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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.01.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-01-31
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189701310
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18970131
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18970131
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-01
- Tag1897-01-31
- Monat1897-01
- Jahr1897
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.01.1897
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Gröbere Schriften laut unserem Preis verzeichnis,. Tabellarischer und Zifsernsap nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), n«r mit der Morgen - Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 7V.—. Annahmrschluß fir Anzeigen: Abrnd-AuSgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet« an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz iu Leipzig. 55. Sonntag den 31. Januar 1897. 91. Jahrgang. Aus -er Woche. Das garstige Lied von der Verödung der stkrich Stag» Hallen ist in der vergangenen Woche in allen Tonarten gesungen worden. Das ist keine neue Erscheinung, demerkenSwrrth ist nur, was aber gerade am wenigsten beachtet wurde, daß nämlich Herr Richter eS ist, der in seiner „Freisinnigen Zeitung" diesmal angefangen hat, und wie er angesangen hat. Der Führer der Freisinnigen BolkSpartei, der am 23. März 1895 einen Parteigenossen den Sitz des zweiten Präsidenten hat erklimmen sehen und bald nach dem Rücktritt der Herren v. Levetzow und Bürklin herausfordernd rief „ES geht auch so", fühlt wohl, daß er die Mit verantwortung dafür trägt, daß es nun so gar nicht geht. Er macht deshalb die gewagtesten Sprünge, um einen Stand punkt zu gewinnen, von dem aus betrachtet die Leere im Reichstag einerseits die Demokratie nicht zu berübren braucht, andererseits etwas Harmlose- ist. „Die Ver pflichtung. für das Vorhandensein einer beschlußfähigen Mehrheit zu sorgen", so schreibt Herr Richter, „liegt in erster Reihe den Mehrheitsparteien im Sinne der Regierung ob, zu denen die Freisinnige Volköpartei nicht gehört." ES ist nicht unseres Amtes, dagegen zu prolestiren, daß der unentwegte Oppositionsmann mit diesem Satze sagt, die Abgeordneten der Opposition seien Abgeordnete zweiter Elaste, die als untergeordnete Elemente auch weniger Pflichten hätten, als die Mitglieder der „Regierungsmehrheit", welchen Begriff die „Freis. Ztg.", wie sie hinzuznfügen nicht unter läßt, mit dem nagelneuen Ausdruck „Mehrheitsparteien in» Sinne der Regierung" bezeichnet haben will. Um diese Herabsetzung der demokratisch-klerikalen Mehrheit, die that- jächlich den Reichstag beherrscht, mögen Andere mit Herrn Richter rechten; uns kommt es nur darauf an, den doppelten Schwindel aufzudecken, der damit versucht wird, daß man da» Vorhandensein einer festen Regierungsmehrheit in diesem Reichstag singirt und eS so darstellt, als ob die demokratischen Parteien niemals grholsen hätten, eine Reaierungmehrbeit zu bilden. Zn der politisch wich tigsten Frage, die in der laufenden Legislaturperiode auf geworfen würden ist, in der der Finanzreform, Hst — bei sonstigen Gelegenheiten brüstet sich Herr Richter damit — die Regierung überhaupt keine Mehrheit gefunden. Zu anderen, wie z. B. beim Antrag Kanitz, haben die Parteien der Linke» hinter der Regierung gestanden, sind also „Mehrheitsparteien im Sinne der Regierung" gewesen. Die grobe Irreführung, die in der Construction dieses Begriffs für den gegenwärtigen Reichstag liegt, wagt die „Freis. Ztg." auch weiter, indem sie schreibt: „Wenn Gesetzentwürfe, die mit viel Aufwand von Zeit und Arbeit berathen sind, schließlich iu den Brunnen fallen, weil die Regierung so und so viel Mehrheitsbeschlüsse als unannehmbar be zeichnet, so ist dies nicht geeignet, die Theilnahme an Len Sitzungen und Arbeiten de» Reichstag» zn fördern." Herr Richter wünscht, es möge Einem bei diesen Worten die, übrigens vom Freisinn kräftig mit ruinirte, Zustiz- novelle einfallrn; wir gestatten uns, an die Ablehnung des vom Reichstag erweiterten Margarinegesetzes zu denken, besten Versenkung in einen Brnnnen die freisinnige Arbeits- frrudigkeit gewiß nicht gemindert hat. Die Gedankeuverrenkungen des Herrn und Meisters de- Vicepräsidenten Schmidt ändern nichts daran, daß der Reichs tag thatsächlich die Mehrheit hat, die im Präsidium zum Ausdruck kommt, und daß der richtige Satz des Herrn Richter von der größeren Verantwortlichkeit der Mehrheitsparteien für die Beschlußfähigkeit sich gegen die demokratischen Parteien richtet. Herr Richter fühlt dies selbst und meint schließlich, die Oede im Reichstage habe nicht viel zu sagen. Den „idealen Vorstellungen der Herren von der Journalistentribüne" brauchten die Abgeordneten nicht Rechnung zu tragen. Nun, das Ideal, das nicht nur den Journalisten, sondern auch anderen Leuten vorschwebt, ist bei DiScussionen die regelmäßige Anwesen heit von etwa 80 bis 100 Herren. Der „Kartellreichstag" ist unter diese Frequenz nie und selten auf sie herabgesunken, waS Herrn Richter, der doch nicht auf, sondern unterhalb der Journalistentribüne seine Beobachtungen macht, seiner Zeit nicht abgehalten hat, von einem „miserablen Besuche" zu reden und diesen dem „Kartellmarasmus" in die Schuhe zu schieben. Daß man preußischer Finanzmann sein, durch seltenes Erscheinen in einem solchen Reichstage den Zorn deS Herrn I)r. Lieber erregen und doch den Schwarzen Adlerorden erhalten kann, ist freilich ein trauriger Beweis für die Unvollkommen heit der Dinge auf diesem Planeten. Noch dazu, nachdem die immer die Tageserscheinunaen richtig beobachtende und wahrbast getreu schildernde „Germania" soeben in Bezug auf Or. Miquel'S Tbätigkeit freudigen Herzens batte auS- rufen dürfen: „ES gelingt nichts mehr." Es ist auch wirklich arg. Statt daß der so ausgezeichnet dazu qualisicirte Herr Fusangel Wirklicher Geheimer Rath im Kriegsministerium wird, bekommt Miguel, der bei der Ausgabe der dreiprocenligen Anleihen verrathen hat, daß er nicht einmal rechnen kann, den höchsten Orden! Die Parität fehlt eben. Berliner Blätter vermuthen, der freisinnige Antrag, be treffend die preußische politische Polizei, hätte die Ver ehrer des Fürsten Bismarck unangenehm berührt. Sie irren sehr hierin. Wir hätten vielleicht vor wenigen Tagen noch den Antrag für überflüssig gebalten. Heute ist er deshalb willkommen, weil eS sehr ausfällig ist, daß nun auch die ,Mln. Ztg." verzeichnet, waS schon vorher in der Presse an- aeoeutet worden war, daß nämlich mächtige Einflüsse tbätig seien, um die volle Klärung der durch den Proceß Lecken aufgeworfenen Fragen durch den Proceß Tausch zu hindern. Mit den Bedenken gegen die „Flucht an dieOeffentlichkeit" haben wir nie zurückgehaiten, aber sie ist nun einmal erfolgt und hat den Meineid s- Proceß Tausch gezeugt. Es wäre ein Schlag gegen das Ansehen der Justiz, den diese nie verwinden würde, wenn der unter Mitwirkung eines der höchsten Beamten des Reiches öffentlich erregte dringenden Verdacht gegen Tausch nicht zu einer öffentlichen, auf alle mit der Anklage zu sammenhängenden Fragen ausgedehnten Gerichtsverhandlung führte. Dann würde der Glaube an die „Hintermänner", dessen sich jetzt sogar die demokratischen Zeitungen schämen, mit erneuter Kraft ausleben und sich unausrottbar im Lande festsetzen. AuS diesem Grunde begrüßen wir es, daß den Parteien, die im preußischen Abgeordnetenhause ihr Be fremden über die Regie im Proceß Leckert zum Ausdruck gebracht haben, im Reichstag durch einen Antrag Gelegenheit gegeben wird, jeden etwaigen Zweifel daran zu zerstreuen, daß man im deutschen Reiche keine Meiueivssache durch „mächtige Einflüffe" unterdrückt zu sehen wünscht. Herr von Mendel-Steinfels hat mit seinen An griffen gegen die Börse keine Lorbeeren geerntet; seine miß glückte Verantwortung reiht ihn den Grafen im Herrenhause an, die es den Börsenspekulanten erleichtert haben, den „deutschen Kaufmannsstand" als die Zielscheibe agrarischer Beleidigungen zn bezeichnen. Im Uebrigen wird die Nieder lage veS Heren v. Mendel reichlich compeosirt durch die Er klärungen des Präsidenten der LandwirlhschaftSkammer für Brandenburg, aus denen hervorgeht, daß die Bebauptung der Berliner Produktenbörse» man habe sie unter die Eonkrolle von Leuten, die nicht zur Börse gehörten und nicht zu den Kosten der Börse beitragen wollten, zu stellen gesucht, falsch war. Die Landwirthschaflstammer als solche hatte sich anheischig gemacht, eine Quote zur Bestreitung der Unkosten der Börse beizutragen, sie hatte es als selbstverständlich bezeichnet, daß Landwirthe, die Mitglieder der Börse werden, das Eintrittsgeld zu bezahlen hätten, und sie war nicht mit der Erklärung zurückgeblieben, daß die Lieferungsbedingungen u. s w. nach ihrer Ansicht „durchaus nicht unter etwa ausschließlich landwirthschaftlichen Gesichtspunkten" festzusetzen seien. Die Kammer hatte ferner, und das ist das Wichtigste, um den Zusammentritt einer aus Händlern, Müllern und Land- wirthen bestehenden Commission zur Lösung der „außer ordentlich schwierigen Fragen" gebeten. Alles vergebens, der Produktenbörse war und ist es eben darum zu lhun, einen Machtkampf zu führen. Die überlästigen polnischen Gesellen im preußischen Abgeordnetenhause hat schon wieder das Fell gejuckt und sie haben sich innerhalb weniger Wochen zum zweiten Male darüber beschwert, daß die Behörden im Qsten die polnischen Agitatoren nicht in polnischer Sprache Hetzreden gegen Staat und Deutschthum halten lassen, die in deutscher Sprache nach dem Gesetze ganz selbstverständlich nickt in die Menge geschleudert werden dürfen. Der Minister deS Innern Wie den ungeheuerlichen Anspruch auf ein so ungeheuerliches Privilegium abermals schroff zurück und wurde bierin von den Nationalliberalen und den beiden konservativen Frak tionen unterstützt, während sich Herr Rickert mit den Cen- trumSleuten auf die Seite der Bedränger de- Deutsch- thumS stellte. Er that das vermuthlich, um der Behauptung der ..Nationalzeitung" von der Identität der uationalliberaleu und der freisinnigen Ziele eine Unterlagt zu geben Die Nachricht, daß Herr v. Bennigsen bei den nächsten Wahlen nicht mehr canvidiren werde, wird in allen national und liberal gesinnten Kreisen aufrichtiges Bedauern er wecken, aber überraschen kann sie nicht. Zeder halb wegs Unterrichtete wußte, daß Herr v. Bennigsen die Mit wirkung am Bürgerlichen Gesetzbuch als das letzte Glied in der Kette seiner parlamentarischen Arbeit bezeichnet und nur auf Andrängen seiner Freunde nicht bereits auch den for mellen Abschluß seiner Abgeordneteulaufbahn herbeigeführt hat. Deutsches Reich. Berlin, 30. Januar. Die Entschließung deS preu ßischen Staatsministeriums gegen die Zulässigkeit de» Beschlusses der ReichStagS-Budgetcommission, die Ausgabe position im Reichsinvalidenfonds zur Gewäbrung von Beihilfen an hilfsbedürftige Kriegstheilnebmer von 1,8 Millionen Mark auf 2 760 000 zu erhöben, hat dem Vernehmen nach nicht die Bedeutung, der Zuwendung deS ChrensoldeS an alle Veteranen, die als hilfsbedürftig und erwerbsunfähig nach dem Wortlaute des Gesetzes vom 22. Mai 1895 darauf Anspruch haben, in den Weg zu treten. Es handelt sich lediglich um staatsrechtliche Bedenken. Die Regierung vertritt den Standpunkt, daß verfassungs mäßig das Parlament die Ausgaben im Etat nicht erhöhen kann. Ein zweiter Punkt von staatsrechtlicher Bedeutung betrifft die von der Commission angenommene Resolution des nationalliberalen Abg. vr. Hammacher, welcher einen andern Vertheilungömaßstab als den bisherigen anregt. Diese Resolution greift in der That an die Wurzel der Un zulänglichkeit deS bisherigen VertbeilungSmodus. Das Gesetz vom 22. Mai 1895 bestimmt: AuS den Zinsen von 83 Millionen Mark überschüssigen Capitals des Reichsinvalidenfonds werden 1,8 Millionen bereit gestellt „behufs Gewährung von Beihilfen an solche Personen des Unterofficier- und Mann- sckaftSstandeS des Heeres und der Marine, welche an dem Feldzuge von 1870/71 oder an den von deutschen Staaten vor 1870 geführten Kriegen ehrenvollen Antheil genommen haben und sich wegen dauernder, gänzlicher Erwerbsunfähig keit in unterstützungsbedürftiger Lage befinden" Die Bei hilfen betragen je 120 ^ Diese 1,8 Millionen sind bisher nach der Kopfzahl der Bevölkerung der Bundesstaaten an diese zur Vertheilung gelangt und in Preußen selbst wieder auf Provinzen und Bezirke mechanisch vertbeilt worden. Ungefähr 6—8000 sind zurückgekommen; in einzelnen Staaten, wo mehr Bedürftige waren, als die überwiesene Quote berück sichtigte, sind viele Unterstützungsbedürftige nicht zu dem Ehrensolde gelangt, während anderswo frühere Kriegötbeil nehmer, da mehr Geld als Hilfsbedürftige vorhanden war, auch wenn sie noch im Erwerb sich befanden, den Ehrensold erhalten haben. Aber weder das Eine, noch vaS Andere ent spricht dem Zwecke des Gesetzes. Ein VertbeilungSmodus aber, der nicht mechanisch nach der Kopszabl, sondern wirklich ausschließlich den Bedürftigen und Berechtigten den Ebrensold zuwendet, kann nur auf dem Wege der Gesetzgebung er folgen. Im Uebrigen handelt es sich bei dem angefochtenen Beschlüsse der Bubgetcommission, wie auch der Abgeordnete Or. Hammacher in der Commission dqrlegte, in der Sache nicht um Erhöhung eines AuSgnbepostenS, sondern um die Correctur eines Rechenfehlers. Die Negierung Halle für den Ausgabeposten mit 1Ü000 Empfangsberechtigten ge rechnet, während, wie sie selbst in der Commission sagte, mehr als 23 000 Berechtigte vorhanden sind. Demgemäß verlangt der CommissionSbeschluß die Einstellung einer Summe von 23 000 x 120 anstatt der irrtbümlich von der Regierung präliminirten Summe von 15 000 x 120^' Bon wesentlicher Bedeutung ist dabei, daß von den Zinsen der oben an geführten 83 Millionen Mark, die auch für diesen Zweck bestimmt sind, erhebliche Beträge erspart worden sind. In der Sache also, so weit die empfangsberechtigten Veteranen in Betracht kommen, wird der Reichstag dabei beharren, daß dem Gesetze entsprochen werden muß. Und wenn statt der Ausrechtervaltung des BudgetcommissionSbeschtusseS die ver bündeten Regierungen den Weg verziehen, der gesetzlichen Vorsorge für die zum Empfang des EbrensoldeS berechtigten Veteranen entsprechend, das erforderliche Mebr von 900 000 Mark in einem besonderen Nachtrag auszuwerfen, — die bisher trotz der gesetzlichen Zusicherung nicht mit dem Ebrensolde bedachten Veteranen werden auch damit sehr zu frieden sein. Feuilleton. Der Ausbau und die Wetterführung -er Fröbel'schen Erziehungsidee, eine Forderung der Zeit. Von Angelika Hartmann. Nachdruck verboten. Jeder, der sich mit dem Studium der Fröbel'schen Er- zirbungSidee beschäftigt, der demnach einen Einblick erhält in die Intentionen deS Pädagogen, wird zu der Ueberzeugung gelangen, daß derselbe mit der Schöpfung deS Kindergartens allein, wie da- so vielfach angenommen wird, nicht hat seiner Idee Ausdruck geben wollen; Fröbel hat vielmehr, weil er gleich Pestalozzi das Kind von der Geburt ab erzogen wissen will, die Erziehungsarbeit im Kindergarten erstens als Folge der häuslichen, dann aber auch als eine Vorarbeit für die Aufgaben hingrstellt» welche nach erziehlicher Seite hin Schule und Leben, und zwar daS letztere mit den verschiedenen häuslichen und gesellschaftlichen Einflüssen, zu lösen baden. Sein« Ansicht gebt dahin, daß auf allen diesen einzelnen Stufen, die da» Kind zu durchlaufen hat, eS am Ende einer jeden zu der für dieselbe bestimmten Entwicklung, gemäß inner Individualität, zu einer harmonischen Gestaltung ge langen soll, damit, so lauten seine eigenen Worte, dasselbe „wie ein neuer Schuß au» der vorhandenen Knospe hervor- gehe". Allseitig« Entwickelung der im Kinde schlummernden und zur Gestaltung drängenden Kräfte, körperliche und geistige Gesundheit soll daS Ziel sein, daS der Erzieher bei jedem Lebensabschnitt de« Zögling» zu erreichen hat. Daß Fröbel Erreichung diese» Ziele» die trefflichsten, zweckentsprechenden Mittel angewiesen hat macht nicht allein sein ErziehungS- shstrm für alle Zeiten werthvoll, sondern e» zeigt dir« auch von der araialen Beanlagung de- Pädagogen, der mit wunder barem Erberblick da» kindliche Wesen durchforschte und, von der natürlichen Entfaltung der Seelen- und Körprrkräfte selbst auSgrhend, die Beobachtung der daran» sich ergebenden ioechsrladen Erscheinungen, also der kindlichen Individualität als di« erste Forderung hiastelltr die Erziehungsarbeit zur ErziehungSkunstzu erheben Er hat nun zwar in seinem pädagogischen Werk« „Die Menschenerziehung" seine Grundsätze nirdrrgelegt, auch, zwar oft nur aphoristisch die Mittel und Wege angegeben, wie dieselben in der Prari» anzuwendea sind — e» ist ihm aber nicht möglich gewesen in seinem arbeitsreichen, von vielen Kämpfen bedrängten Leben diesen seinen aufgestellten Erziehungstheorien für alle Leben-alter insofern einen Ausdruck zu geben, als er zur praktischen Verwirklichung derselben hätte Anstalten gründen können, in denen unter sortgesetzer Leitung nach seinem Sinne und in seinem Geiste «in bestimmter Ab schluß in der Ausbildung von erwachsenen Zöglingen zu er reichen gewesen wäre. Nach dieser Seite hin ist also die Fröbel'sche ErziebungS- idee noch auszubauen und weiterzuführen. Diesen Ausbau zu vollziehen, haben alle diejenigen die Aufgabe und Pflicht, die die geistige Erbschaft deS Meister- angetreten, sich in den Dienst seiner Erziehungsidee gestellt und, indem sie seine Grundsätze als Axiome anerkannt haben, dieselben für ihre er ziehliche Thätigkeit verwertben. Die hierzu Berufenen müssen namentlich inö Auge fassen, diejenigen Anstalten, die heute zwar im Fröbel'schen Geiste geleitet werden, aber vereinzelt ohne organischen Zusammen hang bestehen, mit einander in Verbindung zn bringen, so die Lücken, welche durch diese Zusammenbanalosigkeit bei der Ausbildung der Zöglinge entstehen, auszufüllen und da« Hemmniß zu entfernen, das der harmonischen, von Stufe zu Stufe fortschreitenden, also naturgemäßen Entwickelung ent gegensteht. Wo muß nun begonnen werden, um diese ungestörte Ein wirkung der Fröbel'schen Erziehungsweise zu erzielen und dadurch auch sie selbst in da» reckte Licht zu stellen und ihr diejenige Würdigung zu verschaffen, die sie in einheitlicher Auffassung und Ausführung verdient? Da stellt sich schon für die erste Stufe der menschlichen Entwickelung, da» Säug- lingSalter, di« Nothweodigkeit heraus, daß sie, wir ich da» bereit« erwähnt habe, al» eine Vorstufe zur Erziehung de« Kinde« im ersten Kindheit-alter betrachtet werden muß. Fröbel hat sowohl in den beiden ersten seiner sechs Gaben — so werden diese Erziehungsmittel von ihm bezeichnet —, ebenfalls in seinen Mutter- und Koseliedern der Mutter An weisung gegeben, wir sie verfahren soll, um beim Kinde in dieser ersten LrbenSperiode die fick lei- entfaltende Sinnes» thätigkeit zu entwickeln, eS zu Bewegungen seiner Glieder anzuregen und dieselben zu regeln. Sinnes- und Glieder- thätigkeit, zu welchen Einflüssen die Mutter durch Beispiel und Gewöhnung noch Maßregeln zu treffen hat» da» Kind vor allem Schädlichen zu bewahren und den Grund zu später hervortretrndrn guten Eigenschaften zu legen, — sind also die Ausgangspunkte für «in« naturgemäße, normale Entfaltung der körperlichen und seelischen Thätigkeiten. Aus dieser Arbeit, von der liebenden, aber auch ver- ständnißvvllen und ihrer hohen Aufgabe bewußten Mutter vollzogen, baut sich nun die weitere auf, welche der Kindergarten im Vereine mit der Familie zu leisten hat. Wer Einblick hat in die Erziehungsstätte, welche Fröbel so schön mit dem Namen Kindergarten, der die Kleinen als zarte MensckenknoSpen ausnehmen, pflegen und behüten soll, bezeichnet, wird unbedingt eine genaue Stufenfolge, sowohl in der Wahl der Erziehungsmittel, wie in der Art der Behand lung und Leitung, in Beziehung gesetzt zu den Forderungen für da« erste Lebensjahr, wabrnebmen. Der Kindergarten soll eine erweiterte Familie darstellen; die ErziebungSaufgabe besteht darin, durch Brschäftigungsmittel mannigfacher Art des KindeS Hand geschickt zu macken, seine Sinne durch An schauung und Darstellung von Formen zu üben und daber zu kräftigen und durch die fortgesetzte Darstellung die Kraft der Wiedergabe beim kleinen Zöglinge zu bilden, womit zugleich die Selbstthat erzogen und des KindeS Schaffenstrieb be friedigt wird. Die Bewegungsspiele bezwecken erweiterte und vervielfältigte Gliederübung nnd sind, indem man Erzählung und Anschauung von Naturobjecten mit ihnen verbindet, und dieselben im Freien ausführen läßr, ein treffliche» Mittel, die kleinen Zöglinge in die Natur und in die sie umgebenden Verhältnisse einzufübren; sie bieten Gelegenheit, die Sprache zu entwickeln, den Gesang zu pflegen und treffliche Charakter eigenschaften zu erwecken. Zwilchen sorgsamer, vernünftiger Familirnerzirhung und derjenigen im Kindergarten findet also demgemäß eine innige Wechselwirkung und Zusammen gehörigkeit statt, und wird daS Kind, wenn eS aus der erstrren in die letztere eintritt, in demselben Geiste, von den selben Grundanschauungen geleitet, aber selbstverständlich seinem fortgeschrittenen Alter gemäß auch mit vielseitigeren Mitteln, doch diese den gleichen Zwecken dienend, erzogen. Ganz anders verhält es sich, wenn das Kind bei schulreifem Alter in die Schul« rintritt. Während eS im Kindergarten rin sinniges Anschauen, ein mehr und mebr freies Darstellen von seinen Schönheitssinn entwickelnden Formen geübt bat, und somit Auge und Hand, und in den Bewegungsspielen die grsammten körperlichen Qrgane tbätig gewesen sind, bietet ibm der Schulunterricht fast lediglich, auch selbst im ersten Schuljahre, nur BildungSmittrl für den sich nun in dieser Zeit allerdings lebhafter entwickelnden Geist. Es tritt also vier ein andere« Princip auf — einseitiger, die natürliche Beanlagung de« Kindes beschränkend, wenigsten» ihr nicht volle und ausgiebige Gelegenheit zur freien Entwickelung bietend. Ich würdige und verehre aus voller Ueberzeugung da« hohe, ideale, humane Ziel unserer heutigen Schule, den nach dieser Seite hin sich außerdem Prstalozzi'schen Geist, die Forderung einer formalen Ausbildung der seelischen Kräfte, aber unsere jetzige Zeit, und auch die Organisation des Menschen selbst, verlangt die Ausbildung aller, auch der körperlichen Kräfte, eine gewisse technische Geschicklichkeit, die gleichzeitig mit der VerstandeSdilvung inS Auge gefaßt werden muß, da die Betbätigunq nach dieser Seite bin auck besonders auf die Ausbildung deS Willen» wirkt, überhaupt für die Bildung vieler guten Charaktereigenschaften wesentlich ist. Entgegne man nicht: „Die Schule kann nicht Alles thun"; — gewiß ist das nicht zu verlangen, aber sie muß, wie daS auch Pestalozzi fordert, den ganzen Menschen bei ihrem ErziebungS- werke berücksichtigen, das „Können", wie Pestalozzi will, mehr als bisher betonen und besonder- in der Zeit, in welcher die Kinder noch vorwiegend SinneSmenscken sind, in welcher ebenfalls die körperlichen Organe nach Entwickelung ringen, diesen mehr und vielseitigere Bethätigung gewähre». Für den ersten Elementarunterricht würde nun die Einfügung der Fröbel'schen Erziehungsmittel, erweitert für die unterrichtliche Thätigkeit, ein zweckentsprechende» Hilfsmittel sein, diese letztere mebr allseitig bildend zu gestalten. Mit einsichtsvollen Anordnungen, dem rechten methodischen Geschick und mit dem zu fordernden pädagogischen Takte kann, wie ich in meiner Schrift „Wie kann die organische Verbindung des Kinder garten- mit der Elementarschule hergestellt werden", nach- gewiesea habe, die« praktisch durchgesührt werden. Damit wäre, da die Fröbel'sche Methode eine Verschmelzung von Spiel und Arbeit fordert, die Schule aber dann eine solche von Lernen und Arbeit vollzöge, — eine gemeinsame Grund lage für beide Anstalten geschaffen und eine lückenlose Aus bildung der Zöglinge nach ein und demselben Principe erreicht. Mit dieser Einrichtung würde nicht allein die Schule eine von der heutigen Zeit geforderte Neugestaltung, und daher eine für duS gemeinsame Culturleben noch einfluß reichere Stellung erhalten, sondern auch die Fröbel'sche Erziebung-weise, vor Allem die Kindergartenerziehung, die deute, so zu sagen, noch in der Luft schwebt, deren Resultate durchaus nicht genügend zur Geltung kommen, würde als eine nothwendige. von Familie und Staat anerkannte Vorarbeit ihrer Bedeutung nach gewürdigt, und ihr der Platz angewiesen werden, auf dem sie als wichtiger Factor im Cultur- und ErriehungSleben angesehen werden muß. In diesem Sinne, also nicht loS- getrennt von jeder Erziehungsarbeit, sondern als Vorstufe einer weiteren, als Vorstufe für die Schule, einer Schule, welche auf der breiten Grundlage einer gesunden, natur gemäßen, alle Kräfte deS Zöglings ins Auge fassenden Erziehungsarbeit sich erhebt, die als leitende» Princip den
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