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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.02.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-02-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970223012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897022301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897022301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-02
- Tag1897-02-23
- Monat1897-02
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Größer, Schriften laut unserem PretO- vrrzeichniß. Tabellarischer und Zifferniup »ach höhereul Tarif. (kytra-Beilagen (gesalzt), nur mit der MvraeN'Ausaabe, ohne Pustbesörderung 60—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmeschluk für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Margen-Ausgab«: Nachmittags 4Uhr. Bel den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an di, «rpedirion zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 97 Dienstag den 23. Februar 1897 91. Jahrgang. Die Stimmung in Frankreich. 6. Paris. 21. Februar. „Nieder mit der Türkei! Es leben die Griechen!" beißt daS Frldgrschrei. Es ist rührend anzuseben, wie sich die Oppositionellen aller Schattirungen um das Banner des PbildelleniSmuS schaaren. Der alte Imperialist Cassagnac marfchirt Arm in Arm mit den Socialisten IaureS, Henri Rochefort und Madame Süvsrine, die sonst nur Gift und Galle gegeneinander auSspieen, kämpfen in ihren Artikeln fast mit denselben Ausdrücken für die edlen Hellenen. Natürlich sind die Beweggründe, von denen sie geleitet werden, höchst verschiedenartig. Einigen Wenigen mag es mit ihrer etwas unzeitgemäße» Be wunderung für die b-näres bttreuaioi, mit ihren Hinweisen auf die glorreiche Haltung des edelmüthigen Frankreich in den griechischen Befreiungskämpfen der zwanziger Jahre wirk lich ernst sein, Einige auch mögen mit religiöser Ueberzeugung für die Sache der Ekrislenbeit gegen den Islam eintrelen. Nochefort und Genossen sind natürlich nur dabei, um gegen die Erbärmlichkeit der heutigen Zustände im Allgemeinen und die Gemeinheit und Feigheit der europäischen Regierungen im Besonderen ihre Donnerstimmen zu erbeben. Sie entflammten sich vorgestern für die „armen" spanischen Anarchisten gegen den Torquemada Eanovas, schickten gestern den aufständischen Cubanern begeisterte Zustimmungstelcgramme und legen sich heute für die unterdrückten Kreter ins Zeug. Die Radikalen und Socialisten der Kammer aber boffen bei dieser Gelegen heit nun endlich dem Ministerium ein Bein stellen zu können. Wenn Hanotaux und seine College,! gegen das Einvernehmen mit den übrigen Mächten wären, wer weiß, wie es dann mit ihrer Ueberzeugung aussähe. Jetzt entrüsten sie sich darüber, daß die Regierung gegen das Land auf eigene Faust Politik mache, daß sie vor Deutschland und England aus dem Bauche läge, anstatt ihre Stimme zu Gunsten Griechenlands in die Waagschale zu legen. Wenn es nach ihnen ginge, müßte jeder Depesche des Ministers der „fremden Angelegenbeilen" — ein Wortwitz sagt: der Angelegenheiten, denen er fremd ist — eine Kammcr- abstimmung voranaeben. Uebrigeus giebt es unter ibnen doch einige weiße Raben. So haben neulich alle radicalen Vorgänger deS Herrn Hanoiaux für ihn gestimmt, alle mit Ausnahme Goblet'S. Dieser unentwegte Demokrat bat nämlich zwei Seelen in seiner Brust, die eine kommt zum Vorschein, wenn er als Abgeordneter den Minister ärgern will, die andere, wenn er selbst auf der Ministerbank sitzt. Alle diese Leute sind nicht gar zu ernst zu nehmen, ebenso wenig wie die zahlreichen Kundgebungen der Studenten. Man weiß von früheren Ereignissen in Marseille und Bordeaux und in Paris leibst her, daß eine große Anzahl der letzteren stets dabei ist, wenn es irgendwo Radau zu machen gilt. Bor ein paar Wochen demonstrirten sie gegen den Literaturprofessor Larroumet, kurz darauf erkoren sie fick die sociale Gesellschaft zum Opfer und heute lassen sie an Herrn Hanotaux ihren Uebcrmuth aus. Jbre Manifeste, die seit vergangenem Donnerstag im ganzen Ouartier Latin von Hand zu Hand gehen, klingen allerdings sehr energisch. „Ziehen wir ins Feld", beißt es da. „Hoch die Herzen gegen den allen Despotismus für die junge Freiheit." Das „Feld" ist aber vorläufig der Boulevard St. Michel geblieben, i» der Studentensprache Bout' Mich' genannt. Man begnügt sich damit, im Gänsemarsch einberzuzieben und Hanotaux, Hanotaux, Vire la Elveo, ü das !a Turgnio auf die Melodie eines beliebten Gassenhauers zu singen und glaubt eine Heltenfabrt ausgefübrt zu haben, wenn man zwei Stunden auf der Polizeiwache zugebrachl hat. Daß viele von den jungen Leuten wirklich die Heimatb verlassen werden, uni sich dem griechische» Heere als Freiwillige cinzureihen, ist nickt anzuiiehnien. Uebrigenö darf nicht geleugnet werden, daß sich der Bevölkerung nach und nach eine gewisse Erregung bemächtigt Begierig werden alle die Extrablätter verschlungen der Boulevardblätter, die eigene Corresponventen nach Kanea geschickt zu haben Vorgehen. Dem naiven Leser fällt cs nicht auf, daß von all den sensationellen Neuigkeiten, die ihm da Nachmittags um drei Uhr aufgelischt werken, die gewissen hafte Presse am nächsten Morgen noch nichts weiß, und die fortwährenden Tectamationen über die Schandlhaten der Großmächte, die sich zu Mitschuldigen des Bcrbrechers Abdul-Hamid machen, verfehlen nicht ganz ihre Wirkung. Besonders bemerkenswerth aber ist cs, daß sich neben der Griechenfreundschaft in diesen Hetzartikeln wieder einmal der Deutschenhaß recht breit macht. Millevohe in seiner „Patrie" war der erste, der den Ver gleich zwischen Kreta und Elsaß-Lolbringen gezogen bat. Beides seien Länder, die, von fremden Tyrannen ver gewaltigt, sehnsüchtig nach der Wiedervereinigung mit dem Mutterlande verlangten. Daß der Vergleich höchst jämmer lich hinkt, hinderte natürlich nickt, daß er von allen Patrioten mit Begeisterung ausgenommen wurde. Nur die Consequenzen, die man aus ihm zog, waren verschieden. Millevohe meinte: Griechenland ficht kür die gute Sacke, die Sache der Unterdrückten. Wenn Frankreich sich würdig erweisen will, daß man ihm einst bei der Wicdereroberung seiner verlorenen Provinzen hilft, so muß es jetzt die Hellenen mit aller Energie unterstützen. Diese Ansicht bat besonders bei den Royalisten viele Anhänger gesunden. Den entgegen gesetzten Sckluß zog gestern >m „Malin" ein höherer Diplomat. „Allerdings sind die Verhältnisse in Kreta und im Elsaß analog. Aber gerade das sollte uns mahne», oas Nahe liegende nicht über dem Fernen zu vergessen. Was ist uns Hekuba? Es ist ein schöner Gedanke, im ägäischen Meere einzugreifen. Aber unsere Geschicke entscheiden sich nicht im fernen Osten. Betrachtet die Vogesen!" Endlich giebt es noch einen dritten Standpunct, den des Chauvinismus sranck mvmo. Besonders der „Radical" macht seinem Namen Ehre. „Alles gegen Deutschland", schreibt er, „nichts mit ihm! Es giebt keine französische Politik. Das ist bas cksleuäa Cartbago des alten Cato. Wenn der Russe der Feind des Deutschen ist, so ist es unser Mann; wenn er sein Freund ist, nein!" Also weil Deutschland für die Wahrung des Besitzstandes der Türkei ist, muß Frankreich dagegen sein. Nach diesen Auslassungen tbut es wohl, die Ansichten vernünftig und ruhig deutender Männer wie Mitchell oder Cornoly zu lesen. Letzterer setzt heute in einem außer ordentlich klaren Aussatze bas Verhalten der Mächte aus einander, zeigt, daß sie, wenn sie auch den kriegerischen Gelüsten Griechenlands einen Riegel vorschieben, doch vor Allem bis jetzt die Türkei im Zaume geballen baben, und findet zum Schluß ein warmes Wort für die Friedenspolitik des deutschen Kaisers, die umsomehr anzuerkeimen sei, als „Alles in Allem Deutschland von allen euro päischen Mächten augenblicklich mit der größten Sicherheit einem künftigen Kriege entgegenseben könne." Auch die säinmtlichen Blätter der Kammcrmchrdeit sind bis jetzt für das Einvernehmen mit den anderen Groß mächten. Da sie aber in Paris nur sehr wenig, vom ge wöhnlichen Volke überhaupt nicht gelesen werden, ist ihre Wirkung nickt sehr groß Man kann sich also für die nächste Zeit auf allerlei Ucbcrraschungen gefaßt machen. Vielleicht sehen wir nach der morgigen Interpellation in der Kammer etwas klarer. Deutsches Reich. ff Bcrliu, 22. Februar. Wenn unseren Ausführungen betreffs des Mangels an für den Dienst im Auslande ver fügbaren Kreuzern mit dem Einwande zu begegnen versucht wird, daß dock das Pauzergesckwader, bestehend aus den Schiffen „Kurfürst Friedrich Wilhelm", „Branden burg". „Weißenburg", „Wörth", zur Hand sei, so trifft die Tbatsache an sich gewiß zu. Dazu aber, dieses Panzergeschwader etwa in die kretischen Gewässer zu ent senden, wird eine von dem Bewußtsein ihrer schweren Ver antwortung für die Sicherung der vaterländischen Küsten durchdrungene Regierung sich ohne Weiteres nicht ver stehen können. Denn dieses Panzergeschwader ist in erster Linie zum Schutze der heimathlichen Küsten bestimmt, und es hieße dasselbe dieser seiner eigentlichen und vor nehmsten Aufgabe entziehen, wollte man es als Lückenbüßer an die Stelle der nicht vorhandenen Kreuzer treten lassen, ganz abgesehen davon, daß Niemand zu sagen vermag, ob nickt plötzlich Wendungen der allgemeinen Lage eintreten können, welche ven Gebrauch der Schlachtschiffe in den heimathlichen Gewässern behufs Abwehr feindlicher Unternehmungen dringend geboten erscheinen lassen Eine Verwendung dieser Schiffe außerhalb des Rahmens ihrer planmäßigen Be stimmung würde nur dann zu rechtfertigen sein, wenn es sich um vitale Interessen der Nation handelte. Was nun den sonstigen Bestand unserer Marine an Panzerfahrzeugen anlangt, so ist das Panzerschiff „Kaiser" in Ostasien stationirt, „Baden" und „Bauern" sind noch im Umbau begriffen, „König Wilhelm" bekanntlich in die Classe der Panzerkreuzer versetzt, welch' letztere Schiffskategorie eben falls für den heimathlichen Dienst so lange unabkömmlich bleibt, als an deren Stelle kein ausreichender Ersatz vor handen ist. Speciell die Panzer „Frithjoff", „Heimdal", „Odin", „Aegir" sind für den Küstenschutz gebaut. Die „Deutschland" befindet sich auf Werft, ist wohl fertig, aber ihrer Indienststellung steht das Hinderniß im Wege, daß im Etat für diesen Zweck weder die benötbigten Mittel, noch das Ossiciers- und Mannschaftspersonal auSgeworsen sind. Es behält also bei unseren vorhergegangenen Ausführungen sein Bewenden, daß unsere Marine der Mittel entbehrt, das Reich im Auslände in einer seiner internationalen Machtstellung entsprechenden Weif: zu repräsentiren. Wenn unsere Marineverwaltung in Ec kcnnlniß der Unhaltbarkeit eines solchen Zustandes die an gemessene Verstärkung der Seeslreitkräfte in Anregung bringt, oder auch nur den Ersatz der unbrauchbar gewordenen Schiffe beantragt, so entsteht alsbald der Lärm über „uferlose Flotten pläne". Muß aber Deutschland in Ermangelung des be nölhigtcn schwimmenden Materials in entscheidungsschweren internationalen Krisen in der Reihe der großmächtlichen Flaggen unvertreten bleiben, dann ist es wieder nicht recht. Die Nutzanwendung hieraus sollte unseres Erachtens nicht schwer zu ziehen sein. ^ Berlin, 22. Februar. Nach dem ganzen Verlauf der Veratkungeii über die B e s o l d ungs a uf bes serungen im Reiche scheint wenig Aussicht vorhanden zu sein, daß die Vorlage zu Stande kommt. Die Entscheidung liegt beim Centrum, und von dem Vertreter desselben ist in der Budget - Commission erklärt worden, daß jeden falls für diese Session keine Hoffnung für die Annahme der Vorlage vorhanden sei. In der letzten Sitzung der Bndgetcommission des Reichstags ist die Generaldebatte zu Ende gekommen, ohne daß sich hierin etwas geändert har und ohne daß sich auch nur entfernt sagen läßt, wann es zur Spccialbcrathung kommt, während die CommissionS berathung der preußischen Vorlage über die Aufbesserung der Beamtengehälter nach längeren Debatten in der Budget commission des Abgeordnetenhauses dieser Tage abgeschlossen worden ist. (S. * Berlin. Red.) Die Sachlage im Reiche ist um so bedauerlicher, als nach den Erklärungen des Reichs schatzamts die von nationalliberaler Seite vertretene Absicht, zugleich für die Unterbeamlen, Postschaffner und Postassistenten zu sorgen, Aussicht aus Verwirklichung batte. Das Cen lrum hat aber nicht allein den Wunsch, im Reiche die Besoldungsvorlage nicht zu Stande kommen zu lasten, sondern auch in Preußen die BesoldungSverbefserung zum Sckeilern zu bringen. Vom Centrum wird und aller dings, wie wir vernehmen, zutreffend damit gerechnet, daß die Staatsregierung die Besoldungsaufbesserung nicht annimmt, wenn darauf bestanden wird, Richter und Re gier ungör äthe gleichzustellen. Und nun wird weiter der Anschein erregt, als ob die Ablehnung der Besoldungserhöhunaen im Reiche nothwcndiger Weise auch die Ablehnung der Be solduugserhLhung im preußischen Abgeordnelenhause nach fick ziehen müsse, und eindringlich den Nationalliberalen ihre der malige Stellungnahme zum Assefsorenparagraphen nahegclegt. Wir möchten zunächst bemerke», daß, wie auch in der Budgel- coinmissivn des Abgeordnetenhauses ausdrücklich erklärt worden ist, die ordnungsgemäße Erledigung der Besoldungsaufbefferung in Preußen für sich selbstständig aus den preußischen Bedürf nissen heraus zu prüfen ist. Sodann ist nichts verkehrter, als die vorstehende BesoldungSausbefferung der Richter in eiuem Athen, mit den Assessorenparagraphen zu nennen. Das FeulHetsn. Dichterftimmen aus dem Volke. IV Unserem Cyklus flüchtig umrissener Charakterbilder deutscher Dichter und Dickterinnen auS ven mittleren und unteren GriellsckaftSsckicktrn, die wir mit dem bayrriscben Bauernmädchen Emerenz Meier und der SckleSwig-Holsteiner Bauersfrau Henui Mattsen begannen — Katharina Kock, Johanna Ambrosius, Siine Anbresen und Franz Bechert gingen in besondren Würdigungen voraus — reiben wir heute Rudolf Liebisch an, der sich mit seinen „Liedern eines Handwerksburschen"*) unter unseren modernen „Meistersingern" einen der ersten Plätze ersungen und weitbin verdiente Anerkennung gefunden bat. Seine Gedichte sind bereit» io zweiter Auflage vom deutschen Lesepublicum begehrt worden, ein Beweis, daß seine Liedersammlung nickt Drucker schwärze auf Papier ist, wie man die Leistungen unserer Volks- dichler wobl genannt hat, nickt TazeS-DurchschnittSwaare, von der man Notiz nimmt, um sie „zu den anderen" zu legen und nicht mebr davon zu reden, sondern daß wir eS mit Gaben der Poesie zu thun haben, denen zweifellos — wir wollen un» vorerst zurückhaltend auSsprecken — ein gewisser Werth nicht abgesprochen werden kann, Blütben und Früchte, die zu brechen und mit heim zu nehmen sich schon lohnen muß. Aber lassen wir den Dichter sich erst persönlich vorstellen. Es ist gerade bei diesem Jünger Apoll'- von besonderem Werth, zu wissen, mit wem wir e- zu thun haben, da seine Lieder fast obile Ausnahme ein durchaus persönliches, indivi duelles Gepräge tragen, rin Vorzug, den er fast noch in böberem Maße als seine obengenannten „Zunstgenofsen" vor dem Gros unserer heutigen Kunst-Dichter voraus hat. Rudolf Liebisch ist geboren am 25. December 1861 in St. Johann im Herzogtbum Salzburg, wahrend seine Eltern, Schauspieler bei einer kleinen Gesellschaft, eben auf einer Reise begriffen waren. Bis zu seinem sechsten Jahre wandert« er mit den Eltern und fünf Geschwistern durch Ober- und Nirder-Oesterreich, Tirol, Südbayern, ganz Ungarn und Galizien. Inzwischen war es seinem Vater gelungen, durch Unterstützung seiner in BreSlau lebenden bester situirten Verwandten die Photographie zu erlerne» und sich dir nöthigen Apparate anzuschaffen. So sagte er denn seiner *) Kreuz und Quer, Lieder eine- Haadwrrksburschen von Rudolf Liebisch. Mit einem Vorwort von Karl Schratten, thal. L. Aufl. Großenhain und Leipzig, Verlag von Baumert L «o»„. 1887. Kunst Valet und zog von Ober-Ungarn Anfang 1867 nach! Troppau, wo Rudolf durch zwei Iakre die Kaiserschule be suchte. Dann siedelte der Vater nach Jägrrndorf in Oester- j reichisch-Schlesien über, und hier kam der künftige Hand werksbursche und Liederdichter sogar an die Realschule, in der er einer der ersten Schüler war. Aber seine Hoffnung, studiren zu dürfen, erfüllte sich nickt, denn die Breslauer Verwandten stellten ihre Unterstützungen ein. und so kam er, 14 Jabre alt, zu dem jüngsten Bruder des ValerS nach BreSlau in die Lehre. Sein Meister und Oheim, seines Zeichens ein ehrsamer Bürstenbinder, hatte natürlich die Absicht, „dem Jungen die Verrücktheiten, die schon seinen Vater unglücklich gemacht", gehörig auSzu- treiben. Wie Liebisch 8euior, der früh zu schriftstellern begann, um nachher zur Bübne zu gehen, ohne in zwanzig jähriger Sckauspielerlaufbahn es mit seiner Familie über Kummer und Entbehrungen binauszubringcn, so zeigte Liebisch junior schon in seinem 16. Lebensjahre „verdächtige" Neigungen, wie Hang zur Lecture und gar zum Verse- schmieden! Aber man setzte ibm den Kopf, in dem es so sonderbar spukte, gehörig zurecht und pädagogisirte so lange an ihm herum, bis aus dem geweckten Zungen ein verzagtes, alles Selbslbewußtseins baare« Menschenkind geworden war. Dem ist es auch, wie sein Mentor, der um unsre jüngsten BolkSdichter so hochverdiente Preßburger Literarhistoriker Schrattenthal, bemerkt, zuzusckreiben, daß der von Haus ans poetisch Veranlagte erst in seinem 25. Lebensjahre den Muth fand, den Pegasus öffentlich zu besteigen. Rudolf Liebisch ging bald, nachdem er Geselle geworden, in die Fremde und lernte bas „Walzen", das ungebundene Wandern von Stadt ru Stadt, von Land zu Land, mit dem Bündel auf dem Rücken, den Knotenstock in der Rechten, aründlichst kennen. Von BreSlau ging er zunächst nach Waldenburg i. Schl., wo er vom Sommer 1880 bis zum Herbst in Arbeit stand. Dann „machte er fremd" und wandert? von Hirsckberg, über Görlitz, die sächsische Schweiz, Dresden, Leipzig, Halle, Dessau, Wittenberg, Berlin, Schwerin, Rostock, Lübeck, Kiel, Eckernförve und Rendsburg bis ElinS- born, wo er sechs Wochen, bis Weihnachten, arbeitete. Da kam deS Meisters Bruder auS der Fremde, und nun konnte unser Werksgesell mitten im Winter fürbaß ziehen. Jetzt ging er über Hamburg, Wittenberge, Magdeburg, Halle und Wurzen nach Riesa, zog sich aber auf dieser Wanderung eine so befuge Erkätlung zu, daß er in Königsbrück bei Dresden im Krankenbause drei Wochen an Lungenentzündung schwer erkrankt liegen blieb. Mit dem Gelve, da» die schlesischen Verwandten gespendet, zog er dann nach Breslau, fand Arbeit und blieb dort bi- 1885. Im Mai desselben Jabre« ging er nach Leobschütz, einem hübschen oberschlesischen Städtchen, in Arbeit. .Hast mich freundlich ausgenommen, Daß mein trübe» Her, entglommen Wieder hell; Den ich lang gesucht, den Frieden, Schenktest Du dem wanderinüden WecksgeieU. Fand in Deinen Mauern wieder Freundesglück und Schetmenlieder Lustentsacht — Und auf Markt und Gassen schauen Durst' ich Deiner schönen Frauen Holde Pracht! In Loebschütz verbrannte er Alles, was er bisher poetisch producirt batte, was wohl nicht geschehen wäre, wenn er es über sich gebracht hätte, einen Sachverständigen zu befragen. Hier aber, wo er ein eigenes Heim gründete, sind auch die meisten seiner Handwerksburschenliever — einige schrieb er früher aus der Landstraße nieder — geschrieben. Daß diese nicht gleichfalls in den Ofen wanderten, hat er dem Breslauer Dichter Paul Barsch zu verdanken, der einst an der Hobelbank gearbeitet, die Well wie Liebisch durchwandert batte und beute als Dichter der gcmütlwollen „Fliegenden Blätter", die nicht weniger als elf Auflagen erlebten, ein Liebling weiter Kreise geworven ist. Barsch, dem Liebisch nachher seine Handwerksburschenlieder auS Dankbarkeit widmete, machte dem jungen „Meister" Muth und weckte das Selbstbewußtsein in ihm, das wohl vorhanden, aber bisher stets unterdrückt war. Im Herbst 1891 erschien die Liedersammlung „Kreuz und Quer" in erster Auflage und fand um so mehr Anklang, als der Verfasser sich durch einen in Lobschütz, Ratibor, BreSlau »nd anderen Städten gehaltenen Vortrag „Der Handwerks bursche und seine Poesie" bekannt gemacht batte. Auf diese Weise wurde Liebisch auch mit der TageSpresse bekannt, fing an für Zeitungen zu schreiben und faßte bald den Entschluß, die staubige Werkstatt mit der Redactivnsstube zu vertauschen. Er fand denn auch nach den ersten Versuchen an kleineren Blättern, an einer täglich in großer Auflage erscheinenden Zeitung in BreSlau eine Revacteurstelle, die er am 1. Januar 1894 verließ, um an einem Leipziger Blatte in fast dreijäbriger Wirksamkeit sich namentlich auf den Gebieten der Literatur, Theaterkritik und Musik heimisch zu machen. Mit Freuden ergriff der nun schon journalistisch Wohlgeschulte dann die Gelegenheit, in die erste Revacteurstelle eine« geachteten Blattes einzutreten. Der herzoglich anbaltische Hofbuchdrucker C. Dünnbaupt in Dessau, der Verleger des „Anbastischen Slaatsanzeigers", hat das Verdienst, dem jungen Talent in vertrauensvollem Entgegenkommen eine seinen Wünschen und Fähigkeiten conforme Lebensstellung geboten zu baben. Vor fünf Jahren noch Gesell, heute erster Rebacteur — daS mag barte Arbeit gekostet haben. Bekennt Liebisch in seinem stimmungsvollen, formschönen Präludium an Paul Barsch doch selbst: So Hab ich denn, den Pfad erhellt Von Dein^ Beistands Licht, voll Mühen Den Acker meines Geist« bestellt. Und meine Saat gebracht zum Blühen. ; Jener harten ungewohnten Arbeit ist eS auch zuzuschreiben, daß diebisch daS poetische Schaffen im Kampf um eine geachtete gesellschaftliche Position während der letzten Jahre zurücklreten lassen mußte. Daß der Quell nicht versiegt, dafür bürgt die Kraft echter Poesie, die ihm als Angebinde in die Wiege gelegt ward. Echte Poesie! Ja, ihr Fluidum strömt warm und leuchtend durch alle Lieder unseres schlichten Werksgesellen; durch alle ohne Ausnahme, wenn auch naturgemäß das eine böber, das andere niederer zu bewerthen ist. Ohne auf eine Kritik des Einzelnen eingehen zu können, dürfen wir. Widerspruch nickt befürchtend, von vornherein sestslellen, daß der Gesammteindruck, den die Wanderlieder aus jeden Borurtbeilslosen machen, der eines ursprünglichen, stets aus der Quelle innersten Empfindens schöpfenden, harmonisch durchgebildeten lyrischen Talentes ist. Es mag, wie gesagt, das eine oder das andere Lied vor strengerem Uv tbeile nicht bestehen, und doch wird man auch diese schlichteren Blütben in dem Kranze nicht missen wollen, weil alle ctw-i> von dem Geiste haben, der in vielen derselben sich zu tadelloser Schönheit entfaltet. Nie wird der Dichter geistlos, nie platt, nie nichtssagend, nie krast- und schwungloö, nie feklt seinen Productionen der Stempel charakteristischer Eigenart. Man wird da nichts Gekünsteltes, nichts Au empfundenes, nichts Gemachte» finden, aus eigenem Triebe quellen diese Lieder hervor, Gelegenheitsgedichte eins wie das ankere, den inwendigen Menschen natürlich und offenherzig gebend, wie er ist, nicht mübsam ergrübest, nicht in be wußter Reflexion auf ihre Wirkung geprüft, mag darüber auch zuweilen die Glätte der künstlerischen Form vcrnack lässigt und zu kurz gekommen sein. Wanderlieder sind's, zumeist „auf der Walze" entstanden, wenn auch später erst zu Papier gebracht, und so schreiten sie hurtigen Schritte», kurz geschürzt dabi». Dem Wellen geplauder des eilenden Baches möchten wir sie vergleichen, der bald lebensfroh und übermütbig mit den Lichtern der rosen fingrige» Eos spielt, bald die blitzenden Strahlen der Mittags sonne leuchtend zuriickivirft, bald zu ruhigerem Laufe gezwungen, die dunkle Gluth der Abendrötbe widerspiegelt, bald durch zackige, Felsgestein sich windend, jetzt leiser, jetzt lauter klagt, immer aber in ungetrübter Flutb bis auf den Grund hinabschauen läßt. Kein Vergleich veranschaulicht eine Sache ganz, am wenigsten ein Gebilde individueller Menschennatur, und so dürfen wir Wohl hinzufügen: dies „Krenz und Quer" i>i. wenn man will, auch wie ein voller, am Wege gepflückter Strauß von duftenden Feld- und Wiesenblumen, in dem d:e Hellen, fröhlichen Farbentöne überwiegen, aber auch die dunkleren keineswegs gänzlich fehlen. Alles gruppirt um ein Gebinde thaufrischer, halderdlühter Rosen. (Schluß folgt.)
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