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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.01.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-01-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970102029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897010202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897010202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-01
- Tag1897-01-02
- Monat1897-01
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Äröhere Schriften laut unserem Preis, verzeichniß. Labellerischer und Ziffernsap nach h-here-n Tarif. Artr«-Beilagen (gesalzt), nur mit der Mvrq,n-A«»aab«. ohne Postbefürderuiig SO.—, mit Postbesürderung 70—. Annahmrschluß fLr Anzeige«: Tlbrnd-Ausgab«: Vormittags 10 Uhr. ?2orge n-Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Sei den Filialen nnd Annahmestellen je eine halbe Stund« früher. Anreisen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von S. Polj in Leipzig. ^ 3. Sonnabend den 2. Januar 1897. 91. Jahrgang. Politische Lagesschau. * Leipzig. 2. Januar. Der offiziöse Dementir-Apparat bat sich für daS neue Jahr «ine Richtigstellung Vorbehalten, deren das alte Jahr anscheinend nicht für würdig gehalten wurde, ob gleich e» unter der Aufregung zu Ende ging, welche in weiten Kreisen de» ganzen Reiche« die Nachricht hervorgerufrn hatte, daß bei dem vielbesprochenen Dnell zwischen dem LegationSsecretair der preußischen Gesandtschaft in Stuttgart, Frhrn. v. Wangenheim, und dem Lieutenant v. Uexküll-Gyllenbandt der preußische Gesandte v. Holleben und der Eommandant Generalmajor v. Schott als Secundanten oder Zeugen functionirt hätten. Diese Richtigstellung, die sich in der „Nordd. Allgem. Ztg." nicht an der üblichen Demcntirstelle, sondern unter den Personal- 2 notizen findet, lautet wörtlich: „Gegenüber verschiedenen in der Presse oufgetauchten Behaup tungen, wonach der königliche Gesandte in Stuttgart bei einem dort vorgefallenen Duell als Sekundant oder als Zeuge fungirt haben soll, können wir nach unseren Informationen mittheilrn, daß Herr v. Holleben bet dem fraglichen Zweikampf irgend welche Functionen nicht ausgeübt hat." DaS „nach unseren Informationen" klingt allerdings etwas zaghaft und wird vielleicht die Stuttgarter Blätter, die sich gleichfalls auf ihre Informationen berufen, nicht vollkommen überzeugen: aber wir glauben annehmen zu dürfen, daß ledig lich der Wunsch, die ganze Geschichte nicht im Lickt einer Haupt- und StaatSaction erscheinen zu lassen, die ungewöhn lich milde und subjektive Form des officiösen Dementis ver anlaßt habe. Nur Schade, daß dieses so spät kommt und nur Herrn v. Holleben betrifft. Die „öffentliche Meinung", die ja nach berühmten Aussprüchen überhaupt nicht existirt oder wenigstens kein Recht auf irgend welchen Anspruch hat, wird sich freilich wohl oder übel mit der Thatsacke abfindcn müssen, daß sie unnöthigerweise in Aufregung erhalten worden ist; aber für den preußischen Gesandten in Stuttgart wäre eS sicherlich ang«»«hmer und vortheilhafter gewesen, wenn seine Nichtbetheiligung an einer vom Gesetze ver botenen Handlung früher constatirt worden wäre. Daß deS Stuttgarter Kommandanten in dem Dementi nicht gedacht wird, beweist allerdings noch nicht, daß ihm di« Stuttgarter Presse fälschlich eine Rolle zugetbeilt hat, die er nicht gespielt. Vielleicht kommt daS ihn betreffende Dementi in einigen Wochen. Ader bis dahin wird der Herr Eomman dant im Munde solcher Leute bleiben, die sich zu der Ansicht der „Post", gerade die Betheiligung hoher Officiere und Diplomaten an der Affaire zeuge für die zwingendem. Gründe der ganzen Begebenheit, nicht aufzuschwingen vermögen. Uns nnd sicherlich Bielen wird es schlechterdings nicht einlenchten, daß Männer in hervorragenden Stellen gezwungen sein könnten, sich an Handlungen zu betheiligen, die das Gesetz ebenso ver- urtheilt, wie sie erst unlängst in, Reichstage vom Tische deS BnndeSrathS und von allen Seiten de« Hause« vernrtheilt A worden sind. Soll dem Herrn Commandanten eine Be- ? sprechung dieser Angelegenheit im Reichstage erspart bleiben, so wird der vfficiöse Dementir-Apparat auch für ihn noch vor dem Ende der WeihnachtSferien in Bewegung gesetzt werden müssen. Ueber daS Weihnachtsklagelied, daS der Papst auch im verflossenen Jahre angrstimmt bat, um die Agitation zur Wiederherstellung der weltlichen Macht de- Papstthum» nicht einschlafen zu lassen, liegen jetzt ausführlichere Nachrichten vor, au- denen hervorgebt, daß diese Klage in der Tbat nicht» Anderes war, al- eine Wiederholung, aus die man gefaßt sein mußte, und daß ihr besondere Pläne eben so wenig zu Grunde liegen, wie gesteigerte Hoffnungen. Was die Cardinäle dem heiligen Bater bei der Neberbringung ihrer Glückwünsche zu Weihnachten sagen und wa« er ihnen antwortet, das wird freilich immer vorher vereinbart, und darum können diese Allo- cutionen deS Papste« nicht als die Ansbrüche spontaner Empfindung betrachtet, sondern sie müssen als mit voller Absicht inscenirte StaalShandlungen angesehen werden. Dem Tecan deS hl. EollegiumS, dem Cardinal Orezlia, war aber lediglich der Auftrag zu Tbeil geworden, sich über die Presse zu entrüsten, welche der Mission des Monsignore Macario in Abessinien politische Zwecke untergeschoben nnd über ihren Mißerfolg frohlockt hatte. Das gab dem Papste die ersehnte Gelegenheit, sich wiederum über dir Unerträglich keit seiner Lage zu beschweren. Es ist immer dasselbe Klagelied mit ein wenig anderen Worten: Die bestehenden Gesetze reichen nicht aus, um seine bl. Person gegen Ver leumdungen und Beleidigungen zu schützen. DaS einzige Mittel, um ihm diesen Schutz zu gewähren, ist die Wieder herstellung der weltlichen Herrschaft. Sogar ein nur von väterlicher Liebe und von Patriotismus eingegebener Ge danke, wie die Absicht, die vom Waffenglück vcrratbenen gefangenen Italiener zu trösten, sei fchutzloS der öffent lichen Verunglimpfung preisgezeben worden. Sich über diese Klage besonders zu entrüsten, haben also die italienischen Blätter keinen Anlaß. Sie könnten sich damit begnügen, darauf hinzuweisen, daß seit 1870 in Italien von keiner einzigen noch so radikalen Zeitung ein Artikel veröffentlicht worden ist, der auch nur annähernd so beleidigend und ver letzend für das „Oberhaupt der Christenheit" gewesen wäre, wie Hunderte von Artikeln, die vor 1870 gegen den Papst in italienischen Blattern zu lesen waren. Die weltliche Herrschaft vermochte den Papst nicht nur nicht gegen diese Beleidigungen zu schützen, sondern sie war gerade die Ver anlassung dazu. Nur in dem kleinen Gebiete de» Kirchenstaats konnte die Censur die Verbreitung solcher Artikel verhindern und ihre Verfasser bestrafen. Ein großer moralischer Vortheil war e» für ihn nicht, daß innerhalb dieses Gebietes ein Tadel in keiner Zeitung gegen ihn aus gesprochen werden durfte, wenn man sich einige Meilen weiter auch dir heftigste Kritik gestatten durfte. Aber auch nicht einmal innerhalb des Kirchenstaates konnte der Papst sich gegen öffentliche Beleidigungen der schlimmsten Art schützen. In den sechziger Jahren waren die Mauern Roms oft bedeckt mit großen Placaten, in denen nicht nur der Papst mit den allerunehrerbietigsten Ausdrücken beschimpft, sondern das römische Volk zur Revolution aufgefordert wurde. Diese Placate wurden wie von unsichtbarer Hand von den Agenten des Comitato Romano angeschlagen und waren meistens von ganz Rom gelesen worden, bevor die Polizei sie ver nichtete. Auch d,e größte Aufmerksamkeit der so schlauen päpstlichen Spione kam nicht hinter die Geheimnisse der revolutionairen Propaganda. Trotz der strengsten Censur- maßregeln erschienen in Rom ab und zu Witzblätter von so beißender Satire auf die Person des Papstes, daß dir Artikel der heutigen liberalen Presse dagegen wie unschuldige Kinderspäße erscheinen. Und wenn diese Hinweise noch nicht genügen sollten, um zu beweisen, daß die weltlich« Herrschaft den Papst gegen Beleidigungen nicht zu schützen vermag, so kann ferner daran erinncrt werden, daß die in alle Sprachen überaegangene Bezeichnung für eine Schmäh schrift: daS Wort „PaSquill", in Rom seinen Ursprung hat . «n der Statue de« PaSquino am Palazzo L? R°»! <° WÜ-„. d"! w-uvch'" H-'-i-b-s' b-b- W-Äch»'s"-7L^ lft" m°7 «m sieben der Freiheit der Gewissen und der politischen Meinung, sind di. Angriffe g-^^ di. P-rson de» Papstes .n dem d.efe Verbrüderung zur Erscheinung kam, erst veranlaßt worden. Jetzt da diese Verbrüderung, hoffentlich für immer, zerstört ist. wi?d'wol>l ab und zu an den Handlungen kes Papste« Krtt.k geübt, aber daö geschiebt meist in ehrfurchtsvoller Form. Daß hin und wieder ein radikales Blatt über dieStrange schlagt, hat seinen Grund meist darin, daß der Papst noch immer nickt aus die weltliche Herrschaft verzichten will. ES ist aber seinem Ansehen nicht forderlich, d°ß er so oft in seinen Ansprachen gegen f-nzelne Ztitungsartikel pole mistet, die mit mehr oder weniger BoSheik seine politischen Handlungen kritisier», und daß er über die Regierung be- klagt, welche die Veröffentlichung solcher Artikel nickt ver- hindert, gegen die kein Fürst in keinem Lande, m dem auch nur eine gemäßigte Preßfreiheit besteht, sich schützen konnte. Nicht in der Hand der italienischen Regierung, sondern in der Hand des Papstes selbst liegt rS, diesen unschuldigen Rest der im Kirchenstaat entstandenen und emst dort so üppig wuchernden Sitte der politischen Schmähschriften, soweit sie seine Person verletzen, auS der Welt zu schaffen: In dem Augenblick, in dem er ausdrücklich aus die weltliche Herrfchast verzichtet, wird eS in Europa keinen Fürsten geben, der gegen Beleidigungen und Verleumdungen besser gefchutzt ist, a1S-«r Papst. Die Wertbung deS Urtheil» im Protest Ltamhulot», die wir beute in der Presse finden, stimmt genau mit unserer Auffassung als Farce überein. So schreibt, um nur einige Stimmen zu erwähnen, die „Nat.-Ztg." u. A.: „Tine schmählichere Somödie alS der in Sofia beendigte „Proceh gegen die Mörder Stombulow'»" ist wohl kaum jemals feit Menjcheiigebrnken unter den Augen der Wett aufgejührt worden. Gewiß war Stambulow tyrannisch, hart und grausam, aber mit welchem Volk und mit welchen Gegnern hatte er eS auch zu thun! Dies erhellt auch auS deren ganzem Verhalten nach dem schauer- lichen Verbrechen. Es verging reichlich rin Jahr, ehe man die Verdächtigen vor Gericht brachte; größere Eile hatte man damtt, den todten Stambulow systematisch zu verlästern, als ein Ungeheuer ohne jede Lichtseite der Welt zu schildern. Erst als dies nicht ver fing, ging man anscheinend entschlossen gegen die Verdächtigen vor, that aber Alles, um diesen Gelegenheit zur Verwischung der Spuren ihrer Schuld und namentlich der zu ihren Hinter männern führenden Spuren — denn solche waren jedenfalls vorhanden — zu geben. Ein so schwer Beschuldigter wie Tüsektschiew befand sich gegen Eaution meist auf freiem Fuße. Die Gerichts verhandlung, vor etlichen Monaten eröffnet, wurde alsbald wieder für geraume Zeit vertagt und dann drehte sie sich nur um die nächsten Aenßerlichkeiten. Das Urtheil endlich sieht im lächerlichsten Mißverhältnisse zu der den Namen Bulgariens und den dieses rrpräseiltirendrn Persönlichkeiten schwer beeinträchtigenden Blutthat. Ztoilow mag sich damit entschuldigen, daß er in schwerer Ueber- qangkzeit eine Stellung einnahm, welche nicht nach gewöhnlichem Maß- stabe gemessen werden könne; der nunmehrige Fürst Ferdinand mag die Genugthuung erleben, ein regierendes Fürstenhaus bc- gründet zu haben; ihrer beider Name wird doch in der Geschichte hinter dem des ermordeten, noch im Grabe systematisch geschmähten und schließlich durch die jetzt abgeschlossene Gerichtsverhandlung ver höhnten Stambulow weit zurncktreten. Ob für die neue Dynastie das Grab Stanibulow's ein guter Untergrund sein wird, muß sich auch erst noch erweisen. Der Name Bulgariens jedenfalls, vor zwei Jakre» noch vom besten Klang in Europa, ist durch den an Stam bulow verübten Undank zu einem Aergerniß geworden." Wie die „Nat.-Ztg." hebt auch die „Frkf. Ztg." hervor, daß, wenn Fürst Ferdinand dem schwer erkrankten Stambulow die Reise in« Ausland nicht verweigert hätte, dieser nickt ermordet worden wäre. Beide Blätter weiscn auf die Frivolität der bulgarischenRegierungSpreffe und eines der Vertheidiger bin, dem ermordeten Stambulow nachznsagen, daß er an „Vers'olgungswahn"gelitten habe. DerMann, der am 16. März 1895 bestimmte Mittbeilungen über einen Plan zu seiner Ermordung nicderschrieb und dann vier Monate später, am 15. Juli, von denselben Personen, die er als die Mordbuben bezeichnet batte, meuchlerisch überfallen und niedergemacht wird — dieser Mann war sicher nicht von einem „Wahn" befangen. „Wie man aber auch Licht und Schatten auf beiden Seiten ver- tbeiien mag, so stebt dock, sagt die „Frkf. Ztg" fest, daß die Ermordung deS verdienstvollen bulgarischen Staatsmannes daS dunkelste Blatt in der Geschickte deS selbstständigen Bul garien bildet und daß die Regierung wie di« Behörden bei der Verfolgung der Schuldigen nicht den Eifer und die Umsicht bewiesen haben, die man von ibnrn hätte er warten können." Auch die „Neue Freie Presse" nimmt scharf Stellung gegen daS Urtheil. Sie findet daS Ergebniß des langwierigen Verfahren- überraschend geringfügig und fragt, ob die- wirklich die ganze Sübne sein solle für eine der grauenhaftesten Mordtbatrn, die jemals verübt wurden, und welche sowohl durch die Person deS Opfers als auch durch die Bestialität der Ausführung einen Schrei der Entrüstung in ganz Europa hervorgerufen babe. „Während der ganzen Verbandluug wurde unaufhörlich auf dir Hintermänner angespirlt, welche die Hand der unerreich baren Mörder geführt haben sollen, aber aufgeklärt wurde dieser Punct nicht. Diese unaufhörlichen Anspielungen müssen einen Hintergrund und eine weithin klingende Resonanz gewinnen, wenn man d» That mit der ihr gewordenen Vergeltung vergleicht. Man hat nur die Wahl, die bulgarische Justiz entweder für unfähig oder für nicht genügend unabhängig zu hatten, und da-Eine wie das Andere wird zur Verbesserung der Reputation Bulgariens nicht beitragen. Es wird den bulgarischen Staatsmännern schwer werden, die öffentliche Stimme zum Schweigen zu bringen, wenn sie e- mit der in Sofia herrschenden russischen Politik in Zusammenhang bringt, daß die Mörder deS bedeutendsten Gegner- dieser Politik, dessen Patrioti-mu- bei allen Fehlern, die ihm anhasten mögen, nicht in Abrede gestellt werden kann, bei den bulgarischen Gericktennabrzu gänzlich frei ausgehen." — AlSPrinz Ferdinand den Thron Bulgarien» al- anerkannter Fürst bestieg, sagte er, daß er alle Brücken zwischen sich und dem Occidrnt ab gebrochen habe. Mit diesem Proceß scheidet Bulgarien tbat- sächlich au» der Reihe der abendländischen Culturstaatrn aus. In den Kreisen de» rnßttfchen Jingothum» bat die von Portugal dem deutschen Reiche wegen de« Zwischen- FereiHeton. 11 Die Kirdorfs. Roman von Hermann Hriberg. , Nachdruck «erbaten. ES war um die Winterreit und um da» Jahr Achtzehn- bundert.... Mit wildem Heulen sauste der Sturmwind um das alte, dem Grafen Ripdorf gehörende Schloß. Mit gleichsam rachsüchtiger Wuth peitschte er herab, waS noch von deS Sommers Prangen zurückgeblieben. Mit einer Gewalt riß er daS letzte Laub von den Bäumen und knickte die noch saftreichen Zweige, als ob er eS darauf abgesehen habe, des Winter- zerstörender Gier nichts Andere- zurück zulassen als nackte Fluren und verödete Wälder. Um so unheimlicher klang sei» Wüthen, al- der einstige Hersteller de- Schlosse- durch einen gewaltigen Vorbau und mei weit nach hinten zurücktrctende, lang sich dehnende lügel im Innenhofe wahre Fangecken für Stürme und boS- üafleS Rumoren geschaffen hatte. Hier führten die Kobolde des Unwetters ihre rasenden Tänze aus, pfiffen und heulHn und ließen Melodien ertönen, deren grausiger Klaog die Menschen drinnen erbeben machte. Im linken Flügel, in einem der hoben, mil reichen Stuckaturen nnd Malereien versehenen Gemächer lag in einem seidenbezoaciien Himmelbett, umgeben von weichen Kissen und seidenen Decken, der alte Graf Konrad von Ripdorf und ächzte in Todesqualen. Auf seinem eingefallenen Haupt mit den hohlen Wangen und den schwarzen Augen saß eine weiße Zipfelmütze und von seinem Kinn floß ein langer, weißer Barl über die Decke. Er wußte, er fühlte es, er konnte nicht mehr leben, und er wußte, daß sie ringsum auf seinen Tod warteten bi» auf Zwei. Der Eine batte bisher in einem der breitlehnigen Stühle neben dem tief eingemauerten Fenster gehockt und war während der Nachtwache der Müdigkeit erlegen. Nun riß cr sich empor, schwankte, den blutleeren Körper fröstelnd be wegend, an da« Lager seine» Gebieter- und fragte den Stöhnenden mit milden Worten nach seinen Wünschen. Und nachdem er de- Kranken schmale Lippen mit Trinkwasser gelabt, trat er leise zurück und begab sich an den an der Rückwand emporstrebenden, mit den mächtigen Wappen der Ripdorf'- gezierten Kamin. Mit einem eisernen Stecken stieß er in die stillglimmenden Scheite und warf auf die rasch wieder Leben gewinnenden und nun tausend glühende Funken durch den Schornstein sendenden Kohlenreste einige schwere Eichenholzkloben. Zuletzt ließ er sich wieder in den Stuhl zurückgleiten, in dem einst derselbe Mann mit fröhlichem Lebrn«muth gesessen und den silbernen Becher geleert hatte, der nun dem grinsenden Sensenmann mit der knöchernen Ripvenweste er liegen sollte. Der Alte hieß Ole Unke und war früher de- alten Grafen Leibjäger gewesen. Seit langen Jahren aber versah er bereit- die Dienste eine» Kammerdieners und war um seinen immer mehr abfallenden Gebieter fast jegliche Stunde. Während er dasaß und vergeblich den Schlaf zurück zugewinnen suchte, gingen seine Gedanken in die Vergangen heit und Zukunft. Herrliche Tage hatte er auf Steinborst verlebt, frohe Feste waren an der Tagesordnung gewesen. Aber diesen waren auch sehr ernste Zeiten gefolgt. Zunächst batte der Tod die alte Gräfin fortgerafft, bann batte Graf Konrad seinen Aeltesten nach einem heftigen Streit au- dem Schloß gestoßen. Nie hatten sie wieder von ihm gehört. Schon seit 24 Jahren war er in Amerika verschollen. Und wieder nach Jahren war hier aus Strinborst die Hochzeit der Eomtesse Ulrike Ripdorf mit dem Grafen Todt- teben auf Halke gefeiert worden, derselben Ulrike, die nun in der nahgelegrnen Stadt Eutin in einem den Ripdorf s ge hörenden Herrenbesitz als Wittwe lebte. In demselben Monat hatte sich Axel von Ripdorf, nach dem er den kurzen diplomatischen Dienst quittirt, auf Stein borst für immer niedergelassen. Er lebte unter seinen Büchern vergraben — ein milder, kränkelnder Gelehrter — im rechten Flügel und hatte es aufgegeben, jemals inü öffentliche Leben zurückzukehren. Noch einen Sohn gab e». Er war der zweitältcste, hieß Rudolf und wohnte auf der ihm von seinem Vater über lassenen, nickt weit ab gelegenen Herrschaft Flugsande, nah der Ostsee, die ihre Wellen gar oft über seine Felder und Wiesen spült«. Graf Rudolf war nnverbeiratbet, er schien sich aus den Weibern nickt- zu machen, wohl aber ans Herrschertknm und Geld, welch letztere- zu erlangen und zu vermehren sein ruheloser Gedanke war. Erst am Vormittage diese- Tage- war Ole um solcher Dinge willen wieder Zeuge einer Scene zwischen ihm und seinem Bruder Axel gewesen. Zuletzt hatte Rudolf die schwere Eichenholzthür mit einer Wucht zugeschlagen, daß die Wände gebebt hatten, und der Kranke war entsetzt emporgefahren und hatte angstvoll Ole gefragt, wa- geschehen sei. Rudolf, der sich von Jugend an von seinen Eltern zurück- gesetzt grsühlt und in schwerer Uneinigkeit mit seinem Vater gelebt hatte seit vielen Jahren, vermochte für letzteren weder Liebe zu fühlen, noch solch« zu heucheln. So sprach er denn bei seinen Erkundigungen nicht vor auS Theilnahme, sondern in Groll und Bitterkeit. WaS will er sich noch wehren, der alte Mann, da nun doch die Knochen morsch geworden und nicht mehr wollen, batte er noch jüngst finster gemurmelt, al» Ole, von dem bartlosen Kammerdiener Daniel herau-gerufen, ihm auf seine Fragen Antwort rrtheilt hatte. „Und berichte nicht, daß ich da war! Ich will nicht bmem! Hörst Du! Ich kann daö Gestöhne nicht hören. Sag', ich hätte geschickt und fragen lasten, oder erfinde andere», wa» ihm klingst!" Und dann war zufällig Axel au» dem anderen Flügel berubergekommen, und e« hatte sich zwischen den beiden Brüdern ,m Vorzimmer de» Kranken ein Gespräch entwickelt, dem Ole gegen seinen Willen zugehört. Rudolf hatte Forderungen für die Zukunft gestellt, die Axel sanft, aber entschieden abgclehnt. Da hatte der Schluß gelautet, Axel sei ein eigensinniger Narr, und e» werde bester sein, er ziehe in die Stadt nach Eutin, wenn er, Rudolf, nach dem Tode de- Alten nach Steinhorst übersiedle. ... ^ schüttelte sich bei der Vorstellung, daß der herrsch- süchtige und unberechenbare Rudolf auf dem Schlosse ae- b't^en, s"^aber al- Dienender unter seine Botmäßigkeit ge- Nimmermehr! Wenn Axel ihn nicht zu sich nehmen konnte, wollte er lieber unten in- Dorf ziehen und dort sein Leben z» fristen suchen. ' ->rk.r^ auf. gähnte wiederholt in der bedruckenden g „nd iubr doch, wie von einer unsichtbaren acht Abpackt, empor, als plötzlich draußen mitten ?önw und aleÄ'v'" ^"7' Mütterliches Krachen er- cnle und g eickzeitig — nnbeimlich sckreckbast! — durch das Unwetter gelosie Steine und Manermörtel brrabraffelten I die prastelnde Gluth brrniedrrschlngen und einen wilden Feurrregen und kleine brennende Kohlen auf den Teppich ergossen. Entsetzt erwachte der Kranke und riß die schwarzen Augen in dem Todtengesicht auf. WaS — ist — Ole — wa» —? setzte er an, fiel aber, durch Kraftlosigkeit gelähmt, nur noch tiefer in die Kissen und ächzte. „Nichts, nicht», nur der Wind schlug herab, Epcelleiiz", berichtete der Alte, flog an die Brandstätte, trat die Funten mit den Füßen a»S, ergriff die den Teppich bereits beiß au- fressenden Kohlen, balancirte sie in den Händen und warf sie in den Kamin zurück. Aber in diesem Augenblick flog noch einmal ein Stein rer beerend in die Glutb, traf einen balbverkoblten Holzscheit und riß die glühenden Funken mit solcher Gewalt auS seinem Innern, daß abermals tausend knisternde Fenerströme unter scharfem Holzgeruch auf den Teppich herabsprühten. Nun hüstelte der Kranke schwer. Aber noch mehr! Ein Raffeln zog herauf auS dem Schlund, und als Ole blitzschnell herbeieilte und ihn aufbob, quoll ein rother Blnt- quell über den langen, weißen Bart ans die grünseidenc Decke. Erst nach geraumer Zeit vermochte der sorgsame Alle die Spuren deS Anfalls zu entfernen und dem Kranken durch frisches Wasser und durch Darbietung belebender Riechsalze Erleichterung und Ruhe zu verschaffen. Selbst wie zerschlagen, schob er sich wieder an den Stuhl, zog eine scharfrothe, wollene Decke, die ihm au- dem Vorrat!' deS Grasen überwiesen worden war, hoch über den frierenden Körper und fand nun endlich auch DaS, wa» die todtniüten Lider ersehnlen. Aber auch der Sturm hatte seinen letzten Rachezug gegen die Natur beendet. Draußen war'» still, nur die i»ul« im Park rief durch die Dunkelheit immer von Neuem ihren grausigen Ruf. » In einem koch von der Straße zurückgelegeueu, von alten schönen Parkbaumen umgebene» Herrensitz, saß ain Nachmittag de» nächsten Tage» die rothhaarige Gräfin Ulrike von Todtleben und erhob die scharf« Stimme gegen ihre Kammerjungfer. „Weshalb ist Clara noch nicht gewasche»? WaS treibe» Sie denn, statt zu thun, wa» Ihre» Amte» ist? Nun geben Sie und holen Sie c» morgen in aller Frübe nach! Sorgen r:ie aber, daß sie sich nicht erkältet, wie jüngst, ich mache Sie verantwortlich." Dir Gemaßregelte, «in schmale», blaffe« Mädch«» mit
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