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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.01.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-01-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970111016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897011101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897011101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-01
- Tag1897-01-11
- Monat1897-01
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Reclamen unter dem Redaction-strich (4a». jpa!ten> 50^, vor den Familiennackrichiei, lö gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis- vrrzetchniß. TadUlarischer und gifferns-tz nach HSHerem Lartf tkrtra-Ukttagen (gefalN), NU» ml« Morgen-Ansaad«» ohne Postbesördernng X 60.—, mit PastbrsSrderkng 7«. Annahmeschlnß fiir Aazei-en: Abend-AnSgabe: Bormittags 10 Uhr. Morge n-AuSgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigkn sind stet« an di» Ohprdttlan z« richten. Druck und Verlag von E. Pol» ln Leipzig. 17. Montag den 11. Januar 1897. 91. Jahrgang. Der öffentliche Verkehr in Sachsen sonst und jetzt. Von ?. F. E. Krüber in Bocka bei Altenburg. Nachdruck verbeten. Ter Verkehr mit her Pöst. Mit der wachsenden Cultur eine« Volkes wächst sein Wohlstand, wachsen auch seine Bedürfnisse. Damit geht zugleich rin Aufschwung in Handel und Gewerbe» ein Empor- bluhen von Kunst und Wissenschaft, die Entwickelung eines regeren Verkehrslebens Hand in Hand. So lange der Bedarf ausländischer Maaren sich nur auf einen geringen Theit des Volkes beschränkte, genügte zu dessen Befriedigung die Thätigkeit einzelner Handelshäuser in größeren Städten. So lange die große Mehrzahl des Volkes des Lesens und Schreibens unkundig war, vermißte man die tägliche Post- Verbindung ebenso wenig wie die täglichen Neuigkeiten der Zeitungen. Von Anfang an dienten die in Sachsen zuerst vom Landesfürsten eingerichteten Posten nur den Zwecken der Regierung. Der Landesfürst sorgte direct als Landes- Verwalter für geregelte Versendung seiner Hof- und RegierungScorrespondenz. Eine staatliche, für die Bevölkerung nutzbare Anstalt zur Beförderung von Briefen, Sachen und Personen gab eS im Mittelalter überhaupt nicht. Neben den Fürsten stellten die großen Handelsstädte Deutschlands feste Verbindungen und Ordnungen im gegenseitigen Verkehr durch besondere Boten her; so entstanden die Bvtenzüae der Hansestädte, die seit dem 14. Jahrhundert zu förmlichen Boten anstalten mit bestimmten BeförderungSzeiten, festen Taxen rc. umgewandelt wurden. Nach deren Vorbild richteten die Uni versitäten, Klöster, Handwerkerzünfte u. A. unter sich ihren Bedürfnissen entsprechende Befördernngsanstalten, deren keine aber für den allgemeinen Verkehr au-nahmsloS benutzbar war, ei». Jeder mußte auf seine eigene Faust für die nach auswärts bestimmten Briefe und Waaren auf gelegent liche Besorgung bedacht sein. Dazu bediente man sich der zu den Messen reisenden Kauflente, wandernder Mönche und Handwerker :c. Auch hausirende Inden suchten sich durch Mitnahme und Ablieferung von „Billettern" einen Lohn zu „ergattern". In dringenden Fällen mußte bei Versendung »verthvoller Objecte wie Ueberbringung wichtiger Nachrichten ,cdeS Mal ein besonderer Bote gleich bis zu dem Be stimmungsorte geschickt werden. Das war eine thenre Ge schichte. Andererseits aber war auch der Verkehr durch die manchmal dem Absender nur wenig bekannten Boten sehr unsicher, die Ablieferung sehr unzuverlässig. So bezeugt Thomas GarganuS aus dem 16. Jahrhundert: „Beneben anverer Untren, so offtermalS bei den Boten gespüret wird, daß sie die Briefe aufbrechen, die Siegel verfälschen, Heimlich- keiien verrathen, sind sie auch meisterlich darauf abgerichtet, daß sie die Pack' und Geld aufmachen, verspielen, ver- sauffen u. s. w.' in Kriegs- und Pestilentz-Läufften haben sie ihr größte- Fieber, sintemal»! e« dann nirgend mit ihnen fortwill, sondern werden überall aufgehalten, die Briefs? und Geld genommen, die Haut vollgescklagen und waS dergleichen Unfälle mehr sind." Von Leipzig auS, das ja durch seine günstige Verkehrslage und seine Messen schon früh für den Welthandel große Wich tigkeit erlangt hatte, bestanden bereits gegen Ende des vier zehnten Jahrhunderts directe Botenverbmdungen nach Augs burg, Nürnberg, Prag (Wien), Braunschweig, Cölln an der Spree (Berlin), Dresden, Magdeburg, Hamburg. Und zwar waren dies theilS reitende Boten, theils zu Fuß gehende. Obwohl das Leipziger Botenwesen schon frühzeitig eine zunft- mäßige Verfassung hatte, mußte doch der Rath wegen der nach und nach eingetretenen Uebelstände 1590 die Verwaltung desselben selbst übernehmen. Alsbald bestellte er einen Boten- ineister und ließ für die Zwecke des Botendienstes in der sogenannten Safranwache ein besonderes Local einrichten, das nach späterer Beschreibung freilich so klein war, „daß der Botenmeister sich kaum behelfen konnte". Trotz des Ueber- gangs in städtische Verwaltung und besserer Beaufsichtigung war das Botenwesen doch in keinem guten Zustande. Bei schlechtem Weg und Wetter streikten die Boten; sie gaben die Bestrllsachen durch Dritte weiter, was natürlich verboten war; sie übertheuerten die Empfänger mit dem Botenlohn u. s. w. — Dem zu steuern, erließ der Rath der Stadt Leipzig am 4. Februar 1608 eine genaue Botenordnung, die erste ge schriebene Dienstanweisung in Sachsen über Brief- rc. Be förderung. Darin ist u. Ä. bestimmt: „Es sollen 30 ordentliche jund 10 Reserve Bothen, so entweder ansässig oder doch Bürger sind, angenommen und verpflichtet werden." Sie sind dem Botenmeister untergeordnet. Ungehorsam gegen denselben wird mit „ezlicbe Tage Gefäng- niß" oder mit Entlassung bestraft. „Der Bothenmeister soll schuldig seyn, eine Bothentaffel zu halten, auf welcher aller Bothen Nahmen verzeichnet und soll bch jedem Namen ein Pflöcklein stecken haben; sobald nun ein Bothc abläufft, soll er das Pflöcklein auSziehen, den Tag deS Ablauffens des BothenS in seinem Büchlein, so er jährlich halten soll, ein tragen und wenn ein Botbe anheim kömmt, soll er das Pflocklein wieder an die Tafel zu desselben Namen stegken. Der Botbe soll bey dem Eyde, den er geschworen, Zusagen, daß er seine Reise und die ihm ausgetragene Verrichtung still und verschwiegen halten wolle" (Briefgeheimniß). Botenlohn ist zu fordern für die Meile innerhalb dcS Landes 2 Gr., außerhalb 2 Gr. 3 Pf.. wenn der Bote „Tag und Nacht laufen muß, 3 Gr., für Stillliegen pro Tag 2 Gr. 6 Pf. rtra. — Alle eingegangenen, an den Botenmeister abzu liefernden Briefe, deren Enipfänger auf einer Tafel an der Botenstube, darauf auch die Ankunftszeit des Boten verzeichnet war, genannt waren, wurden durch den Botenknecht gegen eine Bestellgebühr von 3 Pfennig (Briefdreier), 2 Stunden nach ihrem Eingang, ausgetragen. Zwei aus der „Bothen Innung" neben dem Botenmeister und Botenknecht durften „umb daS Neue Jahr mit einer verschlossenen Büchsen herumb- gehen und von den Handels- und anderen Herren und Per- sohnen, so sich der Bothen gebrauchen, begrüßen". Zwei RalhS- herren beaufsichtigten des Botenwesen. Die Hofposten, die Vorläufer der Staatsposten, wurzeln in der altdeutschen Sitte, den Fürsten und ihrem Gefolge Alles zum Fortkommen auf Reisen Nöthige freiwillig zu leisten. Daraus erwuchs im Laufe der Zeit die Lehnspflicht, auch deS Landesfürsten Abgesandten, Boten und Dienern auf Reisen mit Geschirrstellen rc. förderlich und dienstlich zu sein. Die von de» Städten, Dörfern, Rittergütern rc. zu stellenden Dienstpferde nannte man Dienstklepper, die etwa mitzu- aebenden Fahrzeuge Dienstgescbirre. Der Nationalökonom auf Sachsens Throne, Kurfürst August, ließ die LehnSklepper und Dienstgeschirre mit Geld, das er zur Verbesserung seiner neu wieder eingerichteten Hofpost verwendete, 1563 ablösen. Post boten werden zuerst erwähnt in einem landeSsürstlichen Befehle an den Amtmann zu Leipzig, die Briefbeförderung nach dem Amte Eckartsberga betreffend, vom 10. Februar 1509, worin es beißt: „Dje Brive «»Vorhalten bey demselben poß- potten, gehen Eckerscherg, dem Amptmann zufertige, der eyneu poßbotten auch vorbanden." . . . Kurfürst August ließ zu nächst den vorhandenen Botendienst besser einrichten, den Boten reichlicheren Lohn zahlen, sie aber auch „mit Zwank" zum Dienste anbalten. Nach vielen Richtungen hin ließ er regelmäßig „Postbereiter" mit festen Abgangszeitcn und be stimmten BeförderungSsristen abgeben; den Postbereiter Felgenhauer ernannte er 1574 zum Postmeister von Dresden; „er soll die Besoldung eines Einspänners (200 Gülden) er halten". Der Kurfürst richtete auch Postverbindungen mit den benachbarten Höfen ein; so mit dem Herzog von Braun schweig, mit dem er seine Zeitungen durch die Post gegen andere umtauschte; so mit dem hessischen Hofe, da drei hessische Postreiter, die nach altem Gebrauche um ein Neujahrs geschenk bitten, je ein Güldenzrosch erhalten. Am 30. Januar 1576 schreibt Kurfürst August an Kurfürst Johann Georg von Brandenburg: „Auf Euer Schreiben vom 12. Januar sind wir mit Euer Liebden freundlich einig, halten es auch für gut, daß zwischen E. L. und unS eine Post gehalten wird, damit wir beiderseits die einkommenden Briefe in der polnischen Wahl und andere Zeitungen in diesen ge schwinden Zeiten mit einander freundlich und vertraulich communiciren können." Zum Verkehr mit dem Kaiser!. Hose in Wien bediente sich der Kurfürst des Prager Postamts gegen zwanzig Thaler als „eine Ergetzlichkeit" zum Neujahr an den Postvorsteher daselbst. Leider gerieth nach seinem > Tode daS Hofpostwesen in Verfall, und die Regierungs- befeble u. s. w. wurden wie früher durch Boten von Amt zu Amt befördert. Auch die Stellung der Lebnsklepper Ward wieder eingesührt und dauerte, wiewohl sie an vielen Orten, manchmal sogar mehrfach abgelöst war, bi- weit ins 17. Jahrhundert fort. Und wie die Hofcouriere dabei, nament lich in Kriegszeiten, verfuhren, zeigt die Klage deS Oschatzer RatheS aus dem Jahre 1638, wonach ein Courier ein Pferd gar nicht wieder zurückgeschickt habe, ein anderer statt der von der Stadt gestellten zwei Pferde den Bauern vier gute Pferde zu seinem Vorspann auf freiem Markte mit Gewalt weggenommen, dabei den Bürgermeister bedroht habe u. s. w. — Dagegen hatte sich die Leipziger Botenanstalt, die auch der sächsische Hof zur Brief- rc. Beförderung benutzte, so günstig entwickelt, daß Kurfürst Johann Georg I. den vom Leipziger Rathe seit I. Februar 1613 angestellten Boten- meister Job. Sieber zum Postmeister ernannte. Da Letzterer öfter mit dem Rath in Conflict gerieth, zu dessen Beilegung er die Hilfe deS Kurfürsten anrief und erlangte, verwandelte sich das Leipziger Botenwesen allmählich und ganz im Stillen aus einer städtischen in eine landesherrliche Einrichtung. Sieber war aber bis zur ersten regelrechten Posteinrichtung 1616 Postmeister ohne Post, auch Botenmcister wie zuvor. Wie wenig ernst es aber selbst die vereideten Boten der Dresdner Hofpost mit ihrer Lienstverrichtung nahmen, zeigt ein Vorfall aus dein Jahre 1619. Am 28. Juni 1619 wurde ein Bote von Dresden nach Senftenberg mit einem eiligen Befehle des Kurfürsten an den dortigen Schösser geschickt. Er übergab das Schreiben unterwegs einem angeblich nach Senftenberg gebenden Unbekannten und meldete trotzdem die richtige Abgabe in Senftenberg bei seiner Rückkehr nack Dresden. Das Schreiben kam nicht an, der Unbekannte ward gesucht, arretirt, entsprang auS dem Gefängniß, wurde wieder arretirt und verhört, wie aus folgendem Bericht zu ersehen: Den 1. Augustii umb 12 Uhr rum Mittage hat Hanß Blach, Landtknecht, den entlaufenen Simon Lindenern, den er bei Launa in Böhaimben (Böhmen) angetroffen, wieder ins Ambt bracht und vielleicht in beßere vorwabrung, «iß zuvor Geschehen Genomben, undt ist ferner alßbaldl iioru secuncla oz'usäom äioi (in der 2. Stunde desselben Tages) examiniret, wie folgt: 1) Interrogativ! (Frage): Wie er auß dem Gefängniß kommen. Uespousiv! (Antwort): Er wehre durchß Loch gekrochen, weil der Landtknecht das Eitzen nichl für geschlvßen hätte. N. B. Es scheinet zwar unmöglich, einen solchen Kerl durch ein solch Loch zu wirchen. 2. Int. Warum!» er entlauffen? Uesp. Er hätte sich fürm sitzen Gesürcht. 3. Int. Wie das undt waruinb er nicht nach Gubeen gangen undt nack» der vor Gubener Post gefraget habe? Uosp. Hätte gedacht, eS würde nicht viel daran Gelegen sein. Fsrrrllrtsi». Der Schneesieber. Humoreske von C. Guido Frustek. Nachdruck verbot«». Wenn Erinnerungen an meine Jugendzeit in mir auf- taucken, dann stehen auch unwillkürlich vor meinem geistigen Auge zwei Originale, die damals meine HeimathSstadt be herbergte. Sie waren eine wahre Wohltbat für die Klein stadt, denn sie wirkten sehr befruchtend auf den dürren Acker, auf dem die localen Neuigkeiten für den Stadtklatsck» er blühten, und boten gleichzeitig unerschöpflichen, stets dankbaren Stoff für die Gespräche an den Stammtischen. Das eine Original war der Schuhmachermeister Schlänglein, in der ganzen Stadt männiglich nur unter dem Namen „Rothschild" bekannt. Schlänglein war geizig, aber nur gegen Andere, sich selbst ließ er, wenn eS ihm nicht- kostete, gern clwaS zukvmmrn. Er batte sich durch rege, aber auch keinerlei oft recht zweifelhafte Mittel verachtende Thätigkeit ein recht bübschcs Vermögen erworben und bewohnte ein kleines Häuschen, daS ihm von seinen Eltern hinterlassen worden war, ganz allein, da er unverheirathet war und für die ge ringen Bedürfnisse, die er batte, selbst sorgte. Zu den weniger reinlichen Mitteln — im idealen Sinne gesprochen, denn die Flickschusterri, die Scblänglein betrieb, läßt sich ja im gewöhn lichen Sinne auch nicht gerade als reinliche Arbeit bezeichnen —, denen „Rothschild" seine Wohlhabenheit verdankte, gehörte ein heimliches Pfandleih- oder Wuchergeschäft. Sein Spitz name „Rothschild" datirte auS seiner Juaendreit. Da. was ein Haken werden will, sich bekanntlich schon bei Zeiten krümmt, so batte Schlänglein schon als Schulknabe die ihm von seinen Eltern spärlich genug zufließrnden Pfennige gespart und damit bei seinen Spielgefährten gewuchert. Al« er nun einst die Westentasche voller Kupferpfennige gehabt, hatte er jubelnd ansgerufen: „Juchhe, ich bin so reich wie Rothschild!" und die bösen Buben hatten slugS den überall bekannten Namen ausgegriffen, um ihn Schlänglein al- Spitznamen anzuheften, eine geistige Flickarbeit, die an Dauer alle kunst reichen Flickereien Schlänglein'« übertreffen sollte. Und dennoch sollte er diesen Namen, der ihm mit der Zeit zur Gewohnheit geworden war und den er nach seiner Voraussicht und der aller Bewohner der Stadt bis an sein Lebensende behalten würde, plötzlich verlieren oder richtiger gegen einen andern eintauschen, an den vorher Niemand batte denken können. Und da- war daS Werk seine- Freunde- und gleichreitia Feinde-, Kunden und Gegner- in einer Person, de« Barbier« Hirsemeier, gemeiniglich „Bartmuse" genannt. Wenn man den Barbieren seit alter Zeit nachsagt, daß ihr Metier mit einer gewissen Windbeutelei, Flatterhaftigkeit und Wichtig- thuerei unzertrennlich verbunden sei, so hatte Hirsemeier von diesen drei bedenklichen Charaktereigenschaften ein der artiges Maß zuaethcilt bekommen, daß man davon ganr be quem die ganze Barbierinnung einer kleinen Mittelstadt hätte auSstattrn können und dabei noch genügend für ein mittel- mäßigeS'Eremplrr dieser Gattung Erdenpilger übrig behalten hätte. Sein Wahlspruch war „Mensch argre Dich nickt" und er befolgte diese Lebensweisheit schon lange, bevor die selbe als zeitgemäßer Imperativ zum geflügelten Worte geworden war. Als Conseguenz dieser Philosophie betrachtete es Hirsemeier als seine Pflicht, um dem Selbstärgern iß nach drücklich entgegenzuwirken, sich nach Kräften zu amüfiren, ein Streben, wobei ihn seine Anspruchslosigkeit in Betreff der Art des Vergnügens wirksam unterstützte. Zu seinen besonderen Liebhabereien gehörte eS, einen guten Witz zu machen. Da aber die Ansicht gerade über gute Witze eine sehr verschiedene zu sein und davon abzuhängen pflegt, wer der Veranstalter und wer das Opfer der be treffenden Witze ist, so konnte es nicht fehlen, daß Hirsemeier in der ersten Zeit seines DerweilenS auf dem Boden meiner Heimathstadt öfters gewaltig bei Verübung seiner Witze an lies, so daß er sich genöthigt sah, sich fortan als Zielscheibe seiner Witze ein Object zu suchen, welches barmloS und gut- müthig genug war, entweder die schnöde Absicht des Wiye- macherS nicht zu merken oder im anderen Falle sich leicht besänftigen zu kaffen. Und ein derartiges geeignetes Opfer hat sich Hirsemeier in der Person unseres Schlänglein's, mit vem ihn die Bande ver Nachbarschaft — Hirsemeier wohnte Schlänglein gegen über — und der Kundschaft — Schlänglein nahm regelmäßig Hirsemeier'- reparaturbedürftiges Schuhwerk in die Cur — verband. Eigentlich war Hirsemeier Schlänglein's Kunde in doppelter Beziehung, da letzterer dem immer geldbedürftigen Hirsemeier einen größeren Betrag geliehen hatte, und zwar Wunder über Wunder, ohne Pfand und sonstige Sicherheit, die allerdings bei Hirsemeier, der als un- verheirathrt, nur in GartzonloaiS wohnte, auch kaum zu beschaffen gewesen wäre. Wie eS Hirsemeier möglich geworden, bei Schlänglein die heißgeliebten Thaler loSruecsen, blieb Hirsemeier'- Geheimniß und Schlänglein selbst muß durch die unwiderstehliche Rednergabe Hirsemeier'-, die sich weniger durch geistreiche Wendungen al- durch regen Fluß und Unversiegbarkeit auSzeichnete, geradezu hypnotisirt ge wesen sein, al- er, völlig „breit geschlagen", da- Geld herauS- rückte. Um so größer aber war Schlänglein's Angst und Sorge, als er wieder zum vollen Bewußtsein seine« unverzeihlichen Leichtsinns gekommen war. Unermüdlich war Schlänglein in Versuchen, sein Geld wieder zu bekominea, aber alle diese Angriffe wurden von Hirsemeier siegreich abgeschlagen und dadurch wurde Schlänglein in einen andauernden Zustand der widerstreitendsten Empfindungen versetzt. Er betrachtete Hirsemeier als seinen bittersten Feind, da er ihm eine runde Zahl harter Thaler abgeknöpst, ohne daß er gegründete Hoff nung auf deren Wiedererstattung hegen durfte und anderer seits mußte er mit Hirsemeier äußerliche Freundschaft halten, da die« die einzige Möglichkeit bol, dock vielleicht wieder zu seinem Gelde zu kommen und ihm wenigsten« die Entrichtung der Zinsen sicherte, welche Hirsemeier wieder nur de-balb regelmäßig zahlte, um seinen Gläubiger in der für Aus führung seiner Witze nöthigen guten Stimmung zu erhalten. Unzählig sind die Streiche, die Hirsemeier dem armen Schlänglein spielte. „Rothschild" schlachtete jeden Herbst ein Schwein, dessen Fleisch er nur zu Würsten verarbeiten ließ, die dann mit dem Speck und den Schinken geräuchert wurden unv als leckere Zukost während des ganzen Jahres ausreichen mußten. Schlänglein war ein Feind der in meiner Heimath allgemein verbreiteten Sitte, die Nachbarn und Bekannten zum Schlachtfest einzuladen, da er, wie er aussprach, nicht schuld sein wollte, daß sich dieselben durch übermäßiges Ver tilgen von Wellfleisch Magenbeschwerden zuziehen könnten. Wieder einmal hatte der Fleischer Schlänglein's die früheren Bestandtheile eines bei Scklänglein geschlachteten Schweines durch das Räuchern in solide Dauerwaare verwandelt und auch dieselben bis auf vier Magenwürste — eine Lieblingsspeise Schlänglein's, zu deren vermehrter Herstellung er stets nock» einige Schweinemagen vom Fleischer kaufte — abgeliefert. Als aber der Fleischer einige Tage später den Rest der Würste, eben obige vier Magenwürste, bei Schlänglein ab geben wollte, war letzterer gerade über Land unv Hirsemeier, der zum Fenster seiner Wohnung herauSsah, genehmigte auf de« ^leisckerS Bitte, der die Würste nicht erst wieder mit zurückschleppen wollte, daß dieselben in seinem Zimmer einst weilen niedergelegt würden. Hirsemeier begab sich hierauf in seine Stammkneipe, in welcher kurz nach ihm auch Schlänglein eintraf. Hirsemeier erwähnte nichts von den für Schlänglein in Aufbewahrung genommenen fleischernen Delicatessen. Nur im Laufe der Unterhaltung wendete sich Hirsemeier wie gelegentlich zum Wirth und fragte, ob er nicht gute Magenwurst habe. Aus daS Bedauern des WirtheS, daß er damit nicht dienen könne, erging sich Hirsemeier des Weiteren über den Wohlgeschmack einer guten Magenwurst, so daß den anwesenden Gästen ordentlich daS Wasser im Munde zusammenlief. „Aber", schloß Hirsemeier, „so vorzügliche Magenwurst, wie ich sie heute zufällig erbalten, habe» wohl die wenigsten von Euch je gegessen. Gern würde ich Euch eine dieser Würste zum Besten geben, aber ich weiß nicht, ob ich eS darf". „Nun, warum denn nicht", meinte Schlänglein, dem die Aussicht aus einen kostenfreien SchmauS sehr erfreulich war. „Na, ich weiß doch nicht", machte Hirseincier bedenklich. „Ach, sei kein Frosch, Hirsemeier, hole eine Wurst!" munterte Schlänglein ans. „Also, Schlänglein, Du bist damit einverstanden, daß ich eine Wurst bole?" fragte Hirsemeier. „Gewiß", rief Schläng- lcin und auch die Anderen stimmten jubelnd bei. Hirsemeier eilte nach Hause und brachte die größte der Würste. Auf Antrag Schlänglein'« wurde Hirsemeier mit brr Vertbeilnng der Wurst betraut und dieser unterzog sich seiner Ausgabe mit so großem Geschick, daß nicht der kleinste Theil auf seinem Teller ihm zur Beute verblieb. Nachdem die Wurst fröhlich verzehrt worden, wurde von verschiedenen Seiten der Tafelrunde der Wunsch nach einer neuen Wurstauflage laut. Auch Schlänglein konnte e» sich nicht versagen, den Wunsch gegen Hirsemeier zu äußern, daß er gegen eine weitere Wurst nickt« rinruwenden hätte. „Hm", meinte Hirsemeier. „Du wünschest also, daß ich noch eine Wurst auS meiner Wohnung holen soll?" „Mir wäre es ein Gefallen!" versetzte Schlänglein schmunzelnd. «Na, wenn Du willst", sagte Hirsemeier, „den Gefallen will ich Dir gern thun." Und Hirsemeier verschwand und brachte eine zweite Wurst, die, init Jubel begrüßt, natürlich auch bald den Weg aller Würste ging. Aber wer beschreibt das Entsetzen, die Wuth Schlänglein's, als ihm Hirsemeier am anderen Morgen die übrigen zwei Würste mit einem tiefgefühlten Dankschreiben für daS herr liche Wurstessen übersandte. Schlänglein rannte zunächst auf das Gericht, um Hirsemeier wegen Diebstahls und Unter schlagung den Proceß machen zu lassen, als er aber wahr heitsgetreu zugeben mußte, baß er selbst seine Einwilligung zu dem Wurstschmaus gegeben, wurde ihm der Rath, gute Miene zum bösen Spiele zu macken, da er sonst noch mehr ausgelacht würde, denn Hirsemeier sei in dieser Sache gericht lich nickt zu fassen. — Es war Jahrmarkt im Städtchen. Hirsemeier befand sich auf dem Gipfel der Fidelität und es juckte ihn in allen Adern, derselben durch einen guten Witz Luft zu macken. Nachdem er lange vergeblich nach Scklänglein ausgcschaut hatte, be merkte er ihn endlich an einem Fischstand, wo Schlänglein sich zn Ehren des Tages einen geräucherten Hering erstand, nach dessen Inempfangnahme er sich in ein nahes Gebüsch zurückzog, um daselbst in Ruhe sein Festmahl zu halten. Wie von ungefähr trat Hirseineier zn dem Schmausenden, der eben den letzten Rest seiner frugalen Kost in den Mund schob. Nach geräuschvoller Begrüßung, wie sie in Hirsemeier's Natur lag, überreichte er Schlänglein zunächst die fälligen Zinsen und erklärte daun dem freudig Ucberraschten, derselbe solle beute sein Gast sein. Er habe, wie er mit großer Zungen- sertigkeil log, heute einen russischen Grafen im Hotel rasirt und von demselben zwei Thaler Honorar erhalten. Schlänglein war nicht der Mann, einen Vorschlag von der Hand zu weisen, der ihm freie Zeche versprach. Er nahm sich im Gegentheil vor, die günstige Gelegenheit nach Kräften auSzunützen und der Einladung alle Ehre zu machen. Bald befand er sich an der Seite Hirsemeier's im Gastzimmer deS RathskellerS, woselbst schon eine Anzahl Bekannter Hirse- iiieier's versammelt war. GlaS auf GlaS deS einheimischen billigen Bieres verschwand in der Kehle Schlänglein « und da Hirsemeier dazwischen wiederholt einige nicht zu kleine Gläser Branntwein anfahren ließ, so konnte es nichl lang« dauern, bis sich Schlänglein in einer, soweit eS seine Natur hergab, sehr fröhlichen Stimmung befand. „Kinder", schlug jetzt Hirsemeier vor, „ich mache den Vor schlag, wir besuchen jetzt einmal den Anger, wo die Reit schulen (wie damals die CarrousselS benannt wurden) sind." Alles war einverstanden und auch Scklänglein fühlte keine Veranlassung, sich auszuschließen. Er spcculirte darauf, daß man dann noch einmal einkehre und er wieder von Hirse meier frei gehalten würde. Aus dem Anger anzekommen, ge bot Hirsemeier: „Jetzt wird einmal gefahren; wer mein Gast bleiben will, muß milthun!" Alle stiegen ein und Schlänglein vertraute seinen sterblichen Leichnam vorsichtshalber nickt einem der so trotzig und streit bar ausschauendrn Holzrosse, sondern einer sogenannten „Kutsche" an, in welcher er sanft gewiegt wurde. Die genossenen Getränke, da« sanfte Schaukeln des hölzer nen, mit weichen Kissen ausgestatteten GefäbrtS, die leiernde Musik der Drehorgel bewirkte, was Hirsemeier, der Schlang«
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