Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.11.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-11-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18931125026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893112502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893112502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1893
- Monat1893-11
- Tag1893-11-25
- Monat1893-11
- Jahr1893
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
vezugv-vrer» A tz« Hanytexv» ditto» oder d» t» Stntzt» tzqirk nutz de» Vororten errichtet« Art« «deftrilea abgeholt: vtsteljährlich^lLLO^ bei zweimalig« täglicher Zustellnug in» Haal LLO. Durch die Post bezogen für Tentschlaad und Oesterreich: virrteliäbrlich S.—. Direct« tägliche Kreuzbandienduug i»< AnStoud: monatlich ?LO. Lie Morgen-Autgabe erscheint täglich '/,7 Uhr^ die Abend-Antgabe Wochentag« 5 Uhr. Le-arlion und LrpeLitts«: AahmmeSgasi« 8. Liekrvedttion ist Wochentag« oauuterbroche» geöffnet von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. KU» Le»» « Porti«. lAlfre» H«ha), UaiversitätSstrabe 1« Loui» Lösche. ßMrinenstr. 1«, pari, und KöaigSvla- 7. Abend, Ausgabe. MMr.TagMM Anzeiger. Drgan für Politik, Localgeschichte, Handels- und Geschäftsverkehr. AnzetgemPrck» die 6 gespaltene Petitzeile 8V Mg. Reklamen anter dem RedactionöstriiG (4g«> spalten) SO»j> vor den Familiea»»chrichl«n (6 gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis, verzeichn^. Tabellarischer und Ziysernsatz oach höherem Tarif. Sgtr«-Beilage«, (gesalzt), nur »it der Morgen. Ausgabe, ohne Postdesöxdernng 60 —, mit Postbesörderung 70.—. Aunahmeschluk för AuMgea: Abend-Ausgabe: Donnittogs 10 Ubr Morge »-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Sonn- und Festtags früh ',,S Uhr Bei de» Filialen und Ännahmesteklqu je ein« halbe Stund« früher. Anzeige» siad stet« au dl« Gypedttiou zu richten. , ^ Druck and Berlog von L. Polz in Leipzig. ^ 802. Sonnabend den 25. November 1893. 87. Jahrgang ZU gefälligen Beachtung. Unsere Expedition ist morgen Sonntag, den Ä6 November, Kornrittags nur bis VsS Uhr Lxpeältlo» Ü68 I^elprlxer ^a^edlattes. Die Vorgänge am 17. Marz 1890. In der heutigen Morgenausgabe unseres Blattes ist bereits telwrapbisch geineldet worden, daß die „Hamburger Nack- riihten" das bekannte Buck von Hauö Blum gegen die Kritik der »Köln. Ztg." in Schutz genommen haben. Die .Hamburger Nachrichten" beschränken sich aber, wie wir auS dn jetzt vorliegenden Nummer selbst ersebe», keineswegs aus me allgemeine Polemik gegen daS rbeinische Blatt, sondern M ihrerseits — eS ist das erste Mal, daß dies geschieht, -tiueDarstellung der Vorgänge, die am N.Märr IW sich abspielten. Da der Ursprung dieser Mit- tbnlmtgeu nicht zweifelhaft sein kann, so muß dem Artikel des Hamburger Blattes geschichtliche Bedeutung zuzesprochen vndr». Wir geben ihn deshalb vollständig wieder: ,DaS Werk des vr. HanS Blum entspricht insoweit da Thatsachen, daß am 17. März früh nicht, wie die .-öl». Ztg." meint, der Geh. Ratb von LucanuS, sondern in der Thal der General von Hahnke zum Fürsten BiS- «ark kam, um Letzterem in Anknüpfung an eine Besprechung vom Tage zuvor mitzutbeilen, daßSe.Maj. der Kaiser das EitlassungSgesuch deSKanzterS erwarte und denselben m diesem Bcbufe um 2 Uhr desselben Tages zu empfangen imit sei. Der Fürst erklärte, nach seinem augenblick- Löen Gesundheitszustände nicht ausgehen zu können und «»Frist zur schriftlichen Eingabe bitten zu müssen. Hierdurch berichtigt sich der erste Jrrthum de» Artikels der .Köln. Ztg." In Folge dieser durch den General von Hahnkc erhaltenen allerhöchsten Eröffnung berief Fürst Bismarck die Staa t Sministerialsitzu ng, deren die „Köln. Ztg." gedenkt, auf A Uhr Nachmittags, um seinen Collrgen die Mittheilungen zu machen, welche durch dir Situation geboten waren. Einige Stunden nach dieser Sitzung, am Abend des Tages, erschien erst der CabinetSrath von LucanuS im ReichSkanzlcrpalai«, nicht wie die „Köln. Ztg." in weiterem Jrrthum angiebt, um den Fürsten zu einem Ent würfe der Aufhebung der CabinetSordre vom 8. September l852 zu veranlassen, sondern ausschließlich mit einem Escitatorium wegen de» Abschiedsgesuchs des Fürsten, und mrt dem Ausdrücke der Verwunderung, daß dasselbe noch nicht eingegangen sei. Der dritte Jrrthum der „Köln. Ztg." liegt in der An nahme, daß die Initiative zum Ausscheiden des Kanzlers an« dem Dienste vom Letzteren auSgegangcn sei, und der Kaiser erst durch Miltheilungen, welche Seiner Majestät über die Ministerialsitzung geworden waren, Krnntniß von der Situation erhalten habe, welche durch die dem Kanzler durch General v. Habnke im Namen des Kaisers gemachten Eröffnungen geschaffen war. Man kann hiernach der „Köln. Ztg." und ihrem osficiösen Berichterstatter nur den Vorwurf der „Legenkenbitdung in Wiedergabe geschichtlicher Vorgänge" zurückgebcn. Die Bluin'schc Darstellung entbält in Bezug aus die Chronologie und einzelne Details jener Vorgänge ebenfalls Unrichtigkeiten, aber dock, keine tendenziösen und osficiösen. Die „Braunschweigische LandeSzcftung" ist im Jrrtduin mit ihrer Annahme, daS Bluin'schc Buck, habe vorher dem Fürsten „zur Verbesserung und Vervollständigung" Vor gelegen." Politische Tagesschau. * Leipzig, 25. November. Die erste Beratbung der Handelsverträge im Reichstag ist auch gestern »och nicht beendet worden; die gestrige Sitzung bat auch trotz einer längeren Rede, in welcher der Reichs kanzler die Vertreter der Landwirtbschaft ans daS Eindring lichste vor einer principiellen Opposition gegen die HandelS- vcrtragöpolitik warnte, augenscheinlich die vorhandenen Gegenlätze nicht gemildert, und wenn nicht in der Commission, an welche die Verträge zweifellos werden verwiesen werden, noch eine Annäherung der Gegner der Verträge an den Slandpunct der Regierungen erfolgt, so läßt siä, den Ver trägen, besonders den, rumänischen, kein günstiges Prognostik»!! stellen. Die „Nal.-Lib. Corr.", die wir schon gestern cilirten, schreibt denn auch heute: „Unsere Miltdciluiigcii über die parlamentarische Situation gegenüber den Han delsverträgen hat man etwas zu pessimistisch gefunden. Wir wären erfreut, wenn cs so Ware. Sie entsprechen in dessen, wie der weitere Verlauf zeigen wird, nur der that- sächlich vorhandenen Stimmung, und wenn sich daran» keine sehr günstigen Aussichten für daS Zustandekommen insbesondere des rumänischen Vertrages ergeben, so könne» wir eS nicht ändern, sehen auch keinen Grund eia, diese Sachlage zu verheimlichen oder zu beschönigen. Wir hatten übrigens nur bemerkt, eine Majorität für di« Verträge sei zweifelhaft, keineswegs aber, eine solche sei bereit« al« auSgeschloffe» zu betrachten. Er ist ja wohl möglich, daß di« Sache noch eine günstige Wendung nimmt. E« kommt hauptsächlich wieder aus daS Centrum an, welches in dieser Frage notorisch gespalten ist, wobei eS sich aber noch nicht übersehen läßt, wo die Grenzlinie zwischen Gegnern und Freunden zu ziehen ist. Herr Lieder hak vorgestern einen Eiertanz aufgesührt, dessen ausweichende Wendungen alles in dieser Art Dagcwcsene übertrasen." Gegenüber den derben, bisweilen ins Robe fallenden Aus brüchen particularistischer Gesinnung in Bayern, die selbst an der Schwelle des Landtage- nicht Halt machen — sprach doch dieser Tage der Führer der kleinen Socialisten- sraction imAbgcordnetenhause von „Berliner Rebläusen", und dem Haupte der CenlrumSpartei soll sein Wort, von Norden wehe der Wind nie etwas Gute« her, unvergessen sein —, ist eS nicht ohne Interesse, ein Urtbeil der „Köln Ztg." über zwei maßgebende Persönlichkeiten Bayerns zu lesen Dem Blatte wird aus Berlin geschrieben: „Der diesmalige Aufenthalt des Prinzen Ludwig von Bayern in Berlin wird einen bleibenden Eindruck werthvollsler Art hinterlassen. Ganz abgesehen von den innigen freundschaft lichen Beziehungen zwischen der kaiserlichen Familie und dem dereinstigen Träger der bayerischen Krone, hat in den politischen Kreisen, weiche mit dem Prinzen in Berührung gekommen sind, daS reiche Wissen und das sachverständige, unbefangene Urtheil deS fürstliche» Herren allgemeine Anerkennung gesunden. Ueberhaupt ist es ein hocherfreuliches Symptom, bas, bei den bevorstehenden, ebenso wichtigen als schwierigen Ausgaben der inner« und in gewissem Sinne auch der auswärtigen Rcichs- politik zwischen den uiimillelbar verantwortlichen Träger» derselben und den Perlrelcrn der beiden grössten Bundesstaaten das beste Ein vernehmen besieht. Jin -Zusammenhänge damit nimmt man an. daß die Veriheidigung der i»i Bundesraihe beschlossenen und soeben an den Reichstag gelangte» Sleuerreiormvorlage» eine wesentliche Stütze in den Aussührungen des bayerischen Finanzminislers v. Riedel vor dem Reichstage erhalle» wird. Namentlich wird gellend gemacht, datzdie beiden Finanzininisler von Preußen und Bayern in allen Haupt- vuncten sich verständigt haben, und cs ist jedenfalls in mehr als einer Beziehung als ein Fortichriit zu begrüßen, wenn die Minister süddeutscher Staaten vor der nationalen Gesammtvertretung im vollen Einklang mit den Reichsbehörben und de» prenßiichcn Bundesbevollmächtiglen die von ihnen milberaihenen »nd beschlossenen Regierungsvorschlägc gegen die berechiiglen und unberechiigicn An griffe auS den verichicdene» Parteien und Jnteressenlreiscn bcsi:r- worten." In Italien hat das Geschick des Ministeriums Giolitti sich bereits erfüllt; eS ist vor der Aufregung, welche die Vor lesung deS BankderichteS hervorbrachte, unverzüglich zusammcn- aebrock'en. Das ist allerdings etwas befremdlich, denn der Bericht macht Herrn Giolitti nur den Borwurs, daß er vor Ernennung Tanlongv'S zum Senator eS an der erforderlichen Umsicht bade jelsten lassen, während im klebrigen gegen Giolitti keine erweisbaren gravirenden Momente vorzuliegen scheinen. Auch die wütkenden Aussälle, die der Fra»zose»sreuut Imdriani in der Kammer unmittelbar nach seiner Vereidigung gegen die Regierung richtete, sind nicht besonders ernsthast zu nehmen, auch nicht sein Verlangen, daS Ministerium in Anklagc- zustand zu vc.setzen. Dieses Verlangen würde Jmbriani wohl vor Allem dadurch motiviren, daß Giolitti die Reise des Kronprinzen von Italien nach Metz geduldet habe. Dieses Argument spielt eine große Rolle in den Behauptungen der Franzosensreunde vom Schlage Jmbeiani'S und Cavallvtti'S. daß die italienische Regierung daS Land „auf die Bahn des Verderbens gebracht" habe. DaS Cabincl erkannte aber, daß eS um jeden Preis gestürzt werden sollte, und zog seinen Rücktritt, den der König bereits genehmigt bat, vor. Bei d«v bestehenden Parte,Verhältnissen ist nicht anzunehmeo, daß irgend ein Parteiführer 'auf eine Mehrheit rechnen könnte. Man wird sich also wohl zu einem neuen Appell an das allgemeine Stimmrecht genötbigt sehen. Auch in Arankretch beginnt eS zu „kriseln", obwohl die Deputirtenkammer noch nicht Gelegenheit gehabt ha», über die programmatische Erklärung der Regierung ihr Urtheil abzugeben. Einer bereits im heutigen Morgenblatte mit- getbellten telegraphischen Meldung zufolge hat der Finanz- minister Peytral den Entschluß, aus sein Portefeuille zu verzichten, bereit» kunvgegeben und die Ausführung desselben aus den ausdrücklichen Wunsch de» Präsi denten der Republik nur bis nach Beendigung der vom socialistischcn Depulirten JanröS angeregten JnterpcllationS- dedatlc vertagt. Tritt er dann zurück, so werde» zwei seiner College«, die Herren Terrier und Vielte, sich ikm anschließen. Peytral, Terrier und Vielte vertreten im Ministerium Dupuy bekanntlich die radikale Linke, und nach der entschiedenen Mißbilligung, welche da- von Herrn Dupuy in der Kammer verlesene ministerielle Programm im Lager des RabicaliSmuö gesunden hat, können sie anstandshalber kaum aus ihren Posten verbleiben, ohne sich den Borwurf, Renegaten zu sein, der ihnen von socialistischcr Seite bereits gemacht wurde, auch seitens der eigenen Partei genossen znzuziebcn. Die „Gemäßigten" würden das An» scheiden dieser drei Minister nal.'.richerwrise mit Freuden begrüßen, hatten sie Herrn Dupuy doch seit Wochen schon bestürmt, von diesen College» sich loSzusagen; zwischen der Regierung und den Radicalen aber würde da» Tnfeltnch alsdann völlig zerschnitten sein. Die in Lp,inten an da» Eintreffen Muley Aaras'S, deS Bruder- deS Sultan« von Marokko, in Mellst« ge knüpften Hoffnungen habe» sich nickt erfüllt. Vom General MaciaS mit allen militairischen Ehren empfangen, erneute Mule» Aaraf die FrickenSverstcherungrn deS Sultan» und machte Vorschläge, die sofort nach Madrid telcgrapbirt wurden. Indem er ausdrücklich die Freundschaft de» Sultan» für Spanien bc theuerlc, dessen Rechte er anerkenne, erbat Aaraf eine Frist, um die dinncnläiidischen Stämme entfernen und die Rebellen bestrasc» zu können. General MaciaS antwortet«, daß er die Bewegung der Truppen nicht ausgeben könne, und lehnte den verlangten Waffenstillstand ent schieden ab. Ebenso ist der General auf de» Vorschlag, daß die Kabnlcn die Handelsbeziehungen zu Mellila wieder ansncbmcn wollten, nickt eingegangen. Nachdem die Negierung die von Marias rrtbciltc Antwort gutzebeißen bat, dauern die Feindseligkeiten nach wie vor fort. Die KricgSbegcisterung Kai in Spanien allerdings sehr ab- genonimcn. so daß eine Beilegung der Feindseligkeiten in tnrzer Zeit nicht all,»große» Schwierigkeiten begegnen würde. Die Hauptschwierigleit bildet immer die leidige Ent schädigung »frage. Tic Nothwendigkeil einer starken Vermehrung der englischen Flotte wird jetzt von den dem britischen Reicks getauten huldigenden Preßorgancn jenseits de» Canal» der öffentliche» Meinung in allen möglichen Tonarten ror- demonstrirt. Wenn nölhig. soll selbst eine Mehrausgabe von 2« Millionen Pfund Sterling ----- 400 Millionen Mark nicht gescheut werden. Was auS diesem Prcßfcldzugc und den parlamentarischen Debatten über die Flottcnsragc heran» kommt, berührt uns bei der isolirten Stellung England« nicht besonders tief. Nur ein Punct interessirt auch weitere Kreise: die Frage de» Mannschaft-personal«. Es liegt aus der Hand, daß jede Vermehrung de» Bestände» der englischen Kriegsflotte auch eine entsprechende Verstärkung de» Schiffs besatzuugSctatS bedingt. Die Flotten - Reservemannschaften diene» so ziemlich insgesamt«! auf den Kauffahrteischiffen und den Fischerbooten. Die Unzulänglichkeit deS Personals auf den HandclSsabrzeugcn hat nun schon seit geraumer Zeit dazu geführt, daß fremdländische Matrosen, »amen! lich deutscher und skandinavischer Abkunst, zu cincvi wachsenden Procenlsatz aus englischen Schiffen fahren. Gesetzt nun, England schritte wirklich zu einer Flottenvermehrung, im großen Stil, was naturgemäß einen starken Abfluß englischer Seeleute von der Handel»- zur Kriegsmarine nach fick ziehen müßte» so würde der Anreiz für deutsche Seeleute, den lecrgewordencn Platz aus englischen Schiffen anSzusüllen, um so größer werden, je mehr die jetzige aus dem heimischen Erwerbsleben lastende Depression ihren Üinfluß auch auf da» seemännische Gewerbe auSübl. Den deutschen Schiffsahrtintereffen aber könnte mit einem solchen Abfluß einheimischer Arbeitskräfte nach England unmöglich gedient sein. Es wird sich also empfehlen, aus den Fortgang der englischen Flottenagitation ein wachsame» Auge zu richte», um eventuell von den wirthschasllicken Conscguenzcit derselben nicht unvorbereitet betroffen zu werden. Leben um Leben. 17s Roma» i» zwei Bände» von M. Gerhardt. Nachdruck «ertöte». (Fortsetzung.) Dreizehnte» Capitel. Aufgeregt über die unerwartete Heimkehr ihres Mannes ko» Antonie Tag« daraus an und war sehr geneigt, sich über ihre HLnSltchen Einrichtungen, über den so zur Unzeit befolgten schwesterlichen Rath, und alle» mögliche Andere Borwurfe und Gedanken zu machen. Als Alfred ibr dann frischer und herzlicher al» je eut- zeaenkam, beruhigte sie sich. Sie hatte in den Ferien so viel rovsprüche und Danksagungen Hildegard'« wegen eingeheimst, daß sie jetzt ihre Güte gegen da« Mädchen nicht bereuen wollte. Zwar bemerkte sie bei dem nächsten Besuch, daß etwas in dem Ton zwischen Hildegard und ihrem Mann ver ändert war. Er war eben angeregt und heiter von seinem Ausflug heimgekebrt und sie begann die ungelenke Schüchtern heit des Landmärchen- und die ernste Fe,erlichkeit der Sr- minaristin abzustreifen. Da hatte dir riffle Begegnung unter etwa» ungewöhnlichen Umständen da« Eis zwischen Beiden ge brochen. Da» sollte Antonie nicht leid thun. Bon dem Vorhaben, das seine Rückkehr veranlaßt, gab Roloff seiner Frau nur allgemein gehaltene Andeutungen. Wozu sie beunruhigen mit Projrctea, deren revolutionäre Kühnheit sie nur erschreckt hätte, deren Ausführung noch lange nicht gesichert war. Ihr Stolz war e» freilich, über die Arbeiten ihre» Mannes gut unterrichtet zu sein. Sie wußte von jeder einzelnen, wann sie begonnen, wann sie vollendet, wann gedruckt worden war. Jede Recrnsion bewahrte sie »ns, la« Alle«, wa« ihr Mann geschrieben und konnte mit be scheidenem Selbstgefühl Bescheid geben» wenn irgendwo auf seine Bücher die Rede kam Daß seine tiefsten Intentionen, da« Keimen, Wachsen und Werden seiner Schöpfungen sich ihr verhüllte wie jtzdem anderen, seine College« nicht ausge schlossen, konnte sie nicht al« Zurücksetzung betrachten. Roloff batte kaum jemals einen gleichgesinnten GeistrSgenoffrn ge- iunden, war so wählerisch in seinen Annäherungen, von so nervöser Reizbarkeit gegen unsympathische geistige Berührungen, h«ß er riktälich isolirt dastand und Nicht mit Unrecht de« geistigen HochmuthS beschuldigt wurde. Er litt zuweilen unter den Consequenzen dieser seiner Cbaraktereigenart, ohne sie doch ändern zu können noch zu wollen. Wie er bei alledem dazu gekommen, einem einfältigen jungen Mädchen Einblick in daS Allerbeiligste seiner Gedanken welt zu gestatten, fand Roloff Tag- daraus vollkommen un begreiflich. Die Reisrstimmuitg, die gedankliche Erregung mußten ihn ganz aus seiner Verfassung gebracht haben. — Ja, sein Leben war in eine neue bedeutende Epoche eingetreten, und der srohgläubige jugendliche Enthusiasmus, der ihm auf der Schwelle Gruß und .Heil geboten, sollte ihm eine glück liche Vorbedeutung sein. Warmherzige, poetisch schwunghafte Phantasie, die das Geahnte, Gewollte schon alS wirklich Ge wordenes siebt, daS war eS, was ihm zur Heft wohl und noth that. Auch er brauchte einen sieghaften gläubigen Mutb, wenn er die Größe seines Unternehmen« im Geiste erwog. Kein Zweifel, keine Zaghaftigkeit durfte ihm nabe kommen. Ucbrigen» konnte sich der glühende Schaffensdrang, der Roloff helmgcfübrt, zunächst noch nicht ungehemmt bethätigen. Die Vorarbeiten zu dem geplanten Werk waren sehr umfang reich und erforderten um so mehr Vorsicht und Gründlichkeit, als sic ein Arsenal von Angriffswaffen liefern sollten, zum Feldzug gegen unbezweifelte Dogmen und anerkannte Auto ritäten. Ein jeder Schritt vorwärts »inßte ein Kampf werden. Die Collegien hatten noch nicht begonnen, seine Tage waren nnauSgefüllt» die innere Ungeduld suckle nach einem Ausweg. Die zweite Auflage der „RcchtSbegriffr" sollte nun, da der Verleger nicht davon ablieb, dennoch erscheinen, doch sollten die Verbesserungen den Hauptbestand de« Werke« unangetastet lassen, waren also leichte Mühe. Um sich die selbe interessanter zu machen, sing Roloff an, rin Exemplar mit handschriftlichen Anmerkungen zu versehen, di« einer un- gelehrten Leserin da» Versländniß zu erleichtern bestimmt waren. „Befriedigen Sie denn Ihre Seminarsiudirn, Fräulein Hildegard?" fragte er eine« Abends, als er sie in sein Stndir- zimmer gerufen, um ibr ein Buch herauSzusuchen — ein kulturgeschichtliche« Werk, da« als Einführung in die Lektüre seine» Buches und philosophischer Werke überhaupt dienen sollte. Da r» leicht faßlich und gebaltvoll, weder trocken noch oberflächlich sein sollte, so war eS nicht leicht zu finden. Hildegard stand» einen Stoß Bücher aus beiden auSgrstrrckten Armen, von dem scheidenden Tageslicht schlank und weich an« der purpurnen Dämmerung de» hohen Räume« berauSgeboben, vor dem Professor, während er, an da» Büchergestell gelehnt, in einem Bande blätterte. Auf seine Frage schüttelte sie betrübt den Kopf. „Ach. Herr Proseffor, in den Ferien, hier in Ihrem Studir- zimmer, batte ich solch frohen Muth bekommen. ES war hier so still und feierlich und Alles schien so leicht und klar. Bei den trockensten Exercitien konnte ich mir etwa« denken. Aber jetzt im Seminar glaube ich nianchmal, ich müßte er sticken in Dumpfheit und Eng«. Und meine Unfähigkeit ist wirklich nicht allein daran Schuld. Manchmal ist'», al» würde mir ein kleine« Bruchstück eine» großen Erkenntnitz- krcises gegeben. Dann strebt der Verstand heißhungrig den verschwindenden Linien nach, hastet und tastet und verirrt sich hoffnungslos im Dunkeln." „Das kommt daher, weil Sie im Seminar sämnttliche Weisheit der Welt in zwei bis drei Jahren sich aneignen", erwiderte Roloff belustigt. „Sir studiren auch Geometrie, nicht war? Ihr Gleichniß klang so danach." ,Za, wir studiren leider auch Geometrie", bestätigte Hildegard mit tiefen, Seufzer. Roloff lachte und nahm ihr die Bucker von de» Armen. „AuSkarren wollen Sic aber trotzdem?" „Gewiß, ick will das Examen machen, sonst erhalte ich die Berechtigung zum Unterrichten nicht. Und ich muß doch wissen, wozu ick auf der Welt bin, nicht wahr?" „Nur um Andern mit Ihren Kenntnissen, Ihrer Arbeit zu dienen, meinen Sie?" „Ja. Ack, ich möchte etwa» thun, die Menschen besser und glücklicher zu macken!" Roloff war an den Tisch getreten und bat um Erlaubniß. sich eine Cigarre anzünden zu dürsen. Sein Blick ruhte aus dem jungen Mädcken — halb gerührt, halb schwermüthig ironisch. „Dazu wird Ihre Srminargelebrsamkeit nickt viel nützen. Aber Sir baden reckt, macken Sie nur die Presse durch, Ihren schönen graden Verstand werden Sie hoffentlich ebenso uaver- stümmelt au« diesem Prokrustesbett retten, wie Ihre Phantasie unverdorben au- den Wildnissen der Romantik. Wollen Sir aber den Menschen wahrhaft woblihuo, so müssen Sie im Stande sein, ihnen einen moralischen Halt zu bieten. Alle Bücherweisheit der Welt ist ohne Werth im Vergleich zu der gesunden Einsicht, bei» »nbrsangencn Urtbeil, dem tbatkräftigcn Wollen eine» in sich gefesteten Charakter«." „Wie kann ich dazu gelangen?" fragt« Hildegard. „Durch Wahrbeit", erwiderte Roloff mit tiefem Ernst. „Lieben Sie die Wabrdeit über Alle-, streben Sie ihr nach mit unermüdlichem Eifer, haben Sic den Mutb. ibr in» An gesicht zu sehen, auch wo sie hart, unschön, ja fürchterlich er scheint. Weisen Sie Alle« zurück, was nickt mit ibr besteht." „Werde ick dazu die Kraft haben?" fragte Hildegard er griffen. „Cs ist eine starke Anforderung an ein junges Mädchen", erwiderte er. „ES heißt mit Ihren romantischen Neigungen ganz und für immer brechen. Die süßen Illusionen der Kind heit lassen sich nicht wieder Herstellen, wenn der rosige Schleier einmal zerrissen ist. Darum fort mit den Resten, und nntthig den Blick zum Lickt geboben. Die Kraft wächst im Ringen. Sie baden Energie, ich weiß eS, und Sie dürfen nicht iw Halbheiten stecken bleiben, wenn Sie nicht unglücklich werden sollen." „Ich will, und ich werde können — aber — verlassen Sie mich nicht, Herr Professor!" bat sic inbrünstig mit gefalteten Händen. Die Folge dieses Gesprächs war, daß Roloff fick einen oder zwei Abende in der Woche für Hildegard frei machte, damit sic die ersten Schritte aus der gewiesenen Bahn unter seiner Leitung thne. Er unterrichtet« sie in den Elementen der Geometrie und Mathematik und ließ sic etwa- Latein treiben. Sie begriff rasch und lernte mit leidenschaftlichem Eifer, und so waren die Fortschritte bald ersichtlich Und da er eine neunzehnjährige Schülerin bei aller strengen Gründlichkeit doch nicht wie eine» elfjährigen Knaben behandeln konnte, so ergab e- sich von selbst, daß er ibre» Blick öfters von den ersten Grundsätzen zu den höchste» Zielen alles Wissens lenkte. Lehrer und «Schülerin kamen nach solcher Lection gx wöbnlich so erhitzt und frob erregt in Antonien- anstoßendes Zimmer zurück, daß sie mit stillem Befremden vom Einen zum Andern blickte. Ein O.uintanercursuS konnte für Alfred nicht» so außerordentlich Interessantes habe», »nt die Dobl tkat der errungenen Kenntnisse für Hildegard war mindestens fraglich. Jedenfalls nabmen die Stunden ihre schon sehr besetzte Zeit übermäßig in Anspruch. „Meinst Du, e- könne ihrer Gesundheit schaden?" fragte Roloff rasch und besorgt, al» Antonie solche Zweifel laut werden ließ „Sie ist sehr blaß, nickt wahr? CS fiel mir beut ans. Sic sollte mehr an die Lust." Antonie batte sich vor mehreren Tagen leibend gesuhlt und Roloff hatte bedauert, daß sie ihren Landaufenthalt seinet wegen verkürzt. Sie fühlte sich seitdem keineswegs wohler,
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite