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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.11.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-11-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18931116026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893111602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893111602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1893
- Monat1893-11
- Tag1893-11-16
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Hl« VMM««. während di» g«mdlrgr«drn Bestimmungen de« ^abaksteuergesetze« in der vorgestrigen Berathung, dir bi« in den späten Abend hinein dauerte, nahezu einstimmig angenommen worden sei» sollen. Gestern dürste die Be- rathung de« Tabakstcuergesetze« zu Ende gesührt sein. Heute soll die Berathung de« ReichSweinsteuergesetze« statt- sinden, da« bekanntlich in seiner jetzigen Form nicht allen Legierungen sympathisch ist. Daß in Leftrrret- mit dem Cabinet Taafse nicht auch der Plan einer Wahlreform beseitigt war. galt bei der Bildung de« CoalilionSmiuisterium« al« selbstverständlich; letzt wird au« Wien berichtet, die CoalitionSparteicu seien ma Vorschlägen für eine Wahlresorm beschäftigt, die den, Ministerium unterbreitet werden sollen. Bezüglich des In halt« dieser Borschläge heißt eS: E« solle» zwei neue Curie» geschaffen werden, eine für die Bezahler von Steuern imlLr fünf Gulden und die zweit« für Personen, die gar kein« direkten Steuern entrichten, aber die Kenntuiß de« Lesen« und Schreiben« besitzen. Diese zwei Curien sollen nach einem erst sestzustellendrn Schlüssel je 25, Abgeordnete wählen. E« bleibt abzuwarten, wie da« Ministerium sich zu diesen Vorschlägen stellen wird. Die Nvthwendigkci» einer Wahlresorm wird allseitig anerkannt, sowie die Berechtigung der Wünsche der Arbriterbev'ölkerung zur Theilnabine a» keni politischen Wahlrecht. Dem Club der Bereinigten deutschen Linken sind in den letzten Tagen verschiedene Kundgebungen ,n diesem Sinne bereit« überreicht. In allen wird da« Taasfe'sche Wahlresormproject al« eine Maßregel bezeichnet, die eine schwere Beeinträchtigung de- politische» Besitzslaude- der Bürger- und Bauernschaft im Allgemeine» und de« DeutsHthum« in Oesterreich insbesondere herteizusührcu ge eignet ist. Der Besuch de« Grafen Kalnoky beim König von Jtattr» ist für die sensationSbedürstizen Conjecturalpoliiiker aller Länder ein gesunkene« Fressen. Keine Combination ist zu kühn, um nicht an diesen Besuch geknüpft zu werden. Wahrscheinlich ist die schon telegraphisch gemeldete Londoner Nachricht de« ,Berl. Tagebl.", e« sei zwischen England und Italien über die gegenseitige Hilfeleistung im Mittelmeere zu einem bindenden Vertrage ge kommen, der eine direct« Angliederung England« an den Dreibund bedeute, auf demselben Boden gewachsen, dem die übrigen Behauptungen über die Ursache und den Zweck jene« Besuche« «ntfprossen sind. Allen diesen Meldungen gegenüber ist daran sestzuhalten, baß ein besonderer Anlaß zu mündlichen Besprechungen oder gar Abmachungen zwischen dem österreichischen und dem italienischen StaatSmanuc nicht vorliegt. Ter Besuch hat aber trotzten, in der Zeit der Floltendemonstrativnen und in dem Augenblicke, wo der Papst in der Rolle eine« Vermittler« zwischen Frankreich und Ruß land dargestelll wird, eine gewisse Bedeutung nach außen bin und zeigt die Festigkeit de« Dreibünde« an einer Stelle, wo die Gegner immer Schwächen zu entdecken sich bemühen. Ein besondere« Mißgeschick ist dem sranzüstschr»Ministerium in den letzte» Tagen mit dem bereit« erwähnte» Bericht de« Oberstaat«auwaltS Chenest in Douai an den Justiz- minister zugestoßen. Dieser Bericht war bekanntlich ver loren gegangen und den» Abgeordneten Milleranb in die Hände gefallen, der ibn in seinem Blatte, der „Pctite R-publique Fran^aise", abdruckte. Oberstaatsanwalt Chenest beantragte darin beim Justizministcr die Anwendung de« ÄrbeilersyndicalögkseheS in den Departement« Nord und Pa«>re-Calai«. Mehrere dieser Syndikate haben bei ihrer Bildung die gesetzlichen Bvrschristeii nicht befolgt, sich aber al- die eigentlichen Führer und Wühler bei dem großen Au«- üand erwiesen, und der Oberstaatsanwalt erachtete den Zeit punkt ihrer Maßregelung für gekommen, da in diesem Augen blick die Arbeiter für die Leute, denen sie den Mißerfolg verdanken, nicht« lhun wurden. Cbenest verlangte sofortige« Vor gehen. damit die hauptsächlich betheiligte» Abgeordneten BaSIl, und Lamendie noch vor der Kaiuinererösfliiing gefaßt und alle schriftlichen Beweisstücke schnell beschlagnahmt werden könnte». Darüber sind nicht uur die socialistijchcn sondern auch die radikale» Blätter ganz außer sich gerathen. Sie jubeln darüber, daß »die Feigheit der Regierung" noch zur rechten Zeit an« Licht gekommen sei; man sehe wieder einmal, daß die Regierung die „Ausbeuter" und „Finanzmänner" zum Schaden der Arbeiter begünstigt habe. Kurz, da« Ministerium wird einen gewaltige» Sturm wegen dieser Sache in der Kammer auSzukalten haben, um so mehr, al« ein großer Theil der Abgeordnete» sich aus ein arbeitersreundliche« Pro gramm verpflichtet hat. I» allen möglichen Reden der letzten Zeit wurde rnimer von weitgehenden socialen Reformen und ArbeilcrschutzgeseycN gesprochen. Da kommt die Sache Chenest- Gucrin doppelt ungeschickt. Der Gouverneur von Esthland, Fürst Schachow«koi, veröffentlicht in seiner GouvernementSzeilung ein Rund schreiben an die Bauercommissare de« Gouvernement« Esthland, welche« in der Frage der Mischehen zwischen Lutheranern und den Nachkommen der unglückliche» Convertiten der Nikolaitische» Zeit in wahrhaft empörender Weise den Gewissenszwang, verbunden mit bürgerlicher Entmündigung, verkündigt. Nicht nnr werd«» «it rück wirkender Kraft alle derartigen Ehen für Eoncubinat er klärt — und die Kinder für Bastard«, die Frauen und Kinder werden auch genölhigt, ihren Familiennamen abzulege» und den ihrer Mütter anzunebmen. E« beißt in dem br- treffeoden Rundschreiben wörtlich, daß diese Eben nicht nur ungesetzlich, sondern .verbrecherisch" seien; Fürst Sch,chow«koi spricht von „den Frauenzimmern, die sich in ungesetzlichem Concubioat befinden" und gebietet, daß diese „Mädchen" ihren ursprünglichen Namen wieder anzunehmen hätten! Wir verzichten auf die vollständige Wiedergabe diese« uner hört schamlosen Machwerk-, weisen aber darauf hin, daß dieselben Maßregeln jetzt auch in Polen den Nachkommen sogen. Unirter gegenüber in Anwendung kommen. Und da« zu einer Zeit, da Papst Leo XU1. e« möglich findet, sich in intimster Freundschaft an den Zaren zu schließen und die Franzosen für ihn die Ehre iu Anspruch nehmen, die »Alliance Franco-Russe" in« Leben gerufen zu habe»! Deutsches Reich. ^ vrrtin, 15. November Von den vor acht Taaen ge wählten LandtagSabgeordneten sind bereit« zwei gestorben. Dem sreiconservativen Abg Landrath Struh-Sagan ist der LankgerichlSratb Czwalina, Mitglied der freisinnigen Volks- Partei, nachgesolgt. Er vertrat den Wahlkreis Posen Land- Obornii seil 1885, zuerst auf Grund eines CompromisseS mit den Cvnservativen, zuletzt auf Grund eine« solchen mit den Pole». Die Parleiverhältnisse im Abgeordnetenhaus! werde» durch Kiese Todesfälle wohl keine Veränderung erfahren. — Am 2l. November findet die Ersatzwahl zum Ab geordnetenhaus in DuiSburg-Essen an Stelle de« Abg. Möller statt, der, doppelt gewählt, da« Mandat von Bielefeld angenommen hat. Da« Mandat ist den Nationalliberalen sicher, als Caudidal ist Generalsecretair Bucck ausgestellt worden. — Die elsaß-lothringischen Protestabgeordnelen de« Rtich-lage- haben den Eintritt in die CenlrumSpartei, der in listigster Zeit iu Vor schlag gekommen war (wie schon gemeldet wurde. Red.), abgclebnt. Formell wird dadurch eine neue Vergrößerung der CentrumSsraction verhindert, sachlich ändert sich dadurch nicht viel, da die Betreffenden, wenn sie.wa« selten genuagejckah, überhaupt im Reichstag erschiene», fiel« mit dem Centrnm stimmte». Immerhm »st iu brr Ablehnung jede« Anschlüsse« an eine altdeutsche Partei eine Verschärfung de« Protest- standpuncteS zu erblicken. Auch der bevorstehende Antrag aus Abschaffung aller AuSnahmemaßregeln in den NeichS- landen kann nur in dieser Richtung gedeutet werden. Bon den elsaß-lothringischen Reich-lag-abgeordneten gehören 8 dieser klerikalen Protestgruppe an, 3 sind Hospitanten der konservativen, l Mitglied der Reich-Partei, t Hospitant der Naiionatliberalen, 2 Socialdeniokraten. * Berti», 15. November. Die „Preuß. Jahrbücher" de« Prof. Delbrück haben in letzter Zeit eine» Aufsatz „Da« Deutsche Reich und die Polen" veröffentlicht, der wegen der darin entwickelten polcufreundliche» Anschauungen mit Neckt Anstoß erregt. Man schreibt der „Tagt. Rundschau" dazu: „Die Münchener „Allg Ztg." findet eine ausfallende Aebulickkeii zwischen den Ansichten de« Aussatzes und ver schiedenen Reden de« Abgeordneten v. KoscielSki heran«. Tic Redaktion der „Preuß. Jahrbücher" hatte sich, wenn wir nickt irre», die Nennung de« Verfasser« ihre« Auf sätze« für später Vorbehalten Wen» die „Allg. Ztg." die Verwirklichung dieser Absicht abgewartet hatte, würde sie keinen Grund gehabt haben, sich zu wundern: die Ucbereinstimmung der Ansichten hätte sich ihr dann auf sebr natürliche Weite erklärt. Da« Münchner Blatt be gründet seine lange Polemik gegen den Aussatz mit der Be fürchtung, daß die „unglaublichen" Ansichten ve» Verfasser« au einer Stelle aetheilt würden, an der sie direct eine Ge fahr wären. Diese Befürchtung ist. wie un« von gntunter- richteter Seite versichert wird, grundlo«; die in dem Auf sätze vorgeschlagenen Maßregeln werben von keiner der ge dachte» euiflußreichcn Stellen — die höchste nimmt die „Allg. Zig." selbst au« — betrieben." — Wir nehmen sehr gern von die>er Versicherung Notiz, aber wir erblicken schon in der gegenwärtigen Politik der Regie»ung gegenüber den Polen im Grunde dieselbe» Gefahre», wie in den Vorschlägen de« Aus satzes der „Preuß. Iahrb." — Der Kaiser erledigte im Lause de« Bormittag« RegierungSangelegenheilen, arbeitete mit den» Chef de« Civil- cadinet« und besuchte dir großfürstlich russischen Herrschaften. — Wie dir „Hamb. Nackr." hören, dürste der neue Etat der Post- und Telrgraxheii-Berwaltung wieder eine Menge neuer Stellen sur die verschiedensten Post- und Tele graphenbcamteu-Kategorien entdatten. Beträchtlich sollen die Zugänge an neuen «vielten sein, z. B- für Oderassistenten und Aisistcntcn, Unterbeamte im Innendienst, die Landbries» träger u. s. w. Eine ganz« Anzahl Postämter zweiter und dritter Classc soll in solche erster und zweiter Elaste ver wandelt und 20» neue Posiagenturen errichtet werden. Ferner wird beabsichtigt, den 7400 schon vorhandenen Postagenten eine jährliche Zulage von 75 .-e auSzuwersen. — Hirsch « Telcgraphcnburcau meldet, daß von den Re Württemberg« und Bayern« neu« grnodleginde Anträge zum Deinsteuergesetzentwurs gestellt wurde» — Wir die „N.-Z." von zuverlässiger Seite bört. wird der Zollbeirath in den ersten Tagen der nächste« Woche wieder zusammeakommen. Derselbe wird sich u. A. auch mit Nachtragsforderungra zu beschäftigen haben zum Ausgleich von Differenzen, durch welche da« Gleichgewicht zwischen dem russischen Angebot uud den deutschen Förderungen ge stört worden ist. — Gegen da« llrthrtl der S. Strafkammer de« Landgericht« L. da« dem Redacteur de« „Socialist", Landauer, wegen Ruskeizuag S Monate Besängniß ausrrtegt, hat die Ttaateanwaltschosr, d^cen Vertreter I Jahr Gesängutß beantragt halte, Revision «»gemeldet. Die Anträge der Verthridigung, Landauer, gegen den noch zwei An- klagen wegen Lersammlung-rrden schweben, an« der Hast zu eat- lnsten, Häven keinen Erfolg gehabt. * Schwert», l5. November. Heute wurde der Landtag beider Mecklenburg von deu großherzoglichco Commissarie» in Sternbcrg eröffnet. * Eutzen, 14 November. Durch die heutige Wahl in der zweiten Abtheilung verloren die Klerikalen zwei Sitz« und dadurch die langjährige Mehrheit im Stadtraty. * Straßbnr« t. S., 15. November. Der Bezirkstag de« Uaterelsaß nahm einstimmig eine Rrsolulion gegen die Weinsteuer-Borlage an. * München, 15. November. Die BermäblungSfeier der Prinzessin Auguste von Bayern mit dem Erzherzog Joses August verlief programmmäßig. Die Civiltrauung wurde vou dem Minister Frhr. v. Crailsheim unter kurzer An sprache im Thronsaale vollzogen. Hieraus saud in der Aller- deiligenboskirche die kirchliche Trauung durch den Erzbischof Thoma statt. Nach beendigter Feier wurde eine kurze Gralulal>on«cour abgehalten, später fand im Palais de« Prinzen Leopold e>n Familienfrühstück statt. — Der Erzherzog Joses August reiste mit seiner Gemahlin um 5 Uhr Nach mittags nach Salzburg ab. Der Kaiser von Oesterreich trat ui» 7 Uhr die Rückreise nach Wien an. L'esterreich-Urigarrr. * Wie», 15. November. Unter großer Betheiligung der osficiellen Vereine fand heute die Beisetzung de« verstorbenen ehemaligen Minister« Freiherrn v Bach statt. Der Minister präsident Fürst Windischzrätz batte sich eine« leichten Un wohlsein« wegen entschuldigen lassen. Dagegen woonteo die Minister Marqui« Bacquebem, Graf Falkenbayn und Gras Schöuborn der Feierlichkeit bei, ferner Graf Taafse, v. ZaleSki und niedrere SectionScbef«, darunter Freiherr Glanz-Eicka, der Gesandte Gras Kuefstein und zahl reiche andere Persönlichkeiten. — Die vereinigte Linke plant jür Plener und Wurmbrand große Ovationen, u. A. die Veranstaltung eine« Banket- und die Ueberreichung eine« künstlerisch auSgesührten Album« mit den Bildern der Clubmitglieder. * Best, 15. November. Da« Memorandum de« CardinalS Schlauch über den Entwurf de« Ehegesetze« wird von der gesammten Press» besprochen, macht aber nur wenig Eindruck. Die Ossiciösen bezeichnen e« alS eine Taktlosigkeit, daß der Cardinal mit der Veröffentlichung schon hervoriritt, noch ehe der Gesetzentwurf einaereicht ist. Die oppositionelle Presse sieht die Veröffentlichung al ben Beginn eine« Eulturkanipfe« von kirchlicher Seit« an. billigt >edoch keine-wea- die Au-sübrungen de« Cardinal«, die alliectig lediglich al« Wabruug de« dogmatischen Stand punkte« betrachtet werden — Sämmtliche hiesige Bürger club« halten am Sonntag Versammlungen ab, um eine große Kundgebungzu veranstalten, die der Genuglhuung der Bürger- ichast über d,e Genehmigung der Eivilehe feierlichen Au-druck geben soll. — Nach dem gestrigen Mmisterraths- beschluß soll der Cultu-mioister erst nach Einbringung der kirchenpolitischen Vorlagen im Abgeordnetenhaus« seinen Posten verlassen uud da« Prästdium de« Oberhaus«« übernehmen. — In einer Eoasrrruz der liberalen Partei erklärte der Ministerpräsident Meterl« in Er widerung einer Anfrage, Veränderungen »»»Ministerium seien weder in AuSstcht genommen, noch überhaupt in Er wägung gezogen worden. Die darauf bezüglichen Llälter- meldungen entbehrten jeder Begründung. * Sr«z, 15. November. Der zum Handel«minister ernannte bisherige Landc«director von Steiermark, Graf Wurmbrand, sagte bei der Verabschiedung vou den Lande-beamten, er sei vom Kaiser in schwierigen Zeiten auf ein andere« Schasfen-feld berufen. Er werde nicht aufhörcn, im Geiste mit dem Heimaihlande verbunden zu bleiben und hoffe, daß er die Unterstützung der Abgeordneten der Alpen länder sinden werde. Graf Wurmbrand bat schließlich, seine zukünftigen Leistungen nicht nach de» Erfolgen, sondern nach seinem guten Willen zu beurtheilen. Frankreich. * Der römische Berichterstatter de« Pariser „Figaro" meldet telegrapbisch: da- Uebereinkommeu, da- die Dlöcese Üarthago (Tunis) den übrigen französischen Diversen gleichstellt, sei von dem Grasen Böhaine, dem französischen Botschafter beim h. Stuhl, und dem Cardinal «ampolla a»ter»«kS^l worb«« Für Frankreich ist di«, ewe Errungenschaft, denn die geistlich« Verwaltung Tunesien« hin, hi«h«r von der Propaganda ab nnd bot av« diese« Einen Augenblick hatte eS den Anschein gehabt, als ob dieser Titel auf einen italienischen Prälaten über- geyrn sollte, allein die Sympathien Leo'« Xlll. für Frankreich haben die Oberhand behalten. Da« Erbe de« verstorbenen Afrika war. zerfällt jetzt in vier Theile: Msgr. Dusserze ist nunmehr Erzbischof von Algier, Msgr. Tomvr« Erzbischof von Cdarthago und Prima« von Afrika, Msgr. Toulotte apostolischer Vicar der Sahara und Msgr. Livinhae, der einstige Coadjutor Lavigerie'S, Genrralsuprrior der Weißen Mönche und Director der asrikaoischen Missionen. "Parts, 15. November. Im Palai« Bourbon fanden beute Nachmittag verschiedene Versammlungen von Deputirten statt, um parlamentarische Gruppen zu bilden. Insbesondere hat die frühere laudwirthschastliche Gruppe unter dem Vorsitz M-line'« ihre Neubildung be schlossen. — Der Expolizist Dupa«, welcher im Auftrag der Regierung mit Arten verhandelt hatte und später die bekannte Broschüre veröffentlichte, beklagt sich m einem Brief an den „Figaro" darüber, daß dre Polizei ihn nicht inRuhe lasse. Er wohne schon wieder 2 Monate in seiner allen Wohnung unbehelligt, bi« gestern ein Ab gesandter de« Polizeiprasecten gekommen fei und seinen Pförtner auSgesragt habe. Der Brief Dupa«' schließt: „Wie man sieht, verberge ich mich keinr-weg«, ich habe ja auch von Niemandem etwa« zu befürchten. Ich hatte nur einen Wunsch, fortan in Rübe gelassen zu werden, und jetzt brinzl man mich nochmals dazu, zu sprechen. Gut. wenn m«, mich dazu zwingt, so werde ich sprechen." * Pari«. lS. November. Präsident Carnot rmpfinz gestern di« Delegirten zur Münzconsereaz, nachdem dieselben da« Uebereinkowmen, durch welche« die Convention von 1885 abgeändert wird, unterzeichnet hatten. — Das Ministerium hat bisher keine Bestätigung der Nach richt erhalten, daß König Bebanzi» sich der französischen Herrschaft unterworfen hätte. Eine erste flüchtige Prüfung ergab, daß bisher 27 Wahlen angefochtrn sind, darunter di« von Wilson, Bogüö, Barodet, Edmond Blanc und Hubbard. — Au« Marseille wird gemeldet, daß vor dem Hause de« Commandeur« de« 15. Armeecorp« eine Bombe geplatzt ist. Ein Schilderhaus uud die Finster de« Gebäude« sind zertrümmert. Personen wurden nicht verletzt. Eine zweite Bombe wurde in der Flur de« Hause« gefunden. Ein Italiener ist verhaftet. Schweiz. lD Bern. 15. November. Da« Centralcomit« de» Schweizerischen Typographrnbunde« hat die Aus dehnung der Gegenseitigkeit mit dem Verbände der deutschen Buchdrucker in Bezug auf die Eon- ditionSlosenunterstützuna am Orte mit Rücksicht auf die dann entstehende starke Belastung der schweizerischen Coadilion«losencafse abgelehnt. Italien. * Monza, 15. November. Di« Audienz de« Grafen Kalnoky bei dem Könige dauerte eine Stunde. Später wurde der Graf von der Königin empfangen. Abend« fand rin Mahl statt, an welchem außer Graf Kalnoky, Brin und Nigra auch dir Civil- und Militairhofstaaten theilnahmen. Gras Kalnoky, Brin und Nigra reisen inorKm früh ad. — Der ministerielle „Parlament»" veröffeEcht Aeußerungen einer hervorragenden politischen Persönlichkeit, nach denen Giolitti keinesweg« gesonnen sei, kampf- lo« abzotreten, auch der Sturz de« Ministerium« keine«- weg« die Wiederbetrauunz Giolitti'« mit der neuen Cabinet«- bildung ausschließe. Zanardelli habe seine entscbiedene Abneigung gegen eine Nachfolge auSgedrückt und Giolitti für den zur Ueberwindung der Schwierigkeiten am besten Geeigneten erklärt. Dieser zeige sich unbesorgt uud sei über zeugt, bei genügender Zeit sein Ziel zu erreichen. Großbritannien. * Loudsn» l5. November. Man spricht hier von Lord Cromer al« dem künftigen Botschafter von Konstanti nopel. — Heute Nacbmittag suchte eine au« 283 Mitgliedern de-klnterbause« bestehende Deputation den Lordkanzler im Oberhause aus, um denselben zu veranlassen, künftighin die Friedensrichter ohne Vermittelung de« Lord- lieutenant« zu ernennen, geinäß einer früher gefaßten Resolution de« Unterhause«. Ter Lordkanrler äußerte sich dahin, daß er der Resolution de« Unterhauses stet« eingedenk ge wesen sei, und gebe auch zu. daß e» rin Uebelstand sei, daß so wenige Liberale Magistrat-Mitglieder seien, aber eine Aendc- rung könne nicht so plötzlich herbcigesnbrt werden; er über lasse auch keineswegs die Auswahl den Lordlientenant«, allein leise hinzu: „Ich fürchte auch, sie ist tvdt. Wurden Sie ebenfalls Lurch die Hilferuse herbeigezogen, mein Fräulein'?" Hildegard bejahte. „Sie wohnen wahrscheinlich in der Nähe und werden nicht bange sein, den Rückweg allein zu machen, nicht wahr? Es ist veffer. Sie gehen." „Ich möchte hier bleiben", erwiderte Hildegard. „Ein Frostschauer schüttelte sie und schlug ihre Zähne zusammen. „Kann ich gar nicht« lhun?" „Hier nickt«. Aber vielleicht un« zu einem Arzt — zu Belebung-nutteln verhelfen." Hildegard kniete gesenkten Haupte« zu den Füßen der armen Minna, von denen sie die wassergetränkten Scknbc ab- zuliebrn versuckte, und gab keine Antwort. Da« Schlitten glöckchen ließ sich jetzt vernehmen, der Alte führte da« Pferd aus kleinem Umwege die Böschung hinunter. „Der Herr ist ja au« Ratlauken, dem Herrn Siewert sein Schwager", sagte er und schien diese Tbaisacke al- etwa« Tröstliches zu empfinden „Ich kannte da- Fuhrwerk gleich und den Petscken Liebe" — damit war der Iunge gemeint, der bei dem Pferde zurückgeblieben war. Der regungslose Körper de« unglücklichen Mädchen« wurde in Pferdedecken und in die Pelzdecke de« Schlitten« gewickelt und in diesen gelegt, der Alte mußte einsteigen. Roloff felgte mit Hildegard zu Fuß „Mich dünkt, wir haben un« schon geseben". sagte er auf merksam und ibeitnek'mend in ihr verstörtes Gesichtchc» blickend, und nannte seinen Namen „Auf dem Babnbos von Wohlan", bestätigte sie, „al« Siewert« Sie abhollcn. Ich bin Hildegard Markwald au« Gravelifchken." „Ab, ganz recht! Wie weit ist Gravelifchken entfernt?" „Nur eine starke Viertelmeile." Da« Häu«cken war bald erreicht, dir Verunglückte in ihre Kammer, aus ihr Beit getragen, die taube Ma^d angewiesen, Feuer auf dem Herb zu machen Der Professor forderte Hildegard aus. in der Stube zu bleiben und schloß die Tdür zur Kammer, ivo dce arme Minna entkleidet und mit Bürsten rnd heißen Tücher» gerieben wurde Aber die Tbür batte rrerte Spalten und Hildegard, die aus der Ofenbank kauerte, -onnte ernen Tbeil dessen, wa« drinnen verging, kören und >h«n, da alle ihre Sinne, nicht au« Neugier, sanderu au« balb unbewußtem, seelischem Drang, auf den Verlaus de« Drania» gespannt waren. „Ich bab'S ja gewußt, bab'S ja gewußt", sprach der Alte in herzzereißendem Ton. „Heut' Mittag, wir sie au« Dannen berg ist zu Hau« gekommen, bat ihr der Tod im Gesicht ge standen. Vater, hat sie gesagt, e« ist Alle« au« Für mich ist « am besten, ich gehe in« Wasser. Ich bin nicht so eine, die sich mit Füßen treten und schimpfire» läßt, und da« Schlimmste kommt »och. — Kind, Hab' ich gesagt, halt' au«, e« muß auch wieder besser werden. Aber sic hat blo« den Kops dazu geschüttelt. Ich Hab « nicht gewollt, daß sie bei der alten Götz soll betteln gehen um ihr gute« Recht. Sie bat gemeint, wenn sie de» Mund austbun und reden wollt', so kam' Alle« an'« Tageslicht, wa« die Herrschaften lieber klastcrlies in die Erde begraben möchten. Dahin würd' e« die GLpcn nicht kommen lassen. — Kind, Hab' ich gesagt, wer wird Dir glaube»? Sie baden Dich au« dem Hause gejagt, sie werden Dich zum Lügenmaul uud zum Spihbuben macken. Vater, hat sic gesagt, e« sind ja doch Menschen und keine wilden Tbicre. Und e« ist ja doch sein eigen Fleisch und Blut, das Kind, da« ich —" Hier stockte der eintönige Redefluß de« Alten. Der Pro fessor hieß ihn, etwa« Branntwein am Feuer zu erwärmen. Er kam mit der Schnap-slasch«, machte sich, immer vor sich hinmurmelnd, am Herd zu schaffen und ging wieder. Plötzlich schrie er in heftiger Bitterkeit auf: „Sie ist todt, sehen Sie denn nicht, daß sie todt ist? Lasten Sie sie doch in Frieden schlajen! Herrgott, Du wirst ibr die Miffclbat »i>dt anrechucn! — Herrgott, Du kennst ibn, den vornehmrn Hallnnken, der da« verschuldet hat Du wirst ibn treffen mit Deinem Strafgericht am jüngsten Tage und schon hier aus Erden. Ja Herr, der Dannriibergrr Goetz. der ist «, der bat meine arme Marielle in die Schande und in den Tod ge jagt, und ich möcht' wissen, wer mir verbieten will, da» laut zu sagen!" Hildegard hörte den Professor ein paar bernbiaende Worte sprechen, und eine Frage thun. dir sie nicht verstand. Eine Weile ging da« Gespräch noch in gedämpftem Ton weiter, dann trat der Prosessor blaß und düster herein und zu Hilde gard. ,.E« >ft zu Ende, da ist kein Zweifel mehr. Ich werde Sorge tragen, daß ein Arzt herdeigrdvlt wird — er wird schwerlich mehr zu »bun sinden, al« den Eintritt de« Tode« u bestätigen Fräulein Marlwald, »ch w«dr Sie jetzt nach use bringen." 5 Hildegard saß, da- Antlitz in beide Hände gedrückt, zitternd in Ficbersrost. und gab kein Zeichen, daß sie gehört habe. Roloff trat vor die HauSlhür, »sie hörte ihn mit seinem kleinen Kutscher sprechen, dann kam er zu ihr und legte sanft die Hand auf ihre Schulter. „Armes Kind, allzu früh lernen Sie dieNachtseiten des Leben« kennen. Aber der Tod ist nicht da« Schlimmste, und nach meiner Ueberzcngung hat der Mensch, der nicht au« eigener Wahl in« Leben tritt, da- Recht, fick au« unüberwindlicher Bedrängniß zu flüchten — in die letzte sichere Freistatt." „Aber warum?" rief Hildegard, und hob ibr zuckende« Antlitz mit den schmerzhaft zusammengezvgenen Braue» und firberalübenden Augen empor. „Warum muß da« sein? Ist kein Gott mehr? Wie kann er so etwa« geschehen lassen?" ,,E« giebt keine Antwort auf die« Warum-"' erwiderte der Professor sehr ernst. „Ich wenigsten« kenne keine Ur sachen und Folgen vermögen wir zu erkennen. Darüber hinan« giebt e« nur Glauben, Wahn, Dichtung. Der Einzelne büßt die Sünden seiner Zeit, seine- Volk«, einer tausendjährigen Vergangenheit, von der er nicht« weiß. Schwächen und Leiden schaften sind sein überkommene« Erbtheil, und die menschliche Gesellschaft, die ibn gegen sich selbst schützen sollte, ist nicht einmal im Stande, Unrecht und Gewaltthat von ihm ab»u- wedren. — Aber jetzt kommen Sie, Fräuliiu Markwald! Wie leicht Sic gekleidet sind! Uud ganz feucht vom Sprüh regen." Hildegard, die wieder in sich zusammengesunken war. schüttelte den Kops. „Ich bleibe hier, Herr Prosessor." ^Hirr bleiben?" ries dieser betroffen. „Was fällt Ihnen rin? Sie können nicht hier bleiben." „Ich kann nicht nach Hause!" rief Hildegard heftig und rang die Hände. „Ich kann nicht! Ich kann nicht!" Roloff blickte sie befremdet an. „Sir könne» nickt nach Hause? Wce soll ich da« verstehen? Sprechen sie ohne Scheu, Fräulein Markwald. Sie stehen unter dem Schutz eine« Freunde»." Statt der Antwort brach Hildegard in schmerzliche« »er- vöse« Schluchzen an«. Roloff setzte sich zu ihr aus die Ofenbank und redete ihr beruhigend zu. „Sie müssen sich zusammrunrhmen, mein Kind, über Ihr« Erschütterung Herr werde«. Wir dürfen nicht länger zögern. Ihre Eltern sind wahrscheinlich schon iu Gorge über Ihr Lu-Hlatzen." „Um mich ist Niemand i» Sorge", murmelte Hildegard bitter. Roloff schien da« zu überhören. „Wir müssen zu Fuß gehen, mein Kutscher behauptet, e« liege kein Schnee mehr auf dem Wege nach Gravelifchken. Mich hat er über Feld und durch den Wald gefahren, da ich durchaus noch einmal Schlitten fahren wollte. Für sie ist die Bewegung gut, sie wird hoffentlich einer Erkältung Vorbeugen. Kommen Sie, Fräulein Markwald." Hildegard hörte den Ton ernster Autorität, sie trocknete ihre Thranen, erhob sich mechanisch, that ein paar Schritte »ach der Tbür zu, hielt dann inne, wandte sich zurück, und brach verzweiflungsvoll lo«, indem sie mit erhobenem Arm nach der Kammer hinwie«, in welcher die Leiche der Selbst mörderin lag: „Der Manu, den der Alte dort den Mörder seiner Tochter nennt, feiert heut seine Verlobung mit meiner Schwester. Ich kann nicht in« Hau«, kann ihn nicht sehe». Niemals will ick ihn wiederseben! Ich stürze mich in den See, wie die arme Minna, wenn Sie mich dazu zwingen wollen." Roloff starrte sie erschreckt an. „Dann bleibt nur ein«", nahm er nach kurzem Schweigen da« Wort. „Ich bringe Sie nach Radlaukeo zu meiner Schwägerin. Sie kennen Frau Ida Siewert?" „O ja, ja!" rief Hildegard. „Werden Ihre Eltern damit einverstanden sein?" Hildegard uickt«. Der Prosessor nahm ihre feuchte beiße Hand und zog sie sanft an sich. Wa« in ihm vorging, wie sic fick kindlich bilslo« an ibn ichmiegte und a»-wcinte, war seltsam genug Er hatte nie Geschwister gehabt, seine Ehe war kinderlos geblieben. Er batte da« zu Zeiten al- einen schmerzlichen Mangel empsundcn, sich aber nachgerade der Gedanken darüber ratschlagen, ja sich selbst überzeugt, daß e« für ihn da« Beste sei. Jetzt regte sich ein Oucll lcbcndia warmer Gefühle in ihm, von deren Urspiung er sich nicht Rechenschaft zu aeben vermochte. Da« tborichte junge Geschöpf, da« überwältigt von der unverstandenen Tragik de« Leben« an seiner Brust schluchzte, batte Rechte an ihn, die zartesten, heiligsten Rechte. Sie gehörte fortan zu ihm und kouule ihm nie wieder fremd werde». cSorssetzmtg folgt)
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