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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.03.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-03-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970308010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897030801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897030801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-03
- Tag1897-03-08
- Monat1897-03
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Größere Schriften laut unserem Preis- Verzeichnis. Tabellarischer und Ziffernlatz nach höherem Tarif. Atra-Beilagen (gefalzt), »ur mit der Morgen-AuSgabe, ohne PostbesöHeruüg Sl 60.—, mir PostbesörderuNg -M ^0—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. MorgeN-Ausgabe: Nachmittag« 4Uhr. Bei den Filialen «Nd Annahmestellen je eine halbe Stund« früher. Anreisen find stets an die Expedition zu richten. Druck uad Verlag von E. Polz t» Leipzig. 91. Jahrgang. Die Königin Luise. «in Lebensdlld. Von vr. O. Geyer (Leipzig). Nachdruck verdat«». III. (Schluß ) Der berüchtigte Frieden von Tilsit, der Preußen mehr al« die Hälfte seine» Flächeninhalte» und seiner Bewohner entriß, brachte den Staat an den Rand de» Untergangs. Nie ist ein Volk grausamer gequält worden als die Preußen von 1806— 1810, und das zum größten Teile mitten im Frieden. Die königliche Familie litt entsetzlich darunter. Sie versuchte, durch eine Sondrrgesandtschaft nach Paris wenigstens einige Schonung ihres unglücklichen Landes zu erreichen. Napoleon aber nahm den Herrn von Knobelsdorf auf „wie ein Krümchen Brot". Alle Schätze dcS königlichen Hauses wanderten in die Münze, um die schier unerschwing lichen Kosten aufbringen zu Helsen. In dieser Zeit kniete die Königin oft vor ihrem Gotte und betete für bessere Zeiten zu dem Allmächtigen) sie that cS nicht für sich, sie that cs für ihre Kinder und ihr Volk. Die aber auf den Herrn hoffen, kriegen neue Kraft, daß sie aufsabren mit Flügeln wie Adler, und also erging eS auch Luise. Sie beklagte sich nicht, daß ihre Lebenslage in diese Unglückszeit fielen, sondern richtete noch andere auf mit ihrem Tröste. „So lieblich küßt die goldne Sonne nicht Die Morgenperlen, die an Rosen hangen, Als ihrer Augen frisches Strahlenttcht Die Stacht des GramS vertilgt auf ihres Gatten Wangen." Einer Priesterin gleich wies sie ihre Kinder und ihr Volk nach den lichten Höhen, von denen allein Hilfe zu erwarten war. Man muß die Briefe lesen, die sie in jenen Tagen schrieb, um die Heldengröße der edlen Fürstin würdigen zu können. Möge einer für viele hier eine Stelle finden. Er ist im Frühlinge 1808 geschrieben und laulet: „Bester Vater! Mit unS ist eS aus, wenn auch nicht für immer, doch für jetzt. Für mein Leben hoffe ich nichts mehr. Ich habe mich ergeben, und in dieser Ergebung, in dieser Fügung des Himmels bin ich jetzt ruhig und in solcher Ruhe, wenn auch nicht irdisch glücklich, dock, waS mehr sagen will, geistig glückselig. ES wird mir immer klarer, daß alles so kommen mußte, wie es gekommen ist. Die göttliche Vorsehung leitet unver kennbar neue Weltzustände ein, und cs soll eine andere Ordnung der Dinge werden, da die alte sich überlebt hat und in sich selbst als abgestorben zusammenstürzt. Wir sind eingeschlafen aus den Lorbeeren Friedrichs de- Großen, welcher, der Herr seines Jahrhunderts, eine neue Zeit schuf. Wir sind mir derselben nicht fortgeschritten, deshalb überflügelt sie uns. — DaS sieht niemand klarer ein als der König. Noch eben batte ich mit ihm darüber eine lange Unterredung, und er sagte, in sich gekehrt, wieder- bolentlich: „Das muß auch bei uns anders werden." Auch das Beste und Ueberlegteste mißlingt, und der französische Kaiser ist wenigstens schlauer und listiger. Wenn die Russen und die Preußen tapfer wie die Löwen gefochlen hatten, mußten wir, wenn auch nicht besiegt, daS Feld räumen, und der Feind blieb im Vorteil. Bon ihm können wir vieles lernen, und eS wird nicht verloren sein, was er gethan und ausgerichtet hat. Es wäre Lästerung, zu sagen. Gott sei mit ihm; aber offenbar ist er ein Werkzeug in deSl Allmächtigen Hand, um da» Alte, welches kein Leben j mehr hat, das aber mit den Außendingen fest verwachsen ist, zu begraben. Gewiß wird eS besser werden. DaS verbürgt der Glaube an das vollkommenste Wesen. Aber es kann nur gut werden in der Welt durch die Guten. Deshalb glaube ich auch nicht, daß der Kaiser Napoleon Bonaparte fest und sicher auf seinem jetzt freilich glänzenden Throne ist. Fest und ruhig ist nur allein Wahr heit und Gerechtigkeit, und er ist nur politisch, das heißt klug, und er richtet sich nicht nach ewigen Gesetzen, sondern nach Umständen, wie sie nun eben sind. Dabei besteckt er seine Regierung mit vielen Ungerechtigkeiten. Er meint es nicht redlich mit der guten Sache u»v mit den Menschen. Cr und sein ungcmessener Ehrgeiz meint nur sich selbst und sein persönliches Interesse. Man muß ihn mehr bewundern, als man ihn lieben kann. Er ist von seinem Glück geblendet, und er meint alles zu vermögen. Dabei ist er ohne alle Mäßigung, und wer nicht Maß halten kann, verliert das Gleichgewicht und fällt. Ich glaube fest an Gott, also auch an eine sitt liche Weltordnung. Diese seke ich in der Herrschaft drr Gewalt nicht) deshalb bin ich der Hoffnung, daß auf die jetzige böse Zeit eine bessere folgen wird. Diese hoffen, wünschen und erwarten alle besseren Menschen, und durch die Lobrebuer der jetzigen und ihres großen Helden darf man sich nicht irre machen lassen. Ganz unverkennbar ist altes, was geschehen ist und geschieht, nicht das Letzte und Gute, wie es werden und bleiben soll, sondern nur die Bahnung deS WegeS zu einem besseren Ziele hin. Dieses Ziel scheint aber in weiter Entfernung zu liegen) wir werden eS wahrscheinlich nicht erreicht sehen und darüber Hinsterben. Wie Gott will) alles, wie er will. Aber ich finde Trost, Kraft, Mut und Heiterkeit in dieser Hoffnung, die tief ,in meiner Seele liegt. Ist doch alles in der Welt nur Übergang! Wir müssen Lurch. Sorgen wir nur dafür, daß wir mit jedem Tage reifer und besser werden. Hier, lieber Vater, haben Sie mein politisches Glaubens bekenntnis, so gut ich, als eine Frau, eS formen und zusammensetzen kann. Mag es seine Lücken haben, ich befinde mich wohl dabei) entschuldigen Sie aber, daß icb Sic damit behellige. Sie sehen wenigstens daraus, daß Sie auch im Unglück eine fromme, ergebene Tochter haben, und daß die Grundsätze christlicher Gottesfurcht, die ick Ihren Belehrungen und Ihrem frommen Beispiele verdanke, ihre Früchre getragen haben und tragen werden, so lange Odem in mir ist. Gern werden Sie, lieber Vater, hören, daß das Unglück, welches unS getroffen, in unser eheliches Leben nicht eingedrungen ist; vielmehr dasselbe befestigt und uns noch werter gemacht hat. Der König, der beste Mensch, ist gütiger und liebevoller denn je. Ost glaube ick in ihm den Liebbaber, den Bräutigam zu sehen. Mehr in Hand lungen, wie er ist, als in Worten, ersehe ich die Auf merksamkeit, die er in allen Stücken für mich hat, und noch gestern sagte er schlicht und einfach, mit seinen treuen Augen mich anirhend, zu mir: „Du, liebe Luise, bist mir im Unglück noch werter und lieber geworden. Nun weiß ich aus Erfahrung, was ich an Dir bade. Mag eS draußen stürmen — wenn es in unserer Ehe nur gut Wetter ist. Weil ich Dich so lieb habe, habe ich unser jüngst geborenes Töchterchen Luise genannt. Möge es eine Luise werden!" — Bis zu Thränen rührte mich diese Güte. Es ist mein Stolz, meine Freude und mein Glück, die Liebe und Zufriedenheit des besten Mannes zu besitzen, und weil ich ihn von Herzen wieder liebe, und wir so mit einander eins sind, daß der Wille deS einen auch der Wille des andern ist, wird es mir leicht, dies glückliche Einverständnis, welches mit den Jahren inniger geworden ist, zu erhalten. Mit einem Worte, er gefallt mir in allen Stücken, und ich gefalle ihm, und uns ist am woblsten, wenn wir zusammen sind. Ver zeihen Sie, lieber Vater! daß ick kies mit einer gewissen Ruhmredigkeit sage; es liegt darin der kunstlose Ausdruck meines Glückes, welches keinem auf der Welt wärmer am Herzen liegt als Ihnen, bester, zärtlicher Vater! Gegen andere Menschen, auch das habe ich dom Könige gelernt, mag ick, davon nicht sprechen, es ist genug. daß wir eS wissen. Unsere Kinder sind unsere Schatze, und unsere Aiigen ruhen voll Zufriedenheit und Hoffnung auf ihnen. Der Kronprinz ist voller Leben und Geist. Er hat vorzügliche Talente, die glücklich entwickelt und gebildet werden. Er ist wahr in alle» seinen Empsindungen und Worten, und seine Lebhaftigkeit macht Verstellung unmöglich. Er lernt mit vor züglichem Erfolg Geschickte, und das Große und Gute zieht seinen idealistischen Sinn an sich. Für daS Witzige hat er viel Empfänglichkeit, und seine komischen, überraschenden Einfälle unterhalten uns sehr angenehm. Er hängt vorzüglich an der Mutter, und er kann nicht reiner sein, als er ist. Ich habe ihn sehr lieb und spreche oft mit ihm davon, wie eS sein wird, wenn er einmal König ist. Unser Sohn Wilhelm (erlauben Sie, ehrwürdiger Großvater, daß ich Ihre Enkel nach der Reihe Ihnen vor- slelle!) wird, wenn mich nicht alles trügt, wie sein Vater, einfach, bieder und verständig. Auch in seinem Äußern hat er die meiste Ähnlichkeit mit ihm; nur wird er, glaube ich, nicht so schön. Sie sehe», lieber Vater, ich bin noch in meinen Mann verliebt. Unsere Tochter Charlotte macht mir immer mehr Freude; sie ist zwar verschlossen und in sich gekehrt, verbürgt aber, wie ihr Vater, hinter einer scheinbar kalten Hülle ein warmes, teilnehmendes Herz. Scheinbar gleichgiltig gebt sie einher, hat aber viel Liebe und Teilnahme. Daher kommt eS, daß sie etwas Vornehmes in ihrem Wesen hat. Erhält sie Gott am Leben, so ahne ich für sie eine glänzende Zukunft. Karl ist gutmütig, fröhlich, bieder und talentvoll, körperlich ent wickelt er sich ebenso gut als geistig. Er hat oft naive Einfälle, die uns zum Lachen reizen. Er ist heiter und witzig. Sein unaufhörliches Fragen setzt mich oft in Verlegenheit, weil ich es nicht beantworten kann und darf. Doch zeigt eS Wißbegierde. — Zuweilen, wenn er schlau lächelt, auch von Neugierde. Er wird, ohne die Teilnahme an dem Wohl und Wehe anderer» zu verlieren, leicht und fröhlich durch'S Leben geben. Unsere Tochter Alexandrine ist, wie Mädchen ihres Alters und Naturells eS sind, an schmiegend und kindlich. Sie zeigt eine richtige Auffassungs gabe, eine lebhafte Einbildungskraft und kann oft herzlich lachen. Für daS Komische hat sie viel Sinn und Empfäng lichkeit. Sie bat Anlagen zum Satirischen und siebt dabei ernsthaft auS, doch schadet daS ihrer Gemütlichkeit nicht. Von der kleinen Luise läßt sich noch nichts sagen. Sie hat das Profil ihres redlichen ValerS und die Augen deS Königs, nur etwas beller. Sie beißt Luise; möge sie ibrer Abnfran, der liebenswürdigen und frommen Luise von Oranien, der würdigen Gemahlin deS großen Kurfürsten, ähnlich werde». Da habe ich Ihnen, geliebter Vater, meine ganze Gale, - vorgesührt. Sie werden sagen: da- ist ja eine m ihre Kinder verliebte Mutter, die an ihnen nur Gute» sieht und für ihre Mängel und Fehler keine Augen hat. Und in Wahrheu, böse Anlagen, dir für die Zukunft besorgt machen, finde iä, an allen nicht. Sie haben, wie andere Menschenkinder, auch ihre Unarten; aber diese verlieren sich mit der Zeit, so wie sie verständiger werden. Umstände und Verhältnisse erziehen den Menschen, und für unsere Kinder mag es gut sein, daß sie die ernste Seite de- Lebens schon in ihrer Jugend kennen lernen. Da sie im Schoß de- Überflusses und der Bequemlichkeit groß geworden, so würden sie meinen, das müsse so sein. Daß e- aber anders kommen kann, sehen sie an dem ernsten Angesicht ihres Vaters und an der Wehmut und den öfteren Thränen der Mutter. Besonders wohlthätig ist e» dem Kroaprinzen, daß er daS Unglück schon als Kronprinz kennen lernt; er wird das Glück, wenn, wie ich hoffe, künftig für ihn eine bessere Heit kommen wird, um so höher schaben und um so sorg faltiger bewahren. Meine Sorgfalt ist meinen Kindern gewidmet für und für, und ich bitte Gott täglich in meinem sie einschließenden Gebete, daß er sie segnen und seinen guten Geist nicht von ihnen nehmen möge. Mit dem trefflichen Hufeland sympathisiere ich auch in diesen Stücken. Er sorgt nicht bloß für das physische Wohl meiner Kinder, auch für da- geistige derselben ist er bedacht; und der biedere, freimütige Bo- rowSki, den der König gern sieht und lieb hat, stärkt ihn darin. Erhält Gott sie uns, so erhält er meine besten Schätze, die niemand mir entreißen kann. ES mag kom men, waS da will, mit und in der Vereinigung mit unseren guten Kindern werden wir glück selig sein. Ich schreibe Ihnen dies, geliebter Vater, damit Sie mit Beruhigung an unS denken. Ihrem freundlichen Andenken empfehle ich meinen Mann, auch unsere Kinder alle, die dem ehrwürdigen Großvater die Hände küssen, und bleibe, bester Vater, Ihre dankbare Tochter Luise." So setzte sie denn alle ihre Hoffnung auf Gott und ihre Kinder, insbesondere ans ihre Söhne, denen sie einst die prophetischen Worte zurief: „Handelt, entwickelt Eure Kräfte, vielleicht läßt Preußens Schutzgeist sich auf Euch nieder. Be freit dann Euer Volk von der Schande, dem Borwurfe und der Erniedrigung, worin es schmachtet. Suchet den jetzt verdunkelten Ruhm Eurer Vorfahren von Frank reich zurückzuerobern, wie Euer Ürgroßvater, der große Kurfürst, einst bei Fehrbellin dir Niederlage und Schmach seines Vaters an den Schweden rächte. Lasset Euch, meine Prinzen, nicht von der Entartung dieses Zeitalter- hinreißen Werdet Männer und geizet nach dem Ruhme großer Feldherren und Helden. — Könnt Ihr aber mit aller Anstrengung den niedergebeugten Staat nicht wieder aufrichten, so sucht den Tod, wie ihn Loui- Ferdinand gesucht hat." Nun, die Tage der Befreiung kamen, herrliche», als jemand es ahnen konnte. DaS arme, zerschlagene Preußen, daS jeder Politiker der alten Schule zu den Leichnamen warf, erhob sich zu ungeheuerer Kraftentsaltung, eine der überraschendsten Wendungen in der Weltgeschichte. Ein neue- Geschlecht scharte sich um den Thron. WaS Feuilleton. Aus Du und Du. Novelle von E. Hofmann. Nachdruck »ert»ten. Baumeister Leistner, der als Junggeselle bei seiner ver- heiratheten Schwester wohnte, stand heute verstimmt vom Mittagessen auf. Nicht daß dieses zu wünschen übrig gelassen hätte, o nein, die junge Frau Doctor war eine ausgezeichnete Hausfrau, aber sie hatte die Thorheit begangen, sich für die nächste Zeit einen Gast einzuladen. „Noch dazu ein junges Mädchen!" sagte Hugo Leistner im Tone der Verzweiflung, „solch eine Landpomeranze, mit der Du Dich in Deinem Bekanntenkreis einfach blamirst, Clara!" ^ „Ereifere Dich nicht, Hugo", belehrte ihn die Schwester, „ich war so oft Gast im Lirbmann'schen HauS, habe die Käthe überdies sehr lieb, so daß ich Alle- thun will, ihr den Aufent halt hier angenehm zu machen!" „Getreide, ist- Dir denn recht?" fragte Hugo seinen Schwager, den angehenden Arzt Doctor Korn. „Mir ist Alles recht, WaS meine Frau für gut findet!" Er zog die eben Vorübergebende an sich, sie nahm seinen Kopf zwischen beide Hände. „Genirt Euch nicht, küßt Euch entsprechend der furchtbaren Trennung von zwei Stunden, die Euch in Aussicht steht!" „Er ist unausstehlich!" rief Clara. „Er muß heirathen!" ihr Mann. „UebrigenS, Hugo", sagte Frau Clara, „Käthe kennt Dich schon al- Weiberfeind und hat wirklich nicht da- geringste Interesse für Dich übrig!" „Sehr angenehm! Jedenfalls stört der Besuch die Ge- müthlichkeit und ich werde au-wärt- essen, so oft eS sich machen läßt!" Er nahm Ueberrock und Hut und stürmte durch den Garten davon. Draußen am Schild an der Villa stand unter dem Namen de- Arzte- die Sprechstunde angezeigt. Diese Stunden ge- börten zu den stillsten de« Tage-, denn noch wurde die Klingel höchst selten gezogen, den Herrn Doctor zu einem Patienten zu holen. Zum Glück konnten Korn'« da« ruhig mit ausrhrn. Auch jetzt plauderte da« junge Paar an- aelegeatlich miteinander, von 2—4 Uhr Sprechstunde — so staub ja a« Schild. — Dir Septembersonn« schien von einem blauen Himmel berab, als einige Wochen später Hugo Leistner zu früher Morgenstunde durch den Garten ging. Er grübelte über die unangenehme Tbatsache nach, daß gestern Abend Fräulein Liebmann in Person angekommen war. Ihr Vater war in Norderney und wollte sie auf der Rückreise mitnebmen. Hugo konnte beute zu keinem rechten Genuß kommen, sonst war er entzückt von den thaufriscken Morgen, die er im Garten verlebte. Er erfreute sich dann an dem Unbe rührten in der Natur, an der köstlichen Stille, in die noch wenig vom TageSgeräusch der erwacvenden Großstadt drang. Fräulein Käthe schlief natürlich noch, dachte er, entsetzlich, von nun ab vier Wochen lang ein fades Gesicht sich gegen über sitzen sehen und dabei sich noch gezwungen fühlen, dem Gast die nöthige Aufmerksamkeit zu erweisen. „ES war ein Sonntag hell und klar", — sang da mit einem Mal Jemand in seiner nächsten Nähe auf. Um die Himbeerhecke, an der er stand, bog ein junges Mädchen und blieb erschrocken stehen. DaS ist der Baumeister! fuhr «S Käthe durch den Sinn, ein leiser Schrei, sie hob ihr Kleid, machte blitzschnell Kehrt und rief im Davonstürmen: „Ich gehe ja schon!" Während sie durch den Garten flog und nickt eher Athen» schöpfte, bi» sie bei Clara am Frühstückstisch saß, stand Bau meister Leistner noch auf derselben Stelle, wo der Zusammen stoß erfolgt war. Zuerst blickte er ärgerlich an sich berunter. Warum riß denn die junge Dame au», als ob er die Pest habe? Vielleicht gerade weil er als unbesiegbarer Weiberfeind galt, war ihm di« Damenwelt stet- mehr oder minder ent gegengekommen, und hier geschah es zum ersten Mal, daß man förmlich vor ihm auSritz. Ja, die Dame versicherte sehr natürlich auch noch: Ich gehe ja schon! Ganz deutlich hatte sich ,bm das Bild, daS da so plötzlich vor ihm aufgetaucht war, eingepräat. SS war ein große«, schlankes Mädchen gewesen, über ihr hellgraue« Kleid hatte die Sonne geleuchtet. Da« Gesicht war jugendlich, rosig ge wesen, aber geradezu entsetzt hatten ihn ein paar blaue Augen angestarrt. Er saß eine Stunde später im Bureau, da geschah ihm da« Merkwürdige, daß sich die Zeichnung plötzlich veränderte und vor seinem geistigen Auge das Bild von beute Morgen stand. Deutlich sah er das erschreckte Gesicht, die Gestalt, die so rasch davonflog. Sie hatte blondes Haar, über der Stirn wie zu einer Krone aufgebaut. Er liebte blonde« Haar, seine Mutter war blond gewesen, und er bildete sich ein, e« gebe etwas Freudevolle», Sonniges von einem solchen Wesen au«. Hm, an was dachte er eben? Gehörte da« zu seiner Arbeit? Er schüttelte energisch den Kopf und vertiefte sich aufs Neue in seine Zeichnungen. „Vor mir auSzureißen, da- war nickt nothig, mein Fräu lein!" sagte Hugo, als er beim Mittagessen am anderen Tage Käthe vorgestelll wurde. Mit dem gleichgiltigften Gesicht begegnete sie ibm, auf seine Aeußerung hin sagte sie lachend: „Ja, ich sehe e« ein! Wenn ich aber nur eine Ahnung davon gehabt hätte, daß Sie hinter dem Himbeerstrauch steckten, dann hätte ich wir^ lich einen großen Bogen drum herum gemacht, Herr Bau meister!" Nun, an Offenheit läßt sie nichts zu wünschen übrig, dachte Hugo und biß sich auf die Lippen. Sie ianorirt mich gut, gestand er sich bei Tisch, wo Käthe sich mit Herrn Doctor neckte, mit Clara plauderte und schnur stracks ihr reizendes Gesicht in ernste Falten legte, sobald er, Hugo, sie ansprach. Der Doctor füllte die Gläser, man ließ den Gast des iauseS leben. AIS Käthe mit Hugo anstieß, tauchten beider Aicke einen Augenblick in einander. Er hat solch hübsches Gesicht, sagte sich Käthe, in seinen Augen liegt etwas wie ideale Schwärmerei, so etwa« liebte Kalbe. Und Hugo wiederum sagte sich, daß er noch an keiner jungen Dame auS Clara'S Bekanntschaft solch eine bezaubernde Natürlichkeit kennen gelernt batte. Es kam kein geziertes Wort aus ihrem Munde. Was sie plauderte, klang so ein fach und wahr. Und wieviel Güte leuchtete a»S ihren Angen, die nicht- Berechnendes, Kokettes kannten. Freilich, diese liebenswürdige Seite ihres Wesens lernte er nicht kennen, dessen konnte er sich nicht rühmen. Es begann ihn aber nach und nach höchlichst zu amüsircn, wie allerliebst sie die geseste ernste Miene kleidete, mit der sie ihm antwortete. Sie schien sich im Namen ihrer gesammten weiblichen Schwesterschaft vorgenommen zu baden, dem „Weiberfeind" dir nöthige Gleichgiltigkeit zu zeigen. Die Sache reizte ihn. Nur einmal für sich selber mochte er dir» liebliche Mäkchenantlitz ausleuchten sehen, für ihn sollten sich die Lippen zu jenem kindlichen Lächeln, daS sie für Alle hatte, formen, für ihn sollten die blauen Augen aufstrahlen. Aber es geschah nicktS Derartiges. Käthe blieb dieselbe. Keinen Formenfehler ließ sie sich zu Schulden kommen, Niemand hätte sie einer Unböflichkeit zeihen können. Aber sie wußte den Herrn Baumeister zu meiden. Hörte sie ihn im Wohn zimmer, ging sie in den Garten; promenirte er dort, blieb sie im Hau». Aber drollig, er fand sie stet- nach geraumer Weile. — In der rrsten Docke batte Hugo viel au-wärt- speisen müssen, da durchreisende Freunde ihn dazu beredeten. Jetzt mied er keine Mahlzeit. Ja, er wußte sie noch zu ver länger», indem er irgend ein anregende- Gespräch eben an knüpfte, wenn Clara sich erbeben wollte. Sie tauschte dann einen heimlichen Blick mit ihrem Gatten, erlebte eS aber oft, daß dieser sie zwar äußerst liebevoll, aber nicht« weniger als verständnißmnig, angemessen der Situation, betrachtete. Männer sind oft entsetzlich schwer von Begriffen, dachte Clara, bestellte den Kaffee und trug den Herren daS Rauchtischchen herbei. Hugo wußte wobl selber nicht, wie anregend er erzähle» konnte von seiner Studentenzeit, von den Kneipabenden aus dem niondscheinumfloffenen Heidelberger Schloß, von der heiligen Begeisterung für alle« Hobe und Schöne, daS di: jungen Herzen erfüllt. Clara sagte sich im Stillen, daß Hugo viel angeregter, viel gemüthvoller sprach, wenn Kätb: ihm gegenüber saß. Dabei geschah daS Merkwürdige, daß er sich fast aus schließlich an seine Geschwister wandte, al« ob diese die ganze» Erlebnisse nicht längst gewußt hätten. Er vergalt Käthe gegenüber jetzt Gleiche« mit Gleichen, Mit der Gleichgiltigkeit, die er ihr zeigte, war da- aber so eine Sache. Er fühlte genau, daß er sich da einen Zwang anthun mußte. Er hätte da- entzückende Mädchen viel lieber mit ehrlicher Bewunderung, mit zärtlichem Blick angesehen. daS wäre ihm bei Weitem leichter geworden al« die gezeigte Gleichgiltigkeit. Manchmal geschah e« aber, daß er mitten im Erzählen sic ansah. Er stockte dann unwillkürlich, denn in den blauen Äugen lag eine so unverhohlene Innigkeit» ein so feine« Ver ständniß für Alle-, WaS er erzählte, daß er e« nicht hindern konnte, wenn seine Augen aufstrahlend in ihre tauchten. Er rötbend sab Käthe in solchen Momenten angelegentlich an den Stuck der Zimmerdecke. Clara bemerkte diese Zeichen voll offenbarer Zuneigung wohl, warf ihrem Mann den bekannte» Blick zu, ohne Er widerung zu finden, und hob die um sie herumschnurrende Mieze auf den Schooß, da» weiße Fell der Angorakatze streichelnd. Dabei glitt ein sehr befriedigte« Lächeln über ihr hübsches Frauengesicht, und ein zärtlicher Blick über Käthe und Bruder Hugo, die Beiden gleichsam verbindend Aber Frau Clara wußte auch, daß man in einem solchen Fall die äußerste Vorsicht beobachten müsse, um nickt wie eine Fliege die feinen Maschen des zarten Netze« zu zerreißen. Mit Freude empfand sie die doppelte Zärtlichkeit Käthe'S, die „seiner" Schwester galt, streichelte voll Liebe den blonden Kovf, drr stch bisweilen schüchtern auf ihr« Schult» legte,
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