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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.07.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-07-31
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18930731025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893073102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893073102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1893
- Monat1893-07
- Tag1893-07-31
- Monat1893-07
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BezngS.PrelS 1» d« tzaupterpedttton oder den im Stadt, bezirk und den Vororten errichteten Au», oabestellen abgeholt: vierteljährlichst ».SO, hei zweimaliger täglicher Zustellung in« au» ü.üO. Durch die Post bezogen für utschland und Oesterreich: vierteljährlich >l 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandienduag tu« Au-land: monaUich ^l 7.SO. Die Morgea-AnSgabe erscheint täglich '/,? Uhr^ die Abeud-AuSgabe Wochentag» b Uhr. ReLaction und Erpeditiou: JohanneSgasse 8. Die Lrpedition ist Wochentag» ununterbrochr» geöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Filialen: vtt« Klemm'« Sortim. tAlfre» Hlthax Universitätsstrab» 1. Laut» LSsche. Katharinenstr. 14, pari, und KönigSvlah 7. Abend-Ausgabe. Tllgchlatt Drgan für Anzeiger. Politik, Localgeschichte, Handels- und Geschäftsverkehr. Anzeige«-Prei- die S gespalten» Petitzeile 20 Pfg. Neelamen unter demSiedaction»strich (4ge. fpaltro) -0>4, vor den Familiennachrichte» <6 gespalten) 40^. Gröbere Schriften lant nnjerrm Preis» verzeichnib. 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September 18SZ, Nachmittags 2 Uhr vom 1, April 1894 ob auf 6 Jahre unter de» >»r Termin bekannt zu machenden Bedingungen licitotionswcise verpachtet werden. Pachtlustige, welche über ihre zcitherige Beschäftigung und Führung, sowie über ihre Vermogensverhälinisse glaubhaften Nach weis beizubringen habe», werden andurch geladen, sich am gedachten Tage rechtzeitig an hiesiger Rathsslclle cinsindcn zu wollen. Die Pachtbcdingunge» liegen vor dem Termine in hiesiger Rathscxpcdilion ans, werden auch aus Verlangen gegen Einsendung von 60 /tz abschriftlich mitgeiheilt. Pegau, den 29. Juli 1893. Der Stadtrath. Heybemann, Bürgermeister. Politische Tagesschau. * Leipzig, 31. Juli. Nachdem erst kürzlich große Mehraufwendungen für daS Heer den Gegenstand eines heftigen Waklstreits gebildet haben, ist eine gesteigerte Empfindlichkeit in Bezug auf Bor gänge, die sich als militairischc Ausschreitungen kennzeichnen lassen, sehr wohl begreiflich. Ein delicater Punct ist dies ja immer gewesen, namentlich im Süden und Westen, und wenn grundsätzliche Gegner unseres Wehrsystems wieder holt die Massen zu gewinnen vermochten, so hatten verletztes bürgerliches Selbstgefühl und der Unniuth über bekannt gewordene Fälle von Soldatcnmißhandlungen mindestens so viel Antheil an jenen Erfolgen der Demokratie und Socialdemokratie als die augenblickliche Unlust, vermehrte Opfer für die Landcsvertheidigung zu bringen. Das deutsche Heer muß populär sein, und dies nicht nur im Hinblick aus die Möglichkeit künftiger Mehrsordcrungen für dasselbe. Tie Officiere besitzen vermöge ihres Bildungsgrades das Ver ständnis für diese Nolhwendigkeit, und wenn dessenungeachtet ein Ofsicier gegründeten Unwillen über militairische Vorgänge hervorruft, so versündigt er sich gegen die Interessen des Vaterlandes, dem zu dienen seine Lebensaufgabe ist. Gerade weil der Zweck des Dienstes einerseits eine gewisse Sonder stellung der Militairpersonen im bürgerlichen Leben, anderer seits große Strenge und selbst Härten gegen die Mannschaften erfordert, muß jede, die Grenzen des militairisch Gebotenen überschreitende Handlung auf das Schärfste verurtheilt werden. Im großen Ganzen besitzt die deutsche Bevölkerung, die süd deutsche, wie die norddeutsche, eit, feines Unterscheidungs vermögen für die Kundgebungen militairischen Selbst gefühls und der Ueberhevung, sowie für Rauhheit und Brutalität. DaS enthebt jedoch nicht der Pflicht, die unausgesetzten Bemühungen der antinationalcn Agi tation und Presse zu durchkreuzen, welche die gesunde Beurtbeilung militairischer Dinge durch gehässige Vorein genommenheit zu verdrängen sucht. Die wirksamste Abwehr solcher grundsturzenden Bestrebungen liegt zweifellos in der strengen dienstlichen Repression von Handlungen, die sich thatsächlich als Ausschreitungen kennzeichnen. Das Gefühl menschenmöglicher Rechtssicherheit in der Armee und Ange hörigen der Armee gegenüber ist der beste Bundesgenosse des Heeres gegen seine inneren Feinde. Aus diesem Grunde muß es immer tief bedauert werden, wenn das Vorkommen einer ernsten Hingehörigkeit unwider sprochen behauptet, von einer Remedur aber nichts bekannt wird, wie dies z. B. bezüglich der von unS mitgethcillcn Vorgänge der Fall ist, die kürzlich die Bevölkerung der Stadl Braunschweig erregt und zu einem einstimmigen Beschluß der dortigen Stadtverordnetenversammlung geführt haben, lieber den kürzlich aus Ulm gemeldeten Fall hat die Militairbehörde noch nicht zu befinden Gelegenheit gehabt, er bietet aber schon in diesem Stadium Anlaß zu einer nickt ersrculicken Betrachtung. Das bcrvorragendste nationale Organ Württembergs giebt nämlich einem Bericht Raum, der den Vorfall in einer — wir finden kein anderes Wort — m ilitair höfischen Weise darftcllt. Die Hauptsache, daß nämlich Lieutenant Bopp seinen Burschen mit der Reit peitsche geschlagen hat, fehlt nicht darin, aber sie findet sich cingekapselt in ein Plaidoycr für die Annahme eines selbst- verständlicken Afsects bei dem Ofsicier und sonstiger entschul digender Umstände. Tic Vcrlheidignng ist aber sehr un glücklich. Der Bursche ist —auch nach dieser Darstellung — gescklagen worden, bevor die Menge eine drohende Haltung gegen den Ofsicier angenommen batte, und der byzantinische Berichterstatter findet die Gereiztheit dcS Osficiers, welche die Mißhandlung dcS Soldaten entschuldigen soll, aus reichend erklärt durch den Umstand, daß der Bursche und einige Bürger vergeblich versucht batten, das durch gegangene Pferd aufznbaltcn! Ans die weitere Erzählung, insbesondere auf die Schilderung dcS Zusammenstoßes mit der Menge kann vorerst nicht weiter cingegangen werden, die offensichtliche Schönfärberei schwächt die Wirkung auch des jenigen ab, was — dem Anschein nach wahrbeilSgcmäß — zu Gunsten des Osficiers und zur Beschuldigung seiner Angreifer berichtet wird. DaS erwähnte nationale Blatt giebt die in ihrer plunipen Einseitigkeit geradezu herausfordernde Darstellung zwar nicht ohne einen leisen Vorbehalt und auch nicht ohne einen Tadel der Burschenmißhandlung wieder, aber es giebt sie wieder. Und dies kann der Sacke, die eS vertritt, nicht förderlich sein. Die nationale Presse hat die namentlich im Süden nickt leichte Ausgabe, den Entstellungen militairischer Vorkommnisse, welche das tägliche Brot der radikalen Blättec und Blättchen bilden, aufklärend entgegenzutreten Will sie das auch künftig mit Erfolg tbun, so muß sic sich bei dem Publicum den Credit wahren, daß sie als objektive Berichterstatterin und Richterin und nicht als Sachwalterin sungirt. Und ein Weiteres. Nach dem für die deutsche Partei in Württemberg so überaus ungünstigen Ergcbniß der letzten Reichstagswablcn schrieb ein nationaler württcin- bcrgischer Politiker, die Hauptsache sei nun persönliche Be- rübrung mit der Bevölkerung unter Hintansetzung alles Clasicnstolzes. Eine Parteinabme, wie die oben gekennzeichnete, kann aber nur zur Entfremdung führen. Die Zollkriegs-Maßnahmen Rußlands sind mit der Ein führung des Höchsttarifs für die deutschen Wahren nicht erschöpft. Vielmehr ist, wie wir im Morgenblatte meldeten, der russische Finanzministcr durch einen kaiserlichen Ukas ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Minister des Aus wärtigen Zollzuschläge zu den Sätzen des Höchsttariss einzuführen, welche aus die Provenienzen aller Länder angewendet werden sollen, in denen von den russischen Maaren höhere Zölle als die des Gcncraltarifs erhoben werden. Praktische Bedeutung hat diese Maßregel nicht. Schon durch den Höchsttaris ist die Ausfuhr deutscher Erzeugnisse und der deutsche Zwischenhandel mit srcmden Erzeugnissen nach Rußland, wie daS bereits die deutsche, im volkswirtbschaftlichen Thcile unseres Blattes mitgc- theilte Denkschrift hervorhebt, vielfach ausgeschlossen. Fragt man sich, warum Herr Witte diese Maßregel nicht.von vorn- bercin getroffen, ^u'r» größten Theil aus vorzugeben, so erklärt sich wo » c^j^en Russen dem Grunde. daß,H-rr Litte Zollve'rhandlungeu m.t Rußland gessebett n,Arbeit bffemgt. Denkschrift bat auch in dieser Hmsich k U 'klaib t es-mg sickert der Graf Eaprivi werde höchstens e.ne Erhöhung der deut- LZ°U''die^ ernte falsch und übertrieben seien, daß Deutschland mcyr denn je auf eine sehr reichliche Rogg-n-mfuhr aus Rußland annewiclen sei. ja sie wollten sogar Herrn Witte Muren mach"!! daß schlimmsten Falles der russisch« Roggen aus den belgischen und holländischen Häsen als nichtruistlcher nach Deutsch land zum billigeren Zollsatz "»geführt werden 'ön»'-' wahrend dock, schon die Erfahrung des letzte» Jahres die russischen Zollkunslier darüber belehrt haben müßte, daß die deutschen Zollbehörden über den jedesmaligen Ursprung der Getreideeinfuhr,n den verschiedenen Häsen durchaus nicht im Unklaren sind, sondern sthr zu°erlassige Eonlrole» besitzen. Es wird gewiß noch längere darüber hm gehen, bis Herr Witte sich davon uberzeugt haben wird, wie schlecht er von seinen Quellen b-richlet worden ist Bis dahm w.rd d-e russische Landwirthschast die tzauptkosteu seines ictzigen Vorgehens trage^müsse>i^.^ Presse wird natürlich die Bemühungen des Herrn v. Witte, Deutschland als den Urheber des Zoll krieges hinzustellen, auf das Angelegentlichste unterstützen und den wirthschaftlichcn Krieg auf das politische Gebiet über tragen. Sie führt den politischen Kampf gegen unser Vater land ja ohnehin bereits fast ununterbrochen seit Jahrzehnten. Welche erwünschte Gelegenheit wird ihr ein Zollkrieg geben, ibrc Waffen mit besonders ätzendem Gift zu tränken! Wir geben uns mit der „Schles. Ztg." der Hoffnung hin, daß die deutsche Presse so schlechtem Beispiel nicht folgen werde. Mit der ruhigen Ueberlegenheit. welche den wirklich Starken kennzeichet, sollten die deutschen Organe der öffentlichen Meinung sich lediglich auf die Verfechtung LeS unangreifbaren, von Deutschland eingenommenen Standpunktes beschränken, des Standpunctes, daß wir Herren im eigenen Hause sein und bleiben wollen. Es war vorauszusehen, daß die Revrganisirung der griechisch-katholische» Seniiiiarc Oesterreich» in den von dieser Maßregel unangenehm betroffenen Kreisen Anlaß zu ver schiedenartigen falschen Deutungen geben werde. Als eine derartige, den Thatsachen nicht entsprechende Darstellung des Sachverhaltes ist auch die in der „Neuen Freien Presse" ent haltene Angabe zu bezeichnen, wonach die gedachte Maßregel „unzweifelhaft daS Ergcbniß der in Rom zwischen den rutheiiiscken Bischöfen und der Curie getroffenen Verein barungen" wäre. Demgegenüber ist festzustellen, daß die Revrganisirung der bezeichncten Institute schon seit Langem in» Auge gefaßt und in amtlicher Form vor 2'/, Jahren in Vorschlag gebracht wurde, uod daß e« ferner sich hierbei nicht bloS um kirchliche, sondern auch um staat liche Interessen handelte. Daß das Centralseminar von St. Barbara jenen Zielen nicht mehr entsprach, welche bei der Gründung dieser Lehranstalt durch die Kaiserin Maria Theresia vorschwcbten, ist eine unzweifel hafte Tbatsache, die in den hierin bestunterrichteten, an dein KatholiciSinus unverbrüchlich festhaltenden ruthenischen Kreisen nicht geleugnet wurde und in letzterer Zeit durch behördlicherseits erhobene Vorfälle erklärt worden ist. Mochten hierbei manche von der Verwaltung der Anstalt unabhängige Umstände, namentlich die mit dem Charakter einer Großstadt verbundenen vielfachen Ablenkungen der jungen Kleriker und die unter der vielsprachigen Wiener UniversitätS- jugend herrschenden Verhältnisse eine Rolle gespielt haben, jedenfalls ist es festgcstellt worden, daß auch Zöglinge dcS St. Barbara Seminars während ihrer geistlichen Wirk samkeit in Galizien sich unter jenen Elementen befanden, welche eine dem KatbolicismuS gleichwie den staatStreueu Ge sinnungen nichts weniger als förderliche Strömung in gewissen Kreisen der galizischen Ruthencn unterstützt haben. Selbst unter jenen pflichtvergessenen griechisch-katholischen Geistlichen, welche vor Jahren auS Galizien nach Rußland auSgewaudert sind, um dort an der von der russischen Regierung in Angriff genommenen Vernichtung der Union der dortigen griechisch- katholischen Kirche mit Rom mitzuwirken, konnte man einstige Zöglinge deS St. Barbara-Seminars entdecke». Die nun mehr durchgcsührte Reform der griechisch-katholischen Seminare ist geeignet, das bei der Gründung de» Seminar- von St. Barbara angestrebte Ziel zu sichern und sonach der griechisch-katholischen Kirche in Galizien ein größere» Con- tingcnt von höher gebildeten Kräften zuzuführen, al» es bis her der Fall war. AuS Anlaß dcS Besuches Kaiser Wilhelm'» in England enthalten die „Hamburger Nachrichten" einen längeren Artikel, der mit Recht vor der Gefahr warnt, daß von englischer Seite jetzt der Versuch gemacht werden könne, sich Deutschlands Unterstützung bei künftigen Conflicten englischer Interessen mit denen anderer Mächte bester als bisher zu sichern. Die englische Presse habe bereits begonnen, in diesem Sinne Sliinmung zu machen und versuche, die Lasten der englischen Politik auf den Dreibund und Dcutsckland abzuwälzen. Deutschland könne dein gegenüber nicht vorsichtig und zurückhaltend genug sein. Dann führt daS Blatt aus: „Wir verkennen den Werth nicht, den die Unterstützung des Dreibundes durch England für die erfolgreiche Durchführung der friedlichen Politik desselben hat, aber wir sind, abgesehen von der sraglickcn Gestaltung der Dinge im Kriegsfälle, der Ansicht, das; England schon jetzt ein mehr als hinreichende» Acquivalent für seine nominelle Unterstützung de» Dreibünde» genießt." DeS Weiteren wird in dem Hamburger Blatte erörtert, wie eine allzu große Annäherung Deutschlands an England nur dazu angelhan sei, unsere Beziehungen zu Frankreich und Rußland zu trüben. Zum Schluß beißt es wörtlich: „Wir haben keine Neigung, die traditionelle Freundschaft mit Eng land auszugehen oder abzuschwächen, aber wir wollen ihr keine unnöthigcn und schädlichen Opfer bringen. Im Ernstfälle würden uns die englischen Sympathien doch sehr wenig nützen, nicht einmal Italien fühlt sich in dieser Hmsickst vollkommen sicher, denn es hat durch sein Sonderabkommen mit Rußland bewiesen, wie wenig cs der Erfüllung englischer Versprechungen traut: es beruht dies auf der Erfahrung, daß England- Politik in Wirklichkeit immer nur rein egoistischer Natur gewesen ist und sich stets gehütet hat, daS zu thun, was eS Feuilleton. In des Reiches Ostmark. 2s Roman von B. W. Zell. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Nachdem der Graf eine Stunde geritten, veränderte sich plötzlich die Umgebung: der Stand und die Bestellung der Felder wurden mit einem Schlage eine wesentlich andere, und wenn auch Weizen und Rübsen noch immer üppig empor grünten, weil daS Erdreich eben ein so fettes, gesegnetes war, so merkte der Landwirth doch auf den ersten Blick, daß zur Cultur deS BodenS wenig oder gar nichts gethan war. Zwischen den bebauten Feldern fanden sich ganze Strecken Brachfeldes, untermischt mit Pfützen und Morästen, und die Wege waren in so verwahrlostem Zustande, daß der Reiter eilte, die Land straße zu gewinnen. „Siebt S so auf Leczyce auS?" fragte er sich trüb. „Da muß der herbe Nothstand, von dem mein alter Freund berichtet, schon seit Jahren eingelreten sein, denn so schnell kann der artige Verwahrlosung ganzer Landstrichen doch nicht einreißen. Wie anders war hier alles vor zwanzig Jahren! Freilich fehlte damals die Cbanffee, die Leczyce jetzt dnrchschneidet, und das muß man der Regierung lassen, sie thut in Jahrzehnten mebr für daS anncctirte Land, als polnische Herrschaft in Jahr hunderten vollbrachte. Unb dennoch, dennoch — wer kann sein Gefühl zwingen, das Polenblut verleugnen! Wer von uns möchte nickt gern die neuen geordneten gegen dir alten errütteten Zustände vertauschen, nur, um wieder eine ancr- annte, souveraine Nation zu bilden? Nur wenige von unS sehen ein, daß eS damit für immer vorbei, und diese wenigen dürfen kaum wagen, eS auszusprechen. Man hält sie für Ab trünnige an der heiligen Sache — und doch gehöre auch ich zu diesen!" Während dieser Betrachtungen hatte er ein Dorf erreicht, das sich zu beiden Seiten der Landstraße hinzog. Ein Dorf — kaum konnte man diese Anzahl armseliger, halb verfallener Lebmkatben mit den geflickten oder auck nicht geflickten Stroh- däckcrn mit diesem Namen bezeichnen. Nur bei wenigen dieser Hütten war unsprünglich ein Vorgarten angelegt worden, der sich nun längst zu einer wirren Unkraulwildniß entwickelt hatte. Auf dem Dornengestrüpp, das die Stelle von Ziersträuchern vertrat, lag fast vor jedem Haus Wäsche zum Trocknen gebreitet — grobe, geflickte Lumpen, deren Farbe eher an Orange denn an Weiß gemahnte. Düngerhaufen, Pfützen überall, und in ihnen wateten in innigster Gemeinschaft mit Schweinen und Gänsen halbnackte, strohhaarige, schmntzbedeckte Kinder. Zwischen den Hütten, im Vordergründe an der Landstraße ein paar alte, verwitterte» schiesstehende Heiligenbilder, alle umwunden und geschmückt mit Guirlanden und Kränzen aus Waldlaub und Feldblumen, dazwischen grellfarbige Papierblüten und lang- statternde Schleifen aus demselben Material. Ein stattlicheres Haus mit Ziegeldach, wenngleich auch nur aus Fachwcrk und Lehm gebaut, ragte am Ende dcö Dorfes empor, und ein ver wittertes, nicht mehr erkennbare» Schild verrieth dem Ein geweihten seine Bestimmung — eS war der Dorskrug. Seine Fenster waren die einzigen im Dorre, deren Scheiben nicht zu drei Viertel durch blaue und gelbe Papierstücke ersetzt waren, im übrigen unterschieden sie sich nicht von den anderen und waren ebenso undurchsichtig von Schmutz und Staub. „Alles beim Alten!" seufzte PodbielSki auf. „So waren vor Zeiten die meisten polnischen Dörfer — sollte nur Leczyce auf dem alten Standpuncle stehen geblieben sein? Ich fürchte nein. Deutsche Regierung und deutsche Gesetze baben nicht zu gleich deutsche Cultur und Reinlichkeit cinzubürgern vermocht — leider! Mit den Sprachen »nd Sitten sind auch die Laster deS niederen Volkes dieselben geblieben — wann wird der Messias kommen, der sie davon erlöst?" Bisher war Graf kaver nur wenigen Erwachsenen be gegnet. Männer und Frauen schienen hinaus zur Feldarbeit, unv nur die Kinder schauten offenen Mundes dem vornehmen Reiter nack. Dann aber mußte ein neues Ercigniß ihre Aufmerksamkeit noch lebhafter in Anspruch nehmen, viele neu gierige Blicke wendeten sich rückwärts nach einer der ver fallensten Kathen, und einige der Kinder wateten sogar auS den Pfützen heraus und versuchten die schmutzigen Hände und Füße am GraS des Chausscegrabens zu reinigen. Auch der Graf sckaute zurück, um den Grund dieser außerordentlichen Reinigungsversuche zu entdecken, und sah vor einer der Hütten eine Dame stehen, die ein Körbchen am Arme trug. Vor ihr stand, verlegen zu Boden blickend, ein etwa zwölfjähriges Dorfmädchen, dem die Dame augcnsckeinlich eine Strafpredigt zu halten schien. Nach Beendigung derselben küßte das Mädchen unterwürfig die Hand der Dame und verschwand wieder in der Hütte. Die Fremde aber nahm ihre Kleider zusammen, daß die zierlickcn Knöchel sichtbar wurden, und er reichte so glücklich über Pfützen und Düngerhaufen hinweg die vanvsirage, aus ocr fie nun, oen großen cL>ont>e,>^,> spannend, mit festem Schritt daher kam. Der Graf hatte sein Pferd halb gewendet und blickte il voll Spannung entgegen. Wo hatte er doch diese hohe, vol Gestalt mit dem stolz getragenen Kopf und der goldbraune Flechtenkrone schon gesehen, wo dies blühende Antlitz mit de lieblichen und doch so energischen Ausdruck? „Frau v. LeczynSka rief er plötzlich laut und sprang im näcksten Augenblick a. dem Sattel, um der Nahenden mit entblößtem Haupt en gegen zu treten. „Aber wie, cs ist nicht möglich!" rief i verwirrt, als ihn ein großer, verwunderter Blick aus saphi blauen Augen traf. „Auch an dem begnadetsten Ster! lichen könnte» zwanzig Jahre nicht so ganz spurlos vorübe gehen, und ick bitte um Verzeihung, wenn —" „Wenn Sie mich für meine Mutter hielten?" fragte s mit schelmischem Lächeln zurück. „Ei, wäre ich eitler. älS l glücklicherweise der Fall, müßte ich das für ein arges Con plimcnt nehmen, so beweist eS mir nur, daß Sie meii Mutter in ihrer Jugend gekannt haben. Ich soll allcrdinc ihr getreues Ebenbild sein. Darf ich aber fragen, Sie wollt vielleicht zu meinem Vater." Ihr Gesicht war plötzlich sei ernst geworden. „Also denn Fräulein v. LeczynSka!" rief PodbielSki fröhlii „Wahrscheinlich die kleine Juza, die eben geboren war. a ich die Heimath verließ, wie freue ich mich über dies Wiede sehen! Und waö diese zwanzig Jahre für ein Wunder c Ihnen zu Wege gebracht haben! Herzlich willkommen, klein grosie Juza LeczynSka!" . Er hielt ihr die Hand hin, sie wich, betreten über diesi froh traulicken Ton, zurück. „Sie wissen meinen Namen, und ich, ich kenne Sie a< nicht, mein Herr. Vergebens suchte ich in meiner Erinnerung „Das glaube ich" lachte der Gras aus. „Bis in die dr ersten .Nonate des LebenSanfangS hinein kann niemand zurm benken. und seitdem haben Sie mich nie gesehen. Aber vi< eicht ».einen Namen gehört, ich bin Laver PodbielSki. d seit gestern Abend wieder in der Heimath ist" G-sickt" Ueberraschung trat in ihr fein Kann ich's denn glauben? Ich dach nur Wladimirs Vater als einen alten Herrn." Fräulein Juza! Darf ich aber je Ihre Hand zum Willkommen erhalten?" ^ 2"' glichen, Blick dar, „nd gala zog er die rosigen Finger an seine Lippen. „Und nun, ich wollte zu Ihrem Vater. Er ist doch daheim? Wie hübsch, daß wir den Rest des Weges zusammen zurück- lcgen können." Er schlang die Zügel um den Arm und schritt so neben ihr her mit bewunderndem Blick ihre Gestalt um fassend, die ein Kleid von einfachstem Stoff und Schnitt um so vortheilbaster hervorhob. „Ihr Vater war mir ein so lieber Freund! Erzählen Sic mir von den Ihren", bat er dann. „Der sich herzlich freuen wird, Sie wiederzusehen", fiel sie ernst ein. „Leider werden Sie ihn sehr verändert finden — wie manches andere in Leczyce auch. Es sind seit Jahren schwere Zeiten für die Besitzer, denen es an Capitalicn fehlt, und nicht jedem ist es gegeben, sich über die Verhältnisse emporzuschwingen und im Kampf mit widrigen Schicksalen Sieger zu bleiben." „Sie sprechen sehr ernst für Ihre zwanzig Jahre, mein Fräulein, und wenig leichtherziger Jugendmulh liegt in Ihre» Worten, auch nicht in Ihrem Wesen. Ein bitteres Lächeln kräuselte ihre Lippen. „Jugend! Ich habe sic im Sinne anderer Mädchen nie gekannt. Sic wissen vielleicht nicht, Herr Graf, daß meine Mutter nun schon acht Jahre gelähmt aus dem Sicchbett liegt unv ich seitdem, also von meinem zwölften Jahre an, unferni Gut die Herrin, der Wirthschaft die Hausfrau und meinen fünf Geschwistern die Mutter zu ersetzen hatte, so gut cs eben ging. Da mußte fröhlicher Jugendmuth wohl ernsten LebcnSaiischaulingen weichen." Voll herzlicher Theilnahme schaute PodbielSki in ihr zuckendes Gesicht. „Armes Kind!" dackte er. „Und dazu das Gespenst völligen RuinS^ vor der Thür! Daß Tu bei all diesen Sorgen in so rosiger Schöne emporblühen konntest, ist ein Wunder de» Himmels." lind laut bemerkte er an ihre Rede anknüpfend: „Gewiß, Fräulein Juza, eS ist eine schwere Bürde, die auf Ihre jungen Schultern gelegt wurde. Aber Sie traten ja kaum ins Leben — wie reiche Entschädigung für daS bisher erduldete Leid kann es Ihnen aufgcspart haben!" »Och hoffe auf nichts", entgegnete sie herb. „Es ist ei» Unglück für die meisten Menschen, daß sie sich in rosige HvfsnungSträlime wiegen und darüber die Pflichten der Gegen wart versäume». Worauf soll ich hoffen — aus ein Wunder? Tie geschehen hentzutage nicht mehr. Ich mag nicht- weiter sagen. Papa dürste Ionen wohl allerlei Eröffnungen machen, die meine gänzliche Hoffnungslosigkeit erklären werden." (Fortsetzung folgt.)
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