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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.02.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-02-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970205013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897020501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897020501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-02
- Tag1897-02-05
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Die englische Humanität strahlt dann vor Aller Augen im schönsten Glanze, in einem so blendenden Glanze, daß da» englische Auge Noth und Druck im großbritannischen Reiche selbst vielfach erst recht spät entdeckt. Das ist, wie schon früher betont wurde, auch in Bezug auf die Hungers- noth in Indien der Fall. Der folgende Artikel, den B. KarpeleS in der »Socialen Praxi»" veröffentlicht, veranschaulicht diese Thatsacbe mit besonderer Deutlichkeit: Am 3. October 1898 telegraphirte der Staatssecretär für Indien, Lord George Hamilton, dem Vicekönig Lord Elgin: „Nach Reuter-Meldung vom 30. September droht angeblich in den Nordwest-Provinzen HungerSnotb. Wollen Sie mir über die Thatsachen telegraphisch berichten und mich fort laufend informiren." Diese Depesche eröffnet die Corre- svondenz zwischen dem englischen Cabinet und dem General- Gouverneuer von Indien, welche dem Parlamente am 19. Januar vorgrlrgt wurde, und sie offenbart deutlich genug das Bestreben der indischen Verwaltung, die alte verderbliche Politik der Verheimlichung fortzusetzen. Erst ein directer Auftrag konnte sie bewegen, über ein Ercigniß von wahrlich nicht geringer Bedeutung zu berichten, obwohl ihr die Situation seit Wochen bekannt sein mußte. DaS gestattet einen Schluß auf die Glaubwürdigkeit der ofsiciellen Berichterstattung überhaupt und rechtfertigt die Behauptung der unabhängigen Presst, daß die amtlichen Mittheilungen über die HungerSnolh in Indien weit hinter der Wahrheit Zurückbleiben. Nach diesen amtlichen Mittheitungen nun ist die Lage folgende (Bericht vom 10. Januar): herrscht rejp. steht bevor In den HungerSnolh 1 Nothstand Proben auf einem Gebiete mit Quadrat- Meilen Bevölkerung Quadrat- meilen Bevölkerung Punjab . . . Nordw.-Provinz. Bengal . . . Burma . . . Madras. . . Bombay. . . Eentr.-Provinz. 16 800 26 200 6 700 2600 8 500 43 000 60200 4139 000 11 273000 5 281000 212000 1206000 7 009000 7 824 000 30100 50 600 9900 8 600 9300 13200 6 559000 26013 000 8 265000 555000 2064 000 1019000 Summa 164000 j 36 944 000 s 121 700 44475000 Und so steht es bereits heute fest, daß die gegenwärtige Hungersnoth auch die große Katastrophe weit übertreffen wird, welche Indien im Jahre 1878 heimgesucht und wenig stens fünf Millionen Menschen dem Hungertode preis gegeben hat. DaS große Problem, welches Indien darbietet, läßt sich kurz durch folgende Angaben charakterisiren. Die Bevölkerung von (Britisch) Indien betrug 1872 186, 1881 199 und 1891 22l Millionen, hat sich also in zwei Jahrzehnten um 20 Procent vermehrt. Die Culturflächc aber ist fast stationair geblieben nnd beträgt rund 200 Millionen Acres. Zugleich hat sich die Ertragfähigkeit des Bodens vermindert, wenn wir den Zeugnissen unbefangener Beobachter Glauben schenken dürfen. Der Werth der gesammten Jahresproduktion (Ackerbau, Berg bau, Industrie) wird mit 300 Millionen kix angegeben 1 Rx ----- 10 NupeeS ----- nominell 1 Pfund Sterling). Auf den Kopf der Bevölkerung entfällt eine stets geringere Quote, die heute nur mehr 13 Nupees beträgt, d. h. 26 .// pro Kopf und Jahr. Es kann nicht bezweifelt werden, daß auch in den Jahren guter Ernte ein großer Theil der Bevölkerung absolut ungenügend genährt ist. Aber diese Bevölkerung, deren Armuth falle europäischen Vorstellungen übertrisft, wird durch die englische Verwaltung zu stets erhöhten Leistungen gezwungen. Im Finanzjahr 1884/85 betrugen die Steuern 38 Millionen lix; sie sind bis 1895/96 auf fast 50 Millionen lix, also fast um 32 Procent gestiegen und nehmen ein Sechstel des gesammten Volks einkommens in Anspruch. Mehr als 25 Millionen Ilx er fordert die Erhaltung der Armee. Diese drückende Besteuerung mag immerhin durch die Erwägung der großen Vorlheite gerechtfertigt werden, welche die englische Verwaltung dem indischen Volke bietet oder zu bieten scheint. Aber die Verwendung der indischen Einnahmen außerhalb des Landes treibt Indien einer furcht baren finanziellen Katastrophe zu. Der Tribut, den Indien an England zahlt: in der Form von Zinsen für die Staats schuld, welche zu mehr als neun Zehntel in England placirt ist, von Zinsen für Eisenbahn-Anleihen, von Pensionen, die in England verzehrt werden, von Profiten für die englischen Unternehmer beträgt nach den geringsten Schätzungen 30 Millionen Pfd. Sterling in jedem Iabre. Da diese Ver pflichtungen auf Gold lauten, so verdoppelt das Sinken der Sitber-Rupee die finanziellen Schwierigkeiten. Für die vom Staatssecretair in London auf Indien gezogenen Wechsel im Betrage von 16 905 102 Pfd. Sterling (1894/95) waren 30 96 98 798 lix erforderlich. So bietet Indien das furcht barste Beispiel dtr Folgen deS iflbseateiSmus dar, das die Geschichte kennt. ES ist dieser jährliche Abfluß von wenigstens 30 Millionen Pfd. Sterling Gold, dem keinerlei Eingangs posten entspricht, cS ist dieser ungeheuere Tribut, einem armen und immer mehr verarmenden Volke abgcpreßt, an dem — um ein berühmtes Wort Lord Salisbury'S zu gebrauchen — Indien verbluten muß. Diese finanzielle Lage verschuldet es, daß das indische Volk heute absotut widerstandsunfähig eine Katastrophe Hereinbrechen sieht, deren Größe un faßbar, für welche aber die englische Verwaltung direct ver antwortlich ist. In Indien bestebt heule keine Hungerö- noth in dem Sinne, daß die verfügbaren Getreidevorräthe nicht ausreichen, um die geringen Bedürfnisse der Be völkerung zu befriedigen; diese Situation kann erst im Frühjahre eintreten. Gegenwärtig handelt es sich vielmcbr um eine Theuerung, welche allerdings für den ausgeplünderten Näyat mit Hungersnoth gleichbedeutend ist. Seine Ersparnisse, welche in Schmuckjachen aus Silber bestehen, sind durch die Schließung der indischen Münzefür die freie Silberprägung werth los geworden. Sein Grundbesitzist überschuldet, der Dorswucherer versagt seine Hilfe. Die Regierung gewährt Unterstützung, in dem sie Nothstands-Arbeiten eröffnet. Der Tagelohn wird so bemessen, daß er ausreicht, um den Kauf einer bestimmten — ungenügenden — Ration von Lebensmitteln zu den jeweiligen Preisen zu ermöglichen: am 22. Januar waren bereits l 750 000 Personen bei solchen Arbeiten beschäftigt. Aber cs ist bekannt, daß ein großer Theil der Bevölkerung Hilfe in dieser Form zurückweist und es vorzieht, in die Wälder zu luchten und dort Hungers zu sterben. Und während die Regierung durch die Ansammlung hungernder und entkräfteter Menschen bei schweren Erdarbeitcn die Verbreitung der schwarzen Pest direct begünstigt, während die Nordwest- Provinzeu bereits heute der Schauplatz von Scenen sind, welche nur mit den furchtbaren Ereignissen verglichen werden können, welche die Hungersnoth des Iabres 1878 auf ihrem Höhepunkte zeitigte, findet dir indische Regierung den M»tb zu der Erklärung, daß „sie volle Verantwortung für die Er haltung des Lebens der von der HungerSnolh heimgesuchten Bevölkerung übernehme". Aber sie findet den Muth nicht, die Ausfuhr von Getreide aus Indien, welche noch heute be trieben wird, zu verbieten, nicht den Mutb, die Lebensmittel- Versorgung in die eigene Hand zu nehmen: die Negierung hat bekannt machen taffen, daß sie „streng an der Politik der Nichteinmischung in den privaten Handel festhalten und keine Käufe auf eigene Rechnung vornehmen werde". (Telegramm des Vicekönigs vom 10. Januar.) Die indische Regierung, die der gegenwärtigen Lage so wenig sich gewachsen ^igt, trifft aber auch der Vorwurf, daß sie nicht einmal jene Maßregeln durchgeführt hat, welche nach ihren eigene» Erklärungen zur Abwehr von Hungers noth erforderlich sind. Von der Voraussetzung ausgehend, daß der Aufwand für Unterstützungen in Zeiten von Hungers noth in jedem Jahrzehnt 15 Mist. Pfd. Sterl. betrage, er klärte die indische Regierung im Iabre 1878, daß sie nun mehr einen Versicherungsfonds schaffen und jährlich mit 1,5Mill. Pfd. Sterl. dotiren wolle. Um diesen Betrag zu be schaffen, führte sie zuerst eine lioenss tax ein, die bald in eine Einkommensteuer verwandelt wurde. Es war allerdings eine schlechte Finanzpolitik, daß dem durch die Hungers noth von 1878 hart genug bedrückten Rüyat eine neue Steuerlast aufgebürdet und die Dotation für den Reserve fonds nicht vielmehr durch Ersparnisse in der Ausgabe- wirthschaft bereingebracht wurde. Aber immerhin war die Bildung dieses Fonds eine Maßregel. Als „heiliges Gut" (sacreck trust) wollte die Regierung ihn bewahren und feier lich versprach sie, auch nicht eine Rupee für fremde Zwecke zu verwenden. Nur für eine besondere Elaste öffentlicher Arbeiten sollte der FondS verwendet werden dürfen: solche Eisenbahnen und Bewässerungsanlagen, welche ausschließlich aus Rücksichten einer Hungersnoth erforderlich seien, deren Ausführung somit eine directe Verminderung der Gefahr einer HungerSnolh bedeute; der Rest solle zur Herabsetzung der indischen Schuld dienen. Aber nur durch fünf Jahre (1881/82—1885/86) unter der ruhmvollen Regierung Lord Ripon'S wurde der Fonds dotirt und bestimmungsgemäß ver waltet. Vom Finanzjahre 1886/87—1895/96 sind statt der versprochenen 15 Millionen Pfd. Sterl. nur 6 476 722 Rupees für den Fonds verwendet worden, obwohl die Einkommen steuer in diesen zehn Jahren mehr als 16 Millionen NupeeS betragen hatte. Mehr als 8,5 Millionen Rupees wurden also trotz der bündigsten Versprechungen und Betheuerungen anderen Zwecken zugeführt: militairischen Expeditionen, Ge- -allszulagen für die Beamten, die weitaus bestbezahlten Be amten der ganzen WeltI Männer aller Parteien haben zu allen Zeiten das System der indischen Verwaltung gebrandmarkt: John Bright, Sir Jas. Caird, H. M. Hynvman, Dadabhaj Naoroji und wie viele andere noch haben oft genug ihre warnende Stimm? erhoben. Aber die englische Bureaukratie in Indien hat es vorgezogen, die alte Mißwirthschaft fortzusetzen. Diese Bureaukratie trifft die Schuld an der Thalsache, daß am Ende des 19. Jahrhunderts Millionen und Millionen von Menschen dem Hungertode preisgegeben sind. Deutsches Reich. * Berlin, 4. Februar. Der Bundesvorstand der pol nischen Sokolvereine veröffentlicht folgende Erklärung: „In der letzten Zeit sind einzelne Sokolturnvereine zu wieder holten Malen von einem gewissen Theil der Presse, gewissen Kreisen im Landtage und von den Regierungsvertretern politischer Ten- denzen verdächtigt worden. Angesichts dessen stellen wir als die oberste Behörde der Bundesvereine in erster Linie ausdrücklich fest, daß diese Vereine einzig und ausschließlich die Pflege der Gesundheit und die Entwickelung der körperlichen Kräfte durch Turnübungen zum Ziele haben. Da wir außerdem darüber wachen, Laß nicht nur keine politischen, sondern überhaupt keine öffentlichen Angelegenheiten in unsere Vereine hereingeschmuggelt werden, da keiner der dem Bunde angehörenden Vereine irgend welche Neben» zwecke verfolgt, sondern gewissenhaft die Lurch die Statuten aus- gestreckten Grenzen innehäit, stellen wir hiermit öffentlich fest, daß die besagten Verdächtigungen augenscheinlich auf ungenauen und unwahren Informationen beruhen." Diese Ableugnung erscheint vollkommen begreiflich an gesichts der offenen Charakterisirung der politischen Natur der Sokolvereine, wie sie in dem Kalender eines der slimm- führenden polnischen Blätter, des „Goniec Wielkopolski", für das Jahr 1897 gegeben worden ist. Die „Berliner Neuest. Nachr." theilen daraus Folgendes mit: „Heute giebt es für uns — in der Welt der ungebetenen Gäste, in der Vergangenheit und in der ganzen Zukunft nur rin Land, in welchem für den Polen nur ein wenig Glück blüht: Das Land des Glaubens an eine bessere Zukunft des Vaterlandes. . . . Der Geist der Nation lebt, glaubt und handelt. Es ist eine unbesiegbare Kraft und eine unverwüstliche Macht. Er fürchtet sich nicht vor den zur Vernichtung des erhabenen Lebens vereinten Mächten, sondern bahnt sich neue Wege, verkündet neue Losungen und zeigt, woraus die Kraft des Volkes dann zu schöpfen ist, wenn die Gegner der Ueberzeugung sind, daß die Nation das Recht zum Leben eia- gebüßt habe. Verstummt ist der dröhnende Anmarsch der mit Flügeln gezierten Husaren, verschwunden die Standarten und die aufständischen Fähnlein, nicht mehr klingen uns die wie ein Wald gestreckten Raktawicer Sensen entgegen und der weiße Adler zieht nicht mehr die Weichsel herab seine Kreise, — da sammeln die Fittiche des Lokal unsere Brüder von Neuem in Reih und Glied als Nachfolger der alten Helden. Dieser graue Vogel hat nicht die leuchtend weiße Farbe des Gefieders des Königs der Piastenlande, noch ist er wenig bekannt, jeine Kraft und Stärke noch nicht gehörig gewürdigt, das Feld seiner Verdienste noch klein . . . aber er ist der Vogel der Zukunft, der Bote unserer Verheißung, der Anführer einer neuen Schaar von Hrldenkriegern, welche daherstürmen zur Wieder- erkämpfung der Freiheit. . . . Jetzt, wo dir Schaaren des aus das blutige Blachseld eilenden Adels verschwunden sind und der Heer- Aeber Ratten und ihre Könige. Nachdruck verboten. (Schluß.) Wir Leipziger haben noch verschiedentlich und im Be sonder» Ursache, unS für den Rattenkönig zu interessiren, denn die Umgebung unserer guten Stadt ist geradezu klassi scher „Rattenkönig-Boden". Die frühesten, sehr unbestimmten einschlagenden Nach richten weisen auf Straßburg und das Jahr 1683. Der erste Mann, der von durch ihre Schwänre zur KönigS- würde vereinigten Ratten umständlicher zu erzählen weiß, ist im Iabre 1691 (also vor Einwanderung der Wanderratte) Günther Christoph Schellhammer, seiner Zeit ein — selbstverständlich — hochberühmter Professor in Jena, der gleich zwei Fälle auf einmal zur Sprache bringt. Bei dem einen erfahren wir, daß er in einer Küche, aber nicht in welchem Orte, sich zugetragen habe. Es waren 14 ausgebildete Ratten, deren Schwänze „wie der Megärä Haarlocken, oder das Haupt der Medusä ineinandergeflochtrn und verwirret" waren. Der zweite Fall spielt sich in meiner lieben Vater stadt Weimar ab und kam bei Reparatur einer Müble zum Vorschein. Der dritte Fall wird 1714 von dem Professor der Medicin in Gießen Michael Bernhard Valentins erzählt. Das Object wurde in einer Küche zu Sondershausen gesunden, und der „allda residirende Fürst von Schwartzburg hat eS aus sonderlicher Kuriosität etlichmal abmalen kaffen". Valentini giebt »u seinem Berichte eine sehr nett in Kupfer stich auSqefübrte Abbildung des Monstrum«: sechs wohl beleibte Ratten sind mit verflochtenen Schwänzen unter einander und an ein Hölzchen befestigt. Es ist darüber auch «ine Abbildung mit exklärendem Texte als Flugblatt erschienen, von der Blumenbach in Göttingen rin Exemplar besaß und im Colleg zu zeigen pflegte. — Im Jahre 1? l9 fand ein Knecht zu Roßla in Thüringen auf einem Dachboden einen au« neun Ratten bestehenden Rattenkönig. Um dieselbe Zeit besaßen der Graf Stoklberg zu Wernigerode und e,n Licentiat Carl in Gödern jeder je einen solchen in eingetrocknetem und mumificirtem Zustande, über die aber Nähere« nicht be kannt geworden ist. Ueber die beiden ersten Leipziger Fälle berichtet 1722 vr. Friedrich Liefmann folgendermaßen. „Es erzählete dieser Tagen der Hof-Eommißariu» Stürtzel» daß auf den Dießkauischen Gütern bry Leipzig in einem Fäßgen, worinnen Erbsen gewesen, und zum Kochen hätten geholet werden solle», ein Haussen Rattenköpfe gesehen worden; darauf man gleich da» Fäßgen zugedeckt und die vermeinten Ratten mit heissem siedenden Wasser gebrübet und ersäuffet. Nachdem es nun also wahret einen Tag gestanden und man eS auSgüssen wollen, wäre ein Rattenmonstrum von zebcn oder zwölf Köpfen darin gefunden worden, mit einem Leibe und großen breiten Schwantze; so nachdem nach Dreßden an die Dießkauiscke Herrschafft gesandt worden, Se. Königl. Maj. aber ein- balsamiren und in die Naturalien-Kammer setzen lassen; welches Monstrum ein Rattenkönig genannt wird, ohn- geachtet, fährt der vorsichtige Mann fort, ich diese Stunde noch nicht glauben kann, daß eS einen wahren Rattenkönig und zwar auf gemeldete Art geben solle. Ich erwarte hiervon noch mehrere Particularia, so aber bisher nicht eingelauffen; und melde vorjetzo nur noch so viel, daß ohnfehlbar in Leipzig Key dem jungen Herrn 0. Petermann ein auS- getrockneter noch zu finden, welchen Herr l). Schul tze, ein hiesiger (Bautzener) MedikuS, damals bei dem Herrn Vater gesehen: eS ist selbiger also tobt und ausgetrocknet in einer alten «ingerissenen Mauer, als ein Teller breit in die Rundung, gefunden worden, hat viele Leiber und Köpffe, und bestehet der Schwavtz (der in der Mitte aus allen diesen rund umherstebenden Cörpern und zusammenlaufenden Schwäntzen zusammen gewachsen), also auS sehr vielen Schwäntzen, die so jest in der Mitten in einander ver wunden, daß auch ein Riemer die Riemen nicht so ver stricken kann." Ein ander Bild im Jahre de- Heils 1774? — Wieder ist die Leipziger Gegend die Fundstelle eines Rattenkönig-, und zwar diesmal die Mühle zu Lindenau. Die Zeiten sind andere seit fünfzig Jahren und die Menschen kritischer ge- worden. Die hohe Obrigkeit und ein sehr weiser Rath der Stadt halten eS für nöthig, sich mit der Sache zu befassen. E« werden Protokolle ausgenommen und Gutachten ein- gefordert von Leuten, die Sachverständige sind, oder wenig stens dafür gelten. Da da« Ding, wenn eS auch immerhin einen supernaturalistischen Beigeschmack bat, handgreiflich vor Augen liegt, verzichtet man auf geistlichen Senf und beauf tragt zwei Arrzte, die Herren DoctoreS Daniel Christian Burdach und Johann Gottlob Eckholdt, ac-irckem. Ups. etiirurgum, der Angelegenheit näher zu treten. Vielleicht treiben sich irgendwo noch die einschlagenden Acten herum, di« vordem im Archive der sogenannten Landstube hier und vor 40 Jahren noch vorhanden waren, in welcher Zeit ein gewisser Schlenzig au« Altenburg eine, eben bei Brebm abgedruckt», Abschrift de» Protokoll» in der allgem. deutsch. natur-hist. Zeitung der Gesellsch. Isis in Dresden (1856) veröffentlichte. Die nächsten Mittheilungen finden sich, immer ab gesehen von etwaigen Flugblättern, die nicht so leicht aufzutreiben sind und die ich nicht kenne, in der 1792 erschienenen „Europäischen Fauna" von I. E. A. Göze, der sich in Sachen „Rattenkönig" folgendermaßen ver nehmen läßt: „Die Sache ist wahr. Denn ich habe mit meinen Augen fünf und fünf, neun und neun, mit den Schwänzen in einen Knoten verflochtene Ratzen gesehen Wo eine große Mengt Ratzen in einem Haufen beysammen sey, finde sich unten der Ratzenkönig allezeit, der von den anderen ordentlich verehrt und gefüttert würde. Der meinige, den ich vor vielen Jahren gesehen habe, saß in einer Müble unter dem Kammrade und bestand aus 18 Rayen, auf jeder Seite 9, die so verflochten waren, daß sie allezeit mit dem Körper gegeneinander zogen und also nicht von der Stelle konnten. Ich besitze auch noch daS Kupfer eines Natzenkönigs von 18 Ratzen, der ebenfalls 1748, am 12. Julius, unweit Sondershausen in einer Mühle gefunden war, unter welchem die Geschichte und nähere Umstände von dem Mahler be schrieben sind." In einer anonym veröffentlichten Besprechung des Göze'schen Werkes (in der Gothaer gelehrten Zeitung von 1792), die gewiß auS Johann Mathias Bechstein'S, deS bedeutendsten deutschen Zoologen deS vorigen Jahr hundert«, Feder stammt, finden wir die ersten Zweifel darüber, ob auch der Rattenkönig als zu Reckt bestehend angesehen würde. „UnS kommt eS noch immer so vor, al« wenn lustige Bursche solche Rattenkönige, von denen in den Spinnstuben so oft die Rede ist, machen." An einer andern Stelle (Gemeinnützige Naturgeschichte Deutschland«, 2. Ausl. 1801) sagt Bechstein später: „Die Rattenkönige trifft man gewöhnlich in Mühlen an, und da knüpfen denn Wohl lustige Müllerburschen eine Menge Ratten an den Schwänzen zusammen und machen Rattenkönige, um die Mädchen fürchte» zu machen." Blumenbach, Professor zu Göttingen, Bechstein'S berühmter LandSmann (er wurde 1752 in Gotha und Bechstein 1757 in Waltershausen geboren) und Zeitgenosse, sagt noch in der 4. Auflage seines „Handbuch« der Natur- geichichte", da- im vorigen Jahrhundert da- allergrößte An seben genoß und in die Sprachen sämmtlicher gebildeter Völker übersetzt ist: „Es werden alte kraftlose Ratten von den jüngeren besorgt und gefüttert. Bejahrte Ratten, dir nun der Ruhe pflegen, verwickeln sich zuweilen zu 6, 8 und mehreren mit den Schwänzen ineinander und da« sind dir ehemal» so berufenen und neuerlich ohne allen Grund ge leugneten Rattenkönige." In der nächsten und in allen folgenden Auflagen des Buches übergeht Blumenback selbst den „ohne allen Grund geleugneten Gegenstand" mit Stillschweigen. Um 18lO herum — Genaueres weiß ich über die Zeit nicht zu berichten — wurde in Braunschweig in einem an gesehenen Hause ein aus sieben großen, lebendigen Individuen bestehender Rattenkönig aufgefunden. Man hatte tagelang ein von einer bestimmten Stelle ausgehendes, unerträgliches Gequike im Wohnzimmer gehört, ließ die Dielung des Fuß bodens ausbrechen und fand die nette Bescheerung. Alle Ratten waren mit ihren Schwänzen so fest und unauflöslich miteinander verschlungen, daß sie nicht zu trennen waren Im Jahre 1822 im December wurden laut Lenz zu Döllstedt bei Gotha von Dreschern in einer Scheune gleich zwei aus lebenden, laut quiekenden Individuen bestehende Rattenkönige auf einmal gefunden. Der eine bestand aus 28, der andere aus 14 Ratten, und beide lagen in einer Höhlung in einem Balken, die ganz reinlich gehalten war. Die Thiere waren von gleicher Größe und so ansebn sich, daß sie mindestens im letzten Frühjahr geworfen sein mutzten. Es vergehen 58 Jahre, bevor der nächste Rattenkönig ge sunden wird. Das geschieht 1880 im Februar. Der Maler Beckmann hat von ihm eine Abbildung und einen Bericht in dem nämlichen Jahre in der „JllustrirtenZeitung" gegeben. Die Thiere waren zu drei Viertel ausgewachsene, wohlbeleibte Hausratten (Mw rultus) und waren ursprünglich zu 7 (eine hatte sich aber losgelöst) mit den Schwänzen in einem zoll dicken, aus Kuhhaaren, Talg und Lehm zusammeiigefilzten Klumpen fest vereinigt. Die Verschlingungen waren an den »leisten Stellen mehr oder weniger leicht verschiebbar und nur an wenigen, ganz eng ringeschnittenen Punkten unbeweglich verknüpft. DaS Wundervieb fand sich in einem Kessel in einem Nebenhause der Schlacht halle zu Düsseldorf. Seitdem ist r« still geworden über Rattenkönige. Wer ihrer in Natur zu sehen Verlangen trägt, bemübe sich nach Altenburg, wo ein auS 27 Stück bestehender munificirter be wahrt wird, oder nach Stuttgart, Vesten Hofnaturaliencabinet emen zehnköpfigen in Wringe,st besitzt. Der vorher erwähnte Schlenzigist überzeugt, „daß solch? Rattengeflechte gar nicht zu den Seltenheiten gehören", uns Martin meint in seiner Naturgeschichte der Thiere: „Es kommen zwar weit öfter Rattenkönige vor, al« man gewöbn sich anaimmt, allein Aberglaube und Unverstand der Finder zerstörte häufig dieselben." Von wannen Martin diese Weisheit gekommen ist, verräth er nicht. Uebrigen» blickten
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