Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.02.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-02-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970206025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897020602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897020602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-02
- Tag1897-02-06
- Monat1897-02
- Jahr1897
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis A» t« hcku-t«xprdition oder den im «stabt- betjxk «ud den Vororten errichteten An«, gaorstellen abgeholt: vierteljährlich ^>4.üO, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau- b.üO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich ^l S.—. Directe tägliche Kreuzbundsendung i«< Ausland: mouatlich 7.bO. Li« Morgen-AuSgabe erscheint um '/,? Uhr. die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Ne-action und Grpedition: HohanneSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffaet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filiale«: vtl» Alem»n's Tortim. (Alfred Hah«), Universitätsstraße 3 (Paullnum), Louis Lösche, Katharinenstr. 14, hart, und Königsplatz 7. Abend-Ausgabe. Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes nnd Notizei-Amtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-PreiS die K gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem NeLactionsstrich (4ge- jpalten) HO vor Len Familiennachrichten (6 gespalten) 40^. Größere Cchristea laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ztffernsa- nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit de^ Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung X 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Annalsmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Truck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Sonnabend den 0. Februar 1897. Sl. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 6. Februar. Nach langer, langer Zeit hatte gestern der Reichstag wieder einmal einen sogenannten großen Tag. Das HauS war besser besucht, die Tribünen überfüllt, auf der Iournalisten- tribüne fieberhafte Anspannung aller Kräfte. All dies war dem Nachspiele zu verdanken, das aus Anlaß eines Antrages der freisinnigen Volkspartei zu dem Processe Leckert- Lützow stattfand. An dem Inhalte des Antrages, daß nämlich der Reichskanzler bei den preußischen Behörden dafür Sorge tragen möge, daß gehässige Angriffe gegen hohe Reichs beamte von Mitgliedern der politischen Polizei nicht wieder ausgeübt werden, lag den Antragstellern wohl sehr wenig. Gerade setzt aber kam ihnen die Besprechung dieser An gelegenheit sehr nach Wunsch, weil sie hofften, daß bei dieser Gelegenheit ein schroffer Gegensatz zwischen der Reichs regierung und der konservativen Partei, die ja im preußischen Abgeordnetenhaus das Borgehen des Herrn v. Marschall in dem Sensalionsprocesse scharf getadelt Halle, sich Herausstellen würde, ein Gegensatz, den die Linke noch zu vertiefen sich vorgenommen hatte. Daß es sich hauptsächlich um einen Kampf zwischen der Linken und der Rechten handelte, geht schon daraus hervor, daß gestern außer den Vertretern der Regierung nur Abgeordnete der freisinnigen Bolkspartei und der Socialdemokratie einerseits und der konservativen Partei andererseits das Wort ergriffe». Die Redner der Linken gaben sich denn auch die erdenklichste Mühe, den Staatssecretair v. Marschall gegen seine kon servativen Angreifer und diese gegen den Staatssecretair an zureizen; aber so gute Redner die Herren Munckel, Richter und Bebel auch sonst sind, so wenig glücklich waren sie gestern. Ihr Erfolg entsprach daher auch nicht ihren Erwartungen. Der Reichskanzler, an den ihre Aufforderung gerichtet war, konnte, da er kürzlich im preußischen Abgeordncten- hause den gegen den Staatssecretair gerichteten An griffen mit Entschiedenheit entgegengetreten war, gestern mit gutem Gewissen die Erwiderung dem An gegriffenen überlassen. Fürst Hohenlohe selbst sprach nur wenige Sätze, von denen jedoch einer wegen seiner principiellen Wichtigkeit scharf hervorgehoben zu werden verdient. Er sprach nämlich aus, daß er die Besprechung dieser Angelegen heit im Reichstage nicht ungern sehe, weil es richtig sei, wenn das, was das deutsche Volk bewege, im Parlamente zur Sprache käme. Es wäre zu wünschen, daß dieser durchaus richtige Satz von allen Mitgliedern der Regierung beachtet würde; wir wollen aber daran erinnern, daß vor kurzer Zeit ein Mitglied der Regierung dem Reichstage das Recht bestritten hat, die Ernennung des Herrn Di. Kayser zum Senatspräsidenten beim Reichstage zu discutiren. Freiherr v. Marschall war bei seiner Abwehr in einer cigenthümlichen Lage. Selbstverständlich mußte er sich mit allen ihm zu .Gebotestehenden Mitteln vertheidigenund seine „Flucht in die Oeffentlichkcit" nach besten Kräften zu rechtfertigen suchen; andererseits aber mußte er auch ans taktischen Gründen es vermeiden, mit seinen conservativen Angreifern, die ihm schon wegen der Handelsverträge grollen, zum Gaudium der Linken sich vollends zu verfeinden. Ob er im Eifer der Vertheidi- gnng die taktische Aufgabe nicht ab und zu aus dem Auge verlor, sei dahingestellt; jedenfalls aber war er bemüht, das Tischtuch zwischen sich und den Parteigenossen des Grafen Limburg-Slirum nicht zu zerschneiden. DaS Hauptgewicht seiner Rede lag daher in dem Versuche, sein Vorgehen als geboten und unvermeidlich zu erweisen. Er sprach mit außerordentlichem Geschick. Zunächst vertbeidigte er dir Thätizkeit des Auswärtigen Amtes in Preßangelegenheitcn. Das Auswärtige Amt gebe weder an untergeordnete Sub jecte Informationen, noch sei es unvorsichtig bei der Aus wahl der mit Informationen zu versehenden Personen. Unklar bleibt nach dieser Darlegung freilich, wie es dem berüchtigten Herrn Gingold-Stärk gelingen konnte, von einigen Beamten des Auswärtigen Amtes Auskünfte zu erhalten, obwohl er principiell keine Auskunft erhalten sollte. Auch den Einwand konnte der Staatssecretair nicht entkräften, daß unter dem Regime des Fürsten Bismarck des Bleibens dieser Beamten in ihrer Stellung nicht mehr lange gewesen sein würde. Im klebrigen hatte Herr v. Marschatt mit der Ber- theidigung der Preßthätigkeit desAuswärtigen Amtes mehr Glück. Sein Satz, daß bei der Gewährung von Informationen vor Allem die Bedeutung des Blattes im Auslande, nicht aber seine politische Richtung in Frage komme, muß im Allgemeinen jedenfalls als richtig anerkannt werden. Auch die Ver- theidigung seines öffentlichen Vorgehens war sehr geschickt. Daß es endlich uothwendig und durch eine vom Abg. Bebel vorbereitete große „Enthüllung" über das Treiben einzelner Organe der politischen Polizei ihm zuletzt förmlich auf- gezwniigen wurde, widerlegt freilich nicht die Ansicht, daß ei» rechtzeitig und mit allem Nachdruck von der Herrn v. Tausch Vorgesetzten Behörde eingeleitetes Verfahren die Berechtigung des vom Staatssecretair v. Marschall seit Jahren gegen den Commissar gehegten Mißtrauens ergeben und wahrscheinlich der ganzen Verbindung zwischen Tausch, Leckcrt und Lützow vorgebeugt haben würde. Immerhin überzeugte Herr v.Marschall — ganz besonders durch seinen Hinweis auf die von Herrn Bebel geplante Enthüllung — die von vornherein überzeugte Linke sammt dem Centn»:: vollständig und erleichterte cS den Conservativen, ihre Angriffe wenigstens einzuschränken. Voll ständig konnten sie natürlich ihre Einwendungen nicht zurück halten, ohne sich selbst eines voreiligen und unmotivirten Angriffes in: preußischen Abgeordnetenhaus zu beschuldigen. Aber ihre Heiden Redner, Graf Mirbach und Graf Limburg- Stirn m, bemühten sich so augenscheinlich, den früheren Angriffen wenigstens die persönliche Spitze zu nehmen, daß Herr Eugen Richter die Erfolglosigkeit des Bemühe,)« einsah, das zwischen der Rechten und der NeichSregierung g imniende Feuer zur lodernden Flamme zu entfachen. Daher der grimme Zorn, den er gegen den Schluß der Debatte über den Grafen Limburg ausgoß, und die Schmeichelrede, die er an die Adresse des Staatssecretairs richtete. Diesem aber dürfte der Händedruck, mit dem ihn der konservative Abgeordnete von Staudy am Ende der Sitzung begrüßte, lieber gewesen sein, als der Nichter'sche Hymnus. Denn dieser Händedruck läßt darauf schließen, daß heute, nachdem die Redner der Mittelparteien zum Worte gelangt sein werden, das Ende der von der Linken herbcigeführten Debatte die Hoffnung der Radikalen auf ein ihre Wahlaussichteil besserndes offenes Zerwürfniß zwischen Reichsregierung und Conser vativen nicht erfüllt. Die Revolte der italienische» Studenten, die zur Maßregel des militairischen Einschreitens geführt hat — einem für italienische Verhältnisse sehr energischen Mittel, da man hier die Herren Studenten aufs Zarteste zu behandeln gewohnt ist, läßt einen Blick in die geistigen und sittlichen Zustände der italienischen Studentenschaft thun, der einen Freund Italiens nicht erfreuen kann. Denn es handelt sich licht allein um radikale und socialistische Declamationen leerster !lrt, sondern auch um eine so frivole Respektlosigkeit gegen- iber den Lehrern und den Behörden, daß man ffir die Reife md die Besonnenheit dieses kommenden Geschlechtes ernste Be- orgnisse hegen muß. Es rächt sich jetzt, daß die von einsichtigen Nänner», vor Allein von Ru.'giero Bonghi, längst befur- vortete Reform der Universitäten im Sinne der Ver- nindernng ihrer Ueberzahl und ihrer strafferen Organisation lets wieder verzögert worden ist, — so lächerlich es ist, ans furcht vor den Studenien, die daö Lärmmachen von je aus ein Grunde verstanden haben. Wie die Universitäten jetzt sind, ind sie nur zu geeignet, die Studirenden weniger zum Studium anzuleiteii, als zu Kanne; auszubilden. ES ist gewis Student sich nie dazu ießern und politischen Scandalmachern ermaßen bezeichnend, daß ein römischer )erablassen wird, öffentlich mit einer Nicher- oder Sludienmappe zu erscheinen. Da diesmal oeitauS der größte Theil der Presse das leichtfertige Vor gehen der Studenten mißbilligt, so wäre die Gelegenheit günstig, die lange verzögerte Reform nunmehr ernstlich in lngriff zn nehmen. An Material fehlt es sicherlich nicht, a die italienischen Gelehrten in den letzten Jahrzehnten ine ganze Literatur über die Universitätsreform zusammen- ^eschriebcn haben. Von Tag zn Tag nehmen die Nachrichten aus Kreta einen immer beunruhigenderen Charakter an. Thatsächlich ist der Aufruhr wieder in Hellen Flammen ausgebrochen, fort gesetzt finden Zusammenstöße von Christen und Mohamedanern statt, Trümmerhaufen und Hunderte von Leichen bezeichnen die Stätten fanatischen Glaubenshasses und massenhaft flüchten die christlichen Frauen und Kinder nach den fremden Schiffen. Die Consuln der Mächte sind an Land gegangen und versuchen, vergeblich freilich, dem wahnsinnigen Morde Einhalt zu thun, und, was die Lage aufs Kritischste zuspitzt, die griechische Regierung bat eine Flotte von drei Kriegsschiffen und drei Torpedobooten nach Kanea absegeln lassen. Sie hat den Vertretern der fremden Mächte zwar beruhigende Versicherungen über den Zweck der Entsendung abgegeben — dieselbe soll nur zum Schutz der griechischen Unterthanen ans Kreta dienen —, allein aus dem Jubel, mit welchem jene Maßregel in der Dcputirtenkammer von der Regierungspartei sowohl, wie von der auf eine kriegerische Jnterventiondrängenben Opposition, sowie von der Bevölkerung ausgenommen ist, läßt darauf schließen, daß man gegebenen falls auf eine bewaffnete Einmischung Griechenlands rechnen kann. Die Stimmung, die in Athen seit der letzten sehr energisch gehaltenen türkischen Note über das Treiben der von griechischen Osficieren befehligten makedonischen Banden herrscht, ist ohnehin keine friedliche und sie ist noch dadurch verschärft worden, daß die Pforte Wochen hat vergehen lassen, ehe sie die von ihrem Posten abberufene türkische Gesandt schaft durch neue Beamte ersetzte. Sollte die griechische Negierung sich thatsächlich zn einer Intervention Hinreißen lassen, so bliebe den übrigen Mächten nichts übrig, als auch ihrerseits einzugreifen. Dadurch würde allerdings Griechenland in seine Schranken zurückgewiesen werden, es konnte aber auch leicht geschehen, daß die kretensischen Christen die Gelegen heit der Anwesenheit der fremden Flotten benutzten, um durch eine allgemeine Waffenerhebung die Mächte zn einer Action zu zwingen als deren Ende sie die Unabhängigkeits- erklärung der Insel erwarten. Welche Gefahren mit einer solchen Aktion verknüpft sind, haben wir schon wiederholt auszeführt. Wer die Schuld an dem Wiederausbruch der Unruhen auf Kreta trägt, unterliegt diesmal keinem Zweifel. Neben der fortgesetzten Verzögerung der versprochenen Reformen war es die Ermordung friedlicher Christen durch sanatisirte Musel manen. Aber darauf, wer schuld an den neuen Mord brennereien ist, kommt cs jetzt nicht an, darum Handel: es sich, wie der Brand zu löschen und was mit Kreta anzusangen ist, wenn seine Lostrennung von der Türkei nicht länger aufgehalten werden kann. Griechenland wird man es schwerlich zusprechen wollen, da eS seinen jetzigen Besitz zn verwalten kaum fähig ist, eine Autonomie der Insel würde den Kämpfen zwischen Christen und Muselmanen kein Ende machen und einer beschränkten Selbstständigkeit unter Aussicht einer der Großmächte steht wieder die Eifersucht Aller gegen Alle ent gegen. So findet der Blick in die Zukunft keinerlei Halt, Verwirrung überall und keine Aussicht auf eine friedliche Lösung der türkischen Frage, die um so schwieriger wird, als auch die egyptische soeben sich in bedenklicher Weise zu ver schärfen droht. Im englischcu Unterhaus hat der Schatzkanzlcr Hicks Be ach sich mit dankenSwerther Offenheit über die Frage der cgyptischcu A »leihe zum Zwecke der Deckung der Kosten für den englischen Dongolazug und über Englands Absichten in: Sudan wie in Egypten selber ausgesprochen. Bekannt lich hatte der gemischte Gerichtshof in Alexandria die Entnahme der Expeditionskosten ans der Caffe der egyptischen Schnldenverwaltung für ungesetzlich erklärt und der egyptischen Regierung die Erstattung der entnommenen Summe auferlegt. Um diesem Gerichtsbeschluß nachzu kommen, sah die Regierung des Khedive sich genöthigt, eine Anleihe aufzunehmen, und sie zu gewähren, war England eiligst bei der Hand. Da stellt sich plötzlich eine Anfrage der f ranzösischen und der russische n Negierung in Kairo dazwischen, ob Egypten thatsächlich beabsichtige, jene Summe sich von einer andern Macht vorstrecken zu lassen, eine Anfrage, welche den Protest gegen ein solches Vorhaben natürlich einschließt. Nach den Erklärungen im Unterhause hat die englische Regierung amtlich keine Kenntniß von dem gemeinsamen Schritte Frankreichs und Rußlands erhalten. DaS hat in London außerordentlich ver stimmt, was man aus dem herausfordernden Ton, den der Schatzkanzler gegen jene beiden Mächte anschlägt, schließen muß. Der Minister kündigte an, daß England entschlossen sei, im nächsten Jahre „die Frage der zwei im ge mischten Gerichtshof vertretenen Mächte" nochmals zur Sprache zu bringen, und ein ernster Streit sich er heben werde über die Zukunft, die Gewalt und Voll macht des Gerichtshofs, der sich widerrechtlich eine ihm nicht gebührende Autorität angcmaßt habe. Die beiden Großmächte, in deren Sinn der Gerichtshof den England un günstigen Beschluß gefaßt hatte, sind bekanntlich eben Frank reich und Rußland, diese beiden Mächte also sind cs, mit denen England zu einem „ernsten Streit" den Fehdehandschuh hinwirft. Gleichzeitig läßt Hicks Brach keinen Zweifel darüber, daß nach englischer Auffassung Frankreich in Egypten nicht« zn suchen habe, nachdem es s. Z. den Borschlag, mit ins Land zn gehen, abgelebnt. Die Verzögerung der Räumung, sagte er, liegt hauptsächlich in dem Umstand, daß Frankreich den Engländern „in Egypten keine freie Hand I läßt", und man konnte aus seinen weiteren Aeußerungen I entnehmen, daß die englische Regierung ohne Rücksicht auf I einen etwaigen französisch-russischen Protest Egypten die notb- Fertillrtsir In -er Irre. 4s Novelle von M. v. Oertzen. Nachdruck verboten. May und ihre junge, blonde Stiefmutter fixirten einander mit einer Ungenirtheit, die Resa in Erstaunen setzte. Nur Eine- war dem stillen Mädchen sofort klar: diese Beiden würden sich hassen bis aufs Blut. „Einsteigen!" rief es in der Halle. ,,6ow6 alovg", sagte Mr. Welton — eine kurze Rund verbeugung. Ein winkende- Taschentuch! May beugte sich au« dem Wagen und winkte, heiler kachelnd, bis der Zug um eine Ecke bog, bis er entschwunden. Julian schwieg. Nach Lächeln und Winken war ihm nicht zu Muthe gewesen. Die Zurückgebliebenen gingen aus der Halle. „Noch ein junger Mann, der Mr. Welton", sagte Herr v. Willow endlich. „Aber etwas trocken —" „Mr. Welton ist ein Gentleman", sagte Frau v. Willow kleinlaut, „wir Deutschen verstehen nur nichts von der Riesen maschine des Geistes, die über dem Canal drüben in ewiger Bewegung bleibt — große Geister kennen nicht die Dutzend- liebenswürdigkeit der Durchschnittsnaturen." „Große Geister kennen den Sonnenschein der echten HerrenSliebenswürdigkeit", sprach Herr v. Willow. Nur Resa sagte nichts. Sie blickte auf Julia», und eine Wolke flog über ibr Gesicht. War er stark genug, um den Kamvf mit den „großen Geistern" aufzunehmen? Am Tage vor seiner Abreise nach Genf erschien er auf Burg Horst, um sich zu verabschieden. Er war ernst und blaß und sprach in raschen, leisen Tönen. Den alten Herrn v. Willow suchte er in seinem Zimmer auf und dankte ihm nochmal- dafür, „daß er ihm von Kindheit an eine Heimath geschenkt"; Frau v. Willow küßte er die Hand, nur Resa, wo war Resa? Sie stand auf dem Dache und blickte in das Land hinaus. Eine unbeschreibliche Weichheit hatte sie überkommen, das Bedürfniß, mit Allen Frieden zu schließen. „Was nutzt der Streit, die Qual im Leben?" dachte sie. „Der einzige Gewinn desselben, da« ist der Frieden." „Resa, willst Du mir nicht Lebewobl sagen?" sprach Julian hinter ihr. Und als ihr Kindheitsideal, der Freund ihrer ersten Erinnerungen und ihrer Jugend vor ihr stand, in dem ganzen Ernst eines Mannes, der mit Bewußtsein einen neuen Weg einschlägt, da flössen die Thränen über daS in letzter Zeit so hart und eigensinnig gewordene Gesicht. „Julian, möchtest Du nur glücklich werden", flüsterte sie erstickt. „Warum sollt ich nicht?" sprach er scheinbar heiter. „So lange wir an unserem Glück nicht zweifeln, sind wir glücklich . . „So wünsche ich Dir, daß Du nie daran zweifeln mögest." Er wandte sich zum Gehen. Resa drückte den Kopf in die kühlen, herabhängenden Lindenzweige . . . Eine Woche nach Iulian's Hochzeit kam eine von May geschriebene und von Julian mitunterzeichnete Postkarte aus der Schweiz an — einige Scherzworte unter einer sehr bunten Ansicht von Rigi-Kulm. Frau v. Willow war entzückt. Herr v. Willow holte mit Umständlichkeit seine Brille hervor, um die Karte zu betrachten. Dann noch ein Telegramm aus E.: „Heute angekommen. Gesund und munter. May, Julian." Frau v. Willow faltete befriedigt die Hände: „Da wären sie ja glücklich im Hafen. Ich gedenke nicht, sie jetzt zu stören — aber zum nächsten Frühling, Resa — zum Früh ling habe ich Dich dort angemeldet." DaS grüne Studirzimmer deS Vaters wurde Resa « liebster Aufenthaltsort. Dort saß sie, Ruhe in sich und um sich, und wenn auch die stets betzende Stimme der Mutter in ihren Ohren nachgellte: „Resa, thu' dies und jenes", so durfte sie hier doch einen Augenblick die Hände im Schooß falten und sich auf sich selbst besinnen. Was sie an Liebe und Zärtlichkeit in sich trug, vas flog dem alten Manne entgegen, der dort sein weiße« Haupt in der Einsamkeit barg und halb erstaunt, halb wehmiithig daS späte Glück genoß, einem Menschen etwas zu bedeuten. Seine Frau beschuldigte ibn, „da« Kind" auf ungesunde Weise zu beeinflussen. Für die Jugend sei die Jugend, und ob es seine Absicht, ein siebzehnjähriges Mädchen zur alten Frau zu erziehen? Ach nem, er beabsichtigte gar nichts. Hilflos schüttelte er den Kops, und als Resa da- nächste Mal bei ihm eintrat, bat er sie liebevoll, die Arbeit vorzunehmen, die Mama ihr aufgetragen, und mit der Jugend jung zu sein. „Ich störe Dich, Papa!" sagte sie betrübt, die Thürklinke in der Hand haltend. „Nein, Kind, aber siehst Du, Mama wünscht es so, und um des lieben Friedens willen . . ." So mußte Resa auch diese ihre letzte Freude entbehren lernen und in den langen, langen Herbstnachmittagen am Fenster sitzen, einen Korb Weißzeug vor sich, die Nadel in der Hand. Oft erschlafften ihre Gedanken bei der mechanischen Arbeit, oft drängten sie haltlos vorwärts und verloren sich auf Wegen in den Abgründen, wie eine Herde unbe wachter, feuriger, junger Pferde, die aus ihrem Gehege ge brochen. Kurze Briefe von May — Julian schrieb niemals — bildeten die einzige Zerstreuung in dem Einerlei der Tage, und Frau v. Willow versäumte nie die Gelegenheit, bei Empfang der duftigen Schreiben an Resas Besuch in E. anzuknüpfen. Schon im Oktober kam eine Schneiderin ins HauS, um Resa s Toilette in Ordnung zu bringen. Burg Horst lag stolz und still, vom Schnee gekrönt. Sie träumte den Wintertraum. Wie bläulicher Stahl spannte sich der Himmel über den Weißen Bergen aus . . . dann wurden die Tage länger nnd die wunderlichen Eisgebilde am Brunnen veränderten sich — es thaute. Und gegen Ende März batte Frau v. Willow ein Gespräch mit ihrem Gemahl in der grünen Stube, daS mit einem Triumph für sie endete. „Resa, in der nächsten Woche bringe ich Dich nach E." Resa hörte es unbewegt. Es lag ihr sehr wenig daran, was mit ihr geschah, aber Frau v. Willow machte nickt Miene, e- bei dieser kurzen Meldung bewenden zu lassen. Sie setzte sich auf das schwarzlederne Sopha des Wohn zimmer« unter die beiden Oelgemälde der Urgroßeltern und forderte Resa auf, ihr gegenüber Platz zn nebmcn: „So, daß ich Dich sehen kann. Zieh die Gardine rnrück." Im grellen Strahl des Tages saß Resa, aufrecht und steif, die Finger ineinander schlingend. „Resa. Dn weißt, daß ick von jeder bestrebt gewesen bin. meine Pflicht als Mutter Dir gegenüber vollkommen zu er füllen — daß ich keine Opfer scheute, nicht« versäumte — wie?" „Ja." „Nun", fuhr Frau v. Willow fort, „Du stehst an einem Wendepunkt Deines Lebens. Ich werde mich von Dir trennen um Deiner Zukunft willen — begreifst Du?" „Nicht ganz, Mama." „Dein Vater ist sehr alt, und ich bin kränklich. Ich möchte Dein Loos gesichert wissen, um ruhig sterben zu können. Wenn ich Deine Hand in die eines Mannes legen darf, dem ich voll und ganz zu vertrauen vermag —" „Oh, nur das nicht", flüsterte Resa abwehrend. Ihre Scheu vor Allein, was mit Liebe und Heirath zusammenhing, kam wieder zum Ausbruch. „Sei nicht kindisch, Resa. Du hast keine Ahnung von der Weit — und ich boffe nur, daß Du auf Deines Vaters und meine Wünsche einige Rücksicht nimmst, indem Du Dich in der Stadt heiterer und liebenswürdiger zeigst, als hier. Ich kenne nichts Abstoßenderes, als ein junges Mädchen, das so vollkommen seine eigenen Wege geht und jedes weibliche Gefühl, jede weichere Regung in sich unterdrückt, wie eine Nonne oder Vestalin . . . DaS wollte ich Dir nur gesagt haben, Resa. Du trittst bei Julian und Mau in einen auserlesenen Kreis. Zum Abend unserer Ankunft hat May einige Gäste geladen, intime Freunde ihres Mannes, und ich freue mich recht sehr, auf diese Weise jene kennen zu lernen, mit denen Du hauptsächlich dort verkehren wirst." Resa stand auf „Mama," sagte sie, „ich bin nicht un dankbar, gewiß nicht — aber wenn Du an diesen Besuch in E. irgend welche Hoffnungen knüpfst, so beschwöre ich Dick, gieb sie auf — ich — ich kann sie nicht erfüllen! Was ich von diesen Dingen gesehen habe, auf die Du anspielst, das ist tausendmal anders, als ich mir träumen ließ ..." „WaS hast Du davon gesehen ?" „May und Julian." „Und lieben sie sich etwa nicht? Können sie sich auch nur eine Minute trennen? Erfüllt er nicht blind ibre Wünsche?" „Und so . . „Ja, so will ich auch Dich verheirathen!" „Mama — ich kann nicht — kann nicht daran denken — wie an ein Geschäft — oder an einen Vertrag — es demüthigt mich!" Sie trat mit brennenden Wanzen näher. „Phantasterei!" rief Frau von Willow. „Sammle Dich und erkenne meine Liebe und Sorge in dem. was ich für Dich thue — ich zwinge Dich zu nichts — aber ich bin eine klare und nüchterne Natur und liebe es, die Dinge beim reckten Namen zu nennen. Ein sentimentales und feiges Verschleiern derselben ist nicht weine Art. Und nun noch eines: Deine Correspondenz werde ich regeln. Damit Du Dich aber in E. gründlich und ungestört einleben kannst, wirst Du uns hier nicht allzu häufig besuchen — daS erste halbe Jahr gar nicht — und auch wir fahren nicht nach E.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite