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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.02.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-02-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970204023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897020402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897020402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-02
- Tag1897-02-04
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Die im heutigen Morgenblatt mit- getheiite Antwort der „Freisinnigen Bereinigung" auf Herrn Richter's abweisenden Bescheid war dem vvlksparteilichen Führer bei der Ausgabe der letzten Nummer seines Moni teurs noch nicht bekannt, aber in der, wie sich nun kerausgestellt hat. richtigen Annahme, daß die Herren Rickert und Bamberger nichts schreiben würden, was nicht vorher in ihren Blättern gestanden, hat er sich mit diesen in einem „Was nun weiter?" über- schriebenen Aritikel abgefunden. Die Frage bedeutet: Kommt der in Erwägung gezogene „Aufruf an das Volk", oder ruht die „Vereinigung" auf ihren eben gepflückten Lor beeren auS und bringt so die AuseinanderversländigungS- action der „Liberalen" zum einstweiligen Stillstand? Wahr scheinlich entschließt man sich zu dem Letzteren; denn das Echo, das Herr Rickert erweckt bat, klingt nickt ermulhigend. Tie nahmhaften Organe der Volkspartei nahmen Stellung im Sinne Richter's, noch ehe dieser gesprochen halte. Eine Ausnahme machte nur der in Nürnberg erscheinende „Fränk. Cour.", der sonst allerdings zu den ergebensten der Ergebenen des Parteidictators gehört. Aber vermulh- lick hat sich dieses Blatt inzwischen schon der Berliner Willensmeinung accomodirt, und wenn nicht, so wird es dieses alsbald geralhen finden. Jedenfalls sind die Be denken des fränkischen Blattes für die „Vereinigung" nickt so wertkvoll, wie die Haltung der „Franks. Ztg." für sie niederdrückend ist. Mit diesem demokratischen Organ war wegen eines von ihm gebrachten, die „gemeinsame Be- täwpfung der Reaction" empfehlenden Artikels viel Staat g> .icht worden, nun aber schreibt cs: „Das Ungestüm der freisinnigen Vereinigung scheint uns keine För- deruug der Sache zu bringen, ihr Schreiben entspricht mehr dem Eifer, sich durch Abschluß eines Rückoersichcrungsvertrages einen künftigen Vortheil zu sichern, als der Lage der Verhältnisse, die der freisinnigen Bereinigung dieselbe Zurückhaltung hatte auferiegcn müssen, die von der deutschen (süddeutschen) Volkspartei in dieser Angelegenheit gewahrt wird." Diese Sprache wird die Herren Rickert, Pachnicke und Barth um so weniger ermuthigen, als sie bei der wohl- bekannten persönlichen Abneigung des Hintermannes der „Franks. Ztg." gegen Richter dem Blatte nicht leicht gefallen sein kann. Herr Richter seinerseits scheint weitere Schritte vorauszusehen, er spricht von Privatäußerungen, nach denen beabsichtigt sei, seinen Parteigenoffen Langerhans aus dem ersten BerlinerReickstagswablkreisezn verdrängen,und bemerkt: „Wundern würde es uns nicht, wenn man einen kleinen Putsch in diesem oder jenem Zirkel versuchen sollte. Tenn wäre das An» schreiben (der Vereinigung) wirklich so friedlich gemeint, wie es im „Verl. Tagebl." gerühmt wird, jo würde man nicht dazu geschritten sein, dasselbe vor erhaltener Antwort zu veröffentlichen. Im diplo matischen Verkehr pflegt man stets öffentliche Sommationen solcher Art als die Einleitung zur Kriegserklärung anzusehen." Eine ähnliche Auffassung ist auch an dieser Stelle am Dienstag bekundet worden, aber das zweite „Anschreiben" der freisinnigen Vereinigung verräth nicht so viel Unternehmungs geist, daß inan weiterhin glauben könnte, der persönliche, sehr persönliche Thatendrang deö Herrn Pachnicke werde den Schutz verband gegen agrarische Uebergriffe zu kriegerischen Unter nehmungen fortreitzen. Und sie werden weise handeln,wenn sie nicht bandeln. Denn ihreSache ist auf nichts weiter gestellt, als auf die Einbildung, der „Sckutzverband" könne Massen in Bewegung setzen, eine Vorstellung, die ihrerseits genährt wird durch den Umstand, daß wohl in jeder Stadt sich ein paar Dutzend persönlich angesehene „Volksparteiler" und vielleicht ebensoviel Nationalliberalc finden, die eine Verständigung aller „Liberalen" unter der Führung der freisinnigen Vereinigung für möglich und wünschenswerth kalten. Diese Vereinzelten bestärken die letztgenannte Gruppe darin, sich, wie die „Freis.Ztg." cs richtig ausvrückt, „als «ine höhere, allumsassende liberale Richtung hinzustellen unv damit die andere freisinnige Richtung als unebenbürtig zu behandeln". Wenn freilich Herr Richter aus diesem Grunde findet, daß sich mit der nationalliberalen Partei eher noch als mit der „freisinnigen Vereinigung" verhandeln ließe, so sind wir überzeugt, baß er sich hierin überall dort lauschen wird, wo es nicht gilt, socialdemokratische Wahlsiege zu verhindern. Indessen weist auch Richter, und wiederum ganz richtig, auf das Bestehen einer socialdemokralischen Partei als eine Thatsacke sei, die die Wahlparole „hie Junkerthum, die Bürgerthum" unbrauchbar macht. Wenn der volksparteiliche Führer ankeutet, daß er nicht geneigt oder doch wenigstens nickt entschlossen sei, in Stichwahlen „zwischen Social- demokratie und Junkertbum den Gegensatz zum Junker- thum durch Stimmabgabe für die Socialdemokratie zu belbätigen", so ist das als der Beginn einer besseren Einsicht zu begrüßen, von der es allerdings sehr zweifelhaft ist, ob sie ihn bei den nächsten Wahlen lenken werde. Wäre dies aber auch bestimmt zu erwarten, so bliebe für die Nationalliberalen noch als Trennungsmoment die weitere Thatsache, daß Volkspartei sowohl, als freisinnige Bereinigung unter dem Begriff „Junkerthum" alle Bestrebungen zu- sammenfaffen, die ihren Ausgangspunkt nickt von der An sicht nehmen, baß gegenüber den Interessen der Consumenten diejenigen der Production nicht in Betracht kommen dürfen. Wir sprechen geflissentlich von der „Production" schlechthin, nickt von der landwirtbschafrlichen Produktion; denn Herr Or. Barth ist bereits wieder so weit, in der „Nation" die „Schlotbarone" gleichzeitig mit den Grundbesitzern anzusallen, eine Thatsache, die wir benebsi dem darüber entstandenen Gaudium der „Kreuzzeitung" der Beachtung der „Mageeburgischen Zeitung", die in dem Auftreten der „freisinnigen Vereinigung" ein „Verdienst" erblickt, sowie der des „Hannoverschen Courier-" empfehlen. Dem letzteren Blatte um so angelegentlicher, als jener Parteinahme für die Herren Barth, Äambcrger, Rickert der Verlust eines von jeher nationalliberalen hannoverschen LandtagsmandaiS an einen extremen Agrarier auf dem Fuße gefolgt ist. Ergänzend fügen wir dem Vorstehenden hinzu, daß, wie wir soeben sehen, Herr Richter auf die von der freisinnigen Vereinigung ausgestellte Quittung über gehabten Mißerfolg auch noch vfficiell geantwortet hat. Nämlich wie folgt: Sehr geehrte Herren! Aus der Zuschrift von gestern hat unser geschäftsführeuder Aus schuß gern entnommen, daß Sie die allgemeine An- rrkennung des Fractionsbesitz stau des als Vor bedingung weiterer Verhandlungen nunmehr fallen lassen. Damit ist die am Schluß meine- Antwortschreibens vom Sonntag angedeutete Möglichkeit gegeben, über „eine Cooperation in den dazu geeigneten LandrSthcilen" zu verhandeln. Wir sind demgemäß bereit, die in Ihrem Schreiben vom 3u. Januar in Aus- sicht genommenen „Vorschläge betreffs anderer Wahlkreise, die gegenwärtig nicht durch Freisinnige vertreten sind", entgegenzunehmen und den Parteigenossen in diesen Wahlkreisen zu unterbreiten. Au, d-u zud-n 8 L" AuSiührimgen zuriiHukomiii.n, «r>> Reiche grunb. WLr L-.'"' N mÄ« °°" """"" «.„«...ii,.,» ^ Eugen Richter. Die gesperrten Stellen sind auch in, Original durch den Druck hervorgehoben. Wer es nickt obneb.n berausgesundeu hat kann diesem Umstand entnehmen, daß es darum zu thun war: eritens der Verewigung dolw',ch e.nen von >br nicht ausgesprochenen Verzicht aus V,- Wabru g ve Besitzstandes zu impunren, sodann der S^ckc>l»,eNl-ren Schwester eineu „Tadel" wegen der Flucht in b>-Oefsintlick- keil ins Censureubtlch zu schreibe». Wer den Schaden ha, braucht für den Spott uicht zu sorgen. politische Tagesschau. * Leipzig, 4. Februar. Aus einem eingehenden Berichte über den ersten Congreß der christlichen Bergarbeitervereine Deutschland« erseber. wir beute, daß die Mahnung des „national' socialen" Herrn Pfarrers Raumann, die christlichen Berg- arbeltervereine möchten doch ihre gesonderte Organijalion aufgeben und sich mit dem bereit- bestehenden social- demokratischen Bergarbeiterverdande vereinigen, da sie durch eine solche Vereinigung mehr erzielen könnten, keineswegs tauben Obren gepredigt wurde. Seine Mahnung fand „stürmischen Beifall" und würde wahr scheinlich die von dem Redner beabsichtigte Wirkung gehabt haben, wenn nicht der Vorsitzenve Bruil durch den Hinweis auf seine Erfahrungen die Versammlung um- gcstimmt hätte. Besonder« iebrreich ist eS, daß Herr Naumann sich bei seiner Mahnung ausdenfrüherrnCaplanOr.Ober- dörsfrr (jetzt Pfarrer in Stolberg) berief, der in der ersten Beratbung zur Gründung eines christlichen Bergarbeiier- verbandes am 28. Oktober 1894 erklärte: „In Len Gruben arbeiten uicht bloß christlich gesinnte, sondern auch ungläubige Arbeiter, die ebenfalls beste,bt sind, ihre wirth- jckastliche Lage aufzubessern. Deshalb empfiehlt es sich, diese Arbeiter nicht als Feinde zu betrachten, denn es können Zeiten ein- treten, in denen es das Interesse der Bergarbeiter erheischt, wie ein Mann zusammenzustehen ohne jeglichen Unterickird. Ick empfehle nicht em Zu lammen gehen mit den ungläubigen Bergarbeitern, aber ein möglichst friedliches Verhältnis mit denselben aiizubahiiell." In der folgenden Berathung am 28. Oktober 1894 dielt vr. Obertörffer diese Aeußerung vollständig aufrecht, worauf Pastor Weber auS M.-Gladdach erklärte: „Wir Evangelische können nun und nimmermehr und in keiner Weise mit den Socialdemokralen zu- sammengehen. Ich halte die Socialdemokratie für das größte Uedel unserer Zeit. Wir müiseu die Social» demokratie mit aller Energie bekämpfen. Bon irgend einem Zusammengehen mit dieser Partei kann zu keiner Zeit die Rede sein. Wir Evangelische müssen jede Gemeinschaft mit den Socialdemokrate» aufs Ent- jchiedenste zurückweisen.^ » Wahrscheinlich hat sich Herr Pfarrer Naumann dieser Tage in Bochum nickt nur der Auslassungen de- ehemaligen Caplans Oberdvrffer aus dem Jabre 1894, sondern auch der Entgegnung deS christlich-socialen Pastors Weber aus dem gleichen Jabre erinnert. Aber der ehemals gleichfalls christlich-sociale Herr Naumann ignorirte die Entgegnung seines früheren christlich-socialen Kampfgenossen; aus der christlich socialen Puppe als national socialer Falter ausgekrocben, sog er Honig auS den Redeblütben des ehemaligen CaplanS, verbesserte" diesen Honig noch und empfahl den christlichen Bergarbeitern nicht nur ein möglichst friedliches Verhältniß zu den ungläubigen socialdemokrattschen Bergarbeitern, sondern sogar ein Zusammengehen mit denselben, damit sie mehr erreichen konnten. Die christlichen Jünglings- und Arbeiter-Vereine werden hieraus ersehen, was sie von Herrn Naumann und seinen höchst enkwickelungsfahigen national- socialen Gesinnungsgenossen zu erwarten haben. Aussehen erregt in österreichische» Lehrerkreisen und weit darüber hinaus eine amltiche Maßregel, die auf die Lebrerfeindlickkeit und Gewalkthätigkeit de« antiliberaien Wiener Stadtraths ein grelles Lickt wirft: sämmtliche zeitweilig ange st eilten BolkS- und Bürgerschullehrer, etwa 800 an der Zqbl, sind mittels landesschulrätblicken, die betreffende Verfügung des SladtrathS bestätigenden Erlasses vom 31. Januar mit dem 1 Februar ihrer Dienstleistung entboben, gleichzeitig sind ihre Bezüge eingestellt worden. Keiner dieser Lehrer bat fick ein Vergeben oder eine Nachlässigkeit im Dienste zu Schulden kommen lassen, gegen keinen von ihnen wird auch nur die Beschuldigung einer Pflichlwidrigkeit erhoben, die Entlassung erfolgt ohne Angabe eines Grundes. Den formalen Anlaß zu dieser Maßiegel gab ein Streit zwischen Stadtratb und Bezirksschulrat!, über die Competenz zur Bestellung der provffori'chen Lebrkräfte. Jener bestreitet diesem im Widerspruch mit dem Wortlaut des Gesetz S dieses Reckt. Aber wenn auch der Beznkssckulratb wirklich seme Machtbefugniß überschritlen hätte, so würbe daraus nur folgen, daß künftig bei der Bestellung provisorischer Lehr kräfte ein andere« Verfahren einzuhalten sei. nickt aber die Annulirung der schon erfolgten Bestellungen. Nun ist es allerdings den entlassenen Lehrern „gestaltet", bi- zur Neu besetzung der betreffenden Stellen ihren Dienst weiter zu ver sehen — cs bliebe ja sonst der ganze Cchulorganismus stehen — und sich von Neuem zu melden Allein während der Vacanz sind die Lehrer, die formell entlassen sind, bezüglich der Ent lohnung ihrer Dienste gänzlich dem Belieben ibrer Gemeinden anheimgestellt, und einen Anspruch a u f N e u b e st e l l u u g bat keiner. So mögen die liberalen österreichischen Blätter Neckt haben, wenn sie behaupten, die Annullirung sei verfügt worden, weil die Lehrer sich geweigert haben, der biltungSfeindlichen, sich christlich-social pennenden Partei, die den Wiener Gemeinderath beherrscht, Agitatorendienste ^u leisten, weil die Lehrer durch ihre An hänglichkeit an die freie Schule sich mißliebig gemacht haben, und weil die auS den Gründungen des Katdol ischen SchulvereinS zu gewäriigenden fügsamen unv parteiunler- thanigen Lehrer in Zukunft auf ihre Stellen gesetzt werden sollen. Daß es den christlich-socialen Förderern des Volks wohles nur darum zu thun ist, daß die Lehrer, welche sich Fenillets« In -er Irre. 8) Novelle von M. v. Oer Heu. Nachdruck verboten. In dem langen, schmalen Saale des Erdgeschosses war der Tisch gedeckt. Die eichene Täfelung, die kunstvollen Gitter vor den Fenstern und die dunklen, oft kaum erkenntlichen Ahnenbilder verliehen dem Raume ein düsteres Gepräge. Nur die silbernen Candelaber warfen hier und da ihr matt metallische- Licht durch die unsichere Dämmerung. Als die Uhr sieben schlug, trat der Hausherr ein, hinter ihm seine Frau und Resa im Einsegnungskleide mit alt modischen Aermeln und einer Taille, die zu eng über der Brust war. Sillmann, in einer nicht mehr ganz neuen Livree, trugeine dampfende Schüssel auf. Man setzte sich zu Tisch und wartete auf das Brautpaar. „Sillmann, läuten Sie noch 'mal", sagte Herr v. Willow. Resa reichte die kaltgeworvenen Bratkartoffeln umher und rührte in der Sauce, auf der ein Fetthäutchen sich gebildet. „Ich will Nachsehen", sagte Frau v. Willow, erhob sich und rauschte aus dem Zimmer. „Sillmann, schieben Sie den Stuhl an den Tisch und dann wärmen Sie die Beefsteaks, sie sind nicht zu essen!" sprach Resas Vater. „Resa, erkundige Dich, wo die Mama bleibt..." Der alte Herr saß nun allein und strich sich verstimmt den Weißen Bart. Minute um Minute verrann. Resa eilte durch den Garten, den sie vor zwei Jahren zum letzten Mal gesehen. Feuchtigkeit und Duft stiegen aus den Gründen, die Amsel sang im Gebüsch. „Burgfriede!" DaS Wort batte ihr immer so ganz be> sonders friedlich geklungen »nd die Marie Theresa ihrer Träume, die aus dem siebzehnten Jahrhundert, schritt im Burgfrieden auf und ab, mit jener Würde, die ihr ia Resa« Augen unerläßlich schien ... Irgendwo dort, in der ersten Schießscharte recht-, batte der alte Sillmann der kleinen Resa vor Jahren eine Bank au- Buchenstämmcken gezimmert, in der Nahe deS Burgbache», dessen Quelle» im Horstwalde entsprangen. In dem Brunnen, wo die eine Quelle gefaßt, brauste es stet- grheimnißvoll — da« war der Zauber von Resa'« Kindheit gewesen. Die Brunnenfigur — ein steioeroer Ritter in schwerer Rüstung, grünbemoost, riesenhaft — zählt zu ihren Freuuden. Lächelnd und ihre Mission vergessend, schlenderle sie darauf zu und bog die überhängenden Berberritzenzweige zurück . . . Auf der Bank saßen Julian und May. Ihr Kopf rubte auf seiner Schulter — kei» Wunder, daß ihre Frisur darunter gelitten — und Julian'« reckte Hanv war damit beschäftigt, Jasminblüthen in die lockeren Haare seiner Braut zu stecken. Ernüchtert, erschrocken, stand Resa vor ihnen. Sie wollte sprechen — aber sie wurde nur rolb, immer mehr, bis es ihr in die Augen schoß und ihre Schläfen färbte. „Ach, Du!" sagte Julian ruhig, und May hob halb den Kops. „Ihr sollt zum Essen kommen", stieß Resa hervor und flog wie ein Pfeil von dannen. Sie hörten die welken Zweige unter ihren raschen Schritten brechen. „Kind! Was ist Dir? Du bist ja ganz heiß?" fragte Frau v. Willow erstaunt, ihre soeben eintretende Tochter aa- blickend. Sie war allein; Herrn v. Willow'« Serviette lag zusammengeballt auf dem Tisch — er selbst war fort. „Ich — habe Juliau und May gesuuden —" „Nun, und . . .?" „Und — sie — sie —" „WaS, sie? Ist etwas geschehen?" „Sie — küßten sich, Mama!" Frau p. Willow lachte laut auf. „Und der — Kuß bat Dich derart mit Entsetzen erfüllt? Ha, ba. köstlich! Ich fürchte, Du wirst Dich darau gewöhne» müssen, Kind —" Da kamen sie schon wieder. Zärtlich umschlungen — und hielteo sich spgar bei der Hand, »ährend sie ihre Stühle rückte». „Armer Julian, wie hungrig mußt Du sein", sagte May mit einer Stinime, die in ihrem tiefen Tremolo an das Gurren einer Taube erinnerte. Sie legte chm ein kalte« Ei in den Becher und versorgte ihn mit allen kaltgewordrnxn Speisen, wobei er mehrmals den Versuch machte, ihre Hand zu küssen. Resa saß wie auf Kohle». Sie fixirte eine» Stengel im Muster de« Tischtuch«« uud entsann sich nicht, außer bei dem großen Viert«ljabr«eiamen, je solch« Angst auSgeftauden zu babeu. Warum? Ja, da« war eben da« Unbequeme sie wußte e« nicht recht. Denn ihr konnte e« schließlich einerlei sein, ob Julian und May sich unter dem Tisch die Hände drückten oder nicht. Und Frau y. Willow flüsterte ihr zu: „Sind sie nicht glücklich, die Beiden?" Mit bewundernSwertber Geduld dielt sie auS, bis das Brautpaar sein Mahl beendet. Julian batte doch noch ein balbeS Hubn und einen ganzen Hering verspeist — May's Blicke dingen zärtlich au dem Essenden — uud endlich fragte er, ob sie satt sei? Es war inzwischen dunkel geworden. „Wo ist der Onkel?" fragte May. „Ach — der ist verstimmt", erwiderte Frau v. Willow. ,/Er bat sich zu Bett gelegt. Er kann kaltes Esse» nicht vertragen." Resa huschte in den Garten. Sie befreite den Caro, be grüßte die alte Köchin, die fast so gut wie eine Großmutter war, und ging dann im Frieden der Nackt langsam vor sich bin. Duftwogen wallten ibr entgegen Der Mond stieg über den Bergkamm, eine große, goldene Scheibe. Sie mochte ibn nicht seken uud schritt tiefer ins Gebüsch — io ihrem Ge mütb begann ganz leise daS Heimweh sich zu regen — daS Heimweh nach dem Echulzimmer mit den schwarzen Tafeln und Landkarten. Plötzlich stutzte sie. WaS leuchtete weiß vor ihr auf, bei der zerbrochenen Säule an der Ringmauer? Früher batte sie auf eine Fee gerathen; heute rieth sie auf eine „Lotos blume". May trug gern weiße Kleider. Julian'S Arm stützte sie — und beide — sowohl Julian al« auch seine Braut — starrten unverwandt in den Mond. Resa wurde unheimlich zu Muth. Sie drückte sich in d,e.Zwe,ge uud dachte: ,MaS haben sie nur dort oben zu q-Abt.. "Sw ff» J^ian. Eine Wolke verschleierte den Uche^Schatten* verschwand im Dunkel der nächt- an Sie strengte ihr Gedächtniß ^ ^"7 Sanzr Re.be berühmter Liebespaare vor — veraleicheod und vrüfend. Lasso »nd d!» «r "Nb Dorothea — sogar Seoaorrn und den Wilhelm, den sie kragt, ob er untreu oder todt sei? Ton Carlos und Elisabeth — und Andere mehr. Aber keine« derselben glich Jul,an und Mayl 'wea ^og in «ine Eeitrnallee ab. unmerklick den Gestalten ibrer Liebling-dichter. Sie körte sie «eben und klagen - stolze Worte reden - auch, wenn e« sein mußte, entsagen — und um sie her flüsterte es süß und traut — Es flüsterte sehr hörbar — mit Julian'S Stimme. Spukren denn die Beiden überall? Er verabschiedete sich offenbar von May, um in die Stakt zu reiten. Aber Resa verließ den Gaxtxn, ihre liebe Wildniß, und stürmte ins HauS, vorbei an den, Zimmer, daS sie mit May lbeilen mußte, und hinauf in die Kammer, die als Heu schober dienie. Dort wüblle sie sich ins Heu und lag ganz still. Und endlich schlief sie ein. Das Raffeln der großen Tburmubr weckte sie. Betäubt von Hcuduft, schlaftrunken, vergegenwärtigte sie sich, daß es Eins geschlagen, und taumelte nun die knarrende Holzstiege binab bis zu ihrer Stube . . . unv warf sich müde auf baß Bett, das man für sie anS Fenster geschoben. May lag bereit- in liefen Träumen. II. „Resa!" rief eine ungeduldige Stimme. Und jäb sich ermunternd, in den bellen Tag blinzelnd, fuhr daS junge Mädchen empor. „Du bist dabeim!" jubelte eS ia ibr. „Julian ist verlobt!" kam dann die Erinnerung. „Resa!" ..Ja!" „Ich babe Kopfweb. Schicke mir daS Frühstück herauf — Julian kommt beute erst zu Mittag. Uab!" Mit bleischweren Gliedern begann Resa sich anzukleiden, das heißt, ibre Sachen auS dem Chaos zu suchen und dabei hier und da beimlich Ordnung zu macken. „Was lbust Tu da? Laß ja meine Nadeln und die Brennsckeere dort, wo ich sie hingelegt habe — ich kann sie sonst nicht finden. Um Gotteswillen, mach mir keine Unruhe, ich kann nicht leiben, wenn Jemand mit der Ordnungswutb behaftet ist." , May zog ärgerlich die Decke bi« an den Hal- und Resa, «mgeschüchlert und erstaunt, beendete rasch und leise ibre Toilette. Wie beiter und frisch batte sie sonst den Morgen begrüßt und durch das offene Fenster die Erquickung und Kühle der Bergstille in da- beiße Zimmer strömen lassen — „Du öffnest doch nicht elwa da- Fenster?" sagte May, sich heftig im Bette umwendend. „Ick kann de» Tod davon haben. Und bestelle mir nun mein Frühstück." Resa eilte hinunter. „May'« Ehocolabe?" ries Frau v. Willow ihr schon von Weitem zu. „Die wirft Du wohl
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