte, was daS zu bedeuten hatte; eS war gewiß der oberricklcrliche Bescheid in Betreff des Proceffes. Daß auch heute Alles rusammenlreffen mußte! ES war ihm unmöglich, sich in sein Amtszimmer zu begeben, seine Leute hätten ihm die Aufregung ansehen müsse», und dann hatte er ihnen ja auch gesagt, daß er heute nicht mehr lommen würde. Er ging in sein Zimmer zurück und schloß zur größeren Vorsicht die Thür hinter sich ab. Er hatte keine Störung u befürchten; denn der Bursche, der ihn bediente, war zu einer Mutier in ein benachbartes Dorf gegangen und konnte vor Nacht nicht zurück sein, und von seinen Leuten würde auch keiner koninien, da man ibn nicht zu Hause glaubte. Er legte das Packet auf den Tisch. War eS die Bestimmung eines neuen Termins oder der cndgiltige Besckeid? Es mußte letzterer sein; darauf wies die Größe deS PacketcS hin, das gewiß alle diesbezüglichen Documente enthielt. Unentschlossen stand er vor dem Tisch und fand nicht den Muth, es zu öffnen. — War er noch der Willensstärke, leiden schaftslose Mann, der sich allen Hindernissen, allen Versuchungen gewachsen fühlte? Der in selbstbewußter Krast über allen Sinne in Jena öffentlich ausgesprochen, daß ich in der hcu- ligen Zeit das Bcdürfniß fühle, daß die parlamentarische Mitwirkung bei der Regierung deS Reiches sich schärfer accenluirt. Diese Mitwirkung ist, ich kann cs nicht ver gessen, einigermaßen rückläufig geworden von dem Augenblick an, wo der Reichstag auf die Autorität, welche ibm die Ver fassung gegeben, verzichtete. Es ist das in dem Moment ge wesen, wo er sich gefallen ließ, eine so wichtige Vorlage, wie die Handelsverträge, die doch längeres Studium kosten, die gchcimgehallcn worden waren bis aus den letzten Moment, in acht Tagen durckzubringcn, wo doch kein Abgeordneter im Stande war, sich zu überzeugen, wofür er seine Stimme abgab, während unsere wirthschaftliche Zukunft sür 12 Jahre gebunden ist. Das hätte der Reichstag thun können, nachdem er geprüft hatte, aber er folgte unmittelbar der ministeriellen Leitung. Wie kam der Reichstag dazu? Ich darf wohl behaupten, i» Folge der Parteiungen. Tie Fractionen stellten ihre Interessen in den Vordergrund und verzichteten auf die Prüfung derRcichsintcresse» gegenüber denHandelsvcrträgcn in der Furcht, daß jede Fraction eine andere in der Gunst der Regierung den Rang ablaufen konnte. DaS war die Situation. Es wurde von ministerieller Seile nach dem Grundsätze cliviäo otimxera. das Gewicht, welches der Reichs tag hätte in die Waagsckale Wersen können, zerfetzt und verkleinert, so daß es schließlich nullisicirl war und der Reichstag einer großen einschneidenden Maßregel ohne Weiteres zustimmte. Jede Fraction dachte, wenn ich an eine Scene aus Schillers Wallenstein erinnern darf: „Willst Du eS nicht, so thuts der Pestalutz." So kam cs, daß daS Gewicht deS Parlaments nullisicirl wurde. Aber das Vacuum, daS durch daS Nullificiren deS Parlaments entsteht, wird nicht von dem Könige und von monarchischen Grundsätzen ein genommen, sondern von der Beamtcnmasse, der Bureau- kratic. DaS ist dieselbe Bureankratie, die man nicht ver wechseln darf mit dem Monarchismus und deren Dienst nichts mit der monarchischen Idee zu thun hat, dieselbe Bureankratie, die l806 und 1807 den Franzosen die Wege ebnete und 1818 den Barrikaden der Revolution gegen über mutbloS zusammenbrach. Diese burcaukratische Macht eines so großen Gemeinwesens ist ein Holzbau, kein Granitbau. Die Volksvertretung ist dazu da, die Bureankratie zu krilisiren» ihr zn Hilfe zu kommen, ihr Vorschläge zu machen. Dazu ist aber erforderlich, daß in unserer Gesetzgebung die Geheimhaltung von Vorschlägen, die in petto sind, aufgegeben wird, denn Niemand weiß, was kommen soll, Niemand kann sich darauf vorbereiten. Ich Halle es für richtig und meines ErinnernS habe ich als Minister darnach gehandelt, daß, wenn Gesetze kommen sollten, sie ohne Rücksicht, ob beliebt oder nicht, in ofsiciösen und amt lichen Blättern bekannt gegeben werden, als Gemeinsames, über das Jeder seine Meinung finden kann ohne Ucberraschung oder Zwangslage. Und wenn der Reichstag ablehnte, was wir vorgeschlagcn haben, so haben wir oft — mit bitteren Schmerzen — aber doch ohne die Rechte deS Reichstags in Zweifel zu ziehen, zurückgezogen und haben uns auf andere Vorlagen besonnen, (Heiterkeit. Lebhaftes Bravo.) So ver mögen wir dem erstrebten Ziele näher zu kommen. DaS, glaube ich, ist doch sür die Zukunft der einzig richtige Weg. Dazu ist aber »otywendig, daß eben die Bet Heiligung an den NeichSgeschäften nicht nur eine innere, gemüthliche, sondern auch eine äußere, erkennbare wird, in höherem Maße als heute erkennbar. In diesem Sinne habe ich kürzlich unfern Landsleuten aus Lippe empfohlen, doch auch in ihrem kleinen Kreise mehr mit der deutschen Reichspolitik als bisher sich zu befassen, es gehört doch zum LandcSinteresse. Die ganze Stellung, kurz und gut die deutsche Frage ist doch sür jedes kleine und große Reichsland die erste und oberste Frage, Parteien stand?.... Das war er lange nicht mehr! Er war zum Mitspieler geworden in diesem Stücke, und sein Interesse war verschmolzen mit dem der Anderen. Endlich löste er die Siegel und erbrach daS Packet; es war, wie er vorausgesehen .... Zuerst kamen ihm die Buran'schen Briefe in die Hände, dann der Satwar'sche Kaufcontract und die Briefe deS Herrn von SchmerlizS an den Grafen, zuletzt das gerichtliche Urtheil. Perfall entfaltete den umfangreichen Bogen, und seine Augen flogen jetzt hastig und, ohne eine Pause zu machen, über die große», kräftigen Buchstaben dahin. ES war, wie er cs voranSgcsagt hatte: Ritter von SchmcrtizS hatte verloren, und beiden Parteien stand daS Recht z», durch eine Commission den jetzt bestehenden Werth der Objecte scststellen zu lassen oder, wenn sie cs vorzogen, den damaligen Kaufpreis znrückzucrstatten und Grund und Boden als ihr Eigcntbum zu behalten. Was Franz Perfall noch vor Monaten mit dem Gefühle höchster Befriedigung erfüllt hätte, mit dem Triumph eines ManncS, der sür die Verwirklichung eines Ideals, sür daS, was er als recht und gut erkannt, seine besten Kräfte ein gesetzt, war jetzt wie ein Todesstoß sür ihn ... Und obwohl es nicht der klar bewußte Wunsch war, daß es anders, daß cs umgekehrt sein möchte, so war doch der vorwiegende Ge danke, der ihn erfüllte, daß es aus, daß seine Beziehungen zu Wilma damit ein Enke batten, ein Ende haben mußten! Aber hatte er cs denn nicht gewußt, nicht komincn sehen? Er hatte gierig getrunken, ohne zu bedenken, daß der berauschende Trank zur Neige gehen würde.... Und sie hatte ihn ja so süß darüber hinwcgzutäuschen gewußt, jedes Bedenken, jedwede Unruhe hinweggcsckmeichelt, hinwcggeküßt und mit unzerreiß baren Bande» seine Seele an sich gekettet! Eö war Nacht geworden, Perjall zündete die Lampe an und warf noch einiges Holz in den Ofen, daß die Glntb hoch aufflackertc und das Zimmer in allen Theilcn beleuchtete. ES war mit einem gewissen LuxuS auSgestattct; denn die Stadt, die ibm die Wohnung eingerichtet batte, wollte ibm in einer gewissen Weise entgegenkommcn. Er aber hatte die halben Wände mit Büchern gefüllt, und so diente cs als sein Bibliothek- und Wohnzimmer zugleich. Persall ließ sich am Tische nieder. ES hatte keinen Zweck mehr, nach der Wolföscklucht zn reiten; sie mußte schon längst auf dem Rückweg begriffen oder gar schon zu Hause augelangt sein. Sie würde gewiß erzürnt, außer sicb sein. Doch was Waren diese Empfindungen gegen die, die noch folgen würden ? — über die man die Minister bezüglich ihrer Haltung im BundcSrath interpellieren und zur Aussprache nöthigen sollte. Für manchen Minister mag eS ja natürlich ganz be quem sei», daß dieses sich heimlich abspumt, aber für unser gcsammleS VolkSintercsse ist cS nicht gut. ES sollte überall „Karten ans den Tisch!" gespielt werden. Es ist eine fälsch liche Behauptung, wenn gegnerische Zeitungen mir Schuld geben, ich Kälte den Lippern den ParticularismuS ge predigt. Nein, dem allgemeinen deutschen Patrio tismus habe ich das Wort geredet und habe gewünscht, das; er überall und in allen Verhältnissen vorwiege und die Gcmüthcr beschäftige. DaS ist nicht ParticularismuS, sondern nationaler Patriotismus (rauschendes Bravo), den ich auch Ihnen in demselben Sinne empfehle. Wenn ich damit Erfolge hätte im Lande, so würde auch sehr bald die Befürchtung schwinden, daß im AuSlande angenommen würde, der nationale Patriotismus lasse bei uns nach. Sie tragen dazu bei, daß wir im AuSlande die Autorität, die wir früher besaßen — vielleicht auch noch besitzen — ich weiß cS so genau nicht —, die Aeußerungen sind darüber zweifelhaft — auch fernerhin genießen. Es ist in der Politik eine große Sache die Autorität, die moralische Autorität zu besitzen; eS gehört das zu den Imponderabilien. Es genügt nicht, daß man die große Keule in der Hand hat, um im Falle de- Krieges zuzuschlage», sondern mit der Autorität und ihrer Ausnutzung ist cS zu erreichen, daß die schweren Lasten, die durch einen Krieg aufcrlezt werden, erspart werden. Und deshalb lege ich auf das Ansehen, dessen wir unS in der außcrdeutschen Welt erfreuen, nicht blos auS Ehrgefühl oder Nalionaleitclkeil Gcwickt, sondern ich erachte die Autorität als nützliches Capital, mit dem man wuckern kann. (Lang anhaltender Beifall.) Und hat daS Ansehen eine Verminderung erlitten, so werden Sie eS wett mache», wenn Sie in jedem Landtag, in Kreis und Stadt und Land sich sür die deutsche Frage, die Stellung Deutsch lands und die innere Entwickelung deS Deutschen Reiches nicht nur interessircn, sondern diesem Interesse auch Worte geben, meinethalben auch sich streiten, daS ist immer besser, als cS todt zu schweigen. E- ist mir auS meinen jüngere» Jahren erinnerlich, daß damals überall, wo Deutsche zusammeukamen, die deutschen Gesammtfragcn immer den ersten Platz einnahinen, damals halten wir die deutsche Einheit nicht. Nun haben wir sie — und durch den Besitz sollte sie an Werth verloren haben? DaS kann ich nicht denken. Aber wenn wir sie als etwa- Errungenes nur mit einer gewissen Gleichgiltigkeit behandeln, so vermindern wir sie bei unser» Landsleuten und im AuS- landc. DaS empfehle ich zn verhüten. Erkennbare Fort schritte bat das Interesse für unsere deutschen Gesammt- angelegcnhciten nur an einer Stelle gemacht, wo ich cs früher nicht juchen durfte, das ist bei unfern Landsleuten polnischer Zunge. Die Polen sind plötzlich geworden, waS sie nie in ihrem Leben gewesen sind. Welches Motiv dieser Wendung zu Grunde liegt, was sic erstreben, das weiß ich nicht, aber ich Halle es Ihnen gegenüber mit dem alten troischen Spruch Timoo Vanaos, und ich glaube nicht, daß eS, auf die Dauer wenigstens, Diejenigen, welche die Träger dieser polnischen Bewegung sind, die polnischen Edelleute und die Geistlichkeit, mit dem Deutschen Reiche gut im Sinne haben sollten. DaS ist mir nach meiner mehr als fünfzigjährigen Thätigkeit doch mehr als zweifelhaft geworden. Ich glaube eS nicht, und deshalb frage ich mich bei der neuesten Wendung, in derselben Weise, wie Jemand beim Tode von Talleyrand: „WaS mag denn der alte Fuchs damit beabsichtigt haben?" (Heiterkeit, Bravo!) So stehe ich auch dieser polnischen Wendung gegenüber vor einem Räthsel. -in ^ Von seiner Hand war der Schlag nicdergegangen, hatte zer schmetternd gewirkt... welche Gemeinschaft konnte c« noch zwischen ihnen geben? Ihr Todfeind war er, als solchen mußte sie ihn betrachten! Noch einmal laS er die Briefe und Schriftstücke durch. Ja, wen» cs »och eine Gerechtigkeit im Lande gab, mußte die Sache so enden! Und bei dem strengen Geist, der durch das neue Justizministerium, durch die ganze Rechtspflege deS Landes ging, war dies auch vorauszuseyen. Und welch einen Aufruhr das im Orte Hervorrufen würde! Bei der einen Partei Triumph, Schadenfreude, größere Rücksichtslosigkeit als je, bei der andern ohnmächtiges Zorn-, Haß- und Rachc- gesühl, daS sich in tausend und abertausend niedrigen und brutalen Vcrgcllnngsgclüsten knndgeben würde. Ter junge Man» erhob sich endlich, nabm die Briefe und Docnmentc und schloß sic in ein Fach seines Schreibtische- ein. Da ertönten draußen Schritte, dann ein leises Klopsen an der Thür. Perfall glaubte, es sei der Bursche, der seine Rückkehr meldete, und ging zu öffnen; in dem Rahmen der Thür erschien aber Frau von Szentiwany. Sic trug einen hellblauen Tuchanzug mit weißem Pelz besatz, ein ebensolches Mützchen saß auf dem goldblonden Haar, und hinter dem Schleier blickten ihre dunklen, großen Augen mit einem zornigen und zugleich fragenden Ausdruck ihn an. „Du .... Du kommst zu mir?!" fragte Persall fassungslos. Sie entzog ibm die Hände, die er in der Aufregung ge faßt hatte, und trat ganz inS Zimmer hinein. „Ich dachte, Dir jei ein Unglück zugcstoßen, und die Angst mackle mich halbtodt", sagte sie, und man merkte ihrer Stimme die tiefe Erregung an, in der sie sich befand. „Fast zwei Stunden bade ich auf Dich gewartet, dann jagte ich wie eine Wahnsinnige zurück", fuhr sie dann fort; „daß ich nickt zehnmal den Hals unterwegs gebrochen habe, ist wie ein Wunder zu betrachten. Mein Pferd ist fast unter mir zusammcngebrochcn; ich habe cs bei Bekannten im Ort unter dem Vorwand gelassen, ick hätte noch einige geschäft liche Besorgungen zn machen. Wie gesagt, ich dachte, Dir sei ei» Unglück zugestoßen, nun sehe ich aber, daß Du ganz wobl bist. Kannst Du mir sagen, WaS die- bedeuten soll, Franz?" Thräncn zorniger Entrüstung funkelten in ihren Augen. „Du hast recht, erzürnt auf mich zu sein", versetzte er be gütigend und sah sie zärtlich an. Wie ein Ransch überkam eö den sonst so ernsten Mann, daß sie zu ihm gekommen, daß
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