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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.12.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-12-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18931230021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893123002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893123002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1893
- Monat1893-12
- Tag1893-12-30
- Monat1893-12
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V Vez«g-.Prei» Gl h« odr» de» im Stadt, tqirl »d de» Bororte» errichtete» Au«, »abestelle» ab geholt: viertrljLdrlich^ll.üO. bei zweimaliger täglicher Zustellung i»S Hau« -Ul SSO. Durch die Post bezogen für DeiUschloud und Oesterreich: viertehadrllch k.—. Direct» tägliche Srruzbandjenduag vu» LuLIaild: monatlich 7 ct). Die Morgen-Aurgabe erscheint täglich '/.,7Uht^ die Äbcud.Auegade Wochentags ä Uhr, »erartion und Lrveditiou: Iahanue«,afie 8. Die Lrvedition ist Wochentag« ununterbroche, geöffnet voa ftüh 8 bi« Abend« 7 Uh- Filialeu: vtt» Llr»» s Sarti». (Alfred Ha»,). UnwersitätSstrab« 1. L.ui» Lösche. >Mharn»e»str. I«, pari, und GöuigSvlah 7. Abend-Ausgabe. Anzeiger. Organ für Politik, Localgrschichic, Handels- und Geschiistsverkehr. Dnzeigen-PreiO die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Neclamen unter dem Redaction-strich (4ga- ivalleii, SO-^. vor den Familieanachrichte» lkgejpalteo) 40^. Größere Schriften laut uuierem Preis- rerzeichuiß. 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B. die auck, von der „Krcuzzlg." ausgetischte Bebaupiung. es bandle sich besonders um einen Gegensatz zwischen dem Grafen Eaprivi und dem Finanz, minister vr. Miguel. Der Reichskanzler nehme bezüglich der Steuer- und Finanzresorin den Slandpuncl ein. daß mit dem Reichstag nur die Deckungsfrage, soweit sie sich auf die Deckung der Mehrkosten für ric Militair-Lorlage bezieht, verhandelt werten solle. b)r. Miguel sei dagegen bisher nicht geneigt gewesen, seine Reform soweit einzu- schränken, höchstens habe er eine Modisicalion der Wein- und der Tabaksteuer zugegeben. TaS ist. wie gesagt, büchst unwahrscheinlich, denn ersten« muß die Steuer- und Finanzresorm dem Reichskanzler ebenso am Herzen liegen, wie dem preußischen Finanzministcr, und zweitens ge wahrt die Beschränkung dieser Reform aus die Dcckungesrage dem Reichskanzler nicht den geringsten Pvrtheil. Die Eon- scrvaliven sind der Steuer- und Firiaiizrcsorm im Große» und Ganzen nicht abgeneigt und werden durch eine Be schränkung derselben nicht geneigter werde», ihre Spvosstion gegen die Handelsvertrags Politik der verbündeten Ne gierungen auszugcbcn. Das ist so einleuchtend, daß cS kaum gesagt zu werden braucht. Trotzdem verbreitet das „Dep.- Bureau Her»ld" folgende Meldung: < „Bon unterrichteter Seite wird nn« mitgetkeilt, bas, »och An hörung der Borträge des Reichskanzlers, de« Finanz,,linisiers Miguel und des Krieg-Ministers der Kaiser über die im Reichstage zu befolgende Politik Beschluß gefaßt bat. Der Reichskanzler wird sich im Eiiivcrständniß mit dem Finaiiziiiiiiister damit begnügen, die Deckung der Militairvorlage zu erlange», und seine ganze Kraft aus Durchdringung de« riiszischen Handelsvertrages eoncentriren. Da der Fi nanzminister angesichts der opvvsilioiieUen Stellung der Cousenraliven nicht abgeneigt ist, seinen Finanz- resormplau aus eine spätere Session zu vertagen, so würbe der Reichskanzler aus die Gegnerschaft der Conservativcn gegen den Handelsvertrag keinen zu großen Werth zn legen haben." DaS ist Unsinn. Die Gegnerschaft der Ccnservativ.en gegen den russischen Hantelsverlrag bat mil dem Kinanz- rcsormplane nicht das Geringste zn schassen und kann sich also auch nicht vermindern, wenn diese Pläne aus eine spätere Session vertagt werden. UcbrigenS stellt auch die „Nordt. Allgeni. Zig." der Meldung dcS „Herold" folgendes Dementi entgegen: „Tie über einen gemeinsamen Bortrag de« Reichskanzlers ,i»d preußischer Minister bei Sr. Majestät dem Kaiser am 28. d. M. von öffentlichen Blättern gebrachten Nachrichten ent behren. wie wir zuverlässig erfahren, jeder Begründung. Ter Reichskanzler wurde zunächst von Sr. Ma>estät allein empfangen, woraus der ganz andere Gegenstände betreffend« Bortrag zweier pre,«bischer Minister folgte." Mit diesem Dementi wird man natürlich die Gerückte nicht aus der Well schassen, die über eine „Kanzlerkrisis" im Umlauf sind. Aber ffdensallS beweist eS, daß die Ursachen einer etwa vorhandenen Spannung auf ganz anderem Gcbicle zu suche» sind, als aus dein der Frage, ob cS sich vielleicht empfehlen dürste, die Steuer- und Finanzreform aus günstigere Zeilen zu vertagen. Die Frage, welche Stellung der Herzog von Sachsen- Cobnrg-Sotha seinem britischen GeburtSlande gegenüber ent nimmt, wird im englischen Unterhausc weiter erörtert. Heute liegt darüber folgende Melkung aus London vor, welche die gestern an dieser Stelle mitgcthcilte in wesentlichen Puucten ergänzt: „Dolciel richtete an die Regierung mehrere Anfragen, erstens, ob ei» britischer Untertha», der ci»»m fremden Staate den (Lid der Treue geleistet habe, jp-M tu, to aush öre, britischer llnterthan zu sei», zweitens, ob der Herzog von Coburg und Gotha iu der privaten Eigenichast eines britischen Unterthanen 10000 Psund jährlich von England erhalle» werde, drittens, ob im Kriegsfälle der Herzog in seiner Eigenschaft als Souverän diese Summe gegen die Interessen desjenigen Landes be nutzen könne, von dem er dieselbe beziehe. Ter stell vertretende Rechtsrevräienlant, Sir John Rigbtt, erwiderte, aus die erste Frage tonne man in der Reget mit „Nein" antworten Falls ei» britischer Nutertbon sich freiwillig iu einem tremden Staate naturalisiren iosie, da» büre er auch um, britiicher Ilnter- than zu sein: aber die Rationaiisiruiig werde nicht gewöhnlich durch die Leistung des Treueides erwirki. Was die zweite Frage be trifft, so erhalle der Herzog als piraoua llosis-nnta durch eine Parlamentsaete lOOO Pfund jährlich. D.e Acte unter scheide nicht die Eigenichast, in welcher die Summe gegeben werde; es sei nicht üblich, hypothetische und zufällige Fragen zu beantworte». Zu dieser Elaste gebäre die dritte Frage; er müsse ab lehnen, dieselbe zu beantworte». lHeilerteit.) Dalcicl fragte hieraus an, ob Rigdh wisse. Laß ein Fall aus genau derselben Grundlage bereit« sehr ernste internationale 'Slkwie-igütit hervorgeruse» habe, und ob er cs nicht für weise balle, jetzt eine klare Lösung der Sache herdeizuführeu. Rigdn erklärte, er wisse von keinem solchen Falle. Gibjo» Bomlcs fragte an. ob ein sreinder Fürst in irgend einem Falle ein britischer llnterthan sei» könne Rigb» erthcilte hieraus keine Antwort. Älvheus Morton reichte dierauf eine» Antrag ein, in welch», die Königin ersucht wird, den Tbeil des Gesetzes vom Jahre 1873 für u» gütig zu erllare», in weichem dem Herzog vo» Sachsen-Eobiirg-Goitw eine jährliche Apanage von 10000 Psund Sterling gewährt wird." Höchst peinlich niüssen solche Fragen, Antworten und Anträge für den Hrr; og selbst sein; noch peinlicher aber daSSchweigcn des stellvertretenden Rechtsrepräscntaiiicn der englischen Regierung aus die letzte der mitgctheiltcn Frage». Man kann sich nickt wundern, wenn englische Blätter dieses Schweigen als eine» dem Herzog rrtbeilten Rath anSlegen. seinerseits eine „klare Lösung" zn schassen, UcbrigenS wird i» der deutschen Presse daraus bingcwiescn, daß in der Tbar ein ähnlicher Fall schon Vorgelegen habe. So bemerk! die „Münchener Allgem. Zig.": „Schon in einem Uriheil vom Jabrr 1841. das in einer in der völteircchllichen Lilcralur als <au»- csli-ßro bclaiiiiie» Lacke, aus Anlaß einer Klage de» Herzogs Karl von Brnmischweig gegen den König von Hannover, erging, wurde englischer- ieils ausgeivrochen, daß der König von Hannover llnterlbn» der Königin Gulstv-t vt' tko c)uoeu) sc« und daber vor den englischen Gerichten Recht zn nehmen Kobe. Tie englische» Juristen können also für ihre Ansicht, das; der Herzog Alfred auch nach der Thronbesteigung in Coburg britiicher klnlerlda» bleibe, eine Borcnlichciduiig an- sichre», denn was Hannover recht war, wird, ihrer Erachtens, Eoburg-Golha billig iein. Nur sollten di« gelehrte» Herren an der Tbeiine das Eine nicht vergessen, daß wir nicht mehr 1844 schreiben und das uiiler dem alten deutsche» Bunde manches möglich war, was >ctzl. fünfzig Jahre spater, im neuen deutschen Reiche nicht mehr möglich ist." Die Verordnung wegen tSinberusung de« -rcujztschcn Landtages aus de» lk. Januar 1804 wird jetzt bekannt ge macht. Es ist bekanntlich die erste Session einer neugc- wäbilen Volksvertretung, und schon darum wird man dieser ersten Tagungspcriokc mit Spannung cnlacgcnscden. Wenn sich auch in der Zusammensetzung LcS Abgeordnetenhauses »ach der Partoislcllung nicht allzuviel verändert hat, so hat doch eine ziemlich weitgehende Pcrsonalerneuerung statt- gesunde», und dic allgemeine politische Situation bietet in mancher Hinsicht vcrändorle Verhältnisse und Ausgaben. Tie Scision wird vo> wiegend einen geschäftlichen Ekarakicr tragen; gesetzgeberische Arbeiten ersten Ranges werden nicht zu leisten sei». DaS schließt aber nicht aus, daß wir wich uzen und iutcressanten Verhandlungen über so ManchcS eni gegcngchen, was unsere Zeit bewegt. Möge die neue Volks vertretung mit ernstem Streben und ehrlichem Willen ihr Amt zum Wohl Preußens und des Reiches amrelcn! I» Belgien haben dieser Tage dic sogenannten AuS- gleichöverhandlungcn über die noch »nmer drohende Miuisterkrisis ihren Anfang genommen. Bekanntlich verlangt der Ministerpräsident Bcernacrt die Einführung der ver hält nißmäßigen Vertretung. Da die Rechte der beiden Kammern gegen diese Reform ist, so bat sie, »in einen Aus gleich zn versuchen, einen ZwölfcrauSschuß oiugesctzl. Es ist bezeichnend, daß dieser Ausschuß nickt nur aus ackt Gegner» und isi,r vie, Anhängern dic-es Wahlsystems besteht, sondern auch die onisck'ioeciisteii Gegner der ganzen Becriiacrt'schen Politik zu seinen Mitgliedern zäblk. Alle polinschen Kreise barren mit Spannung daraus, wie dieser Ausschuß das Kunststück eines Ausgleiches zu Stande bringen wird. Andererseits verlautet, daß der König am NcujahrSlagc an dic ihn beglückwünschende Kammer - Deputation eine wichtige An spräche richten werte. Inzwischen liegt sich die katholische Presse über die Wahlreferni in den Haaren, so das; die ganze AuSglcich-geschichlc hockst fragwürdig erscheint. AuS Frankreich lomml die Nachricht, daß Prinz Victor Napoleon wieder einmal ein Lebenszeichen von sich gegeben und an Martin Lava, den Verfasser des Stückes „Napolson", das gegenwärtig im Theater der Porte Saint Marlin gesviclt wird, folgende- Schreiben gerichtet Hai: Brüssel, 2l. December 1893. Mein Herr! Sic habe» einen wirklichen Erfolg gehabt. Es liegt mir daran, Sie deshalb zn be glisikwüni'cl»». Inden, Sie die Figur des großen Kaisers wieder aut die Bühne brachte», haben Sie ein patriotisches Werk voll bracht. Tas Erwachen denen, was man Legende genannt bat und was Sie io richliq als National-EpoS bezeichnen, ist der einzige Trost meiner Verbannung. Ich begrüße Sie auS der Ferne und bin dankbar allen Denen, die, wie Sie, das französische Nativnat- gejülil über de» Parieigeist stellen. Napoleon. Prinz Vieler bat de» Augenblick nicht schlecht gewählt. Der Napoleon EuttnS siebt in Paris in voller Blütbe, ohne sichtbare» Grund, als Motelannc üu cke sibelo. In zwei Theatern werden Napoleon»^ Stücke gegeben, viele Zeitungen und Zetlschrifle» bringen alle und neue Sacken über Napo leon I. und der Büchermarkt fließt über vo» Napoleonisckcr Lilcralur. lind weshalb solllc nickt in Frankreich die Zeit der Bonavartes wieder gekommen sein? Tie Lage bat beut« viel Aebi.lickkcil mit der nnlcr der dritten Republik. Damals glaubte auch fast Niemand, daß Louis Napoleon Bonaparle, den dic Einen für einen Hanswurst, die Anderen für einen bloßen Lebemann biclte», ans Ruder kommen könnte, und dock geschah cs. Wenn man seinerzeit von den Royalisten sagte, sie hätten nick,IS gelernt und nichts vergessen, so paßt diese Kritik zweifellos gerade so gut auf die Republikaner von beule. Dic Unruhen in Stritten tverden in tendenziöser Weise vcn der französischen und der russischeu Presse auszcbcuicl, die mit viel Schakcnsreudc nachzuweisen suchen, daß EriSpi schließlich dock genölbigt sein werde, in da« französische Laser überzugeben. Sei Italien, so lange cs im Dreibünde stebc, nur mit »ciicn Steuern zu rcltcn mzL könne und wolle cs neue Steuern nickt zahlen, so bleibe eben als einzige Rettung der Anschluß an Frankreich übrig. Der Schluff, ist ebenso tiibu wie falsch. Einmal spricht alle Wabr- siheinlichicit dafür, daß eine Unterordnung Italiens unter Frankreich, auch abgesehen von dem Lrfcr an nationaler Ebre, das Italien zn bringen hätte, das kcstspieligsle Etpcri ment sein würde, daS Italien macken tönule: zweitens aber sind dic Unruhe» m Sicilicn Symptome wirklicher Schäden, die geheilt werden müssen und für deren Beachtung durch die italienische Regier»».; Niemand dankbarer sein wird, als Sieilien selbst. Dic Tumulte dürsten sich legen, sobald Erisvi energisch reiormircnd cingreist, und von allen Staats männern Italiens ist er gewiß derjenige, dem Energie und Einji-bt cincii Ersc'g znmnst verbürgen Zwischen Frankreich »nd Lpauteit ist ein cigenthüm- licker „diplomatischer Eonslict" entstanden. Für die EabiiictSconrierc ist ziemlich allgemein der Brauch au- erkannt, daß ihre Koffer »nd andere Gepäckstücke, in denen sie Depeschen an ihre »nd von ihren Rc.stcrungen über- niilteln, an der Grenze keiner Zollrevision unterzogen werden. Als nun unlängst ein sranzösischeo EabinetScourier dic spanische Grenze bei Jrnn passirle, wurde sein Gepäck, in den, sich allerdings zollpshchligc Gegenstände befände», angcballcu und trotz aller Proteste zunächst nickt freigegeben. Der französische Botschafter in Madrid, Roustau, richtete ans diesem Anlässe unverzüglich einen Protest an die spanische Regierung und bebarrlc dabei mit nm so größerer Etili'chiedcnlicil, als cs nickst das erste Mal war, daß ein solcher Zwischenfall gerade an der spanischen Zollgrenze in Jrnn slalisand. Tic französische Regierung ^enillrtoii. Äuf abschüssiger Sahn. Zeitbild von F. K li n ck - 2 ü t et s b u r g. «lacstruck verbeten. (Schluß.) DaS war nun leider der Fall, aber Marie batte gedacht, daß er solches Geld nicht nebincn dürfe, und war entschlossen gewesen, ibm darausbezüglichc Vorstellungen zu mähen. Indem sie ausbsicklc, fehlte ihr jeder Mutb. Er sab anders aus wie gewöhnlich. So bleich — so sinstcr! Unwillkürlich sattele sie die Hände. O Gott. dcS Unglücks war wirklich zu viel! Adam batte die Bewegung gesehen, er süblte sich schuldig, aber das Schuldbcwußlsein steigerte den Groll, der eine» ÄuSweg suckle. Unfähig, sick zu mäßigen, fuhr er aus. „Du betest! Hilf Dir selber, so bstst Dir Gott!" Die jung: Frau schrak ordentlich zusammen. „Adam — Du sprachst sonst nicht so." „Nein, weil ich zuviel auf Dick gehört. Hast' waö mit all Deinem Beten auSgerichl't? Schlechter unk schlechter ist's geworden von Tag zu Tag und nun — nun —" „Willst Du Gott die Schuld ausbürden sür da-, was Du selbst kcrbcigesübrt?" Mariens Stimme batte einen festen Klang, der aber Len Gatten nur reizte. „Willst Du mir Vorwürfe machen?" brauste er aus. „Denkst Tu »lick am Gängelbautc zn führen? Ick, weiß, was ich gelban Hab' und vcrtret's. Es wird bebe Zeit, daß wir zu den Menschen zählen lernen." Sie sagte nichts mehr, durch Sckweigcn zu rechter Zeit batte sie allzeit Unfrieden von ihrem Herd fern gehalten. Morgen würde Adam ihren Vorstellungen zugänglicher sei» Sir täuschte sich aber, wenn sie dev Meinung war, er würde, wie sonst, nun gleichfalls in Sckweigcn versinken, unk dann, unzusrictcn mit sich selbst, zu Belke geben. Er war nock lange Leit mil Eifer bemüht, die junge Fra» zn überzeuge», daß er ganz reckt gebandelt, so daß dic Unruhe derselbe» stetig wuckS. Er batte im Lause dcS Tages verderbliche« Gift eingesogen. Wie würde er das. was sic ibm zu sagen batte, ausnebmen? Einen Augenblick dachte sie daran, es ibm ganz zu verschweigen, sie wagte cS aber unter den gegen wärtigen Umständen nicht. Als die Stunde kam. in welcher das Ehepaar sich gewöhnsich zum Schlafen niederlegle, erhob sich Frau Marie, indem sie ibrc Arbeit aus den Tisch breitete unk scheinbar die Nabte einer sorgfältigen Prüfung »nierwars. „Adam, ich habe Dir noch eine Bestellung anSzurickten. Du sollst morgen um elf Ubr „l den „blauen Stern" kommen. Die Arbeiter wollen über UnterstüynngSgelder bcralhen, wie mir der Bote sagte." „Darum sagst Tn daS jetzt erst?" fragte er unwirsch. Obre Stimme batte gezittert, setzt klang sic wieder fester." „Ick dacktc nickt, daß Du etwas mit den Leuten zu schassen haben wolltest. Du wirst dock keine Unterstützung anncbnien." „Nickt — wie so?" „Sagtest Du nickt einmal, daß der Schweiß armer Menschen an solchem Gelte klebe, die zu beklagen seien, weil sie eigennützigen Nichlslkmern in die Hände gefallen seien?" Er warf ikr einen finsteren Blick zu, der sie verstummen ließ. Dann ging er in die Kammer und die Tbür siel krachend hinter ibm ins Schloß. Marie „abm ibrc Arbeit wieder ans. Sie saß bis lange »ach Mitternacht, aber Thräncn binderten sie, die fleißige Nadel zu führen. »r; ' j» Vier Wecken waren seitdem vergangen. Vorzeitig brausten die Hcrbststiirnie daher und pflückten daS noch nickt verdorrte Laub von den Bäume», eS im tolle» Wirbel davon führend, und kalten, rauben Tagen folgten »eck kältere Nackte, in welche» der Regen in schwere» Tropfen gegen die Fenster schlug. Tie Arbeiter der Hobreckst'schcn Fabrik batten die Arbeit wieder ausgenommen, ohne irgend einen Vortbeil erreicht zu haben. Tie UnlerstützungSgclder, dic man erwartet, waren anSgeblicbcn, so hatte man sich schneller als getackt füge» innsscn, um sicherem Elend zu entgehen. Ein Tbeil der Leute, die Herr Hobreckt sür die Anführer gehalten, war ohne Weiteres entlassen worden. Unter diesen Entlassenen batte sick, seltsamer Weise. Adam befunden. In der Tbat seltsamer Weile! Herr Hobreckt hatte große Stücke aus de» rastlos tbätigen Arbeiter gehalten, der unermüdlich seiner Pslictst obgelegen, obgleich sic ibm nicht selten sauer geworden sein »lockte. Hiervon wußte der Fabrikberr freilich nicktS DaS äußerste Maß von Arbeit, das er sick selbst zuerlbeilt. binderte >h», sick nm die persön lichen Angelegenheiten seiner Arbeiter zn kümmern. Dieser Milbe durfte er sich aber mit gutem Gewissen als überholten betrachten, da seine Gattin sie in »msassendsler Weise ans ibre Schultern genommen unk in wabrban mütterlicher Weise sich um das Wel l und Webe der Untergebenen ibres Gatten kümmerte. Die Arbeiter der Hobreckt schcn Fabrik waren ganz besonders gut gestillt und ibr Jnbaber blickte sciider mit Vesrikbigung. ja mil einem gewisse» Stolz auf sein Vrr- dättniß zu seinen Untergebenen. Um so bärter und unvor bereiteter batte idn die plötzliche ArbeiiSeinstellung seiner Leute getroffen AuS dem milden Herrn war plötzlich rin unerbittlicher Richter geworden Im Atam'schcn Hause batte daS Eiend schnell genug seinen Einzug gebalten. Wo Nickis war, gab eS nickstS zu verbringen, die letzten Jabre ballen bereits schwer gedrückt. Frau Marie arbeitete rastlos thätiz, während die beiden Buben dir Wirlh- schasl besorgten. Adam aber? Er war selten Daheim, er ging täglich Arbeit sticken, okne welche zu sindcn. Dic Ernte zeit war vorüber, i» einer anderen Fabrik batte er keine An slclluiig gesunde», eS würde ibm kaum etwas übrig bleibe», als die -Ltadt zu verlassen, oder z» verbungern. Wo war Adam? Was trieb er? Diese Fragen ließe» sein Weib nicht mehr zur Rübe kommen Heimliche Befurch tungcn wollten nicht von ibr weichen. Er war anders wie srüber. Bisweilen — bisweilen — v Gott, diese unnennbare Ouat! Er batte kein Geld, aber — aber — wenn er kam — ein Trunkenbold! Es konnte nicht sein. Und dock! Und dock! Sonntag war'S. Den brausenden Stürmen waren noch schöne Spälsommcrtage gefolgt. Sonnenschein lag über Berg und Thal, über Feld und Wald, spiegelte sick in dem l>ckt- grünen. langsam kabingleitenten Wasser dcS Flusses. Ge putzte Lentc wandelten dcS Weges, die letzten schönen Tage zu genießen. Krau Marie saß an ihrer Arbeit. Seither halte sie fest auf Sonntag-Heiligung gehalten, nun ging's nickt »ickr. — Die Buben wollten Lrod und nock immer Halle Adam teinc» Verdienst. Es ging mit rasender Eile bergab »nd - rem Winter entgegen. Wie lange nock und dieser würde die Welt in seine» Zauberbann nehmen. Was dann? Keine Kleidung — keine Fcnrrung — leine Nahrung, und — das war das schlimmste, Lorckeil! Heiße Thränen vcrllcn über dic Wangen der ciusamcn Fra» und zwangeu sic, ihre Arbeit in den Sckorsi sinken z» lassen. So saß sic eine Weile. Da plötzlich — sic fuhr zu sammen —, waS war das? Eine jauchzende Stimme: „Mutter! Mutter!" Die Tbür wurde ausgerissc». Aus der Schwelle erschien ein Kind in schlichtem Katlunklcirchen, ein selten schönes Kink, trotz der etwa« blassen Wangen unk der schmächtigen Gestalt. Dunkles, welliges, kurzgeschintteiies Haar umrabmlc ein seines ovales Grsjchi. „nt zwei prächkige blaue Augen waren auf Frau Marie gerichtet Sic tauincltc in die Höbe, sic brachte leinen Lank über ihre Lippen — ibr Fuß stockte. Aber, vcn anderer Seile: „Lorcken! Lerchen!" Atani, vom Hoso kommend, k ielt sei» Kind in den Armen. Einen Aiigendlick batte er gezögert, es an sein Herz zn ziehen, aber dann bob er eS dock in die Höhe unk autschluchzrnd aus tiefster Brust kniete er nieder, während dir Thränen stromweise seinen Augen entstürzten Nun saßen beide Eltern und blickten daS Kind an. War e- denn möglich, daß das kleine jämmerlich auSsedeakc Tina in der verdättnißmäßig kurzen Zeit sich so verändert? Wobl war eS neck ein gar zierliches kleines Geschöpf, aber iu den Augen leuchtete die Ge>unrdc>t, Sonne und frische Lust ballen die tvdlblassen Wangen gefärbt, die Stimme war ander», voll inneren Jubel«. Dic Freude dcS Wiedersehens war verrauscht, nicht bei. der Mutier, die, das Kind aus ihrem Schooße haltend, wort los in denen Gcsichtcken blickte, daS eigene Antlitz von tief- imiereui Glück verklärt, während Lerchen von all den Herr licken Tingen plauderte, die eS da draußen in der schönen freie» Welt erfahren und gesehen. Aber bei Adam? Er laß in der angrenzenden Kammer, dicht bei der an- gclebtstcn Tkür, um wenigstens dic Stimme seines Lieblings zu hören. Wie konnte er je wieder in die reinen Augen seines Kuldcs blicken? WaS war er gewesen, als eS ihn rer ließ, was war aus ihm geworden? Ein leises» qualvolles Stöbne» entrang sich seinen Lippen, trotzdem er c- hatte unterdrücken wollen. Mariens Llncen batten den Laut eines vcrzweislmtgS vollen Webe» vernommen. Sie erhob sich, da« Knid aus dem Arm. in ihren Augen leuchtete c« höher, die Hoffnung regte in ihrem Herzen die Schwingen. Ihr Gebet war nicht vergeben« gewesen — es würde noch gut werden. Sic öffnete die Tbür. „Adam, komm, freue Dick doch über Lorcken« Aussehen " Und das Kind schlang dic kleinen Arme uui seinen Nacken „Ich kann nicht, Marie — ich bade keine Arbeit Ww bald — wie bald wird Lerchen wieder — v, ich bin ei» Elender!" „Still, Adam — kein Wort davon. Ich weiß, cS wird gut werden." Tic Stubcntbur war ausgegangen »nd Jemand cingctreten. „Vcrzeikc» Sie, Marie, ich klopfte, wurde aber nickst gehört. Eigentlich wellte ich selbst Jbncn das Kind bringen. Es siebt vrächtig au«. Finden Sie nicht?" „D. Frau Rälhi», wie sollen wir Ihnen danken?" fragte Frau Marie mit bebender Stimme. Eine» Augenblick berrschte in dem Zimmer kiese Stille. „Marie, sagen Sie nur einmal osten »nd ehrlich: waS hak dic Veränderung mit Ihrem Manne bewirkt, wie konnte gerade er diesen Leuten sich aiischließen? Doch nein, er mag das meinem Gatten selbst sagen, nachdem ick durch langes Bitten ven demselben erwirkt, daß er >bn hören will. Ich kesse, Atani weiß sick zn entschuldigen. Nu» noch ein Wort über Lerchen. Ick kann mir denken, daß Sie da« Kind nicht gern gleich wieder bergebeu» aber Sie sind eine verständige Frau. Soll die Kleine ganz gesliud werden, so bedarf ne nock, einer längeren Nachcur. Hier bei Ihnen konnte sio die einstweilen »öibigc rationelle Behandlung nickt haben und zur Wiederherstellung ihrer Gesundheit ist c-iue solche durchaus erforderlich. Ick bin bereit, sic in eine Anstalt zu schicken, in welcher sie bi? zu ibrer vollständigen Wieder- brrsielluna bleiben kann. Uebcrlegen Sic sich die Sacke mit Ihrem Man:,." „Gott segne Sie, Frau Rälbin", siammettc Frau Marie nur unter Thränen. Aber die Tbür war schon in» Schloß gefallen, die Frau Räthin hatte die Worte nicht mebr gehört.
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