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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.01.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-01-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970122021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897012202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897012202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-01
- Tag1897-01-22
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Januar 1897. vxtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Iinnahmeschluh für Anzeigen: Abend»Ausgabe. Bormittag« 10 Uhr. Vorge».Ausgabe: Nachmittag« 4llhr. -ei den Filialen und Aunahmestrllen je »ine halbe Stunde früher. Anzeigen find stets an die Expedition zu richten. Druck und Berlag von E Polz in Leipzig. 9l. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 22. Januar. Je unerquicklicher die Parteiverhältnisse im jetzigen Reichstage sind und je schwankender und wechselnder die Majoritäten, mit denen die Borlagen des BundesratbS so wohl, wie die Initiativanträge aus dem Hause angenommen oder verworfen werden, um so begreiflicher ist eS, daß man hier und da schon jetzt an Wahlparolen für die nächsten Wahlen denkt und die Bündnißfrage erörtert. Ein be sonders beliebte- Thema ist die „Einigung drr Liberalen", und zwar, was allein den Gegenstand der Rede Werth macht, nicht ausschließlich in freisinnigen Organen. ES ist sogar schon „gehandelt" worden. In Berlin bat nämlich der „Wahlverein der Liberalen" der EiniaungSfrage einen Abend gewidmet. Der „Wahlverein der Liberalen", daS ist — daS Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb erstreckt sich bekanntlich nicht auf das politische Gewerbe — die freisinnige Bereinigung, und was von ihm ausgebt, soll ausschließlich der Kräftigung dieser z. Z. allerdings recht bleichsüchtigen Partei dienen. In dem Puncte müffen wir Herrn Richter unbedingt beistimmen. Jene Bersammlung bat nun einen kläglichen Verlauf genommen. Sie war sehr schwach besucht, ihr politisches Niveau kennzeichnet sich durch den noch dazu von einem Parlamentarier gemachten Vor schlag, die Freisinnigen möchten doch einmal nach ameri kanischem Borbilde in Berlin zu PropagativnSzwecken — eine Procession veranstalten! Einige Vorgänge sind aber des Verzeichnen« Werth. Herr vr. Barth hielt einen Vortrag über die politischen „Ringe" in Amerika und zog daran« eine Nutzanwendung, aus der Herr Richter die aus ihn gemünzte Anklage gegen Masckinenpolitiker, die von Wahlvorbereitungen leben, heraushört und sich demgemäß in seiner Zeitung „bedankt". Herr Pack nicke tbat nicht so, als ob er sich auch getroffen fühlte, er machte sich vielmehr anheischig, eine Cooporation mit den anderen liberalen Parteien herbeizuführen, „wenn der Besitz stand überall gewahrt werde". Diese Bedingung kenn zeichnet aber den freisinnigen Gruppenegoismus, dem man die Schuld an der Schwäche der „Liberalen" beimißt und den ein anderer Redner, der Justizrath Makower, für unheilbar hielt. Dieser Herr machte dem entsprechend den Vorschlag, man möge sich „nach recht« und links über die Köpfe der Abgeordneten hinweg einigen". Herr Rickert hingegen will die Abgeordneten nicht ignoriren, aber „durch die Wähler zwingen lasten, eine große liberale Partei zu bilden". An die „große liberale Partei", d. h. natürlich an die Aufsaugung der anderen liberalen Parteien durch die frei sinnige Vereinigung, scheint z. Z. nur Herr Rickert zu glauben. Andere, darunter die „Voss. Ztg", geben die Losung au«: „Keine Verschmelzung, aber Bundesgenossenschaft gegen die Agrarier, gegen die conservative Partei, gegen verderbliche reactionäre Tendenzen." An dieser Parole ist für unS das Wichtigste, was sie nicht enthält, nämlich die Einbeziehung des UltramontaniSmus unter die zu bekämpfenden Richtungen. Der Verfasser, ein Parlamentarier, nennt das Eentrum nicht, weil er eS stark erhalten wissen will, und auf etwaigen per sönlichen Vorhalt wird er sich dahin auSreden.die ultramontanen Tendenzen seien unter den „verderblichen reaktionären" ver standen. Darunter hätte er aber auch die agrarischen und konservativen von seinem Standpunkte subsumiren können und müssen. Daß er eS nicht gethan und die conservative Partei ausdrücklich nennt, zeigt, wohin die Reise gehen soll. Wir für unfern Theil befinden uns in der gerade entgegengesetzten Lage. Wir wollen die reactionären Tendenzen und auch die verderblichen agrarischen bei den Conservativen bekämpfen, nicht aber — vorausgesetzt, daß die ausschließliche Herrschaft dieser Tendenzen in der Partei nicht dazu zwingt — die conservative Partei als „das" Uebel betrachtet sehen, und wir setzen nach wie vor und ohne Rücksicht auf da und dort bei politischen Freunden hervor- tretende mildere und darum unrichtige Urtheil; über den UltramontanismuS in der angeführten Parole an Stelle der conservativen Partei das Ccntriim. Die „Voss. Ztg." kann sich allerdings auf eine nationalliberale Stimme berufen, die auch überdieConservativen dieUltramontanen vergessen bat.Der „Hann. Cour." ist der Meinung, die junkerliche Neaction unserer Tage scheine die feindlichen (liberalen) Brüder wieder versöhnen zu sollen; er findet, daß auch ans dem Gebiete der Militairfragen der politische Zwist zu schweigen beginne, und selbst die Personenfrage scheint ihm unschwer zu erledigen. Man müsse sich den ostelbischen Junkern gegenüber einigen. Wenn dem „Hann. Cour." die BreSlauer Wahlparole des Grafen Limburg-Stirum: „Gegen jede Handelsvertrags- Politik" vorgeschwebt haben sollte, so befindet er sich mit uns in Ilebereinstimmung; denn wir haben nack dem Bekanntwerden jener Forderung eine unwiderstehliche Coalition gegen ihre Urheber in Aussicht gestellt und inzwischen ist von sächsisch- conservativer Seite unzweideutig erklärt worden, daß auch Conservative einer solchen Coalition sich anschließen müßten und würden. Graf Limburg hat seine Losung zurückgezogen. Wenn sie nicht wieder anslaucht, dann ist unS unerfindlich, wie bei einem Wahlkampfe, in dem sich alle „Liberalen" gegen die Conservativen, aber nicht gegen das Centrum (und selbstverständlich auch nicht gegen die Socialdemokratie) einigen, etwas für die Sacke, die der Nationalliberalismu- vertritt, herauSkommen soll. Sicher wäre nur eine Verstärkung des Einflusses des Centrums durch den Links- liberaliSmus, der (hierin siebt der „Hann. Cour." zu rosig) in den Militairfragen — vergleiche Marine —, in der Colonialpolitik, in der Polenfrage auf antinationalem Boden stehen geblieben ist. Der Effect wäre, daß sich für Projekte wie der Antrag Kanitz, die Doppelwährung und dergleichen im nächsten Reichstag eine noch kleinere Minderheit als in diesem erklären und im Uebrigen der bisherige, durch die ausschlaggebende Stellung des CentrumS berbei- gefübrte unleidliche innerpvlitiscke Zustand befestigt würde, natürlich ebensowenig zum Bortheil des von einem Zedlitz'schen Schulgesetz bedrohten Liberalismus, als zum Frommen de- Nationalstaates. Wir haben bei den „feindlichen Brüdern", von denen der „Hann. Cour." spricht, nur die Feindschaft zu bemerken vermocht, aber nichts von Brüderlichkeit. Die freisinnige Vereinigung, daS ist nicht zu verkennen, bat sich in gewissen nationalen fragen dem nationalliberalen Standpunkt etwas genähert, allein diese Gruppe stellt doch nichts Anderes al« eine reine Manchestcrpartei vor, die z. Z. da« Ziel ihrer wirthschaftSpolitischen Bestrebungen näher zu rücken glaubt, wenn sie in Fragen der LandeSvertbeidignng nicht grund sätzlich versagt. Für die Fortdauer dieser Haltung besitzen wir keine Bürgschaft, dagegen ist es gewiß, daß der national liberale Gedanke unheilbar comprommittirt werden würde, wenn unsere Partei hinter den Bamberger, Barth, kurz, hinter dem Schutzverband zur Abwehr agrarischer Uebergriffe in den Wahlkampf marscbiren würde. E« ist doch nickt außer Ackt zu lassen und gerade der „Hann. Cour." sollte eS bedenken, daß der augenblicklich losende Lärm entstanden ist wegen eines Gesetzes, das die nationalliberale Parte: vor allen anderen gefordert hatte, an dem sie in hervorragendem Maße mitgewirkt und das sie in seinem einschneidendsten Theil unter Führung des Herrn v. Bennigsen einstimmig genehmigt hat: daS Börsen gesetz. Wenn sie jetzt mit einer Parole, deren Kern dock nicht« Anderes als die „Freiheit der Productenbörsen" bilden würde, hervorträte, so wäre die Folge ein Mißtrauen gegen die gewählten Nationalliberalen, dem wir eine vollständige, aber ehrlich erlittene und darum wieder wettzumachende Wahlniederlage ohne Bedenken vorziehen würden. Die Einführung der Lchncllfeuergeschntzc in Frankreich scheint nunmehr ganz sicher zu sein. Der Pariser „TempS" veröffentlicht zwar die folgende, offenbar von der französischen Regierung inspirirte Note: „Trotz der seit einiger Zeit über die Umgestaltung der Artillerie in Deutschland und Frankreich veröffentlichten Geschichten scheint es, daß alle diese Gerüchte aut nichts beruhen. In allen europäischen Armeen wird die Schaffung einer neuen Artillerie studirt; die meisten habe» einen Kanonentypus in Aussicht, aber keine hat die Conslruction begonnen oder scheint diese beginnen zu wollen. Dieses Zögern erklärt sich durch mancherlei Gründe; zuerst durch die enorme Ausgabe, da es sich »m Hunderte von Millionen handelt. Und dann will man sich nicht gern an die Arbeit machen, ohne die Absichten der Nachbarn und den Werth des Typus zu kennen, den sie angenommen. Wozu die Herstellung neuer Kanonen beginnen, wenn diese Arbeit andere Länder veranlatzte, die Schaffung eines Materials zn unternehmen, das noch besser sein könnte? Aus diesen Gründen hat man die Arbeiten noch nicht begonnen; Jeder bereitet sich vor. wartet aber ab, was der Nachbar thun wird. Deshalb muß man auch die Gerüchte dementiren, nach denen bei uns die Schaffung eines neuen Materials eifrig betrieben wird, das binnen einem Jahre vollendet sein würde. Das wäre eine Anstrengung, die weder drr Staat noch die Privat-Jndustrie zu leisten vermöchte; man kann nicht daran denken, 4000 Kanonen in Einem Jahre herzustellen, besonder? wenn man bedenkt, daß das besondere Werkzeug dieser Fabrikation noch nicht exlstirt und erst in allen Stücken geschaffen werden muß." Daß diese Note aber keinen anderen Zweck verfolgt, als den, einen Borsprung für Frankreich zu gewinnen, geht ans der Meldung anderer französischer Blätter hervor, daß in den Artilleriewerkstätten zu BourgeS Arbeiter, die früher dort thätig gewesen, aber wegen Mangels an Be schäftigung entlassen worden sind, unter Berufung auf die durch die bevorstehende Herstellung von Schnellfeuergeschützen sich ergebende bedeutende Vermehrung der Aufgaben aufge fordert werden, sich zu erneutem Eintritt zu melden. Lehr reicher aber noch, als die Aufforderung an sich ist die Mit theilund der „France militaire", daß, um unbekannte Per sönlichkeiten fern zu halten, welche den Versuch machen könnten, die ihnen durch die Beschäftigung in den Werkstätten vermittelten Kenntnisse zu landeSverräthe- rischen Zwecken zu mißbrauchen, nur solche Leute an genommen werden dürfen, die von den jetzigen Ar beitern empfohlen werden. Man ersieht hieraus, wie vor sichtig unsere westlichen Nachbarn zu Werke geben; sogar socialistische Abgeordnete sollen diese Vorsicht gebilligt haben. Sicherlich werden auch die Leiter der deutschen Militairwerkstätten an Vorsicht eS nicht feblen lassen. Wenn sie aber notorische socialdemokratische Agitatoren nicht an stellen oder ausmerzen, so ist Tausend gegen Ein- zu wetten, daß nicht nur die socialdemokratische Presse dagegen mit Ent rüstung Einspruch erbebt, sondern daß sich auch noch andere Leute finden, die trotz ihrer „nationalen" Tendenzen und trotz ihres zur Schau getragenen Kummers über die unpatriotische Haltung der socialdemokratischen Massen jenen Einspruch unterstützen. Die uugarische Budgetdebatte bringt von Tag zu Tag mehr Klarheit in die dortigen Parteiverhältnisse. Gegenwärtig wird der ultraklerikalen Reaction gebührend hcimgeleuchtet. Mit Ausnahme der Anhänger des Grafen Apponyi, welche sich vorläufig noch immer in schweigsamer Enthaltsamkeit gefallen, wendet sich LaS ganze Abgeordnetenhaus gegen das Treiben der so genannten Volkspartei. DaS klerikal-seudal-socialistische Demagogcntbum dieser Gruppe ist seit seinem Bestehen schon oftmals heftig angegriffen worden, in so scharfer und zu treffender Weise aber, wie jüngst der außer den Parteien stehende Abgeordnete Komlossy, ein katholischer Dom herr, hat ihr wohl noch Niemand die Wahrheit gesagt. Er wies nach, daß die „Volkspartei" daS Volk, soweit eS auf sie hört, blos irreführt, daß sie in demselben unerfüllbare Forderungen erweckt, die bürgerliche Eintracht unter der katbo- lichen Geistlichkeit und unter den Consessionen stört, mit der magyarenfeindlichen Nationalitätenpropaganda, und zwar selbst außerhalb der Landesgrenzen, gemeinsame Sache macht rc. Ein Berufenerer, als dieser ebenso begabte Parlamentarier, wie glaubenseisrige Priester, hätte die vielgebrauchte Phrase, daß die ungarische Regierung den christlichen Geist auSzurotten bemüht sei, nicht widerlegen können. Er mußte zugeben, daß das Cabinet Banffn die liberalen kirckenpolitischen Reformen mit dem größten Tact vollzogen und seinerseits redlick bemüht ist, den consessionellen Frieden wieder herzuftellen. Und gerade dieser rein patriotischen Thätigkeit der Regierung stellte er die gewissenlose Hetzarbeit der Volkspartei gegenüber. Domherr Komlüssy, der in der Aula des Cardinal-Fürstprimas Vaßäry bedeutendes An sehen und großen Einfluß genießt, erklärte im Lause seiner Rede, er sei wann immer bereit, dieselbe der nach träglichen Censur seiner geistlichen Vorgesetzten zu unter breiten. Ueber die Correctheit dieser Erklärung läßt sich streiten, im Uebrigen aber erhellt daraus, sowie auS der kühnen Offenheit seines ganzen Auftreten», die erfreuliche Thatsache, daß der Hockklerus Ungarns dem demagogischen Treiben der Volkspartei fern steht, ja dasselbe in seiner über wiegenden Mehrheit nach wie vor entschieden verurtheilt. In dem englischen Bla «buch über die orientalische Frage sind doch nicht, wie es nach den anfänglichen Meldungen schien, nur längst bekannte Dinge enthalten. Zeigt e« die Lage auch immer noch auf dem Puncte: Einigung der Mächte darüber, daß sie sich einigen müssen, so geht doch aus den Veröffentlichungen hervor, daß wieder England, obwohl eS sich äußerlich dem Concert der Mächte notbgedrungen an geschloffen hat, der Störenfried ist, der es nicht zu einer Einigung über daö zunächst Nothwendig: kommen läßt. Es beißt in dem Blaubuch u. A.: Nachdem Lord Salisbury am 23. September vor. I. die österreichifch-ungarifche Reo-erung um ihre Ansicht hatte befragen lasten, sandte er am 20. Oktober allen Mächten ein Circular, welches den Vorschlag enthält, die Botschaften in Konstantinopel sollten einen Rrformentwurs absafsrn, sowie den weiteren Vorjchlag, Zwangsmaßregrln zn ergreifen für den Fall, daß der Sultan lich weigern sollte, die von den Mächten genehmigten Reformen anzunrhmen. Tie Antworten der Mitglieder des Dreibundes auf diese Vorschläge lauteten bejahend. Der englische Botschafter in Berlin, LascelleS, berichtete am 23. Oktober Lord Salisbury, er habe dem Staatsjecrrtair Freiherrn von Marschall da« Lircalarschrriben vorgelesen. Freiherr von Marschall, der mit größter Aufmerksamkeit zugrhvrt habe, habe geantwortet, er könne ohne völlige Kenntniß ll, Fs««Heton Me «ird-rfr. Roman von Hermann Heiberg. NaLdnick «erboten. Plötzlich tam's über den Mann, daß er Ruhe finden werde, wenn dieser Fremde nicht mehr vor seine Augen treten würde. Aber wie daS beginnen! — Wenn er ihn gewaltsam beseitigte! Er wußte, wo sich sein Zimmer befand. Er konnte rasch und leise hineindringen, ihn packen und erwürgen. Plötzlich »litten im Ueberlegen fuhr Rudolf zusammen. War'« möglich, daß ihm überhaupt ein so fürchterlicher Gedanke kommen konnte! — Auch daS war krankhaft. Urber- haupt war er sehr krank. »- Nun beschäftigte er sich mit den Mitteln, durch die er zn gesunden vermochte. Er ließ dies und jene- an seinem Geist vo, übergehen und prüfte logisch. Voran stand eine, durch Klärung der Rizdors'schen Erb- angelegenhciten herbrigrsührte Seelenruhe. Seit diesem Gewaltact hatten sich die Nächte mit Angst und Verfolgungswahn eingestellt. Dann schrie sein Herz nach einem »reuen Menschen, der ihn aufrichtete, seinen Vor sätzen Nachhilfe verlieh, neue» Straucheln verhinderte, in ihm den Glauben an sich selbst wieder herstellte, gar ihm Wärme - Liebe entgegentrug. Martha! Martha! Sie war drr vom Schöpfer gesandte Engel! Sie bätt« auch ihre Mission erfüllt, wenn er nickt bei erster Gelegenheit seinem gewalttätigen und hochmütigen Sinn hätte wieder die Zügel schießen lassen, wenn er den geschont hätte, den er doch in erster Linie zu schonen, von seinen guten Vorsätzen zu überzeugen, »u versöhnen, zn ge winnen hätte suche» muffen — ihren Vater! — Auch im Forsthause hatte e« »och eine furchtbare Scene gegeben. Kaum, nachdem Rudolf in den Stall getreten war, um den Rappen loSzubinden und hinauSzuführen, war der alte Mann noch einmal wieder zurückgekehrt. Es blieb unentschieden, welche Gründe ihn dabei geleitet hatten. Als er Rudolf erblickt, hatte er finster und mit vor Aufregung bebender Stimme hervorgestoßen: »Wenn ick auch nie Ihr Freund gewesen bin, Graf Kisdorf, gesagt so hatte ick doch stets Respect vor Ihrem Selbstgefühl. Aber auch da« ist Ihnen verloren gegangen, sonst würde Sie doch diese- abgehalten haben, noch ferner meine Schwelle zu betreten. Aber freilich, bei Euch hohen Herren — Doch weiter war Witt nicht gelangt. Rudolf batte schweigend, um Martha'S und der Vorgänge willen, die schwersten Worte über sich ergehen lassen wollen. Allein er hatte sich selbst nicht gekannt. Als der letzte Satz mit verächtlichem Ausdruck Uber de« alten Mannes Lippen gegangen, hatte ihm schier daS Blut übergekocht. Schweig, elender Knecht, oder fühle das hier! hatte er geschrien und die Reitpeitsche erhoben. Im Nu aber war auch des Försters Hirschfänger au» der Scheide gewesen, und nur durch Martha'S Dazwischenkunst war die spitze Klinge nicht mit Blut benetzt worden. Ja, wenn er vor dem Manne sich gebeugt und ihm t hätte: ich that Unrecht. Verzeiht. Wa« mein Mund sprach, davon wußte mein Herz nichts. Der Zorn riß mich fort. Ich bereue! Hier unter Gottes freiem Himmel rufe ick den Menschen in Dir an. Nicht Rudolf von Rixdorf, der Herr, naht sich Dir, sondern Drin Bruder, der Dich anruft, daß Du ihm helfen mögest. Böse« fortan in Gute« zn verwandeln! DaS wären schwer hervorzubringendc, tief demüthigende Worte gewesen. Aber Rudolf wußte eS, sie würden gewirkt haben, durch sie hätte er gewinnen können, wa» nun doppelt verloren war. Und diesen Mangel an Selbstbeherrschung, eS unterlag keinem Zweifel, würde ihm auch Martha nicht vergeben. Sie würde daran« Schlüffe aus sich selbst nnd ihre Zukunft ziehen. So war denn Alle- dahin! Nur Macht und Reichthum waren geblieben? Und sie, wa« waren sie, wenn die Seele darbte und verdorrte, die Barmherzigkeit Gottes fern war, wenn nicht- Andere« in der menschlichen Brust wohnte als Hoffnungslosigkeit und Lebensüberdruß? Als Rudolf zuletzt leise die Treppe hinabstieg und müden SckritteS durch die Straßen wandelte, saß in seinem Innern eine solche Verzweiflung, daß er überlegte, ob e» nicht daS Beste sei, von der Welt Abschied zu nehmen. Er nahm, über sich den nächtlichen Himmel, auf einer vor einem Hause stehenden Bank Platz, vergrub da« Angesicht in die Hände und verharrte hier, bald wachend, halb schlafend, gleich einem körperlich und geistig Gelähmten. Erst rin Geräusch, da» (ich auf der Gaste bemerkbar machte, scheuchte ihn endlich nach Stunden wieder empor, und schleppend nahm er denfelben Weg zurück. Eben nachdem er daS Hotel wieder erreicht hatte, ertönten fünf feierliche Glockenschläge von der Stadtihurmkinhe. Und als ob der Morgen diese äußere Ankündigung abgewartet habe, fielen plötzlich die letzten Schatten der Nacht. Dunkelheit wich der Helle fast sichtbar dem Auge. Des Mannes Blick glitt die stille Gasse hinab. Starr, bewegungslos, reihten sich die Häuser mit den lichtdurckflossenen Fenstern aneinander. Sie sahen aus, als ob sie mit offenen Augen schliefen, wartend der Frühlingssonne, die ihre Lider lösen werde. Und Alles so regungslos, und die Gasse so staubfrei und rein, und die Luft so durchsichtig, kühl, und die Schornsteine noch unthatig. Nur ein paar Staare machten sich oben an der Dach rinne eine- der höchsten Häuser schwätzend bemerkbar. Nur ein sckwarzweiße« Kätzlein schlich, von einem Stelldichein beimlehrend, und nun den Morgen mit ängstlich scheuen Augen begrüßend, über daS Pflaster und verschwand, den geschmeidigen Körper biegend, unter dem Spalt einer Hof- plankenthür. Rudolf holte tief, lies Athem. Die Angst war völlig ge wichen. Luft und Schlaf hatten den grauenhaften, ihn in den Nächten anfallenden Dämon verscheucht. Des alten Witt erste Gedanken am nächsten Morgen richteten sich aus da« am Tage vorher Geschehene. Da er ohnehin sogleich Schritte thun wollte, um sich eine Wohnung zu miethen, rüstete er sich bald nach dem Frühstück zur Abfahrt. Martha hatte ihm bei diesem bleich und aus druckslos den Kaffee nnd die gewohnheitsmäßig von ihr be reiteten Schwarzbrodscheiben hinübergeschoben. Gesprochen war nach den langen, bedeutungsvollen Aus einandersetzungen deS vorigen Abends zwischen ihnen nicht«. Nun aber, eben vor drr Abfahrt, trat er noch einmal an sie heran und sagte kurz und schroff: „Ich fahre nach Eutin, um Wohnungen zu besehen und einen Möbelwagen zu bestellen. Begieb Dich nur heute gleich an« Packen. Uebrrmorgrn Abend muß daß HauS geräumt sein. Und nochmals warne ich Dick, gegen meine Befehle zu bandeln. — Der Mann drüben ist fortan tobt für Dick. Sollte er eS wagen, jemals sich Dir wieder zu nähern, so wirft Du ihm dir Thür weisen. Du weißt, wa« darauf steht, wenn Du Dick ander« verhältst! Und merke wobl: Ich bin unerbittlich! Ick kann ohne Dich leben, denn ich habe ein gutes Gewissen. Ob Du es kannst, wollen wir abwarten". Martha batte sich der Erwartung hingegeben, daß ihr Vater nach verrauchtem Zorn, den Drang haben werde, ihr gütig, mit sanfter Zusprache, zu begegnen. Wenn s geschehen würde, wollte sie sich an seine Brust schmiegen, um wenigstens durch den wiedergewonnencn Frieden mit ibm ihr gequältes Herz zu erleichtern. Während der ganzen Nacht hatte sie schlaflos dagelegcn und da nun Rudolf für sie verloren war, nur den einen Gedanken gehabt, ihren Vater wieder zu versöhnen Einmal war sie von einer solchen Sehnsucht nach Versöhnung erfaßt worden', daß sie aus dem Bett gesprungen war, um zu ihm zu eilen. Sie wollte vor seinem Lager niederknien, seine Hand erfassen, die treuen, alten Hände mit Küssen bedecken, und freiwillig ihm Zusagen geben. Wenn er nur in ihr Herz blicken und erkennen könnte. empfand, daß er sich von ihr He, wie sie litt, welche Unruhe sie gewendet hatte. — Als er ihr nun aber so begegnete, legte sich, um so mehr, da ihr sein Verhalten am Morgen schon eine schwere Ent täuschung gebracht, plötzlich Eisige« um ihr Herz. Sie war Fleisch von seinem Fleisch, und in ihren Adern stoß sein Blut. — Wenn auch Güte und Selbstlosigkeit den Kern ihre- Wesens bildeten, so fanden sich doch auch bei ihr Grenzen. Nnbeugsamkeit ergriff sie, wenn ihr ungerecht be gegnet, wenn ihr zu viel geboten wurde. Sie entgegnete ihm in Folge dessen mit gleich schroffer Rede und mit einem starrsinnigen Ausdruck: „Du tust, Vater, als sei ich eine Verbrecher»», weil ick einen Mann liebe. Ich war ibm schon zuzrtban. bevor Jbr in Streit gerietbet, bei dem doch auch Du nicht ohne Schuld warst Ich soll nun plötzlich auf Commando LaS Gesübl für ihn au- meiner Brust reißen! Da« vermag ich nickt Ich bätte Dich sehen mögen, als Du jung warst nnd Rechte aus Leben und Glück für Dich in Anspruch nahmst — Du würdest sicher Dich nicht gebeugt haben. Gestern Abend schwieg ich. Ich hörte, wa« Du sprachst, und nur Schmerz, daß da« Alles geschehen, daß drr Graf sich so gegen Dich ver gessen, hatte Raum in mir. Heute in der Nacht wollte ick zu Dir und Dich um Versöhnung und Frieden bitten, wenn« sein mußte, auf Kosten meines Glücks. Ilm Deiner und meiner Herzen«- und Seelenrube willen wollte ick mich fügen, ein so grausamer Verzicht mir auch auferlegt ward. Den»
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