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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.03.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-03-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970303010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897030301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897030301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-03
- Tag1897-03-03
- Monat1897-03
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Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernjap nach höherem Tarif. lfxtra-Beilage» (gesalzt), nur mit d«r Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Au-gabe: Vormittag» 10 Uhr. Margen-Au-gabe: Nachmittag» 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. ^ 112. Mittwoch ven 3. März 1897. 91. Jahrgang. Das Leben in den sächsischen Gefängnissen. ?r. Ueber die Einrichtung der sächsischen Gefängnisse, den Betrieb in denselben und die Tbätigkeit der einzelnen Gefänaniß- deamten giebt die neue Geschäftsordnung für die konigl. sächsischen Justizbehörden Bestimmungen, die auch weitere Kreise interessireu dürften. Die Gefängnisse der sächsischen Justizverwaltungen bestehen bekanntlich in den drei großen Gefangenanstalten zu Dresden, Leipzig und Chemnitz und in den Gerichtsgefängnissen, die in Bautzen, Freiberg, Plauen und Zwickau und an allen Orten, wo ein Amtsgericht allein seinen Sitz hat, vorhanden sind. Die Gefängnisse der Justizverwaltung dienen zur Auf nahme von Untersuchungsgefangenen, zur Vollstreckung von Gesängnißstrafcn, zur Vollstreckung gerichtlich erkannter Haft- strafen, zur Vollstreckung von Festungshaft an Frauens personen, zur Vollstreckung gerichtlich auferlegter ZwangS- und Ordnungs-Freiheitsstrafen gegen „Civilgefangene" und zur Unterbringung von Gefangenen der Verwaltungsbehörden in besonderen Fällen. In den Gefängnissen bleiben die Ge fangenen nur, wenn die Dauer ihrer Freiheitsstrafe bei solchen, welche daS 18. Lebensjahr vollendet baben, drei Monate, bei solchen, welche daS l8. LebenSjabr noch nicht vollenoct haben, einen Monat nicht übersteigt. Nur ausnahmsweise können in einigen Gefängnissen auch Gefängnißstrafen bis zu sechs Monaten vollstreckt werden, namentlich wenn man der Gefangenen zur Verrichtung von Diensten bedarf. Zur Richtschnur deß Verhaltens im Verkehr mit den Gefangenen wird den Beamten Ruhe und Festigkeit, Strenge ohne Härte, Gerechtigkeit, Unparteilichkeit und Gewissen haftigkeit gemacht. Bei der Behandlung sollen dis Persönlich keit und der Stand der Gefangenen, jedoch ohne Bevorzugung eines Gefangenen vor dem anderen, berücksichtigt werden. Aller Thätlichkeiten und Schimpfreden gegen dis Gefangenen haben sich die Gesängnißbeamten schlechterdings zu cntbalten Auf der anderen Seite ist jede Art von Vertraulichkeit und jeder über die Anforderungen des Dienstes hinausgchende Verkebr, insbesondere auch die Annahme von Gefälligkeiten oder Versprechungen gegenüber den Gefangenen, ihren An gehörigen und den sonst z„ ihnen in Pez'ebu'.'g S'-her-der. unbedingt zu meiden. Die erwachsenen Gefangenen sind mit Sie anzureden. Die Gefangenen sind zur Gottesfurcht, zum Fleiße, zur Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit, zur Ordnung und Pünctlichkeit, zur Reinlichkeit und Woblansländigkeit an- zuhatken. Strafgefangene sollen möglichst darauf vorbereitet werden, daß sie nach ihrer Entlassung zu einem geordneten Leben zuriickkehren. Den Gesängnißbeamten ist verboten, im Gefängnisse und in Gegenwart Gefangener Branntwein zu trinken und zu rauchen. Persönliche Dienste und Arbeiten der Gefangenen dürfen sie weder ohne noch gegen Entgelt beanspruchen oder annebmeii. Die Aufnahme von eingelieserten Gefangenen muß jeder Zeil erfolgen. Freiwillig sich zum Strasantritt Meldende brauchen in der Zeit von AbendS 8 Uhr bis früh 7 Ubr nicht ausgenommen zu werden. Getrennt von einander sind nicht nur die Geschlechter zu Hallen, sondern auch Gefangene unter 18 Jahren von Er wachsenen, Untersuchungsgefangene von Strafgefangenen, bisher Unbestrafte von rückfälligen oder schweren Verbrechern, Civil- gefangene oder in Schutzbaft Genommene von allen anderen Gefangenen. Auch sind solche Personen, welche zu Gefängnißstrafc, oder wegen LandsireichenS, Beltelnö, Müßigganges, Trünke», Unzucht, Arbeitsscheu oder Obdach losigkeit zu Haft verurtheilt wurden, von denjenigen zu trennen, welche auf Grund anderer Vergehen oder Ueber- tretungen eine Haftstrafe verbüßen müssen. Untersuchungs gefangene sind in der Regel in Einzelhaft zu bringen. Bei Anderen ist die Entscheidung mit Rücksicht auf ihren Bildungsgrad, das noch vorhandene Ehrgefühl u. s. w. zu treffen. Ist die Einzelhaft für den körperlichen oder geistigen Zustand des Gefangenen gefahrdrohend, so soll sie nicht angewandt werden, wenn eS bei Uiilersuchuiigsgefaiigenen nicht etwa die Vorsicht gebietet. Die in Einzelhaft befind lichen Gefangenen sind täglich mehrmals von einem Gesängniß- beamten zu besuchen. Werden in einer Zelle mehrere Gefangene untergebracht, so muß auf jede» ein Luftraum von 18 Kubikmeter kommen. Für gefäbrliche Verbrecher giebt cs besonders gesicherte Zellen. Die Gefangenen dürfen sich gegenseitig keine Mittbeilungcn durch Zurufen, Klopfen und sonstige Zeichen machen. Nötigenfalls ist ihre unerwartete Versetzung in andere Zellen zu verfügen. Sind im Gefängnisse freie Handwerker, Lieferanten u. s. w. beschäftigt, so ist einem unerlaubten Verkehr mit den Gefangenen vorzubeugen. Jeder Gefangene soll in der Regel höchstens einmal mi Monat Besuch an- nebmcn dürfen, bei gutem Verhalten könne» auch in kürzeren Zwischenräumen Besuche zugelassen werden Die Gespräche rer Besucher mit Unlersuchungsgefangenen finden im Beisein des Richters oder des Staatsanwaltes oder des von tiefem Beauf tragten stakt, Gespräche mit anderen Gefangenen im Beisein eines Gejäiignißdeamleii. In einer dem Ueberwachenden fremken Sprache türsen sie nicht geführt werden. Jeder Mißbrauch des Besuches zu unertaublem Verkehr bat die sofortige Ent fernung des Äesuchers zur Folge unk cs kann überdies rem Gefangenen die Erlaudniß zum Empfange von Besuchen entzogen werden. Auch der schriftliche Verkehr der Ge fangenen wird überwacht. In der Regel soll ein Straf gefangener höchstens aller vier Wochen einen Brief absenden und einen Brief empfangen. Beschwerden der Gefangenen über die Gesängnißbeamten sind in den Gerickitsgefängniisen bei der Dienstbehörde, in den Gefangeiianstatten beim Gefängnißdirector anzubringen und, wenn sic sich gegen den letzteren richten, dem ersten ?k"k7::Nw.-.lk reicht ^vrzulegen. Die B.amten haben auch Gesuche der Gefangenen um Begnadigung oder um Strafaussetzung zu Protokoll entgegenzunehmen. Eine lange Reihe von Bestimmungen ordnet die größte Reinlichkeit der Zellen, Lagerstätten, Kleidungsstücke, Eßwerk- zeuge der Gefangenen u. f. w. an. Die hygieinischen Vor schriften nehmen einen hervorragenden Platz unter den viel seitige» Vorschriften ein. Jeder Gefangene erhält eine besondere Lagerstätte, die mindestens auS einem Strohsacke orer einer Strohmatratze und einer wollenen Lagerdecke, im Winter nach Befinden aus mehreren Lagcrdecken bestehen muß. Strafgefangene, denen leine entehrenve Handlung zur Last fällt und die ihren Unterhalt selbst zu bestreiten ,n der Lage sind, kann die Benutzung einer eigenen Lagerstätte gestattet werden. Die Beleuchtung der Zelle kann auf Ansuchen, jedoch nicht vor 6 Uhr Morgens und nicht nach 0 Uhr Abends, gewährt werden. Strafgefangenen der zweiten DiSciplinarclasse und anderen Gefangenen, die sich nicht gut verballen haben, soll keine Beleuchtung gewährt werden. Gesunde Gefangene, die nickt im Freien beschäftigt werden, sollen thunlichsl jeden Tag zur Bewegung in frischer Luft eine Stunde in den Gefängnißbof gefühn werden. Den Gefangenen dürfen auf Verlangen geeignete Bücher und Schriften aus der Gefängnißbibliothek zum Lesen überlassen werden. Keinem Gefangenen ist feeijorgerffcher Zuspruch durch einen Geistlichen feines Glaubens zu verjage». Nur bei Untersuchungsgefangenen kann dies untersagt werden. An dem regelmäßigen Gottesdienst baben die Strafgefangenen tbeilzunehmen. Für die jüdischen Gefangenen sind besondere, ihrem ReligionscultuS entsprechende Bestimmungen gegeben. Zur Einnahme der drei Hauptmahlzeiten sind im Ganzen täglich N/r Stunden bestimmt. Jeder Ge fangene hat täglich zu erhalten: eine nach dem Be dürfnisse des Gefangenen auf 250 bis 850 Gramm z» bemessende Menge reinen, gut ausgebackenen Roggenbrotes nebst mindestens 10 x Salz; eine warme, aus Mehl, Brod. Hafer-, Gersten- oder Buchweizen-Grütze bereitete Suppe zum Frühstück; ein warmes Mittagsessen, bestehend aus grünem oder trockenem Gemüse, genügend gefettet und ge würzt, nach der Zubereitung mindestens 1*/io l enthaltend und mindestens einmal wöchentlich mit Fleisckzuthat oder mit Hering versehen; eine gleiche Suppe wie srüb, oder einen halben Käse zum Abendessen. Besondere Erfrischungen, die der Arzt für Kranke verordnet (Bier, Wein rc.), sowie Heil- lind Verbandmittel werden aus der Gerichtscaffe bestritten. Eivilgesangenen. Strafgefangenen der ersten Disciplinarclaffe kann auch Selbstbeköstigung zugesianden werden. Die Arbeiten im Gefängniß sind so eingerichtet, daß sie daS Fortkommen des Gefangenen nach seiner Entlassung fördern und der Gesundheit nicht nachtbeilig sind. Auch bestimmt die Geschäftsordnung, daß die Einführung solcher Arbeiten zu vermeiden ist, durch die ein drückender Wett bewerb mit den Arbeiten freier Personen bervorgerufen werden kann. Der Lohn wird mit 60 pro Tag in Ansatz gebracht, soweit die Anfertigung von Kleidungs- und Wäsche stücken für die Gefangenen und Hausarbeiten in Frage kommen. Im klebrigen werden Verträge mit ArbeitSunter- nehmern geschlossen. Zu Arbeiten außerhalb des Gefängnisses dürfen Gefangene nur mit ihrer Zustimmung verwendet werden. Der Ertrag der Gefängnißarbeit fließt zur Gefäng- nißcaffc. Den Gefangenen wird ein Anrheit vom Verdienste gntgeschriebcn. Der Antheil beträgt im Höchstfälle 15 für den Tag. Bei Untersuchungsgefangenen beträgt der Antheil ein Drittel des täglichen Reinertrages. Wenn der Straf gefangene nickt der zweiten Disciplinarclaffe angehört, kann er die ArbeitsbelohnmiH zur Beschaffung von Gennßmitteln (Butter, Fett, Milck, Kaffee, Bier, Flcischwaaren, Obst, Gurken, Schnupftabak :c.) verwenden. Wie schon erwähnt, bestehen zwei Disciplinarclaffe». Die Gefangenen der zweiten Classe werden strenger gehalten. Zu ihnen gehören die, welche schon Zuchthaus-, Gefängniß- oder Haftstrafe erlitten haben, jedoch nicht solche, denen die früher verbüßte Gefängniß- oder Haftstrafe nur wegen einer fahr lässigen oder wegen einer vorsätzlichen, aber nicht ent ehrenden Handlung zuerkannt worden war, ferner solcke, welche eine strafbare Handlung zu dem Zwecke be gangen haben, um in ein Gefänaniß eingesperrt zu werden. Aus der ersten in die zweite Classe können Straf gefangene versetzt werden, deren sittlicher Zustand und deren Verhalten die Anwendung strenger Zuchtmittel angezeigt er scheinen läßt. Als Dlsciptinarstrafen sind zulässig: Entziehung der dem Gefangenen gewährten Vergünstigungen (Benutzung eigener Lagerstätte, Beleuchtung, besondere Lectüre, Selbst beköstigung, Setbstbeschäftigung u. s. w.), bei Einzelhaft Ent> ziehung der Arbeit bis zur Dauer einer Woche, Entziehung der Arbeitsbetohnung oder eines Theiles davon, jedoch nicht länger als aus 2 Monate, Entziehung des Beltlagers bis zur Dauer einer Woche, Schmälerung der Kost bis zu gleicher Dauer, einsame Einsperruog bis zur Dauer von vier Wochen, Anschließen an die Kette bis zur Dauer von drei Wochen und körperliche Züchtigung bei gewaltthätigem Verhalten, bei thätlicker Widerspenstigkeit und wenn andere Strafe» schon vergebens angewendet worden sind, auch bei hartnäckigem Ungehorsam, jedoch nur gegen männliche Gefangene. Nicht als Disciplinarstrase, wohl aber zur augenblicklichen Be wältigung bei thätlicher Widersetzlichkeit und gegen Tobende dürfen auch Fesselung, Zwangsstuhl oder Zwangsjacke an gewandt werden. Bei der Entlassung werden dem Gefangenen übrigens, wenn er nicht soviel erübrigt hat, daß er Reise- und Zehrkosten, die er braucht, decken kann, dieselben auS der Anstalts- oder Gerichtscaffe gewährt. Wir wollen damit unsere Mitteilungen abschließen. Sie erscheinen uns deshalb iiothwendig zu sein, weil in neuerer Zeil wieder vielfach das Gefäiignißleben als ein Schlaraffen leben, das Gefängniß als ein Eldorado hingestellt wird, welches in den Gefangenen nach ihrer Entlassung daS Gefühl des Heimwehs erwecke. Man siebt aus den Bestimmungen, welche wir inittbeillen, daß es in Sachsen im Gefängniß nicht an strenger Zucht fehlt, daß aber auch andererseits der Geist der Humanität nicht mangelt, der unserem Jahrhundert entspricht. Deutsches Reich. L. H. Berlin, 2. März. In socialdemokratischen Kreisen erwartet man augenscheinlich von dem dritten internatio nalen Textilarbeiter - Congreß, der vom 9. bis ll. August in Roubaix tagen wird, Wunderdinge. In drei Sprachen (der französischen, der deutschen und der englischen) soll verhandelt und außerdem sollen noch die Berichte ins Italienische und ins Spanische übersetzt werden. Es ist die- der dritte internationale Textilarbeiter-Congreß; der erste hat zu Manchester 1891, der zweite zu Gent 1895 getagt. Man erwartet die Textilarbeiter aus allen Culturländrrn: der Maire in Roubaix, Henri Carrrtte, soll ein bewährter „Genosse" sei», er ist darum auch Ehrenpräsident de« Organisations-Ausschusses geworden. Wie eS in dem Aufruf heißt, soll der Congreß zu einer großartigen und energischen Prolestation werden gegen die sociale Ungerechtigkeit, deren Opfer vie Textilarbeiter geworden seien. Es ist schon lange ein offenes Geheimniß, daß unter den Textilarbeitern ein großer internarionaler Streik angeregt worden ist, um die Löhne zu verbessern; die Heißsporne machen un ausgesetzt lebhafteste Propaganda für diesen Plan. So un bedeutend der deutsche Textii-Arbeitercongreß im vorigen Jahre in CottbuS auch war, so kräftig machte sich bei ihm doch daS internationale SolidaritätSgefühk bemerk bar; aus allen Culturländern trafen Gelder ein. Gerade bei den Textilarbeitern sind die internationalen Verbindungen am weitesten vorgeschritten; bei ihnen besteht wirklich, was bei zahlreichen Gewerkschaften nur auf dem Papiere steht. Daß in Roubaix zahlreiche deutsche Delegirte erscheinen werden, gilt schon heute als zweifellos. Ob dort wirk lich der internationale Streik in bestimmte Aussicht ge nommen wird, ist allerdings noch sehr fraglich; die Emberufrr erklären, man werde vorerst die praktischen und erreichbaren Forderungen durchzusetzen sich bemühen; immerhin wird man den Verlauf des Congresses mit Aufmerksamkeit verfolgen müssen, um nicht überraicht zu werden, wenn eines Tages ein Streik der gesammten Weber, Spinner, Färber und Kämmer droht. Feuilleton. Das Fastnachtsftft in Beziehung zu ähnlichen Festen -es Alterthums. Bon L. Glaser. Nachdruck verbot««. Mit dem nahenden Frühling begannen in heidnischer Zeit die mancherlei Festlichkeiten, m welchen unser Volk seine Freude an dem Erwachen der Natur aus dem langen Winterschlafe kund that. Dahin gehört in erster Linie die Fastnacht-feier. Bei den Griechen war Dionysos der persönliche Inbegriff der mächtigen Triebkraft und Naturfülle, die sich im wachsen den Naturleben, im Saft und in der Feuchtigkeit der Pflanzen welt, der Blumen und Fruchtbäume kund giebt. Er ist der mächtige Gott der Freude und der brüderlichen Ver einigung, der alles Widerstrebende überwindet, der Panther und Löwen vor seinen SiegeSwagen spannt und die Dämonen des WaldeS zum Gehorsam zwingt, der die Leiden mildert und heilt. In dem Cultu» dieses GottcS, besonder» in den Festen der Dionysien fanden die mannigfaltigen Gefühle, Empfindungen und Stim mungen ihren Ausdruck, die der Wechsel deS vegetativen LebenS in der Seele des Menschen hervorruft. An seinen Festen herrschte von Alter« her der Brauch, nicht nur durch lustigen Sckerz und Spott sich zu ergötzen, sondern auch andererseit- die Freuden und Leiden des Gottes selbst, seine Kämpfe und Siege tbeilS durch Absingen von Liedern zu schildern, theilS durch sinnlich dramatische und mimische Darstellungen zu vergegenwärtigen. Um auS sich selbst herauSrutreten und sich in die wunderbare Welt der Phantasie ganz zu versenken, legte man MaSken an und das Costüm der darzustellendrn Götter und mythischen Personen. In der älteren Zeit hielten sich die Verehrer des DionysioS in den Schranken der Mäßigung, doch allmählich durchbrachen sie die Schranken der Ordnung, der heilige Rausch, der die Seele läutert, verwandelte sich in einen rasenden Sinnen- taumel. Namentlich trugen einen ausschweifenden Charakter die Feste, welche von den Frauen und Jungfrauen in den Gebirgen (von den thebanischen Frauen in Kithäron, von den attischen und delphischen auf dem Parnaß, von den Gpartanrrinnen im TaygetoS u. s. w.) meisten» zur Nacht zeit gefeiert wurden. Mit fliegenden Haaren, Schlangen in den Händen und um daS Haupt, den ThyrsoSllab und Fackeln schwingend, sübren dieseBaccbantinnen (Mainaden,Tbyiaden)auf waldigen Bergen und in Tbalscvluchten in verrenkten Stellungen wilder Verzückung ihre Tänze auf, sie stürmen jubelnd und lärmend umher unter rauschender Musik von Pauken und Flöten, den begeisternden Gott unter vielen Namen anrufend. Von diesen erwähnten Festen trunkener Zügellosigkeit und frecher Ausschweifung, die mit allerlei nächtlichen mystischen Gebräuchen verbunden waren, sind die älteren Winzerfeste verschieden, welche bei aller Luft und Ausgelassenheit doch den Charakter ländlicher Einfachheit trugen. Diesen ländlichen Charakter erkennt man noch in den attischen Dionysosfeslen selbst in den Zeiten ihres höchsten Glanze«; eS waren theils Ernte-,'theil» Frühlingsfeste. DaS Fest der Weinernte waren die kleinen Dionysien oder die ländlichen, weil sie auf dem Lande gefeiert wurden. Sie wurden begangen mit allerlei Lustbarkeiten, durch festliche Aufzüge, Chorreigen und drollige Tänze, wobei man in allerlei Mummereien, in den MaSken von Panen und Satyrn, Silenen und Bacchantinnen manchen muthwilligen Scherz trieb und improvisirte Spiele und Lieder aufführte. Ein Tag hieß daS Sch wuchsest, wo Knaben und Jünglinge mit einem Beine auf aufgeblasenen, mit Oel be strichenen Weinschläuchen unter vielem Scherz und Gelächter den schwierigen Schlauchtanz aufführten. Da» glänzende Fest deS Dionysos waren die großen Dionysien, auch die städtischen genannt, weil sie im Gegen satz zu den kleinen in der Stadl gefeiert wurden, im Monat Märr, wo der Frühling zur vollen Herrschaft gekommen. ES siel vor die Frühlings-Tag- und Nachtgleiche, wo alle Spuren deS Winters vertilgt waren, die Fluren und Wein gärten im vollsten grünen Schmuck prangten. In Argo« hieß Dionysos der Stirrgeborene, an seinem Feste wurde ein Lamm für den Gott der Unterwelt in ein tiefe- Wasser geworfen und dabei unter Tromprtenschall Dionysos heraufbeschworen. Es ist klar, daß die« ein FrühlmgSfest war, wo der Gott, der während deS Winters hinter den Pforten der Unterwett gewesen, nun als Befreier angerufrn ward. Ein Frühling-fest war auch jenes zu Eli«, wo die Weiber den Dionysos riefen: „Komm, Lenzgott Dio nysos, zu der Elier heiligem Tempel, du und die Huldgöttinne», komm ru der Elier Tempel daher eilend mit dem Stierfuß, hoher Stier» hoher Stier!" Ueberall feierte man den Dionysos als Befreier von der Noth des Winter« in prunkvollen Aufzügen, überall erschallte der Festgesang, und jubelnde Cböre, mit Epheukränzen ge schmückt, zogen umber. Jungfrauen mit Körben voll Blumen und jungen Früchten, Bürger mit Weinschläuchen zogen unter Musik und Gesang, von lustigen Maskengestalten begleitet, nach dem Heiligtbume, voran wurde da« hölzerne Bild deS Gottes getragen. Je nach dem Bildungsstand der Völker war die DionysoSseier bald eine rohere, wildere, bald eine feinere, auf Kunst und Poesie vortbeilhaft einwirkende. Im Peloponnes, namentlich in Argos, Ackaja, Elis war die Feier mit nächtlichen Orgien verbunden. Sonst begnügte man sich mit dem Zerreißen von Böcken, Hirschkälbern und anderen Thieren, um daS Hinsterben der Natur in aller ibrer Kraft und Lust unter den Qualen des Winkers anzudeuten. DaS trübe Schmerzgefühl, daß der heitere Gott des WachstbumS und der Naturfülle durch die Macht deS Winters gekövtet worden, und die zuversichtliche Hoffnung, daß er bald wieder kehren und die erstorbene Natur zu neuem Leben erwecken werbe, lag allen Gebräuchen dieses NaturcultuS zu Grunde. Vergleichen wir die Feste des Dionysos mit unserer Fast- nachtsfeier, so lassen sich viele Parallelen feststellen. Beide este sind FrüblingSfeste, verbunden mit allerlei Lustbarkeiten, änzen, Spielen und festlichen Aufrügen. Wir finden lustigen Scherz, muthwilligen Spott, Maskeraden und Mummereien. Die MaSkenaufzüge bedeuten ursprünglich Gespenster oder die Metamorphose der Seelen iu der Körprrwelt. Bei den Römern waren die Larven dir ungeheuren Geister de« römischen Volksglauben«, die als Gespenster umgehenden Seelen der Verstorbenen, sei es, daß sie in Folge eine- Ver säumnisses der vorgeschrirbenen religiösen Gebräuche nicht zur Ruhe gekommen waren, oder daß sie sonst erregt und umgetrieben wurden; denn wie bei anderen Völkern, so glaubte man auch in Rom nicht allein an die Möglichkeit eines Ger- kehrS zwischen Verstorbenen und Lebenden, sondern auch an bestimmte Epochen der Jahreszeit und gewisse Tage, wo die Geister aus ihrer dunklen Tiefe bervorkämen und auf der Erde umgehend ihre ehemaligen Wohnungen und ihre An gehörigen aufsuchten. Der Grundbegriff der MaSke bei den Allen war die Leiblichkeit oder die irdische Hülle, von welcher die Seele frei werden und mit welcher sie wechseln kann. Der DionysoScult batte in seiner Entartung vielfach aus die berüchtigten Bacchanalien in Rom ringewirkt. Dionyjo» hieß bei den Römern Bacchus oder Liber und wurde al« ländlicher SegenSgott verehrt. Sein Dienst war durch die Griechen Unteritaliens zu den italienischen Völkern und auch nach Rom gekommen. Liber oder Liber Pater ist eigentlich der Befreier, der frohe Gott des Scherzes und der heiteren Aus gelassenheit, in demselben Sinne, wie man in alter Zeit auch von der Liberias, der Freiheit, zu reden und diese zu personi- ficiren und im Bilde zu denken pflegte, als eine schöne und reich geschmückte Frau, von welcher üppige Fülle und Kraft, reichlicher Segen der Felder und daS dadurch bedingte Glück eines heiteren und sorgenlosen Lebensgenusses auSgeöen. Tie Hauptfeier des Liber und der Libera blieb immer die Zeit der Weinlese, welche durch ganz Italien mit großer Lust und Ausgelassenheit begangen wurde und wie die Zeil der Ernte selbst in dem ernsten Rom die Geschäfte des Staates und der Gerichte regelmäßig unterbrach. Vornehme und geringe Leute pflegten sich den Freuden der Zeit zu überlassen, und namentlich ging eS auf dem Lande immer sebr lustig zu. Man hing Schankelbilder des Gottes an Koben Fichten aus, trieb allerlei Mummenschanz und schlachtete als Opfer einen Bock. Dieses ländliche Fest der Weinlese bat sich sehr lange erkalten. Noch in den letzten Zeiten des HeidenlbumS, ja al« schon das Christenkhum zur alleinigen Herrschaft gelangt war, ließ es sich der Landmann so wenig in Italien wie in Griechenland nehmen, an diesen fröhlichen Tagen der alten Götter zu gedenken und die alten volksthümlichen Lustbar keiten so gut es ging zu wiederholen. Die dionysischen Feste glichen den Saturnalien, sofern in der Lust des Weines nicht nur alle Rangstufen sich anS- glichen, sondern auch der Himmel auf die Erde herabzezogen wurde, wir finden hier die zauberische Verwandlung zeitlicher Beschränkung in die ewige Freiheit. Diese Freiheit und Gleichheit herrschte bei der Feier der Dionysien und wurde hauptsächlich durch den Wein vermittelt und versinnbildlicht. Die geistreichen Griechen gelangten von den ersten An fängen deS Weinbaues zu den Idealen der dionysischen Seligkeit. Der Wein wurde hier der Vermittler und das Symbol, denn Wein macht selig und alle Menschen gleich. In der Trunkenheit wird der Mensch in eine andere Welt versetzt, erbebt er sich über seine gemeine Wirklichkeit, lebt wenigstens ans Augenblicke wieder im goldenen Zeitalter. ES ist freilich nur eine Täuschung, sagt Pindar: Wenn die kummerbelastenden Sorgen Fliehen aus der Brust des Menschen, Schiffen sie im Meer der goldreichen Fülle All' hin zum Strande der Täuschung. Der Arme wird reich, der Reiche Durch neuen Reichthum bereichert, Da« Herz von den Pfeilen de« Weinstock« gebLadi-t.
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