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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.01.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-01-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970104010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897010401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897010401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-01
- Tag1897-01-04
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Ver»-r-Vrer- AÄeÜr» abg»h»?R^E k M-MsM V°I«4 V«»-^»Ä »Ich Ve Hsst »WM, f», »«»tfchwn» >«» LeMnil», Mmchitzrltch G>». Dt»»«»« Ntailch« KteWanbsendung W» «n-tanht»i»n«1Uch ?.S0. Dl» MoW^A^ab« erfcheiM »» v,7 Uh^ hh» Atzenh-A»-,«»»« »och«»«»» «, » Uh«. Ut)attto» und Erve-Mo«: A»tz«n»»-,sfs« A. Lte-rpeLltlo», «st «schMkig« ««»atttdroche, »»«ffaet lwu früh s tls Abends 7 Uhr. Ott» Me««*» Usrtt«. lAlste» -ahn), Uawersttät-straße 8 lPanitamn), Lsnts Lüsche, >«thar»ue»str. 14» Port. >md A-uig-platz 7. Morgen-Ausgabe tMger T agMM Anzeiger. Ämtsvlatt -es königliche« Land- «nd Ämtsgerichles Leipzig, -es Nathes «n- Nolizei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. AnzeiDk.Prel» die SgefpaN-ste Prtitzrile so Pfg. Reklamen «nter dem Redactlon-slrich (4 ge spalten) v»r den Familirna«ä,eichten (6 gespalten) 404. Vr-ßere Schriften lant »nserem Preis- »erzetchniß. Tabellarischer und Zissernsan »ach höherem Takts. Esten-Veilsse» (gesal-y, mir Morgen-Ausgabe, ohne Poslbewrderung vO—, mit Postbesörderung 70.-^. Annahmeschluß für Anzei-en: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen «Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bel den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stund« früher. Anzeigen sind stet- an die S»p»-iti,„ zu richte«. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. ^?5. Montag den 4. Januar 1897. 81. Jahrgang. Frem-rvort-Thorheiten. Bortraa. gehalten im Allgemeinen Deutschen Sprachverein, Zweigvereia Leipzig, am 17. November 1896, von Robert Boigtliinder» VeriagSbuchhändler in Leipzig.*) Fremdwort-Thorheiten nenn, ick meinen Vortrag. Die Anregung dazu erhielt ich vorigen Winter, als ich in einer Sitzung unseres Vereins einige mir als besonder- thöricht ausgefallene Fremdwörter annagelte. Hin- und Her rede spann sich damals daran und man war gütig genug, mich um eine Fortsetzung zu bitten. Da habe ich denn die Zeit her gesammelt, waS ich von Fremdwort-Unkraut am Wege fand. Am Wege — denn wahrlich, viel SuchenS war nicht nöthig. Maffenwrise wächst eS. Die Blätter und Dlüthen, di« ich pflückt«, hier sind sie, kein schöner Strauß. Aber eS ist die Aufgabe deS Sprachvereins, Nesseln zu ver spinnen, uud so wollen wir denn Musterung halten. „O, wa- ist die deutsch Sprak für ein arm Sprak, für ein plump Sprak." Wie der unsterbliche Riccaut, denken da- unzählige Menschen noch heute, handeln wenigstens, als wenn sie so dächten, wenn sie sich nämlich aus wirklicher oder falscher Scham scheuen, das offene und ehrliche deutsche Wort zu gebrauchen, wenn sie ein Ding nicht beim rechten Namen nennen wollen. Nehmen Sie irgend etwa« Unechtes: Gold-, Bernstein-, Leder», Leinwand-Ersatz, er wird Imitation ge nannt. Da« junge Mädchen, das locken lernen soll, der an gehende Landwirt-, sie schämen sich Lehrling zu sein und nennen sich Kocheedolsrin, Kochvievin oder kürzer Llcvcn. Die Werkfiihrtrin eine« Kleidergeschäfts macht sich zur vi- rectrlce, ihr« Wirkstätte zum Atelier. Der angehende Ver waltungsbeamte dünkt sich als Lnpernumorsr etwas Rechtes; Ueberzitbliger wäre zu grob. Der Schreiber will ein Seerotuir sein, auch wenn er keine Zeile Geheime« unter die Feder bekommt. Der Auzeigen-Reisende ziert sich mit dem Titel Acquisiteur. In Innsbruck sah ich da« Schild eint« GipsgießerS; der Mann nennt sich TodwLtor. Sonst ist der Handwerker stolz aus seinen Stand al« auf einen Ehrenstand und bat ein Recht dazu; sucht er aber in der Zeitung eine Lebensgefährtin, so schämt er sich seiner Hände Arbeit und nennt oder schimpft sich, das kann man hier wohl sagen, einen Troksssivvisten. Will er obendrein noch Mitgift, so klingen ihm die Tausende zu gerade heraus; er rechnet mit miilo. Der „nodis Kavalier von distiuguii'tom Arußern" sucht eine ÄlariLgö einzugehen und eS aiebt zur Erschließung dieser Ab theilung deS Himmel- auf Erden ein« Lluriage-Lompagnio. Da- sind Alles Wörter für Dinge, die nach der Empfindung Derer, die sie in den Mund nehmen, das Licht der Mutter sprache zu scheuen haben. Da- Fremdwort soll di« Sache angenehmer, besser machen. So wird es auch gesucht für Sachen, die sich aus deutsch manchen Leuten zu unschein bar anSnebmen. Der Gasthofbesitzer muthet Niemanden zu, »o seinem Nebrnhause zu wohnen, sondern bietet den Gäste» seine Vepsväuvvs an. Die verkrachte Aktiengesellschaft läßt sich sanirvn; dann ist si, wieder rein. Am meisten sind solch glitzernde Namrnschild» begehrt für Geheim-, Heil- und Wundermittel aller Art. Ein Blick in eines der viel- benutzten Anzrigeblätter, und man hat auf einen Griff eine ganze Hand voll solch heimathlosen Gesindel-, zusammen- gestoppelt meistens au- Griechisch, Latein, Französisch, Englisch oder Italienisch. Da giebtS da- Haarfärbemittel (luveuiu, da- Fleckputzmittel k'sruxolln, den Tollstte - 6rsum I-anolin, da- Haarkräusrl-Llixlr ^MLNclws, da- Zahnwasser Odont», den Butterersatz I-uursvI, die Fußbokenwichse Turkstol, die Schubschmiere 8upul, da- Fleckenwasser OmLl, da- Kleb mittel Syndetikon, da- Insektenpulver Tnurmelin, da- OesiLk'ecttolls-Mittel Lromoputsrin; e- giebt da- Rerrutin, da- HiNr-gi und die Xutross für Blutarme, da- Riesenkraft verleihende Rovi-11, da- Buch Sana für Schönheit-Pflege, da- Mundwasser Xutliurol und andere wichtige Bereicherungen de« Arzneischatzes. WaS die leidende Menschheit sich unter diesem Kauderwelsch zu denken hat, da- bedürfte jedeSmal der besonderen Forschung. Freilich, *) Der Bortrag beschäftigt sich mit einer so brennenden Frage, daß wir ihm gern eine weitere Verbreitung geben. D. Red. Leute, die denken, bilden in der Regel gerade nicht die Kund schaft der Geheimmittelverkäufer. Auch einen Kunstsandstein lsckzrota aiebt eS und ein Mittel gegen Rost, Zlammoitw. Bauernfänger möchte ich diese glimmerigen Worte nennen. Buchstäblich Bauernfänger sind wenigstens das korkosau, ein Mittel gegen den Sckweine-Notblanf (Sch wein keil wäre ja zu einfach), das Solutol, ein Mittel gegen Maul- und Klauenseuche, der „arabische antisevtische" Tbierkuchen Rredidilit, daS Viebwaschmittel Kreolin. das „Jndianer- und Scharsrichtermittcl Rntuin, auch die Rasenmäbmaschine Tks lion. Nehmen Sie, WaS Sie wolle», wo die Aufmerksam keit deS Deutschen erregt werden soll, da ist das fremde Prunk wort zur Stelle. Wo ist der Tabak zu kaufen, der sich schlecht und recht als Pfälzer oder Badener giebt? Umsonst wird man ihn suchen; finden nur Importen (Mebrhcitl'ildnnz!) mit hochtrabenden spanischen oder doch spanisch klingenden Marken: Rn Oloria, Olorintr», I-a Rcalcxn, l?ui ino, Rmincntv, Rlor cle Liacn, Rconomiu, Rxquisitos, Rl Iwperio, alles Namen, deren Werth den» der beliebten Fraucnbilder auf den Deckeln der Cigarrenkisten gleich ist. Daß man diese Tollbeit mit den Spoltwörtern Ltlnkadorss und Rxtinmuios zu ver höhnen suchte, bat gar nichts geholfen; jeder Krämer rühmt noch immer seinen „ckircetcu Import." Das ist allein der Tabak; aber in einem großen Tbcil der Industrie ist'ö ebenso. Eine wahre Brutstätte bobler Prunknamen sind leider unser: Leipziger Musikwerke, die Fabriken der ^riston, Lvmpllonion, Odorckepilou, Orplienion, Lupbonikr». Kalliope, klioaix, Troubadour. Ich messe die Schuld au dieser Fremdwortsncht durchaus nicht allein den Fabriken bei. Sie sagen: Unsere Erzeugnisse gehen in alle Welt; sie müssen einen überall ver ständlichen Namen tragen, und daS Deutsche ist keine Welt sprache. Wie die Dinge liegen, ist das zum Tbeil richtig. Ich kann eS einem Fabrikleiter nachsühlen, daß er lieber ein Loch in die deutsche Sprache reißt, als eins in die Taschen der Theilhaber. Aber ein Stück deutscher Nückgrat- losigkeit ist und bleibt es doch. Daran aber sind wir Alle zusammen schuld. Wenn sich nur ein kleiner Tbril der deutsch Denkende« ablehnend verhielte gegen all das Zeug Mit Len fremden Namen, sie würden wenigstens der deut schen Kundschaft bald nickt mehr zuaemuthet werben und aus diejenigen Waaren beschränkt bleiben, die ins Ausland gehen. Und sollte nicht noch eine Zeit kommen, in der deutsche Waare Unter deutschem Namen in der ganzen Welt begehrt wird? DaS ist doch noch zu hoffen! An schönklingenden deutschen Namen dazu fehlt eS durchaus nicht. Man greife nur in die deutsche Sage und in die altdeutschen Eigennamen: Frcya, Frikka, Berchta, Winda, Bald», um einige wenige ru nennen. Aber wie weit sind wir davon noch entfernt. In der Berliner Gewerbe- Ausstellung waren die drei neuen Setz- oder vielmehr Zeilen gießmaschinen, wichtige Erfindungen; die eine heißt Llonolius, die ander« Rinot/pö. die dritte Tzpogiupb. Es sind amerika nische Erfindungen und für Amerika mögen die Namen recht sein, obwohl Älonolillö halb griechisch, halb englisch ist. Aber sie werden auch uns geduldigen Deutschen so vorgeführt, und würden ausländische Namen tragen, auch wenn sie deutsche Erfindungen wären. Ganz ähnlich ist r» mR den Schreibmaschinen T.vpc-vritsr und (^elostzde, mit dem Mbapirograpb und dem Ltimiograpb und einer der hübschesten neuen Erfindungen der Lichtbilvkunst, dem Lmematozi-apb. Eine kiesige, sonst reckt wobtschmeckendr Firma zeigt in ihrer deutschen Preisliste an: Oxtail 8oup real turtle meat, wouutaiu tomatoes, mountain Lugar 6oru --- Mais. Ebenso kommt das medicinische Waarenhaus in Berlin mit Leek tsa. öeok caües, Nährtoast. Oder wie be schämend ist, eine für viele, folgende Anzeige eines Moden- geschästes: Lloliair edlnlrt, Oovör coat, äuiting clotlr, 6oa- ting, Ferge marble, Latin clotl», 6ivpe Lortü, Oepe cloi- sonns, Orvps Llobair, 8srge Lalmoral, 6e»mania clotl», Lrepon dem! soie, Llollair drooliS, Llotiair Lioillenne. Eine unfreiwillige Nebenbedeutung gewinnt r«, wenn eine Lhocoladenfabrik eine ihrer Sorten Oacao-Vero nennt (Binve- trich zwischen Haupt- und Eigenschaftswort!), WaS darauf chließen ließe, daß ihre anderen Sorten nicht vero, eckt eien. — Da hatte der Inhaber einer Weinkneipe in Berlin wenigsten» eine glücklichere Hand, al- er eine Auswahl 1892er und 1893er Reussiteu auf seine Karte setzte. Wenn man daS Wort Kvussiton ausspricht, muß man da nicht den Mund spitzen, als wenn man den Dreiundneunziger schon anf der Zunge hätte? Ganz schlimm sieht's mit den Ausdrücken der meist aus England zu »ns gekommenen Sport-Arten aus, mag'S nun Reiten, Radeln, Rudern, Segeln, Fußball, Netzball oder sonst was sein. Ich nenne die Wörter Ltoepic-cliase, Rover, Lneumatie, Velociped, öiczcls, kootball rc. Die AuS- länderei »lacht sich da auch sonst in der allerbeschämendsten Weise breit. Es giebt Spielvereine — Olubs beißen sie na ürlich — die nicht nur englische Kunstausdrücke mit Vorliebe gebrauchen, sondern auch sonst so englisch thun wie möglich, das Spielfeld nach M»d statt nach Metern rechnen, llOrrii, statt Hurrab rufen und überglücklich sind, wenn einige echte Engländer ihnen die hohe Ebre der Mitgliedschaft erweisen. Die Spielberichte in den Sportzeitschriften sind denn auch ein kaum lesbares Kauderwelsch, voll von ball' time, goal, gvalkccper, matcb, balt-baeks, eollegeman, Kickers, rusbcs, scrums, trics, vtksido u. s. W. Unsere Muttersprache ist eben Dielen nickt gut genug. Wie bezeichnend für diese Schwäche unseres Volkes »st's, daß wir zur dichterischen Verkörperung deutschen Wesens keinen rein deutschen Namen haben, sondern uns für eine halblateinische tlcrmauir» begeistern, der sich die anderen Damen, die Teutonia, Uuvaiiri, Uorussir», Laxonia, Idpsin, »mV wie sie alle heißen, ebenbürtig anreihen. Einer der häufigsten Einwürfe gegen die Bestrebungen des Sprachvereins ist der, daß Fremdwörter »in entbehrlich seien. Ich komme noch darauf zurück. Es giebt aber um gekehrt eine ganze Menge von Fremdwörtern, die deutlich zeigen, daß man sich um ihren Ersatz gar nicht ernstlich be müht hat, die nur eine Folge von Gedankenlosigkeit, Be quemlichkeit oder Unbeholfenheit sind. Wie will man es z. B. entschuldigen, wenn eine kiesige Bank ihren Kunden zur Ausbewabrung von Wertbsachen einen Stablpanzer-8r»ies-Schrank anbot? — Ein seit Kurzem aufgekommencs Herren-Kleidungsslück ist die Lmokiuj; ge nannte Fest- oder GesellsckaftSjacke. Ich kann mir den Aus druck nur so erklären, daß die Jacke al- bequemer Gesell- schaftSanzug im Rauchsimmer gedacht ist; dann würde sie Rauchjacke heißen können. Aber man trägt sie auch in Damen-Gesellschast. Lmokinz ist also nicht einmal richtig. So unbeholfen sind wir aber, daß wir keinen Namen für ein an sich ganz annehmbares Kleidungsstück finden und uns lieber mit einem unzutreffenden Fremdwort abfinden. — Eine ähnliche Unbeholfenheit ist die, daß wir für daS schöne Rarvn-Tennis-Spiel noch kein deutsches Wort gebrauchen, während doch Netzball, Wiesenball, Tennenball so nabe liegen. WaS Wunder, daß ein harmloses Gemüth einmal fragte, um welchen Lohn man denn eigentlich beim „Lohn-Tennis" spiele! So ists auch mit dem dem Reekstealc unlogisch nachge- bildetci» Rumpsteak, für das sich ganz zwanglos die Be zeichnung Rindschnitzrl bietet, wie wir schon Kalbschnitzel sagen. Daß das Wort eigentlich Rumpfstück bedeutet, »in Gegensatz zum Lendenstück (Leeksteak), das bedenken natür lich viele Wirthe und Kellner nicht. So lesen wir auf unzähligen Speisekarten Rumsteak geschrieben, als ob das Fleisch in Jamaika Nun» gebraten würde, oder gar „Rub m- steak, als ob es zum Rubine der Küche oder des „Oksks" dienen sollte — Küchenmeister beißt so ein Herr ja nicht mehr. Ein Leidensgenosse des Rumpstsaks ist das Roastbeef, das sich bei», Pferdeschlachter wohl schon in ein Roßbsek verwandelt hat. Auf die Speisekarte und das Unwesen der Gafthossprache will ich nicht o weit eingehen, als eS eigentlich verdiente; der Unfug ist a bekannt und schon viel bekämpft. Ich füble noch beute die Beschämung nach, die ich einst in einem kleinen brandenburgischen Städtchen, in dem der letzte Franzose in» Jahr« 1813 gewesen sein mag, vor einem Rotel de l aigle d'or empfand. Hier in Leipzig haben wir ja auch die Rotels de Trasse, de Rologne, de Russi«, du Xord. Ich brmübe mich stets, zu sagen: Preußischer Hof, Polnischer Hof u. s. w. Aber mehrmals schon bin ich damit nicht gleich verstanden worden, und wenn dem Angeredeten ein Licht aufging, so brach er wobl in die Worte auS: „Aber Herr, warum sprechen Sie nicht deutsch?" So eingewurzelt ist die Französelei im Gasthofwesen. Nirgends kort man öfter die Widerrede von der angeblichen Unentbehrlichkeit der Fremdwörter. Aber Wörter für Essen, Trinken, Wohnen und Schlafen vermag jede Sprache aus ibrcln Eigenen zu prägen; Hottentotten tonnen eS und Kaffern, und wir Deutschen sollten es nicht können? Sonst gebt es doch! Die Elektrotechniker z. B. haben es zu manchen recht guten Neubildungen gebracht, wie Gküb- licht, Bogenlampe, Umschalter. Allerdings quälen sie unsere Zunge mit dem Wort-Ungeheuer -Vecumulstod (Strom- speicher) und mit Transtormator (Stromwandler oder nock kürzer Wandler). Und weil Bernstein schwach elektrisch ist und die Griechen Bernstein Elektron nannten sind wir zu dem unbequemen Worte LIektrIcitNt und seinen Ableitungen verurtbeilt. Die Sprache Homer'- mußte auch den Briefmarken sammlern des 19. IabrbunderkS herhalten, sich die schönen Name» Tbilatelio und kbilatelisten zu leisten. Es ist wirklich manchmal, als ob die deutsche Sprache, alt und lahm geworden, die Fähigkeit verloren hätte, für einen neuen Bcgrisf ein neues Wort zu bilden. Im besten Falle kommt es zu gut zusammengesetzten Wörtern, wie: Eisenbahn, Bahnhof, Pferdebahn, Fahrrad, Fuß ball. Aber die sind manchmal unzulänglich» wie sich am Fernsprecher gezeigt hat. Das Hauptwort ist gut; das Zeitwort fernsprech ei, läßt sich aber schlecht abwandeln: „Ick habe ferngesprochen" widerstrebt, klingt unbeholfen. Da tvlspliouiicn wir lieber und bebelfen un- mit dem Telsptron oder Telephon^, wie der französisch gebildete Hausknecht sagt. Also eS scheint, »vir bringen es nicht mebr fertig, ein einfache- neues Wort zu erzeugen, wie z. B. Tisch oder Stuhl es sind. Müßte man für dies« heutzutage rin Wort neu suchen, so käme man entweder aus Fremdwörter — ich erinnere an subsollium, Lliaisslongue — oder aus aewissenhaft beschreibende, zusammengeleimle Wörter, etwa Dierbein- plat lc für Tisch, oder Lehnsitzbrett für Stuhl. Wer daran zweifelt, den erinnere ich an das „Zusammen- gestelltr Fahrscheinheft", Liesen mißlungenen Ersatz des »och schlimmer»» „Oomöinirbaren RundreisehiUels". Darum nannte man das Ding nicht einfach Fabrh'rft, im Gegen satz zur Fahrkarte? In dem Wort Heft ist zur Genüge ausgedrückt, daß lose Blätter zusammengestellt sind. Die Uebergewissenbasten werden entgegnen, da fehle der Hinweis auf die Zusammenstellbarkeit. Solchen könnte dir Bahn- verwaltnng allenfalls mit einein „Wahlfreien Nundreiseheft" rnlgegenkommen. Aber rin Wort braucht nickt alles zu sagen; man muß auch etwas darunter verstehen. Ein anderes Beispiel dieser Sprackohnmacht ist das Wort striko. Es ist unser deutsche- Wort Streich. Die Bedeutung der Einstellung einer Tbatigkeit haben schon die Worte Zapfen streich, Segelstreichen, Flagg-streichen. An Gewaltsamkeit erinnert Grwaltstrrich, Handstreich. Also, wa- einfacher, al- etwa Lohn st reich zu sagen und: die Arbeiter streichen, wobei der RechtSmensch noch an einen durchstrichenei, Lobnvertrag denken könnte. Aber Nein, als zahme Engländer sagen wir Ltriits und die Arbeiter sagte» lange Zeit Strikte, wa- ihnen gar nicht zu ver übeln ist. Ebenso steht'- mit der VVrivxm aschitie. Die deutschen Waschfrauen ringen die Wäsche au«; in der Schriftsprache muß aber da- englisch» vor da- deutsche Wort; bann erst taugt die Maschine etwas. — Oaivre poli und Tupiel-mkcbö sind auch scheinbar unausrottbare Fremdlinge, obwohl sie durch Glan zkupfer oder Glanzmessing und durch Papier masse ganz leicht zu verdeutschen wären. — Die Photo graphische Gesellschaft in Berlin bringt reizende Mattdrucke in den Handel, grau auf weiß; sie nennt sie Larvtoprints. Ueberbaupt hat dir schöne Licktbildkunst außer ihrem leider gebräuchlich gewordenen Namen kkotoßrapliie uns zu einer Unzahl von Fremdwörtern verholfen; ich nentlt von bekannteren Rcwucbc, Retoucheur, ketouelicuse, 8tutiv, Odzeetiv, Iregutiv, Oumera. Andererseits zeigt auch sie, daß man auch gute neue Worte bilden kann, wie Entwickler, Schlitz verschluß, Trockenplatte, Dunkelkammer. Unser Zweigverein hat auch schon einmal die Taxameter- FrrriH-tsn Gedurlsla- einer Verkannten. Von L«rl Matthias. - Rechdru- »rr»»»n>. „Nun, Wa» sagen Sie zu der neuen Operette I" „Unglaublich schwaches Werk, langweilig, öde, rrizlo». Wie man nur so etwa- aufführen kann?" „Ja, es schwitzt« kein guter Stern über dem heutigen Abend. Und dennoch, hätten Sie nicht, wir so Biele, Ihr« Ansprüche gar so hoch gespannt, Si« würden sich ebenso gut wie Ihr ergedener Diener unterhalte»» haben." „Unmöglich, bei einer Operette der Neuzeit? Seit der schönt» Helena nnd dem Bettelstudenten wird nicht- Ver nünftiges mehr geschrietzea. Es lohnte sich aar nicht, eine Oderetteuvorstellnng zu besuchen, wenn «- nicht chi« wäre, be» einer Premitre anwesend zu sein. Man muß doch mit- spreche» können." „Und mitraisonniren. Oh. ahnten Sie, welch« Arbeit »1 gekostet hat, di« Vorstellung fertig ,» stellen, Sie würden milder nrtheilen." „Da bin ich in der That nrngierig?" „Welche Mühe hat zurrst der Componift, di« umfangreich« Partitur za vollenden. Wie im Traume ging er monatelang umher, um di« prickelnden Melodien zu sindra, die rin« Operette vor Allem erheischt. In seiner Tasche trug er un entwegt das Notizbuch mit de» Notenlinien, um jeden musttaltsche» Gedanken sofort zn fixiren, gleichviel ob Walzer, Polka oder Marsch, um dann bei der Sichtung dahinter zukommen. Laß Alle- schon einmal dagewesen. Endlich hat er da- Melodie-Material zusammen und kann daran denken, eS nach Maßgabe de« Textbuches zusammenzuschmieden. Große Meister geben sich »nit dieser Arbeit selten ab. Sie haben ibren freundlichen Helfer, einen musikalischen Landlanger, der die Bruchstücke verbindet, die Uebergänge auStustelt, die Noten sanglich macht und vor Allem die Instrumentation besorgt. „Welch reizende« Arrangement im Quartett, welche Innigkeit in der Harmonie, wie die Flöten herau-klingen, wie da- Ecllo dominirt", flüstert entzückt der Musikkenner. „Ja, unser Meister ist ein großer Mann!" Fehlgrschossen mein Lieber, der groß« Meister hat sich selbst über dirs« Finessen gewundert, al- er sie in der fertigen Partitur las, erfunden hat er si« nicht. Don ibm stammen nur die Hauptmelodirn, und auch dir bat er theilweise Nach empfunden. Gleichviel, die Ehre bleibt ihm auf alle Fälle, wenn der Erfolg da ist, wen« nicht, war natürlich der Andere schuld. Da- Buch, welchem sich die Melodien anschmiegen, macht weniger Schwierigkeiten. Meist liegen den Operetten ältere Lustspiele oder auch allerlei Zarzuelrn, Libretti, Tonnrrl- spiele ra Grund«, die man in der Urgewalt nicht mebr seben mag. Ein oder mehrere Verfasser baden den allen Schmarrn nachgedichtrt, umgemodelt, verflstcirt, schließlich legt noch der Dramaturg oder Hau-dichter di« bildende Hand an die Sammrlfuppe, indem er möglichst unpassende Localverse hinzusügt, und der Direktor, der von dem Werke, da- er einmal angenommen hat, stet« hochentrückt »st, läßt sich von seinem Eapellmeister die Musik Vorspielen. Ist der Theater- Unternehmer verbeirathet, so sitzt seine Gemahlin bei dieser musikalischen Stichprobe al- Unparteiische dabei und theilt auf alle Fälle Len Enthusiasmus ihre- Gatten, denn ein Theater- director »st in Geschmackssachen unfehlbar. Der Eapellmeister bat nur selten Stimme im Rathe, obwohl er die Sacke doch eigentlich verstehen müßte. Also di« Musik gefällt, und nach dem Buche, daS flüchtig gelesen wurde, vertbeikt nun der Di rektor die Rollen; nicht nach der Individualität, sondern nach der Höbe der Gaaen. Ir größer die Geldrollrn am Gage tage, je dicker die Rollen in der Novität. Stimmlage, Alter, Aussehen kommen erst in zweiter Reibe. WaS übrig bleibt an Lernmaterial, erhalt die miserr» pleds. Nun beginnen die Clavierproben. Eapellmeister und Correpetitor arbeiten von früh bis spät. Der Chor wird in seine natürlichen Bestand- theile, Mannlein und Weiblein, geschieden. Die Männer müssen in aller Frühe daran, die Damen kommen erst gegen Mittagszeit zur Probe. Ihnen läßt der galant« Direktor Zeit zur Toilrtte. Und welcher Toilette? Der Choristin müßte «S sehr schlecht gehen, welche nicht in Sammet und Seid«, mit allem disponiblen Schmuck behängt zur Prob« erschiene, wo sie stundenlang »n einem engen, dumpfigen Zimmer eng aneinandrrgrdrängt sitzen und singen, in einer Luft, welche ebensowenig ihren Lungen wie ihren Kleidern vortheilbaft ist. Auch die Solisten kommen zur Probe, zunächst Einer nach dem Andern, denn die Wenigsten sind musikalisch genug, um vom Blatt, weg singen zu können. Diese Kunst findet man nur bei Opernmitgliedern. Bei der Operette thun sich sogar oft Komiker und Soubrette etwa« darauf zu gut, daß sie keine Note kennen. Ihnen genügt es, zu wissen, daß va« Weiße da- Papier und da- Schwarz« die Melodie »st. Aber die Operettencapellmeister haben Geduld und, wo diese nichl au-reicht, die gehörige Portion Grobheit, schließlich sitzt die Melodie doch fest und die Ensembleproben, bei welchen Soli und Cbor vereinigt werden, bringen Klarheit in die Einsätze, in dir Tempi und Tonstärken, denn der Ehor hat bi« dahin nur gebrüllt. Anfangs klingen die Stimmen freilich inein ander, wie jenes Lied, da« Menschen rasend machen konnte, aber allmählich, nach einem Aufenthalt von vier Stunden in erstickendem Dunst des engen Raum-, nach einer Fluth von Ermahnungen, in allen Nuancen von der feinsten Schmeichelei bi- zur Injurie im Easernenstil, de- Üvernervösen Eapell- ineisters klärt sich die «Situation. Der lauschende Direktor beainnt zu hoffen. Noch eine Reihe solcher musikalischer Ab- richtung-stunden und die Sache dürfte sich machen. Um die Darsteller darüber auszuklären, welchen kleineren »der größeren Blödsinn da» Libretto enthält, sie mit dem Lauf der Handlung, wenn «ine solche existirt, bekannt zu machen, findet ein« Leseprobe statt. Ist der Direktor von dem Buche sehr entzüat, so leitet er diese Probe persönlich, scheint ihn» der Erfolg nicht zweisrllos, so schickt er seinen Regisseur. Alle Darsteller erscheinen »nit Bleistifte« bewaffnet, denn nun wird der Scenenzang eingestrichen, Bemerkungen eingetragen, der Dialog verbessert oder verbösert. Auch der Dramaturg erscheint bei dieser Her- und Hinrichtung deS Stücke- und giebt di« neuesten Rathschlag«, die fast nie acceptirt werden. Endlich ist man orientirt, man hat über di« guten Witz« gelacht, wenn der Direktor schmunzelte, über die schlechten die Nase gerümpft, wenn e- Niemand sah, zu frieden sind die Leser nie, nur der Direktor, den» »un kann der Guß beginnen. Die erste Arrangirprobe auf vrr Bübn« findet statt. An der Rampe steht da- Elavirr de- Eapellmeister-, der sein f ibrendeS Amt niedergelegt bat. Er ist nun nur noch Be
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