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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.02.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-02-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970222010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897022201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897022201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-02
- Tag1897-02-22
- Monat1897-02
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Ganz selten aber sind die weiblichen Charaktere, die nicht einen Augenblick ihrer eigentlichen Bestimmung vergaßen nnd dennoch einen vor aller Augen liegenden nachhaltigen Einfluß ans die Ge schicke ihres Bolkes ausübten. Zu ihnen zählen im Alter tum,: Cornelia, die Mutter, der Gracchen, im Mittelalter Mathilde, die Gattin Heinrichs I. und Mutter Ottos des Großen, in neuerer Zeit Luise, Köniain von Preußen. Letztere zumal wird immer ein leuchtendes Vorbild der edlen Frauen unsere« Bolkes sein, die mit treuester Pflichterfüllung gegen Gatte» und Kinder das eifrigste Streben ver binden, dem Vaterlande zu dienen. Königin Luise war die beste Gattin und Mutter, die man sich denken kann, zugleich aber ein echtes deutsches Weib, das mit ver zehrender Glut an seinem Volke hing und alles, was dieses bewegte, im tiefsten Innern mit durch lebte und durchstrebte. Sie ist die Gattin Friedrich Wilhelms III., des.Heldenkönigs, und die Mutter Wil helms I., des unvergeßlichen Gründers unseres jungen Kaiser reiches, und beide Männer weisen ihr einen großen Anteil an dem zu, waSsie vollbracht haben. Bedarf es da einer weiteren Rechtfertigung dafür, daß wir uns an schicken, die Erinnerung an die edle Fürstin zu wecken und zu nähren, jetzt, da Alldeutschland sich rüstet, den Tag fest lich zu begeben, an dem sie vor hundert Jahren Kaiser Wilhelm daS Leben gab? Oder sollte nicht auch für sie Körner gesungen haben: „Doch stehst du dann, mein Volk, bekränzt vom Glücke, In deiner Borzeit heil'gcm Siegerglanz: Vergiß dir treuen Toten nicht, und schmücke Auch unj're Urne mit dem Eichenkranz!" —? König!» Lutst uuroe März 177': aus die Namen Luise Auguste Wilhelmine Amalie getauft. Ihre Wiege stand in einem unscheinbaren Häuschen in der Nähe deS heutigen „Neitwall" zu Hannover, wo ihr Vater, Prinz Karl, ein jüngerer Sohn des Hauses Mecklenburg- Strelitz, Oberbefehlshaber der englisch-hannoverschen HauS- lruppen war. Bald nach der Geburt Luisens wurde er jedoch zum General-Gouverneur von Hannover ernannt, und nun bezog er mit seiner zahlreichen Familie das Regierungs schloß in der Leinestraße. Leider blieben die Kinderjahre der edlen Fürstin nicht unge trübt. AlS sie 6 Jahre zählte, starb ihre Mutter, die Prinzessin Friederike Karoline. So trat ihr schon in frühester Jugend daS unbegreifliche Walten der Vorsehung nahe, und oft hat sie später der treuen Dkutter gedacht und ihren Kindern mit tiefer Inbrunst widerfahren lasten, was sie so zeitig sollte entbehren muffen: daS hohe Glück der Mutterliebe. In der edlen Schwester der Heimgegangenen gab Prinz Karl seinen Kindern zwar eine neue Mutter; aber auch dies Verhältnis löste schon nach einem Jahre der Tod, und nun beschloß der tiefgebeugte Mann, die Stätte de« Unglücks zu verlassen und nach Darmstadt überzusiedeln, um seinen heißgeliebten sechs Kindern den weiblichen Einfluß der Großmutter zu sichern. Hier entfalteten sich Körper und Geist der Prinzessin Luise auf das Glücklichste, und bald war sie der Liebling nicht nur ihrer Großmutter und de« Vaters, sondern aller Menschen hoch und niedrig, reich und arm —, die mit ihr in nähere Berührung kamen. Besonders innig gestaltete sich das Verhältnis zu ihrer Erzieherin, der Demoiselle Mlieux, einer feingebildeten, frommen, dem lutherischen Bekenntnis angehörenden Schweizerin. Was wir über diese Dame hören, ist geeignet, ihre Fähigkeiten und Herzenseigenschaften in da« hellste Licht zu stellen. Sie machte durch ihr freundliches, auf die kleinen Sorgen der Jugend eingehendes Wesen gleich Anfangs den vortrefflichsten Eindruck auf die Kinder, und e« gelang ihr daher bald, daS Herz der kleinen Luise auch für Höheres, Ideales zu gewinnen. Luise hat später selbst wieder holt und unter den wärmsten Dankesäußernngen erzählt, wie ihre Erzieherin fast bei jeder sich bietende» Gelegenheit eine Beziehung auf die himmlischen Mächte zu finden wußte, sie gewöhnte, in allen ihren Tbaten den Höchsten raten zu lassen und Trost und Hilfe stets im Worte Gottes zu suchen; wie sie mit ihr in die Wohnungen der Armen und Kranken getreten sei, um mit milden Worten und liebreich gewährten Unterstützungen Not und Kummer zu lindern. Und hier, wo das menschliche^Elend der tiesfühlenden Prinzessin un verfälscht in die Seele drang, hier ist der Grund ge legt worden für die unbeschreibliche Herzensgute, mit der die Königin sich zu dem niederen Volke herabließ und ihm half, wo und wie sie es vermochte. Wahrlich, ihr konnte es nicht ergehen, wie jener Frau auf Frankreichs Thron, von der man erzählt, sie habe die Armut so wenig gekannt, daß sie einst bei einer Hungersnot, da die Leute nach Brot schrien, alles Ernstes gefragt habe: „Warum essen die Tboren keinen Kuchen, wenn sie kein Brot haben?" Luisens Erzieherin verstand sich auf ihre Kunst;,, sie wußte, daß die Kleinen durch eigene Anschauung und Übung mehr lernen als durch Schilderungen und Ermahnungen. Nnd so war cs ihr auch hoch willkommen, als eine Reise der Großmutter der Prinzessin Luise Gelegenheit gab, ein schönes Stück Welt mit eigenen Augen kennen zu lernen. Die Reise führte an den grünen Rheinstrom und nach Straßburg, wo einige Zeit Aufent halt genommen wurde. Kein Geringerer als Goethe hatte einige Zeit vorher sich über die Wirkung geäußert, die daS gewaltige Münster mit seinem himmelanstrebenden Turme auf den Beschauer auSübt. „Ein großer Eindruck", so schrieb er, „füllte meine Seele, den, weil er auS tausend harmonierenden Einzelheiten bestand, ich Wohl schmecken und genießen, keines wegs aber erklären und erkennen konnte. Und wie oft bin ich zurückgekehrt, diese himmlisch-irdische Freude zu genießen, den Riesengeist unserer älteren Brüder in ihren Werken zu nmiaffenl Wie oft bin ich znriickgekehrt, von allen Seiten und aus alle.. Ei,.'srl..u.'.geü ;eoem Lichte deS Tages zu schauen seine Würde und Herrlichkeit! Wie oft hat die Abenddämmerung mein durch forschendes Schauen ermattete» Auge niit freundlicher Rübe geletzt, wenn durch sie die un zähligen Teile zu ganzen Massen schmolzen, und nun diese, einfach und groß, vor meiner Seele standen und meine Kraft sich wonnevoll entfaltete, zugleich zu genießen nnd zu er kennen." Und ähnlich erging es unserer Prinzessin. Auch ihr offen barte sich in leisen Ahnungen der Genius des großen Werk meisters. Doch packte sie auch die Sehnsucht, nach der Höhe zu eilen, um von da hinauszublicken in das weite, reiche Land zwischen WaSgen- und Schwarzwald. Bald war die Platt form erreicht, und nun wollte der Jugendmut noch höher hinaus; aber ein bittender Blick und eine ängstliche Gebärde der Erzieherin genügten, die Übermütige zurückzuhalten. Jetzt lauschte ihre empfängliche Seele den Erzählungen und Bemerkungen der wohlunterrichteten Lehrerin, die nicht unterließ, auch die deutschpatriotische Saite erklingen zu lassen. Wer damals Luise hätte sagen können, daß sie bestimmt sei, die Mutter deS Mannes zu werden, der das Elsaß, diesen glänzenden Edelstein, der neuen deutschen Kaiserkrone einfügte! — Die Reise führte Luise auch in die Niederlande mit ihren blühenden, volkreichen Städten, mit ihrer Menge von Schiffen und Handelsplätzen, ihren fleißigen, tapferen, sreibeitliebenden Bewohnern, die sie fv schätzen nnd lieben lernte, daß Schillers Geschickte des Ab falls der Niederlande später zu ihrer Lieblingslektüre zahlte. Reich an Kenntnissen und wertvollen Erinnerungen kehrte sie endlich nach Darmstadt zurück, doch nur, um kurz darauf auch Frankfurt, der alten Krönungsstadk, einen längeren Besuch abzustatten. Da sie mit ihrer Schwester Friederike keiner der „Großmächte" angehörte und also für die Zeit der Krönungsfeierlichkeiten kein besonderes „Quartier" angewiesen erhielt, so waren die Prin zessinen herzlich froh, bei der berühmtesten Bürgerin Frankfurts, der „Frau Rat", Goethes unvergleichlicher Mutter, liebreiche Ausnahme und Bewirtung zu finden. Der alten Dame ging das Herz auf, als sie der beiden engel gleichen Mädchen ansichtig wurde, und mit Freuden teilte sie alles, was Haus und Küche bot, mit ihnen — bis auf ihren berühmten Specksalat und Eierkuchen, der den Prin zessinnen völlig neu war und trefflich mundete. Sie that, was sie konnte, ihre Gäste zu erfreuen, und geriet datier in heiligen Zorn, wenn die gestrenge Hofmeisterin die Prin zessinnen binderte, recht lustig zu sein; ja, einmal schloß fie sogar Fräulein de Gölieux ein, nur um den Mädchen Gelegenheit zu geben, am Brunnen nach Herzens lust Wasser zu pumpen. „Ich hätte mir eher den ärgsten Verdruß über den Hals kommen taffen", pflegte sie später zu sagen, „als daß man sie in den unschuldigen Vergnügungen gestört hätte, die ihnen nirgendwo vergönnt waren als in meinem Hause; auch haben sie mir'« beim Ab schied gesagt, daß sie nie vergessen würden, wie glücklich und vergnügt sie bei mir waren." Und sie haben es nicht ver gessen. Schon zwei Jahre darauf war Luise wieder in Frankfurt, um abermals bei „Frau Rat" zu wohnen, und später bat sie durch wahrhaft königliche Gescheute sich ihrer lieben Wirtin erkenntlich gezeigt. So in reichem Jnnen- nnd Außenleben wuchs Luise zur Jungfrau heran. — In zwischen war im Westen Europas ein längst drohendes Ge witter losgebrochen. Die Horden der Revolution wälzten sich über die Grenzen und suchten auch andere Völker in ihren Taumel hineinrureißen. Preußens und Oesterreichs Heere zogen aus, sie zu bekämpfen und Thron und Altar in Frankreich zu retten, freilich mit kläglichem Erfolge. Sckon damals ward eS offenbar, daß der Geist Friedrichs II. aus dem preußischen Heere gewichen war. Für Luise und ihre geliebte Schwester Friederike freilich brachte dieser Krieg einen glänzenden Sieg und noch dazu ohne jeden Kampf. Das ging so ru. Der Kriegslärm hatte eine Anzahl fürstlicher Herrschaften aus ihrer Heimat getrieben, unter ihnen die greise Landgräfin, d-e mit ihren Enkelinnen bei Verwandten in Hildburgbalisen Wohnung genommen. Als nun im Frühjahre 1793 günstigere Nachrichten vom Kriegsschauplätze kamen, beschloß sie, nach Darm stadt zurückzukehren. Da empfing sie ein Schreiben aus dem Hauptquartiere, worin sie der Landgraf Ludwig von Hessen bat, sie möge doch mit ihren Enkelinnen über Frankfurt reisen, da werde sich Gelegenheit bieten, die jungen Damen dem Könige, ihrem hohen Verwandten, vorzustellen. Die Landgräfin folgte der Einladung, wurde von Friedrich Wil helm II. ritterlich ausgenommen und mit den Prinzessinnen für den Abend zur königlichen Tafel gezogen. Dieser Abend sollte für vier iunge Leben eine entscheidende Wendung bringen. Auf den Kronprinzen Friedrich Wilhelm, der bisher allen Damen gegenüber große Gleichgiltigkeit gezeigt hatte, machte Luisen- herrliche Erscheinung einen derartigen Eindruck, daß ihn sofort der Gedanke blitzartig durchzuckte: „Die ist es oder keine sonst auf Erden." „Habe mal", so sagte der König im Winter des Schmerzensjahres 1810, da „die Augen, die ihm als Sterne auf seinem Lebenswege gestrahlt", gebrochen waren, „über diese wunderbare wechselseitige Sympathie, in welcher ver wandte Herzen sich gleich beim ersten Anblicke begegnen und finden, etwa- sehr Schönes in Schiller s Schriften gelesen, wo treffend und wahr bezeichnet ist, wie mir und meiner seligen Luise zu Mute war, als wir uns zum ersten Male ahen, und wie wir uns nachher so oft bekannt haben Es war keine verliebte Sentimentalität, was gleichzeitig im Lich! blick ihre und meine Augen mit einer Freudenthräne netzte. Gott, was alles liegt nun zwischen jenem ersten Anblick, wo ich sie fand, und diesem Tage, wo ich ihren Verlust beweine! Weiß Wohl, solche sympathischen Gefühle sind die schönen Blüten der ersten jugendlichen Liebe, sind nur einmal da und kommen nachher in dieser Reinheit nicht wieder. Aber gern denke ich daran und möchte Wohl mal jene Stelle in, Schiller wieder lesen, habe sie aber nicht finden können" Nun, die Stelle steht in der „Braut von Messina" und lautet: Wie es geschah, frag' ich mich selbst vergebens. - Als ich die Augen wandte, stand sie mir zur Teile, Und dunkel, mächtig, wunderbar ergriff Im tiefsten Innersten mich ihre Nähe. Nicht ihres Wesens schöner Außenschein, Nicht ihres Lächelns holder Zauber war's, Die Reize nicht, die auf der Wange schweben, Selbst nicht der Glanz der göttlichen Gestalt — Es war ihr tiefstes »nd geheimstes Leben, Was mich ergriff mit heiliger Gewalt, Wie Zaubers Kräfte unbegreiflich weben — Die Seelen schienen ohne Worteslaut, Sich ohne Mittel geistig zn berühren, Als sich mein Atem mischte mit dem ihren; Fremd war sie mir und innig doch vertraut. Und klar aus einmal fühlt ich's in mir werden: „Die ist es oder keine sonst auf Erden!" Und wie dem Kronprinzen, so erging es Luise und auch dem zweiten prinzlichen Paare, Ludwig und Friederike. Am 24. April >793 fand im landgräflichen Schlöffe zu Darm stadt die Verlobung statt, wobei König Friedrich Wilhelm selbst den vier glücklichen jungen Leuten die Ringe an die Finger steckte. Die Hochzeit wurde im Winter gefeiert. Am 21. Dezember trafen die Schwestern in Potsdam und am 22. in Berlin rin Die Hauptstadt hatte ihr schönstes Fest kleid angelegt; alle ihre Bewohner waren aus den Beinen. Am heiligen Weihnachtsabende des Jahres 1793 sprach der Priester vor dem Angesichte Gottes des Höchster. Luise mit dem Kronprinzen zusammen und segnete ihre Ehe ein. Die Thränen, die in dieser feierlichen Stunde ihr auS den Augen rannen, waren die stummen Zeugen deS Gelübdes, dem Gatten eine treue Lebensgefährtin zu werden. Der Morgen des ersten Weihnachtstages aber fand die Kron prinzessin auf dem Gange zur Kirche, ein Christaeschenk seltenster Art für ibren Gatten, für Preußen und Deutschland. „Von Eurer Königlichen Hoheit", hatte der greise Hof Prediger Sack zu ihr gesagt, „erwartet der Prinz, für den Sie zu leben angeloben, was Würde und Macht ihm nicht geben können, daS heilige Glück der Freundschaft — von Ihnen der Hof und daö Vaterland ein neues leuchtendes Vorbild!" Und wahrlich, sie gab dieses neue Vorbild, herrlicher, als eS irgend jemand hatte ahnen können. Es that aber auch not. Schien doch in den damaligen höheren Berliner Gesell schastskreisen der Sinn für reine, deutsche Häuslichkeit gänzlich erstorben zu sein. Vom Hofe selbst wurde ein Ton ange schlagen, der entsittlichend bis in die niederen Schichten des Volkes wirken mußte. Luise stand in diesem Kreise vom ersten Tage an wie ein Engel, so schön und rein. Ihr würdevolles und doch so einfaches, bis dahin nie gesehenes Auftreten, ihre herzgewinnende Freundlichkeit und Leutselig keit auch den schlichtesten Leuten auS dem Volke gegenüber, ihre sich nie genugthuenve Mildthätigkeit und Opferwilligkeit in, Dienste der leidenden Menschheit, das alle« Hattein den Berlinern eine Begeisterung wachgerufen, die jeder Schilderung spottet Und nicht zuletzt trug dazu bei, wie da« kionprinzliche Paar sich zu de» Forderungen der steifen Hvfetikette stellte. Die Oberhofmeisterin, Frau von Boß, der eine gesetzte Haltung und ein vorschriftsmäßiger Knix über alle- gingen, hatte ihre schwere Not mit Luise. Familienanschluß. Humoreske von E. Ritter. Nachdruck »«rboten. „Na, wie war's in Eurem Verein?" So fragte mit etwas spöttischer Miene der Herr Professor, als seine Gattin zu ziemlich später Stunde zu den Penaten zurückkehrte. ^Habt Ihr gesonnen und berathen, wie Ihr in Zukunft die Minen und Linen, die Babetten und Lisetten zu beglücke» gedenkt?" „Wie häßlich, Albert, Du spottest, und uo« ist eS so beiliger Ernst! Wenn Du nur zugehvrt hättest, so würdest Du gleich mir überzeugt sein von der Berechtigung unserer Bestrebungen. Ja, ich kann Dir versichern, ,ch kam mir ordentlich schlecht vor, daß ich bis jetzt noch gar nicht« dazu beigetragen habe, die Lage unserer dienenden Mitschwestern zu verbessern. Und wir haben doch schon fünf Mädchen gehabt, die —" ,A>i« sich alle recht wohl bei un« gefühlt haben, willst Du gewiß sagen. Bis aus die Kathrine, die un- bemaust hat und de-halb gejagt wurde, haben sie uu« sämmtlich au« normalen Gründen nach mehrjähriger Dienstzeit verlassen, was doch ein sichere« Zeichen unserer guten Behandlung ist." „Ja, die arme Kathrine! Mit der hätten wir eben ganz ander« verfahren müssen. Und auch, nachdem sie gefehlt, hätten wir fie bei un« behalten und mit Liebe auf sie ein wirken müssen, vm fie womöglich zu bessern." „Na, ich danke schön, Bertha! Ein Mädchen, welche« unsere silberneu Löffel stiehlt und verstopft, daS schaffe ich mir doch lieber schleunigst vom Hal«, um so mehr, wenn sich herausstellt, daß e« bei un« nicht da< erste Mal war. Nur nicht zu philanthropisch, lieb« Frau, das bitte ich mir auS." „Sei uur nicht gleich böse, Schatz, sondern höre! Du weißt, Riek« geht in zwei Monaten, weil ihre Mutter fie zu Hause braucht. Nu« Hab« ich mir vorgevommen, einmal »ach de» Lehren unseres Vereins zu handeln, dieselben praktisch zu erproben. Du läßt mir diesmal meinen Willen, nicht wahr? O, Du sagst ja selbst immer, es sei so leicht, große Theorien auS- zusprechen, aber dieselben in der Praxis durchzuführen, darauf käme es an. Und wenn ich dann nach einiger Zeit in unserm Verein über den glücklichen Erfolg meines Experimentes berichten kann, dann wirst Du selbst stolz sein auf Deine Frau, die sich damit in die Reihen der Kämpferinnen für allgemeine Menschenrechte stellt, die auch mit beiträgt zur Ausfüllung der socialen Kluft, die —" „Ja, wa- hast Du denn eigentlich vor, liebes Herz? Ich brenne vor Neugierde I" „Siehst Du, Albert, wir brauchen also ein Mädchen. Ich denke nun ein ganz junge« unverdorbene« Wesen zu nehmen, welches Wachs in meinen Händen ist. Diese« Wesen soll — nicht wahr. Du läßt mich gewähren? — ganz zur Familie gerechnet werden, soll mit uuS am Tisch essen, seine freie Zeit im Wohnzimmer verbringen, wo ich es in Hand arbeiten unterrichten werde und durch geeignete Lecture seinen Geist zu bilden suche. Dadurch werde ich e« erreichen, daß daS Mädchen gar nicht nach den niedrige» Vergnügungen der unteren Kreise verlangt. Siehst Du, bei uns läßt sich daS Experiment anstellen — ia iedem Haushalt ginge eS nicht so leicht. Wo erwachsene Tochter sind, würde e« schon seine Schwierigkeiten haben, aber unsere zwei Jungen sind kein Hinderniß. Jchwerde also nach jeder Richtung hin dem Mädckcn wie ein« Mutter zur Seite stehe» — auch Du wirst ihr väterliche Fürsorge zu Dheil werden lassen" — in ihrem Eifer überhörte Frau Bertha ein leise« Brummen d«S Gattru, welche« nicht gerade zustimmend klang — „und wir werden unS ein Mädchen erziehen, welche« einst Stütze un serer alten Tage —" „Na, erlaube, da ist « aber noch lange hin" , fiel der Professor ein, wa« aber seine Gattin nicht hinderte, ihren Redestrom fortzusetzen. „Sie wird un« eine treue Pflegerin in Krankheit, kurz, ein Dienftbote sein, wie man solche in patriarchalischen Zeiten kannte. Denke Dir nur diese Wohlthatl Und fie, die von un« ans eine höher« Stufe emvorgehob«, di« zur Familie Gehörige wird dankbar uud froh un« ihre Dienste weihen." „Bis sie heirathet I" „O, wie abscheulich! Nun ja, zugegeben, sie folgt einst einem braven Mann zum Altar, nun, bann nehme ich mir eben wieder ein solch' junges bildsames Wesen. Bis dahin wird sich überhaupt die Sitte, die Dienstmädchen als völlig zur Familie gehörig zu betrachten, so eingebürgert haben, daß es gar nichts Besonderes mehr ist." „Wollen's abwarten", brummte der Professor. „Meinen Segen hast Du zu Deinem Experiment." Und in Gedanken sagte er sich: Frauen und Kindern muß man den Willen thun, dann weinen sie nicht. Darauf schlug er vor, zu Bett zu geheu — er meinte, den erregten Nerven seiner Gattin würde die Rübe gut thun. Durch die Vermittelung ihrer „Buttersrau" war e« der Professorin gelungen, ein ganz junge« Landmädchen zu engagiren, welches vorläufig nur geringen Lobn, dafür aber völligen Familienanschluß zugesichert bekam. Die Röse wußte nicht recht, wa« Letzterer zu bedeuten hatte, aber sie war einverstanden damit und hörte die lange Rede, die die Frau de« Hause« ihr beim Empfang hielt nnd die von gegen seitigem Entgegenkommen, gutem Willen, Pflichten u. s. w. handelte, geduldig an. Sie lachte etwas dümmlich zu Allem, weil sie nichts zu sagen wußte. — Früh am Morgen war sie angelangt, und unter An leitung der Hausfrau begann sie ihre Thätigkeit. E« wurde Mittag, der Tisch war für fünf Personen gedeckt, und rum ersten Male nahm da« neue Familienglied an demselben Matz. Der Professor und die Jungen schnitten wunderliche Gesichter, und auch Frau Bertba wurde e« etwa« schwül, al« dir Röse, die keineswegs schüchtern war, ohne eine Auf forderung abzuwarten, mit den Händen die Pellkartoffeln von der Schüssel nahm, dann mit ihrem bereits benutzten Löffel in die SauciSre fuhr und sich zwischendurch mit einem Zipfel de« Tischtuchs den Mund abwischte. Die Professorin versuchte, so aut es ging, der Röse die einfachsten Anstandsregelu, die bei Tisch gelten^lar zu machen, aber offenbar, ohne irgend welches Verfiändoiß zu finden. Die Holde fuhr gleich darauf mit den Fingern m da« Salzgefäß, brach sich mächtige Brocken Brod ab und tunkte dieselben sonder Scheu in di« Sauce, da« Fleisch spießte sie aus die Gabel und biß je nach Belieben Stücke davon ab. Die Hausfrau saß wie auf Kohlen, ihre beiden acht- und zehnjährigen Sprößlinge kicherten hinter den Ser vielten, der Hausherr furchte die Stirn und verließ gegen seine Gewohnheit, noch ehe völlig abgegessen war, das Zimmer. Die Röse aß und aß, ohne ihrer Umgebung große AusmcU samkeit zu schenken. Als sie endlich gesättigt war, erwisch: sie den Conipotteller und leckte ihn ganz ungenirt nach allen Seiten ab. Zuletzt putzte sie Mund und Hände nochmal- am Tischtuch anstatt an der Serviette, deren Gebrauch i! r fremd war, ab und erhob sich darauf mit behaglicher Micu mit den Worten: „DöS hat amal geschmeckt. WaS soll i.» nu gethu?" „Liebes Kind", sagte die Professorin, nachdem sich die Kinder auf ihre» Wink entfernt batten, „zunächst merke Dir, daß man niemals Mund und Hände an dem Tischtuch ab wischt, sondern stet« an der dazu bestimmten Serviette, ferner, daß man beim Aufstehen vom Essen „gesegnete Mahlzeit" sagt. Auch faßt man nicht mit den Händen in die Schüsseln, mau schnalzt nicht laut, man nimmt da« Salz nicht mit de» Fingern, sondern mit dem dazu bestimmten kleine« Löffelchen, man leckt niemals einen Teller ab, man „Herrjeh, dös kann ich net all'« gemerk — bei un« der hemen macht mersch, wie mersch versteht, und '« schmeckt un« aach." „DaS ist wohl möglich, liebes Kind, aber Du bist jetzt ei» Glied unseres Hause« und mußt Dich den Gewohnheiten deS selben anpaffen, nicht wahr? Ich meine es sehr gut mit Dir, Du sollst allmählich feinere Sitten und Gebräuche kennen lernen. Paß' nur auf, in ein paar Wochen wirst Du selbst nicht mehr begreifen können, daß Du bi« jetzt Dich wobl- gesühlt hast bei Deiner Lebensweise. Siehst Du, liebe« Kin?, Du mußt denken, ich wäre Deine Mutter, und mußt Lehre» gern und willig von mir annehmen. Und nun trage die Teller in die Kücke!" Die Röse that, wie ihr befohlen, und hielt draußen folgende« Srlbuzejpräch: „Was sie uur immer mit ihrem „liebe« Kind" will. Bi- schon zwei Jal.r aus der Schul»! Und m,i MnMr will ft» s»ia
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