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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.01.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-01-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970120029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897012002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897012002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-01
- Tag1897-01-20
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Größere Schriften laut unserem PreiS- »erzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra »Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschlnß für Anzeigen: Abrnd-Ausgabe: Vonnittag» 10 Uhr. borgen»AuSgab«: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halb« Stund« früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von C. Polz in Leipzig. Mittwoch den 20. Januar 1897. 91. Jahrgang. 35. Amtlicher Theil. Bekanntmachung. Bon heute ob beträgt bei der Retchkbank der Diskont 4 Procent, der Lombardzinsfuß für Darlehne gegen ausschließliche Verpfändung von Schuldverschreibungen des Reiches oder eines Deutschen Staates 4'/, Procent, gegen Verpfändung sonstiger Effekten und Maaren ü Procent. Berlin, den 19. Januar 1897. ReichSbank-Tirektorium. Politische Tagesschau. * Leipzig, 20. Januar. Der Antrag, der gestern von nationalliberaler Seite zur zweiten Lesung des Reichsschatzamtsetats im Reichstage ein gebracht war und die schon seit Jahren geforderte Aenderung in der Handhabung de» Zolltarifs behandelte, hat endlich einmal die Bahn verlassen, auf welcher alle bisherigen derartigen Anträge verharrten und auf welcher keiner der selben zum Ziele gelangt war, die Bahn der Neuregelung von Seiten des Reichs. Die bisherigen Anträge und auch noch die dem Reichstage in der laufenden Tagung von den ver schiedensten wirtkschaftlichen Korporationen zugegangenen Eingaben bezogen sich stets entweder auf die Errichtung eines Reichszolltarifamtes oder auf die Einführung eines Rechtsweges in Zollstreitsachen. Beiden Wünschen stand der Umstand hinderlich im Wege, daß die Zoll verwaltung und die Zollerhebung nach der Verfassung Sache der E i n z e l st a a t e n sind, daß für die Berücksichtigung der Wünsche die Preisgabe der einzelstaatlichen Competenz aus diesem Gebiete Voraussetzung war und daß diese Voraussetzung nicht erlangt werden konnte. Der neueste nationalliberale Antrag hat den Weg der reichsgesetzlichen Regelung verlassen und sich auf den der landesgesetzlichen begeben. Er will in jedem Einzelstaate eine Behörde eingesetzt haben, welcher die Besugniß der entscheidenden Tarifclassification gegeben wird und die Auskünfte ertheilen muß, und will ferner, daß Beschwerden wegen unrichtiger Anwendung des Zolltarifs einem verwaltungsgerichtlichen oder schiedsgerichtlichen Verfahren unterworfen werden, bei welchem auch waarenkundige Sachverständige Mit wirken. Ob sich für diese Regelung in den Einzelstaaten Sympathie finden wird, bleibt abzuwarten. Jedenfalls bat der Antrag die Klippe, an der bisher alle Versuche zur Ab stellung der unleugbaren Mißstände scheiterten, vermieden, und deshalb gerade wird er von allen Gewerbe- und Handel treibenden mit Freude begrüßt werden können. Der Miß- sland, daß von verschiedenen Hauptzollämtern für dieselbe Waare verschiedene Zölle erhoben werden, würde allerdings dadurch nicht beseitigt werden. Nachdem vorher eine Besprechung der Mitglieder deS preußischen StaatSmiuisteriums stattgefunden, hat Fürst Hohenlohe gestern im preußischen Abgeord netenhause persönlich eine Erklärung gegen die Tags vorher an der „Flucht in die Leffentlichkett" ge übten Kritik abgegeben. Der Herr Reichskanzler beschäftigte sich zunächst mit nicht durchweg unanfechtbaren Auslassungen des Grafen Limburg-Stirum über da» Verhältniß de» Aus wärtigen Amts zur Presse und wies, auf die adelige Herkunst ?ützow'S anspielend, witzig und im gewissen Sinne demokratisch die hübsch fingirtc Zumuthung zurück, für das Auswärtige Amt eine Art Hoffahigkeit der Journalisten cinzusühren. Man braucht in die Exclusivität des Grafen Limburg keinen Zweifel zu setzen, um dennoch überzeugt zu sein, daß er nickt an die Wiege der Preßvertreter dackte, als er beklagte, daß „untergeordnete" Angehörige dieses Standes im Auswärtigen Amte empfangen worden seien. An Herrn Gingold-Stärk z. B-, dem „Rechercheur" des „BerlinerTageblatts" nnd gleichzeitig des Herrn v. Tausch, ist Wohl auch vom Standpunct des Aristokraten noch Anderes auszusetzen als die bürgerliche Ab stammung. Immerhin wird der erste Theil der Erklärung des R ei ch S k a n z l e rs Fürsten Hohenlohe nicht sonderlich starken Widerspruch herausfordern, schon deshalb nicht, weil er sich über die Handhabung eines Instrumentes der Diplomatie verbreitet, also über ein delicateö Gebiet, aus dem Fürst Hohenlohe Autorität ist. Ganz anders wollen seine Aeußerungen über das beurtheilt werden, was man den „Proceß Leckert - Lützow" zu nennen fick gewöhnt hat, worunter aber die „Flucht in die Oeffentlichkeit", die durch die ausdrückliche Etikettirung als solche ein Appell an die Oeffentlichkeit geworden ist, verstanden wird. Der Reichskanzler ging von der Ansicht aus, daß die straf- gerichlliche Verfolgung verleumderischer Beleidigung deS Grafen Eulenburz und des Freiherrn v. Marschall getadelt worden wäre. Das ist aber unseres Wissens Niemandem eingefallen; als befremdlich und bedenklich war be zeichnet der Apparat, den man aufwendete und der zur Erreichung des natürlichen Zwecks des Processes, nämlich zur Bestrafung der beiden Verleumder, un- nvthig war. Leckert und Lützow hatten herabwür digende „falsche Thatsachen" behauptet, sie waren der Strafe sicher, da sie den Wahrheitsbeweis schuldig bleiben mußten. Der Proceß war natürlich öffentlich zu führen, aber nicht Leckert und Lützow waren eS, gegen die sich Freiherr v. Marschall nicht ohne die Oeffentlichkeit helfen zu können vermeint hatte, sondern Beamte, oder ein Beamter der dem Minister des Innern unterstehenden politischen Polizei. Auf diese oder diesen Beamten war auch der ganze Proceß zugeschnitten. Fürst Hohenlohe sagt, erst im Laufe der Untersuchungen habe sich herausgestellt, daß durch falsche Auskünfte „eines Criminal-CommiffariuS" Verdacht und Mißstimmung unter hoben Beamten und gegen solche erzeugt worden war. Gut. Aber Herrn von Marschall konnte nur eben der „Criminalconimissarius" überraschend gewesen sein, nicht die politische Polizei, denn gegen diese hatte er nach seiner Aeußerung schon vier Jahre vor dem Proceß Mißtrauen geschöpft und sich ihrer seitdem nicht bedient. Gegen Staatsorgane hat er die Oeffentlichkeit aufgerufen, nicht gegen den Einflüsterer und den Schreiber des den Thatbestand bildenden Artikels der „Welt am Montag", und mit jenen Organen hätte er oder vielmehr die Regie rung in ihrer Gesammtheit ohne die thatsächliche Ausdehnung der öffentlichen Gerichtsverhandlung auf Herrn v. Tausch fertig werden müssen, wenn eS zutreffend gewesen wäre, was Fürst Hohenlohe sagte, daß nämlich Einheitlichkeit in der Regierung geherrscht habe. Die demokratische Presse ver dient, wenn sie in Angelegenheiten, die das Wohl des Staate» berühren, „Thatsachen" mittheilt, keinen Glauben. Nach der überraschenden Darstellung des Reichskanzlers muß aber eS doch al» höchst befremdend bezeichnet werden, daß die Behauptung der „Franks. Zeitung", da» Ministerium deS Innern habe sich vor vier Jahren dem Auswärtigen Amte in Bezug auf dessen Beschwerde gegen die politische Polizei „versagt", nicht amtlich Lügen gestraft worden ist. Ein solches Dementi hätte der Erklärung des Reichs kanzlers unbedingt vorausgeben müssen, zumal da der „ReichSanzciger" die Angelegenheit Tausch sonst nicht ignorirt bat. Uebrigens verdient bemerkt zu werden, daß bei der Erklärung deS Reichskanzlers, er werde auch ferner die Hilfe deS Gerichts überall da in Anspruch nehmen, wo er Verleumdungen und Beleidigungen gegen Beamte in der Presse begegne, lebhafter Beifall im Centruin und auf der linken Seite des HauseS erscholl, also gerade bei jenen Parteien, die es dem Fürsten Bismarck stets zum Borwurfe gemacht haben, daß er wegen Kränkungen, die ihm und seinen Beamten widerfuhren, die Gerichte anries. Geht Fürst Hohen lohe mit gleicher Cvnsequen; vor, wie einst Fürst Bismarck, so wird er gerade von der Seite, die ihm gestern zujubelte, die schärfsten Angriffe erfahren — eS müßte denn sein, daß demokratische und ultramontane Berleumder schonender be handelt würden, als andere. Und das ist von dem Fürsten Hohenlohe doch nicht zu besorgen. In der Montagssitzung des preußischen Abgeordneten- hauseS hat der conservative Abgeordnete Graf Limburg- Stirum die in Breslau ausgegebene Wahlparole „«eine vertragsmäßige Bindung von Zöllen" zurück gezogen. Er will die Autonomie nur für die landwirth- schaftlichen Zölle herbeigeführt wissen. Bleibt auch die z.Z. noch verfrühte Frage offen, obDeutschlandSHandelSverträge ohne alle Zugeständnisse auf dem Gebiete der landwirthschaft- lichen Erzeugung zum Abschlüsse kommen, so ist die zweite Losung doch etwas grundsätzlich Anderes, als die erste, die jeder Handelsvertragöpolitik den Krieg erklärte und damit ihrer seits den Zollkrieg mit der ganzen Welt proclamirte. Wie vorgestern mitqetkeilt, hat die, wenn auch nicht von der sächsischen Regierung inspirirte, aber doch jedenfalls mit den von dieser Regierung vertretenen Ansichten vertraute „Leipziger Zeitung" die in BreSlau verrathenen Ge lüste nicht weniger entschieden zurückgewiesen, als es vorher durch uns geschehen war. Es unterliegt auch keinem Zweifel» daß der Vorstand der conservativen Gesammtpartei noch aus anderen sächsischen Regionen auf die Folgen der Breslauer Erklärung aufmerksam gemacht worden war. So begreift es sich, daß Graf Limburg-Stirum die erste Gelegenheit wahrnahm, um den begangenen Fehler wieder gut zu machen. Aus die Zu stände innerhalb der conservativen Parteileitung wirft das zu Tage getretene Hin und Her ein nichts weniger als gün stiges Licht. Ehe Herr Graf Limburg-Stirum seine inhalts schweren Breslauer Worte sprach, berief er sich ausdrücklich auf seine Eigenschaft als Borstandsmitglied der Partei. Und die unter Verantwortung der Parteileitung redigirte „Cons. Corr." theilte die von ihm dort ausgegebene Parole mit. Man hatte eS also mit einem Beschlüsse zu thun, ver nach Lage der Sache gefaßt worden sein mußte, ohne daß mit den Parteigenossen im Reichsgebiete, die für die conservative Partei gegenwärtig doch recht wichtig sind, Fühlung genommen worden war; wie denn überhaupt in den letzten Jahren der Eindruck immer weniger abzuweisen war, daß die nichtpreußischen Conservativen von den Herren aus dem Nordosten als Conservative zweiter Clasie angesehen werden. Für die An nahme, daß diese Ungleichheit auf die geistige Ueberlegenheit der Präponderirenbe» zurückzuführen sei, dafür fehlt es, uns wenigstens, an Anhaltspunkten. Auch die dem deutschen Reiche im Allgemeinen nicht wohl gesinnte englische und französische Presse hat zugeben müssen, daß die Anwesenheit des Grafen ÄoluchowSkt in Berlin eine für Deutschland günstige Bedeutung gehabt hat. So meinen die „Times", daß der Besuch die Herzlich keit der Beziehungen zwischen beiden Ländern seststelle und daß er außerdem den Bortbeil habe, daß sick die leitenden Staatsmänner über die wichtigen politischen Fragen hätten aussprechen können. Auch das „Journal des Dubais" stellte fest, daß der Besuch sicherlich nicht nur dem Ordens feste gelte, denn die Vorgänger Goluchowski'S hätten zu diesen, Zwecke Berlin nicht besucht, sondern, daß er die ungetrübten Beziehungen zwischen den beiden Ländern documentirte. Das französische Blatt bringt außerdem den Besuch mit der Er nennung deS Grafen Murawjew zum russischen Minister des Aeußeren in Verbindung; die leitenden Staatsmänner hätten sich darüber verständigen wollen, wie man sich zu dieser Thalsache zu stellen habe, auch habe sich Graf Goluchowski vielleicht in Berlin, wo ja Graf Murawjew früher thätiz gewesen sei, über die Persönlichkeit deS Grafen näher in- sormiren wollen. Wie weit alle derartigen Vermutbungen »treffend sind, entzieht sich der Beurtheilung. Die Haupt ache ist, daß allseitig der Besuch als ein Zeichen deS herz lichen Verhältnisses zwischen Deutschland und Oesterreich aufgefaßt worden ist. Daß man auch in Frankreich und England dieser Anschauung beitritt, erhöht die Bedeutung des Besuches außerordentlich. Unter diesen Umständen werden die Unkenrufe derWiener „Reichswehr", die auf ihrem gegen Deutschland gerichteten, ursprünglich für osficiös gehaltenen Artikel noch immer berumreitet, Oesterreich als gefügigen Schleppenträger Deutschlands darstellt und in männlichem Grimm über diese niedrige Rolle auflodert, nir gends mehr Gehör finden, auch im Auslande nicht. Die großen Wiener Blätter schweigen klug den in Sensation und Re- clame machenden Gernegroß einfach todt. Wenn übrigens die „Reichswehr" bescheidentlich meint, ihr Artikel habe nur deshalb wie eine Bombe gewirkt, weil er die Ansicht vieler österreichischer Patrioten ausgesprochen habe, so ist dazu dock zu bemerken, daß die Begriffe Patriot, kurzsichtig und übel- gelaunt sich nicht ausschließen. Durch ihre mit dem Brustton der Ueberzeugung vorgetragenen maßlosen Uebertreibungen suggerirt die „Reichswehr" wohl manchem Philister erst ihre Gefühle gegen Deutschland. Die geringe Theilnahme, mit welcher der englischen Dhron redc cntgegengesehen wurde, rechtfertigt sich vollauf durch den beute ausführlicher bekannt gewordenen Inhalt derselben. Sie äußert sich in allen schwebenden Fragen zurückhaltend und unbestimmt und ist daher nicht geeignet, mehr Licht über die internationale Lage zu verbreiten. Nur einige Puncte sind von erheblicherem Interesse, obwohl die Thronrede auch nichts Neues in Bezug auf dieselben beibringt. Sie constatirt mit der üblichen Wendung die freundlichen Beziehungen zu allen Mächten, sagt aber dann, daß die gegenwärtige Weltlage es dem Parlamente nicht gestatten werde, eine kluge Fürsorge für die BertheidigungS mittel deS Reiches außer Acht zu lassen, nnd in der Adreßdebatte des Unterhauses fügte der Erste Lord deS Schatzes Balfour hinzu, bei der jetzigen Lage sei es unmöglich, daS Heer und die Flotte zu vermindern; die Rüstungen würden aufrecht erhalten zur Vertheidigung des Reiches gegen die Möglichkeit von Zusammenstößen mit dessen Nachbarn in verschiedenen Welt- thei len. Hier wird, was in ministeriellen Aeußerungen der letzten Zeit wenigstens in Bezug auf Rußland und ^ Die Kirdorfs. Roman von Hermann Helberg. Nachdruck Verbote» Während noch Rudolf, vom Fenster zurücktretend, über legte, waS Daniel nach Steinhorst geführt haben könne, er tönten draußen auf dem Flur bereit- die lauten Klänge der Flurglocke, und er hörte, daß Theodor, der neue Haiduck, ein junger, auS dem Dorfe Steinborst gebürtiger Mensch, eil fertig öffnete, und daß Daniel fragte, ob er vielleicht den gnädigen Herrn sprechen könne. Ganz seiner ungeduldigen Art entsprechend, schon vorweg in Alle« und Jegliches einzugreifen, öffnete Rudolf die Thür, kniff die finsteren Augen zusammen und rief, bevor noch der eingeschüchterte Diener seine Meldung Vorbringen konnte: „Nun, wa» wollen denn Sie? Kommen Sie herein I Sind Sie mit der Post gefahren?" Also kurz sprechend, schritt er Daniel voran, ließ sich neben dem Schreibtisch in den Sessel fallen und hörte zu, was ihm der tiefdienernde Mensch vorzutragen hatte. „Da der gnädige Herr", Hub Daniel an, „ihm stet» Wohlwollend begegnet sei, nähme er sich die Freiheit, zu fragen, ob der gnädige Herr ihm nicht zum An kauf einer Wirtschaft in Eutin, zu deren Erwerbung sick eine ganz außerordentlich günstige Gelegenheit eröffnet habe, mit einer Summe behilflich sein wolle. Er verspreche, Capital-Raten und Zins alljährlich prompt zu- rückzuzablen. Jeder Mensch wolle doch vorwärt«! Und va ihm auch von anderer Seite Hilfe zugesagt sei, hoffe er auf de» gnädigen Herrn Grafen Güte." Rudolf erklärte, daß er ein für allemal solchen Anträgen gegenüber sich ablehnend verbalte. Jeden Trag trete Jemand mit einem Gesuch um Unterstützung an ihn heran! Wenn er zu dem Einen ja sage, könne er dem andern kein Nein geben, und WaS sonst bei solchen Gelegenheiten der ausweichenden Reden mehr sind. Daniel legte ob dieser Antwort durch Mienen und Worte eine große Enttäuschung an den Tag. Als er aber, da seine erneuten Reden und Bitten bei Rudolf nicht verfingen, schon zum Fortgehen in der Thür stand, wandte er sich noch einmal um und sagte m»t schmeichelndem Wesen: »Würden Herr Graf mir wohl gnädigst gestatten, daß ich mich einige Stunden im Schloß unten aufhalte, oder gar bis morgen früh dableibe, um die Post zu benutzen? Ich kann sie heute nicht mehr erreichen." Rudolf streifte den Antragsteller mit einem raschen, musternden Blick seiner finsteren Augen. Dann sagte er, zugleich bemerkend, daß eben Witt mit seinem Einspänner in den Schloßhof einbog, und deshalb schon abgelenkt, nach giebiger: „Im Allgemeinen bin ich für dergleichen nicht. DaS giebt nur Schwätzereien mit dem Gesinde. Doch will ich eS aus nahmsweise gestatten. Sie können Pieck sagen, daß ich Ihnen erlaubt hätte, bis morgen früh zu bleiben. Er soll für Essen und Nachtquartier im Dienerzimmer sorgen. Na ja, na la! Es ist gut. Adieu." Und dann entließ er den Antragsteller mit kurzer Hand bewegung. Als Daniel aber schon die Thürklinke ersaßt batte, rief er: „Da fällt mir ein! Gegen 7 Uhr fährt der Oberförster Witt nach Eutin. Da kann er Sie mitnehmen. Hören Sie?" Teufel, murmelte Daniel in sich hinein, verbeugte sich aber tief mit dankender Geberde und begab sich auf den Flur. Da jedoch Noth die Mutter der Erfindung ist, so war sich auch Daniel schon im nächsten Augenblick darüber klar, wie er auf andere Weise den mit seiner Bitte verbundenen eigentlichen geheimen Plan zur Ausführung bringen könne. Er wußte, daß Pieck bei Tisch aufwartete, daß während der Dinerzeit überhaupt Niemand auf die Vorgänge im Hause achtete. Nachdem er abgewartet hatte, daß Witt zu Rudolf ins Zimmer getreten war, machte er sich an Theodor, den Hai ducken, und sagte: „Wo ist denn Pieck beute?" „Er ist eben nach Hennings«» herüber gegangen. Er soll für heute Abend absagen. Herr Graf hatte einige Herren zu einer Partie eingeladen, aber sie können alle nicht kommen." „So, so — wann wird gespeist?" „Es muß gleich angerichtet werden, sowie er wieder zurück ist. Am Ende ist er schon unten." „Gut, dann sage vorläufig nicht, daß ich da Lin. Pieck bat ja doch keine Zeit für mich. Ich will mir nur oben 'mal Alles anseben, was da neu aemacht ist. seilden, ich weg bin. Dann gehe ich herunter. Der Graf hat erlaubt, daß ich beute hier bleibe und übernachte." So sprach er harmlos und Theodor nickte harmlos. „Noch eins: Kann man in die Zimmer kommen. Wo ist der Schlüssel?" „Sie stecken alle im Schloß." „Schön! Also hörst Du, sag' Pieck nichts! In einigen Minuten bin ich zurück!" Theodor nickte abermals, und nun schob sich Daniel ge- räusckloS die Treppe zur Linken hinauf. Als er den ersten Absatz erreicht hatte, stand er still. Zu mächtig pochte sein Herz. Dann aber öffnete er eine jetzt in einer angebrachten Wandverkleidung sitzende Thür zur Orgel- kammcr und schlüpfte in« Innere. Zu seiner großen Enttäuschung hatte der Raum kein Licht. Also ihn zu erhellen, war nothwendig. Er entzündete Schwefel- Hölzer, die er bei sich batte und leuchtete umher. Drüben an an der anderen Seite des Orgelstuhles war auch eine Ver kleidung angebracht. Also vorwärts, rasch dahin! Er mußte sich hüten, kein Geräusch zu machen. Ohnehin warS äußerst gefährlich, hier hinter der Orgel im Halbdunkel zu hantiren. Währeno er die wieder verlöschten Zündhölzer beseitigte und neue anrieb, gingen blitzschnell die Gedanken durch sein Gehirn. Die Angst schuf plötzlich Reue, sich überhaupt hier her begeben zu haben. Und doch kniete er nun nieder, bückte sich hinab und griff mit den Fingern des langansgestrecktcn Armes in die tiefe, mit Schmutz und Staub angrfüllte Ecke. Aber gerade in diesem Augenblick ertönte auch die laute, herrische Stimme Rudolfs über den Flur, und bebend hörte sie der Mann und zog schlotternd vor Furcht den Arm zurück. Wo zum Donnerwetter der Bursche, der Pieck sei. Wes halb nicht angerichtet und gemeldet werde? Nun wurde die Tbür wieder zugeschlagen. Und io dem nächsten Augenblick, während noch die von Theodor in Be wegung gesetzte, in die »»teren Räume führende Klingel mit scharf mahnendem Ton durch das Haus drang, Körte Daniel Jemand die Treppe von unten emporeilen. Offenbar war- Pieck, der hastig nachholte, was seines Amte« war — Gottlob! Wie erlöst athmete Daniel auf. Um so mehr besänftigte sich sein aufgeregte- Gemütb, al» er nun ganz sicher war, nicht gestört zu werden. Freilich, al« er in die Ecke griff, fanden seine Hände nichts. Wohl aber fühlte er zu seinem namenlosen Schrecken den Biß »ine« ThiereS und in der nächsten Secunde schoß eine Maus oder Ratte, den penetranten Geruch dieser widerlichen Geschöpfe au-hauchend, ihm über die Hand und verschwand im Dunkel. DaS regte den furchtsamen Menschen wiederum derartig auf, daß er eilig ein Hölzchen anrieb, um sich durch Helle besser des Grauens zu erwehren. Dennoch siegte noch einmal die Gier. Abermals streckte er sich nieder, diesmal auf den Bauck, um so bester mit der Hand in die Tiefe dringen zu können. Und diesmal hatte er Glück, und eS bemächtigte sich seiner ein Gefühl gesättigter Gier. Seine Finger berührten einen Tuckzipsel. Freilich stellte sich auch ebenso rasch die Ent täuschung ein — — WaS er allmälig herauSzerrte, war nur ein großer Tuch- fepen. Nochmals und nochmals griff Daniel in die Ecke hinein. Allein vergeblich! Erst nach geraumer Zeit konnte er sich entschließen, den Ort ergebnißlo» zu verlassen. Auch brauchte er, nackdem ei- endlich den Versteck wieder verlassen, einige Zeit, um seine Kleider zu reinigen. Er war bestaubt und beschmutzt — ohne Zweck. Dann aber stieg er dir Treppe vollends empor, schlich vom Corridor in den Entröeraum und eilte, da es schon zu dunkeln begann, rasch in daS Dominozimmer. Vielleicht ward er dort entschädigt! Er hoffte e». Sein Herz pochte ihm gewaltig. ch ch Inzwischen hatte sich Rudolf mit Witt in den Speisrsaat begebt» Wie sonst glühten im Kamin die Kohlen, und warf da» knisternde Feuer seinen röthlichen Schein auf den Teppich. Wie sonst fluthete daS Licht der Kronen und Candelabcr über den rcichacdeckten Tisch. lim Abend war'S noch kalt trotz de- angebrochenen Früh ling». Deshalb hatte Rudolf zu Heizen und auch dir Vor hänge an den Gartenfcnstern herabzulaffen befohlen. „Sie wissen, Witt, weshalb ich Sir heute zu mir gebeten habe!" hob er an, nachdem er dem Gast mit dem im ge schliffenen Glase funkelnden Rheinwein beim letzten Gange wiederholt zugetrunken und Witt auch kräftig Bescheid gethan hatte. „Ihre Tochter Martha Kat mit Ihnen gesprochen, und ich weiß von ihr, daß sie Ihnen unsere Wünsche vor getragen — Ich möchte sie und zwar bald zur Herrin von Steinhorst machen! So stimmen Sie denn zu. Sie soll e- — ich verspreche e» Ihnen nicht bereuen. Ich will
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