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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.01.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-01-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970128011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897012801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897012801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-01
- Tag1897-01-28
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Au« Hamburg wird uns von unterrichteter Seite ge schrieben: Die Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeit nehmern können jetzt ats definitiv gescheitert angesehen werden. Wie wir bestimmt wissen, lehnen die Arbeitgeber nach dem letzten Schreiben der Streikcommission und der am Sonn abend in den Versammlungen der Streiter angenommenen Resolutionen jede weitere Verhandlung mit den Arbeitern ab. Es geschieht die- nach der Ausfassung maßgeblicher Kreise mit vollem Recht. Alle bisherigen Versuche, die im Interesse der Verhütung einer längeren Schädigung des Hamburgischrn Hafenverkehrs zur Beilegung des Streiks von Senat und Arbeitgebern unternommen worden sind, haben zu nichts Anderem geführt, als zu der steten Wieder botung der Erklärung von Seiten der Streiter, daß sie vor Eintritt in Verhandlungen über ihre Lohn- und Arbeits forderungen die Arbeit nicht wieder aufnehmeii könnten. Gerade dies ist aber der Punct, auf den Alles ankommt; die übrigen Differenzen, z. B. die über die Entlassung der fremden Arbeiter, sind mehr nebensächlicher Natur. Wenn die Arbeit geber in der Cardinalfrage nachgeben und dadurch selbst ihren Gegnern die Mittel zur endlosen Hinausziebung der Unterhandlungen, ja zur Erneuerung des Ausstandes mit frisch gesammelten Kräften geben wollten, so würde dies nach der Entstehung und nach der principiellen Bedeutung dieses Streiks als einer soeialistischen Kraftprobe gegen das Unternehmerthum einer Capitulation des Letzteren gleichkommen. Dieselbe würde um so folgenschwerer für die gesammte Weiterentwicklung des Verhältnisses zwischen Arbeit gebern und Arbeitnehmern sein, je länger der Streik gedauert und je mehr er sich zu einer Machtsrage herausgebildet hat. Alle Opfer würden umsonst gebracht sein und die Social demokratie, wenn sie ihren Willen durchsetzte und die Arbeit geber schließlich dock zum Nachgeben zwänge, hätte einen ebenso großen Erfolg zu verzeichnen, wie die Niederlage, die ihre Partei im Falle des Mißlingens erlitte, schmerzlich sein würde. Unter diesen Umständen haben die Arbeitgeber nicht nur die Pflicht gegen sich selbst Und die Hamburgischrn Handelsinteressen, sondern auch gegen die Gesammtbeit der bürgerlichen Gesellschaft, festzubleiben und weitere Opfer nicht zu scheuen. Daß sie entschlossen sind, dieser Pflicht nachzukvmmen, darf mit vollster Bestimmtheit angenommen werden. Vorläufig ist der Streik als in Permanenz anzusehen. Wann er sein Ende finden und wie der Ausgang sein wird, entzieht sich bestimmter Voraussicht. Als wahrscheinlich darf gelten, daß schließlich daS Resultat in der dauernden Verdrängung vieler Tausend streikender Arbeiter durch fremde Zuzügler au» ihren lohnenden Stellungen bestehen wird. Die einzige Schwierigkeit für die Arbeitgeber besteht zur Zeit noch in dem Ersatz einiger Tausend streikender Ewerfithrer, deren Functionen qualificirter Natur und nicht so leicht von fremden Schiffern, die von außerhalb herangezogen werden, zu erlernen sind. Aber auch in dieser Beziehung wird mit der Zeit der Ersatz immer leichter fallen. Einstweilen tritt dir Frage in den Vordergrund, woher die immerhin erheblichen Mittel zur Durchführung deS Streikes gekommen sind. Nehmen wir an, daß wöchentlich 150 000 an die Streiter zur Vertheilung gelangt sind, so crgiebt das bei der jetzigen Dauer des Ausstandes die be trächtliche Summe von nahezu l'/z Mill. Mark, während der Ausfall an Arbeitslöhnen vielleicht das Vierfache beträgt. Wir fragen uns, durch welche Hilfsquellen ist die socialistischc Arbeiterschaft in den Stand gesetzt worden, derartige Auf wendungen zu machen und solche colossale Einbußen zu er tragen. Wir unterschätzen die Beiträge aus den Eassen und Kreisen der Arbeiter nicht, halten es aber doch für wenig unwahrscheinlich, daß dieselben auf die Dauer zur Deckung eines so großen Bedarfes ausreichen würden. Auch die ZwangScontributionen, die einzelnen Geschäftsbräuchen, wie z. B. den Bierbrauereien, die auf die Kundschaft ver Arbeiter und ihrer Kneipen angewiesen und deshalb durch Boycottandrohung zu mehr oder weniger hohen Opfern für den Streik zu zwingen sind, reichen nack unserer Berechnung nicht völlm auS, um die Höhe der für Strcikzwecke ver wandten Summen zu erklären. Die Ansichten über die Pro venienz der nicht nachgewiesenen Eingänge gehen auseinander. Hier und da hört man die zu Anfang des Streiks verlautete Auffassung wieder aussprechen, daß auf englischer Seite ein starkes Bedürfniß bestehe, den Hamburger Streit zu ver längern, und daß daher möglicher Weise englisches Geld eine nicht unerhebliche Rolle in den Eassen der hiesigen Streikevm- uiissio» spiele. Andere wieder glauben, daß die Unterstützung von einer Seite herrühre, welche in einem neulich von den „Ham burger Nachrichten" veröffentlichten nnd von der „Schlesischen Zeitung" weiter ausgcsponneneu Artikel über die Beziehungen gewisser Finanzkreise zur Sociatdemokratie bezeichnet worden ist. Beide Annahmen beruhen auf Vermutdungen, die auf Beweismittel nicht gestützt werden können. Es wird auch kaum möglich sein, Gewißheit zu schaffen, aber jedenfalls hätten die Arbeitgeber ebensoviel Anlaß, der Provenienz der Streikmittel nachzuforschen, wie die Streikenden Anlaß haben, den Zuzug fremder Arbeiter auf daS Schärfste zu controliren. Seine LebenSsäbigkeit verdankt der Hamburger Streik aber nicht nur der finanziellen Unterstützung Dritter, sondern vor Allem dem Umstande, daß weder Reichs- noch LandrSgesetzgebung die nöthigen Handbrben bieten, um den Terrorismus unschädlich zu machen, der von den Streik führern sowohl gegen die Arbeitswilligen wie auch gegen die jenigen Elemente der Bevölkerung auSgeübt wird, denen die Socialdemokratie mit Erfolg androhen kann, ihre geschäftlichen Unternehmungen durch Boycott zu ruiniren, wenn sie nicht durch Beiträge zur Streikkasse für die Socialdemokratie Partei ergreifen. Man hat in ferner stehenden Kreisen keine Ahnung davon, in welchem Umfange und mit welchem Erfolge dieser Terrorismus ausgeübt wird. Fast alle Geschäftsleute, die auf die Kundschaft der kleineren Leute angewiesen sind, unterliegen diesem Zange. Es genügt, daß eine Bierbrauerei, ein Krämergeschäft, eine Bäckerei oder ein ähnlicher Betrieb sich weigert, regelmäßige und nicht unbeträchtliche Beiträge für den Streit zu zahlen, um sofort die Verrufserklärung über ihn herbeizufübren, die ihm den größten Theil seiner Abnehmer entzieht. Bei der straffen Organisation der Arbeiterschaft und ihrem, von der Socialdemokratie sorgsam gepflegten Classen- und Solidaritätsgefühl nach ,chU>>, -l'-r -« stch die einen Streik nicht mitmachen wollen, gegen 'bren Willen und ihre Überzeugung durch Androhungen d^ werden können, oder daß Unternehmer von ffelch-rltSbett.eben, die qar nicht soeialistischer Gestnnung sind, durch Ver hängung des Boykotts zu Leistungen U>r d.e Sor.a^ demokratie nnd ihre Ziele gezwungen w-rd.. ^- Socialdemokratie erlangt dadurch eure dickst eine die ihr selbst dann nicht zukame, wenn sie 'cht E revolutionaire, ans den Untergang von/Staat und OelclV schast bedachte, sondern eine mit den übrigen gleichberechtigt staatserhaltende Partei wäre. Wo ist die Grenze für einen derartigen Terrorismus? Die Socialdemokratie kann aus diese Weise schließlich Alles durchsetzen waS sie will, und das Unheil, welches sich daraus für das friedliche Zusammenleben der verschiedenen Bcvölkerungsclassen ergeben kann, bedarf keines besonderen Nachweises. Wir glauben, dap der Hamburger Streck nach verschiedenen Richtungen hm ausklarend und belehrend gewirkt hat, aber seine Hauptlehre besteht doch darin, »atz ohne gesetzliche Bestimmungen gegen TerroriSmuS und Boycott den, Staate und der Gesellschaft die Hauptwaffe fehlt, um sich der Socialdemokratie Mit Erfolg zu erwehren. Wenn nicht die Arbeitgeber im ganzen Reiche dem souveränen Willen der terroristischen Socialdemokratie preiSgegcben werden soll, so muß man sich dazu entschließen, Boykotte und andere socialistische Gewaltthaten unter Strafe zu stellen. Wir erwarten, daß die Regierung auf Grund der in Ham burg gemachten Erfahrungen nicht länger mehr »ogert, den legislativen Körperschaften eine entsprechende Vorlage zu unterbreiten. —, Deutsches Reich. 6. U. Berlin, 27. Januar. Die Eisenbahn-Direktionen scheinen jetzt die Eisenbaknarbeiterbewegung sehr sorgfältig zu beobachten, und zwar mit Recht. Sind auch in den letzten Tagen die Socialdemokraten nicht Weiler ge kommen, so haben sie doch einen neuen Ausruf erlassen, der den Eisenbahnarbeitern zuruft: „Eisenbahner, organisirt Euch!" Weß Geistes dieser Ausruf ist, geht schon daraus hervor, daß eS in ihm heißt: „Natürlich ist die junge Orga nisation von arbeiterfeindlicher Seite als „socialbeaiokratischc" verschrieen worden.. . Zugleich erwächst den Eisenbahnern die Pflicht, mehr als bisher die Arbeiterpresse zu unter stützen. Und nun vorwärts, Eisenbahner — auch Euch muß eine bessere Zukunft erblühen." Also die Organisation soll nickt als eine rein socialdemokratische gelten. Anzeigen Prei- die 0 gespulten» Prtitzeile 20 P'-< Reklame» unter dem Rrdnctwnsslrich (««»» spalten» üO->j, vor den FamNiennachrichten (6 gespalten) 40/H. ltzrobere Schriften laut unserem Preis« verzrichniß. Tabellarischer und Ziffern!«- »ach höherem Tarif. «extra-Beilagen (gesalzt), nur mit b»e Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 00.—, mit Pvslbrsörderuiig 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend »Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen »Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die (krpeöitton zu richten. Druck und Verlag von E. Polz In Leipzig. 91. Jahrgang. und doch werden die Eisenbahner aufgefordert, sick ibre Belehrung ausschließlich auS socialdemokratischeu Blättern zu boten. Damit die Eisenbahner durch die Furcht vor eventuellen Maßregelungen vom Beitrittt zum Verband nicht zurückgeschreckt werden, wird in dem Aufruf erklärt: Die inneren OrganisationSeinrichtunaen sind so getroffen, daß alle Mitglieder vor eventuellen Maßregelungen wegen VerbandSzilgebörigkeit gesckiitzt sind." Da würde es sich doch verlohnen, diese inneren Organisationseinrichtungen genauer anzuseben; bisher haben wir nicht gewußt, daß sich in Deutsch land Geheimverbäiide ungestört bilden können. Vielleicht bat der PerbandSvorsleher H. Bürger (Hamburg) die Lieben« Würdigkeit, Näheres über die innere Organisation mitzulheilen. Natürlich wird in dem Aufruf aus die Eisenbahner der Schweiz, Oesterreichs, Frankreichs, Englands und Amerikas hingewiesen, die schon längst lebensfähige Gewerkschaften und eine ge diegene Presse haben". Hier und da werden auch schon schüchterne Versuche gemacht, die Postbeamten zu „orga- nisiren"; wenigstens haben wir in der socialdemokratischeu Presse gelesen: „An die Eisenbahn- und Postbeamten sind die gestern und heute erschienenen Nummern unseres Blattes weiter zu gebe»." Diese Nummern enthalten Artikel über die Organisation der Eisenbahner. Natürlich jubelt die social- demokratische Presse darüber, daß die von klerikaler Seile betriebene Gegenagitatiou nennenswerthen Erfolg noch nicht aufzuweisen bat; auS allen Artikeln tönt es heraus: „Die Eisenbahner sind unser." Mögen die maßgebenden Factvren die rechten Mittel zur Abwendung der Gefahr finden, die in der Unterwerfung eines auch nur namhaften Theiles der Eisenbahnarbeiler unter den Terrorismus der Socialdemo kratie liegen würde. * Berlin, 27. Januar. Die durch das Bürgerliche Gesetzbuch bedingte Neuordnung deS juristischen Studiums, aus welche die vor einigen Tagen mitgetheilte Anordnung deS preußischen JustizininisterS sich bezieht, ist in den Fachkreisen schon seit längerer Zeit der Gegenstand vielfacher Erörterung- in Eisenach haben im vorigen Jahre die Professoren der Rechte darüber verhandelt, und in den Fachzeitschriften wird er unablässig discutirt. Einen interessanten Beitrag zu dieser Debatte bat der frühere Rechtsanwalt und Re'chStagSabgeordnete für Straßburg, vr. Petri, jetzt Director ver elsaß-lothringischen Boden- und Communal-Creditbank, in einer kleinen Schrift „Zur Reform der juristischen Vorbildung nach Erlaß de- Bürger lichen Gesetzbuchs" geliefert. Im Gegensatz zu einzelnen akademischen Lehrern, die in der Hauptsache Alles beim Alten lassen und nur durch bas Studium deS Bürgerlichen Gesetzbuchs dasjenige der jetzigen Landesrechte ersetzen wollen, verlangt vr. Petri, daß das Gesetzbuch und mit ihm da« sonstige positive Reicksrecht der Mittelpunkt deS juristischen Studiums werde, aber auf ver Grundlage ausreichender recktsgeschichlticher Bildung. Auf die Einzelheiten seiner Vorschläge für die Stundenzahl der verschiedenen Vorlesungen kann hier nickt eingegangen werden. Petri hält die Ver längerung des RechtSslutiums aus vier Jahre für erforderlich; wir haben die Gründe dagegen wiederholt angeführt, und auch Petri bemerkt: „Nicht nur auf diese Verlängerung kommt es aber an; mindesten» ebenso wichtig ist es, daß unsere zukünftigen Juristen ihre Universität-- Im Ladeorl. Novellrtte vonKonrad Telmann. (v Nachdruck »erdeten. Der „Rath" war in dem kleinen Badeort entschieden die hervorragendste Persönlichkeit. Alle behandelten ihn im Cur- haus nnt dem gleichen, etwas scheuen Respect, an den er auch durchaus gewöhnt zu sein schien und den seine kühle Zugeknöpstheit geradezu herauSforderte. Er hatte in seiner steifen Würde etwas, als ob er die Anderen gar nicht sähe, ohne die Formen äußerlicher Höflichkeit ganz zu mißachten, eine ungekünstelte Unnahbarkeit vereinsamte ihn. WaS für ein „Rath" er eigentlich war, wußte fast Niemand, man inunkelte aber etwas vom Ministerium, von einflußreicher Hofstellung in einen: kleinen Fürstenthum; der Curort war stolz auf ihn und den Neuankommenden wurde der „Rath" als Sehenswürdigkeit in Ermangelung anderer gezeigt. An der Mittagstafel saß er obenan und unterhielt sich mit Niemand. Keiner wagte ihn anzureden, denn der Rath sah verdrossen und ablehnend zugleich aus. Irgendwer wollte wissen, daß er Unglück in der Familie habe. Sein einziger Sohn wolle nicht gut thua, au« der Carriörr springen, die ihn zum prädestinirten Nachfolger seine- Vaters in Amt und Würden stempelte, eine unpassende Heirath ringehen, — kurz: es sei «in Kreuz und gar kein Wunder, daß der Kummer und Aerger dem Rath ein Gallenleiden zugezogrn habe, von dem er hier nun Heilung suche. Seit diesen Eröffnungen betrachtete man den Rath vollends nur mit schüchterner Ehrfurcht. Nur die Dame, dir seit einigen Tagen den Platz zu seiner Linken an der Tafel inne hatte, schien sich plötzlich ein Herz gefaßt zu haben» denn man erlebte es, baß sie den Rath, der ihr mit stummer Höflichkeit eine Schüssel reichte, plötzlich ein mal anredete — die ganze Tafel war des Staunens voll — und da- Unglaublichere, daß er ihr auch antwortete. Kurz nnd gemessen, das verstand sich von selbst, — aber er ant wortete ihr. Und trotz de- kühlen Befremden-, da- die Zu- nächstsitzrnden ganz deutlich au- seinen Worten wollten ber- vorklingen hören» tieß sich die Dame nicht adschrecken, das Gespräch fortzusetzrn. Die Dame that noch so, als sei gar nicht- Besonderes dabei, sondern plauderte ohne jede Be flissenheit oder va- zur Schau getragene Bewußtsein, etwas Großes und Bedeutungsvolle- zu thun, so harmlos und munter, als sei sie nie etwa« anderes gewöhnt gewesen, als fich mit Ministerialräthen oder was der „Distinguirte" nun war, über da- Wetter und die Spaziergänge de- Badeörtchens zu unterhalten. E- war stark, es erregte eine gewisse Indig nation an der Tafel. Dean wer war sie, dies« Dame? Man wußte gar nichts von ihr, sie hatte überhaupt gar keinen Titel. „Frau Cranz" stand im Fremdenbuch. So konnie Jede heißen. Wenn sie „WaS gewesen" wäre, hätte sie es sicherlich nicht verschwiegen. Frau Cranz? das konnte die Frau eine- kleinen KramwaarenbändlerS sein — wer wußte daS? Und die wagte eS, den „Rath" anzureden wie Ihresgleichen, wie einen Kunden vor dem Ladentisch! Und der Rath nahm daS merkwürdigerweise nicht einmal übel auf. Diese Seelen- aröße, dieser wahrhaft vornehme Tact schufen ihm noch mehr Bewunderer, als er ohnehin gehabt hatte. Als er beim Dessert sich von der Tafel erhob, verneigte er sich sogar vor Frau Cranz. Er war eben Weltmann. Und sie — nein, wahrhaftig, sie erröthete nicht einmal, sie lächelte ganz zu traulich und grüßte mit einer Kopfneigung. Von da an war Frau Cranz gerichtet, man mied sie, man begann sie zu Haffen. Sie compromittirte sozusagen den Curort. Und nicht etwa, daß sie am nächsten Tage ihre Impertinenz bereut und durch andächtige- Schweigen nach Möglichkeit wieder gut gemacht hätte, — keine Rede davon, im Geaentheil: diese Frau unterhielt sich nur noch lebhafter mit dem Rath, als Tags zuvor, ungeachtet aller drohenden Mienen, alle- Räusperns und Augrnverdrehens der Umsitzenden. Und ver Rath ließ sich das gefallen. Er hatte zwar eine eigene Art, Frau Cranz nicht anzusehen, während er sprach, und gab seine höflich- formelle Gemessenheit, die ihm längst in Fleisch und Blut übergrgangen, nicht auf, aber von einer Abweisung d»r lästigen Schwatzbase merkte man nichts. Ja, man mußte in den nächsten Tagen sogar erleben, daß der Rath mit Frau Cranz auch außerhalb der Curhaus-Tablr-d'hSte sprach, — sei - am Brunnen, sei'« auf der Promenade, — ja, daß er schließlich sogar Nachmittags gemeinsame Spaziergänge nach den üblichen Kaffeestationen und zu den WaldauSsichtrn machte. Das gab eine förmliche Revolution unter der Cur- gesellschast. Gegen sie richtete sich der allgemeine Groll, nicht etwa gegen den Rath, der ja nur als ein Opfer seiner weltmännischen Courtoisie gelten konnte, die ihm keine Wahl gelassen batte. Diese aufdringliche Parvenue mußte eine empfindliche Strafe treffen. Die ganze Curgesellschaft brütete Rache. Vor Allem beschloß man, Erkundigungen über sie ein- zuziehen. Wer war sie? Wa« trieb sie? Man war gar nicht im Zweifel darüber, daß man compromittirende Dinge über sie in Erfahrung bringen werde. Diese dann dem Rath in geeigneter Weise beibringen, ihn zum sofortigen schroffen Abbruch seiner Beziehungen zu Frau Cranz veranlassen und dies« dadurch zwingen, unter allgemeiner Verachtung mit Schimpf und Schande den Curort zu verlassen, — daS war so ungefähr das Leitmotiv für den im Stillen geschmiedeten Racheplan. Nach allen Seiten hin flogen die Briefe um Auskunft über Frau Cranz. Inzwischen begnügte man sich damit, sie durch Blicke zu tödten, durch Tuscheln und viel sagendes Anstoßen mit den Ellenbogen zu beschämen, ohne aber nennenSwerthe Resultate dadurch zu erzielen. Diese Frau hatte eine eiserne Stirn. Immer intimer schien ihr Umgang mit dem Rath zu werden, man sah die Beiden eigentlich den ganzen Tag zusammen. Es war nachgerade ein Scandal. Der Rath selber wunderte sich im Stillen über den wachsenden Einfluß, den diese Frau auf ihn auSübte. Er war leidend, verbittert und in menschenfeindlichster Stimmung hierhergekommen. Und nun füblte er sich nicht nur körperlich von Tag zu Tag wohler, dank dem heilkräftigen Brunnen, sondern auch innerlich um so viel befriedigter und weltfreund licher, weicher und milder, daß er au» dem Erstaunen über sich selber nicht herauskam. Er konnte kaum darüber zweifeln, daß diese merkwürdige Frau an den. Allen die Schuld trug. Sie lachte ihm seine Grillen fort, sie verscheuchte ihm durch munteres, geistvolle«, angeregte- Geplauder die sorgenvollen und trüben Gedanken. Sie hatte «ine besonders feine Art, da- Leben zu nehmen, wie es war, und jedem Ding die beste Seite abzugewinnen. Manchmal erinnerte sie ihn darin an eine Gestalt au« ferner, ferner Jugendzeit. Vielleicht trug auch das eia wenig dazu bei, ihm den Umgang mit ihr so sympathisch zu machen und diesem Umgang einen so weit gehenden Einfluß auf sich einzuräumen. Mit der Zeit konnte er diesen Umgang gar nicht mehr entbehren und wurde er dieser Frau gegenüber so vertrauensselig und offenherzig, wie e« se,ne Art sonst nicht wahr. E« drängte ihn darnach, es zwang ihn dazu. Und auch er fragte sich manchmal im Stillen, gerade wie die ganze Curgesellschaft de- Oertchen«: wer sie Wohl eigentlich sein mag? Daß sie die Frau eine» Beamten war, so viel hatte sie ihn errathen lassen, und da- nahm ihn natürlich besonder« für sie ein. Durch die Viel seitigkeit ihrer Interessen und durch ihre Weltkenatniß, sowie durch die Fülle ihrer Bekanntschaften in allen Lebens- und Berufjckreisen fiel sie ihm aber aus- Vortbeilhaftrste unter allen Beamtenfrauen auf, die ihm )e begegnet Ware». Und reizvoller al« alle war sie trotz ihrer fünfzig Jahre, di- sie ,a wohl zählen mochte, sicherlich. - - * ' i" Eine- Tages konnte er endlich nicht mehr umhin, seiner neuen Freundin den schweren Kummer seine« Leben- zu er- öffnen, denselben, der ,hn krank gemacht hatte und ihm sein "."-U^rte. «r war Wittwer, hatte nur einen leben-volle», rrichtalrvtirten ungewöhnlich jungen Jahren einzigen Sohn, einen prächtigen. Burschen, der e« glücklich °n i schon bis zum Assessor gebracht hatte und Gott weiß wie weit bringen würde mit seinem Wissen und seiner Begabung. Und dieser Sohn hatte plötzlich die Caprice bekommen, «s stecke ein Dichter in ihm, wollte umsatteln, sich nahe einer lebenslangen, ehrenvollen Versorgung, wie er war, aus's uferlose Meer hinauswagen, allen Traditionen deS Hauses und Namens Hohn sprechen. Und das war noch nicht einmal Alles! Er hatte auch noch ein LiebeSverhältniß mit einer kleinen Schauspielerin, — einer ganz unbedeutenden Person wie eS schien, und wollte die sogar heiratheu. Tollheit über Tollheit! Ihm, dem Vater, der auf diesen Sohn alle Zu- kunstShoffnungen seines Lebens gegründet hatte, war's geradezu ein Todesstoß. Es hatte ihn krank gemacht, eS würde ihn nie wieder ganz genesen lassen. Und Victor war ein Starr kops, ihn auf den rechten Weg zurückzuführe», wenig Aus sicht. Da« Frauenzimmer, dem er die Ehe versprochen, würde ihn natürlich nicht wieder loslassen, — es war eine verzweifelte Geschichte. Frau Cranz hörte daS Alles — es war am Wald und auf einer Ruhebank und da» Thal lag im Abendfrirden ihren Füßen — mit an, hin und wieder leise lächelnd, adc: ohne den Rath mit einem Wort zu unterbrechen. Nun, nack einem kleinen Stillschweigen, fragte sie mit eigenartiger Bc tonung: „Und Sie, Herr Rath, haben Sie in Ihrer Jugend Wohl niemals ähnliche Streiche gemacht oder, besser gesagt, sind nie zu ähnlichen Sriteasprüngen geneigt gewesen, nichi wahr? Ich frage daS bloS — verzeihen Sie —, weil ich eine Anhängerin der Vererbungstheorie bin. Und da ist es doch merkwürdig, wie solch' ein fremder Tropfen in so solide- Beamtenblut hineingerath." Rath Hillmann war bei diesen Worten etwa- unruhig auf der Bank hin- und hergerückt, batte seiner Nachbarin einen unruhigen Seitenblick zugeworfen und war dann in eine merkwürdig sinnende, träumerische Stimmung verfallen. „Nein", hatte er erst sagen wollen, fügte dann aber nicht ganz ohne Verlegenheit hinzu: „DaS heißt — nun ja, sehen Sir, verehrte Freundin, man ist ja auch einmal jung gewesen. — Man hat ja wohl auch einmal Verse gemacht, man bat sogar von sich eine Zeitlang geglaubt, man könne es zu etwa« Be sonderem bringen, — lieber Gott, ja. — Aber man Hörle auf vernünftigen, väterlichen Rath und lernte sich bescheiden" ^7° kr seufzte ganz leise, — „es mußte eben sein. Und schließ lich — maa ist ja nicht „daran »u Grunde gegangen", setzte er mit einem gewissen melancholischen Lächeln Hinz«. „Nein", sagte Fra« Cranz und lächelte ganz in ähnliche» Art. „Sie hatten aber auch wohl keine Liebschaft im Genre 2-res Herrn Sohne«, Herr Rath? Und va- ist doch wokl das Erschwerendste dabei l" Diesmal kam Rath Hillmann s Antwort »och zögere»»»,
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