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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.02.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-02-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970208019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897020801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897020801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-02
- Tag1897-02-08
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Reclamen unter dem Redactionsstrich (4ge- spalten» 50/^, vor den Familiennachrichtra (L gespalten) 40 ltzrößere Schriften laut unserem Prei«. verzeichnist. Tabellarischer und Ziffernsotz nach höherem Tarif. (sxtra-Beilagen (gesalzt), nur mit d*« Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung .4» 60—, ,»it Postbesörderuog ^ll 70—. Annal,meschluß für Änzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag« 10 Uhr. Mvrge n-Ausgabe: Nachmittags 4 Nbr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. «9. Montag den 8. Februar 189 9l. Jahrgang. Städteliilder aus Sachsen. Chemnitz. Nachdruck verboten. (Fortsetzung und Schluß aus Nr. 56.) An Stelle der Tuchmacher, die, wie wir gesehen haben, in den städtischen und industriellen Verhältnissen von Cbem nitz sich eine leitende Stellung errungen hatten, traten nun wieder die Leinweber; vom Ende des siebzehnten Jahr hunderts ab hatten diese dieselbe Bedeutung wie vorher die Tuchmacher. Als im sechzehnten Jahrhunderte die Leinen weberei mehr und mehr niederging, befaßten sich die Chem nitzer Weber mit der Barchentweberei, später noch mit der Fabrikation ganz- und halbwollener Zeuge. Die stetige Nachfrage nach diesen Artikeln brachte es mit fick, daß nach und nach in Cbemnitz sich 100 ständige Meister nicderlicßcn, die sich eines so guten Rufes erfreuten, daß man 1690, als Johann Friedrich Gentzsch in Braunschweig eine Barchent- manufactur einrichtete, er sich Meister aus Chemnitz zur Einrichtung kommen ließ. Die Tuchmacher bereiteten den Leinwebern immer noch Schwierigkeiten, indem sic Einspruch gegen den Verkauf ihrer Erzeugnisse erhoben, doch ward 1723 der Streit zu Gunsten der Leinweber entschieden, so daß sie sich nun voll und ganz der Baumwollbranche znwenden konnten. Die erste Kaltundruckerei ward 1770 von dem Hamburger Wilhelm Georg Schlüssel in Chemnitz errichtet. DieieS Unternehmen nahm jedoch nicht den gewünschten Fortgang, besser ging es in dem Unternehmen des Benjamin Gottlieh Pflugbeil, der 177t eine zweite Kattnndruckerei errichtete, die sich so schnell entwickelte, daß sie von Jabr zn Jahr er weitert werden mußte und die auch dann noch den Vorrang behauptete, als in den folgenden Jahren »och viele andere Katturidruckereien in Cbemnitz gegründet wurde». Mit Er richtung der Kattundruckereien trat Chemnitz in den Betrieb der Großindustrie ein, um dem Aufblühen dieses neuen Zweiges der JuduGrie nicht hindernd in den Weg zu treten, verzichtete der Rath stillschweigend aus das 1478 um 1000 rheinische Gulden erworbene Privileg deS Bleichzwanges. s":r di. nötbigc Robnialcrial wurde anfänglich aus Wien bezogen, wo sich unter dem kaiser lichen Schutze griechische Baumwollbandlungen niedergelassen hatten. Zu Ende des Siebenjährigen Krieges errichteten etliche griechische Kaufleute in Chemnitz selbst Nieder lagen, 1764 gab es in Chemnitz deren schon vier, >775 gab es deren schon acht. Die Regierungß belegte die eingeführte Baumwolle mit hoher Hanvelsaccise, die Macedonier drohten, ihre Niederlagen in nahen Schön burgischen Orten zu errichten, was jedoch unterblieb. Durch Creditgewährung verpflichteten sich aber die schlauen Mace donier die Cbemnitzer Häuser, so daß auswärtige Lieferanten in Baumwolle mit den Chemnitzern gar kein Geschäft mehr machen tonnten. Diesen Umstand benutzten sie z» unbe gründeten Preissteigerungen. Als ne 1769 erfuhren, daß die sächsischen Manufacturisten auf der Leipziger Michaelis messe von Hamburg aus ganz bedeutende Aufträge auf weiße Kattune erbalten hatten, steigerten sic den Preis von 24 auf 36 Tbaler pro (Zentner, so daß die Hamburger Auf träge nur mit Verlusten ausgeführt werden konnten. Die Chemnitzer Kaufmannschaft wandte sich wiederholt an die Regierung und bat um deren Vermittelung, doch war aus diese Weise kein Erfolg zu erzielen, im Gegcntbeil, die Griechen steigerten bei passender und unpassender Gelegenheit weiter, so daß zuletzt die Chemnitzer zn der Ueberzeugnng ge langten, daß sie nur bei direktem Einkäufe ferner noch con- curriren könnten. Um ans technisch-maschinellem Gebiete die englisch - fran zösische Concnrrcnz zu beseitigen, war man in Chemnitz schon seit Langem bedacht, eine geeignete Spinnmaschine zu erfinden; verschiedene Versuche schlugen fehl, da gelang es im Jahre 1784 dem Zimmennann Matthias Freu, eine Maschine zu constrniren, die so viel spann, als zwei Personen liefern konnten. Das war ein Fortschritt, Frey erbielt für diese Maschine eine Prämie von 400 Thalern und später eine Jahrespension von 200 Thalern. Diese Maschine bedurfte noch sehr der Verbesserung, zumal es ihr noch nicht möglich war, so feine Garne zu spinnen, wie man sie hauptsächlich zur Herstellung von Mousselinen brauchte. Ums Jahr 1790 weilte in Dresden Chevalier Laudriani, der ausgezeichnete technische Kenntnisse besaß und der sich bereit erklärt batte, die Textilindustrie des Landes zu fördern. Er kam nach Cbemnitz und sah sich alle Hilfsmaschinen an; nach seinen Angaben wurde nun die von Pfaff in Zschopau erfundene Krempelmaschine von Forkel umgebaut, ebenso die Frey'sche Spinnmaschine von dem Chemnitzer Wirkmeister Jrmscher. Die gemachten Verbesserungen sielen so gut auS, daß beide von der Regierung mit Prämien bedacht wurden. Durch den Chevalier Laudriani ward für die Chemnitzer Baumwollmanufactur noch manche Verbesserung ins Leben gerufen; aber da die bewegende Kraft noch immer die Mcnschenkrast war, so tonnte die Chemnitzer Maschinen spinnerei vorläufig noch keine führende Stellung einnehmcn und blieb hinter der Leistungsfähigkeit englischer Unter nehmungen zurück. Als jedoch zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts auch in Chemnitz die Wasser nnd Dampfkraft in den Dienst der Maschinenspinnerei gestellt ward, betrat die Chemnitzer Baumwollinduslrie die Bahnen, die sie zu ihrer jetzigen Höhe geführt haben. Zwei Cbemnitzer Kaufleute, Wühler undLange, waren es, die 1799 mit dem Bau einer Spinnerei nach englischem Muster in Chemnitz begannen. ^sA dem in den Händen des Engländers ^.am -^ni, , Cbemnitzflusse ward ein LkradlimgeS - 1 M ^ giernng gewählte zum Bau nnl Wasserkraft NN».' AiA.« in rung eine Türkil chrotbfar - betriebene Spinnerei nL''d^ m>° s-in- in «r Au- »'UMdrnck,-., Y-i-, erweiterte. Becker ward in den folgenden ,chweien Kriegs °»d m °-n I.br-n -°n >S>°-,8>7. -» °'N , rung daö Land drückte, ein »noergepener Wohltbaier der Stadt; sein Andenken ehrte die Stadt dadurch, daß sie ihm ein in Er: aeaossencs Standbild errichtete. Die Continentalsperre und die nun folgenden ^'cgS,ahrc waren bald hindernd, bald fördernd für die Cbemnitzer Baumwollindustrie, bald war die Baumwolle billig zu haben bald überhaupt nicht, so das; Abschlüsse unter den stegebenen Verhältnissen auf die Zeit hinaus nicht zu machen waren, ebenso verhielt es sich mit den Farbholzern, aus denen I- nach der Art Zölle von 12-250 Thalern ruhten. Am empstnd- lichstcn machte sich das Jahr 1813 bemerklich, die Cbemnitzer Industrie kam so ziemlich zum Stillstand, so daß die meisten eingerichteten Arbeiter des Arbeitsmangels wegen sich nach Böhmen wandten, wodurch für Chemnitz in nächster Nähe eine fühlbare Concurrenz entstand, da diese Arbeiter die in Cbemnitzer Spinnereien erlernten Bortheile nach dort verpflanzten; als nun das Jahr 1814 besiere ge- schriftliche Verhältnisse brachte, da fehlte es in Cbemnitz an eingerichteten guten Arbeitern. Aeußerst drückend war »ach dem Friedensschlüsse auch die Zollschranke, mit der sich Preußen, Oesterreich und Rußland umgaben, trotzdem waren die Cbemnitzer Fabrikanten stetig bemüht, ihre Einrichtungen und die von ihnen erzeugten Stoffe zu verbessern. Ein großer Fortschritt war es wiederum, als im Jahre 1822 in >«..7 stzi-,ss'kcl,<>n nnd .srenmann'schen Svinnereien zum ein weiterer Fortschritt war die iin Jahre 1827 erfolgte Einführung des Jacqnard'schen WebstuhlS, welche durch den Fabrikanten Ludwig Hans ding geschah. Von Vortbeil war es für die gesammte Cbemnitzer Industrie, als am 30. März 1833 der Anschluß Sachsens an den von Preußen gegründeten Zollverein erfolgte. Einen sofort in die Augen springenden Vortheil konnte man zwar nicht Nach weisen , aber es war nun eine Grundlage gegeben, aus welcher die Industrie neue, lebensfähige Zweige einpflanzen konnte. Mit der Kattnnweberei ging es mehr und mehr -urück, an ihre Stelle trat die Buntweberei, die sich hauptsächlich mit.Herstellung von Kleiderstoffen befaßte; dieser >stveig der Weberei hat sich denn auch bis heute erhalten: gleichzeitig nahm auch die Fabrikation von Möbelstoffen ihren Anfang, und seit 1864 hat auch die Juteweberei einen ständigen Platz in Chemnitz gesunden. Die in und um Chemnitz ausblühende Textilindustrie bedingte es, daß fick hier ein zweiter Hauptzweig entwickelte, bas war die Maschinenbauindustrie, sie ist ein Kind der Neuzeit. Der Begründer der Cbemnitzer Maschinenbauindustrie ist Carl Gottlob Haubold, der 1826 die erste Maschinen bcruanstalt in Cbemnitz errichtete. Er baute die Maschinen, die haupt'ächlich für Spinnereizwecke gebraucht wurden; im Jahre 1836 übernahm eine Aclien-Geseuschaft die Haubold'scbe Maschinenbauanstalt, doch diese Gesellschaft war nicht im Stande, diesen neuen Industriezweig zu weiterer Blüthe zn bringen, im Gezenthcil, es ging rückwärts, und wäre nicht Richard Hart mann mit seiner Intelligenz und Thatkrafi in die Schranke getreten, so würde wohl kaum die heutige Maschineninduslrie von Cbemnitz aus so hoher Stufe stehen. Als nämlich die Sächsische Maschinenbaucompagnie nicht prosperirte, eröffnet« Hartmann mit drei Arbeitern an der Annaberger Straße eine Maschinenbauanstalt, in der wiederum Spinnmaschinen im Vordergründe standen. Nach achtjährigem Bestehen fanden in der Hartmann'schen Fabrik bereits 35«, Arbeiter Beschäftigung; 1811 lieferte er die erste Dampf maschine ab, am 7. Februar 1848 die erste Lokomotive „Glück auf!" Die Wirren von 1848 waren auch dem Hartmanii'schen Unternehmen höchst »ackthcilig; doch ein hellblickender Geist findet auch in der Dunkelheit den richtigen Weg. Um sich einen Stamm Arbeiter zu erhalten, verlegte er sich so fort auf die Herstellung von Schußwaffen. Nach Einkehr der Ruhe belebte sich auch der Maschinenbau wieder. Hart- mann nahm Zweig um Zweig dieser Industrie in seiner Anstalt auf. Im Frühjahre 1855 begann er mit dem Ban von Turbinen, Mühlcneinrichtungen rc.; besonders aber war er leistungsfähig in größeren Bergwerksmaschinen, Kunst- gezeugen und Bohrapparaten; 1857 nahm er den Bau von Werkzeugmaschinen als besonderen Zweig auf und 1500 erhielten bei ibm Besckästiauna. Hartmann schien FeiriHetsn. Die Gaunersprache. Von El. Oswald Arnoldi. Nachdruck verboten. Wenn wir uns unsere schöne Muttersprache gern als einen hohen herrlichen Dom denken, so können wir uns wohl auch weiter vorstellen, daß es in diesem Dome irgendwo einen verlassenen unheimlichen Winkel giebt, dahrn das Sonnenlickt selten dringt, aus dem in der Dämmerung die tageSscheuen Fledermäuse aufflattern, wo uraltes Gerümpel bunt durcheinander geworfen ist. Da liegt der verschossene Fetzen eines Frauenkleides neben dem Pergamentblatte eines verschollenen lateinischen Schmökers, ein rostiger Säbel „eben einem Dietrich, die Spielhahnfeder vom Hute eines Vaganten neben einem Zigeunerwams; und wenn ein Licht strahl sich einmal in diesen Winkel verirrt, dann giebt der Trödel einen gar wunderlichen Anblick: halb grotesk und halb unheimlich sieht er au«, erscheint bald wie eine Aus geburt der Phantasie, und bald wie eine drohende, finstere, schmutzige, grinsende Wirklichkeit. Wir sind in der Schreckens kammer der deutschen Sprache — in dem Winkel der Gaunersprache. Es lohnt sich reichlich, in diesem Winkel sich einmal um zuschauen. Die Forschung hat es verstanden, den tovten Kram zum Leben zu erwecken, das Zusammenhanglose in Zusammenhang zu bringen. Besonders ist Avö-Lallemant der Schliemann der Gaunersprache geworden und hat die überraschendsten Entdeckungen in ihr gemacht. Denn ist sie gleich ein entarteter Sprößling, als ein ebenbürtiges und lebensvolles (vielleicht zu lebensvolles!) Kind der deutschen Muttersprache muß sie anerkannt werden. DaS Gaunerwesen ist so alt wie unsere Geschichte. Schon die Gesetzgebung Karls des Großen warnt vor den vsMrlluncki. Später bedeckten sich Deutschlands Straßen dichter und dichter mit fahrendem Volke aller Art. Fahrende Geistliche, Hand^ werker, Soldaten, Gaukler, Lehrer verstärkten das Heer der unholden Gesellen. Sie schweiften rastlos von Nord nach Süd, von West nach Ost; wo sich eine Gelegenheit zur Beute zu bieten schien, da strömten sie von allen Himmelsgegenden zusammen: sollen sich doch beim Constanzer Concile allein 1400 Weiber zusammengefunden haben! Wie sich daher, der natürlichen Neigung deS GaunertbumS zum Verhüllten und Versteckten entsprechend, zeitig da- Brdürsniß nach einer eigenen geheimen Sprache entwickelte, da fanden die Fahrenden leicht und reichlich Material. Sie kannten ja die Sprachen, die Mundarten, die Phrasen der halben Welt und konnten sich so leicht ein Kauderwelsch Zusammenzimmern, da« dem seßbaften Bürger und Bauern nicht verständlich sein konnte. Durch diesen Ursprung erhielt die Gaunersprache von vornherein einen überaus pikanten kulturhistorischen Charakter; von den Römern ab erkennen wir fast alle Völker in ihrem trüben Spiegel wieder. Wenn der Gauner trinkt, so „bachelt" er und macht damit eine Anleihe beim lateinischen poculuw. Das Wort orars mußte sich zu „orea* (beten) hergedrn, tnLn» (da« Kind) kehrt in dem gleichbedeutende« »Hantemrr', wieder. Das sind nun ziemlich deutliche Bildungen; aber die Bezeichnung „alter Fritze" hat doch viel vom Glanze der hesperiscken Sonne verloren und doch entstammt sie dem Boden Italiens. In einer Glashütte an der Landstraße mag der Vagant zuerst den Ausdruck „Fritte" (von kritta) gehört haben, der in der Glasbläserei die Mischung der er forderlichen Farben bedeutet, und daraus entnahm der Ge witzte das Wort Fritze für Schminke, „sich fritzen" ist: sich schminken, scheinheilig thun, sich weißwaschen. Machen wir aus dem Süden schnell einen Abstecher in Hamlet'S Nebel- heimatb, so finden wir das dänische lern (fünf) in „abfemern" abschreiben — von den Fingern der Hand so genannt — wieder, und tranx, der Drang, wurde zu „Drong", was einen Balken oder Hebebaum bedeutet. Zwei Idiome wurden frei lich in erster Linie die Grundlagen des Rochwelsch. DaS eine war die Sprache der Zigeuner, die zuerst ,m 15. Jahr hundert in Deutschland erschienen sein dürften, die natür lichen Verbündeten des unehrlichen Gesindels waren und ihrer Sprache die uralten und ehrwürdigen Laute des Sanskrit zuführten. Schon lange vorher hatten sich aber die Gauner des jüdisch-deutschen Jargons bedient, der vom Hebräischen scharf zu scheiden ist, da er sich in seiner Flexion durchaus auf dem Boden der deutschen Sprache bewegt. Die Juden, von den meisten Berufsarten aus geschlossen, wurden durch ihre Handelsgeschäfte vielfach dazu verführt, die Handlanger der Uebeltbäter zu werden, und ihr Jargon wurde durch die dauernde enge Berührung des GaunerthumS mit gewissen Schichten des JudenthumS die Grundlage der Gaunersprache überhaupt. Schon in dem kleinen Verzeichnisse mehrerer GauncrerwerbSzweige, das der Breslauer Kanzler Dilmar von Meckebach zur Zeit Karl's IV. aufgesetzt hat, scheinen einzelne Worte aus dem deutsch-jüdischen Jargon zu stammen; später tritt daS Judendeutsch überall in den Gaunervocabularien sehr farbig hervor; es hat bis heute seine Bedeutung behalten und aus der Gaunersprache in neuester Zeit sogar einzelne Worte, wie meschugge, Mischpoke rc., in die Umgangssprache entsandt. Man hat die Gaunersprache im Gegensätze zu der organisch erwachsenen Volkssprache mit Recht als eine künstliche, gemachte bezeichnet. DaS giebt ihr nun den eigentbümlichen Reiz, daß wir die schlauen Gesellen der Landstraße unmittel bar bei der Erfindung beobachten können. Zuerst gehen sie noch von der Bestimmung des Gegenstandes aus und nennen die Scbuhe „Trittlinge", die Handschube „Greiflinge" u. s. w. Eine noch naivere Art von Bildungen sind die durch TranS- positionen oder Verhüllungen entstandenen Worte, wie „Jkbre" für Brücke, „loscharen" für fragen, was au« „Scholaren" entstanden ist und also eigentlich „wie ein Schüler sich benebmen" bedeutet. Ungleich interessanter aber sind die Schöpfungen, in denen sich der bebende Witz, der Galgen humor, der frivole Uebermuth deS spitzbübischen Volkes äußert. Eine Violine nannten sie recht unfreundlich eine .Minsel", den Hut tauften sie mit entschieden grotr«ker Plastik als „Oberwandel". Einen Wäschedieb „Scbneeschauster" zu beißen, ist unbestreitbar humorvoll. Der schnell« Geist der Fahrenden benutzte jeden Anlaß zur Bereicherung ihrer Gehrimsprache. Au« dem Franziskaner machten sie schlecht weg da- Wort für den Pfaffen überhaupt: Lefrantz. Im 14. Jahrhundert gab es einen großen Srnsationsproceß gegen Domherren, die Falschmünzerei getrieben hatten, und „Tume Herren" führten fortab die Gauner für alle Falschmünzer ein Tie heutige Gaunersprache kennt ein Wort Bossertisch ode Boserisch, das Gendarm oder Polizist bedeutet und ein überaus drollige Geschichte hinter sich hat. Es stammt voi ram jüdisch-deutschen „Boser-Jsch", und das ist die wörtlich Übersetzung von „Fleischmann"; der gute Fleischmann abe war einmal ein Officier, der sich durch seine eifrige Ber folgung von Gaunerbanden in der Gegend von Darinstad und Frankfurt den Herren Spitzbuben unangenehm bemerkba gemacht hatte. Da waren nun freilich Bildungen, die durch ihre Ge schichte vor dem Errathenwerden geschützt waren. Auch di wahrhaft ungeheuerlichen Sprachmischungen, die die Gauner spräche jongleurartig vornahm, waren des Geheimnisses sicher AuS dem deutschen „Amt", dein zigeunerischen Kehr (Hau- nnd dem lateinisch-jüdischen stospss oder vseüpm (Wirth entstand das Monstrum „Amtskehrspeis" ---- AintShaus. Da» jüdisch deutsche „Ackieln" (essen) und das niederdeutsche „Putzen' daS dasselbe bedeutete, tbaten sich friedlich zu „Achelputz" Speise, zusammen. Und im „gefünkelten Jobaun", der si bieder klang, konnte doch unmöglich ein Deutscher daS jüdisch deutsche Wort jasin, Wein vermuthen! Aber unzählige ander Worte der Gaunersprache waren dem Deutschen gleichfall» unverständlich, obwohl er in ihnen sein eigen Fleisch und Blu vor sich hatte. Denn daS Rothwelsch bat eine große Füll altdeutscher Worte aufbewahrt und klug für sich ausgenutzt als sie aus dem Leben der Volkssprache bereits verschwanden „Breilaft" sagt der Gauner z. B. von der Hochzeit oder den Verlöbniß; daS ist nichts Andere«, als „lirntloott", Braut lauf. In „Fitz", da« Garn, ist das althochdeutsche Wor ,.F'Za", der Faden, erhalten; der Gauner, der eine Gegen! „abscknnrrt" (abbettell oder durchwandert), ist der Urenke de« mittelhochdeutschen Snurranten oder Bettelmusikanten Auch der Reichthum unserer Dialekte hat an die Gauner spräche abgegeben, besonders die niederdeutschen Mundartei sind stark benutzt worden, und die „Lütke" des Bauern aus Platt land diente auch dem Gauner zur Benamsung seinerTabakofeife den zuletzt angeführten Beispielen ei, eiaenthiimliches Verfahren dieser heimlichen Sprachkünstle erkennen. Wie die Geier sich um Leichname sammeln, si drangt die Gaunersprache sich an alles beran, was dem Ab sterben, der Verwesung in der Sprache verfallen scheint. S hat sie altdeutscher Wurzeln sich bemächtigt, die in der Volks spräche verwelkt waren, so dialektische Ausdrücke an sich ge nsien, die dir deutschen Stämme vergessen batten. Im selber Geiste sind auch die Spuren und Reste verwesender Sitter und Institutionen in die Gaunersprache verwebt. DaS merk- würdigste Beispiel hierfür dürfte der Verfall der mit fran zösischen Brocken so reichlich geschmückten alamodischen Sprach« de« 17. Jahrhunderts sein. Al-die Bemübunaen der Sprach- reinigrr diesen monströsen Popanz au« den Kreisen der Bildunc verdrängten, öffnete die Gaunersprache ihm ihr, Arme wie der Sklave den Abhub von der Tafel de« Herrn schlingt, so gefiel sie sich darin, „Karlen" von parier zu bilden Gauner-Idiom. Einst war die Sprache der Dörper durch den Minnesänger Nithart in Mode gebracht worden. In dem Maße aber, als das Bauernthum unterdrückt, ver nichtet, geknechtet wurde, versank auch seine Sprache in Verachtung und Vergessenheit; und ward der Bauer selbst zum Proletarier» so wurden die besonderen Ausdrücke seiner Sprache als herrenloses Gut vielfach Eigenthum deS GaunerS Solch einen Ausdruck finden wir z. B. noch bei Pbilander von Sittewald: Ist das nicht wunderbarlich Gl'md, Daß der Hautz sein Schuch mit Weiden bind Und doch die Zech muß zahlen; heut zählt dasselbe, sonst verschollene Wort Hautz oder Hu? zum Lexikon der Gaunersprache, die eS als Bezeichnung für den Bauern als Einfaltspinsel gebraucht. Die umgekehrte Erscheinung ist die, daß daS Gaunerthuni den gesunden und unverbildeten Ständen nur sehr wenig für seine Sprache abzuaewinnen weiß. Von dem „freien, frischen frommen Matrosen", der die Brust in der reinen Seelust stciblt, von dem Bergmann, den sein geheimnißooller Berus ernst, innerlich, abgeschlossen macht, finden sich in der Gaunersprache wenig Spuren. Auch der Studentensprache Kat sie sich, obwohl ber Studentenstand gegen den Ausgang des Mittelalters bis zu einem gefährlichen Stande der Ber rohung herabgesuuken war, nur in einzelnen Ausdrücken, wie zun, Beispiel „Pech", zu bemächtigen vermocht; die galgenbumoristische Bezeichnung Gymnasium für Crimina! gefängniß maß wohl gleichfalls den wandernden Scholaren abgeborcht sem. Aber die rohe Soldateska hat ihre Phrasen aus dem Soldatenleben, wie „Trampelthier" alc Namen für einen schweren Cavalleristen, die Wilddieb, haben ihre waidmänniscken Ausdrücke, das internationale Gesindel der Kellner (Tieflinge) hat ihr Worte aus dem Hotel-Rothwelsch (Nassauer sein ---- kein Geld haben : abschäften ---- mit der Zeche durchgehen) zugerragen. Die engsten und mächtigsten Verwandten der Gaunersprache indes; waren die ganz ausgebildeten Sondersprachen der Schinde, und deS liederlichen FranenvolkS Ja, man darf sagen, daß diese beiden elenden und verworfenen Stände auf da« Gauner thnm einen fast dämonischen Einfluß auSübten. Nicht allein, daß es seinen Sprachschatz ans den mit unerschöpflicher Fruchtbarkeit und gemeinster Phantasie erzeugten Sprach erfiudungen der Schinder und der Frauenzimmer immer wieder aufs gierigste nachfüllte; eS beugte sich sogar in einem gewissen deniüthigen Respekt vor diesen Meistern uud Meiste rinnen der Schande und mußte es erlauben, daß seine eigene Gaunersprache von den Angehörigen dieser beiden Claffen in vielfach veränderter Bedeutung zu einer neuen besonderen Geheimspracke benutzt und auSgrdildet wurde. Ta haben wir nun einige von den Trvdelfetzen aus deni dunkelsten Winkel unserer Sprache in der Hand gebalten und betrachtet, und ich meine, wir werden sie jetzt nicht mehr so ganz verächtlich ansehen. Mancher dieser Fetzen gehörte früher zu einem schönen Dtaat-kleidr; und was der Zufall bier gnllenhaft zusammenzeworsen zu baden scheint, bat dock auch sem murre- Gesetz, das es hierher wars. Oft ist Krankheit und Tod, Raub und Diebstahl dies Gesetz» aber immer ist zugleich die Entwickelung unseres eigene» Volks leben, dsrau bttbeiligt.
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