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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.08.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-08-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18930808022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893080802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893080802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1893
- Monat1893-08
- Tag1893-08-08
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Größere Schriften laut unserem Preis verzeichnis Tabellarischer und Zifferusatz nach höherem Tarif. Extra-vetlagon (gefalzt), »nr mit der Morgen-Sutgabe, ohne Postbeförderung SO.—, mit Postbeförderuug 70.—. Inaahmeschluß für Anzeigen: «brnd-Aulgabe: vormittag« 10 Uhr. Morgeu-AuSgabe: Nachmittag« 4 Uhr. tzoun- und Festtag« früh '/,9 Uhr. vei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. ^ Anzeige«» sind stet« an die Expedition zu richten. Druck and Verlag von L. Pol» kn Leipzig. Dienstag den 8. August 1893. 87. Jahrgang. Amtliche Bekanntmachungen. Steckbrief. Gegen den unten beschriebenen Versicherungsagenten Gustav Herrmanns, geboren zu Grunewald bei Cleve am 9. Tecember 1859, zuletzt in Leipzig wohnhaft gewesen, welcher flüchtig ist. ist die Untersuchungshaft wegen Untreue verhängt. Es wird ersucht, denselben zu verhaften, in daS nächste Gerichts- gesängniß abzuliefern und zu den diesseitigen Acten VII. LI. 45/93 Nachricht zu gcben. o--— Magdeburg, den 4. August 1893. Der Erste Staatsanwalt. Beschreibung: Alter: 33 Jahre. Statur: kräftig. Größe: Iw72cm. Haare: blond. Stirn: hoch. Bart: blonder Schnurrbart. Augenbrauen: blond. Nase: gebogen. Kinn: rund. Gesicht: länglich, voll. Ge- sichtSfarbe: gesund. Sprache: deutsch. Kleidung: hellgrauer Pelerinenmaatel, hellgrauer Jacketanzug, grauer weicher Filzhut. Politische Tagesschas. * Leipzig. 8. August. In Frankfurt a. M. beginnen heute unter dem Vorsitz des StaatSsecretairS des Reichsschatzamtes die Berathungen der Finanzminister der Bundesstaaten über die Reform der RrichS- finanzcn. DaS Ergebniß dieser Beratungen wird zweifellos so lange geheim bleiben, bis die Bundesregierungen Stellung dazu genommen haben. ES hat daher auch keinen Zweck, sich in Vermuthungen über die Anträge zu ergehen, die jeden falls nicht von dem preußischen Finanzminister allein werden eingebracht werden; aber volle Berechtigung hat der Wunsch, daß cS gelingen möge, nicht nur über die Herstellung eines festen Verhältnisses zwischen den Finanzen des Reiches und derBundeSstaaten, sondern auch über einen Modus zur Tilgung der Reichsschuld sich zu einigen. Auch das muß hervorgehoben werden, daß man im Publicum von vornherein aus eine gewisse Ent täuschung in Bezug auf die Steuerquellen sich gefaßt machen muß, die zu den genannten Zwecken werden eröffnet werden. Manche neue Steuer ist in einem Tbeile des Reiches möglich und wünschenswert, in einem anderen dagegen un möglich oder doch wenigstens von Nachtheil und mutz daher au- der Berathung der Finanzminister auSscheidcn. DaS dürfte z. B. mit der in letzter Stunde vorgeschlagenen Wein st euer der Fall sein, die in Süddeutschland den schärfsten Widerspruch finden würde. So schreiben die „Münch. Neuest. Nachr.": „Wenn die Lsficiösc» auf die Weinsteuer noch nicht früher ve» fallen sind, so muß es besondere Gründe sür diese Zurück haltung geben, und in der Thal sind diese nicht schwer zu finden. Sie liegen einmal in dem voraussichtlich nur geringen Ertrage, den diese Steuer, selbst bei „ergiebigerer Ausgestaltung" abwersen würde. Sodann in dem Umstande, daß die Ungleichartigkeit der Ver hältnisse eine einheitliche Besteuerung sür das Reich kaum möglich macht. AuS diesem Grunde ist auch nach dem Zollvereinsvertrag vom 8. Juli 1867 die Belastung des Weines durch innere Verbrauchssteuern der Landesgesetzgebung Vorbehalten geblieben; man hat nur Len Höchst- betrag der Staatssteuer festgesetzt mit 5 Thaler von der Ohm, wenn di« Abgabe noch dem Werthe, und mit 2 Thaler 23V, Groschen, wenn sie ohne Rücksicht aus den Werth deS Weines erhoben wird. Aber von dem Rechte, den Wein mit Staatssteuern zu belasten, wird jetzt auch nur von Württemberg, Baden, Hessen und den Reichslanden Gebrauch gemacht. In Preußen ist die im Jahre 1819 eingeführte Productionssteuer im Jahre 1865 in Wegfall ge- kommen. Aber schon in den 30er Jahren klagte I. G. Hoff, mann, daß die Steuer für die Verwaltung lästig, ihre Erträge gering und starken Schwankungen unterworfen seien. Die Officiösen führen zur Begründung ihres Vorschlags wieder die „auSglcichende Gerechtigkeit" an. Es sei nicht richtig, daß der Wein, das Getränk der wohlhabenden Classen, steuerfrei ausgehe, während das Getränk der mittleren und unteren Classen, Vier und Branntwein, in der Regel sehr belastet seien. Steuerfrei ist der Wein nun auch jetzt nicht, und der von den wohlhabenden Classen getrunkene ausländische Wein unterliegt recht hohen Eingangszöllen. Es ist aber vor Allem nicht richtig, den Wein ohne Weiteres als Getränk der wohlhabenden Classen hinzu stellen. Wo ergebaut wird, da wird er von allenClassen getrunken, und nur eine stärkere Belastung des Weines könnte hier unerfreuliche Aendernngcn Hervorrufen. Sie sollte daher ebenso abgewicsen werden, wie eine stärkere Belastung des Bieres, denn beide Maßnahmen könnten nur dazu führen, das Umsich greifen der Branntweinpest noch mehr zu befördern." Fürst Bismarck hat bekanntlich in jüngster Zeit daS preußische Beamten«-»»» mehrfach einer sehr scharfen Kritik unterzogen. Das Gleiche thut jetzt, von ankeren Voraussetzungen ausgehend, einer der gründlichsten Kenner der Geschichte des preußischen Bcamtenkbums, Prof.Or.G. Sch moller in Berlin. Er hat kürzlich seine Vorlesungen sür Liesen Sommer mit einer Ansprache geschloffen, die mit seiner Zustimmung von der „Tägl. Rundschau" veröffentlicht wird. Er ist allerdings der Meinung, eS sei im Allgemeinen nicht wiinschcnSwcrth, daß die Aussprüche der Universitätslehrer in die Zeitungen kommen, glaubt aber in diesem besonderen Falle seine Erlaub- niß zur Veröffentlichung seiner Ansprache nicht versagen zu sollen, weil es sich in dieser nicht um eine Frage seiner Vor lesung, sondern um eine allgemeine Angelegenheit bandle. Seine höchst beherzigcnSwcrthe Mahnung lautet: „M. H.! Es bleibt mir noch übrig, den zabtreichen Herren, die bis heute meine Vorlesung mit so viel Fleiß und Aufmerksamkeit gehört haben, meinen Dank ausznsprcchen. ES versteht sich, daß ich diesen Tank nur ans Sie beschränke, nicht aus Die anSdehne, die das Semester über geschwänzt haben und heute nur erscheinen, um sich ein Testat geben zu lassen, mit dem sic später die EramenSbchörden täuschen wollen. M. H.! Ich bin damit weit entfernt. Jeden tadeln zu wollen, der Vorlesungen schwänzt. Vor Allem die älteren und fleißigen Leute, in denen ein lebendiger Wissenstrieb erwacht ist, die viel lesen, zu Hanse arbeiten, sie können oft ihre Zeit besser verwenden, als zuni Hören von Collegien. Was mich schmerzt, ist nur die That- sache, daß so viele Sludirendc zwei bis drei Jahre überhaupt nichts thnn, nichts lernen, als Bummel), und Faulenzen. Ich habe auch gar nichts dagegen, daß die Jugend sich mal anStobc, einige Tollheiten mache. Aber zwei dis drei Jahre in ccmtinuo nichts thnn, das wird sonst in der ganzen Welt keinem Erwachsenen gestattet, das kommt in keiner anderen Carriere vor; das hat in keinem Erzicbungssystem der Welt sonst einen Platz. Wer zwei bis drei Jahre nur faulenzt, Frühschoppen trinkt, Commcnt lernt, sich einem trägen Genuß- leben ergiebt, der mutz körperlich und geistig zu Grunde gehen. AuS dem kann nur ausnahmsweise später noch etwas werden. Nun kann man sagen, eS sind ja nur einige! Und gottlob giebt es viele bessere Elemente. Ich klage auch keines wegs, ich habe nie zu klagen gehabt über leere Auditorien; von 2—300 sind fast stets über die Hälfte, oft aber zwei Drittel vorhanden, und das ist lange genügend, um mit Freude und Genuß zu docircn. Aber der Procentsatz der Faulenzer ist doch zu groß. Er macht mir Kummer, nicht wegen meiner, sondern weil ich an die Zukunft denke, weil ich mich frage, ob unser Beamtenstand den großen schweren Aufgaben gewachsen sein wird, denen wir entgegen gehen, ob er überhaupt in Charakter, Bildung und Wissen nicht zurückgeht. Und für diese Fragen ist das Entscheidende, was der Student auf der Universität getrieben und gelernt hat. Wir dürfen nicht so viele Referendare, Assessoren, Richter, Landräthe und Ge heime Räthc haben, die nichts auf der Universität gelernt haben, als die Äußerlichkeiten und Genüsse des Studentenlebens. Unsere besitzenden und gebildeten Classen sägen den Ast ab, aus dem sie sitzen, wenn sie einem Drittel ihrer Söhne Derartiges gestatten. Meine Herren! Ich vermisse diese Art ferner nicht m meinem Colleg, ich fühle mich in viel besserer Ge sellschaft, wenn sie nicht da sind. Aber die Zukunft des Vaterlandes macht mir Sorge. Unter den Fehlern aristokratischer Gesellschaftsklassen stehen stets die frivolen Ausschreitungen der Heranwachsende» Generation, die vollends in materialistischer Zeit nur genießen, Patent und schneidig austrcten und nichts arbeiten will, in erster Linie. Nicht- erbittert mehr, als ein solches Treiben. Ost hat cS in der Geschichte den Anlaß zu Umwälzungen gegeben. Nicht also um die harmlose Frage, ob der Student einmal mehr oder weniger schwänze, bandelt es sich, sondern um das geistige und sittliche Niveau unserer Beamten, unserer Lehrer, unserer führenden Kreise überhaupt, um die Zukunft deS preußischen und des deutschen Staates. Und weil mir die am Herzen liegt, habe ich mir gestaltet, Ihnen gegenüber zum Schlüsse mein Herz auszuschüttcn. Die Studenten sollen wenigstens wissen, daß es unter den aka demischen Lehrern welche, wahrscheinlich sehr viele giebt, die dieser Frage nicht gleichgiltig gegenüber stehen." Ten Veranstaltern der Hrrmannstädtcr Rumäncn- confcrcnz hat einer ihrer Landsleute, Gregor Moldova», in einer dieser Tage unter dem Titel: „Politischer Schwindel" erschienenen Broschüre gründlich heinigeleuchtet. Moldova« hat das ganze Lügengewebe, in welches sich der „große rumänische Patriot" Äatiu und Genossen eingesponnen, mit kühnem Griff zerrissen, die Beschwerdepuncle ihres Memorandums und besonders die bloS auf die Irre führung des Auslandes berechnete Denkschrift der rumänischen Studenten, die sich in haarsträubenden Klagen über die „magyarische Tyrannei" ergeht, durch Anführung unwiderleglicher Thatsachen auf ihren wahren Werth zurück- gcsührt, nicht minder auch die Bukarester „Cultur- liga", welche die Hermannstädter „Tribuna"-Heldcn wie Marionetten handhabt, in ihrer ganzen irredentistischcn Ver- bctzungsthätigkeit mit photographischer Treue geschildert. Die angebliche Unterdrückung der siebenbürgischen Rumänen kann in der Thal kaum drastischer illuslrirt werden, als dadurch, daß letztere unter dem Schutze der ungarischen Verfassung eine Monstre-Versammlung abhalten, gegen die ungarische Staatsgewalt nach Herzcnsbcdürfniß zu Felde ziehen und einen Bund mit den Slowaken eingehcn konnten, dessen einaeslandener Zweck in erster Linie der ist, den ungarischen Staat als solchen i» die Luft zu sprengen. Die Proclamirung der slawischen Allianz dürfte Herrn Ratiu und Genossen vielleicht noch theucr zu stehen kommen. Ratiu will, wie schon gemeldet, die 10 Mill. Rumänen und Slawen Ungarns gegen die Hegemonie der 6 Millionen Magyaren auSspiclen, sich ferner mit den Jung- crechen verbünden und mit ihrer Hilfe 22 Millionen Slawen und Rumänen aus die Dreibundpolitik der Monarchie loslasscn; denn die Sprengung des Dreibundes ist das Ziel der slawisch-rumänischen Allianz, und zu diesem Zweck muß die Herrschaft der verhaßten Magyaren, dieser verläß lichsten Stützen des Dreibundes in der Habsburger Monarchie, vorder gestürzt werden. Im Deutschen Reich hat man durch Ratiu jedenfalls Gelegenheit erhallen, die Beweggründe besser als vordem würdigen zu können, welche die unga rische Negierung gebieterisch davon zurückhaltcn müssen, sich mit Politikern vom Schlag eines Ratiu einzulasscn. Solchen Elementen gegenüber, deren Großmannssucht an Slaatsgefährlichkcit grenzt, weil sie in ihrer Verblendung gegen die sicherste Stutze des europäischen Friedens, den Drei bund, conspiriren, ist nur die größte Wachsamkeit und wo eS Nolh thut, die nachdrücklichste Gegenwehr am Platze. So lange aber die Numänicr sich von dem hypnotisirenden Ein flüße ihrer jetzigen Führer nicht loSrcißen, kann nach dem llrtheil sachkundiger Beurtheilcr der politischen Lage Ungarns von einem Ausgleich mit ihnen keine Rede sein. Tie Franzosen — das muß ihnen der Neid lassen — verstehen cs, wenn auch nicht sich beliebt zu machen, so doch daS Recht des Stärkeren erfolgreich auszunutzen. Von dieser erprobten Energie der Franzosen wird Europa bald genug einen neuen Beweis in Tunis haben, indem Frankreich hier einen neuen Hafen eröffnen wird, der sehr wahrscheinlich einer der größten Mittelpunkte der Schifffahrt werden wird. Die Ausbeutung der natürlichen Bortheile deS Hafens und deS Sees von Biscrta, um den e« sich hier dreht, ist — wie Tercnce Bourke in der „Pall Mall Gazette" schreibt — ein Ereigniß, daS einen höchst wich tigen Einfluß auf den Handel zwischen Europa und dem Orient haben wird. Es sind nun drei Jahre her, daß die Arbeiten am Biscrta-Hafen begonnen wurden. Im Frühjahr 1895 werden sie vollendet sein. Doch schon im nächsten Jahre werden Schiffe den Hafen benutzen können. Derselbe liegt im Norden von Tunis, nahe bei dem Cap Blanco, dem nördlichsten Puncte deS afrikanischen Festlandes. Vielfach sind Befürchtungen ausgesprochen worden, daß Frankreich in Biserta ein Marinedepot errichten werde, welches die englische Suprematie auf dem Mittelmeer bedrohen könnte. Diese Be fürchtungen sind ohne Grund. Daß die Franzosen ein zweites Toujon im nördlichen Afrika zu errichten gedenken, ist sehr unwahrscheinlich. Biserta hat übrigens eine Ge schichte. Es wurde von den Phöniziern einige Jahre vor Carthago gestiftet und später unter dem Namen Hippo Zarytus eine römische Colonic. Während der byzan tinischen Periode war Biserta nicht bemcrkenSwcrth, obgleich eS ein Bischofssitz der afrikanischen Kirche war. Gleich den meisten Städten in Nord-Afrika siel es in die Hände der Araber, die jede Spur der römischen Stadt zerstörten und cs in eine Piratenhöhlc verwandelten. Die Venetiancr bvmbardirtcn eS verschiedene Male. Nicht viel wurde während der letzten hundert Jahre von dem Platze gehört. Vor 3 oder l Jahren jedoch fing man an, den Namen der Stadt wieder zu nennen. Es ist höchst wahrscheinlich, daß Biscrta die von ibm einst besessene Wichtigkeit wieder erlangen, ja möglicherweise übcrtreffen wird. Eine Eisenbahn ist im Bau begriffen, die im nächsten Frühjahr vollendet sein wird, indem cS dem nordafrikanischcn Eiscnbahnsyslem ein verleibt wird, das von Oran nach Tunis geht, und sür das Weitere wird Frankreich schon sorgen. Ter Schluß der norwegische» StorthingSsession hat selbstverständlich eine gewisse Beruhigung der Gcmüther und eine Abnahme der Heftigkeit des Kampfes herbeigeführt. Vollständige Waffenruhe ist jedoch keineswegs eingctrete». Es scheint vielmehr nach den in Stockholm einläufcnden Berichten, daß die beiden Parteien deS Lande- gerade die langandancrnde Zwischenzeit bis zum Wiederzusammen tritte deS Storthings nach Kräften für die Werbung neuer Anhänger auszunutzen entschlossen sind und sich angesichts der entscheidenden Bedeutung der gegenwärtig jchwebcndcn Fragen eine" Ruhepause nicht gönnen wollen, llcbereinstimmcnde Mittheilungen aus Nor wegen versichern, daß den Radicalen in der jetzigen Phase ihrer Agitation keine günstigen Aussichten winken. Wie schon einmal an dieser Stelle betont, hat das maßlose Auf treten der radicalen Führer in den letzten Wochen der StorthingSsession, ihr unverhülltcS Bestreben zur Zerreißung Fe«illetsn. In des Reiches Ostmark. 91 Roman von B. W. Zell. Nachdruck «erk-tni. (Fortsetzung.) Wladimir hatte ruhig, aber sehr bestimmt die Bitte seines Vater-, sich nicht weiter mehr an geheimen Umtrieben zu be theiligen, abgelchnt. In des Grafen Augen schimmerte es auf, er trat dicht vor den Sohn und legte seine Hand auf dessen Schulter. „Wladimir — Du bist mein einziger Sohn. Wer könnte cs besser mit Dir meinen, als Dein Later? Ich weiß, daß Dein Herz nie von zärtlicher Liebe zu mir erfüllt war, weiß, daß Du mir in den letzten Jahren ganz entfremdet worden bist. Vergebens frage ich mich, wie da- geschehen konnte, denn ich habe Dir stets di« echte, unerschöpfliche Liebe eines VaterS eutgegengetraaen. Und auch jetzt bitte ich Dich, verhärte Dein Herz nicht! Die Gefühllosigkeit von Deiner Seite kann nicht dauern, denn sie ist unnatürlich." Jetzt kam auch in Wladimir'« unbewegte- Gesicht Leben und Farbe. Die verschleierten, grunlick schimmernden Augen sprühten aus, und seine Stimme hatte plötzlich einen anderen, metallharten Klang, als er ausrief: „Unnatürlich — ja, ja, da- ist daS rechte Wort, und nicht ich sprach eS aus! Auch war ich eS nickt, der Unnatur in unser Verhältniß brachte — Du warst eS und Du allein!" Du — da war cS also, da- vertrauliche Du, da- der Graf so oft schmerzlich vermißt, und mit einer furchtbaren Beschuldigung zugleich ward es ihm von den Lippen des Sohnes entgegenaeschleudert. Sein Gesicht war bleich geworden, und ein leise« Zittern flog durch seine Gestalt, als er jetzt mühsam fragte: „Und wie begründest Du diese schwere Anklage?" „Durch eine einzige Gegenfrage, Papa — wo ist meine Mutter?" Der Graf taumelte förmlich zurück vor dieser völlig un erwarteten Frage, fassungslos, entsetzt starrte er den Sohn an. „Deine Mutter?" „Ja, sie, nach der ich mich gesehnt von Kindheit an, die meiner Jugend fehlte, wie ein belebender Sonnenschein den Pflanzen; ohne welchen sie nicht gedeihen können, sie, deren Schatten selbst ich leidenschaftlich liebte, und die ich verzweifelt als Tobte beweinte, während sie lebte — ist daS nicht Unnatur, einem Kinde die Mutter zu nehmen?" Wladimir hatte es leidenschaftlich, mit glühendem Antlitz und flammendem Blick hcrvorgestoßen. Graf A'aver bedeckte das Gesicht mit den Händen, wankte zu einem Stuhl und sank darauf nieder. „Was weißt Du von Deiner Mutter?" murmelte er dumpf. „Daß sie lebt." „Kennst Du ihren Aufenthalt?" „Nein." „Und sahst sie nie bisher?" „Niemals." Der Graf schien auszuathmen. Die Hände sanken vom Gesicht hernieder, fest blickte er den Sohn an. „Wer sagte Dir, daß sie nicht tobt?" „DaS ist nebensächlich. Genug, ich erfuhr cs und komme, um darüber Rechenschaft von Dir zu fordern. Ein bitteres Lächeln irrte um des Grasen Lippen. „Rechenschaft — der Sohn vom Vater! Aber sei cS! Sie, jene Frau — hatte das Recht verwirkt, meine Gattin zu heißen, sie konnte nicht mehr unter meinem Tacke leben." „Aber sie blieb meine Mutter." „Sollte ick auch den Sohn verlieren? Ihn einer Frau überlassen, deren Händen ich ihn mit gutem Gewissen nicht anvertrauen konnte? DaS kann Dein Ernst nicht sein. Ich ward arm und einsam ohne meine Schuld — sollte ich mich freiwillig auch meines Kindes, meine« einzigen Glückes be rauben?" Wladimir schien bewegt. „So hättest Du sie mir nicht ganz nehmen sollen", sagt er weich. „Sie zuweiien sehen dürfen, daS hätte ohne Schaden sür Deine Ehre und Dein verletztes Gefühl geschehen können." „Die Tinge liegen anders, als Tu glaubst, mein Sohn. ES wird Dich schmerzen und darf Dir zu meiner Rechtfertigung dock nicht verhehlt werden, daß Deine Mutter nie nach Dir verlangte, nie auch nur den Wunsch auSsprach, Dich zu sehen. Das Kind wäre ihr eine Last gewesen in dem Taumel des GenießenS, in den sie nach unserer Trennung versank, zudem war sie nicht allein." — Gras ikaver brach jah ab und erhob sich. „Es ili mir eine Pein, da- vor Dir zu erörtern", fügte er hastig hinzu. „Du wirst das begreifen, Wladimir, und auch das andere, Laß es daS Beste sür Dich war, ich ließ Dich in dem Glauben, Du habest keine Mutter mehr. In Wahrheit war sie Dir ja doch verloren." Jetzt war eS Wladimir, der daS Gesicht verhüllt hatte. Eine Weile tiefes Schweigen, dann murmelte er: „Weißt Tu, was aus ihr geworden?" „Ja. Jahre lang war sie der Stern aller Luxusbäder, die „interessante polnische Gräfin", über die man Romane schrieb und die selber ihre Romane lebte. Selbstverständlich durfte sie meinen Namen nicht führen. Später spielte sie am Hose zu Petersburg eine Rolle, fiel dann in Ungnade und ist seitdem verschollen — wenigstens erfuhr ich seit Jahren nichts mehr von ihr." „Vielleicht ist sie nun wirklich todt!", stöhnte Wladimir qualvoll auf. „Nein, denn sie erhebt nach wie vor ihre JabreSrentc bei meinem Londoner Banqier — und zwar stets persönlich. Ihren Aufenthaltsort umgiebl sie mit tiefem Geheimnis?, und ich habe keine Veranlassung, daran zu rühren. Und nun, mein Sohn, eine Bitte, eine große, dringende Bitte. Wirst Du sie mir erfüllen?" „Wenn ich kann — ja, Papa." „Willst Du mir Dein Wort gcben, nie nach deiner Mutter zu forschen? Glaube mir, cS ist am besten so, wie cS ist." Wladimir zögerte eine Minute, dann reichte er dem Vater mit offenem Blick die Hand dar. „Ich verspreche cS." „Dank, mein Sohn, für dies Zeichen wiederkehrenden Vertrauens. Nun dürften wir uns leicht auch über alles klebrige verständigen, für heute aber mag cS genug sein. Die Unterredung hat mich angegriffen, sagen wir uns gute Nacht. Magst Tu sanfte Ruhe finden im Laterhause nach so langer Abwesenheit." Er umarmte Wladimir, und herzlicher als bei der Ankunft am Bahnhof gab dieser jetzt die Uniarmung zurück. Lange noch, bevor Gras kaver sein Lager aussuckte, schritt er in schwerem Sinnen auf und nieder. Sein Sohn aber saß in seinem Zimmer, in den Anblick eines Bildes versunken, das er vor sich auf dem Tisch, vom hellsten Kerzenlicht be strahlt, stehen hatte. Es war dasselbe Bild, welches der Schloß- Herr vor wenig Wochen au- seinen Gemächern hatte entfernen lassen — ein Frauenportrait von seltener Schönheit. Roth- goldeneS Haar umfloß, frei von jedem Zwange, ein blumcnhaft zartes Gesicht, und unergründlich tief blickte ein Paar von langen schwarzen Wimpern verschleierter Augen dem Beschauer entgegen. Es waren Wladimir'S Haar und Wladimir'« Angen — er saß vor dem Bilde seiner Mutter. VI. Am Peter PanlStag war großes Fest in der Mariencapelle ru Czarnowo. Meilenweit in der Runde wurden an diesem Feiertage der polnischen Landbevölkerung in den katholischen Gotteshäusern nur Frühmessen abgehalten und darauf die Kirchen geschlossen, da die gesaminteGelstllchlcit sich nachCzarnowo begab, um Beichte zu hören. Meilenweit zogen auch in Scharen die Landleute in ihrem höchsten nationalen Festschmuck herbei, um den Segen ihrer Schutzheiligen, Sanct Peter und Paul, für die bevorstehende Ernte zu erflehen. Alle Muttergottes- und Heiligenbilder, sowie die zahllosen Capellchen an den Landstraßen waren voll rührender Sorgfalt mit reichen Feldblumengewindcn, mit grellen Papierblumen und Schleifen geschmückt worden und leuchteten weithin in diesem farbenprächtigen Fcstsckmuck. Zwischen den wogenden, der Sichel harrenden Feldern schritten die geputzten Kirchgänger mit ihre», festen, stetigen Tritt dabin, der auch nach meilcn- weitcm Wandern in glühender Julibitze keine Ermüdung ver- ricth. Vor jedem Heiligenbild am Wege ward da- Knie ge beugt und ein Kreuz geschlagen, oft auch ein längere- Gebet gesprochen. Die Mariencapelle zu Czarnowo, ein einfacher Holzbau, erhob sich auf einer kleinen Anhöhe, welche zugleich den Friedhof der Gemeinde bildete. Keinerlei Umfriedigung umgab denselben, und auf dem blumigen Rasen zwischen den Hügeln hatten sich jetzt Tausende von Gläubigen gelagert, welche in rer Capelle nicht mehr Raum gefunden. Frommer Gesang, hier und da übertönt von der Glocke de« MeßnerS, klang aus dem Gottes haus in den sonnigen Sommertag hinaus und bildete sozu- sagen eine harmonische Begleitung zu dem malerischen Bilde am Abhange. Die Gruppen waren in ewig wechselnder Bewegung. Sobald die Gläubigen im Innern des Kirchleins ihrer frommen Andacht genug gethan, traten sie heraus, um den Wartenden Raum zu gcben. So war vor dem Eingang ein stetes, heftiges, aber lautloses Gedränge, das weder die Andächtigen noch die Beichtenden in der Capelle störte. Und mit welch' gläubiger Inbrunst all' diese Leute beteten, wie sic stundenlang aus den Kniecn lagen und zerknirscht an ihre Brust schlugen, mit welch' schwärmerischer Innigkeit sie wieder und immer wieder die Füße des Heilandes, den eine altersgcschwärzte GipSfigur am Eingang der Kirche darstcllte, küßten, als nähme schon dieser Kuß allein einen Thcil der Cünvenlast von ihnen! Dann Beichte und Buße, und verklärten Angesichts traten die befreiten Sünder aus dem Gotteshaus, um da-Ende d«.
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