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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.03.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-03-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970309014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897030901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897030901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-03
- Tag1897-03-09
- Monat1897-03
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Reclamen unter dem RedactionSstrick (4a». spalten) SO-4, vor den Aamiliennachrtchtea (S,spalten) 40-4 Größere Schriften laut unserem Pcei». verzeichniß. Tabellarischer uud Ztfferniatz nach höherem Tarif. Extra-Beilage» (gesalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Postbesörderunp 60.—, mit Postbesörderung Al 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Ubr. MargeN-Aasgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Antkig»» sind stet« an di» SipebitiöN zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Dienstag den 9. März 1897. 91. Jahrgang. Republikanische Abbös. 0. Parts, 6. März. Die berühmte Concentration aller Republikaner, von der in der letzten Zeit so viel die Rede war, ist nun wenigstens sür einen Tag Creigniß geworden. Wenn man auch in allen anderen Fragen sich grimmig befehdet, zeaen einen Feind stehen Opportunisten, Radikale und Socialisten stets ein- müthig zusammen: gegen den Klerus. Auf sie Alle wirkt die schwarze Kulte wie das rothe Tuch auf den Stier. ES handelte sich am Donnerstag in der Kammer um die kürzlich erfolgte Wahl veSAbboGayraud zum Deputirten des dritten Brester Wahlkreises. Dieser Wahlkreis war früher stets eine Hochburg deö NoyaliSmus und zugleich des KlerikaliSmuS gewesen. Sein letzter Vertreter, der Abbo d'Hulst, vereinigte als adeliger Priester beide Richtungen in ausgezeichneter Weise in sich. Nach dessen Tode min stellten die Monarchisten den Grafen von Blois als Candidaten auf. Seine Wahl schien völlig unzweifelhaft, als sich plötzlich von einer Seite der Widerstand erhob, von der man ihn am allerwenigsten erwartet hatte. Ein früherer Dominikanermönch, der seine Kutte abgelegt batte, weil, wie er sagt, Gott ihm einen anderen Weg gewiesen habe, sich seinen Mitmenschen nützlich zu machen, stellte seine Gegcn- candidatur auf. Sein Programm, das im Uebrigen ein sonderbares Gemisch von Christcntbnm, Antisemitismus und Socialismus war. enthielt als wichtigsten Punct die vom Papste empfohlene Versöhnung mit der republi kanischen Staatsform. Die guten Wähler von Brest, sür die Noyalismus und Klerikalismus bisher unzertrennlich gewesen war, sahen sich somit vor ein grausames Entweder — Ober gestellt. Von beiden Seilen scheint der Kamps nicht mit ganz einwandssreicn Mitteln geführt worden zu sein. Die royalistischen Gutsherren arbeiteten mit Freibier, mit Drohungen, die Pacht kündigen zu wollen, und Ver sprechungen, auf der anderen Seite führten die Geistlichen alle ihnen zu Gebote stehenden Mittel ins Feld. Es sollen Versammlungen in den Kirchen stattgrsnnben baden, die Zöglinge der Priesterseminare sollen angebalten worden sein, ihren Einfluß bei Vätern, Onkeln und Vettern geltend zu machen, man soll sogar von den Kanzeln herab von der achten Todsünde, nämlich dem Abbs Gayraud nicht seine Stimme zu geben, gepredigt haben. Wicviet davon wahr ist, weiß man nicht, jedenfalls ist aber anzunehmen, daß Gayraud seine stattliche Majorität von 1400 Stimmen nicht diesen Wablbeeinflussungen allein verdankte. Man sollte nun meinen,daß,wenn überhauptJemand,sodieent- tänschten Noyali st e n Protest erhoben,und daß die Republikaner über die Wahl dieses neuen Freundes triumphirt hätten. Das Umgekehrte war der Fall. Während erstere soweit als möglich ihren Aerger hinunterzuschlucken suchten, erhoben letztere ein wüstes Geschrei. ll'imeo Oanaos ot äona kereutes, zu deutsch: der Kleriker ist erst recht verdächtig, wenn er sich Republikaner nennt. Der Lärm in der Presse fand natürlich in der Kammer kräftigen Widerhall, und vom sechsten Bureau wurde der Antrag eingebracht, eine Enquete über die klerikalen Umtriebe zu veranstalten. Der erste Redner am Donnerstag war der Abbe selbst. Er habe sich als Republikaner wählen lassen, führte er in seiner Oratio pro ckomo sehr beredt aus, und im Namen der Republik fordere er Gerechtigkeit. Es gäbe in der Ver sammlung keine Priester, keine Freimaurer, keine Musel- männer, sondern nur französische Bürger. Zsambert von den Ravicalen, Gärault - Richard von den Socialisten und HSmon von den Gemäßigten bekämpfte ihn. Zsambert, der sich gern als Füorer einer Gruppe aufspielt, ohne daß Jemand weiß, aus wem diese Gruppe besteht, ist der richtige Doktrinär, der Typus derer, die nichts gelernt und nichts vergessen haben. „Wenn Du schreibst, mag's noch gehlen", soll einmal Gambetta zu ihm gesagt haben, „aber laß Dir s nicht einfallen, zu reden." Glücklicherweise waren seine trockenen Ausführungen Uber die klerikale Gefahr nur kurz. Viel lebhafter war der Ton des Socialisten. Er ersparte den verhaßten Schwarzröcken keine der Liebenswürdigkeiten, die man aus den Blättern der äußersten Linken genügsam kennt. „Wenn die atheistische Bourgeoisie sich mit der Religion aus- söbnen will, meinetwegen. Wenn Nabenschwärme die Armeen umkreisen und man das Krächzen der Eulen um die Häuser bört, so sagt man: das riecht nach Leich namen." Dieser geschmackvolle Vergleich sicherte ihm einen rausckenden Abgang bei seinen Freunden, aber auch nur bei diesen. Die Ehren des TageS fielen ans Herrn Hsmon, dem sogar (wie gemeldet) von der Kammer die Ebre zu gesprochen wurde, daß seine Rede im ganzen Lande öffentlich angeschlagen wird. Die Einmüthigkeit dieser drei Verfechter des allgemeinen Stimmrechtes und der Gleich heit in dem Bestreben, die Priester von dieser Gleichheit ans- zuschließen, war höchst erbaulich. Vergebens, daß der lebhafte Abbö Lemire, der Gesinnungsgenosse Gayraud's, im eigent lichsten Sinne des Wortes sich mit Händen und Füßen sträubte, der Royalist de Ramel mit all seiner Beredtsamkeit dafür eintrat, daß man den Geistlichen ikre Bürgerrechte nicht verkümmern dürfe, endlich auch der Muselmann Gremier seinen Mahnruf zur Toleranz erschallen ließ: der Enquete antrag wurde mit 339 gegen 112 Stimmen angenommen. Dies Ergebniß ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Erstens ist es eine deutliche Mahnung für die französischen Geistlichen, fürderhin nicht mehr um die Gunst der Republi kaner zu buhlen, zweitens eine Bestätigung dafür, daß die Devise der Republikaner heißt: Gleichheit für Alle, aus genommen für Diejenigen, welche anderer Meinung sind; und endlich ein Zeichen dafür, daß man in Frankreich doch ge waltige Angst vor dem Klerus hat. Denn wen man nicht fürchtet, den haßt man nicht so. Vas russische Commnniquö in französischer Beleuchtung. In Paris hat es anscheinend außerordentlich verstimmt, daß in der bekannten Petersburger authentischen Verlaut barung bezüglich Kretas geflissentlich betont war, daß die russische Negierung in der Erkenntniß der Nichtigkeit der Stellungnahme Deutschlands den russischen Gesandten in Petersburg auszufordern beschlossen habe, sich zurückzuziehen und daß Rußland im Bewußtsein der Einigkeit mit Frank reich und dem absoluten Einversländniß mit Deutschland und Oesterreich zur Ergreifung von Geivallmaßregeln ent schlossen sei. Man fühlt sich zurückgesetzt, durch Deutschland in Petersburg ausgestochen, ist geärgert und gekränkt und sucht nun die Sache so rarzustellen, als sei das Petersburger Communiqus in Berlin abgefaßt, um nach dem Scheitern der „übereilten" Aclion Deutschlands sich durch Rußland zu decken. Zu diesem Zwecke wird aus Paris von angeblich rrutsch er Seite folgender Artikel in die Wiener „Neue Freie Presse" lancirt: „Die Petersburger „autbentische" Depesche, welche am 25. Februar durch daS Berliner „Wolff'sche Bureau" über das bevorstehende energische Einschreiten Rußlands gegen Griechenland verbreitet wurde, bildet in hiesigen politischen Kreisen den Gegenstand lebhafter Erörterungen, und zwar aus Grund folgender Umstände: Tie Correspontenten deutscher Zeitungen, welche auf der hiesigen deutschen Botschaft ver kehren, waren mehrere Tage vor dem Erscheinen de- angeb lich russischen CommuniquSs auf dessen Devorsiehen als auf eine „große Sache" vorbereitet und ersucht worden, ihr besonderes Augenmerk zu schenken und nament lich die Wirkung der Publikation aus die öffentliche Meinung in Paris und in Frankreich „drastisch und auSsübrlich" an ihre Blätter nach Deutschland zn berichten. Am Tage vor dem Erscheinen des Wolff'schen Telegramms wurden die betreffenden Publicisten noch besonders benachrichtigt, daß die sensationelle Sacke „morgen" erscheinen werde. Gleich zeitig war die Botschaft in der Lage, den Inhalt des EommuniqueS bekannt zu geben. Nachdem sich inzwischen herausgestellt hat, daß die „authentische" Mittheilung in keiner Weise auf Petersburg und die russische Politik zurückzuführen ist, wird hier Berliner Ur sprung derselben angenommen. Damit stimmt überein, daß die hiesige deutsche Botschaft, die zuerst so wichtig that, jetzt, wo der Streich mißlungen ist, denselben achselzuckend als ein „Bvrsenmanöver" darstellen möchte. Es läßt sich nicht leugnen, daß die Vermnthung des Berliner Ursprungs der „authentischen Petersburger Mltthei- lnng" sachlich nicht unberechtigt erscheint, wenn auch die sonstigen gegen Deutschland gehässigen Schluß folgerungen, die daran geknüpft werden, über das Ziel hinaussckießen. Man muß sich die Sachlage vergegenwärtigen, die in Bezug auf Kreta für die deutsche Negierung bestand, als das angeblich russische Communiqus erschien. Die deutsche Re gierung, obwohl sie die mindest betheiligte an der kretischen Frage war, hatte es für ihres Dienstes gehalten, feierlich zu declariren, daß sie es mit ihrer und mit der Würde des deutschen Reiches für nicht vereinbar halte, mit Griechenland weiter zu verhandeln, bevor von diesem Staate nicht der Völkerrechtsbruch ausgeglichen sei, den er durch seinen Einfall in türkisches Gebiet begangen habe, und gleichzeitig verlautete, daß Deutschland die Blockade des Piräus als Coercitiv-Maßreget gegen Griechenland bei den Mächten beantragt habe. Sofort nach dem Bekannlwerden dieser Stellungnahme der deutschen Regierung wurden nicht nur in der deutschen Presse, sondern auch in der ausländi schen Diplomatie rationes ciuditanäi gegen die Zweckmäßigkeit dieses Vorgebens Deutschlands erhoben. Tie Erwartung, daß damit ein Effect erreicht werden würde, ähnlich dem des kaiserlichen Telegramme- an den Präsidenten Krüger nach dem Zameson'schen Einfälle in Trans vaal, erfüllte sich nicht, und wir haben bestimmten Grund zu der Annahme, daß die Berliner Regierung schon wenige Tage nach ihrer Kundgebung dieselbe als voreilig erkannt hat. Die Wirkung auf bieanderen Mächte blieb aus, und Deutschland gerieth in Gefahr, auS der tonangebenden Stellung, die es in der kretischen Frage einnehmen zu müssen geglaubt hatte, inline isolirte zu geralhen. Gleichzeitig erscholl aus dem Sachsenwalde der Warnruf: „Macht, was ihr wollt, wenn ihr euch berufe» glaubt, eure Finger als Primolocisten in die kretische Sache zu stecken, aber trennt euch dann wenigstens in keiner Weise von Rußland." Es ist begreiflich, daß die deutsche Regierung daS Bedürfniß empfand, aus dem doppelten Schach, in das sie auf Liese Weise gerathen war, herauszukommen Das war nur möglich, wenn sie Zweierlei bewies: Erstens daß ihre Stellungnahme in der kretischen Sache nicht nur correct, sondern auch politisch klug gewesen sei, und zweitens daß sie sich dadurch in keiner Weise in einen Gegensatz zu Rußland gebracht habe, sondern im Gegenlheile dafür die Anerkennung und Unterstützung dieses Staates gefunden habe. Diesem BeweiSbedürfniß der deutschen Regierung wurde in dem angeblich russischen Communiquo in so ausgiebiger Weise entsprochen, daß man sich verwundert fragte: Wie kommt die russische Regierung dazu, eine authentische Erklärung in die Welt zu setzen, worin bescheinigt wird, daß Rußland in Folge der Er kenntniß der Richtigkeit der Stellung Deutsch ands sowohl in der kretischen Frage wie auch Griechen and gegenüber eS für notbwendig erachte, letzterem Staate durch seinen Gesandten starke Zwangsmaßregeln androhen zu lassen? Eine solche Erklärung von russischer Seite wäre nicht nur ein Novum auf dem Gebiete der internationalen Beziehungen gewesen, sondern hätte auck nickt der Würde und der Selbstständigkeit der russischen Politik entsprochen. Sie wäre auch geeignet gewesen, die ohnehin bedrohte französisch-russische Luteuto vorckinls in der orientalischen Frage vollends zu zerstören. Wie sollte sich Rußland zu diesem wider innigen und gegen alle russische Tradition ver stoßenden Verfahren bewogen gefühlt haben? Man erstaunte mit Recht darüber, daß die Urbeber der angeblich „authen tischen" russischen Note sick nicht von vornherein darüber klar geworden sind, daß ihre Absicht an solchen naheliegenden Er Wägungen scheitern müsse. Hätte es »och eines Beweises für den apokryphen Charakter des CommuniqusS bedurft, er wäre durch die seitherige Haltung Rußlands in der kretischen Frage erbracht. Inzwischen ist die angeblich russische Kundgebung auch von Petersburg aus in aller Form dementirt worden. Man hat zwar allen Grund, gegsn derartige russische Dementis Mißtrauen zu hegen; sie erfolgen oft erst, wenn die dementirre Mitteilung ihre Wirkung i» der Oeffcntlichkeit gelhan hat; aber in diesem Falle liegt die Ehrlichkeit des Dementis doch zu handgreiflich am Tage, als daß Zweifel berechtigt wären. Deutschland ist dadurch in eine peinliche Lage ge bracht, die ihm im Vereine mit dem Umstande, daß es trotz seiner Erklärung nun doch mit den anderen Mächten zu sammen mit Griechenland verhandelt (?), bevor dies die deutsche Bedingung der vorherigen Räumung Kretas er füllt bat, sowohl die Unrathsamkeit gewagter Preß- manvver als die Bedenklichkeit intempestiver Fest legung in Sachen, wo Deutschland noch dazu nicht einmal Primolocist ist, deutlich zum Bewußtsein gelangen läßt und hoffentlich Wiederholung verhütet. Wir fugen hier noch an, daß das apokryphe russische Comniuniquä auch der hiesigen „Agence Havas" zu gegangen war, aber nicht von Petersburg direct, sondern durch das Wolff'sche Bureau in Berlin, daß aber dessen Weiterverbreit ung durch den Minister Hanolaux rechtzeitig inhibirt wurde. Am Quai d'Orsay war man der Ansicht, der Zweck des CommuniquLS sei der, entweder das „Odium" der scharfen Tonart Wen Griechenland von den Schultern Deutschlands auf die Ruß lands abzuwälzen, oder eine Verstimmung zwischen Rußland und Frankreich herbeizuführen. Inzwischen bat man sich davon überzeugt, daß diese Annahmen unzu treffend waren." Zu diesem perfiden, den Stempel französischer Er- sinoung an der Stirn tragenden Artikel nimmt das „Wolff'sche Telegraphen-Bureau" in folgender Mit- theilung an die Blätter Stellung. * Berlin, 8. März. (Telegramm.) Die Direktion dcS Wvlffschen Telegraphen-Bureaus veröffentlicht nach folgende Erklärung in eigener Sacke: „Der gestrige Artikel der „Neuen Freien Presse" aus Paris über die angebliche Herkunft unserer Petersburger Depesche vom 25. Februar beruht durchweg auf nichtswürdigen Erfindungen. Irgend welche Informationen von deutscher Seite liegen dem Telegramm überhaupt nicht zu FaiiiHetsir. Friederike Caroline Neuber. „Lieber Leser, Hier hast du waS zu lesen. Nicht etwan von einem grossen gelehrten Manne; Nein! nur von einer Frau, deren Namen du aussen wirst gefunden haben, nnd deren Stand du unter den geringsten Leuten suchen mußt: Denn sie ist nicht-, als eine Comödiantin; von Geburt eine Deutsche. Sie kann von nichts» als von ihrer Kunst Rechenschaft geben: Wenn sie gleich so viel wissen sollte, daß sie einen jeden Künstler verstehen könnte; wenn er von seiner Kunst redet. Fragst du: Warum sie auch schreibt? So antwortet sie dir daS, dem Frauenzimmer gewöhnliche, Darum! Fragt dich jemand: Wer ibr geholfen bat? So sprich: Ich weis es nicht; oder: Es könnte doch wohl seyn, daß sie es selbst gemacht hätte. Das Werk ist in Reimen abgefasset. Ob die Verse rein, und die Gedanken richtig sind; werden diejenigen wissen, die eS verstehen. WaS die Sacke betrifft: So gehören theilS bekannte Geschickte, tbeilS un bekannte Gedichte darzu. Alle« zu erklären schickt sich nicht vor sie. Alles zu verschweigen ist hier nickt nölhig. Genung, daß sie sonst wohl schweigen kann. Diejenigen, die von ihren Umständen etwas wissen, werden dieses leicht glauben können; wer aber nichts von ihr weis, dem wird auch diese» nicht» schaden: Wenn er r» gleich nicht glauben kann. Sie hat zwar niemalen durch Schriften bekannt seyn; sondern nur, als eine Comödiantin anderer Leute Leidenschaften bescheiden, vorsichtig, aufrichtig und natürlich vorstellen wylleo: Ztzt aber, da sie ihre eigene Rolle auf, und vor der ganzen Well zu spielen genöthiget wirb; so schämet sie sich auch nicht, ihren ersten sichtbaren Auftritt in diesen Blättern gedruckt zu geben. Hai sie wo gefeblet; so wird sie die Fehler nicht entschuldigen: Denn dadurch werden sie nicht besser. Sie wird um Verzeihung bitten, und ein andermal so wenig fehlen, als eS ihr nur möglich ist. Im übrigen überläßt sie sich mit Freuden dem Urtbeile derer- ienigen, dir da richtig denken, zu rechter Zeit reden, und be hutsam schweigen. T>ie übrigen werben denken, wa» sie wollen; reden, wenn sie können; und schweigen, wenn sie müssen. Sie bleibet beydrs, der guten und bösen Welt ver pflichtet: Ter guten; weil sie es würdig ist, der bösen; weil sie an ibrer Besserung nickt zweifelt." Mit diesen Worten leitet Friederike Caroline Ne über ibr „Vorspiel" ein, daS den Streit mit ihren: früheren Schauspieler Müller zum Gegenstände hat. Und dieser Streit ist der berühmte Hanswurst st reit. Das Vorspiel bat eine besondere Bedeutung für Leipzig, weil es zuerst hier zur Aufführung kam und weil auch die Verbannung de» Hans wursts von der Bühne, die mit jenem Stücke ringeleitet wurde, thalsächlich in unserer Stadt und zwar im Jabre 1737 vor sich ging. DaS Stück selbst, das jetzt von Artbnr Richter*) neu berausgegeben wurve, schildert in allegorischer Weise den Streit zwischen der Müller'schen und der Neuber schen Gesellschaft um daS sächsische Hostomöbianten-Privilea. Melpomene, TbarsuS, SedobiuS und Obseqnens stellen die Neuber'sche Truppe, Thalia und Silenus die Müller'sche dar. Wie eS im Wesen der Neuberin und in dem der Zeit lag, bewegen sich die Personen alle in großen Posen, und die Verfasserin bat noch ihr Ucbriges dazu gethan, gespreizt zu erscheinen; aber diese jetzt als geschmacklos gellende Dekla mation ist doch ein Zeichen, daß in der Neuberin nicht nur eine gute Schauspielerin, eine gute Directorin, sondern auch eine tüchtige Literatin stak, denn für die damalige Zeit muß daS Stück recht bühnenwirksam gewesen sein. Die Neuberin bat, wie Richter a. a. O. nachweist, eine ganze Reihe von Stücken, „Vorspielen" und Gedichten producirt; Richter führt 37 auf, und daS läßt auch ihr Berhaltniß zur damaligen Literatur in einem anderen Lickte als gewöbnlich erscheinen. Wenn sich auch die Tochter des sächsischen Gerichtsadvocaten Weißenborn mit Gottsched und Lessing nickt messen konnte, so ist sie doch gerade durch ihre literarische Begabung erst im Stande gewesen, Lessing zu verstehen und sein Stück „Der junge Gelehrte" zuerst auf die Bühne zu bringen und sich schließlich von Gott sched loSzusagen. Wieviel ihr Gottsched nntzie, wenn er mit ibr über die Reformation des deutschen Theaters sprach, so *) Deutsche Literaturdenkmale deS 18. und IS. Jahrhunderts, herausgegevrn von August Sauer. Ein deutsches Vorspiel, 7 versertiqi von Friedrrica Larolina Neuberin (1734). Zur Feier ihre« 1200jährige» Geburtstag» 9. Mürz 1897, mit einem Verzeichniß »ihrer Dichtungen, herauSgegeben von Arthur Richter. Leipzig, I G. I. Göschen jche Verlag-Handlung 1897. 60 -4- I sehr sie sich um die Aufführung seiner Werke verdient gemacht I hat, so hat sie schließlich doch, dem Zuge einer neuen Zeit I nachgebenv, den Mut gefunden, dem allmächtigen Professor entgegenrutreten. Daß sie ihren Berather und Lehrmeister schließlich auf die Bühne brachte und ihn lächerlich machte, daS war von ibr geschmacklos, aber sie war nun einmal eine Frau von Raffe und Temperament und verleugnete nicht die Vogtländerin. Hartnäckig war sie, eine echte Vogtländerin, rechthaberisch und eigensinnig dazu, kraftvollen Charakters, wie man ihn oft bei Frauen findet, die sich einen in der Leidenschaft begangenen Fehler vorzuwersen und ibn gutzumachen haben, und dabei schön von Gesicht, Figur und Haltung, so daß es kein Wunder nimmt, daß man so wenig von ibrem Manne, dem Studiosus der Rechtswissenschaften Johann Ncnber, erfährt. Sie balle die Hosen an, sie regierte unumschränkt und autoritativ, und das brachte sie Wohl vorwärts, aber, weil sie sich keinem Ratbschlag zugänglich zeigte, auch rückwärts. Ten Abfall Müller's konnte sie wobl in ihren jungen Jahren vertragen, aber nicht den Koch's und Schönemann'S, als sie der alternden Directorin Valet sagten. Von der siebenden Bübne in unserer Stadt, dem ersten ständigen Theater, das die Neuberin gründete, ist schon viel fach die Rede gewesen, so daß wir aas ibre hiesige Tbäligkeit nicht besonders einzugchen brauchen. Ihre reformatoriichen Gedanken hat sie aber nicht nur in Leipzig aus der Bühne zum Ausdruck gekrackt; neben anderen Städten besuchte sie auch Hamburg regelmäßig und ebnete dort ihren Nachfolgern den Weg, Nachfolgern, die ihr bald zu Rivalen wurden und sie überflügelten. Man kan» wohl die Frage aufwerse», wie die Neuberin dazu gekommen ist, eine so große Bedeutung für daS deutsche Theater z» gewinnen, und man ward ihre Antwort immer wieder in der Person der Neuberin finden. Geboren als die Tochter des G>erichlSadvocaten Weißen born, am 9. März 1697, erhielt sie von ihrem Vater eine strenge, aber auch eine gediegene Erziehung, die die anderer junger Mädchen übertraf. Dabei sind ibr gewiß auch Bücher »i die Hände gefallen, die nicht für sie bestimmt waren, und aus diesen schöpfte sie die Lust zum Fabuliren und für da» Theater, vielleicht auch erotisch« Gedanken, die sich schließlich so stark entwickelten, daß sie in ihrem fünfzehnten Leben«, jahre mit dem Gehilfen ihres Vaters, dem Studiosus Zorn, entfloh. Die romantische Episode dauerte freilich nicht lange und Caroline wurde ihrem Vater zurückgebracht. Dieser scheint nun das junge Ding ihren sehr dummen Streich mit despotischer Willkür haben entgelten lassen, denn fünf Jahre später brannte sie wieder durch, und zwar auch mit einem Gehilfen ihres DaterS. Diesmal kehrte sie nicht zurück. Die beiden AuSreißcr wurden getraut und das nunmehrige Ehepaar Nenber trat in die <Lpiegelberg'sche Theaterlruppe in Weißenfels ein. Zehn Jabre haben sie es dort und bei der Hoffmann-Haacke scheu Truppe ausgehalten, dann wurde Carolinens Selbstgefühl zu mächtig. Sie war eine beliebte, eine schöne Schauspielerin und konnte sich schon auf ihre Kunst verlassen. Im Jabre 1727 bildete sie eine neue Truppe, die das kurfürstlich sächsische Privileg erhielt und ein ständiges Tbeater in Leipzig ein richtete. Der Ruhm der Neuberin stieg. Im Jabre 1710 wurde sie sogar nach Petersburg gerufen. Aber diese Reise scheint ihre Mittel erschöpft zn haben. Von jenem Jahre an gebt eS rückwärts. Ihre besten Kräfte sielen ab. sie selbst war nicht mehr die junge Caroline, wollte es aber doch sein. und erlitt daher durch ihren Eigensinn so manche Niederlage. Ihre Truppe löste sich auf und ihr Mann scheint in Dresden eine kleine An stellung gefunden zu haben. Zu jener Zeit geschah auck der Bruch mit Gottsched. Wohl raffte sie alle ikre Kräfte zusammen und bildete eine neue Truppe, aber da» Glück halte sie verlassen. Sic wendete sich an Lessing und führte reffen „jungen Gelehrten" 1748 in Leipzig auf. DaS ist ihre letzte künstlerische That. Mit der Kunst ging es in Mitteldeutsch land nicht mehr so, wie es zu wünschen war. Die poli tischen Zustände waren der Kunst nicht günstig. Da brach zum Unglück auch noch der siebenjährig« Krieg aus und die Kräfte verließen die alternde Frau. In Dresden winkle ihr bei »hreni alten Freunde Löper ein Asyl. Da zog die Kriegs furie vor die Stadt, die Kanonen donnerten und krank und ge brocken stob die einst so vielfach bewunderte Caroline nach Laubegast. Der Tod ihres Mannes 1759 drückte sie schwer darnieder. Sie überlebte ihn nicht lange. Am 30. November 1760 starb sic arm und vergessen und wurde im Winkel an der KirckbofSniauer begraben. Dir Stätte ziert ein wenige Jahre später errichtete» Kreuz, aber erst der Nachwelt blieb es überlassen, den Werth dieser seltenen Frau zu erkennen und ihr einen Kranz zu siechten.
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