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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.03.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-03-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970323013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897032301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897032301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-03
- Tag1897-03-23
- Monat1897-03
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November 1797 den preußischen Thron ein neuer Köniz, Friedrich Wilhelm HI., bestieg, ein Fürst von schlichtem Wesen und echt lanveSväterlicher Gesinnung, ein Muster der Sparsamkeit und der Gerechtigkeit. Mit ihm und seiner Gemahlin, der herrlichen Königin Luise, trat an die «stelle eine- üppigen und leichtfertigen Hofes ein fast bürgerlich einfaches und ehrbares Familienleben, ein leuchtendes Borbild dem ganzen Volke. Für das deutsche Reich freilich, das damals noch bestand, somit auch für Preußen, als einen Theil desselben, knüpft sich an dir Jahreszahl 1797 das Gedächrniß einer der traurigsten Episoden unserer neuesten vaterländischen Geschichte. Die preußische Regierung hatte noch unter dem vorigen König, um in der Gewinnung und Behauptung von Stücken des getheilten Polens freiere Hand zu haben, sich von dem Bündniß mit Oesterreich gegen Frankreich loSgesagt und den Frieden von Basel geschlossen. In einem geheimen Artikel dazu willigte sie im Voraus in eine etwaige Abtretung des linken RheinuserS an Frankreich seitens des Reichs. Der Moment, wo dieser eventuelle Verzicht wirksam werden sollte, kam bald. Oesterreich, das den Krieg gegen die französische Republik auch nach dem Rücktritt Preußens fortgesetzt halte, sab sich durch die Siege des jungen französischen Oberfetdherrn in Italien, Bona- parle's, genölhigt, den Frieden von Campo - Formio abzu schließen; darin trat eS da- linke Rkeinufer an Frankreich ab. Die Zustimmung des deutschen Reichstages zu dem von beiden Großmächten Beschlossenen war im Voraus gewiß und er folgte denn auch. Damit war ein beträchtliches Stück aus dem Leibe des deutschen Reiches herausgeschnitten, war nun mehr alles Land jenseit» des Rheins preisgegeben, denn am Oberrhein war ja das linke Ufer, Elsaß und Lothringen, schon längst französisch geworden. Wer hätte damals wohl geahnt, daß cS jenem in eben diesem 1797. Jahre geborenen Knäblein, dem zweitältesten Sohne des preußischen Thronfolger», beschieten sein sollte, nicht blos als Jüngling an dem Feldzuge von l8l3—14 theilzunehmen, der das 1797 verloren gegangene linke Rheinufer an Deutschland zurückbrachte, sondern auch als Greis im Silberhaar und Silberbart durch die unter seiner Führung erfochtenen Siege ohne Gleichen Elsaß-Lotbringen für uns zurückzuerobern und so das einst von Ernst Moritz Arndt gesprochene prophetische Wort: „Der Rhein Deutsch lands Strom, nicht Deutschlands Grenze" zur vollen Wahr heit »u machen? Noch eine andere geschichtliche Erinnerung drängt sich unS auf. Wie wäre es möglich, bei der Centenarfeier Kaiser Wilhelm's I. nicht auch von ganzem Herzen seines großen Kanzler«, des MitschöpferS der deutschen Einheit, zu gedenken? Nun wohl, auch dessen Geburt ist der Zeit nach mit einer Wendung unserer deutschen Geschicke verbunden, welche, so lange sie bestand, unsere Nation zu einem im Innern unfreien, nach außen rühmlosen und unwürdigen Dasein verdammte, und welche erst er, der gewaltige Staatsmann, in ihr Gegentheil, die Erhebung Deutsch lands zu einer starken einheitlichen Macht auf festen monarchisch-konstitutionellen Grundlagen, verwandelt hat. Am 1. April 1815 war Otto von Bismarck geboren; am 8. Juni desselben Jahres ward die „deutsche Bundes- acte" unterzeichnet, welche die von allen Patrioten so schmerzlich ersehnte, von der preußischen Regierung vergeblich angeslreble nationale Gestaltung der deutschen Zustände, so viel an ihr war, für immer zu einem bloßen Traumbilde und selbst das Denken daran zu einem Verbrechen machte. Auch damals, wer hätte es für möglich gehalten, daß in der Person des Neugeborenen im Schlosse zu Schönhausen der Retter für Deutschland erstehen würde, dem cs seine politische Neugeburt nach innen und außen zu danken hätte? Ist es nicht eine denkwürdige Schickung, daß die Geburts jahre der beiden großen Werkmeister der Einheit und Macht Deutschlands, des Kaisers Wilhelm I. und des Fürsten Bismarck, Heide durch Ereignisse gekennzeichnet sind, welche Deutschlands Geschicke in einem bedenklichen Niedergange zeigten, und daß diese beiden Männer ausersehen waren, unser Baterland aus diesem Zustande tiefer Versunkenheit mit Einem Male auf den Höhepunct innerer Kraft und äußeren Ansehens zu erheben? Karl Biedermann. Der zweite Tag der Hundertjahrfeier. Feier in Berlin. ch Berlin, 22. März. Berlin batte den 25. Sedantag durch Anlegung eines reichen FestgewandeS begangen. Aber gegenüber dem Schmuck, in den eS sich heute gekleidet bat, verschwindet Alles, was wir seit 1871 erlebt haben. Das Charakteristische der heutigen Ausschmückung der Stadl ist, daß eS allgemein ist. ES kann nickt über raschen, daß die Umgebung des eigentlichen Festplatzes, und zu ihr rechnen mir die ganze Friedrichstadt, in reicherer noch als sonst üblicher Weise beflissen ge wesen ist, sich äußerlich der bevorzugten Lage würdig zu zeigen. Der ergreifende Zug, welcher in der diesmaligen Ausschmückung der Stadt hervortritt, liegt darin, daß sie sich bis in die letzten Ausläufer schmückt. Eine Wanderung durch alle Tbeile Berlins, nicht allein da, wo die Fabriken Tausenden von Arbeitern Arbeitsgelegenheit geben, sondern auch da, wo diese Arbeiter wohnen, zeigt, daß es keine Stelle giebt, welche sich vollständig von der allgemeinen Freude auSschlicßt. Nicht überall aber haben reiche Mittel zur Verfügung gestanden, um mit lebenden Blumen oder mit wertbvollen Gemälden die Vorübergehenden zum Schauen einzuladen. Da haben denn häufig auch die ein facheren Mittel Herhallen müssen, und jenes bescheidene Schaufenster in einer Nebenstraße, in welchem vermuthlich Nils- des ältesten, die Volksschule besuchenden Jungen ZZ.M- Sch"dm°«°r -« I-'.i« b->. m>. S-n° -in Mb--V -- L" nach Abends durch ein kabmter gestelltes ^alglicht nans unregelmäßiger Kranz von Kornblumen zieht, wird aus manchen Beschauer noch einen tieferen Eindruck machen, als jene Lecorationen, auf die Zehntausende verwendet wurden. Tie (knthüllmig Scs Nationalvcnkmals. Mit grauen Wolken war heute früh der Himmel um zogen, eS sab aus, als wenn er seine Schleusten offnen wollte aber schließlich hielt sick das Wetter, ab und zu brach sogar aus dem grauen Gewölk die Sonne hervor und schimmerte eine Weile lcuchieiid auf die bunte, farbenprächtige Scencrie die von Minute zu Minute großartiger wurde Eu, Bild von ungeahnter und unvergeßlicher Pracht. Aus der -^ribui an der Sckloßs'reiheit und vor dem Denkmal war cs schon zu sehr früher Stunde lebendig geworden, Matrosen machten sich an der Leinwandshülle, die das Denkmal des Kaisers barg, zu schaffen, Posten von allen Garderegimentern rückte» an und nahmen vor dem Denkmal Stellung; hier die hoben Gestalten des 1. Garderegiments zu Fuß mit den Blech- inützen; dort leuchteten die weißen Koller der Gardekurasstere auf Die militairischen Abgesandten der fremden Staaten wurden sichtbar; russische Officierr mit ibrcn Fellmütze» eilten bin und her; hier war die militairi,che Begleitung des Herzogs von Genua, des Vertreters des Königs von Italien, österreichische, schwedische, holländische, belgische Uniformen tauchten auf; Leibkürassiere brachten einen Riesen- kranz mit langer Schleife heran; Soldaten der Schloßgarde- compagnie erschienen mit wunderschönen Blumengewinden. Frühzeitig war der Staatssecrelair von Boetlicher gekommen, bald diesen unv jenen Bundesrarhsbevollmächtigten begrüßend; der bayerische Minister von Crailsheim wandelte mit seinem badischen College,, auf und ab und drückte dem württem- bergischen Minister von Mittnacht die Hand. Die Schüler aus den höheren Schulanstalten waren indessen mit ihren Fahnen herangezogen und nahmen aus der Tribüne links von dem Denkmal den, Kaiserzelt gegenüXv Aufstellung. Die Geistlichkeit stellte sich ein und postirte sich vor dem Denkmal; Hofprcdiger Rogge und Generalsuperintendent Dryander waren die ersten auf dem Platze. An der Spitze der katholischen Geistlich keit befand sich der Armeeprobst Astmann. Der Reichs kanzler ging vor dem Kaiserzelt langsam auf und ab. An dem Geueralfeldmarschall Grasen Blumenthal scheint das Älter fast spurlos vorübergegangen zu sein; mit seltener Frische bewegte er sich hin und her. Das SlaatSministeriuin batte sich inzwischen vollständig versammelt und sich mit den Präsidenten, Bicepräsidenten, Schriftführern des Reichstages und des preußischen Landtages, dem Oberprästdenlen von Ackenbach, dem Polizeipräsidenten von Windheim, dem Oberbürgermeister Zelle, dem Stadtverordneten-Vorsteher l)r. Langerbans, den Rectoren der hiesigen Hochschule rechts und link» neben dem Zelt postirt. Alle officiell zur Ent hüllung geladenen Persönlichkeiten waren vom Kaiser mit der Erinnerungsmedaille an den heutigen Tag bereit» decorirt worden. Es war 10l/, Uhr; von den Linden ber kamen brausende, fortwährend sich erneuernde Hochrufe. Der Kaiser batte das Schloß durch Portal V verlassen und sich nach dem Palais Kaiser Wilhelm's I. begeben, um die Fahnen und Standarten der Regimenter, deren Cbes Kaiser Wilhelm I. gewesen, zum Festplatz zu führen. Jetzt brach die Sonne durch und beschien Minuten lang die Festgesellschaft. Auf dem Rotbeu Schloß, der Bauakademie, dem Zeugbause und der Universität standen viele Hunderte von Menschen. Die Tücher weben, ein unendliches Brausen, Trompeten- geschnietter und Trommelwirbel erfüllen die Luft, die Ehrencompagnie naht, vorauf reitet der Commandant von Berlin, Generalmajor v. Natzmer; es folge» die Flügel- akjiitaiiten und dann der Kaiser in der Uniform deS Regiments der Gardes du corpS mit dem Adlcrhelm; hinter ihm die Fahnen, hier die württembergischo, dort die sächsische, weiter die badische; es feblt kein deutsches Heerescontingent. Der Kaiser schwenkt ab und ,nackt dicht vor dem Kaiserzelt Halt. Die Fürstlichkeiten haben dasselbe betreten, zuerst die Kaiserin in einem violetten Costüm; dann die Kaiserin Friedrich ganz in Schwarz. Der fünfte Sohn des Äaiserpaares, Prinz ÖScar, in Matrosen-Kleidung, folgt seiner kaiserlichen Großmutter, mit einem großen Lvrbeerkranz, den der kleine Knabe kaum schleppen kann; weiter wird die hohe Gestalt des Prinzregenten Luitpold von Bayern sichtbar; dann kommt der König von Sachsen, der König von Württemberg, der Großherzog von Baden, aufrecht in der Haltung, aber mit den Spuren ver schweren Krankheit in dem edlen Gesicht. Vorüber zieht die Leibcompagnie des ersten Garde-RegimentS, sie nimmt rechts vom Denkmal Stellung; der Kronprinz und Prinz Eitel Fritz sind bei dem Regiment eingctreten, ebenso die Söhne deS Prinzen Albrecht, alle mit dem orangen- gelben Bande des Schwarzen Adler - Ordens. Das für Berlin ungewohnte Bild einer marschirenden Ab- theiliing der Matrosen - Division bringt einen neuen frischen Zug in daS Bild. Die Blaujacken marschiren vor züglich, die Distanz bleibt dieselbe, schnurgerade sind die Reihen. Mit Wohlgefallen schaut der Kaiser auf die wettergebräunten Gestalten. Wie sie nimmt auch das Lehrinfanteriebataillon aus Potsdam auf der Feststraße Stellung. Der Kaiser commandirl; sein Eommando wird weithin vernommen; die Tambours locken z»m Gebet. Den dumpfen langsam absterbenden Tönen der Trommeln folgen die bellen Signale der Cavallerie. Alle haben die Häupter entblöst; still ist es auf dem weiten Platz geworden; ein Bläsercorps spielt das Lied: „Lobe den Herrn!" Er wartungsvolle Stimmung hat sich Aller bemächtigt. Aus den Reihen der Geistlichkeit tritt der Generalsuperiutendent Fab er hervor; er spricht mit markiger Stimme ein Gebet. Nun commandirt der Kaiser „Abschlagen!", zieht den Pa lasch und coiiiiiiandirt sodann: „Gewehr über, alle Mann topp, laßt fallen!" und läßt präsentiren. In größter Schnelligkeit ziehen die Matrosen die Leinwandhülle, die das Denkmal des FsrriHstsn. Jack Ltrap und der Drummer. (Eine Skizze aus dem amerikanischen BahnhofSleben.) Bon Ludwig Hevesi. Ein Freund unterhielt mich gestern Abend mit Er zählungen auS seiner amerikanischen Reisezeit. Bunte Erlebnisse unter bunten Leuten. Dabei kam er auch auf seinen Koffer zu sprechen. Der Koffer ist für Jeden, der unter DankeeS reist, eine Quelle mannichfaltiger Abenteuer. Zugleich ein Prüfstein christlicher Geduld für frömmere Naturen, während schlimmere Charaktere sich durch ibn eine seltene Virtuosität im Fluchen aneigaeu. Der Koffer ist nämlich ein ungeheurer Schröpskopf, den der transatlantische Gepäckträger dem reisenden Publicum aufsetzt. Da ist die dickste Haut unnütz, eS kommt Blut. Mein Freund erfuhr die« gleich bei seinem ersten Ausflug in den Vereinigten Staaten; von New Jork nach Niagara Falls. Er batte sich bei dem allerersten Kvfferfabrikanten Wiens den aller besten Koffer gekauft. Gut genug für eine Reise in die Ewig keit. Ganz au« dem dicksten Schweinsleder, aber da« betreffende Schwein mußt« schon an da« Rhinozeros gegrenzt haben. Dieser dickhäutige Koffer hatte überdies einen Boden au« solidem Zinkblech. Darüber wurde wohl anfangs der erfahrene Käufer stutzig, allein der Fabrikant versicherte ihm, daß gerade dies der Gipfel der Unverwüstlichkeit bedeute. „Solche Koffer sind schon fünfmal um die Erd« gereist, ohne sich zu rühren", sagt« er, worin zwar ein gewisser Wider spruch liegt. Bezahlen ließ er sich 180 Gulden, wa« gerade genug ist, um den Anspruch auf einen relativ unzerreißlichen Koffer zu rechtfertigen. Sehr zuversichtlich gab also mein Freund in New Aork den Koffer nach Niagara Falls auf, allein als er im dortigen Depot ankam — Depot heißen in Amerika die Bahnhöfe, — da empfing ibn ein CboruS von Gepäckträgern, auf deren Gesichtern ein ergrnthümlicher Aus druck von ironischer Ueberlegenheit lag. Dieser Ausdruck soll bisher thatsächlich nur in den Physiognomien amerikanischer Gepäckträger beobachtet worden sein. Diese Herren meldeten ihm mit der Betonung, al« ob sie etwa« Selbstverständliche« seststelllen, daß sein Koffer entzwei sei. In der That, der berühmte Zinkboden war den hier maßgebenden Mächten als zu verlockender AngriffSpunct erschienen; er hing lose und ließ allerlei Aermel und Cravattenschlrifen durch, die entschieden besser im Innern verwahrt bleiben. «Thut nicht«, wir werde« einen Riemen umlegen", hieß e- ermulhigead. Drei Mann umschnürteo also de« Koffer mit einem breite» Lederriemen, so fest, daß er au<sa- «l« «ach einem Eiseubahazusammen- stoß. „Etwas Gegendruck, Sir; einen zweiten Riemen!" hieß es nun. Der zweite Riemen bog dann alles Schiefe wieder gerade. Im Kofferschnüren haben diese Leute es zu einer eigenen Kunst gebracht. Noch größer ist freilich ihre Kunst des „KvffersmaschenS", d. h. KofferzerschmeißenS. Die« ist der allgemein gebräuchliche Ausdruck dafür. Im ganzen amerikanischen Verkehrsnetz führen die Gepäckträger den Fach namen „baggagtz-smLsderg". Nach den gewiegtesten Kennern des jenseitigen Eisenbahnwesens ist der Koffer, den sie nicht „smaschen" können, überbaupt noch nicht erfunden. Dagegen lassen sie sich für jeden Riemen zwei Dollars bezahlen. Das ist in der That ihr eigentliches Geschäft, mit dem bekannten grünen Zweig, auf den sie zu kommen wünschen. Ein Riemen aber Hecht auf Anglo - Amerikanisch „strnx". Jack Strap kann also als typischer Eigenname für einen gewerbemäßigen „hLgeugs-swnstier" gelten. Der Mann aber, mit dem Jack Strap am meisten in Be rührung kommt, ist ver sogenannte „ärummsr", was drüben keinen Trommler, sondern einen Handlungsreisenden bedeutet, weil er ja wie mit der Trommel Kunden fangen muß. An den Waarenkoffern deS Drummers bat Jack Strap sich jeden falls den größten Theil seiner Geläufigkeit im Smaschen von Bagage erworben. Vergeben« strengt der Drummer seine Schlauheit an, um seine Koffer immer widerstandsfähiger zu machen; auch der Bagagesmascher ist ein Dankee und weiß mit jedem solchen Festungswerk fertig zu werden. ES wüthet in Amerika seit undenklichen Zeiten ein förmlicher Bürger krieg zwischen dem Drummer und dem Bagagesmascher. Sie bekriegen sich, wie die Erfinder von immer stärkeren Schiffs kanonen und die von immer stärkeren Panzerplatten. Und alle Vereinigten Staaten sehen in begreiflicher Spannung zu, wie der Streitfall ,Drummer contra, büggage-MLsder" sich entwickelt. Auch eine Menge lustiger und tragischer Geschichten ist über diese« Nationalthema im Umlauf. Vermuthlich hat sogar Mark Twain dergleichen erfunden. Die folgende aber ist, wie mir mein Freund versichert, niemals gedruckt worden, sondern gebt drüben unter den Drummer« von Mund zu Mund, unv die GepäcksmascherS ärgern sich darüber. Mr. Drummer also, geben wir ihm diesen Namen — bringt sein Leben auf deu amerikanische» Railroad« zu und in jedem nennenswerthen Depot (Bahnhof) ist ihm schon ein Koffer „gesmascht" worden. Er hat schon ein Vermöge» für Straps auSgegeben, und ein zweites auf Experimente, wie er jene« erste ersparen könnte. Er hat jede Art von Leder, Holz, Blech versucht; stumpfere und spitzere Winkel; Eckkappen und Bänder aus den verläßlichsten Stoffen; Nägel aus allen Metallen in Läng«-, Quer- und Diagonalreihrn, oder in geometrischen Mustern, dazu äußere Versteifungen und innere Pölzungen; das Schubsystem, Klappsysten, Einlagrsystem — alles umsonst. Da« Ideal des „unsmaschbaren Koffers" hat er nicht erreicht. Jack Strap würde die CitadeUen in der New Jorker Bucht smaschen, wenn er sie eine halbe Minute auf der Schulter hätte. Immer wiever kam Mr. Drummer mit neuem Vertrauen auf den Bahnhof, denn er ist ein un verbesserlicher Sanguiniker, und sah zu, wie Jack Strap seinen neuerdings verbesserten Koffer auf die «Schulter nahm. Kaum daß Jack Strap einen Blick auf daS neue System warf; wenn er das Ding griff und schwang, spürte er sofort alle seine constructiven Geheimnisse und equilibristischen Mucken heraus. Ein Paar- Schritte damit und es kam ein Stein des Anstoßes, ja, man kann sagen, der Stein deS einzigen Anstoßes, der diesem speciellen Koffer den speciellen Garaus machen konnte. Jack Strap ist ein Smaschergenie. Bald war es ein Treppen geländer, auf das eine Ecke — jedenfalls die richtige Ecke — de« Koffers, wie um sich einen Augenblick zu stützen, ganz leicht aufstirß. Es knackste nur ein klein wenig, aber der Koffer klaffte davon auseinander, gleich nach zwei oder drei Richtungen. Es war wie das Kunststück, eine Steinnuß durch einen scheinbar gelinden Schlag mit der bloßen Hand zu knacken. Jack Strap knackte einen Koffer wie eine Nuß. Das andere Mal — wieder ein neues System — genügte ein Ruck auf der Schulter, um gleichsam den Schwerpunkt der Masse plötzlich zu verrenken. Der Koffer barst nicht, aber seine Schlösser sprangen wie auf Coinmando auf, er war vor der Hand unverschließbar gemacht. Noch andere Systeme wurden vierhändig bewältigt; durch Carambolagen, die auf dem Billard nicht genauer zu berechnen wären. Der eine Koffer stemmte den anderen auf, wie der Lazzarone mit der Schneide der einen Muschel die andere öffnet. Mancher Koffer freilich verlangte einen Sturz, um rieliiciibedürftig zu werden. Nun, da ließ man ihn auf die bewährteste Weise fallen, genau so hoch, als es nötbig war. Mr. Drummer war wüthend. Helfen konnte er sich nicht, aber rächen wollte er sich an Jack Strap, dem Koffersmascher. Der sollte an ihn denken! Und er setzte sich hin und erfand eine Erfindung, wie sie der Teufel allenfalls machen könnte, wenn er ein Janker wäre. Er ist aber keiner. Mr. Drummer ließ sich nämlich einen Koffer machen, der gar keiner war. Einen massiven Block vom kernigsten Eichenholz, in voller Kraft des Baumwuchses geschnitten, ließ er so bearbeiten, daß er genau die Form eines Koffers hatte. Dann ließ er ihn mit Kofferleinwanb knapp überziehen, regelrecht beschlagen unv benageln, mit Handgriffen und Schlössern versehen; selbst das Lebcrrähnichen mit seiner Namenskarte fehlte „ich, und etliche Hotcladressen waren rechts und links aufgeklebt. ES war ein Koffer, wie hunderttausend Koffer in den Ver einigten Staaten reisen und vorschriftsmäßig gesmascht und dann gestrapt werden, zu zwei Dollars der Riemen. Mit Vieser Höllenmaschine fuhr er nach dem Central-Depot DaS ist jener große dreistöckige Bahnhof in New York, wo im ersten Stock der Zug nach Philadelphia abgebt, i„, zweiten der nach Buffalo und .m drilteo . . . sag«« wir, der nach dem Mont. E,n sehr zweckmäßiger Bahnhof, wie sich sofort zeigen wird. ' Mr. Drummer fährt also vor und im Nu hat Jack Strap seinen Koffer auf der rechten Schulter. Mr Drummer schärft ibm noch dringend ein, er bittet ihn form-' g'ben, da der KoIer zerbrechliches Zeug enthalte, kostbare Gla)er, die nicht zu Schaden kommen dürsten. ..^N rigk.t, ' tlUgrAliete Jack Strap, der Koffersmascher, sehr dienst- iHnrg und Lenkt sich dabei sein Theil. Warum nicht gar: Mr. Drummer'S Gläsern zuliebe wird man im Gepäckvienst durchgreifende Neuerungen einführen! Nur ein Grünhorn erster Claffe kann das voraussetzen. Und hinein in die Halle und nach etlichen Schritten eine Bewegung . . . und nicht einmal das, bloS ein leichte« Vibriren im Zusammenhang der Dinge ... und der Koffer überschlägt sich nach hinten, kugelt über Jack Strap breiten Rücken hinab auf den Asphalt. „Oh!" sagt Jack sehr gelassen, weil ein solcher Ausruf dabei her kömmlich ist und hat gar keine Eile, sich umzusehen. Wie eS hinter ihm aussiebt, das weiß er ja ohnehin genau, er bat die Resultate dieser Art von Sma)ch tausend Mal mit schier mathematischer Folgerichtigkeit eintreten sehen. Wie er aber jenen Blick hinter sich wirft, mit dem der Matador an der Leiche deS kunstgerecht erlegten Stiere« steht, erstarrt sein Herz. Wär's möglich? Der Koffer ist ganz geblieben! Ihm, Jack Strap, dem Smaschkünstler! Wer hat ihm das angelhan? Der Zorn steigt ibm in die Stirnader, denn nun merkt er bereits, daß seine College» ibn höhnisch angucken und Glossen über den Fall machen. Er gilt ihnen augen scheinlich als Stümper; vielleicht wird man ihn aus der Gilde ausstoßen, wie er es ja leider verdient. Grimmig stürzt e» sich auf den Koffer, schwingt ibn empor und eilt, drei um drei Stufen, die Treppe hinan in den zweiten Stock, wo es nach Buffalo abgebt. Ein Achselzucken und der Koffer stiegt über das Geländer hinab ins Erdgeschoß. Jetzt muß er er entzwei, und wen» er aus Stahlblech geschweißt ist. Aber wie er ihm nachschaut, traut er seinen Augen nickt. Eine ganze Grube hat der Koffer in den Asphalt geschlagen und ihm hat der Sturz nicht geschadet. Ja, er ist noch lustig und springt mannshoch in die Luft wie ein Gummiball, zwei Mal, drei Mal. Ein höhnisches Gelachter geht unten los. Alle Gepäckträger laufen zusammen und sehen zu. „Wer hat den fallen lassen? Ach, Der! Nun, daS war längst vorauszuseben. So ein Milchlutscher! So ein zweibeiniger Talgstumpsen! So ein abgebrochener Pumpenschwengel! Holla, Jack, zehn Cent« weniger einen Dollar, wenn Du daS Kunst stück wiederholst!" .... Jack Strap'« Gehirn drehte sich im Kreise, so daß kein Weizenkorn zwischen seinen Halswirbeln unzermahlen blieb. Er taumelte die Treppe binab und dann wieder die Treppe hinauf, jenen SatanS- koffer auf dem Nacken, bis in den dritten Stock, wo cs nach... sagen wir, dem Monde geht. Vom dritten Stock wollte er ihn hinabwerfen, denn gesmascht mußle er werden, nun ging es um Ebre und Brod. Er balle dabeim Weib und Kino ... Reisende und Gepäckzerschineißer stürmten hinter ihm drein, denn er sah fürchterlich aus; kalkweiß, die Augen gläsern, der bedauernSwerthe Leichnam eines BagagesmaschcrS! Al« sie oben ankamen, verstummten sie schaudernd. Da stand der unzerschmeißbare Koffer» so ganz, daß etwas Ganzere« nur „och schwer denkbar ist ... und auf ihm saß Jack Strap, einst König der hkigguge-swusders, der schon Genera tioncn von Koffern rühmlich gesmascht halte, mausetodt. Ein Herzsmasch hatte seinen glänzenden Lebenslauf so sensationell zum Stillstand gebracht. (Weser-Zeitung.)
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