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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.01.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-01-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970115024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897011502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897011502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-01
- Tag1897-01-15
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Während der Reichstag seit der Wiederaufnahme seiner „Arbeiten" nach den Ferien bei einer Frequenz von höchstens 70 Abgeordneten die zweite Berathung des Etats des Reichs- amtS veS Innern dazu benutzt hat, über alles, was mit diesem Berathung-gegenstande nur irgend in Zusammenhang gebracht werden kann, eraebnißlose Unterhaltungen zu pflegen, hat im preußischen Abgeordnetenhause am Mittwoch und gestern eine Finanzdebatte im großen Stil statt gefunden, also eine solche, die auf die Reichsfinanzen und ihr Verhältniß zu der einzelstaatlichen Wirtschaft über griff. Den Anlaß bot die zweite Lesung der kürzlich hier erörterten Finanzvorlage, deren eine Hälfte jedoch, die Ein führung eines AuSgleichs-FondS, in der Commission abgesägt worden ist, so daß, da auch der nationalliberale Antrag auf gesetzliche Begrenzung der Verwendung von Eisenbahnüber schlissen zu allgemeinen Staatszwecken unterlegen ist, nichts Weiler übrig blieb, als eine obligatorische jährliche Schuldentilgung, die zunächst in der Höhe von einem halben Procent und später von mindestens drei Fünftel Procent gestern beschlossen worden ist. Centrum und Freisinnige erklärten sich gegen die Schulden tilgung und der Abg. Bachem erwarb sich dabei am Mitt woch daS Verdienst, durch eine Reclame für die Finanzpolitik seiner Partei, nämlich daS Bißchen Schuldentilgung durch die ReichSlex Lieber, den Rednern anderer Parteien und dem Finanzminister die Gelegenheit zur Darlegung der wirklichen Finanzlage und ihrer Ursachen zu geben. Herr Backen: beklagte die „Auspowerung des Reiches durch die Einzelstaaten", es wurde ihm gesagt, daß der bestehende Zustand durch die clausula Franckcnstem, also daS Centrum, geschaffen worden ist. Herr Bachem klagte den Cartell- reichStag des leichtsinnigen Sckuldenmachens an und bekam zu hören, daß das Centrum alle Ausgaben des CartellreichStags für Heereszwecke bewilligt hat. Daß c» vorher, im 1884er Reichstag, versagt und die Auflösung des Parlaments nöthig gemacht hatte, fällt zwar politisch sehr, finanziell aber gar nicht inS Gewicht, die Schulden sind mit Zustimmung des CentrumS gemacht worden. Hoffentlich erscheint bald ein politisches A-B-C-Buch für Centrumsführer, damit sie wenigstens die schlimmsten Blößen ihres politischen Wissens zudeckeu können und damit es Herrn Bachem nicht noch einmal widerfährt, sich über das Primitivste im Parlament belehren zu lassen, u. A. auch darüber, daß die Nationalliberalen das Tabakmonopol abgelehnt babcn; er hatte nämlich das Gegentheil behauptet. In den Informationen, die dem viel redenden und nichts wissenden Centrum hierin zu Theil wurden, traten fast überall Auf- sassungen zu Tage, die deshalb höchst bemerkenSwcrth sind, weil sie die augenblickliche, in der That glänzende Lage der Finanzen des größten Bundesstaates angesichts der finanziellen Verhältnisse der Einzelstaaten zum Reiche als etwas sehr Nebensächliches erscheinen lassen. Wir sehen ganz davon ab, daß ein vermöge seines Berufes mit den Chancen der Industrie eng vertrauter Mann wie der Abg. Bueck das ernste Wort sprach: „Der wirtb- schastliche Aufschwung, in dem wir uns befinden, hat kurze Beine" — auch bei Zugrundelegung der augenblick lichen Hochflut!) in den preußischen Staatskassen ergab sich, daß die Dringlichkeit einer Reichssinanzreform nicht im Mindesten herabgedrückt ist vr. Miquel machte die sehr treffende Bemerkung, die Reform der ReichS- finanzen sei so nothwendig, wie die Erhaltung des Reiches als Föderativstaat. Und er fügte in Bezug auf die Matricularbeiträge hinzu, eS gäbe kein erbärmlicheres Steuer system als das, wodurch der reiche Hamburger Bürger ebenso besteuert werde wie verarme Waldecker Bergbewohner (Oavc, saxollia!) Und über die Nolhwenvizkeit des Augenblicks be merkte der Minister: „Wir sind damit einverstanden, daß das Reich die Mehrüberschüsse für sich verbrauche, wenn eS aus hört, in weniger fetten Jahren die Matricularbeiträge zu erhöhen. Auf dieser Basis werden wir uns leich^ verstän digen , denn damit kommen wir der reinlichen Scheidung zwischen Reichs- und Staatsfinanzen allmählich näher." Bei dem Verbrauch der Mehrüberschüsse des Reichs hat der preußische Finanzminister — er ließ darüber keinen Zweifel — die Schuldentilgung im Auge. Ganz damit zusammen fallend wäre natürlich eine Einschränkung der Anleihen- wirthschaft. Die bayerische Tocialdemokratie hat das Bedürfniß, die von den Führern der norddeutscken Genossen glücklich in den Sumpf geschobene Agraragitation aufs Neue zu beleben, und es ist bezeichnend, daß gerade hier auf dem klassischen Boden socialbemokratischer Agrarpolitik das Bekenntniß ab gelegt wird, daß nichts zu machen sei. Die Abgeordneten, in andere» Worten die Intelligenzen der Partei, gehen nicht hinaus, weil sie bei den Genossen auf dem Lande zu wenig Entgegenkommen finden, und diese wieder sind zu ungeschickt. Abgesehen davon aber, daß eö an den geeigneten Persönlichkeiten fehlt, sind die Agraragitatoren der Socialdcmokratie für die nächste Zeit in der traurigen Lage, daß die Partei überhaupt nicht weiß, was mit den Bauern eigentlich gemacht werden soll. Das Programm sagt nvck immer „expropriireN", und der letzte Parteitag, der zu Gotha in Abwesenheit der bayerischen Agrarpolstiker abgeballen wurde, überließ cs dem neuen Parteivorstand, bei nächster Gelegenheit die Agrar frage in Berücksichtigung zu ziehen. Und da ein neuer Partei- vorstand noch nicht gewählt, sondern die Geschäftsführung provisorisch ist, fehlt eö an Beiden: noch immer, an der Gelegenheit und an der Berücksichtigung — und dabei dürfte es bleiben, bis der diesjährige Parteitag in Hamburg die Streitfrage, die auf den großen Tagen von Köln, Frankfurt und BreSlau auch die Existenzfrage der Partei bedeutete, wieder acl caleuckas grueeas vertagt. Die Errichtung eines deutsche» ConsularamtS in Johannesburg giebt zu mancherlei Betrachtungen Anlaß. Schon vor einem Jahre hat Frankreich dort eine Consular- agentur errichtet und einen dort beschäftigten Ingenieur an d:esen Platz gestellt. Im Februar setzte Italien ein Viceconsulat zu Johannesburg ein. Deutschland folgt nun nach, nachdem es vor einem Jahre Louren^o Marquez zu einem BernsSconsulate umgewaudelt batte. Der m:t der Verwaltung betraute Viceconsul Rel aus Paris, der schon als Kanzler deS ReichscommissarS von 1885 bis 1890 in Südwest-Afrika thätig war und u. A. auch fließend holländisch spricht, dürfte die geeignete Person für diesen Posten sein. Ein deutscher Berufsbeamter ist dort recht am Platze, nicht nur wegen deS sich rasch steigernden Handelsverkehrs und unserer Interessen, sondern namentlich auch deshalb, weil seit einem Jahre die deutschen Arbeiter von den fast ausschließlich englischen Gesell schaften geflissentlich zurückgesetzl werden. Was die politischeSeite der Frage anlangt, so wird Deutschland seiner Vertretung in Pretoria wohl bald einen anderen Rang beilegen müssen. Eng land ist bei derTranövaal-Regierung durch einenResidentenver treten und Frankreich hat im Juli 1896 seinen Consul zum Generalconsul gemacht, nur Deutschland blieb beim Consul. Um dieselbe Zeit ist eine andere deutsche Organisation für Johannesburg in Bildung. Das deutsche Element hat sich dort in letzter Zeit stark vermehrt, schon in: vorigen Jahre stellte sich das Bedürfniß nach einer evangelischen Kirchen- gemeinde heraus. Der Berliner Missionar Kuschte ging dahin und hielt hin und wieder Andachten ab, di: gut be sucht waren. Doch genügte das den dort ansässigen Deutschen nicht, sie wollten eine eigene an die heimische Kirche ange- schlossenc deutsch-evangelische Gemeinde bilden. Der evangelische Oberkirchenralh in Berlin hat sich bereit erklärt, die neue Gemeinde in seine Verwaltung zu nehmen, und hat auch schon dem Vernehmen des „Hamb. Corresp." nach den Pastor Gra ßma n n aus Pommern dafür ernannt; er wird in allernächster Zeit bereits nach Transvaal «Kreisen. Die deutsche Gemeinde kort setzt sich aus den verschiedensten Elementen zusammen, darunter nicht wenige akademisch ge bildete Leute, zumeist aber Handwerker. Nur ein ganz kleiner Procenlsatz ist verheirathet, die meisten sind ganz junge Leute. Ein eigenthümlicher Zufall will, daß in diesen Tagen auch das einzige deutsche Blatt in Südafrika, die „Süd afrikanische Zeitung", von Capstadt nach Johannes burg verlegt worden ist. Die Stadt der Golvbergwerke scheint eine Art Mittelpunct des Deukschthums in Südafrika zu werden. Die Ernennung Murawjew's zum russischen Minister des Aeußeren steht noch im Voroergrunde der politischen Erörterung. Wir können sestslellen, daß wir unsere Auf fassung der Tragweite dieses Ereignisses fast in der gesammten deutschen Presse zum Ausdruck gebracht finden. Die „Hamb. Nachr." schreiben, wie schon telegraphisch angedeutet: „Es entbehrt der thatjächUchen Begründung, wenn an die Nach richt von Murawjew's Ernennung zum russischen Minister des Aeußeren pessimistische Betrachtungen über die zukünftigen Beziehungen zwischen Rußland und Deutschland geknüpft werden, weil Graf Murawjew „Deutschensrind" sei. Im Uebrigen haben sich solche bei jeder hohen russischen Personalveränderung in gewissen Blättern stereotyp wiederkehrenden Behauptungen der Deutschfeind schaft der Betreffenden niemals bewahrheitet. Es liegt auch auf russischer Seite kein vernünftiger Grund vor, ein hohes Staatsamt, das seinen Inhaber dienstlich init Deutschland in Be- rührung bringt, mit einem „Deutschenfcind" zu besetzen. Außerdem wird die russische Politik nicht durch die persönlichen Auffassungen des jeweiligen Ministers des Aus wärtigen bestimmt, sondern ganz ausschließlich von den russischen Interessen. Ein russischer auswärtiger Minister wird Deutschland gegenüber zur Zeit keine andere Ausgabe habe», als die Pflege guter Beziehungen; er müßte erst in Folge von deutscher Parteinahme gegen russische Pläne zu einer andern Stellungnahme genölhigt und beauftragt werden. Wir hoffen, daß dieser Fall nicht eintritt. Einstweilen wird der neue russische Minister auf eine vorurthril-lose Haltung der deutschen Diplomatie sich gegenüber rechnen dürfen." Das Geschwätz einiger Berliner Blätter von deutschfeind lichen Gesinnungen Murawjew's wirb auch von der „Post" für uncontrolirbar bezeichnet. DaS Blatt fügt hinzu: „Von Murawjew's sranzojenjreundlichen Neigungen ist bei allen den Persönlichkeiten, die mit ihm während seiner amtlichen Thätigkeit in Deutschland in Berührung gekommen sind, nichts bekannt. Graf Murawjew ist Russe und, wie man es von ihm nicht anders erwarten darf, russischer Patriot. Als solcher wird er an der Spitze des russischen Ministeriums zweifellos die Interessen seines Vaterlandes wahrnehmen, und wir haben schlechterdings keinerlei Veranlassung aus der Berufung des Grafen Hoffnungen oder Befürchtungen für uns adzuleiten; das Verhältniß Deutschlands zu Rußland ist so klar und so fest, daß eine Aendernng in der Person des Leiters der Geschäfte schwerlich eine Aendcrung in deren Führung Hervorrufen kann. Wie wenig sich die Mittheilunge», die das „Berliner Tageblatt" über den Grasen bringt, aufrecht erhalten lassen, geht schon daraus hervor, daß das Blatt behauptet, Graf Murawjew habe bei seinem Scheiden von der deutschen Neichshauptstadt nicht einmal eine Decoration empfangen. Es genügt dem gegenüber sestzustellen, daß der Kaiser am 8. Mürz 1893 aus Anlaß der Versetzung des Grafen ihm den Stern zum Rothen Adler-Orden 2. Elaste verliehen hat." In Oesterreich verkält man sich zu der neuen That- sache, wenn auch nicht gerade optimistisch, so doch abwartend. Man hält den neuen Mann für keinen Freund Deutschlands, ist aber gleichfalls der Ueberzeugung, daß, wenn Murawjew, ein Mann von thatkräftigem Willen, mitunter lebhafter durchgrcifen werde als Lobanow, doch die vorsichtige, Katastrophen möglichst weit hinausschiebende, hinzögerndc Politik Rußlands keine Aenderung erfahren und daß Rußland, möge de: neue Minister Frankreich noch so liebenswürdig behandeln, sich nie in Abhängkeit von der Politik Frankreichs begeben werde. Wie man in Frankreich über die Er nennung Murawjew's denkt, haben wir bereit- gestern er wähnt. Zn England giebt man sich, noch immer vergeblich auö der Vereinzelung herausstrebend, einer zweifellos etwas zu hoffnungsvollen Ansicht hin. „Times" und „Standard" leiten aus der Erwägung, daß der dänische Hos, Murawj.w's bisheriger Wirkungskreis, die Brücke zu den freundlichen Beziehungen zwischen London und Petersburg bildet, die Erwartung ab, daß der aus Kopenhagen beförderte Diplomat, der bisher nie eine antienglijche Ge sinnung irgendwie bekundet hat, einer noch freundlicheren Gestaltung dieser Beziehungen günstig sein werde. Murawjew werde einstweilen schwerlich auf die Entwickelung der russischen Politik einen entscheidenden Einfluß üben, viel mehr selbst erst in Petersburg lernen und dort die Direktive empfangen, so daß des Zaren eigene Leitung der auswärtigen An gelegenheiten, damit aber wahrscheinlich auch die friedliche Ent- Wicklung der Dinge durch die neue Ernennung gekräftigt werde. Der „Standard" bemerkt außerdem, der Zar hege, wie seit einiger Zeit auch alle gescheitem Leute in England, die Ansicht, daß keinerlei Frage geeignet sei, England und Rußland in scharfen Zwiespalt zu bringen. Rußlands Ausdehnung liege ostwürtS; nur wer glaube, England allein habe ein Recht zur Ausdehnung, könne diesen Drang, der nicht auf Englands Kosten befriedigt werde, mit Eifersucht betrachten. Die Verkehrtheit der letzteren Auffassung baben wir wiederholt vargelegt. England und Rußland stoßen überall in der Welt hart auseinander, auch im Osten Asiens, und daß der „Standard" daS stete Vordringen Rußlands nach dem Süden des asiatischen ContinentS mit Stillschweigen über geht, ist charakteristisch für diese Vogel-Straußpolitik. Deutsche- Reich. ^ Leipzig, 14. Januar. Pfarrer Naumann hiebt in der „Hilfe" in Form von Frage und Antwort eine Er läuterung deS national-socialen Programms, in welcher er unter Anderem seine Stellung zum Zu denk bum darlegt. Er erkennt eine Zudenfrage an, die darin begründet sei, daß die Israeliten ein anderer Stamm al» die Deutschen seien. Nj Feirrllrtsn Die Rirdorss. Roman von Hermann Heiberg. NaLdruck verboten. Seit einer Viertelstunde wanderte James Jrlaik bereits vor dem Holstenthore in Lübeck auf und ab. Bisweilen wollte cS sich ihn: wie eine Traumvorstellung ausdrängen, daß wirklich die vornehme Isabella von Todtleben ihm eine Zu sammenkunft in solcher Form gewähren wollte. Es gehörte dazu für eine junge Dame ein großer Entschluß. JameS zog das Schreiben, das er von ihr empfangen, noch einmal hervor. Er mußte es sich wieder vor Augen führen, um die sich ihm plötzlich ausbrängenden Zweifel zu heben. Ein junge- Mädchen ihres Standes und ihrer Erziehung konnte nicht anders handeln. Sie that bei den Umständen schon fast mehr, als wozu Andere sich verstanden hätten. Ihres Rufes halber hatte sie auch eine fremde Stadt gewählt. Alle- war in dem Sinne eine- überlegenden Menschen, einer besonnenen Natur. Und James hatte sie auch sonst verstanden. Auf der Fahrt wünschte sie seine Begleitung nicht, wohl aber ihn, wie zufällig, in Lübeck zu finden. Auch setzte sie voraus, daß er dort einen Ort zu wählen wissen werde, an dem ein Bei sammensein keinen falschen Deutungen anSgesetzt sei. Nachdem JameS eben den Brief wieder sortgesteckt batte, kam ein offener Wagen herangefahren, und in d:esem saß, in einen mit dunkelgraurm Pelz besetzten Hellen Mantel gehüllt und mit einer rothen, ebenso mit Pelz umrahmten Sammetmütze in polnischem Schnitt aus dem Haupt, Eomtesse Isabella von Todtleben. Ohne sich umzublicken, stieg sie au», gab dem Kutscher Befehle und wandt« sich der Stadt zu. „Zunächst, Comtesse", Hub Zame», nachdem das Gefährt davongesahren war, an: „meinen allerherzlichsten Dank für Ihre wahrhaft große Güte und daS mir geschenkte Vertrauen." Und während seine Hand sich au» der ihren löste, fügte kr, rasch sprechend, hinzu: „Und gleich mit Ihrer gütigen Erlaubniß einen Vor schlag. Ich bitte Sie, nach dem Hotel Stadt Hamburg zu sahrea und unter beiläufiger Betonung, daß Sie Besorgungen zu machen hätten, sich aber erst rin wenig auszuruben wünschen, ein Zimmer zu fordern. Später erscheme dann ich, erkundige mich unbefangen, ob Sie dort seien und trete bei Ihnen ein. Wir frühstücken nachher, um jede verkehrte Deutung zu be seitigen, im Restaurationszimmer, das um viese Zeit, wie ich erfahren habe, stets leer ist. Ein geheiztes Gemach ist im Hotel vorhanden. Ich ließ ein solches für eine singirte Per sönlichkeit gestern bestellen und heute, kurz vor Ihrem Ein treffen, wieder absagen. So konnte ich daS ermöglichen." „Sie haben daS sehr gut arrangirt", entgegnete Isabella, die mit lächelnder Miene seinen Ausführungen gefolgt war. „Und also auf Wiedersehen in einer kleinen halben Stunde", schloß sie, und reichte ihm vor dem Einsteigen in eine Droschke mit einem gütigen Ausdruck die Hand zum Abschied. Al« er nach der angegebenen Zeit — durch «inen Kellner angemelbet — das oben :n der ersten Etage belegene Gemach Isabclla'S betrat, schritt sie ihm sogar mit einem Anflug von Vertraulichkeit entgegen und bat ihn, Platz zu nehmen. Fast eine Stunde sprach JameS, von Isabella nicht einmal unterbrochen, wohl aber von einem stillen Blick aus ihren dunklen Augen begleitet, über Da-, waS er zu enthüllen hatte. „Ich bin", berichtete James Jrlaik, „in Südamerika ge boren, und ich wiederhole, der einzige Sohn Ihres damals nach dort auszewanderlen Onkels Alfons. In Valparaiso, wo er sich unter Ablegung seines Familiennamens nieder gelassen hatte, lernte er eine zum Besuch anwesende, in Peru ansässige Deutsche kennen, heirathete sie, aber starb nach kaum einem Jahr und ehe sie mir da» Leben geschenkt hatte. Meine Mutter kehrte nach dem Tode meines Vaters in ihren früheren Wohnort, nach Lima zurück. Sie folgte der Aufforderung ihres BruderS, eine- dort ansässigen, ange sehenen Manne», blieb fortan bei ihm und widmete sich ledig lich meiner Erziehung. In den letzten Lebenslagen ihres vor kaum einem Jahre ebenfalls erfolgten Tode« ries sie mich zu sich an ihr Kranken- lager und machte mir dir bi«hrr zurückgebaltenen Eröffnungen. Sie erklärte, daß mein Baker nicht Jrlaik geheißen habe, sondern ein deutscher Graf mit Namen Rixdorf sei, daß er vor 24 Zabren im heftigen Streit von seinem Vater ge schieden, aus sein sehr bedeutende« Erbtheil verzichtet habe, und mit der festen Absicht, ein für allemal die Brücken hinter sich abzubrechen, nach Südamerika auSgewandert wäre. Dem tiefen Groll, der ihn gegen seinen Vater erfaßt hatte, ist cs denn auch zuzuschreiben, daß meine Mutter nie mals den Versuch gemacht hat, sich den deutschen Verwandten zu nähern. Sie folgte seinem Gebot, von jeder Beziehung zu den Seinigen abzusehen. Erst in den schweren Tagen vor ihrem Tode forderte sie mich, in der Sorge um meine Zukunft, auf, Schritte zu einer Annäherung zu unternehmen, mir dadurch die materiellen Vortheile zu eröffnen, die meinem Vater ent gangen waren. Für mich hatte sie keine Versprechungen gegeben. Wenn sie mir gegenüber bisher geschwiegen, so war :hr Verhalten aus der Rücksicht gegen den Willen meines verstorbenen Vaters hervorgegangen. Auf Grund dieser Eröffnungen und der von mir später noch in dem Nachlaß meiner Eltern gefundenen Papiere babe ich denn, nachdem ich mein Verhältniß als Geschäfts führer in einem Minenwerk gelöst, nun den Weg nach Deutsch land angetrelen. Freilich wurde mir schon bei meiner Ankunft in Ham burg die erste große Enttäuschung. Der Advocat, den ich dort consultirte, und der nach den Verhältnissen meiner Familie sogleich auf meinen Wunsch Erkundigungen einzog, eröffnete mir, daß mein Onkel, Gras Rudolf, rechtmäßiger Besitzer von Steinburg sei und daß also der sich im Nachlaß meine- VaterS befindliche Inhalt einer Notiz, daß er seinen Verzicht als nicht zu Recht bestehend ansebe, daß ein solcher ihm nach den HauSgesctzen habe gar nicht abgeforvert werden können, für mich gegenstandslos sei. Anfänglich wollte ich sogleich wieder umkehren, vann aber beschick mich der Ad vocat nochmals zu sich und eröffnete mir, daß sein Geschäfts freund in Eutin ihm mitgrtheilt habe, daß, wie man munkle, ein zu Gunsten meines VaterS und seiner Nachkommen aus gestellter letzter Wille vorhanden gewesen, und daß darüber nähere Erkundigungen rinzuzieben, doch von Werth sei. Er rieth mir in Folge dessen, selbst an Ort und Stelle Ermittelungen anzustellen, und je nach dem Ergcbniß weiter zu verfahren. Aus diesen Verhältnissen erklärt sich, daß ich Ihnen nicht gleich in den ersten acht Tagen mich eröffnet babe, daß ich erst jetzt Ihnen die Beweisstücke meiner Her kunft vorlege. Isabella sah sich, nachdem James geendet, die von ihm hervorgeholten Papiere und auch einen in seinem Besitz be findlichen Ring mit dem Rixdorf'schen Wappen an, aber schenkte ihnen doch nur eine flüchtigere, mehr der Artigkeit entsprechende Beachtung. Dann aber erhob sie da» Angesicht, zwang James, ihr in s Auge zu sehen und sagte mit einer starken Feierlichkeit im Ton: „Ich glaube, daß ich einem Mann von Ehre gegenüber- sitze. Ich glaube, daß Sie JameS Rixdorf sind. E» sagt mir die unverkennbare Ähnlichkeit Ihrer Züge mit denen der Rixdorf«, aber eS sagt mir auch mein Herz, das mich selten täuscht. Dennoch wünsche ich, daß S:e mir noch einmal antworten. Ich gab Ihnen mein Ver trauen. Es durch Falschheit zu lohnen, wäre, da ick Sie so anspreche, da Sie noch Zeit haben, zu widerrufen, ein Unrecht, das sich ein Mann, der noch einen Funken von edleren Empfindungen in seiner Brust birgt, nickt schuldig machen wird. Erheben Sie die Hand: Sind Sie James Rixdorf?" „Ja, ich bin JameS Rixdorf, Ihr Vetter! Ich schwöre eS bei dem Andenken an meine unvergeßliche Mutter, ich schwöre es vor dem Höchsten, der mich h:er vernichten soll, wenn ich die Unwahrheit rede. Ich bin Ihr Vetter!" enl- gegnete der Mann und sah Isabella mit einem Blick an, der die unzweifelhafte Reinheit seiner Seele bekundete. „Nun denn! So wage ich eS! Ich will Ihr Verbündeter sein! Auf mich können Sie rechnen! Aber jetzt — cs ist besser! lassen Sie uns hinabgehen, drunten das Gespräch fort- setzen und über die von Ihnen einzuschlagentrn Schritte weiter beratben. ES ist schon sehr spät geworden." Sie sprach, jetzt völliges Vertrauen und die ganze Liebens würdigkeit ihres Wesens in Haltung und Miene ibm gegen über zum Ausdruck bringend, und der Mann neigte sich ans ihre Rechte hinab und küßte sic bewegt. — Als James Rixdorf in den der Begegnung mit Isabella folgenden Stunden alle« Geschehene übersann, erfüllte ihn «in gemischtes Gefühl von Berauschung «nd Sorge um di« Zu kunft. Immer wieder drängte sich daS Bild de« schönen, vornehmen Mädchens in seine Seele. Jede Bewegung, jede ihrer Mienen suchte er sich zu vergegenwärtigen, und wenn er in seinen Vorstellungen den Klang ihrer Stimme zu ver nehmen glaubte, sich gar de» eigrnthümlich forschenden, klugen und doch so lieben Blicke» ihrer Augen erinnerte, ergriff ihn zeitweilig rin stürmische» Verlangen, wieder in ihre Nähe zu gelangen. Umsomehr zog ihn ein junge» Mädchen dieser Art an, weil ihr Sein und ihre Art so völlig von dem der Frauen drüben abwich. Isabella war ihren: innersten Wesen nach «in Weib, aber in ihrem Verstände zeigt« sich dir Klarheit und Reife eines ManneS. Und gerade so hatte sie sich zu ihm und seinen Angelegen heiten gestellt, wie die» dem natürlichen Wohlwollen sür bat
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