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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.08.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-08-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18930809028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893080902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893080902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1893
- Monat1893-08
- Tag1893-08-09
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Ille 920/93 — ersucht, sobald über den Verbleib des Cohn etwas ermittelt wird. Beschreibung. Religion: mosaisch, Alter: 21 Jahre, Grobe: Meter ca. 1,72, Haar: schwarz, ganz kurz geschnitten, Stirn: niedrig, Augen- brauen: schwarz, Augen: braun, Nase: dick und siumps, Mund: gewöhnlich mit ausgeworsencn Lippen, Bart: kleiner schwarzer Schnurrbart, Zähne: vollständig, Kinn: rund, Gcsichtsbildung: rund und voll, Gesichtsfarbe: brau» gebrannt, Gestalt: kräftig, Sprache: deutsch, Kleidung: schwarzer Cheviot-Jacket-Anzug, Helle Cravatte, hellbrauner Ueberzichcr, steifer Filzhul. Silberne Aacre-Remoutoiruhr mit goldener Keile Nr. 9515. Halle a/S., den 4. August 1893. Ter <-rste Staatsanwalt. Politische Tagesschau. * Lcipzig, 9. August. Am Sonntag schrieb der „Vorwärts" zur Ver herrlichung des Züricher „Arbritcrparlaniciltü" in einem Artikel, der, beitäusig bemerkt, in seinem geschmacklosen Byzantinismus an die Hymnen aus landeSväterliche Geburts tage in den kleinsten Blättchen dxr tlcinsten Staaten erinnert, Folgendes: „Hier sauf dem Socialislencoiigreß) das Menschheitsideal, Fortschritt, Glück nnd Freiheit für- alle, die leuchtende, lächelnde Zutunst, in der alle Menschen eine Familie sind, ein Volk von Brüdern und Schwestern, von Gleichen und Freien". Das war, wie gesagt, am Sonntag. Am Montag wurde auf demselben Congreß geprügelt. Diese Thatsache räumt sogar der „Vorwärts" ein, wenn er auch, wie eS einem Hofdlatt ge ziemt, die beschönigende Wendung gebraucht, eS seien „Tumul tuanten hinausgebracht" worden. Das vom Eongreß im Voraus entworlenc Familienbild muß also, wie die social demokratische Gesellschaft, in die „lächelnde", sonst aber sehr wenig scharf umrissene Zukunft verwiesen werden. Vorerst regiert an Stelle der „Freiheit für Alle" der Wille der Führer, und die Brüder (vielleicht auch Schwestern), die es an der wünschenSwerthen Loyalität fehlen lassen, werde» „hinausgebracht", nachdem, wenn auch nicht die Kanone» gesprochen, so doch die Fäuste „brüderliche Liebeöbeweise" gegeben haben. llltinm rntio ropium, der blutig ge schlagene deutsche Reichstags - Abgeordnete Ulrich hat Gelegenheit, die Auffassung, daß der Appell an die Wasten eine ausschließlich der capitalistische» Welt anhaftende Barbarei sei, cvmpressenauslegcnd zu berichtigen. Er wird sich aber auch sagen müssen, daß die Prügelei in der Züricher Tonhalle mindestens kein ärgerer Gewaltact war, als der Mehrheitsbeschluß, dem sie folgte. Man hat die Anarchisten und Unabhängigen als völlig fremdartige Elemente aus geschlossen, obwohl die Verwandtschaft klar zu Tage liegt und häufig anerkannt wird. Ja, noch in der allerletzten Zeit wurden in einem amtlichen Schriftstück der deutschen Social demokratie drei amerikanische Anarchisten — Leute, die sich selbst als solche bezeichnen — „Genossen" ge nannt. Und der Deutsche Bebel war der Führer der Mehr heit, die den Anarchisten und Unabhängigen das Reckt bestritt, an dem „Protetariercongreß" theilzunehmen. Herr Bebel bat sich dabei überdies i» Widerspruch mit einer offenkundigen Wahrheit gesetzt, als er bebauptele, die (deutschen) Unab hängigen seien nichts Anderes als Anarchisten. Erst vor wenigen Wochen haben die Berliner Unabhängigen einen scharfen Strich zwischen sich und den Anarchisten gezogen. Aber Anarchisten oder Unabhängige, selbst die Anarchisten hatten ein von der Brüsseler Vorconferenz ibnen zugesicherteS formelles Recht auf Zulassung, und ein ebenso starkes mora lisches gründet sich auf die zuni Ucbcrdruß wiederholte und gerade auch von Bebel in der letzten „großen" Socialistcn- debatte im Reichstag abgegebene Versicherung, die socialdemo- kratischc Partei sei eine „wissenschaftliche", in fortgesetzter Entwickelung und Umgestaltung ihres Wesens („Mauserung") begriffene Partei. Wie verträgt sich damit die Aechtung einer Richtung, die, vorausgceilt, an einem Puiictc augclangt ist, von dem die offiiellc Socialdemokratie doch nicht sagen kann, daß sie auf dem Wege ihrer „wissenschaftlichen" Weiter entwickelung niemals zu ihm gelangen werde? So gut sie das sunsl»itzwaii;ig Jahre lang als Palladium bochgehaltene eherne Lohngesetz über Bord geworfen, so gut kann sie das fallen lassen, was sie Keule von den Anarchisten trennt. Die Behandlung, welche dieselben in Zürich erfahren haben, paßt um so weniger zu dem von Bebel >m Reichstag entworfenen Selbstbildnis), als eS sich auf dem Eongreß, wenigstens formell, nur um eine taktische Frage gebandelt bat, nämlich um die Theil- nahme oder Nichttheilnahmc der Socialrevolutionaire an der Gesetzgebung der Staaten. Völlig gleicher Meinung ist man über diesen Punct auch in der svcialbemokratischen Ortho doxie nicht, ja nicht einmal in der Reichstagssractivn. Was Bebel mit seinem Antrag bezweckt bat, ist freilich klar. Man darf eine äußerliche Gemeinschaft mit den Anarchisten nicht unterhalten, weil deren unbequeme Aufrichtigkeit eine große Zahl der „Genossen" und alle „Mitläufer" vom socialdcmokratischen Banner fortscheuchen würde. Aus diesem Grunde wird der jüngere Bruder öffentlich verleugnet, er wird aber zugleich beschwichtigt, indem man — und zwar durch de» Mund desselben Herrn Bebel — in der Eröffnungsversammlung dem Bürgerthum (wir citiren nach dem „Vorwärts") zurusen ließ: „Wehe Euch, wenn der letzte Schlag fällt!" An dieser Verheißung können sich selbst die Manen eines Reinsdorfs genügen lasten. Von dem in einigen Wochen zusammentretenden Katho likentage war eine Beseitigung des Schismas erwartet worden, das im Eentrum während der Beratbnng der Mititair- vorlagc znin AuSbruche gekommen ist, dessen wahre Gründe jedoch auf ganz anderem Gebiete zu suchen sind. Bemühungen, die Kluft, die sich zwischen den drei Gruppirungen innerhalb der Partei aufgethan, zu überbrücken, sind auch jetzt noch im Gange. Die Aussichten aus einen Erfolg derselben aber haben sich merklich verschlechtert. Zwar ist eö gelungen, in Schlesien die frondistischc Bewegung zum Stillstand zu bringen oder wenig stens zu einem Waffenstillstand. Das Blatt der dortige» Fronte hat seinen Kamps gegen das führende Organ der Partei in der Reichshauptstatl eingestellt. Um so schlechter aber liegen die Dinge in dem westfälischen Rccrutirungsbezirk des Ultramontanismus, und die Blätter, die nach der Niederlage des Herrn v. Schvr- lemer bei den letzten ReichStazSwahlen bereits lriumphircnd ausgejubelt, müssen erkennen, daß sie zu früh triumphirt und zu wenig die zäke Art der Westfalen in Betracht gezogen batten. Mit der Begründung eines eigenen Blattes hat der Freiherr von Schorlemcr-Atst den Kamps mit der Lieber'schcn Richtung auch auf dem publicisnschen Gebiete ausgenommen, und der Briefwechsel mit dem Bischof von Münster, der in diesen Tagen durch die Veröffentlichung des Ant wortschreibens des Letzteren bekannt geworden ist, zeigt, daß er sich auch durck den gegenüber anderen Per sönlichkeiten stet« wirkungsvollen Terrorismus der Geist lichkeit nickt schrecken läßt. Unter diesen Uinstäiiden wird dem dicsjädrigen Katholikentage wieder eine größere Be deutung zufalleii, nur baß das Interesse jetzt in einer ander» Richtung liegt, als in früher» Jadren. Damals pflegte man aus dielen großen Paraden des streitbaren Ultramonta- nismus die Parolen für die folgenden parlamentarischen Cam pagnen zu erkalten. Diesmal werden die Verhandlungen den Gradmesser bilden für den Fortschritt des ZersetzungSpro- cesseS, in dem die Partei seit dem Ableben ihres alten General stabschefs sich befindet. Aus den bereits von unö wiedergcgcbcnen Depeschen aus Apia, wonach aus Samoa der längst erwartete Kampf mit dem Prätendenten Mataasa am 8. Juli erfolgt ist und mit dem Rückzüge des Unruhestifters nach der Insel Manonn ge endet hat, ist zweierlei hervorznheben. Gegen den ver triebenen Häuptling griffen zum ersten Male deutsche und englische Kriegsschiffe gemeinsam ein und cnlwaff- nclen sämmllichc Ansrnkrer. Die Cooperation der Kriegs schiffe ist von größter Bedeutung und wird aus die Samoancr und die dort wohnenden Fremden einen tiefen Eindruck machen. Hoffentlich betbätigt sich bas Zusammengehen der Ber- tragSmächte auch fernerhin, wodurch den bisherigen Wühle reien von gewisse» Seiten der Boden entzogen würde. Nicht ohne Bedeutung ist eS, daß Deutschland, welches, den thatsäch- lichen Verhältnisse» entsprechend, die gegebene Vormacht sein sollte, mit zwei Kriegsschiffen bctheiligt war; auch kann es nickt übersehen werde», daß, als eS zum Eingreifen kam, ein nordamerikaliischcs Kriegsschiff nicht anwesend war, obwohl die bevorstehenden Kämpfe schon seit Langem angckündigt waren. Man kann sich der Vermulhuiig nicht cntschlagcn, daß die Negierung von Washington sich mit der Beorderung eines Kriegsschiffes nach Apia nickt übereilt bat, um in den Augen der besiegten Partei nock immer das Ansehen als eine Art Schutzmach: zu erkalten. Nachdem ein Theil des kampf lustigen Jnselvolkcs entwaffnet ist, sollte man auch den anderen Tbcil noch entwaffnen und nur dem Könige zu äußerer Prunkenlsaltung eine bewaffnete Ehrenwache lassen. Wohin wir in der habsburgischen Monarchie unsere Blicke richten, überall sehen wir das Teutschtbum von den mit ihm zusammenlebenden andern Völkerschaften deS Kaiser- staalcs bedroht und zurllckgedrängt, selbst in LarideSlheilen, welche noch vor 20 bis 30 Jahren vorwiegend, wo nicht fast ausschließlich deutsch gewesen sind. So herrschte auch in der Jahresversammlung, die der slowenische Cyrill- und Ni et hob-Verein, der Mittelpunkt der südslawischen Agi tation mit dem Sitze in Laibach, dieser Tage adgehallen hat, großer Jubel über die bisher dem Deutschtbum gegcnüber crzieltcn Erfolge. Ter Verein besteht jetzt 8 Jahre und i» dieser Zeit ist seine Mitgliederzahl auf 12 000 angewacbscn. Ortsgruppen zählt er 123. Bisher hat er 60 000 fl. seinen Zwecken zugeführl. Sein Hauptaugenmerk richtet er auf die Slowcnisirung des BolkSschuluntcr- richtcS. Der Nachwuchs soll nickt deutsch lernen, damit in den slowenischen Gebieten keine Deutschen mehr ibr Fort kommen finden können und lauter slowenische Beanite angcstcllt werden müssen. Im Allgemeinen bat die slowenische 0 r „ d bevöl kerun g für diese Bestrebungen wenig Verstänkniß. Sie legt vielmehr auf die Erhaltung des deutschen Volkoschnl- nnlerrichtcs Werth. Wäre die StowcnisirungSbcweguiig lediglich aus den Eifer der Landbevölkerung angewiesen, so würde sie kaum nennenSwerthc Fortschritte macken. Allein die Geistlichkeit, die aus Antipathie gegen das liberale Dculschtbum es mit dessen Gegnern hält, verhilst der Bewegung durch ihren großen Einfluß und durch ihre rast lose Thätigkeit von Erfolg zu Erfolg. In den Orts gruppe» des Cyrill- und Method-Vercins, in den katholisch- politischen Vereinen, in den meisten deutschfeindlichen Zeilungsredactionen, überall leiten Geistliche die slowenische Agitation. Sie bringen das slowenische Landvolk dazu, daß es um slowenischen Unterricht einschreitet. Es wird ihnen aller dings nicht leickt, die vom Gesetz geforderte Zakl von Bitt stellern auszutreiben, da das Landvolk die angebliche Schädlich keit des deutsche» Unterrichts nickt cinsebcn will, allein die Sendtinge deS Cyrill und Melhod Vereins wissen da mit Schlichen und Schwindeleien nachziikelscn. Sic vervollständigen die Unterschriften aus den Eingaben, wenn es nickt anders geht, mit den Namen von Leuten, die keine schulpflichtigen oder auch gar keine Kinder habe». Diese rücksichtslosen SlowcnisirungS- bestrebuiigen haben dem Deutschlbum schon schweren Schaden zugefügt. Der deutsche Besitzstand geht beständig zurück. Krain bade» die Deutschen bereits ver loren und in Unterstciermark, dessen ehemals deutsche Städte beute alle gemischtsprachig sind, behaupten sie sich nur mit Mübe gegen den slowenischen Ansturm, der jetzt auch schon das bisher vom nationalen Streite nock ziemlich verschont gebliebene Kärntbe» bedroht und bei der Natur des deutschen Michels auch dort leider voraussichtlich das Deutsch- tkum ins Wanken bringen und schließlich, sofern die dortige» Deutschen sich nicht kräftig ausraffcii, hinwcgfcgcn wird. In Rußland gilt, mag er an sich auch eine noch so an rüchige Persönlichkeit sei», bis zum Beweis des Gegentbeils allein der Stockrusse für einen waschechten Patrioten, während Deutsche, Finnländer und Polen, wie Bei spiele in Mafien lehren, schon ihrer Geburt nach Ver- räther am Ihcurcn russischen Vaterlande sind. So sind auch neuerdings wieder zahlreiche Verhaftungen von Polen, denen man politische Vergebe» vorwirst, vor- genommcn worden. Wie diese Verhaftungen stattfinden, davon nur eine Probe: Anfang Jnni verlor ein Bahn beamter (Russe) Namens Mcttler aus Mlawa ein von der Polizei verbotenes Buch auf der Straße, das von einem Gensdarmen aufgehoben wurde. Befragt, auf welche Weise er das Buch erhalten hätte, sagte Mcttler nach kurzem Besinnen, sein College JakubowSki (ein Pole) bade es ihm gegeben. Der betreffende Pole, der aber von der Existenz des BuckeS erst erfuhr, als er in den X. Pavillon jdaS llnter- suckungSgefängniß für politische Gefangene) geschickt wurde, sitzt heule noch daselbst, während Menlcr sofort in Freiheit gesetzt wurde. Ebenso befinden sich ein junger Arzt und viele S tutentcn im X. Pavillon „wegen politischer Vergehen". Ein polnischer Provisor, der bemerkte, daß er von russischen Geheimpolizisten beobachtet und überwacht wurde, beabsichtigte Rußland zu verlassen. Doch wollte er nicht geben, ohne sich von seiner Mutter zu verabschieden. Bei seiner Mutter wurde er verkästet nnd nahm aus dem Wege ins Gefängnis, ein starkes Gift zu sich, so daß er alsbald seinen Geist aufgab. In den letzten beiden Monate» haben mehr als 30 Personen im X. Pavillon ein unfreiwilliges Doniicil gesunde». Die sieben Geistlichen aus dem Kicwer Seminar befinden sich seit April noch daselbst, und wie viele sind schon ein Jahr und mehrere Monate dort, ohne daß ibnen der Proccß gemacht wirb! Die russische Justiz läßt sich eben viel Zeit. Schon wiederholt haben wir unseren Lasern Meldungen über das Eiitlasiungsgesuch des ariiienisch-gregorianischen Patriarchen Asckikian übermittelt; über die Ursache zu diesem Entlassungsgesuch des einflußreichen Kirchenfürsten ver lautet indeß erst jetzt Näheres. Bekanntlich soll jedes zweite Jahr eine armenische National-Versammlung ein berufen werden, um den Nationalrath zu wählen, Feuilleton. 4 In des Neiches Ostmark. 1V> Roman von B. W. Zell. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Aber nein, er durfte nicht unterliegen, eher sterben. Und dann richtete er sich plötzlich doch auf, und die schmalen Lippen preßten sich energisch aus einander — war es nicht Schwäche. Feigheit, an Tod, statt an männliches Ueberwinten der Ver suchung zu denken? Weltlust und Liebesglück, die Erfüllung priesterlicker Ge lübde und Entsagen, übermenschliches Ueberwinden oder feige Flucht aus dem Leben — das war der Kreislauf, in welchem die Gedanken Constantin Breski's immer wieder zum AuS- gangSpunct des Grübelns gelangte». In sein dumpfes Sinnen tönt daS Gekreisch der Fiedeln, die aus dem Marktplatz des Fleckens zum Tanz ausspielen, das wilde, mißtönende Jauchzen trunkener Männer, ausgelassener Weiber. Und plötzlich summt ein anderer, klarer Ton dazwischen — im Kirchlein auf der Anhöhe wird das Ave geläutet, und urplötzlich verstummt auch die kreischende Tanzmusik, mitten im tollen Wirbel Hallen die Tänzer inne, um aufs Knie zu sinken, das Kreuz zu schlagen und ein Ave zu beten. Auch der junge Geistliche betet. Aber während sich nur mechanisch die Lippen hewegen und der Geist noch immer grübelnd und schwankend nach einem Halt, einer Stütze sucht in der Noth dieses bitteren Teelenkampseö, durchzuckt plötzlich ein Gedanke sein fieberndes Hirn, ker an seinen erhabenen Freund und Gönner. Bisckos Stesanski, Aniela's Oheim. Ja, wenn er noch lebte, der hochwürdige Kirckenfürst — beseligend wäre c» ihm, in der Beichte daö übervolle zuckende Herz aus znschütten, sich anzuklagen, von ihm Buße zugemessen zu er hallen — Buße und Vergebung. Er. der Hochiiiinige, würde alle« versieben und dem jungen, irrenden Gefährten ein schützender Hasen sein, in dem er ankern könnte; er würde nur zu sagen brauchen: ..Sieh mich an auch ich bin ein Mensch mit Fleisch und Blut wie Du, auch ich bin jung ge wesen und batte Herz und Sinn für alle Genüsse des Lebens und bin doch ein rechter Priester geblieben der seine Wünsche und Begehren zu zügeln wußte, der entsagen lernte. Sieh «ich an, und wandte wie ick!" Und wunderbar — bei dieser Erinnerung kam plötzlich Ruhe und Fassung über den jungen Priester. Seine Hände falteten sich, und inbrünstig murmelten die Lippen: „Dein Geist umschwebt mich, Erhabener — Tu schützest mich — so nimm denn mein feierliches Gelübde: ich will in Deinen Fuß- stapsen windeln, ich will ein würdiger Diener der Kirche werden, wie Du cs alle Zeit warst." Noch eine Weile wandelte Constantin auf und nieder, aber immer klarer ward sein Auge, immer heiterer der Ausdruck seiner Züge. Als die Dämmerung begann sich herniederzu- senkcn und man in der Propstei die Lichter anzüntete, schritt er langsam ins HauS zurück, bereit und stark, Aniela ruhig und freundlich wie einer theuren Schwester entgcgenzutrelcn. Im Hose lief ibm atbemloS ein halbwüchsiger Bursche ent gegen. grüßte demüthia, indem er den Saum des Rockes des Geistlichen küßte, und fragte hastig, wo der hochwürdige Propst zu finden sei. „WaS giebt'S?" fragte BreSki freundlich. „Der alte Küster liegt im Sterben und verlangt nach den heiligen Sterbesakramenten", berichtete der Bursche eilig. „So warte hier — ich werde Hochwürden benachrichtigen " Damit trat der junge Priester ins Haus, um den Propst aus- :usuchen, den er in angeregter Unterhaltung im Kreise von AmtSbrüdern und Freunden fand. Constantin erbot sib, die heilige Handlung zu übernehmen, und der Propst stimmte diesem Vorschläge sofort zu. „Wird nicht mehr viel zu beichten haben, der arme Kerl", sagte er gutmütbig. „Seit Jahren durch eine Lähmung an da» Lager gefesselt, schien er mir bei meinen öfteren Besuchen fast stumpfsinnig. So gehen Sie denn in GotlcS Namen." An der Tbür trat dem Fortcilenden Aniela entgegen. „Man sieht Sie heute gar nickt. Hochwürdcn. nnd vorbin beim Mahl erschienen Sic mir so bleich — Sie leiden doch nicht?" fragte sie mit herzgewinnender Freundlichkeit. Er schaute sie ruhig und srei an. „Nein, Fräulein Aniela, es ist vorüber. Haben Sie Dank. Jetzt ruft mich eine ernste Pflicht." Er reichte ihr die Hand und eilte fort. Zehn Minuten schritt er in Amtstracht, voran der Meßner mit dem Glöckcken, quer über den Marktplatz deS Dorfes mitten durch die ranzenden, zechenden Gruppen des Polke« hindurch. Aber wo die Glocke des Ministranten ertönte, ward cs auch im lärmendsten Haufen lodtenstill, den Tanzenden stockte der Fuß, die Zecher ließen LaS erhobene Glas sinken und alle beugten mit entblößtem Haupt ehrfürchtig da« Knie, daS Allerbeiligste zu ehren. Der Priester batte sein Ziel, eine der letzten Hütten des Dorfes, erreicht, als eben die ersten, bleichen Sterne am sommer lichen Abcndhimmel sichtbar wurden. Eine weinende Alle lief ihm entgegen, umsaßle und küßte seine Kniee. „Er stirbt. Hochwürden — endlich hat die heiligste Jung srau ein Einscden mit seinen Leiden und will ihn erlösen. An die scchSzig Jahre baden wir zusammengelebt, und er war ein so guter Mann. Nie hat er mich geschlagen, nie war er betrunken — und doch will er durchaus noch beichten. WaS kann er für Sünden haben, der gute Mann?" Breski beruhigte die Weinende mit milden Worten und unterbrach ihren Redefluß, indem er in die niedere, dumpfe, von einem qualmenden Lämpchen crbellte Stube trat. Ein ottiger Hund fuhr ihm kläffend entgegen und weckte mit einem Gebell die Hübner, welche seitwärts ans einer Stange schliefen und nun flüaelscklagend auskrähtcn. DaS störte wieder die Nachtruhe der Borstentbiere, die in einem Verschlage deS offenen HauSflurS Unterkommen gesunden batten, und grunzend fuhren sie empor, die keifende Stimme der Alten übertöncnd, welche daS Getbier zur Rübe bringen wollte und dadurch den Lärm nur noch vcrniebrte. Der Meßner schaffte endlich Ab- bilsc, indem er dir Frau und den Hund ergriff und beide hinauSzerrte. Der Sterbende schien von alledem nichts vernommen zu baden. DaS eingesunkeneGreisenantlitz, daS da mit geschlossenen Augen in den hochgethürmten Federkissen fast verschwand, blieb unbeweglich, als wäre die Starre des Tote« bereits cingc- treten. Als aber der Priester sich hernicderbeugte und mit lauter Stimme den Segensgruß sprach, zuckte e« in den ver- steinten Zügen, die tiefliegenden Augen öffneten sich, und mühsam murmelten die Lippen den frommen Spruch nach Dann klang e« angstvoll: „Beichten, Hochwürden, beichten!' Konstantin belebte den Sterbenden durch etwas feurigen Wein, den er vorsorglich mitgebrackt, und verhüllte dann sein Angesicht, um die Beichte cntgcgenzniiebmen. „Ich höre, mein Sohn", sagte er mild. Der Kranke schien mit Aufbietung der letzten Kräfte die Gedanken zu sammeln und leise, stockend, dennoch aber ver ständlich sprach er: „Es liegt weit zurück, cbrwnrdiaer Vater, was ick zu beichten bade. E« ist auch keine Begehung--, nur eine Unter lassungssünde. Weil aber der, der den Frevel beging und dem ich dabei half, so hoch, so sehr hoch stand im Ansehen der Menschen und auch unserer allein seligmachcndcn Kirche, darum Hab ich doppelt schwer daran getragen all die lange» Jahre." „Und hast Du nie Erleichterung »nd Verzeihung in der Beichte und Sühne gesucht, mein Sohn?" „Nein, ebrwürdiger Vater. Der andere war zu mächtig, stanv zu hoch — ich wagte es nicht. Jetzt ist er todt, und noch immer kielt ehrfurchtsvolle Scheu meinen Mund geschlossen, bis nun der Tod kommt, sie zu lösen — mit hinüber aber kann ich daS Gebcimniß nicht nebmen." Der Sterbende machte erschöpft eine Pause. „WaS ist'S, mein Sohn, daö Dein Gewisse» beschwert'?" tönte dann wieder mild des Priesters Stimme. „Es sind nun bald dreißig Jahre — ich war damals Küster in einem Torfe dickt an der polnisch-russische» Grenze, da Hab ich eines Nachts Meßner- und Zeugentienste zugleich thun müssen — bei einer Trauung, die — die —" Ter Kranke stockte, aber diesmal nicht vor Erschöpfung, sondern weil er nach dem reckte» Wort zu suchen schien. Ter Geistliche ahnte das Weitere und kam ihm zu Hilfe. „Bei einer Trauung, die kein Priester vollzog und die also ein Betrug war?" fragte er streng. Der Greis bewegte verneinend das Haupt. „Nein, daS nicht. Ein Priester vollzog sie — an einem Priester." Breski glaubte nickt reckt verstanden zu baden, oder, daß die Sinne des Sterbenden sich bereits verwirrten. „Besinne Dich, mein Tokn", mahnte er eindringlich. ,,E« ist nicht möglich, was Tu sagst; die Priester unseres heiligen Glaubens »edmen kein Weib." „Und doch ist eS, wie ich sagte", bebarrte der Greis. „DaS war ja eben der Frevel — und ich half dabei — und schwieg. Sckwicg auch, als der Frevler böber und Köder emporstieg in kirchlichen Aemtern und Würden und koch kein Baiksislrahl sein Haupt traf, daS zuletzt mit der Mitra gekrönt wurde." „Mit der Mitra — Du redest irre!" unterbrach Konstantia den Beichtenden ernst. „Nein, nein, ich rede Wahrheit", lallte dieser. „Es wußte ja Niemand um das Gcheimniß jener Trauung, der andere Zeuge, ein Bauer, ist längst todt, nnd wo der geblieben, der da- heilige Sacrament der Ehe in jener Nacht vollzog — ich weiß eS nicht. Vielleicht ist er auch todt — vielleicht schwieg er wie ich, von des anderen Macht darniekergetrllckt." „Ja, Hochwürdcn", krackte der Bauer mübsam hervor
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