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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.03.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-03-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189703072
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18970307
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18970307
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-03
- Tag1897-03-07
- Monat1897-03
- Jahr1897
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.03.1897
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Vezug».Pret- <n -er tzauptexpedttioa oder den lm Gtadt-t b«trk und den Vororten errichteten Au»- bei zMeimchiger tögltch« « poul <4 5M Durch di«^ Deutschluub uud OefterreiS T--. Dirert« ttzalichv »r»uzd«md iM Uusl«»b: Monatlich -« 7.HÜ. D«, Vtoraen-Aa^ab, erscheint mu V,7 Uhr. dt, Ubuud-AuHgab« H>»ch»tn^ «» ß Uhr. Nr-action,»d Erpediti-a: Ä»l>an«e»,afie tz. Di« Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh tz bt» «Lmb» 7 Uhr. Filialen: vtt» stlemm» Tortim. (Alfred Hahn). Unwerstlätsstrotz» S (Panlinnm). Leut» L-sche. Satharineustr. 14, pari, und Kömg-pla- 7. elMgrr und Tagcblali Anzeiger. AmlsAatt des königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. 120. Sonntag den 7. März 1897. Urrzrigen.Pr»1- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reclamin unter b»m St«dacUoii»ftxtck <4^ ivolten- öO-i», hm den ö»«ü»»nu,»»,ch,,i, 40 A. Äremr» Gchristen l»M unser»» Areie» verzeichnttz. Tehsllarijch^ nutz Werusey nach höherem Daris Atta-P,ilß,en (g«s»W. nur m«t der Morgen.Ausgabe, ohne Pviibeförderung -4l SO.—, mit Postvesördrrung 70.—. Ännahmschluß fSr Aozeig-n: Abend-Ausgabe: Vormittag, 10 Uhr Moigen.Ausgabe: Rachmittag» 4 Uhr. v»t den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an die GxPvditipn za richten. Druck und Verlag von volz in Leipzig. S1. Jahrgang. Ä«s -er Woche. Derselbe Augenblick, in welchem der Kaiser in einer Tischrede dem Fürsten Bi-marck die Rolle de» gelenkten Executor« einer von Anbeginn auf Gründung de» deutschen Reiches abrielenden Politik Wilhelm» l- zuwie«, hat bisher unbekannte Documentc veröffentlichen sehen, die da» Unbalt- bare jener improvifirten Darstellung hell beleuchten. Aller dings find e« nur neue Lichter, die auf einem alten und allbekannten Bilde aufgesetzt werden. Alle», was daS lebende Geschlecht mit eigenen Augen gesehen, waS deutsche und ausländische Personen- und quellen- kundige Schriftsteller publicirt, und zum Allermeisten ungezählte Aussprüche de- ersten Kaisers selbst, eines Herrschers und Mannes, der doch wahrlich von dem Berdacht einer aus Herausforderung von Lob berechneten koketten Bescheidenheit frei ist: mit einem Worte, der ganze, auf kein einziges Factum und — bis zum 26 Februar — durch kein einziges Urthrit in Frage gezogene Tbatbestand ergiebt, daß Kaiser Wilhelm I. zwar ein durchaus selbstständiger Regentencharakter und unfähig, als das Werk zeug eines noch so genialen RathgeberS zu dienen, gewesen ist, daß er aber die deulschnationale Politik, deren Ergebniß die Begründung des Reiches wurde, unter der Anregung seine» ersten Ministers unternommen und durchgeführt dar. Die jüngste Rede Wilhelm s II. enthielt — unbeabsichtigt, wie selbstverständlich — den Keim für einen Conslict in den Gemütbern der Patrioten. Sie mußte die Frage anregen, ob die ungemeffene Belehrung und Dankbarkeit gegen Bismarck in deutschen Herzen nicht sträflicher Raub an den gleichen Gefühlen für Wilhelm I. sei. Dieser Keim hat jedoch leine Wurzel geschlagen. Das deutsche Bolk ist sich völlig klar darüber, daß der Ruhm des Einen dem des Andern nichts zu nehmen vermag, daß die Berdienste der beiden gott- gesandteu Männer sich gegenseitig bedangen, und wenn auch nicht Jedermann das Verhalten der beide» Großen so prägnant zu bezeichnen wußte, wie Professor Kaemmel durch sein „Ohne König Wilhelm kein Fürst Bismarck, aber auch ohne den Fürsten Bismarck kein Kaiser Wilhelm", und Professor Lorenz mit der Charakteristik „Held und Genie": Köpfe und Herzen waren keinen Augenblick im Zweifel darüber, daß jene improvistrte Tischrede nickt den Maßstab abgeben darf, mit dem die deutsche Nation die Berdienste Kaiser Wilhelm's I., Bismarck'S, Moltke's und Roon's mißt. Diese Sicherheit des allgemeinen Unheils schloß die Gefahr einer Verwirrung vor und während der Hundertjahr feier aus. Eine andere Gefahr bleibt hingegen bestehen. Dadurch, daß dem Kaiser die jüngste Gesckichle Deutschlands, auf deren Grundlage er zu wirken berufen ist, ander« ge lehrt worden zu sei» scheint, als die Wissenschaft sie kehrt, so viel anders, daß selbst die leidenschaftlichsten Hasser deS Fürsten Bismarck es ängstlich vermeiden, dem kaiserlichen Urtheile beizutreten, fallen den Gegnern der monarchi schen Autorität Waffen in die Hand, welche sich mit um so geringerer Schwierigkeit handhaben taffen, als auch daS in der Februar-Rede über Friedrich Barbarossa Gesagte von den Ergebnissen der historischen Forschung er heblich abweicht. Kundgebungen dieser Art, auch wenn sie in einem Kreise erfolgen, der gewissermaßen als ein intimer angesehen werden soll, berühren deshalb, zumal da sie halb amtlich veröffentlicht zu werden pflegen, das Gebiet, auf dem die ministeriell» Verantwortlichkeit liegt. Di» Frage der freien Bereinigung derProducten- händler muß nun allmählich in Fluh gerathen, nach dem der Staatscommissar an der Berliner Börse zu der Auffassung gelangt ist, daß die Persammlung der dortigen Productenbändler, wie auch der sogenannte Flühiiiarkt als börsenmäßige Veranstaltungen anzufeben seien. Von anderen Börsencommissarien scheinen die eingeforderten Berichte noch nicht vorzuliegen. Jedoch werden etwaige abweichende Meinungsäußerungen derselben kaum von Bedeutung sein, weil der preußische Handclsminister selbst, seiner am 2l. Januar abgegebenen Erklärung nach zu schließen, persönlich von dem Börsencharakter wenigstens der freien Vereinigung überzeugt ist. Der Minister hat aber gleichzeitig den Beteiligten nahe gelegt, gegenüber einer verwaltungsbehördlichen Verfügung den Rechtsweg zu beschreiten, also die Frage vom Oberverwallungsgerichte definitiv entscheiden zu lassen. Wenn nun jetzt die Berliner Productenbändler verbreiten lassen, sie würden gegebenen Falls auf diesen Schritt ver zichten und sich vor dem Feenpalaste in einen noch dunkleren Schmollwinkel — Handel von Contor zu Contor — zurück ziehen, so müssen es sich die Herrn gefallen lassen, wenn man aus dieser Ankündigung schließt, daß sie selbst den Ge schäftsverkehr der freien Vereinigung als einen ungesetzlichen betrachten. Freisinnige Blätter lassen allgemein durchblicken, die Productenbändler wollten durch den Rückzug in die Contore die Regierung aushungern. Ist dem so, dann sollten diese Zeitungen aber auch nickt der Gesetzgebung, sondern den Händlern die Verantwortung dafür zuschreiben, wenn man zu Handelsformen aus „Urväter Zeit" zurück kehren muß. Im Börsengesetz liegt keine Nöthigung dieser Art und nicht nur die Fonds-, sondern auch Prodnctenbörsen sind nach wie vor im ungestörten Gange. Die geschehene Berufung von Landwirthen in den Vorstand der Berliner Productenbörse beruht allerdings nicht auf Vorschrift, sondern auf Zulassung des Gesetzes. Diese Maßregel, an sich durchaus einwandfrei, hat xine» etwa« ge hässigen Charakter dadurch erholten, daß dj» Regierim,, zwei der provokatorischsten Agrarier mit in den Vorstand delegirt hat. Wenigsten« wäre eine Bemängelung nach dieser Richtung nicht eine unsachliche zu nennen und vermulhlich auch nicht aussichtslos. Das Cent rum wußte Wohl, waS es tbat, als e» seinen Iesuiten-Antrag im Reichstage zu einem Termine ein brachte, der eine Berathung in dieser Session ausschließt. Außer manchen neuerlichen Vorkommnissen, die die ultramon tane Partei eine materielle Iesuitendebatte fürchten lassen, ist namentlich die bayerische Erfahrung mit den Redemptoristen unbequem. Hier hat sich der BundeSrath Herbeigelasse», ein» Probe auf daS Exempel der Harmlosigkeit der „Affiliirten" zu machen, und der katholische Klerus ist es anscheinend, dem sie sehlgeschlagrn erscheint. Der bayerische Cullusminister bat neuerdings das Gesuch um »inrNiederlaffung der Redemptoristen in Neumarkt in der Oberpfalz abgrlehnt. Herr v. Landmann ist nicht der Mann, dergleichen zu wagen, wenn er sich nicht standen""daß d?r Bedeck deS Minister« zwar schandenhalber MEWWW zu bedeuten bat. — Deutsche» Mich. » 0 Mi-,. Wa» Ichr.il» un«! Di-L-ia-ImI-» iii- -»« --st- R-iio-ail-i! >»»-> »,dm» weiteren Fortgang. Die Bildung de» Präsidiums, daS biS zu lOOMilgliedern erweitert werbe» und ejnenVorstand vo" iwo t, owie eine! Arbeitsausschuß, von fünf °U. wird in Kürze zum Abschluß gebracht werden Ss cmcu- lich, wie bereitwillig hervorragendste Männer der ^'ssenschast, Kunst Industrie, des Handels und dcs omntl.chen Lebens, sowie Vertreter einzelner Stände und großer Dienst dieses vaterländischen Unternehmens gestellt haben. D e Veröffentlichung der Namen wird demnächst erfolgen. .US Publicationsorgan werben bei R. Oloenbourg, Müncken- Leipzig, in zwangloser Folg. „Mittheilungen und Sckr, en des Ausschüsse» für deutsche Nationalfeste" erscheinen. Heft 1 wird die stenographisch aufgenommenen Verhandlungen der grundlegenden 'Versammlung vom 3l. Januar d. I. im ReichSbause zu Berlin, Heft 2 die Wahl der Feststatte ent- kalten. In dieser letzteren, vorerst wichtigsten Fratze wurden in jener Versammlung in erster Linie drei Statten mit großer nationaler Erinnerung in Vorschlag gebracht, näm lich Leipzig, der Platz am Niederwalddenkmal und der Kmshäuser: nächsldem Eisenach, Weimar, Berlin und Frank- surt a. M. Der Arbeits-Ausschuß bat objectw die Haupt- aestchl-puncte ausgestellt, welch« bei der Wahl der Feststätte Maßgebend sind. Er hofft, daß nach Veröffentlichung de» < »ftS 2 seiner Schriften weitere Vorschläge au» dem mittleres Deutschland — zu 'Händen de« Generalsecretair« vr. Rolf», München — eingehen werden. Ein, öffentliche Meinungs äußerung über die Frage der Feststälten, sei sie zustimmend oder ablehnend, ist erwünscht, damit dem Präsidium, welches später rndgiltig hierüber zu entscheiden hat, ein umfangreich«», durch di» öffentlich» Erörterung geklärte« und hiermit spruch- reifes Beurtbeilungsmaterial zngrführt wird. Eingeleitet sind di« Arbeiten der technischen Abteilung Uber die Einrichtung der Kampfstätt» behufs Feststellung der erforderlichen Plätze und Baulichkeiten, die Arbeiten der Ab theilung für die Organisation im Reiche und die Arbeiten der Finanzabtheilung für die Aufstellung eine» FinanzplaneS. Der Berathung der technischen Abtheilung soll eine Be sprechung hervorragender Turner und SportSleut« voraus gehen, welcher eine von vr. weck. Schmidt in Bonn in allen Einzelheiten bereits «»»gearbeitete Denkschrift zu Grunde aeleat werden wird. In Kürre wird die erste Sitzuna de» Arbeitsausschusses stattfinden. Nach der Cünstitutrung des Präsidiums soll von ihm der bereit- fertiggestrllte Ausruf veröffentlicht werden." Berlin, 6. März. Durch die CrutrumSblätter geht eine große Enttäuschung über di« Vorbereitungen zur die« jährigen Katholjkenversammlung. Auf der letzten Tagung in Dortmund wurde dem „ständigen Commiffar der Generalversammlungen der Katholiken Deutschland»", Fürsten Karl zu Löwenstein auf Kleinbeubach, überlasse«, eine» „vafsen den Ort" auSzuwähle», während sonst an solchen kein Mangel war. Fürst Karl zu Löwenstein „wählte" nun Freiburg i. Br., Constanz, Ravensburg und Augsburg. Freiburg und Constanz aber „leknten ab" —so schreibendie CentrumSblätter —RavenS bürg erwie» sich al» „unthunlick", Augsburg blieb übrig, »her es war ganz „ungeeignet". Und da« war um so eigen- thümlicher, als eS sonst den Katholikenversanimlungen erging wie der Geburt des Vaters Homer, um welck» sieben Städte sich schlugen. Nun ist in Freiburg in der Schweiz das Grab de» heiligen CanisiuS und Fürst Löwenstein hat beschlossen, in Freibürg im Breisgau seine Getreuen zu sammeln und sie diesmal, statt sie dort reden zu lassen, in mehreren Extrazügen mit Erlaubniß der hohen EpiScopats nach Frei- bnrg in der Schweiz wallfahrten zu lassen. Eine Katholik,n- versammlung ist aber in erster Linie eine unter religiösem Banner abgebaltene Heerschau veS Centrum- Für dieses kommt jedoch bei einer bloßen Wallfahrt nicht« heraus, und so wird denn Fürst Karl zu Löwenstein unwillig gefragt. waS eigentlich Besonderes geschehen sei, daß er ans diese selt same Weise von seiner Befugniß, „au» ganz wichtigen, und un vorhergesehenen Gründen Ort und Zeit der Generalversamm lung zu verlegen", Gebrauch gemacht habe. * Berlin, 6. März. Dem Briefe eine« in Sidney lebenden Deutschen entnehmen die „Berl. N. N." über di, Ankunft de« RcichSpostdampfer« veS Norddeutschen Lloyd« „Friedrich der Große" in Sidney die nachstehenden interessanten Mit theilungen, die eine Vorstellung davon gewähren, welche Bc deutnng im Ausland die Bethätigung deutscher Schaffens kraft und deutschen Unternehmungsgeistes hat: „Friedrich der Große" wurde Sonntag Morgen erwartet, und bereit» seit Sonnenaufgang wauderten viele Leute nach bekannten und günstig geleacnrn Pnncten des Hafens, um den Dampfer vorbeifahren zu sehen. Gegen Mittag waren Circular-Quay und die Ufer de» Hasen» schwarz »on Menschen, welche sich da» lange Warten durchaus nicht ver drießen ließen und geduldig der Ankunft rntgegensabrn. Endlich gegen 4 Uhr Nachmittags kam der Koloß langsam um die Ecke der Einfahrt zum Circular-Ouay gedampft, und wenn auch der gerade herrschend« starke westliche Sturm etwa» hinderlich war, bestrahlte doch eine klare australische Sonne die herrliche Scene. DaS Schauspiel war ein überaus imposantes: DaS riesige Schiff, der belebte Hafen, die Hurrah schreienden Menschen, daS Alles ver einigte sich zn einem noch nie gesehenen Bilde in Sidnen. Sogar ans den Dächern der Häuser standen die Menschen; am Circular-Quay allein waren gut 4000 Menschen versammelt, circa zweimal so viel wie bei der officiellen Landung deS Gouverneurs vor zwei Jahren. DaS Schiff FerriHstoir. Dreizehn zu Tische. Eine Kindergeschichte von Paul und Victor Margueritte. Au» dem Französischen von Leon Melden. Nachdruck verbot,n. Willy stand in seinem Zimmer am Fenster und trotzte. Nach einem reichlichen Dessert, bestehend au» Vanille-Crßme und eingemachten Früchten, batte man ihm ein drittes Stückchen Backwerk verweigert. Willy schnaufte; der Magen drückte ihn und auch daS Herz. Denn seine Empfindlichkeit war ohne Grenzen, und das verweigerte kleine Backwerk nahm in seiner Phantasie allmählich den Umfang eines meter hohen Baumkuchens an und dünkte ihm seltsam und zauber haft wie ein verlorener Schatz. Willy hätte sich zerstreuen können mit den Spielsachen, welche ihm da» Christkind gebracht. Aber Willy trotzte, in dem er seine Nase an die Fensterscheibe drückte und die Lippen in abscheulicher Weise aufwarf. Dabei bohrte er den kleinen Finger energisch in« linke Ohr, gerade al» suche er sich irgend eine Bosheit auS dem Gebirn zu kitzeln. DaS unbefriedigte Gelüste nach dem Stückchen Backwerk versetzte ihn in die düsterste Stimmung. Mama, Papa, Luise, daS Zimmermädchen, die nebst Jean, dem Kammer diener, bei Tische bediente, lauter persönliche, übelwollende, tückische und grausame Feind», freiwillige Henker eine» armen, unschuldigen KindeS: er weihte sie dem Verderben. Er möchte sie zerstampfen, vernichten, Alle miteinander. Der Parquet- boden müßte durchbrechen und sie verschlingen, ein Feuer auS- brechen .... Plötzlich hielt Willy in seinen freundlichen Betrachtungen inne. Er zog die Nase von der Scheibe und den Finger auS dem Ohr. Ein göttlicher Traum schwebte vor seinen Augen und erhellte sein Lächeln. Heute Abend große Tafel zn vierzehn Gedecken. Willy, zu Nein, würde allein aus seinem Zimmer speisen; aber .... aber, man hat es ihm fest ver- sprachen, er wird Gefrorene» bekommen! Jawohl, und WaS für eine Portion, groß wie seine Faust! Willy ballte die Hand und fügte noch ein gute« Stück Arm dazu. „Herr Willy, Mama ruft Sie." Luise wirft diese Worte durch die Thürspalte und ver schwindet. Willy trottet den Corridor entlang. WaS mag Mama wollen? Sollte sie sich unterstehen, mit ihm seine Aufgaben durchgehen zu wollen? Oder — wirklich curioS — wäre e«, um sich zu erkundigen, ob seine kleinen LerdauungSorgane gut functiomrtrn? Willy ist nicht srbr gefaßt. Nun tönen laute Stimmen an sein Ohr. Papa und Mama liegen sich in den Haaren. „Unmöglich, dreizehn zu sein!" ruft Mama. „E- ist zu spät, um noch Jemand einzuladen!" erklärt Papa. Willy poltert herein, sein Erscheinen beendet den Streit. „Willys, sagt Papa, „Du wirst heute Abend als Vier zehnter mit unS zu Tische kommen!" „Und Du wirst keine Flecken auf das Tischtuch machen!" „Und Du wirst Deinen Nachbar, den Herrn Dvctor Duclerc, nicht mit den Füßen stoßen!" „Auch nickt Deine Nachbarin, dir Frau von Lerville." Willy ist sprachlos; der Gedanke an die weißgekeckte Tafel mit den blitzenden Krysiallglcisern und den kostbaren Silber- gerathen hat ihn einen Augenblick geblendet. Dan» über kommt ibn ein Gefühl unendlichen Stolzes. Er fühlt sich notbwendig, ja unersetzlich; und er stellt sich vor, in welche Verlegenheit er Papa und Mama stürzen würde, wenn er sich jetzt hochmüthig weigerte ihr Retter zu sein. Zum Wenigsten war eS sein gute« Recht, möglichsten Bortheil au« der Situa tion zu ziehen. „Aber ich werde ebenso viele kleine Gläser bekommen wie alle Andern!" besteht er. „Ja, doch wird man Dir nicht» einschenkrn!" DaS ist Willy schließlich gleich, sobald er nur die drei Weingläser und den Cbampagnerkelch, der Größe nach wie die Orgelpfeifen, vor sich sieben hat. Er trinkt keine feinen Weine, das ist seine Sache. Er wird Wasser trinken, er kann daS ja auch zu seinem Vergnügen thun; aber die Ehre ist gerettet, man behandelt ihn nicht wie einen Armen, indem man ihm ganz allein nur ein GlaS vorsetzt. „Ich werde von Allem essen!" besteht er weiter. „Vernünftig, Willy, vernünftig! Du wirst keinen Fisch bekommen, da sind zu viele Grätbrn darin, auch keine Spargel, das könnte Dich aufregen, noch weniger Gänseleberpastete, daS ist zu schwer für Dich!" „Ob, Mama!" Er würde vor ibr auf die Knie sinken, er würde einen Selbstmord begehen. Gänseteberpastete! Ach, nur einen Mund voll, einen Mund voll und sterben! „Nun also, eine Idee davon." „Und Trüffeln?" „Einen Stecknadelkopf." „Und Gefrorene«?" „Ja, da« ist erlaubt. — Du wirst Deinen Sammrtanzna anlegen. Und daß Du Deinen Kragen nicht schmutzig machst und besonders Deine Manschetten!" „Mama!" „Nun?" Willy schant drein wie ein Karpfen, die Bitte springt ihm förmlich aus den Augäpfeln. „Man wird mir die Serviette nicht um den Hals binden, ich werde sie selbst anstecken, hoch, sehr hoch, beim ersten Knopf!" Mama giebt ihre Zustimmung: Willy entweicht, närrisch vor Freude, springend und tanzend. Zuerst schnüffelt er die Küche ab. „Katbi", sagt er zur Köchin, deren Vollmondaesicht an Rötbe mit der Glnth in ihrem Herde wetteifert, „Kathi, ich werde heute Abend mit bei Tische speisen!" Kathi nimmt diese Neuigkeit sehr gelassen entgegen, und Willy fügt daher hinzu: „Ich hoffe, daß Sie Ihre Sache gut machen!" Jetzt kommt Leben in die Köchin. In edler Entrüstung erfaßt sie einen Wischlappen und schreit: ,,Was glaubst Du denn eigentlich, Du kleiner Hansdampf, da in meine Küche Hereinkomnien und Deine schmutzige Nase an allen Casserolen wischen! Marsch hinaus!" Willy flüchtet sich ins Buffetzimmer. Jean ist hier ge rade beschäftigt, eine Flasche zu leeren. Die Weinrestchen in den Flaschen werden so leicht sauer, wenn man sie lange stehen laßt. Jean ließ nicht gerne waS verderben, drum göß größeren Sicherheit halber immer gleich die Kehle hinab. „Jean, ich werde heute Abend mit bei Tische speisen!" Jean scheint sich jedoch ganz und gar nicht dafür zu inter-isiren Er hat einen schiefen Blick auf Willy geworfen und fahrt sich verstohlen mit der umgekehrten Handfläche über den Mund. «Sie werden mir Gänseleberpastete serviren!" Jean pfeift einen Trauermarsch. „Und Sie werden mir recht viel Gefrorene« gei Jean nimmt eine tragische Miene an und ""2. "ö' als wäre ihm etwas inS Angl hinzu*- ^ mit seiner ganzen „Sie verstehen, Jean?" die Hand auf- Herz, ein sylph Lächeln legt sich um seine Lippen und er macht ^^"beugung. daß seine Haarsträhnen de,? 2 Willy ist zufriedengestellt und läuft in die Wäscj „Luise, Sie müssen mich gleich anzieben. S b»schmutz," "°* sich bi« „Nein nein, Luise, ich werde gut Acht w«iaert sich, ihn vor für, Endlich kommt die hübsche ^ammrlbose. den Spiegel, streckt abwechselnd die Beine auS, spreizt sich und spaltet sich beinahe auseinander, um sie recht zur Geltung zu bringen. „Sv machen Sie doch. Herr Willy! Wie lange wollen Sie denn noch so berumhüpfen wie rin Frosch?" Luise bringt die Weste, die Willy'» elegante Taille so schön bervorhebt. „Nicht wahr, Luise, sie sitzt mir gut?" „Oh ja, wie einem dressirten Affen I" Sie ist nicht liebenswürdig, die Luise, daS kommt aber davon, weil sie so oft Zahnweb hat. Willy scheint eS, daß sie ihm nicht genügend Pomade auf die Haare gegeben bar. Da- sollte fließen und alänren wie geschmolzene Butter. „Ach, Luise, etwa» Parfüm in mein Taschentuch!" Sie zuckt die Achseln und giebt ihm einen Tropfen Köl nische» Wasser. Willy ist schön, Willy streckt sich, Willy brüstet sich. „Luise, werden Sie heut Abend da- Gefrorene serviren? Nicht war, Luise, Sie werden mich nicht vergessen?" Die gnädige Frau hat geklingelt. Willy, allein geblieben, legt sich noch Pomade zu; r» scbmilzt sogar ein wenig. Al. da, da! WaS geht denn vor? Ein Geräusch von Slimmn. üble Laune? Willy steckt die Nase zur Thür hinaus. Para und Mama im Corridor; Papa halt eine Depesche in d^i Hand und erklärt: „Es ist doch zu dumm! Nun entschuldigt sich Doctoi Duclerc, er ist krank." Mama seufzt: „Wir siud wieder dreizehn!" Papa sagt: „Lassen wir Willy weg, dann sind wir Zwölf!" „Lassen wir Willy weg!" wiederholt Mama, betroffen von vem geistreichen Einfall. Man laßt Willy weg. Willy wird allein aus seinem Zimmer speisen. Man ziehe ihn nur wieder au»! Um sick zu trösten, soll er Spargel bekommen. Und Gefrorene». Ja wohl, viel Gefrorene-! Verflogene Herrlichkeit! Beißende Demüthigung! Will« bat sein AlltagSgrwand wieder angelegt; eine einsame Kerze erleuchtet düster sein Zimmer. Man bedient ibn, als die Tafel begonnen, in großen Zwischenräumen. Er hört das Durcheinander der Stimmen, da« Klirren der Teller unk Gläser. DaS Vorzimmer ist glänzend erleuchtet. Jean kommt und gebt, seine Lackschuhe knarren. Luise hat ein neues Häubchen auf. Da, jetzt bringt sie ibm drei Spargel in einer geronnenen Sauce. Und melancholisch wartet Willy lange, lange auf da» Gefrorene. — Es kommt nicht. Luise erscheint, um ibn zu Bett zu bringen. „Und da» Gefrorene, Luise?" „Es ist kein.» m,hr da ..
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