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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.11.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-11-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18931128020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893112802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893112802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1893
- Monat1893-11
- Tag1893-11-28
- Monat1893-11
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M., rin Brief anS Orleans «om 23. November 1893 nebst einem dazu gehörigen Sästchen in der Größe eines Bifitenkarten-Cartons. Mjor Eb weher, der mit der Durchsicht der eintrefscnden Endungen beauftragt ist, öffnete zunächst den Brief, der de» Malt icnes Kästchens als „uv Selmntillon cko srraiueü ,Ic> raclis live «pscs stnnnavts" bezeichnet». Bei dein weiteren Versuch dei Majors Ebmeyer, das Kästchen mit einem Taschenmesser >u öffnen, halte er das Glück, daß ihm aus den Fuge» des nur leicht angehobenkn Holzdeckels von dein „Radieschen-Samen" eilige Körner in die Hand fielen, die er bei näherer Unter- jachung unschwer als Schießpulver fcststellen konnte. Ter hierdurch erweckte Verdacht, eine Höllenmaschine vor sich zu daden, fand durch die unter Zuhilfenahme der Polizei sofort mgeleitele Untersuchung vollste Bestätigung. Nur dem zMichen Umstande, Lurch das lose Pulver aus die Gefahr «Merksam gemacht worden zu sein, ist es zu verdanken, daß ei» verbrechen verhütet worden ist, das um so beklagcnswerlher Me werden können, als zu jener Zeit sich der Adjutant nicht Mit in seinem Diensiziminer befand. Merkwürdigerweise weiß kein einziges der uns heute vor- lüznikkn Morgenblätter etwas Genaueres über den Vorfall; nichl einmal das „Kanzlerblatt", die „Nordd. Allgem. Zrg", k,e an die Miktbeilung dcS genannten Depeschen-Bureaus die ifiklärung knüpft: „Wie weit die obige Mittheilung zuver- läsüz ist, sind wir nicht in der Lage zu benrtheilcn, und geben selbe nur wieder, wie wir sie selbst empfangen." Tie übrigen Berliner Morgenblättcr drucken die Meldung ebne jrdcii Zusatz ab; nur das „Berl. Tagebl." sügt hinzu: „Wir möchten anS diesem schier unglaublichen Vorfall leine Haupt- und StaatSaction ablciten. Allein es ist doch mderdrückend, zu sehe», wie zwciundzwanzig Jahr« nach dem Mnlsurter Frieden blindwnihiger Nattonalhaß nch gegen einen -loaismann wendet, der periönlich ganz unschntbig an den Temülhigungen ist, welche die Franzosen durch ihre irloole Kriegeerklärung vom Juli 1876 herausbeschworen t«M. Gros Cuprivi hat, so lange er rus Reichskanzler irinls?lmtes waltet, nicht das Mindeste gethan, um solchen -ch zu verdienen. Aber es scheint, daß auch die Republikaner »m beule jenseits der Vogesen ebensowenig ini Stande sind, >iie pribenschasten dnrch Ruhe »nd Besonnenheit zu zügeln, nm die Republikaner vor hundert Fahren. Nnd doch sollten dir ehrenwerthcn Männer aller Nationen einig darin sei», dergleichen heimtückische Attentate auf das Eiuichicdenste zu «mrlheilen." A»« der llnkenntnitz der „Nordd. Allgem. Zig." darf man inbeß nicht schließen, daß gar nichts an der Sache sei. Denn auch dt-„Wolfs'sche Tel. Bur." nimmt von der Melkung lVeliz, ebne die Quelle zu nennen und also auf eigne Jn- lorimliencn sich stützend. Es meldet nämlich: „Eine am Sonntag, den 26. dS. MtS., unter der Adresse des AeichskanzlerS Graf von Caprivi aus Orleans, in öleslell eines HolzkästchcnS, elngcgangene Höllenmaschine wird« von dem Adjutanten desselben, Major Ebmeher. durch einen glücklichen Zufall als solche erkannt nnd unschädlich qemachi" Ost also auch vielleicht an dem Berichte des BurcauS Herold nicht fflles richtig, so ist doch an der Hanptmeldnng um so weniger zu zweifeln, als uns heute das Hirsch'sche Dnreau felgende Depesche sendet: „Das versuchte Attentat aiiffden Reichskanzler Caprivi erregt hier allgemeine Theilnabme und Bewegung. Ter Polizei präsident selbst erschien im Reichskanzlerpalais, nm eingehende Recherchen rinzuleüen, ebenso ist die politische Polizei eifrig thätig. Ter Kaiser erhielt sofort einen telegraphischen Bericht". Es drängt sich also außer der Freude über die Ver eitelung dcS frevelhaften Anschlages die Frage auf, von welcher Seite dieser Anschlag ansgegangen sein kann. Ilm den Franzosen im Allgemeinen in die Schube zu schiebe», wäre absurd. Wenn irgendwo, so weiß man jenseits der Vogesen, daß Graf Eaprivi keine KriegSgelüste hegt und überdies nicht der Lenker der deutschen Politik, sondern nur die auSsübrcnde Hand des wirklichen Lenkers ist. Ein Racheact wegen der Beteiligung Caprivi'S an dem Kriege von 1870 7 l läßt sich auch nickt annchmrn, weil derartige Rackeacte nickt so lange verschoben zu werden pflegen. Man kann also nur vermulben, daß der Anschlag von jener internationalen Bande auSgcbt, die in London ihren Hauptsitz hat, in Spanien und i» Frankreich in der letztcnZcil besonders rübrig gewesen ist und ihre verbrecherischen Ziele nickt nur durch Massenmord, sonder» auch durch Be seitigung besonders hervorragender Persönlichkeiten und die dadurch bervorgcruscnc Verwirrung zu erreichen sucht. Daß gerade jetzt diese Bande wieder an der Arbeit ist, gebt an der folgenden, unö soeben anS Dublin zngehcnden tele graphischen Meldung hervor: Nickt geringes Aussehen erregte hier gestern früh die Entdeckung einer Höllenmaschine, die von einem Un bekannten im Hofe der Oldborronahcaserne niedergelegi worden war. Sie bestand ans einer Blechkiste, worin sich eine ziemlich grobe Menge eines noch nicht anal>>sirte» Explosions- stoffes nebst einem Uhrwerk befand, das aus eine bestimmte Zelt gestellt war. Der Zünder erwieS sich jedoch als icho» vertrocknet, so dag die Maschine wirkungslos blieb. Ein zweites Attentat war mit mehr Erfolg ans dem Tyron- platz kurz »ach jenem ersten versucht worden. Tort platzte eine Bombe, ohne jedoch größeren Schaden anzurichlen. Als niuthinaßlichkn Attentäter verhaftete die Polizei einen ge wissen Sberidan, bei dem »och Explosivstoffe gesunden wurden. Die Reihe der geplanten Versuche scheint mit den beiden Verbrechen noch nicht abgeschlossen zu sein." Jedenfalls ist daS zeitliche Zusammentreffen der beiden Dublincr Attentate mit dem gegen den deutschen Reichskanzler verübten höchst bemerkenswerlh. Ob ein innerer Zn sammenbang sick Nachweisen läßt, muß abgewartcl werden, aber nach Allem, was über die Pläne nnd die Taktik des internationalen Anarchismus bekannt geworden, ist eS Pflicht der llntersuchungSdebörten, den Fäden dieses internationalen Zusammenhanges nackznsorschen. llnd war nickt nur der deutschen Behörden, sondern auch vcr ranzösischcn, der spanischen und besonders der eng lischen. Wir wünschen und hoffen, daß eine Haupt- unk StaatSaction an diese Vorgänge sick knüpfe, nnd zwar eine StaatSaction, die cS nicht bei gemeinsamen Unter suchungen bewenden läßt, sondern auch wirksame ge meinsame Mittel zur Abwendung der allen Staate» drohenden Gefahr zu sinken sich ernstlich bemüht. Will man, bevor man zu solchen Mitteln greift, etwa warten, bis die Höllenmaschinen hier oder dort die ron der inter nationalen Vcrsckwörerbande beabsichtigte Wirkung gethan haben? Uehcrall sind bereits Stimmen laut geworden, die vor längerem Säumen eindringlich warnen. Heule mehr als je ist die bereits dieser Tage mitgetbcitle Mahnung des Londoner „Standard" am Platze: „AnarckiS muS ist gleichbedeutend mit Mord, Brandstiftung nnd jeder offenen und heimlichen Form von Gewatttbäligieit. Anarchisten sind die Pest der Gesellschaft; wenn Eivili- sation bestehen soll, dann müssen die Anarchisten entweder gezähmt oder aus ge rottet werden. Es siebt nicht zu befürchten, daß eine englische Regierung je sick soweit erniedrigen wird, daS Werkzeug von Despoten zu werden und den politischen Flüchtlingen anderer Lander ein Asyl zu versagen. Die Anarchisten baden sich aber als Feinde der Menschen-Rasse bewiesen. Sie erklären öffentlich, daß der Zweck ihrer inter nationalen Verbindung darin besteht, die Ordnung der Obrig keit in jedem Lande, gleichviel ob Monarchie oder Republik z» stürzen und in EkaoS zu verwandeln »nd, bis ihnen dies gelungen ist, von Zeit zn Zeit ihre Gegner in die Lust z» prengcn. Tic Regierungen würben in der Tbat schwach ein, wenn sic nickl Maßregeln vereinbarten, der allen gleich drohenden Gefahr mit allen zn Gebote stehenden Mitteln vorzuheugen." politische Tagesschau. * Leipzig, 28. November. Den» der in dev gestrigen Sitzung dcS Reichstags von dem Abgeordneten Bebet ilnicrnomuicne Versuch, die erste Berathung des EtatS zu Anbringung aller nur mögliche» Beschwerden und Ansichten zu benutzen, heute von anderen Unzufriedenen nackgcabmt wird, so ist natürlich nickt die ge ringste Aussicht verbanden, die erste EtalSbcrathung schon beute zu Ende zu führen. Und da man daS für wahrschein lich hält, so ist bereits die Rede davon, den Sckweri »Stag vom Mittwoch auf den Donnerstag oder Freitag zu verschieben. Dann würde die Zesuitenvcrbandlung also einen oder zwei Tage später, als bisher angenommen, statt finden. DaS Eenkrum ist mit dieser kurzen Verschiebung ein verstanden. lieber den Stand der drntschnussischc» Handelsvertrags- verhandln»!?"» sind die widersprechendsten Gerückte verbreitet. Rack, der Münchener „AUgeiu. Ztg." ist der Bcrkrag znm Abschluß gelangt, nach ankeren Miltbeilungen sind die Ver handlungen entweder bereits als gescheitert zu betrachten, oder dock völlig aussichtslos. Jedenfalls macht man sich in Rußland mit dem Gedanken an das Scheitern der Verhand lungen vertraut, denn die „Nowoje Wrcmja" erörtert die Frage, welche Maßregel» Rußland in diesem Falle zu treffe» hätte. Ans einer agrarischen Versammlung in Donetzwj, führt da- Blatt anS, sei kürzlich die Befürchtung ausgesprochen worden, Rußland könne seiner Arheiterbcvölker»iig verbieten, während de« Sommer- nach Ostpreußen »nd Schlesien zu gehen, »m sich als Arbeiter beim lankwirthschafttichen Betriebe zu ver dingen. R'ackrem das Blatt, wie eS erklärt, an geeigneter Stelle Erkundigungen cingezogc», siebt es sich i» der Lage, mitzntheilen, daß in Petersburger Regicrungskreisen tbcttfäck, lick die Absicht bestehe, den russischen nnd polnischen Arbeiter», welche in großen Menge» im Osten Deutsch lands beschäftigt würben, die deutsche Grenze in Zu kunst zu verschließen. Diese Anordnung sei übrigens nur eine unter vielen. Die Absicht, den russischen Arbeitern baS Betreten Preußens z» verbieten, daiire schon a»S dem Jabre 1885», alö zahlreiche Russen a»S Preußen au-gewiesen wurden. Damals habe man den Zeitpunci nicht für geeignet gehatten, baS Verbot zu^ erlaßen, aber ansgrgeben sei der Pia» niemals. Zum Sckluß weist die „Nowoje Wrrmja" daraus bin, daß die russische» Arbeiter den preußischen Land wirtbcn durch ibre Geiiügsamtcik großen Vonbest brächten Aber cS sei durchaus angebracht, diese billige» Arbeitskräfte im eigenen Lande zu behalten, wo sie auch zur Genüge t-e schäslizt werden könnten — Wenn Letzteres der Fall wäre, dann würden die Leute in Rußland bleiben. Am schwersten würden durch die erörterte Maßregel jedenfalls die be treffenden Arbeiter getroffen werde». Im klebrigen wird man in Rußland wohl nicht bezweifeln, daß auch deutscher seits neue Mittel zur Verschärfung des Zollkriege- ergriffen werden könnten, falls seine friedliche Beendigung jetzt nicht gelänge. Der Neubildung des französischen CabinetS setzen rä> die größten Schwierigkeiten entgegen. Man will ein der Kammermchrbtit entsprechendes „homogenes" Ministerium. Wie aber ist die Kaiiimcrniekrheit beschaffen? Will sie rin Eabinet der gemäßigten Republikaner mit Heranziehung der Bctckrteii, will sie rin solches der alten Republikaner mit Einschluß vcr aus den, Boten der jetzigen Gescllsch-ist- orbnung verbliebenen Radikalen? Niemand weiß eS, denn da- Ministerium Dupnh ist abgetreten, obnc einen klärenden, Richtung weisenten Parlamenisbeschluß abzuwarten. Die Nächstliegende Vermutbung war, daß Präsident Earnot sofort Dnpiiy die Nenbilknng des Ministerium- übertragen werde. Allem der Präsident schlug einen anderen Weg ein. Er oerbandelte zunächst mit Easimir Pdricr, dem Vorsitzenden der Kammer, und suchte ilm für die EabinetSbilrnng z» gewinnen, dieser lebnte je doch ab »nd verwies bcn Präsidenten an Dnpiiy, für den eine Kammermebrheit gesichert sei. Nun weigerte aber Tupuy sick,, worauf Herr Earnot sich entschloß, mit MStinr, tcm einflußreichen Wortführer der SchutzzeUbewezung, in Ver handlung zn treten, allein mit dem gleichen Mißerfolg. Niemand will die heikle Ausgabe übernehmen: Dnpiiy haupt sächlich deshalb, weil Herr Earnot. der vor allen Dingen an seine Wiederwahl znin Präsidenten der Ncpubtik denkt und sich deshalb mit de» Nakicalcn nicht Überwerfen will, den Eintritt einiger radicalcr Elemente in daS Ministerium ver langt, derselben Elemente also, die Herr Dupuu binauSzu- manövriren suchte, und die ibm selbst bei dieser Gelegenheit den Stubl unter dein Leide fortzogcn. Wir dieser Knäuel sich entwirren soll, ist vorläufig »och gar nicht abzusehen. Daß die CahincISkrisis in Italien mit der Bildung eines Ministeriums Zanardetli ihren Abschluß finken werke, wird immer wahrscheinlicher. Das Verhalten Giolitti'S, der, ohne durch eine varlamcntarischc Abstimmung znm Rück «ritt grnvtbigt zu sein, seine Demission gab, würde in der Ernennung Zanarkelli'S zu seinem Nachfolger eine aus reichende Erklärung sinken. Wäre der frühere Eonseilpräsident durch ein formelles Mißtrauensvotum in einer politischen Frage gestürzt worden, so wäre die idui nahestehende Partei selbst cngagirt unk kaum im Stande gewesen, die RegierungS gcscnäsic wieder zu übernehmen. Unter den ohwaltendrn Vttl'ättnissen kan» ticö aber Zanardclli, dessen politische Persönlichkeit bereits geschildert wvrdcn ist, sehr wchl lt»i». UcbrigcnS ist die jetzige KristS eine ou-ickließtich innere Frage dcS Königreichs. Die Verbällaissc zum Aus land werden dadurch in keiner Weise berührt. Möglich, vaß ein küiistigcS Ministeril»» durch t:e Verminderung de, Effektiv stärke des Heeres Hilfe ;n schassen suchen wird. Wenigstens ist auf Seile der Reckten wiederholt dieser Vorschlag gemacht worden, während die tcinokratischen Parteien, EriSpi voran, jeder Verminderung des Hccrcö abgeneigt sind. Auf die politische Stellung Italiens würde auch das ohne Einfluß sein. Daß seine Interessen eS gebieterisch an kir Seite der FriebenSmäckle rufen, ist längst zum Glaubenssatz aller zu rechnungsfähigen Politiker in Italien geworden, und tiefer gräbt sick nnt jedem Tag in ren Herzen der Italiener baS Bewußtsein ein, baß die lateinische Schwester, die ta« Blut bad ron AigneS MorteS auf dem Gewissen hat, mit ihrer ausgesuchten Feindseligkeit auch die meiste Schuld trägt an den abnehmenden Ziffern der Ausfuhr, an den Münznolhen und an der .Hcrabrrückung der italienischen Wcrthe. Frttilletsn. Leben um Leben. I9> Roman in zwei Bänden von M. Gerhardt. Nachdruck vecl-elen. (Fortsetzung.) Für Hildegard war Alles daheim so wehmüthig süß ge wesen, der Ehristabend in alter froher Weise, mit dem lichtcr- strahlendcn duftenden Tannenbaum »nd dem Jubel der Kinder, ra« all- HauS und die allen Leute, die sie Alle so freudig und zärtlich begrüßt. Auch die Mutter war freundlich gewesen, batte sich sogar eines Abend-, als man »icktS Besseres vor gehabt, von ihrem Leben und Treiben in Königsberg erzählen lassen und gemeint, sic könne später Nell« unterrichten. — Ver Allem Vie Plauderstündchen nach Schlafengehen »nd vor Amsleben mit Alma — Alles war wie früher gewesen und doch anders. Besser, aber nicht so vertraut. Sic selbst war eine Andere geworden. Lb Bcrtlia glücklich war? Alma meinte, Götz sei ebenso viel aus. wie früher als Funggesillc, und Bertha häufig allein. Sie habe cS im Haushalt schwer, da Götz große Ansprüche mache nnd seine Mutter im Hause wvbne und Alles überwache. Götz bringe mitunter Gäste mit. ohne seine Frau vorher davon zu verständigen, und verlange eine tadellose Aufnahme, und könne sehr böse werden, wenn etwas fehle. „Ich weiß, Bertha zittert vor ibm", batte Alma, neben Hildegard auf dem Bettrand kauernd, ihr zugeraunt. „Ich bin einmal ein paar Wochen in Dannenberg gewesen. Ich zitterte selbst, wenn Bertba etwa« versehen halte. Und sie ist z» Hause so teniütbig und so eingeschücktert. daß sie Einem leid thut. — Sie klagt nie. Sie ist zu stolz zum Klagen. Man soll sic beneiben und glauben, daß sie ein große« Glück gemacht bat. Aber Mutter bat einmal bitterlich geweint und die Hände gerungen, als sic ron kort nach Hause kam. Ich sollte ta« wobt nicht erzäblcn. Ick habe die Mutter getröstet, so gut ick, eS verstand, mir lhat da« Her; weh, kann ich Dir sagen, Hilde." * * » Julie Ebrhardt sitzt dem Schaukelstubl Antonien« gegenüber. Sie ist in Eilt nur zwischen zw«, Musitslundrn berausgesprungen in wichtiger Angelegenheit — ihr wenigsten- wichtig. Den Inan wird heute gegeben, ein berühmter Gast singt die Titel rolle und Eomnicrzicnrall, AbclsonS sind vcrhinbcrt, haben ihr einen ihrer drei Logenplätze ausgedningen und die zwei undern zur Verfügung gestellt. Und Julie ginge so gern — so unbeschreiblich gern — wenn Roless'S die Plätze nehmen wollten. Denn andernfalls wäre schon darüber bestimmt und Julie besinne recht- den dicken Weinbändtcr Wolf, der jede Melodie initsingt, »nd links seine eben so dicke Fra», die in den Zwischenakten alle ibre Dicnsttiiädchenzänkcrcie» aiiStramt — nnd che sic da« über sich ergeben läßt, bleibt sie lieber zu Hause. ,Faß die BitletS jedenfalls hier, liebe- Herz", erwidert Antonie. „Sv verlockend das Alles ist — ich weiß nicht, ob Alfred Lust haben wird. Er steckt tief in Arbeit und bat nie viel Zeit für« Theater. Und ich bade Ton Inan unzählige Mal gehört." „Nun denn — ein andermal, Liebe", versetzt Julie resignirt und stetst auf, alle drei BitletS in der Hand. Antonic springt auf nnd sucht ikr die Paxpsiirtchcn zu entreißen. „Die thcnrcn Plätze bezahle», wenn ihr nicht gebt — Gott soll bewahren! Und Dick will ick, auch nicht babcn obnc Deinen Mann, Toni, denn sonst hast Du kein Vergnügen, daS weiß ich." „Nun gut, so werde ich einen Mackstsprnch thun. Ein freier Abend »Huk Alfred längst noth. Bist Du jetzt zufrieden, altes Herz?" Roloss S Hcimlcbr verzögerte sich, und als er endlich kam, war er in Eile ta er ei» NackmittagScolleg batte. „Oper — Don Juan?" cntgegncte er zerstreut, als Antonie ibm bei Tisch ibr Anliegen vertrug. „Heute? Kann « nickst rin ander Mal sein ?" „D'Andradc singt nur noch heute, geliebter Freund, und Julie hat Bittet- für uns, und wir machen sie unglücklich, wenn wir nicht geben." „Nun, Dn bist ja frei »nd gehst natürlich. Ich — werde Dich ahholen." „Nein, Alfred, ich habe meine Ehre verpfändet, daß D» uns begleiten wirst Tbu'S mir zur Liebe, bester Mann. T» überarbeitest Dick,, bedarfst dringend einer Erbolung, und Du liebst gute Musik und wirst einen wirklichen Genuß haben " Roloss aß hastig, nach seiner Art, wenn ibn etwa« er regte, unv erwiderte, al- er fertig war und Antonie die Tafel a«sh»b: „Ich kann wirklich erst im zweiten Act kommmeii, Toni." „Eine so dringliche — iiiiaufichicbbale Arbeit?" „Das nickt. Ich habe Hildegard'« Stunde von sieben bis acht Uhr angesctzl. „Wie. Hilbegard'S Stunde? Weiter nichts? So schicke ich bin und lasse absagcn." „Nein, danke. Das gebt diesmal nicht an." „Nickst?" AntcnicnS Antlitz bedeckte sich mit fieberhafter Rötbc, ibre Lippen zitterten. „Warum nickt, Alfred?" „Weil ick, die Leelicn schon einmal aussatlcn lassen mußte, und weil Hildegard nur diesen Abend in der Woche frei bal", erwiderte Rotoff, die Brauen zufammenzichend. „Ich habe die Sache übernommen und will sie auch durchsübren." „Und wenn — Alfred — muß ich es wiederbolrn? Ick, lege Werth auf Tein Mitkonimen, jetzt noch ganz besonderen Werth. Ick, bitte Dick, — bitte Dich inständig darum. Du wirst mir eine Bitte, die ick, im Name» unserer Liebe an Dick richte, nickst abschlagcn " „Der feierliche Ten ist hier gar nicht am Platze", ries Nolcss in offenem Unuiutb. „Unsere Liebe braucht hoffentlich nicht bei jedem Theaterbesuch zur TiLcussion gestellt zu werden. Du wirst Tick also darein ergeben miiffen, daß ick bartberzig genug bi». Dich zwei Stunden der Gesellschaft Deiner Freundin zu überlasten." * * * Julie Ebrhardt, die Antonie Abends abbollr, beantwortete deren lächelndes Eingcstänbniß ihrer Niederlage »nr mit einem vielsagenden «hcil»al»n»roUcn Blick »nt zärtlich trösten den Kuß. Roloff kam herein, sic zu begrüßen, »nd konnte nickt übersehen, daß seine Frau geweint halte und sick, Zwang anlliat, ibre innere Verstörtheit zu verbergen. Zum Ucker- flnß raunte Julie ihm zu: „Antonie scheint recht leidend, meinen Sic nick,t auch, lieber Professor?" Gründlich verstimmt, harrte er in seinem Sludirzimmer dcS wohlbekannten leichten Schrill« draußen, beö schüchternen Klopse»- an seine Tdür, und grübelte inzwischen über daS Geschehene. Er zürnte Antonie, zürnte sick selbst und begriff nickt, wie solche Geringsügigkeit kic Harmonie seines häuslichen Lebens stören konnte Gereizte Worte zwischen ibm und seiner Frau waren etwa« ganz Seltenes, fast Unerhörtes, und er fühlte, er hatte sie bitterlich gekränkt. Und wcSbalb? Auö starrer Pflichttreue? Ober weit er eS über sick, gewonnen, ikr ein Opfer zu bringen? Dir nrne Auslage seine- Buches war erschienen, er batte ein Epemplar, mit weißem Papier durchschossen unk stattlich in SchweinSleder gebunden, eigens für Hildegard Herstellen taffen, batte viele Nachtstunde» verschwenr-et, seine An merkungen eigenhändig kann einzntragen. DaS B»ck> war seine heimliche, knabenhafte Freude, er hatte sich vorgenommen, cS heute Abend Hildegard zu Uderreicken, und diesen Augenblick lange schon voranSgenoffen. Und jetzt ? Durste er denn kein Mädchen ein solches Ge schenk machen liinlcr tcm Rücken seiner Frau? Warum wußlr sic nickst- ravon ? lind wie würde sic es aufnchmen, wenn sie davon erfuhr? In lebhafter Unruhe warf Roloss diese Gedanken in seinem Kopf herum, und als der leichte Schritt im Vorzimmer dann wirklich hörbar ward, fuhr er zusammen wir ein Schuld bewußter. Tan» aber saß ibm Hildegard wieder gegenüber, und das gedäiupste Lickt der Slntirtanipe hob das reine Oval keS >nngen nnschiilkigc» Gesicht« weich »nd sein cmS der Um rahmung tcr goldig schimmernden braunen Lecken von dem tieftunkeln Hintergrund ab. Wie gespannt die braunen Augen an ten seinen hingen, wie sie autblitztcn, wenn seine Worte einen Gedanken in ibr rnirniitclen! DaS liebliche Spiel der loarmrotben Lippen heim An-sprecken der fremden schweren Wörter künltc ibm heute bezaubernder den» je. Rotoff bastele mit der Lcctien, er blickte kaum auf und war kur; angebunden, streng, fast unsrenndlick. Hstkegard'S Wangrn rötbelc» sick im aufgeregten Zusainmenfasscn ihrer Gedanken, ibr Herz fcklng, die Tbräne» waren ibr nabe. Endlich zog Roloff die Ubr heraus und stand aus. E» fehlten noch zebn Minuten an der Sttmdc. „stch muß »och in« Tbeatcr, meine Frau abholen, Fräulein Hildegard. Verzeihen Sie also —" Hildegard svrang betreffen ans und raffte ihre Hefte zu sammen. Roloff war an seinen Schreibtisch getreten und wog den Echwrinstrteihant nnsck'lüfsig in der Hand. Er kam sich selber wie ein llnmensä, vor. „Wünschten Sie »eck eiwaS, Fräulein Hildegard?" fragte er auf ibr scküchierneS Guten Abend! — „Mich dünkt, Sie hatten vorhin eine Frage aus den Lippen." ..Ja Herr Prosenor, aber nicht«, wa- die Stunde an- betrisft." „Sondern?" „Aber Sie baden Eile Herr Professor." „Sprechen Sie nur — ist eS etwa« Wichtige-?" „Ja, etwa« Hochwichtiges — nicht für mich — für Jemand ander«."
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