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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.09.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-09-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18930920024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893092002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893092002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1893
- Monat1893-09
- Tag1893-09-20
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» »» Med»«. »«kr »» d«, «rktzkk» >»»- ««rl.ll»httich^l1^0( V Poennaliaer tä,Itch«r g»st«ll,»> t»« Ha»s 5^0. Durch die Post be»«aea für Deutschlaud und Oesterreich: vtertelläkttich . Dkrctr täglich« kkeuzbandieiiduag kn» Luslaud: monatUch ^s 7^0. vi» Morgrn-Iusgab, «rschttnt täglichV,7 U-^ tzks «bn»d.«u-»ch. «ochutog» 5 Uhr. Nrdsrtio» «» Lr>e»itiou: SshmmrSsaß« 8. DK Erveditto» ist Loche»tag» „nnterdroch«, »«Sfsutt »», früh 8 »ts «br^s 7 Uhl. FUi-le«: vtt» Me«»'» Eorti». (SlfrrH Hgtz»^ Uulverfilätsstrah« 1. Loni» «k»e. Kothartnr-ftr. 11. patt. uu» »ö»ig»pla» 7. .« «i. Abend.Ausaabe. ripMer.TaMM Anzeiger. Lrgan für Politik, Localgeschichte, Handels- und Geschäftsverkehr. Mittwoch den 20. September 1893. ««-M-ewPrei» die -gespaltene Petitzeile »0 Pfg. >«cl»m«» uater do» »kdatttoa»strich (1«. fpaltro) SO-E, vor de» Famillrunochttch»» <6 geipalte») 10 >4- VrShere Echristen laut unserem Prrig» verzeichaiß. Tabellarischrr au» Zissernsetz aach höherem Tatts. Grrraiveilagen (gesalzt), »ne «u dt» Ltorgeu-Ausgabe. ohne PostbtsSrdrttUtG SO.—, m«t Postbrsördern», 70.^. Auuahmeschluß fir Anzeigen: Abend.Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen>Bu»gab«: Nachmittag» »Uhr. Soun- and Festtags früh '/,S Uhr. Bei d«a Filialen und vlnuahmestestea j« rin» halbe Stund« früher. Anzeige» sind stet» an di» Ertzeditt«» za richten. Druck »nd Verlag von S. Pvlz in Leipzig 87. Jahrgang. Amtliche Bekanntmachungen. Äntwerpener Internationale Ausstellung 1894. Die Internationale Ausstellung, welche am b. Mat 1894 in Antwerpen eröffnet werden soll, findet neuerdings in Deutschland mehr Beachtung, da die Ueberzeugung durchgedrungen ist, daß hier eine Möglichkeit geboten wird, der deutschen Industrie auf einem sehr wichtigen Gebiet erweiterten Absatz zu verschaffen und Frank- reich, das jetzt noch mit seiner Ausfuhr nach Belgien einen großen Borsprung hat, rinzuholen. Wir haben scholl srüher auf diese Ausstellung hlngewiesen, wir folgen aber gern der Anregung de» LomitSS, das hier dafür zu- sammengetreten ist, nochmals öffentlich zur Thetlnahme auszu- forvrrn. Nicht unterlassen wollen wir, auch an dieser Stelle her- vorzuheben, daß eS sich dabei wesentlich nur um frtncre Waaren, nicht um Gegenstände der Massen-AuSfuhr handeln kann. Die Anmeldvngsfrist ist verlängert, doch ist uns noch nicht bekannt, bis wann; jedenfalls bitten wir, die Geneigtheit zur Theilnahme recht »old und längstens »t» zu« SS. A. M an unsere Kanzlei, Neue Börse, Tr. l, erkläre» zu wollen. Daselbst können auch Program«e und AumtlhungSbogen in Empfang genommen werden. Leipzig, den IS. September 1893. Die Handelskammer. A. Thieme, vr. Grusel, S» Borsitzender. Politische Tagesschau. * Leipzig, 20. September. Die Conservativen haben nun auch die formelle Quittung über die auf dem Tivolitage am 8. December vorige» Jahre» bezeugte politische Weisheit. Auf der Nord deutschen «nttscmttru-verfammlung, die am Sonntage in Berlin stattgefunden hat, ist die officielle Absage an Herrn «locker und die „Adeligen" erfolgt und den (Konservativen angekündigt worden, daß man ihnen bei den nächsten Wahlen ganz Hinterpommern abnchmen werde. Gleichzeitig hat Herr Böckel durch einen Vertreter erklären lassen, die deutsche Reformpartci überlasse die norddeutschen Iagd- gründe der ans der Versammlung gebildeten „Antisemitischen Ver einigung für Norddeutschland." Begründet wurde die Ent schließung mit der Thatsache, daß die Herren Förster und Ahlwardt gleich der Resormpartei die Iudenfrage nicht als religiöse, sondern als Rasscnsrage auffassen. Religion ist also auch hier Privatsache. UevrigenS ist mit der Abtretungs erklärung noch nicht Alles gethan, die norddeutschen Anhänger der Reformpartei dürften nach wie vor ihre eigenen Wege gehen und Herr Liebermann von Sonnenberg selbstverständlich erst recht. Immerhin haben Förster und Ahlwardt einen Erfolg zu verzeichnen, und der Erstere bat ihn durch eine mit socialistischcn und antisemitischen Krastsprüchen gespickte Programmrede redlich verdient. Er ging sogar über den Programmcntwurf, wie er der Versammlung vorlag, hinaus, indem er die „ConfiScation des jüdischen Capital»" forderte, da dieses Eigenthum in der Thal Dieb stahl sei. Da diese Stelle aber aus dem Bericht deS Partei- blatteS ausgemerzt ist, so ist für die nächste Reichstagssession die Tabakfabrikalsteuer. daß die Kosten de- allein durch die neue die Versammlung gab nach der Hinzufügung Voraussetzung, daß die ein Antrag auf Verstaatlichung der jüdischen Vermögen nicht zu erwarten. Vcrmuthlich ist man sich über die AuSsührungS- bestimmungen noch nicht ganz klar. Indessen bietet da« zwar nicht angenommene, aber ohne Widerspruch einem Ausschuß überwiesene Programm vorläufig genug: Stellung der Juden unter ein Frcmdengesctz, Ausschließung derselben vom Grund besitz, von allen Staat-- und Gemeindeämtern, von der Presse, vom ärztlichen Beruf und von der Armee, wofür (natürlich nur bis zur erfolgten VermögenS- ConsiScation) eine eigene Juden - Wehrsteuer zu zahlen ist. Neben dieser Zukunftsmusik wurde aber auch recht actuelle gemacht in einer Resolution gegen Der Referent forderte sogar, neuen Militairgesetzcs einzig und Börscnstcuer aufzubringcn seien, aber das entschiedene Verlangen einer Wchrsteuer kund. Unter der Ahlwardt'sche Rechnung, wonach sich jährlich aus" der Börse 500 Mill. Mark Steuern herauSsckilagcn ließen, richtig ist, kann man sich bei der Freilassung dcS Tabaks ja zu frieden geben. Da aber ein Irrlbum des bewährten Kame ralisten doch nicht ganz ausgeschlossen ist, so wird bei der Zusammensetzung dcS Reichstages die Festlegung auf die Verweigerung der Tabakfabrikatsteucr möglicherweise die bevor stehende Steuergesetzgebung beeinflussen. Unsere srüher ge äußerte Vcrmuthung, daß die Regierungen an der Wehr steuer nickt vorbeikommen werden, wird durch die anti semitische Erklärung bestärkt. Di» Wiener „Deutsche Ztg." beschäftigt sich mit der Frage, was geschehen werde, wenn eS den Grasen Taaffe und Tbun wirklich gelingen sollte, mittelst VereinSauflösungcn, Zeitungsmaßregelungen, wachsamster Straßenpolizei rc. rc. die heutigen Aungczcchen von der Bildfläche verschwinden zu machen. Wenn man wieder von Neuem die Stütze de» consti- tutionellcn Staates bei den Reactionaircn suche, wenn man wieder die höchste Staatskunst darin zu finden glaube, die Völker und Parteien gegen einander auSzuspielen, wenn man wieder m der Ungewißheit und OrdnungSlosigkeit der Sprachenangelcgen- beitcn die frisch sprudelnde Quelle fortwährender nationaler Zwistigkeiten weiter bestehen lasse, wenn man dann wieder mit den Mächten de» Rückschritte- liebäugele und da- Einzige, in den Hintergrund dränge, was die Völker einigen und, zusammenschließen kann, zum Heile des GesammtreicheS: eine aufrichtige und werkthälige Politik der Freiheit, de» Fort schrittcS, der bürgerlichen Wohlfahrt . . . was werde, was müsse die Folge sein? Man werde wieder mit den Altczechen „zündeln", bis die Iungczechen den rothcn Hahn auf'S Dach setzen: „Oesterreich regieren" — heißt eS dann weiter — „ist ein gar schweres Kunststück, man braucht dazu eine starke Hand und einen klaren Kops. Die starke Hand bat letzt soeben die Verfassungsrechte in Prag aufgehoben. Der klare Kopf wird da neben etwas gerade Entgegengesetztes thun müsse». Er wird den alten unfruchtbaren Boden der bisherigen Politik umpflügcn und einen anderen, einen besseren Samen in ihn legen müssen. Ein festes, gesicherte» Sprachengesetz mit Gerechtigkeit gegen jeden Volksstamm, aber vor Allein mit Berücksichtigung der Staats- und ReichSintereffen, muß neue und dauernde Ver hältnisse schaffen, in die sich die einzelnen nationalen und provinzialen Parteien einfügen werden, so bald sie den Glauben an die Festigkeit und Unwandelbarkcit der Absicht gewonnen haben. Dann aber freiheitliche und materielle Reformen au der ganzen Linie! Die Hände rühren Tag und Nackt, um die Millionen Oesterreicher mit Lust und Liebe zu erfüllen, an einem thatkrästigcu öffentlichen Leben, in welches die Regie rung selbst mit begeisternden Zielen der allgemeinen Wohl fahrt, der endlichen Abstellung der noch so zahlreich vor handenen „ererbten Uebelstände" führend und treibend ein zreiscn muß." Damit dürfte allerdings bald die kleine, aber 0 schwere Frage: „WaS nun?" für Oesterreich richtig beantwortet sein. — Der polnische, in Krakau erscheinende „CzaS" äußert sich in derselben Frage dabin, daß der böhmische Ausnahmezustand die Lage im ReickSralhe nickt ändere. Graf Taaffe werde auch ferner, gestützt auf die Polen, die Linke und den Hohenwart - Club, regieren müssen. Der „CzaS" beruhigt die altczechiscken Jour nale wegen der Besorgnisse, daß eine Allianz der Polen mit der Linken zu Stande komme. Die Er- abrunz lehre, daß bei jeder Berührung polnischer mit deutschen Elementen, wie in Schlesien und Biala, letztere anii-autonomistischc GermanisationS-Tcndenzcn bekunden. Auch aus die slowenischen Führerkreisc hat der böhmische Aus nahmezustand wie ein kaltes Sturzbad gewirkt. Die radikalen Slowenen, als getreue Nachahmer der Iungczechen. geben ihrem Unmuth über die AuSnahmcmaßrcgeln nach Möglichkeit Ausdruck; das Organ der Klerikalen in Laibach dagegen findet diesen Schritt der Regierung als vollkommen begreiflich und gerechtfertigt und betont, daß die Iungczechen ihren Landsleuten schon zu lange die Köpfe verwirrten und die Massen durch Phrasendreschereien aus Abwege gebracht haben. Das klerikale Blatt verspricht sich von der Ver hängung dcS Ausnahmezustandes eine langsame Ernüchterung der Czechen und eine vollständige Isolirung der jungczechischcn Führer, die ihrer Nation nur Nachtheile brachten. Die Unabhängigen und Socialrevolutionaire in Zürich treiben eS immer toller. Am 16. September ward daselbst wiederum in einer öffentlichen Versammlung, der etwa 350—400 Personen beiwohnten, in allen Tonarten die Revolution gepredigt. Die Führer der fraktionellen Socialdemokratcn waren diesmal der Versammlung scrn- gcblieben. Die Redner der Unabhängigen, vorab Wichcr» von Gogh, der sich in der letzten Zeit stark vordrängt, zogen gleichmäßig Uber die Socialdemokratcn wie über die Bourgeois loS. Zuletzt wurde eine Resolution in folgendem Sinne an genommen: Die Versammlung stellt sich auf den Boden de- communistischen Manifestes und erklärt also offen, daß die Zwecke der Communistcn nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschafts ordnung. „Diesen Standpunct haben die Delcgirten de» Züricher CongresseS ausgegebeu and damit rin Verbrechen begangen an unseren Grundprincipien. Die heutige Vcr sammlung von Proletariern bebt deshalb die aus dem Eon grrffe beschlossenen Ausnahmegesetze aus und reicht Jedem brüderlich die Hand, der mit ihr den Kamps gegen die be stehende Gesellschaftsordnung durchzusühren gewillt ist, auch wenn er daS alleinseligmachende Glaubensbekennt niß der deutschen Parteileitung nicht unterschreiben kann." Es wurde noch eine Resolution beantragt in dem Sinne, daß ein Programm ausgestellt werden solle über ein „einiges Vorgehen aller rcvolulionairrn Elemente"; aber diese Resolution stieß auf lebhaften Widerspruch, da befürchtet wird, daß e« sich hierbei schon wieder um Bevormundung bandeln könnte. Die Resolution wurde deshalb abgclebnt. Die Redner, die in diese» Versammlungen revolutionaire Brandreden Hallen, sind zumeist Ausländer. Die Nachrichten aus Brasilien lauten zwar in Einzel beiten vielfach widersprechend, lassen in der Hauptsache aber keinem Zwcisel Raum, daß von geordneten Zuständen im europäischen Sinne daselbst zur Zeit, und wobl noch au länger hinaus, kaum die Rede sein kann. Der Ausstand der Flotte gegen da» Regiment Peixoto'S lähmt Handel und Verkehr, und wenn schon die Landeshauptstadt zum Spiclball der Parteigänger wird, kann man nicht erwarten, daß in den Provinzen, namentlich den entfernten, normale Verhältnisse herrschen. Indeß, da» sind brasilianische Interna, welche keine» Dritten etwas angebcn. Weitere Kreise dcS Auslandes sind an den politischen Zuständen Brasilien- nur insoweit intcressirt, al le ihre Arbeitskraft bczw. ihr Capital im brasilianischen Handel rc. angelegt baden und besorgen müssen, bei den chwcbenden inneren Wirren zu kurz zu kommen. Rio de Janeiro wird in Anbetracht der durch vaS Anwachsen der Ver wirrung geschaffenen Lage demnächst eine stattliche Anzahl rcmder Kriegsschiffe in seinem Hasen ankern seben, deren Ausgabe im Schutze der betreffenden Staatsangehörigen und in der Beobachtung dcS weiteren Entwicklungsgänge» der dortigen Dinge bestehen dürste. Man darf an dieses inter nationale Flottenrendezvous vielleicht auch die Hoffnung knüpfen, daß eS auf die maßgebenden politischen Kreise de» Landes den Einfluß üben werde, daß sie ihre Energie zu sammen nehmen und wenigstens de» Versuch machen, au» dem Sumpfe endloser Revolutionen auf den festen Bode» eine- autoritativen Regiment- zu gelangen. — Nack heute bei uns eingegangenen Drahtnachrichten aus Rio de Janeiro bat am 19. September wieder zwischen den Auf ständischen und den RegierungSlruppen ein Scharmützel statt- gefnnden, bei welchem erstere siegreich waren. Drei Kriegs schiffe der Aufständischen sind aü» dem Hafen von Rio aus gelaufen und haben sich nach dem Süden begeben. Die Revolution nimmt auch in den Provinzen täglich zu. ASland verlangt Selbstverwaltung von Dänemark. Die bereits telegraphisch kurz gemeldet, haben beide Ab- tbcilungen dcS isländischen AlthingS eine Verfas- sungSrevission angenommen, in der bestimmt wird, da» jetzige isländische Ministerinm in Kopenhagen solle ausgehoben unk die Regierung Islands einem Gouverneur und drei vom Gouverneur zu ernennenden Ministern übertragen werden. Ter Gouverneur ist dem König verantwortlich und soll in Reykjavik wohnen. Island fiel 1381 mit Nor wegen an Dänemark. Allerdings war eS damals noch eine stärker bewohnte und fruchtbarere Insel als heutzutage. Der schwarze Tod raffte von 1402 bis 1104 zwei Drittel der Bevölkerung weg; zwei Jahrhunderte später führten algerische Seeräuber viele Personen al» Tclavcn weg, 1707 starben 18 000 Menschen an den Blatter», und 1785 erlagen 9000 einer HungerSnvth. Auch in diesem Jahrhundert wirkten Hungersnöthc, vulcanischc Ausbrüche und starke Auswanderungen zusammen, die Bevölkerung zu vermindern, so daß diese heute 71 000 Seelen kaum über schreitet. Im Jahre 1800 halte die dänische Regierung da» Althing formell aufgehoben; da landete im März 1809 ein ehemaliger dänischer Matrose Jörgen Iörgcnson mit zwei englischen Kaperschiffen vor Rcykiavik, bemächtigte sich de» Gouverneurs und proclamirtc die isländische Republik. Allein schon im August erschien ein englisches Kriegsschiff im Hafen, »abm Iörgcnson als Gefangenen »ach London »nd erklärt« Island für ein England bcsreniidctcS Land. 1811 wurde es wieder mit Dänemark vereinigt. 1831 erhielt Island eine Vertretung im dänischen Landtag, und 1843 wurde das Altbing wieder hcrgestcllt. Am 5. Januar 1871 wurde ein VcrsassungS- gcsetz erlassen, und am TausendjakrSscste, 1. August 1874, wurde die neue Verfassung proclamirt, die dem Lande in innere» Angelegenheiten volle Selbstständigkeit verlieh. DaS Altbing, in seinen zwei Abtheilungen aus 36 Mitgliedern bestehend, übt die gesetzgebende Gewalt und controlirt die im Namen rcö Königs durch einen verantwortlichen Minister für Island geführte Verwaltung. Dieses Maß von Selbstständigkeit ge nügte aber den Isländern nicht, und sie beanspruchten auf einer 1885 in Thingvalla abgehaltencn Volksversammlung er hebliche Abänderungen der neuen Verfassung, die Island Dänemark gegenüber eine ähnliche Stellung, wie sie Nor wegen und Schweden besitzt, cinräumen sollte, was aber in ^euilletsir. In Fesseln. 1s Roman von C. Bankrecht. Me Rechte vcrbrhaltm. „Nun gieb acht, Marie! — Wenn wir um die Nadelholz gruppe dort berumbiegen, liegt der Bärenstcin vor unS." Comtefle Hildegard war von ihrem Sitz aufgesprungen und während sie mit lebhaft bewegter Stimme sprach, spähte sie mit sehnsüchtiger Ungeduld durch das herabgelassenc Fenster der alten GlaSkutsche in die Gegend hinaus. „Da!" Sie trat einen Schritt zurück, in diesem Augenblick un fähig, rin weitere- Wort zu sagen. Ihre kleine, von einem schwedischen Handschuh umkleidete Rechte zeigte der ihr gezcn- Lbersitzcnten Zofe da« ersehnte Reiseziel. Der Wagen hatte einen mit niederem Lärchenbestand be wachsenen Hohlweg verlassen, dessen tiefe, durch Regengüsse au-gewaschene und wieder getrocknete Furchen da» altmodische G-sahrt wiederholt dem Umfallen nahe gebracht hatten. Die Zofe ließ einen jeden dieser Stöße mit einem nur scheinbar unterdrückten Stöhnen über sich ergehen, welches die junge Gräfin ebenso regelmäßig mit einem heiteren Gelächter be antwortete. „Da —" wiederholte sie nunmehr und ihr zarte», noch «an; kindliche Umrisse tragendes Antlitz rötbete sich in freudiger Bewegung. „Siehst Du, Marie, da« ist mein alter, lieber Bären stein, den iL seit drei Jahren nicht gesehen habe. — Ach — wie lang sind mir diese drei Jahre geworden in dem öden Institut, r» waren ja auch die drei traurigsten meine-Lebens. Sonst ließ Papa mich zu allen Ferienzeiten nach Hause kommen" — ihr Gesicht nahm plötzlich einen wehmüthigen Ausdruck an und ihre Augen füllten sich mit Thränen. Mit verschleiertem Ton, mehr zu sich selbst sprechend, setzte sie hinzu: „Der arme, liebe Papa — den ich nun nicht mehr finde." Sie verstummte, und während die Thränen ihr unaufhaltsam über die Wangen rollten, gedachte sie der entschwundenen Zeiten. Da» Kammermädchen betrachtete währenddem neugierigen Blick» die ihr unbekannte Landschaft, welche sich in der trüben Färbung eine» sonnenlosen Herbstnachmittags nicht besonders vortheilhaft darstelltr. Au- einem weiten, von bewaldeten Gebirgszügen umschlossenen Thal, welche» eine breite Fahrstraße und ein Schienenweg durchfurchten, erhob sich auf einer Anhöhe Schloß Bärenstein, Der Park, düster und schweigsam, der den Bcrgkegel umgab und sich noch ein gutes Stuck in daS ebene Land hinaus erstreckte, verbarg eS beinahe ganz, und nur daS graue Dach und der verwitterte Warttkum verrietben der Emporschauenden da« Dasein eines Gebäude- inmitten der strammen und hoch aufwärtsstrebenden Baumriesen. „Hat eS auf dem Schloß einmal gebrannt?" fragte klein laut Marie, während sie ihre Augen mit zweifelhaftem Aus- druck aus den Thurm richtete, den eine Schaar Dohlen um kreiste und der in seinem ruinenhasten Aeußeren lebhaft an einen Mann ohne Kopf erinnerte. Man hatte über seinen oberen Thcil, den einst Zinnen gekrönt haben mochten, sehr kunstlos Bretter gelegt, die vom Wechsel der Jahreszeiten ein düstere« Grau erhalten hatten. „Gebrannt?" fragte Hildegard zerstreut. Ihr erschien daS Schloß so schön in seiner rauhen Durstigkeit. Sie hatte cs niemals anders gekannt und fand eS so eben reckt. „Ach ja, ich besinne mich. Papa bat mir erzählt, daß der Bärenstcin einst noch um eia Stockwerk höher war. Im vorigen Jahrhundert schlug der Blitz ein, und e» brannte nebst dem oberen Theil de« ThurmeS ab. Man ließ e» nicht wieder ausbauen, da e» zu viel Geld gekostet hätte und man im ersten Stockwerk und im Parterre Raume genug hatte. Doch — hier sind wir", rief sie» sich plötzlich unterbrechend. Dann steckte sie den Kopf zum Fenster hinaus und befahl dem Kutscher, zu halten. „Wir sind hier am Parkpförtchen, Lorenz — ich will au«- steigen." Die alten Braunen standen. Comtess« Hildegard sprang au» dem Wagen und winkte dem Kammermädchen ab, welche« sich anschickte, ihr zu folgen. „Du kannst voraus fahren, ich gehe durch den Park." Sie sab dem Wagen nack, wie er gemächlich den zum Bärenstcin emporführeuden Fahrweg hinanrollte, bis da» Busch werk ihn ihren Blicken entzog und zuletzt auch die hinten aus geschnallten Reisekoffer unsichtbar wurden. Dann wendete sic sich um. — Hier war da» Pförtchen, an welchem Papa sie ehedem zu erwarten pflegte, wenn sie in die Ferien kam; denn sie von der ziemlich entfernten Bahnstation abzuholen, verbot ihm in den letzten Jahren seine Gicht. .,Bist Du da — kleine Bachstelze?"' pflegte er ihr zuzurusen, und mit „Ja — Papa!" warf sie sich an seine Brust und lag an dem Herzen Desjenigen, der sie über Alles liebte. DaS wußte sie. Uno dann wandelten sic langsam den Park hinan. Sie schwatzend und erzählend, dabei jede kleine Veränderung an den ihr wohlbekannten Pfaden und dem nickenden Strauch werk wahrncbmcnd. Er lauschend, fragend, lachend — entzückt vom Widcrsehcn seines Liebling- — und manchmal heimlich fluchend, wenn seine Schmerzen ihn quälten. Es waren ihr abermals die Thränen in die Augen getreten, während sie da« Pförtchen langsam öffnete. Sic war sonst ein gar lustig und übermüthig Ding, der Schrecken ihrer Gouvernanten im Institut und dennoch durch ikre Wahrheitsliebe und HcrzcnS- gütc der Liebling Aller . . . Einmal — eS waren nun bald drei Jahre her — berief man sie zu ungewöhnlicher Zeit in die Wohnung der Vorsteherin. Dort sagte man ihr mit ältlichen, theilnebmenden Worten, daß ihr guter Papa gestorben ei. Ihr guter Papa, der sie so lieb gehabt, der ibr niemals einen Wunsch versagt batte, dessen ganze» Glück sie gewesen war. er war todt. War eS denn denkbar, daß er sie verlassen hatte? Sie vermochte eS anfangs nicht zu fassen. Die Trostgründe der Lehrerinnen und ihrer Mitschülerinnen prallten an ikrcm leidenschaftlichen Schmerze ab. Ihr guter, alter Papa — war'S möglich, daß er sie verlassen konnte? ... Er war schon ein sehr alter Herr» als sie nock ein ganz kleine» Mädchen war. sie kannte ihn nicht anders als mit silberweißem Haupt- und Barthaar; aber der Gedanke, sie könnte ihn durch den Tod verlieren, hatte niemals Eingang in ihre Seele gesunken. Und ein Nachhall des Schmerze» von dazumal überwältigte sie jetzt, so daß sie ihre Stirn an eine alte Föhre lehnte und ihr schlankaufgebauter Körper unter dem Weh in ihrer Brust erbebte. Allmalig ward sic ruhiger. Sie erhob den Kops und richtete sich auf. Die frische Herbstluft fächelte wohlthätig kühlend über ihre geröthrten Wangen. Die langen, noch feuchten Wimpern hoben sich, dir dunklen Augen welche sic beschatteten, gewannen ihren offenen, unverzagten Blick zurück. Ihre Brust atbmete ruhiger und sog den an welkende Blatter und stcrbendc» GraS gemahnenden Dust de» Parke« rin. Langsam schritt sie vorwärt». Alle« hier war ibr bekannt. Die schmalen Pfade wanden sich unverändert, in Schneckrnwindungen den Hügel umkreisend, allmälig aufwärts, und wie vordem streckten die alten Baumwurzeln ihre knorrigen Arme über den Weg Und doch war e» ander». Der alte General hatte niemals viel auf die Erhaltung seine» von seinen Vorfahren einst so hoch gehaltenen Parkes verwendet, allein sein militärischer Ordnungssinn duldete auch nicht die gänzliche Verwilderung desselben. Heute schritt das junge Mädchen durch raschelnde» Laub, welches breit die Wcge deckte, und vorwitziges Geäst zerriß ihr den Schleier und klammerte sich an den Saum ihres ReiseklcidcS. An den einst kieSbcstreutcn, sauber um randeten Pfaden sproßten Wegerich und wucherndes Moo». Hier und dort lugten graue Stcingestaltcn in Verkommenheit nud kläglicher Verstümmelung durch das buntfarbige Blatt- gewirr. All' die Brünnlein und rieselnden Fontaincn von ehedem hatten ihre Dienste eingestellt, und nur die feuchten, moosbewachsenen Becken gaben Zeugniß davon, daß eS sich hier einst lustig geregt hatte. Huschende Eidechsen schlüpften eiligst in die Ritzen des Gesteins, nicht ohne mit flüchtigem Blicke ihrer klugen Acuglein die Störerin ihres Frieden» ge streift zu haben. ,,DaS muß anders werden", sprach Hildegard zu sich selbst; „ich begreife nicht, wie Clemens AUcS so verwildern lassen konnte." Und jetzt schimmerte da» alte HauS ihrer Vorfahren durch daS Gesträuch, und als dir Hrimkehrende aus den freien Platz hinaustrat, der sic noch von deiusclbcn trennte, flog ein Aus druck von Enttäuschung über ihre beweglichen Züge. Sie blickte an dem Gemäuer empor, vor dessen Rückseite sie stand. Ja — Marie batte wohl recht mit ihrem Befremden. Sie erkannte nunmehr selbst da- Verfallene und Ruinenhaste de» Schlosses, welches ihr bisher immer so stattlich und untadelbaft vor der Seele gestanden, und doch fand sic c» in demselben Zustande, wie sie cö vor drei Jahren zum letzten Male er schaut hatte. Vor der Vorderfront dcS BärensteinS dcbntc sich ebenfalls ein breiter Sandplatz aus, in welchen die von unten berauf- führcnde Fahrstraße niündctc. Er wurde auf der dem Schloß gegenüberliegenden Seite durch eine verwitterte Sleinbalustrade eingefaßt, denn der Hügel fiel hier steil ab und ein schäumen der Gebirgsbach wälzle sich an seinem Fuß durch ein felsige» Bett zu Thale. Das Schloß, auf breiten, mit grauen und gelben Flechten bezogenen Strebepfeilern ruhend, erbielt ein« Zier durch den dickten Epbe», welcher eS umwnchcrte, di« eisenvergitterten Fenster de» Erdgeschosses mit seinen grünen Ranken umspann und b>S an die Vorsprünge dcS oberen Stockwerks binanklcttertc. Als ein großer Brand im vorigen Jahrhundert das zweite Stockwerk und den oberen Tbeil de» IburmeS vernichtet hatte, begnügte man sich mit den von dem tückischen Element verschonten Räumen. Ein kunstlose» Schindeldach deckte fortan die einst so stolze Feste, welche de»
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