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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.02.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-02-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970212019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897021201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897021201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-02
- Tag1897-02-12
- Monat1897-02
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Größere Schriften laut uujerem Preis- Verzeichnis,. Tabellarischer und Zisfernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit ^e Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung ./< v0.—, mit Pvstbrfördrrung /l 70.—. Ilnnahmkschlnß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeige,i sind stets a» die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. ^ 77. Freitag den 12. Februar 1897. 81. Jahrgang. Die „türkischen Gräuel gegen die Armenier". L2 Von den „türkischen Gräueln gegen die Armenier" ist es in Deutschland ziemlich still geworden. Vieles mag dazu der Umstand beigetragen haben, daß die Verwandten de« SobneS dieses Volkes, der den Deutschen Sympathien ein zuflößen und Gelder abzunebmen verstanden hat, neuerdings m ihrer Heimath als capitalkräslige gewerbliche Unternehmer austreten. Wie dem sei, jedenfalls hat sich angesichts der tür kisch-armenischen Vorgänge die Eigenschaft der Deutschen, sich allzu leicht mil Milleid erfüllen zu lassen, so stark gezeigt, daß wir eine zweite Auflage der kürzlich erregten, menschlich nicht gerecht fertigten und politisch schädlichen Bewegung erleben können. Aus diesem Grunde ist es sehr werthvoll, daß die Schilde rungen des Herrn Or. Lepsius, auf welche die deutsche Ent rüstung zurückzuführen ist, i» der „Post" einer Prüfung von berufener Seite unterzogen worden sind. Ihr Urbeber, Herr W a l 1 h e r S i e h e, unterscheidet sich vorlheilbaft von Hrn.Lepsius dadurch, daß er Land und Leute bei einem mehrjährigen Aufenthalt kennen gelernt hat und aus eigener Anschauung urtheilt, während vn. Lepsius das gewiß gutgläubige Organ Dritter gewesen ist. Herr Siehe, ein geborener Berliner, ist in Mersina in der asiatischen Türkei wohnhaft, wo er naturwissenschaftlichen Studien, die ihn selbstverständlich auch zu Resten veranlassen, obliegt. Er bat, bevor er sich diesem Fache zuwendete, evangelische Theologie studirt, kann also mit vr. Lepsius in der Fähigkeit, die armenische Frage aus dem religiösen Gesichts winkel zu sehen, concurriren und bringt in der Thal höchst wisseuswerthe Thalsachen über die religiöse Entwickelung der Armenier vor. So erfahren wir von ihm, daß sich in den letzten Jahrzehnten die protestantische Lehre unter den Armeniern stark verbreitet hat und zwar unter ameri kanischem Einflüsse: „Amerikanische Missionaire haben, ich möchte sagen plan mäßig, das Land mit einem Netze von Missionen umzogen, welche meist von presbyterianischen Geistlichen geleitet werden, die ihre Mittel durch in Nordamerika statlfindende Samm- tungen erhalten. Neben eifriger religiöser Propaganda sind diese Herren darauf bedacht, durch mit den Missionen ver bundene Schulen für die Bildung deS Volkes zu sorgen" Die Schüler dieser Missionen sind fast durchweg Armenier, die von ihren Lehrern auch politisch beeinflußt werden: „Sicher lag es ursprünglich diesen Missionen fern und war nicht ihr Vorsatz, sich mit der politisch armenischen Frage zu beschäftigen; aber ohne cs zu wünschen, sind sie durch ihre Schüler, denen sie allen möglichen Schutz angedeihen lassen, in diese Angelegenheit verwickelt, und so erklärt sich auch Vas Mißtrauen der türkischen Behörden diesen Missionairen gegenüber, während z. B. die katholischen Kapuziner- und Iesuiten-Niederlassungen, auch deutsch-protestantische Ge meinden vollkommen nnbelästigt bleiben Das abend ländische Wissen, den Orientalen plötzlich angeboren, mußte die jungen Köpfe verwirren, eine gefährliche Halb bildung zückten und jenen Geist grenzenloser Ueberbebung und desDünkels hervvrrusen,den man überall beobachten konnte." Daß von Seilen der türkischen Regierung irgendwelcher Druck aus das Christenthum und die Christen als solche ausgeübl werde, bestreitet der Verfasser „trotz aller gezentheiligen Be- bauptungen" und beruft sich dabei auch auf ein französisches Zeugniß, das die türkische religiöse Toleranz als sonst un erreicht bezeichnet, was mit der Ansicht Siehe's übereinstimmt. Aber die Armenier haben politische und zwar staaksgesährliche politische Ambitionen, sie träumen von einem innerhalb der Türkei aufzurichtenden Reiche, das zuzulassen „politischen Selbstmord der Türken" bedeuten würde. Geplackt werden auch die Armenier in gewissen Ge bieten, aber nickt von den Türken, sondern von dort in der Mehrheit befindlichen Kurden, dem wilden Reitervolke, das aber zwischen Türken und Armeniern keinen Unterschied macht: „Daß die Herren Kurden die Verwalter der Land güter des Sultans verjagten und dieselben einfach annec- tirten, klingt auch wie eine Fabel, ist aber eine Thatsacke." Die Regierung versuchte die wilden Kurden durch nach Kosakenart organisirle Hamidijc-Regimenter Niederhalten zu lassen, aber diese blieben wild: „Die Armenier wurden in jenen Gegenden thatsächlich von den Kurden be drängt; immer mehr gequält, griffen sie zu den Waffen. Es Kat nun die türkische Regierung übermäßig erbittert, daß Rajabs es wagten, sich zur Wehre zu setzen. Indessen wollte man Frieden stiften und bediente sich der Hamidijes, die also wiederum aus Kurden bestanden; vielleicht waren cs dieselben, die früher als Räuberbande ein Dorf überfielen und nun als Soldaten sich Ausschreitungen erlaubten und wo möglich die beim Angriffe erschossenen Kameraden rächten. Hierbei sind viele Grausamkeiten vorgetominen; die türkische Regierung in Konskantinopcl war über den wahren Sach verhalt schlecht unterrichtet, und man konnte gewiß dem sonst nicht sympathischen Volke sein Mitleid nicht versagen." Man sieht, Herr Siehe verfällt nicht in den Fehler, sich blind gegen türkische Verschuldung zu zeigen. Aber die Armenierverfolgungen, die neuerdings in Europa Empörung hervorgerusen baden, betrachtet er durchweg als selbst verschuldet: „Die Mächte machten Vorstellungen, und nun war es um die künstlich zur Schau getragene Be scheidenheit der Armenier geschehen. Die bewaffnete Demonstratio» in Konstantinopel wird Niemand gulheißen; als erstes Opfer siel ein türkischer Officier. Es kam zum Kampfe und das erste Blutbad zu Konstantinopel erfolgte. Hassan Taksim Pascha, dem Niemand den Vorwurf machen könnte, daß er ein Alltürke sei, halte sich als Pali von Bitlis am Bansee gerade nicht sehr armenierfreundiich erwiesen. Gegen diesen hohen Beamten unternahm ein Armenier in Trapczunt ein zum Glück erfolgloses Attentat. Die Folge war, daß die empörten Türken die Armenier todtschlugen/ Das war nicht edel, aber man kann sich die Volkswuth er klären. Herr Di. Lepsius erwähnt von diesem Atten tate nichts, er gicbt nur die Schilderung entsetzlicher Blutscenen. Und Zei tuii? „Die Erhebung in dieser durchaus nicht großen, in einem von hoben Bergen umgebenen Thalkessel gelegenen Stadt war eine planmäßige Verschwörung. Jahre lang hat man dieselbe vorbereitet. Die französische Zeitung ,,8'Export" berichtete schon zu Ende der achtziger Jahre über die unruhige Stimmung der Zeituner. Seit langer Zeit häufte man dort Waffen und Schießbedarf an — jetzt ist dies ja durch strenge Gesetze unmöglich gemacht — und so tonnte man denn beginnen. Der Anfang der Rebellion war ebenso unklug wie grausam. Etwa eine Viertelstunde vor der Stadt liegt die türkische, etwas befestigte Caserne. DaS nöthige Trintwassrr erhält sie durch eine unterirdisch geleitete Quelle, welche die Cisternen speist. Um die Besatzung kampfunfähig machen, ersannen die ,ck) s Quelle Man ließ das Blut eines Ochsen laufen, welches ,.ch m.t den, Wasser der C.,wr mischte so daß es OnL'-/w->ch°- ff wollte, wurde niedergemacht; die Blu!spuren „ jn Caserne sichtbar. D?e gefangenen I^awn b ach^ man^^ Häusern einzeln unter und eines schonen ^. gcs rr Wehrlosen von den Armeniern abge chla, t die Schafe. Hierüber erfahren wir von Hs" Lepsius nur, „daß in Zeitun -.» besonderer Fall vorlieg^, der noch besonders geprüft werden muffe. - c.lninaeii das punctum »-rlicu. aller Arme..ierverf°lgu »e der Umgebung. Den begeister.e» Armeii.er reu.id n möge, solche Nachrichten unbequem sein. Herr vi. .Ade, Redacte.,r der „Christlichen W-lt", schrieb nnr e.ns w e ch mich zu den Artikeln des Herrn vr. Lepstuö stelle, rch heM ihm wahrheitsgetreu die Vorgänge mit. B>S heute I nichts seinerseits in die Oeffentlichkeit gedrungen. Nachdem Herr Siehe^auf die frühere gute B Handlung der Armenier durch die Türken bmgewiesen, setzt > ) verschiedenen Behauptungen des Herrn Or Lep lus Wie g auseinander: „Im Landdistrict Adana sollen (nack Lepsius) 20 Dörfer und Gehöfte geplündert sein. Dies ist votlkomn unwahr; in der Umgebung dieser Stadt, die lch of ma s ^ suchte, ist nichts dergleichen geschehen. In Pagas ,ollen 1809 Häuser und Gehöfte zerstört l'cm? Pugas " ein Ort zwischen Adana und Alexandrette. Die Bevölkerung r>t ver rufen! Dort ist es zwischen Türken und Armeniern zu Kämpfen gekommen. Heide Theile haben Verluste glitten. Ter Begleiter des englischen ConsulS, Monpeur Barzin, versichert mich, es sei diese Zahl aus dem Grunde über trieben, weil der ganze Ort nur aus einigen hundert Ge bäuden besteht." . „ , Ueberall, sagt LepsiuS, würden die Christen entwaffnet, während die Muhamedaucr ihre Waffen behalten durften. Darauf Siehe: „Nicht die „Christen" sind entwaffnet worden, sondern die Armenier; Griechen und syrische Christen besitzen noch heute ihre Waffen. Man hatte in Ze»tun mit armenischen Gewehren eben eine unliebsame Bekanntschaft gemacht." Nach Lepsius sollen im TauruS viele Quadratmeilen Weinberge von den Mubamedanern ausgerottet worden sein. Siehe erklärt: „Im Taurus ist kein Weinberg auSgerottet worden, ick habe dies Gebirge eingehend, als mein eigent lichstes Arbeitsfeld, bereist und nichts dergleichen beobachtet/ „Es wäre interessant", so schließt Siehe, „die Quelle zu erfahren, aus welcher Herr v». Lepsius seine Berichte über unser Bilajet geschöpft hat. Vom deutschen Eons nt hat er sie wobt kaum, denn er theilt unsere Ueberzeugung. Ich sah den Herrn Doctor viel mit dem englischen Consul und amerikanischen Missionairen verhandeln; sein Reisebegleiter, der zur Zeit in Berlin studirt, trägt einen englischen Namen, seine Mutter war eine Armenierin Für die Armenier ein so weitgehendes und warmes Interesse zu hegen, für dieses Volk, das sich christlich nennt, ohne christlich denken oder gar handeln zu können, ist mir unerklärlich; das ist nur dem englischen Volke möglich, das dies aber doch nicht eines idealen Zweckes wegen gethan hat." So viel aus den Mittheiluugen und Darstellungen des Herrn Siebe. Cs trifft sich gut, daß der Abdruck deS vor sehenden Auszugs eine kurze Verzögerung erlitten hat; denn n-wischen bat Herr vi. Lepsius geantwortet und dami: bestätigt, daß er nichts — weder Positives noch Negatives — ans eigener Anschauung mitzutheilen weiß. Herr Vr. Lepsius tützt seine Einwendungen hauptsächlich aus die Thalsache, daß sein Bericht „in allen Hauptpuncten und zwar gerade in solchen, die Herr Siehe in Frage stellt", ein Auszug aus dein Bericht der sechs Botschafter der Großmächte" sei. Das war uns nicht unbekannt und Herrn Siehe vielleicht auch nicht. Jedenfalls wird eine Kritik, die auch nur im Entferntesten diesen Namen verdient, nickt vor dieser Quelle Halt machen. Wir schließen uns der „Post" an, sie bemerkt: „Herr Vi, Lepsius betrachtet den sogenannten Botschaflerberichl wie ein Evangelium. Wir sind darin skeptischer und sehen in dem Berichte hauptsächlich eine sckätzenswerthe Belehrung über die nothwendige Mangelhaftigkeit solcher Unter suckuiigen im wilden Lande. Uebrigens stellt Herr Lepsius nicht in Abrede, daß er auch aus andere» Quellen, als dem Evangelium" geschöpft hat. So verdankt er die Mit theilung von der Ausrottung von Weinbergen einer „zu verlässigen Privatmittheilung aus Marasch". Die „Zu verlässigkeit" ist. wie wir gesehen haben, von Herrn Siebe persönlich geprüft Wörden. Die Gegend, in der diese» Gewährsmann sich aufhielt, ist also doch nicht so ungünstig, wie Herr Di. Lepsius eS darstellt, gelegen, um einen Stand punct für die Beurthcilung der Vertrauensmänner deS Sach Walters der Armenier zu gewinnen. Herr Dr. Lepsius meint nämlich: ^ „Die Taurus- und Antitaurustette verschließt ihm (Siehe) völlig den Blick nach Armenien, und da man in einer türkischen Provinzialstadt infolge der Censur uno der mangelhaften Verkehrsmittel so gut wie gar nichts von den Vorgängen im Reiche erfahren kann, ist es in Berlin leichter, sich über dieselben zu unterrichten als in Cilicien." Natürlich! Man braucht zwischen Spree und Havel nur den „Botschafter bericht" zu lesen. UebrigenS hat Herr Di. Lepsius auci» hierin nichts vor Siehe voraus, denn dieser hat seinen Aufsatz über Armenien in — Berlin verfaßt. Kürzlich ist er wieder nach Mersina abgereist, und cs wird deshalb einige Zeit dauern, bis seine Entgegnung erscheinen kann. Das Vilajet Adana soll nach Or. Lepsius für die ariucuischtu Blutbäder so gut wie gar nicht in Betracht kommen. Da ist es nun merkwürdig, daß er Vorkommnisse gerade aus diesem Vilajet, die Plünderung von 20 Dörfern und Gehöften, in seinen aus dem Bot schasterbericht gemachten Auszug, der doch unverkennbar narb den ärgsten Greueln sucht, ausgenommen hat. Hinsichtlich dieser Plünderung scheint Herr Dr. Lepsius bei seiner oder vielmehr des Berichts Behauptung stehen bleiben zu wollen. Wir müssen dies feststellcii, sonst wird nichts von dem, was wir den Siehe'schen Darlegungen entnommen haben, dircu bestritten. Insbesondere auch nicht die haarsträubenden armenischen Unthateu in und bei Zeitun. Diele sucht Herr Dr. Lepsius nur in ihrer kennzeichnenden Bedeutung herab zudrücken, ein Beweis der Voreingenommenheit, die nnr new überboten wird durch den Versuch, aus der europäischen Intervention für die Armenier von Zeitun etwas wie eine Erklärung für deren empörende Unmenschlichkeiten herznleiten. Feuilleton. Der Semmering. Ein JahrcSidyk i« Hochwald. Von vr. Max Bogel. Nachdruck «irbotrn. Wenn der Engländer John Bull sagt: „Die Einwohner von Wien genießen den unschätzbaren Bortheil, wahrhaftige Berge, lebendige Wasser und alte Nadelwälder in ihrem nächsten Bereich zu haben", und hinzusetzl, daß Mancher in London eine derartige Vergünstigung theuer bezahlen würde, so läßt sich wohl auch Leipzig an die Stelle von London setzen, weil wenigstens die wahrhaftigen Berge und die Wildwafser der Alpen in der Umgebung fehlen und sich nicht Hinzaubern lassen. Der Wiener erfreut sich aber des weiteren Vorzuges, Berge, Wasser und Wälder auf einem einzigen breiten Höhen rücken, den er mit dem Dampfroß in zwei Stunden erreicht, hübsch beieinander zu finden, und zwar so, daß die schönsten landschaftlich-lieblichen und alpinen Bilder sich ihm gewisser maßen von selbst erschließen. Zeder, der auf der Linie Wien- Triest die imposante Tunnel-Rundfahrt um den Semmering von Gloggnitz bis Mürzzuschlag auch nur ein Mal machte, Kat schon vom Coupefenster aus diesen Eindruck empfangen und mit sich genommen. Hunderttausend Meter von der Kaiserstadt entfernt liegt dieser grüne Alpenboden, welcher tausend Meter über daS Meer rmporragt und dessen eigenartige Reize den Wienern erst 1880 durch einen Deutschen, den verstorbenen Direktor der Süv- bahn, Friedrich Schüler, zum eigentlichen Bewußtsein ge bracht wurden. Und der wissenschaftliche AdlatuS SchUler'S und begeisterte Alpenschilderer, Vr. Heinrich Noö, gleichfalls ein Deutscher, erzählt, wie sein Gönner gelegentlich eines Spazierganges aus dem Semmering an eine Sielle kam, wo dieBergererRar bis zum Sonnenwenvstein in weiter RundrdaS Äuge fesselten und wie die in der Frühlingssonne erglänzenden weißen Häupter der Hochberge den von dichtem Tannenwatv um gebenen Beschauer eine Schweizerlandschaft entzückendster Art erblicken ließen. „Es wäre merkwürdig", so verdeutlicht Noö den Grdankenganz deS Spaziergänger« in ebenso drastischer wie harmlos anzüglicher Weise, „e« wäre merkwürdig, daß von dieser Stelle Niemand etwa- weiß, wenn nicht die Er fahrung festgestellt hätte, daß unseren Wienern Entlegene« owhr Achtung gebietet, at« dasjenige, wa« sie dabrim baden. Kür ein« der Weltstädte ist »« ein« w»ndrrh«r« Begnadigung. daß das Hochgebirge ihren Bewohnern als Spaziergang nahe liegt. Freilich müssen sie, gleich dem Propheten Mohammed, zum Berge kommen. Aber sicherlick' würde anderswo hier eine Lnstberzstadt, eine Akropolis zwischen Tannen, entstanden sein, wo der Blick zugleich in sechs Tbäler dringt und in die schwüle Niederung, wie auf den nahen Schnee." Nun erst, nach Friedrich Schülers praktischem Erfassen, kamen Männer herauf, die zirkelten und maßen, eine Straße wurde gebaut und bald verkörperten mitten im Walde die großartigen Hotels der Süvbahn den Gedanken ihres genialen Leiters. Die Wiener Bcrgcolonie, daS österreichische DavoS, erstand. Lustbergstadt und Davos der Weltstadt! — Es sind dies zwei Bezeichnungen, die zuerst und im selben Athem- zug von Noö auf die dewundernswertben Schöpfungen am Semmering angewandt wurden. Zur Lustbergstadt ist der Semmering inzwischen im vollen Sinne des Wortes gediehen, beinahe ein halbes Hundert reizender Billen lugen mehr ober- weniger versteckt auS dem dunklen Grün des aussteigenden Höhenwalde« hervor und die ausgedehnte» Säle wie die be haglichen und eleganten Zimmer der Südbahnbotels sind im Soiiimer von fröhlichen Frischlern überfüllt und auch im Frühjahr und Herbst von Gästen in ziemlicher Anzahl besucht. Im Winter, wo die Dependencen am Wolfsberg kogel und der Waldhof vorläufig geschlossen werden, ist der Hauptbau deS Südbahnhotels von Engländern und solchen, die den Wintersport lieben, zuweilen recht stark in Anspruch genommen; Schlittschuh- und Skilaufen, Rodeln, Rad- und Schlittenfahren bilden erlesene Ver gnügungen auf diesem weiten Höhenrücken, der von der etwa 100 m Ziefer gelegenen Station auf allmählich ansteigender, breiter Fahrstraße jetzt so bequem erreicht wird. Die vor trefflich markirten, vielfach ebenen, aber auch absteigenden und auswärts fübrenden Waldpfade werden, wo es nur an geht, auch im Winter schneefrei gehlen und die schönen Straßen, welche hier, auf der Scheide zwischen Nieder- Oesterreich und Steiermark, selbst im Winter regen Verkehr aufweisen, bieten zu Ausfahrten nach allen Richtungen bin jeder Zeit beste Gelegenheit. Genießt man so balsamische Waldlust auch in der kalten Jahreszeit, so sorgt nach Sonnenuntergang, oder überhaupt beim Aufenthalt im Hotel selbst, rin gebeizter Wandclgang, der mit Centralfeuerung versehenen Gaststätte sür Promeniren im bedeckten Raum. Alle diese Vorzüge, z» den«» auch noch die gute Verpflegung kommt, die der genutz- fäbiae Sobn der Großstadt nun einmal verlangt, veranlassen den Wiener zu häufigen SonntagSauSstügea und sind auch be- stimmeni-für Viele, die Weihnacht-festwoche auf der Höhe zuzu- bringen. Da ist meist da- Hotel der Tummelplatz von allerband Junggesellen und von solchen Vereinsamten, welche der Blick in Gottes weite und herrliche Natur zu andachtsvoller oder fröhlicher Feier stimmt. Steht ja da droben auch ein Christ baum dickt am anderen, mit Himmelsschnce, nicht mit künst- chem Weihnachtsschnce, überdeckt. Ja, so Mancher, der in der kalten Jahreszeit nach Wien oder nach dem Süden fährt, er sollte die winterlich fesselnden Bilder dieses Waldkleinodes nicht nur von dem dahinfliegeneen Bahnzuge auS kur; in sich aufnehmen, sondern an der Station Semmering auSsteigen und im Höhenhotel längere oder kürzere Rast halten, umso mehr, als dasselbe in einer sogenannten „Wärmemulvc" liegt. Der Flachländer giebt sich immer der Ansicht hin, daß daS Gesetz, je höher ein Ort über der Meeresfläche liegt, desto geringer ist seine Wärme, keinerlei Ausnahme erleidet. Wer denkt daran, wenn er an einem eisige» Ianuartag, wo der Wind kältend heult und pfeift, an der Station Semmering vorbeifährt, daß 100 m über ihm ein natür licher Wärmeraum im Winter, ein Erfrischungsplateau im Sommer liegt. DaS Volk der Berggegendcn aber weiß längst, daß in einer gewissen Erhebung über dem Erdboden inThälern, die von hohen Gebirgen eingeschlossen sind, daö Gesetz der Wärmeabnahme bis zu einer bestimmten Höhe eine Umkehr erleidet. Der Kärntner bat z. B. das Sprichwort: „Steigt man im Winter um einen Stock, so ist eS wärmer um einen Rock". Das ist auch der Grund, weshalb überall in Gebirgsgegenden, sei man nun in den tiroler, schweizer oder norwegischen Alpenthalern, hoch an Berghalden oft Häuschen und Gehöfte liegen, die, trotzdem sie im Winter häufig geradezu von der Außenwelt abzeschnitten werden, eben der Wärme wegen da erbaut wurden. Diese verhält- nißmäßig warme Winterlage wird etwa zwischen 900 und 1800 m über dem Meere angetroffen, darunter und darüber ist cs kälter. Von berufener Seite ist das winterlich warme Höhenklima geradezu mit dem Seeklima verglichen worden während der Thalsohle, die zuweilen bis zu 20« Kältc- differcnz zeigt, das Eontinentalklima zukommen soll. Wie die« Professor Gustav Jäger in seinen, Werk Uber die menschliche Arbeitskraft bemerkt, sollte der Mensch, wenn eS ihm mög lich. immer von Zeit zu Zeit seine Ausflüge an einen Ort richten dessen Luftbeschaffenbeit erheblich von der des Wohnsitzes abw eicht. Dieser Umstand bildet einen wesentlichen Factor ,n der Heil- und Nutzwirkuna der r-ommerfrffchen, ,bm fast bestäudia zu genügen, wird dem- ^ böherer Bergplateaus weilt. A c ^ Mancher einen ungeahnten Erfolg vom Au enthalt ,n Meran haben, wenn er den oft wiederholte Ausstieg aus den Egger oder nach Bella» nicht scheu? A kommt dabei, wie gesagt, nicht nur die durch das Steige,, bewirkte Contraclion des Herzmuskels in Betracht, sonder,, auch die Wärmedifferenz und die atomistische Beschaffenheit der Luft, der Waldluft an sonniger Berglehne. DavoS, ursprünglich nur Sommerfrische, ist die bedeutendste Winterstation für Kranke geworden und hat dies seiner ge schützten, relativ warmen Höhelage zu verdanken, de, Semmering, welcher vor Davos den Vorzug der romantischen Lage, des Waldreickthums und der Nähe zweier Hauptstädte — Wien und Graz — besitzt, ist gegenwärtig noch weit davon, ein österreichisches Davos zu werden. Wie leicht wäre es, zunächst mit einem Schulsanatorium da oben den Anfang zu machen, einer Anstalt, die ja von zarten oder zu Krankheiten geneigten Kindern der Wiener überfüllt sein müßte. In gleicher Weise würde auch eine Wasser- und Luftheilansta.i auf dieser Höhe im Winter schöne Erfolge zeitigen. Gegen wärtig werde» aber noch alle möglichen Concessionen von der Verwaltung des Südbabnhotels bei längerem Ausentha : außerhalb der Hochsaison gemacht, wie auch der bewäbr: Wirth, Herr Dangt, Alles aufbietet uud jedes billige En gegenkommen zeigt, um daS Etablissement in de kalten Jahreszeit über Wasser zu halten, ein Beweis, daß trotz Noö'S an und für sich richtiger Prophezeihung d Zeit für das Semmering-Davos noch nicht gekommen ist Und was wird trotzdem Alles schon im Winter geboten Eni Arzt weilt da, Post ist im Haus, Zeitungen, sogar reick» deutsche Blätter, liegen in grosier Auswahl auf, daS Friedrick' Schiiler-AtpenhauS mit Hotel-Comfort auf dem Sonnenwend stein ist daS ganze Jabr geöffnet, und zu dieser herrlichen Aussichtshöbe, über 500 m höher als der Semmering, i» eS ein reiner Spaziergang. Herrliche Blicke genießt man aber auch vom Hotel auS. Bei, sozusagen, erquickende, Kälte der Außenluft, den Sonnenwendstein und die bis zun, breiten Rücken der Raxatpe sich hinziehenden Berge in, Schiicegewand glitzern zu sehen, und geht man hinaus, arff fest gefrorener Schneedecke zu wandeln und nicht zu frieren, wenn der Fuß knarrt, aber das Blut nicht erstarrt, mitten im beschneiten, hochstämmigen Wald, köstlichste Luft athmend, für deren Durchfeuchtung die klare, den Schnee verdunstend.- Sonne sorgt, das ist ebenso erhebend wie anregend. Und bei alledem füblt man sich frisch und heiter gestimmt, r,e Nerven finden Ruhe, Frieden das Gemüth. OnlhlingSrast und Wintererholung auf dem Semmerinq daher allen Denen aus Wärmste zu empfehlen, welche an einem romantisch schönen, klimatisch günstig ge tegenen und dabei Ke« Comfort nicht ermangelnden Höben waldort ,hre Gesundheit verjüngen oder erhalten wollen.
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