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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.08.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-08-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18930803025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893080302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893080302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1893
- Monat1893-08
- Tag1893-08-03
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Gröbere Schriften laut aasrrr» Prei«» verzeichniß- Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Grtr«»vetlagcn (gesalzt), »»r mit de, Morgen-Ausgabe, oha« Postb«förd«r»»g SO.—, m>t Postbesörderuug 70.—^ ^nnahmeschlaß für Anzeige«: Abrnd-Au-gabe: Bormittag« 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittag« «Uhr. Soun- und Festtag« früh '/,S Uhr. Bei den Filialen und Annahmestelle» je et« halb» Stund« früher. Anzeigen stad stet« an di« OpPedtti«» zu richten. Druck und Verlag von E. P olz in Leipzig ^ 393. Donnerstag den 3. August 1893. 87. Jahrgang.' Politische Tagesscha«. * Leipzig. 3. August. Die dunklen Andeutungen über die polnische Sprachen- frage, die seit Wochen durch die officiösen Blätter geben, sind bereichert worden durch die Meldung, daß im preußi schen CultuSministeriUm eine Denkschrift über den polnischen Sprach- und Religiosunterricht ausgearbeitct werde, die späteren Berathungen des Gesammt- ministeriumS zur Unterlage dienen solle. Man darf aus dieser Meldung mit der Münchener „Allgem. Ztg." Wohl schließen, daß an den Cultusminister vr. Bosse in Bezug auf die polnische Sprachenfrage von einflußreicher Seite — von welcher, wollen wir nicht untersuchen — An forderungen gestellt worden sind, denen Herr Bosse nicht auf eigene Verantwortlichkeit entsprechen mag, sondern für die er Deckung bei der Gesammtheit seiner Kollegen sucht. Damit wird Graf Caprivi endlich Gelegenbcit erhalten, seine polnische Politik im preußischen Staatsministerium zu vertreten, was bis jetzt noch nicht der Fall gewesen zu sein scheint. Darüber wird ersich hoffentlich nicht läufcke», daß dieFührer der national- polnischen Bewegung mit dem Zugeständniß bloßer Lcseübungen sich nicht abspeisen lassen, daß sie vielmehr durch derartige Zugeständnisse sich angetrieben fühlen werden, nicht eher zu ruhen, als bis die Volksschule polnisch geworden ist. Ein Blatt, daS noch nicht einmal zu den radikalsten Polenblättern gehört, der „Kur. Pozn.", schrieb dieser Tage höhnisch: „Die preußischen Herren sind nicht ewig! Es genügt ein einziger Wink, und sie gehen ins Reich der Schatten, auS dem es für sie keine Rückkehr mehr giebt. Nur ein kaiserliches: 8io volo, und Herr Bosse wird dahin gehen, wohin Falk und Goßler gegangen sind." Noch eindringlicher mahnen die Vorgänge in Ober sch! esie», die nationalpolnische Bewegung nickt zu leicht zu nehmen. Dort geht die von der katholischen Geistlichkeit be stellte Frucht jetzt auf, und wie die Ernte sein wird, darüber kann ein Zweifel nicht bestehen. Als im Jahre 1886 das Gesetz, betr. die Dienstverhältnisse der Lehrer und Lehrerinnen in Posen, Wcstpreußen und in dem Regierungsbezirke Oppeln berathen wurde, hatte ein warmer patriotischer Appell des oberschlesischen Abg. Nadbyl die Wirkung, daß die Ausdehnung des Gesetzes auf den schlesischen Regierungs bezirk abgelehnt wurde. Heute wird geplant, diesen Ab- georgneten bei den nächsten Landtagswahlen nicht wieder als Candidaten aufzustellen. Er soll durch einen Mann der schärferen polnischen Tonart ersetzt werden, die in Oberschlesien durch den früheren Major Szumla vertreten wird. Auch die Erfahrungen, die man f r ü h e r mit den Versuchen gemacht bat, durch Zugeständnisse die Polen mit dem Anschluß an Preußen und Deutschland zu versöhnen, predigen auf das Eindringlichste die Mahnung, von neuen derartigen Versuchen abzustehen. Die „Magdeb. Ztg." er innert an jene Versuche in einem Leitartikel, der folgender maßen schließt: „Gleich nach dem Regierungsantritt Friedrich Wil helms IV. wurde die verständige Politik, die durch die Namen Flottwell-Grolmann zur Genüge gekenn zeichnet wird, verlassen und eine Vcrsöhnungspolitik ein geschlagen, die in der famosen „Reorganisation" der Provinz Posen, zu deren Durchführung sich General v. Willisen hergab, ihren Abschluß gefunden hätte, wenn nicht die dann ausbrechende Revolution den ganzen Spuk weggeblasen hätte. Seitdem haben wir zwar keine Aufstandsbewegung unserer Polen mehr zu verzeichnen ge habt, und es scheint auch, als ob nach der blutigen Nieder werfung des Aufstandes in Russisch-Polen den Polen die Lust vergangen und die Hoffnung genommen worden wäre, auS eigener Kraft das selbstständige Polenreich wieder aufzu- rickten, daS durch eigene Sckuld im vorigen Jahrhundert zerfallen ist. Aber die Sclbstständigkeilsbewegungen sind damit nicht erstickt, sie sind in den letzten Jahren zumal immer kräftiger und selbstbewußter hervor getreten und haben auch schon oerrathen, auf welche Weise man jetzt den Traum der Väter zu ver wirklichen hofft. ES ist der Weltkrieg, der Krieg gegen Rußland, der daS Polenrcich wieder aufrichten soll, und die Hoffnung auf diesen Krieg wird nicht zuletzt mit auf die Haltung der polnischen Abgeordneten in der Militairfrage entscheidend gewesen sein. Wir haben keine Veranlassung, diese Träumereien und Hoffnungen zu unterstützen. Wir wünschen keinen Krieg mit Rußland und würden in einem neuen Polcnreiche schon wegen unserer eigenen Provinzen mit polnischer Be völkerung einen gefährlicheren Nachbar erhalten, als es das große russische Reich uns bisher gewesen ist. Die Politik, die wir in unseren östlichen Provinzen zu be folgen haben, kann daher keine andere sein, als in den übrigen Provinzen. Ein Staatsmann, der andere Wege einschlagen wollte, würde durck die Entwickelung der Dinge selbst bald zur Unikehr gezwungen werden." Von den zahlreichen Gewerkschaftskongressen, die in mehr oder minder inniger Verbindung mit dem inter nationalen Locialistcnconnrrst i» Zürich abgehalten werden, verdient der der Eisenbahnarbeiter besondere Beach tung; er ist der erste seiner Art und zeichnet sich auch da durch aus, daß Deutschland zum großen Leidwesen der Socialdemokraten keinen Vertreter entsendet. Die Versuche, die Eisenbahnarbeiter in Deutschland für die socialdemokratische Sache zu gewinnen, sind gescheitert, obgleich vor mehreren Jahren eine ganze Anzabl Versammlungen stattgefundcn und namentlich ein Äixdorser Genosse sich alle erdenkliche Mühe gegeben hat, der socialdemokratischen Organisation einen Verband der Eisenbabnarbeitcr zuzusügen. Auf diesem internationalen Eisenbahnarbeitercongrcß werden der große englische Ver band, der Fachvercin der Verkehrsbedicnsteten Oesterreichs in Wien, der mailändische Verband, die große französische Vereinigung, der schweizerische Locomotivsührer-Vcrein in Zürich und andere schweizerische Organisationen vertreten sein. Im Allgemeinen klingt die Tagesordnung sehr barmlos, aber daß es sich hier ebenso wie aus den anderen Gewerk- schaftScongresscn um Förderung der socialdcmokratischen Sacke, um den Ausbau der internationalen Beziehungen zum Zweck gegenseitiger Unterstützungen bei Streiks und anderen Maß regeln zur Erzwingung von Lohnerhöhungen handelt, ist klar. Ohne die deutschen Eisenbahnarbeiter können die Macher des Congresses nichts Rechtes anfangen und deshalb ergehen sich die Socialdemokraten in den schwersten Anklagen gegen den preußischen Eiscnbahnminister Thielen, dem oorgeworfen wird, er allein habe es verschuldet, daß das Land der Socialresorm auf diesem Congresse unvertreten sei. Nun, Herr Thielen hat verhindert, daß die socialdemokratischen Agitatoren die Eisenbahnarbeitcr in ihren Netzen sangen konnten, und das ist kein kleines Verdienst des angegriffenen Ministers. Daß Tirol eins der festesten Bollwerke des Ultramontanismus ist, hat sich erst dieser Tage wieder in einer Weise erwiesen, an der die römische Klerisei ihre belle Freude gehabt haben muß. Zu Ende des vorigen Monats erschien kurz vor dessen Schließung im Tiroler Landtage der streitbare Fürstbischof Balussi von Trient, was immer ein Zeichen ist, daß es einen harten Strauß gegen die Widersacher des katholischen Klerus auS- zufechtcn gilt. Auf der Tagesordnung der betreffenden Sitzung stand als wichtigster Gegenstand der ganzen Session der Entwurf der Einführung einer ErbichaftSsleuer für den LandeSschulfonds. Die vom Budgetausschusse mit Stimmenmehrheit angenommene Bestimmung über die Heranziehung der Stiftungen und Klöster zu einem ent sprechenden Beitrage für diese Steuer fand nicht Gnade im klerikalen Club. 'Da es aber dennoch zweifelhaft war, ob die Vertreter der Bauern sich herbeilassen würden, die reichen Klöster und Stisungen von dieser Steucr- pflicht zu entbinden, mußte der Bischof von Trient zu Hilse eiten, und seine Mission hatte auch den gewünschten Erfolg. Die Bauern stimmten mit einer einzigen Ausnahme mit dem Bischof, und der AuSschuß- antrag, für den nur die Liberalen geschlossen stimni'lcn, fiel durch. Ein hochgestellter und sachkundiger Herr thal den Ausspruch: So lange im Tiroler Landtage der KleruS herrscht und die Bauern beherrscht, bekommen wir kein Grundbuch Wer dieser Verhandlung über die Schul steuer beiwohnte, mußte wohl die Ueberzeugung gewinnen, daß dieser Herr mit seiner Meinung über den Tiroler Landtag vollkommen im Rechte sei. Wo das Interesse des Klerus im Spiele ist, wird nur das Gesetz, was er will. Er will aber daS Grundbuch nicht, damit die Capitalien der reichen Klöster und Pfründen nicht an das Tageslicht kommen, das Volk nicht erfahre, wo eigentlich wirklicher Reichthum im Lande zu finden ist. Der BudgetauSschuß beantragte, daß die im BolkSschulgesetze in Aussicht genommene Besteuerung der Bevölkerung in der Weise veribcilt werde, daß die Last in der allein gerechten Form der Progression die wenig Be mittelten schont und die Wohlhabenden entsprechend trifft. Das sollte doch allgemein und insbesondere den bäuerlichen Abgeordneten gerecht und billig erscheinen. Doch »ein! Der KleruS verlangt, daß das geistliche Bermögen von dieser Steuer befreit sein und diese nur von der Nisera coutridueus geus bezahlt werden muß, und der bäuerliche Vertreter sagt dazu Ja uuv Amen. Armes Volk von Tirol! Sehr betroffen soll, wie berichtet wird, der Papst durch die Nachrichten auS der Pariser Nuntiatur sein; Msgr. Ferrata macht angeblich nicht das geringste Hehl daraus, daß die Aussichten bei den bevorstehenden französischen P a r l a m e n t s w a b l e n für die Canvidaten des Vati kans, die auf den Wunsch Leo'S XIII. zur Republik be kehrten bisherigen Klerikalconscrvativen, die denkbar schlech testen sind; zwischen den treu gebliebenen Monarchisten, den alten Republikanern und den Socialrevolutionairen würden sie angeblich völlig zerrieben werden und der KlerikalsocialiSmuS des zur Republik bekehrten Grasen de Mnn dieses Ergebniß lediglich erleichtern. Bei der französischen Regierung selbst aber soll einiges Mißtrauen gegen jene republikanischen Neophyten und ihren vatikanischen Inspirator vor handen sein, und zwar deshalb, weil die Unterredung zwischen Kaiser Wilhelm II. und dem Papste in Paris genau bekannt ge wordenwäre; seitdem beschuldige manimPalaisElysse wie im Ministerium Dupuy Leo XIII. des diplomatischen Doppelspieles. Der Papst soll über diese Mittheilungen sehr bekümmert sein, am meisten aber darüber, daß es hin sichtlich seiner Reden und Handlungen im Batican kein Ge- bcimniß giebt und er also auch seiner nächsten und intimsten Umgebung nicht mehr das geringste Zutrauen schenken darf. Auf die Stellung deS französischen Botschafters Lesebre de Böhaine im Batican könnte übrigens der Zwischenfall viel leicht einen nachteiligen Einfluß auSüben. In einem am 2. August veröffentlichten offenen Schreiben sucht Gladstonc daS Verbleiben der 86 irischen Mitglieder im englischen Reichsparlament zu rechtfertigen. In diesem Schreiben, daS an den Vorsitzenden des liberalen Verein« von Midlotbian gerichtet ist, giebt Gladstone zu, daß dadurch gewisse Mißverhältnisse und Unbequemlich keiten entstehen dürsten, allein diese seien geringfügig im Vergleiche mit den großen Zwecken per Homerule- Vorlage, deren bauptsachlichster sei, die Zufriedenheit des irischen Volkes und ein vernünftige« Maß von Glückseligkeit und Gedeihen zu sichern. Nach einem Hinweis auf die Behauptung der Opposition, daß die irischen Abgeordneten sich zu Gebietern des Hause« der Gemeinen und Schiedsrichtern in britischen Angelegenheiten machen würden, erinnert Gladstonc an das große Manöver der Torypartei im Jahre 1885, das durch die den irischen Abgeordneten gemachten Verheißungen den Sturz der damalige» liberalen Regierung herbeiführte. Dieser in berPar- lauientsgcschickte Englands ohne Beispiel dastehende Zwischen fall zeige, daß die schlimmsten Folgen, die jetzt von der irischen Einmischung in eine politische Krisis befürchtet werde», unter den gegenwärtigen Verhältnissen eingetreten seien. Gladstonc drückt schließlich seine Ueberzeugung aus, daß unter den durch die Homernle-Borlage auferlegten Bedingungen die auS einer etwaigen ungehörigen Einmischung Irland« in britische Angelegenheiten entspringenden Besorg nisse innerhalb billiger, vielleicht enger Grenzen gehalten werden dürften. Ganz ohne Sorgen ist hiernach Herr Gladstone selbst nicht; um so weniger wird eS ihm gelingen, die Sorge» Anderer zu beschwichtigen. Tie Tonischen Kosaken erfreuen sich der ganz be sonderen Gunst des jetzigen Kaiser- von Rußland» wie sie auch bei dessen verstorbenem Vater gut angrschriebrn waren; galten sie doch bis in die neueste Zeit hinein als Muster von Loyalität, wenn auch gerüchtweise ab und zu verlautete, daß diese Loyalität nicht über allen Zweifel erhaben sei. Nu» steht gegenwärtig die ganze Kosakenansiedelung Krim- janSk im Tonischen Gebiete, deren Bevölkerung sich den behördlichen Anordnungen, das verseuchte Bieh zu tödten, widersetzt hat, in Eharkow vor Gericht, und was man darüber bört, ist leider nicht gerade geeignet, die Unterthanen- treue dieser donischcn Kosalrii als nachahmeoSwerth er scheinen zu lassen. Denn dauach haben die betreffenden Kosakerz sich in aller Form gegen die Regierung, die in Rußland bekanntlich mit dem Zaren identisch ist, aufgelehnt. E« ist daher fast verwunderlich und beweist wenigstens, mit welcher Nachsicht ihr Vorgehen an allerhöchster Stelle be trachtet wird, wenn aus ausdrücklichen Wunsch Kaiser Alexander's HI. die Aburtheilung der ungehor samen Kosaken nicht durch ein Kriegsgericht, sondern durch eine Gerichts kämm er erfolgen soll. AuS der An klageschrift erfährt inan erst, wie ernst die Kosaken- Unruhen in Kriwjansk waren. Alte und junge Kosaken, Frauen und Kinder hatten sich mit Waffen in der Haod der Vollziehung der gesundhcitöpolizeilichen Anordnung widersetzt. Die Ermahnungen des Generals Martynow, den behörd lichen Verfügungen zu gehorchen, wurden mit Hohn und Spott beantwortet, und als der Bezirks-Kosakenbetman, Generalmajor Grckow, die Auslieferung des verseuchten Viehes forderte, riefen die Tumultuanten: „Haut sie nieder, die Huiidessöhne!" Es war nur der großen Zurückhaltung deö commandircnden Generals zu verdanken, daß blutige Conslicte vermieden wurden. Und erst durch den kaiserlichen Ukas, daß die Kosaken sür die Keulung des verseuchten Viehes entschädigt werden sollen, sind die Unruhen beigelrgt worden. Aus alledem geht aber wieder einmal hervor, daß die Unzufriedenheit über die Mißwirthschast der russischen Be hörden immer weitere Kreise zieht, dergestalt, daß sogar die Feuillrtsn. In des Reiches Ostmark. bs Roman von B. W. Zell. Nachdruck «erdeten. (Fortsetzung.) George sprang auf. „Chimäre! Und das sagen Sie, Herr Graf?" Ernst neigte dieser das Haupt. „DaS sage ich, mein Freund, möchte es auS meinem Munde größeren Eindruck auf Sie machen! Ein geeinigtes souveraineS Polenreich wird nicht mehr erstehen, es müßten denn Wcltgeschickc wie Federbälle durcheinander geworfen werden und mächtige Reiche wie Seifenblasen zerspringen. Daß das in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist, werden Sie zugeben müssen." George schwieg. „Und so kann ich denn Ihnen nur wiederholen", fuhr PodbielSki fort, „was ich meinem Sohne so oft gesagt habe: „Da Du unserem Volke nicht mehr nützen kannst, nütze der ganzen Menschheit!" Wie aber könnten Sie das bester, mein junger Freund, indem Sie zu den Höhen der Wissenschaft cmporklimmen und die Errungenschaften des Geistes zum Gemeingut der Völker machen?" „Ihre Ideen sind groß und edel", sagte Malkicwicz warm, „und Sie weisen mir ein hohes Ziel. Aber ick bin nun ein mal Pole mit Leib und Seele. Herr Graf. Ich möchte so gern meinen Landsleuten, meinem engeren Vaterlande nützen. Die Hoffnungen auf eine einstige Wiederaufrichtung Polens betrachte auch ich als wesenlose Träume, aber wie viele sind berauscht, begeistert von diesem Traum!" „So thun uns klare, nüchterne Köpfe um so mehr noth, die all dem auswirbelnden Schaum und Gischt einen festen Damm entgegensetzen", entgegnete PodbielSki unbeirrt. „Sie wollen Ihren Landsleuten nützen; o, mein Freund, wie viel bleibt da noch zu thun, auch ohne daß Sie Ihr Blut auf dem Schlachtfelde verspritzen! Verbreiten Eie Aufklärung unter den dumpf und stumpf dabinlebenden Masten deS niederen Volks, lehren Sie eS die Forderungen unserer Zeit verstehen, pflegen Sie die Keime des sittlich Guten und steuern Sie dem Laster; welch einen großen Wirkungskreis werden Sie da im engsten Laterlande, auf der Scholle Ihrer Heimath finden! Glauben Sie mir, meine Herren, diese hohe Ausgabe so lange verkannt, grollend mit unabänderlichen staatlichen Zuständen zwanzig Jahre thatenlos im Auölandc gelebt zu haben, ist ein schwerer Vorwurf, den ich mir mache, und ich will meine ganze Kraft daran setzen, daS Versäumte noch jetzt nachzuholen." Konstantin Breski war der Unterredung zwischen Pod- bielski und Malkiewicz über die Aufgabe der Jugend Polens bisher schweigend, aber mit vollster Antheilnahme gefolgt. Jetzt ergriff er das Wort. Die letzte Aeußerung des Grasen über seine unnütze, grollende, freiwillige Verbannung tactvoll übergehend, knüpfte er an das vorher Gesagte an, und es leuchtete ein Strahl edler Begeisterung auf seinem geistvollen Antlitz, als er nun mit dem Ton innerster Ueberzeugung sagte: „Ich würde kaum wagen, Herr v. Malkiewicz, auch ein Wort in so wichtiger Angelegenheit in die Waagschale zu werfe», denn ich bin nur wenige Jahre älter als Sie und an Lebcns- ersahrnna gewiß nicht reicher. Aber Sie haben vorher auch meinen Rath, meine Ansicht gefordert; cs ist also Pflicht, meine Gedanken auszusprechen. Kann cs denn für Sic noch eine Wahl, einen Zweifel geben? Auf welchem Gebiet, in welcher Laufbahn winkt Ihnen Alles, was Sie erstreben, mehr als im Priesterstand? Ja, werden Sie Geistlicher, Herr v. Malkiewicz! Nur als solcher können Sie eindringlich aus die Masse des Volks wirken, es veredeln, erziehen — nur als solcher können Sie darauf hoffen, einst auch Ihren Ehrgeiz zu befriedigen, denn welche Stufenleiter der Macht giebt es da zu erklimmen! Auch muß hochstrcbcnde Gemüther, wie daS Ihrige, der Gedanke reizen, welch zwingende Gewalt Ihnen als Priester über die stumpfen, urthcilSlosen Masten des Volkes gegeben ist. Keine andere Consession giebt dem Klerus so unbedingte Macht über die Geister, als unsere herrliche katholische Kirche, und ganz besonders ist das hier in unseren Gegenden der Fall, die ab geschlossen von den große» Heerstraßen liegen, und die das Gift einer dem niederen Volke schädlichen Aufklärung noch nicht durchgetränlt hat. Hier ist der Priester noch daS Orakel, der fühlbare Gott deS Volkes, wie könnten Sie Größeres wirken, denn als solcher?" George Malkiewicz hatte die großen, klaren Augen fest aus den begeisterten Sprecher geheftet und öffnete die Lippen zu einer Entgegnung, als der Graf ihm lebhaft zuvorkam. „Hochwürden, ich ehre gewiß den Priesterstand, und seine berufensten Vertreter waren meine besten Freunde. Und doch habe ich ihnen Allen eins nicht verzeihen können Sie haben Recht, hier in unseren Landen ist der Priester noch ein Gott, War e« seit Jahrhunderten. Was aber haben alle^iese Götter dem Volke genützt? Haben sie eS emporgezogen zu sich, es gottähnlicher gemacht, seinen Geist veredelt, sein Wissen er weitert? Nein, das haben sie nicht! Im Gcgentheil. Die Macht deS starren Glaubens ward von jeher nur dazu benutzt, die großen Massen in ihrer Dummheit und Stumpfheit zu erhalten, damit man sie im gebebrncn Falle willig lenken und brauchen könne, wie es eben im Interesse der Führer lag. Und diese haben nie bedacht, daß der selbstbewußte Wille eines Volkes tausendfach höher gilt, unendlich Größeres erreicht, als stumpfer, sinnloser Gehorsam." Der Vicar war blaß geworden. „Herr Gras, die Priester sind nur Werkzeuge einer höheren Macht, sie baden dem Haupte, dem Geistessürsten unserer Kirche zu folgen. Und wenn diese Häupter sür gut fanden, daö Volk Jahrhunderte lang in dieser Abhängigkeit, diesem blinden Gehorsam zu erhalten, so werden sie in ihrer Weis heit erkannt haben, daß das allein dem Volke heilsam, daß es nur so im Stande ist,D»itzuwirken bei Erreichung der großen Ziele, welche die Träger und Führer unseres Glaubens noch stets angcstrebt, wenn wir Uneingeweihte dieselben auch nicht immer erkannten." Ein spöttisches Läckeln umspielte deS Grafen Lippen, und er zuckle bedeutungsvoll die Achseln, als wolle er damit sagen: WaS Hilst das Streiten bei euch Fanatikern deS Glaubens!" Malkicwicz aber nahm laut und fest das Wort: „Ich danke Ew. Hochwürden für die freundliche Antheil- nahme, bekenne mich aber durchaus zu der Meinung des Herrn Grafen. Ich will nicht passiv, in blindem, unbegriffenem Geborsam wirken, sondern mit klarem, selbstthätigem Geist, in freiem Wolle» und Können. Aber auch in anderer Hinsicht taugte ich schlecht zum Priester; wer eS ehrlich mit diesem Berus meint, sein Gelübde streng erfüllen will, muß ein ent sagender Heiliger sein, dazu bin ich nickt geschaffen. Ich will mein Leben ernster Thätigkeit und hohen Zielen Weibe», aber ich will eS auch für mich voll auSleben, alle seine Freuden — auch die der Familie, Hochwürden! — kosten. Sic sehen also, daß ich nicht Priester werden kann." DeS jungen GcistliaM eben nock so belebte Züge schienen sich versteint zu haben, als er jetzt leise, mit einem nach innen gerichteten Blick erwiderte: „Was wäre ein Berns, der nickt Opfer erforderte! Sie wissen nickt, welch ein Reiz im Entsagen liegt." „Für Schwärmer, sür Asketen — ja. Hochwürden. Nickt aber sür gewöhnliche Menschenkinder, zu denen ich gehöre", entgegnete Malkiewicz, und daS Gespräch drohte eine peinliche Wendung zu nehmen, als die alterthiimliche Kaminuhr mit langsamcn, hallenden Schlägen die fünfte Stunde verkündete. Der Vicar fuhr mit leichtem Erschrecken auf. „Fünf Uhr — wie die Zeit dahingeht. Ich habe eine Amtshandlung — Herr Gras gestatten also Wohl, daß ich mich eiligst entferne?" Dieser erhob sich freundlich. „Wenn die Pflicht ruft, müssen Wünsche schweigen. Es war mir eine wirkliche Freude, Sie kennen zu lernen, und ich hoffe, Sie recht bald wieder zu sehen." Konstantin BreSki versprach es mit Wort und Handschlag, reichte auch George zu kräftigem Druck die Hand und ent fernte sich dann eilig. „Eine sympathische Persönlichkeit und jedenfalls kein un bedeutender Mensch", sagte PodbielSki, als sie Beide allein waren. „AuS solchem Holze schnitzte man einst Märtyrer — gut, daß unsere Zeit sie nicht mehr braucht!" „Glaubensmärtyrer freilich nicht mehr, Herr Grqf, im klebrigen aber zeitigt doch gerade die Gegenwart das Martyrium mehr als je. Das Eintreten sür jede hohe Idee bedingt ein solches — aber ich will mich nicht in Allgemeinheiten verlieren, wo mir noch so viel Persönliches auf dem Herzen liegt und ich Ihre Zeit und Geduld nicht über Gebühr in Anspruch nehmen möchte. Ich habe Ihnen von Wladimir zu sprechen." Der Graf athmete auf. „Ich dachte eS mir", sagte er ernst. „Es bedarf der Umschweife nicht. Ihr Sohn theilte mir mit, daß er Sie in seine Pläne eingeweiht habe, ohne auf Ihre Zustimmung zu hoffen, und fordert mich auf, mich ihm anzuschlicßen. Nun, Herr Graf, da Sie einen offenen Kampf gegen Willkür und Uebermacht für zwecklos halten, wie denken «ie über den versteckten, geheimen? Auch er kann zum Ziele führen, und wir kälnpseu da nicht für Polen allein, sondern für die ganze Menschheit, für alle Elenden und Unterdrückten. Das ist ja wohl daS Ziel, welches Sie mir zeigten2" Ein unsäglich bitterer Zug hatte sich über deS Grafen Gesicht gelagert. Er stand auf, trat zum Gaste und legte väterlich seine Hand auf dessen Schulter. „Mein lieber, junger Freund — wa« Sie zuletzt auSsprachen, kann Ihr Ernst nickt sein. Sic haben nock alle Dinge, die wir im Laufe der Unterredung berührten, so verständig und klar beurthcilt, kaß Ihnen ein Zweifel über meine Meinung in der letzten Frage nicht kommen kann, denn Sie müssen mich erkannt haben, wie ich Sie. Heimlicher Kampf — Minirarbeit nennt'- mein Sohn — Nihilismus — da« ist'«
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