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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.02.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-02-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970226027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897022602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897022602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-02
- Tag1897-02-26
- Monat1897-02
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Weiter hatte der Antrag auf Einführung des Reichstags wahlrechts für die Wahle» rum Landesausschuß des Reichs- landeS und hatten die Ausführungen der Redner der genannten Parteien keinen Zweck. Die Letzteren wissen ganz genau, daß der BundeSrath, so lange die erst kürzlich von unS geschilderten Verhältnisse in Elsaß-Lothringen noch sortbestehen und so lange dort Ultramontane, Volksparteiler und Socialdemokratcn um die Wette die Gewöhnung der Wähler an den Gedanken der Zugehörigkeit zum deutschen Reiche zu verhüten suchen, nicht daran denken kann, dem Anträge Folge zu geben. Dieser sollte eben nur Gelegenheit bieten, Stimmenfang zu treiben uud den unzufriedenen Ele menten in Elsaß-Lothringen zu zeigen, wie sie bei den nächsten ReicbStagSwahlen wählen müssen, um im künftigen Reichstage ihre nicht auf daS Wohl des Landes und des Reiches, sondern lediglich auf die Befriedigung ihrer Eigensucht gerichteten Wünsche energisch vertreten zu sehen. Die künftigen Wahlen und die mit ihr zusammenhängende Bündnißfrage beherrschen überhaupt daS Sinnen und Trachten der Parteien immer ausschließlicher. Sogar bei Herrn Eugen Richter ist von den unausgesetzten Predigten der Leute von der freisinnigen Vereinigung über Zusaminenschließung aller Liberalen etwas bangen geblieben. Er vermißt in einer von partei-vfficieller Seite auSgegangenen Betrachtung über die der national liberalen Partei bei den nächsten Wahlen vorgezeichncte Stellungnahme zu andern Parteien Auskunft über daS Verhältnis) zu den Conservativen der verschiedenen Schattirungen und bedauert, daß die Nationalliberalen nicht wenigstens „den hundertsten Theil des Eifers, den sie in der Bekämpfung der freisinnigen Volkspartei im Westen entfalten, im Osten für die Bekämpfung der Iunkerparteien bekunden". Also doch „Iunkerparteien", ein Wort, von dem Herr Richter in seinem Streite mit den Herren Pachuicke und Genossen nicht- wissen wollte Aber die Inkonsequenz ist begreif lich; denn unter „Westen" in seiner Klage ist der ReichstagswablkreiS Hagen und unter der bekämpften Volks partei Herr Richter, der derzeitige Inhaber des dortigen Man dates, zu verstehen. Die Nationalliberalen in diesem Wahlkreise entfalten eine sehr erfreuliche und aussichtsvolle Thätigkeit, daS ist richtig. Falsch aber ist eS, wenn Herr Richter weiter sagt, die Bekämpfung seiner Candidatur komme einer Aus lieferung des Hagener Mandats an die Socialdemokratie gleich. Umgekehrt scheint die energische Betreibung einer nationalliberalen Bewerbung das einzige Mittel, um Hagen vor dem Uebergang an einen Socialdemokraten zu retten. Die gemäßigtliberale Partei hat nämlich in dieser altfortschrittlichen Domaine von Wahl zu Wahl größeren Stimmenzuwachs aufzuweisen gehabt und sie hat auch bereits den praktischen Erfolg erzielt, daß Hagen im preußischen Abgeordnetenhause anstatt wie früher durch Eugen Richter, von einem Natioualliberalen vertreten wird. Die dortige Provinzialpresse bezeichnet als die Ursache dieses Umschwunges die Haltung des volksparteilichen Führers in Len Colonial«, Marine- und verwandten Fragen, wie in der Polenpolitik. Es wäre also der höchste Widersinn, wenn in einer Zeit, wo Herr Richter in einem fortschrittlichen Wahlkreise fortgesetzt Anhänger an die nationale Mittclpartei verliert, diese Partei die Geschäfte der Volkspartei im Osten besorgen wollte, also dort, wo der unnationale Charakter des Freisinns in den von Richter gebilligten Polenreden deS Herrn Jäckel soeben seinen scharfen Ausdruck gefunden hat. Um die nationalen Fragen „kommt" der Freisinn eben nicht „herum", wenn er nach nationaler Unterstützung ausspäht. Er magsich in noch so subtilen Untersuchungen ergehen über DaS, was im neuen Reiche national ist und waS nicht; er weiß sehr gut, was darunter verstanden wird, uud eben deshalb scheut er eine Abkehr von der Politik der Negation; denn das Nationale stößt bas Centrum und die Socialvemokratie ab und mit denen glaubt man cS nicht verderben zu dürfen. Wenn aber Herr Richter sich doch noch dazu verstehen sollte, deutliche und befriedigende Erklärungen über sein Verhältnis) zum Centrum und zu rer Umsturzpartci abzugeben, dann werden die Nationalliberalen rechts rer Elbe nicht anstehen, ihrerseits die Stellung zu den „Iunker parteien" zu präcisiren, wo dies nöthig sein sollte. Dem Centrum und der Demokratie, die jenem eben wieder bei der Wahl in Donaueschingen vor dem National- liberaliSmus angeblich deshalb den Vorzug gegeben hat, weil es zuverlässiger in Bezug auf das allgemeine Wahlrecht sei, ist ein nicht geringes Unglück widerfahren. Die „Lands- huter Zeitung" nämlich, eines der bewährtesten bayerischen Ccntrumsblätter, hat, wie schon dieser Tage berichtet wurde, Folgendes veröffentlicht: „Wir sind sowohl für eine Hinausschiebung der Alters grenze, so daß nicht Jeder, der das 25. Lebensjahr er- reicht hat, wählen darf, als insbesondere dafür, daß nur Derjenige wahlberechtigt ist, der eine direkte Steuer zahlt und somit seinen Theil an den allgemeinen Lasten trägt." Schlimm an dieser Kundgebung ist, daß sie auS München uud, wie man weiß, aus leitenden Kreisen der CentrumS- partei stammt, und noch schlimmer, daß die wegen ihrer Offenherzigkeit von anderen Parteiblättern hart angelassene „LandShuter Zeitung" sich nicht einschüchtern ließ uud unter Bezugnahme auf die gleiche Ansicht „vieler Elemente" ihre Sätze wiederholte. Die Verlegenheit in der bayerischen ultramontane» Presse ist groß. Ein Blatt schrieb, „die „Landsh. Ztg." spiele bisweilen so ein Bissel daS radicale(l) vntant torrible", erhielt aber prompt und zutreffend erwidert: „Bekanntlich plappert ein enkant tsrnililo zur Unzeit nur nach, was eS gehört hat." Die demokratische Presse breitet, so weit sie über dies Kleidungsstück verfügt, den Mantel christlicher Nächstenliebe über die Blöße der Freunde, der — andere Theil hüllt sich aber gleichSfalls in rücksichtsvolles Schweigen. Nach übereinstimmenden Meldungen ist eine Einigung der Mächte bezüglich Kretas und Griechenlands als Frucht der gestern abgeschlossenen diplomatischen Verhand lungen zu Stande gekommen, d. h, die Mächte haben den Vorschlag Rußlands vom 21. d. M. angenommen, der sich nach ofsiciöser Verlautbarung in folgende drei Puncte zusammenfassen läßt: 1) keine Einverleibung Kretas durch Grie chenland; 2) Einführung einer Selbstverwal tung unter Aufcechterhaltung der türkischen Oberhoheit; 3) Kenntnißgabe hiervon an die Pforte und an Griechen land, an das letztere mit der Sommation, bei Vermeidung von Gewaltmaßregeln die Truppen und Schiffe von der Insel unverzüglich zurückzuz,ehen. Nach den Erklärungen, welche Salisbury gestern im Oberhause, noch bevor ihm der Beschluß der Gesammtmächte im Einzelnen bekannt sein konnte, abgegeben hat und über die wir an anderer Stelle reseriren, sollte man annehmen, daß auch England endgiltig und im vollen Umfange zugestimmt habe. Allein man kann sich der Vermuthmig nicht erwehren, daß es damit doch nicht seine zweifellose Nicktigkeit hat. Eine Abweichung wenigstens des englischen Standpu»ct"s von dem eben mitgetheilten Einigungsprogramm läßt sich nicht übersehen: dieses sieht nur die Zurückziehung der griechischen Streitkräfte in Kreta und eventuelle Gewalt- maßregeln gegen Griechenland vor, während England die Zurückziehung auch der türkischen Truppen als Vor bedingung der Gewährung einer Autonomie Kretas und im Weigerungsfälle Anwendung von Gewalt auch gegfen die Türkei fordert. Von Gewaltmaßregeln gegen den legitimen Besitzer Kretas war bis jetzt in den Pourparlers der Mächte noch mit keinem Worte die Rede. Dieses Novum bringt England in letzter Stunde in die Verhandlungen hinein, wobei eS auffallen muß, daß die englische Negiernng ihren Standpunct den vereinigten Mächten erst am 24. d. M. Abends telegraphisch kundgeaeben hat, also zu einem Zeilpunct. wo die Verhandlungen bereits ihrem Abschluß nahe waren, lieber das Ergebnis) derselben ist auch noch nichts bekannt geworden. Statt dessen erscheint plötzlich in der Presse eine offenbar hochofficiöse, im telegraphischen AuSzuge schon mitgetheilte Petersburger Enunciation, welche die Zweifel an dem bedingungslosen Anschluß Englands an die übrigen Mächte nur erhöhen kann. Die sehr bedeutungsvolle Meldung lautet ausführlich: * Petersburg» 25. Februar. Authentisch verlautet: Durchdrungen von der Ueberzeuguug, da« nur durch ein festes, zielbewutztes Vorgehe» der Groffmächte aus der revolutiouaire» Bewegung auf Kreta ein Umsich greifen derselben auf andere wcbietStheile der Türkei und damit eine Gefährdung des europäischeu Frieden» vermieden werden kan»; beseelt von dem Wunsche, seinerseits Alles aufzubicteu, um Europa vor dem Ausbruch eines möglicher Weise aus so frivolen Ursache» hervorgchende» Krieges zu bewahren; endlich in der Erkenntnis von der Richtigkeit -er Stellungnahme Deutschlands sowohl tu der kretischen Frage wie auch Griechenland gegen über hat Ru« land für nothwendig erachtet, Griechen land dnrch seinen Gesandten in Athen ausfordern ,n lasten, seine Flotte uud die gesammte auf Kreta befindliche Truppenmacht innerhalb dreier Tage zurückzuberusen. Sollte Griechenland in blinder Verkennung seines eigenen VortheilS dennoch den wohlgemeinten Rathschlägen RutzlandS und der mit ihm verbündeten Mächte ferneren Widerstand entgegensetzen oder Schwierigkeiten bereiten oder sich durch selbst süchtige Freunde i» seinem bisherige» Ver halten aufmnntern lassen, vielleicht iu der falschen Voraussetzung von einer Uneinigkeit nnter den Grotz- mächtcn, weil eine oder Sie andcrc Macht nicht von vorn herein de» Vorschlägen RuszlandS, welches sich mit Deutschland und Frankreich eins weist, bcitrat, so 91. Jahrgang. ist Ru« lau- entschlossen, die Consequenzen aus diesem den Frieden Europas im höchsten Matze bedrohenden Widerstande Griechenlands zn ziehen und mit den schärs stell Repressalien gegen dasselbe vor- zngeheil, als deren erste es bereits die von ihm aceeptirtc Blockade der Häfen ansieht. Im Vewutztsein von der Einigkeit mit Frankreich und dem absolute» Ein verständnis; mit Deutschland und auch Oesterreich wird Rntzland, selbst wenn einzelne Mächte sich seinen Schritten nicht anschltetzeu sollten, in der Lage sein» den Friede» Europas durch die Vor gänge auf Kreta jedenfalls nicht gefährden zn lasten. Mit den übrige» Grotzmächten ist Rntzland der Ansicht, -atz die Annexion Kretas durch Griechen land autzer Betracht zu bleiben hat und -atz vor dem Eintritt in Verhandlungen über die zu künftige Gestaltung Kretas der völkerrechts widrige» Aetiou Griechenlands ein Ende zn machen sei. Dem entsprechend hat sich Rutzland mit den Mächten dahin verständigt, nach der Ränmung Kretas Lurch die griechische Militatrmacht zunächst wieder Ruhe und Ordnung auf der Insel herzustellen und auf ihr sodann nnter dem Schutze der Grotzmächte und unter Suzeränetät des Sultans eine Autonomie einzuführen. Ausfallend ist bei dieser Verlautbarung, daß, nachdem einer Meldung zufolge gestern in Athen eine gemeinsame Note der Mächte eingegangen ist, welche heute der Regierung officiell überreicht werden soll, Rußland eS für nothwendig erachtet, Griechenland seinerseits durch ein in schärfster Form gehaltenes besonderes Ultimatum zum Verlassen Kretas binnen drei Tagen aufzufordcrn. Ausfallen muß cs, daß Griechenland vor selbstsüchtigen Freunden, die es zu fernerem Widerstand aufmunrern könnten, gewarnt wirk — in diesem Verdacht stand bisher nur England —, daß in Bezug auf etwaige Repressalien gegen Griechen land in der Note nur von der Einigkeit mit Frankreich unt dem absoluten Einverständniß mit Deutschland und Oester reich dieRede ist, während Englands und Italiens mit keiner Silbe gedacht, wohl aber auf die Möglichkeit hingewiesen wird, daß einzelne Mächte den „schärfsten Repressalien", wie der Blockade der griechischen Häfen sich nicht anschlicßen werden. Schon auS der osficiösen Aeußerulig des Wiener „Fremdenblatts" von gestern, in der eS bekanntlich heißt, von den „kräftigsten Zwangsmaßregeln" dürfte sich keine Macht ausschließen und auch England dürfte an der Blockade theilnehmen, ließ sich die Vermuthung schöpfen, daß England auf seinem Standpuncr, die Blockade, wie überhaupt die Anwendung „schärfster Repressalien", sei ihm unsympathisch, auch jetzt noch beharrt, und durch daS oben mitgetheilte russische Communique kann man nur in der Annahme bestärkt werden, daß England mit den Mächten in allen Puncten, nur eben nicht in der Haupt sache, in der Anwendung von Zwang gegen Griechen land, einverstanden ist oder wenigstens, daß cs an einer solchen activ nicht theilnehmen wird. ES will also Griechenland den Pelz waschen, ohne cS naß zu machen, um sich ihm nach Erledigung der kretischen An gelegenheit wieder als guter Freund, vielleicht für einen enbgiltigen AuStrag der Sache, vorstellen zu können. Möglich ist cS, daß auch Italien der Blockade fern bleibt, denn cs I hat erklärt, cs werde an Allem sich betheiligen, woran FdrriHetsn» 6> Lin Frauenherz. Roman frei nach dem Englischen bearbeitet von Emil Bernfeld. Nachdruck verboten. Stephen Grey nahm den freigewordenen Platz ein und schwelgte in dem Glück einer Unterhaltung, die fick bald nur noch zwischen ihm und Margaret bewegte. Miß Blessington war über ihrer Häkelarbeit eingeschtafen, und Major Wilmor, der seine Zeitung bei Seite gelegt, beschäftigte sich eingehend mit seiner Mvrgencorrespondenz in Gestalt der heute früh eingelaufenen Briefe, die er mit sich in das Coup« genommen und die er öffnete, durchlaS, mit Notizen versah :c. Einen batte er bereits wieder und wieder gelesen, und je öfter er ihn laS, desto mehr schien ihn der Inhalt zu verblüffen, und cS ihm unklar zu machen, was er davon denken solle. Es war ein anonymes Schreiben in anderer als der jenigen Handschrift, in welcher die ihm bisher zugegangenen Droh- und Warnbriefe abgefaßt waren, auch nicht, wie diese, von einem Verschworenencomitö unterzeichnet oder auS einer mysteriösen Localität batirt, sondern ohne Unterschrift, Datum und OrtSbezeichnung überhaupt, und was den Major hauptsächlich betroffen machte, deutete auf Dinge hin, welche der Schlußfolgeruiig. zn der Inspektor CateS einst gelangt war und die der Major so energisch verworfen hatte, neues Gewicht zu verleihen schienen. Es lautete: „Ich fühle mich gedrungen. Sie vor einem Ihrer neueren Bekannten zu warnen. Nehmen Sie meinen Rath an und erwägen Sie vorsichtig, wem Sie vertrauen. Indem Sie Irland verlassen, entgehen Sie dem Schurken nicht, der Sie schon einmal so schwer getroffen und dessen Verbrecherhand Sie leicht ein zweites Mal treffen dürfte!" VI. Stephen Grey gab den Platz, den er errungen, nicht wieder auf. Auch nachdem man aus der Eisenbahn auf den Dampfer iibergegangen, war er stets an Margarets Seite und wachte über sie, mit unablässiger Fürsorge und Hin gebung, wie nur ibr Vater selbst es hätte thun können. Der Major und Miß Blessington, hoch erfreut, sie in so an genehmer, zerstreuender Unterhaltung zu wissen, zogen sich mehrfach in die Cajüte zurück, da ihnen die stark bewegte See den Aufenthalt auf Deck unbehaglich machte, und Tom hielt sich gleichfalls von ihnen fern; so kam eS, daß Stephen und Margaret einen großen Theil der Zeit mit einander allein waren. ES hatte Stephen Grey unmöglich entgehen können, daß Blessington, gleichviel auS welchem Grunde, seine Absichten auf Margaret s Hand und Herz aufgegeben und auch sie durchaus nicht durch den Verlust ihres Anbeters bekümmert war, und Grey ver mochte der Versuchung nicht zu widerstehen, dem Mädchen, daS er so aus innigster Seele und mit der ganzen Kraft seines reisen, gefesteten Mannesherzens liebte, während der Dauer der Reise nahe zu bleiben und Sorge für sie zu tragen, wie es sein höchstes Glück gewesen sein würde, für die ganze Dauer ihres Lebens für sie sorgen zu dürfen. Die schönen Stunden flogen nur zu schnell dahin und umfaßten für ibn die glücklichste Spanne Zeit, die er je genossen — und vielleicht je genießen würde! Nach der Eonsultation des Professors Graves in London, der das Urtheil der Dubliner Augenärzte, nach dem gegen wärtigen Standpunct der operativen Kunst, wie er sagte, nur bestätigen konnte, trennte sich die Gesellschaft und Major Willmor ging mit seiner Tochter und Miß Blessington nach Brighton, wo sie ein möblirteS HauS für die nächsten drei Monate in Miethe genommen. Die frische Seeluft und die Gesellschaft ihrer Herzen»- freundin Pansy Russell, welche fast ihre ganze Zeit mit ibr zubrachte, thaten Margaret unendlich wohl. Ihre Gesundheit hob sich, ibre frische Farbe kehrte wieder, ihre Melancholie schwand allmählich hinweg und sie wurde wieder so schön, wie sie nur je gewesen, von fast so munterem, beitercm Wesen — so weit die- bei ihrer Lichtlosigkeit möglich war und wie dies bei Blinden, wenn sie sich an ihren Zustand gewöhnt, meist geschieht — wie sie eS früher war. „Wahrhaftig, Du siebst jetzt direct reizend au«!" erklärte Pansy eines Tage« in ihrer entschiedenen, umstand-losen Weise: „Habe ich nicht Recht, Lord Flemmingham?" wandte sic sich kurz an einen jungen Mann, der neben ihr auf der Sandböschung am MeereSstrande, auf der sie Platz genommen, lag und sich bemühte, auSzusehen, als ob ihn die Berührung de« grobkörnigen MeereSsandeS mit seinem tadellos eleganten Londoner Anzuge vollständig gleichgiltig lasse. „Gewiß!" versicherte er höflich, seine Augen dabei nur auf Pansy gerichtet haltend, statt auf Margaret. „Miß Wilmor ist immer reizend!" „Ah," lächelte Margaret munter, „Sie haben e« leicht, mir zu schmeicheln, Lord Arthur — ich kann nicht in den Spiegel sehen, um Sie Lüge» zu strafen! Es wird mir nichts übrig bleiben, als Ihnen mit der Zeit zu glauben." „Sie werden Recht daran thun. Miß Wilmor. Manche Leute." fuhr der Lord fort und starrte dabei geradeaus über das Meer hinaus, als habe er eine dort weit entfernt be findliche Person bei seinen Worten im Auge, „wollen Einem nicht glauben, was die Wahrheit ist, und wenn man eS ihnen auch immer wieder und wieder sagt." „Trauriges Schicksal, — aber vielleicht daher rührend, daß manche Leute diese Wahrheit nicht interessirl!" erklärte Pansy trotzig. Lord Arthur Flemmingham war der erklärte Bewunderer und Anbeter Miß Russell's gewesen von dem Moment an, va er sie auf einem Ball der höheren Gesellschaft von Dublin zum ersten Male gesehen, aber obwohl der junge Mann unserer kecken kleinen Amerikanerin, wie sic sich im Grunde ihres Herzens gestehen mußte, keineswegs gleichgiltig geblieben war, mochte sie sich dennoch nicht so leicht gefangen geben und Lord Arthur hatte bisher verzweifelt wenig Ermuthigung bei ihr gesunden. Er war ihr von Irland nach Brighton gefolgt und hatte opferwillig bereits eine ganze Reihe von Ruder-, Segel-, Reit-, Eriket- und anderen Unterbaltungspartien ausgeschlagen, um in ihrer Gesellschaft zu bleiben, an ihrer Seite in blasirter, phlegmatischer englischer Gelassenheit zn schmachten und sich mit ihr zu zanken — denn daS war ,n Anbetracht der originellen Art und Weise beider jungen Leute für gewöhnlich so recht eigentlich der Charakter ihrer Unterhaltung. Der Lord batte ihr einst vorwurfsvoll gesagt, wie viel bemerkenswerthe Brightoner Zerstreuungen er ihret wegen schon ausgeschlagen. „Nun?" hatte sie erstaunt gefragt, mit dem unschuldigsten verwunderten Augenaufschlag von der Welt: „Und bin ich denn nicht viel angenehmer als jene Partien?" „Nein!" hatte ihr Anbeter bündig geantwortet. „Sie ärgern mich immer!" „Mein Himmel, was müssen da» dann sür entsetzliche Gesellschaften gewesen sein, die Sie da ausgeschlagen haben, — weil Ihnen sogar meine Gesellschaft noch lieber war!" hatte die junge Dame ausgerusen, die Hände zusammen- schlagend. „Ich gebe Ihnen ein für alle Mal Urlaub, Sie sollen sich ärgern können wo Sie wollen, und ich bitte Sie nur, auch mir die Mühewaltung, die- Amt bei Ihnen zu übernehmen, ein bischen zu erleichtern, indem Sie von Ihrem Urlaub den nngenirtesten Gebrauch machen!" Bis zu diesem Versuch war jedoch Lord Flemmingham gar nicht gekommen. Er hatte die Bemerkung gemacht, daß die Entscheidung, ob für Miß Pansy'S Nähe auf jede andere Gesellschaft zu verzichten oder nicht, gar nicht mehr ein Gegenstand freier Wahl sür ibn war und diese reizende kleine Sirene ihn bei all ihrer zur Schau getragenen Gleichgiltigkeit so sest in ihren Netzen hielt, daß es sür ihn kein Entrinnen daraus gab. „Wann kommt Mr. Russell von seiner Reise zurück?" nahm Margaret das Gespräch wieder auf. „Ich erwarte ihn schon heute", erwiderte Pansy, „aber sein Kommen und Gehen bei diesen ewigen Reisen ist stets unbestimmt. Er hat gerade jetzt sehr viel geschäftlich zu thun, sagt er." „Ich habe ihn wahrhaftig in Verdacht, daß er so viel umberschweist, um Demonstrationen unserer irischen Revc lutionaire mitzumachen!" versuchte der Lord zu scherzen. „Ich glaube, er ist ein geheimer Fenier, und Miß Pansy. die in ihrer Unfaßbarkeit und Unbesiegbarkeit unS Alle zu Tode ärgert, ist sein geheimer Central-GeneralissimuS!" Allein der schwache Scherz des LordS verhallte, ohne Beantwortung zn finden. Pansy batte sich erhoben und starrte, von Flemmingham abgewendet, vor sich hin in die Ferne. „Ist daS Papa, der dort kommt?" ries sie plötzlich. „Nein, es ist Jemand, der größer und nicht so stark ist wie Papa. Ah, waS sehe ich! Margaret, rathe — wer glaubst Du, daß eS ist?" „Mr. Grey?" fragte Margaret. „Getroffen! Aber wie konntest Du eS wissen? Erwartetest Du ibn ?" „Nein —" Margaret errötbete ein wenig. „Aber es ist jetzt beiß in London, und Brighton .. ." „In Brighton ist man unter Umständen wunderbar kalt!" schaltete Lord Flemmingham ein und streifte Pansy mit einem düsteren Blick, den diese trotzig unbeachtet ließ. „Komm!" sagte sie munter, rii Margaret tretend und ihren Arm um sie schlingend. „Begleite mich, laß unS ihm entgegen geben." Margaret zog es jedoch vor, zurückzubleiben uud ihn hier zu erwarten. So gingen die anderen Beide» allein, denn als Miß Pansy ging, schloß sich ihr Lord Flemmingham natürlich an. „Schönen Gruß. Mr. Grey! Welch ein unerwartete- Vergnügen!" rief Pansy dem Kommenden freundlich zu, all sie mit ihm zusanimentrafen.
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