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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.03.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-03-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970329017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897032901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897032901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-03
- Tag1897-03-29
- Monat1897-03
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Reklamen unter dem RrdactionKsrrich («ge spalten) ÜO/>j, vor den Familiennachrich»» (8 gespalten) 40/4- idröhere Gchrifteu laut unserem Preis- verzeichoiß. Tabellarischer und Ziffrrnjutz «ach höherem T«Ü. Extra-Veilaien (gesalzt), uur mit de« Mora» - Ausgabe, ohae Posrbesvrderuag »l 60—, mit Postbesörderung >4 70.—. Auuahmeschluß für Anzeige«: Sbead-An»gabe: Vormittag» 10 Uhr Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen fr eine halbe Stunde früher. Anzeigen find stet» an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 91. Jahrgang. Geschichte -er Pleißenburg. i. Nachdruck vrrd.tm. Eme der ausfallendsten Erscheinungen moderner Groß- slädle ist die Gleichartigkeit ihre» Gepräge», während die Eigenthümlichkriten, die den Ort charakterisiren, in ihnen mehr und mehr zurücktreten. In diesem Sinne kann jetzt Leipzig treffender als viele andere Slädle gleicher Einwohner zahl eine moderne Großstadt genannt werden. Gerade in allerletzter Zeit hat die Stadt in dieser Richtung eine sehr rasch rorwärtSschreitende Entwickelung genommen, welche in ihrem Verlaufe viele» von dem, wa» ihr vorher besonders eigen war, vernichtet hat. Auch die Pleißenburg, die alte sächsische Fürstenresidenz und Landesfestung, ist vom 1. April 1897 ab dem Untergang verfallen. Sie gehörte von jeher zu den geschichtlich denk würdigsten Bauwerken Leipzig». Wer freilich bei Tage an den langen Casernenfronten vorübergeht, wird zunächst schwerlich auf den Gedanken kommen, daß sie auf eine große, ehrwürdige und schicksalsreiche Bergangenheit zurückblicken kann; erst bei genauerer Betrachtung, besonder» im Innern, tritt ihr Alter und ihre interessante Anlage deutlicher hervor. Des Nacht» aber, wenn die Gebäude aafangen zu leben, bedarf es blo» eine« kurzen Gange» von einem der der Pleißenburg benachbarten großstädtischen Plätze herab in ihren großen stillen Hof, um den Eindruck zu gewinnen, daß in ihr ein Stück einer vergangenen Zeit zum Theil noch erhalten geblieben ist. Hier ist der Besucher wirklich um Jahrhunderte hinuntergestieaen, und er kann hier noch die Beobachtung Goethe'», dem sich wie überall so auch in Leipzig der gsuius loci trefflich offenbart hat, bestätigt finden, „für den die Stadt in stillen Momenten etwas Imposante» hatte und den die im Mondschein halb beschatteten, halb be leuchteten Gebäude oft zu nächtlichen Promenaden einluden". Und auch da» wechselreiche, bald in Hellen, bald in dunklen Farben gemalte Schicksal der Pleißenburg ladet den Geist zum Nachdenken ein; denn in ihrer Jahrhunderte um- ipannenden Geschichte finden sich die großen Ereignisse, die über die Stadt Leipzig, da» sächsische Fürstenhaus, selbst über da» deutsche Land hinweggegangen sind, in bunter Folge wieder. Das erste Mal, al» Leipzig au» dem Dunkel der Ge schichte, da» vorher über diesem Ort lagert, scharf hervor tritt, ist um die Wende de» zwölften Jahrhunderts. Im elften bis dreizehnten Jahrhundert vollzieben sich die großen, allgemein bekannten Ereignisse der veutschen Kaisergrschichte am Rhein und in Italien, zugleich aber geht eine andere, weniger auffallende, jedoch nicht minder wichtige Entwickelung nebenher. Die deutsche Nation machte in Viesen Zeilen über die Elbe hinweg bis zur Oder ihre colonialen Eroberungen, welche bis beute der größte und sicherste Erwerb, den Deutsch land jemals gemacht hat, geblieben sind. Auch Leipzig liegt auf colonialem Grunde. In die über diesen Ort führenden Verkehrsadern, denen Leipzig seine Entstehung und damals wie heute noch seine Ent- Wickelung zur bedeutsamen Stadt verdankt, war im Laufe deS zwölften Jahrhunderts kräftiges Leben getreten. So finden wir Leipzig am Anfang deS dreizehnten Jahrhunderts als aufblühende Landstadt der Wettiner, und mit diesem Aufblühen selbst beginnt zugleich der Kampf gegen di« e» be herrschenden weltlichen Fürsten. Diese Erscheinung wieder holt sich in Deutschland unzählige Male daS ganze Mittel- alter hindurch, daß, je mehr eine Stadt an Macht und Reichthum gewinnt, auch in ihren Bewohnern daS Be streben hervortritt, die sie beherrschenden geistlichen oder weltlichen Gewalten abzuschütteln und freie Reichsstadt zu werde». ^ Im Jahre 1213 war Dietrich der Bedrängte Markgraf von Meißen und im Osterland und Leipzig der Hauptort de- Osterlandes. Dietrich ließ nun in seiner Stadt Leipztg eine Menge Baumaterial aufhaufen, um dem heiligen Thomas ein Kloster zu bauen. Ob dies wirklich seine Absicht oder nur Borwand zu Anderem war, ist nicht zu erkennen. Jedenfalls mögen damals die Bewohner Leipzigs Letzteres angenommen haben. Sie erregten einen Tumult, vernichteten das Baumaterial und jagten den Abt deS künftigen Klosters, der sich pro torma schon in der Stadt befand, hinweg. Um ihren Widerstand zu stärken, verbanden sie sich mit mehreren Adligen der Umgegend, und es folgten nun einige Jahre des Krieges zwischen dem Markgrafen und der Stadt. Der Markgraf belagerte in den Sommern Leipzig, mußte aber stets im Winter unverrichteter Sache wieder abziehen. Schließlich kam ein Vergleich zu Stande, wonach Dietrich in der Hauptsache nachaedrn und versprechen mußte, keine neuen Burgen in und bei Leipzig anzulegen. Hinter den Leipzigern stand in diesen Kämpfen der Welfe Otto IV., der Gegenkönig Friedrich'- II. des Hohenstaufen, wie wir überhaupt mehrmals in Leipzigs frühester Geschichte Beziehungen deS Ortes zu den Braunschweiger Welfen begegnen. Dietrich der Wettiner hat diesen Vergleich Wohl nur als Aufschub betrachtet; hätte er dauernde Geltung erlangt, so wäre hierin für Leipzig ein erster Ausgangspunkt zu seiner Loslösung von der Herrschaft der Wettiner und zur Erwerbung der Reichs- freiheit erlangt gewesen. Als jedoch Friedrich II. der Hohenstause im Jahre 1217 als anerkannter deutscher König im Osterlanb eintraf, kam er Dietrich dem Bedrängten wie gerufen, ihm gegen Leipzig zu helfen. Hier zeigt sich eine enge Verknüpfung dieser beiden geistesverwandten Geschlechter, der Staufen und der Wettiner. Geistesverwandt sind die damaligen Wettiner den Hohenstaufen jedenfalls in Bezug aus die uner schöpfliche Thalkraft, mit der sie zu ihren Zielen zu gelangen suchen und mit der sie in diesen Gebieten, wo alle culturellen Verhältnisse sich noch zu bilden begannen, ihre Herrschaft befestigen. Auch das, was jetzt in Leipzig geschieht, ist ein Zeichen davon. Den vorhergehenden Sieg batten die Leipziger im Grunde Otto IV. und dem Erzbischof von Magdeburg zu verdanken, die vielleicht selbst auf die Stadt Absichten ge habt haben mögen. Tie Stadt war aber bereits zu stark, als daß eine Belagerung raschen Erfolg versprochen hätte. Auf eine Botschaft des König», daß er komme, um den Streit der Stadt mit ihrem Markgrafen eudgiltig zu schlickten, lassen die Bürger ihn und den Markgrafen mit geringer Besatzung ein. Hierauf verstärken sich die Königlichen und Markgräflichen von Tag zu Tag in der Stadt, indem sie sich unter allerlei Vorwänden beimlick und verkleidet ein schleichen, bis sie schließlich so zahlreich sind, daß der Gewalt act auSgrführt werden kann. Die Bürger werden NachtS einzeln in ihren Wohnungen aufgehoben und die Thore besetzt; als rin Theil von ihnen sich am RathhauS zu- sammenrottrn und die Sturmglocke läuten will, versagt diese den Ton; denn der vorsorgliche Markgraf hatte auch hieran gedacht und bereit» heimlich den Klöppel auSbeben lassen. Der Erfolg war, daß der Markgraf die Stadt unbedingt unter seine Herrschaft bekam. Leipzigs Freiheiten wurden cassirt und seine Befestigungen niedergeriffen; an Stelle der selben erbaute der Markgraf zunächst als echter Sohn deS Mittelalter», um das Decvrum zu wahren, das TbomaS- kloster; ferner aber — und dies war die Hauptsache — begannen sich jetzt an den drei Ecken der Stadt drei mark- L7d.r,-».- w° i-s- »°« W->ß-nd-rg ""N-" ZL h.> „m." -'b°L Dietrich der Bedrängte starb l22l; ,bm folgte der dama erst dreijährige Heinrich der Erlauchte. Jetzt, wo die s.rule sichere Hand nickt mehr waltete, tvußten die Le'P)lger 'N den Händeln, die sick während der Mmderjahrigke, Hemrich ö zwischen seiner Mutter und dem Landgrafen Ludwig den Heiligen von Thüringen entspannen, bald eine Gelegenhe, zu finden, die ihnen die Beseitigung deS einen der dre Schlösser ermöglichte. U». das Jabr 1223 wurde daS an, späteren Grimmaischen Thore gelegene Schloß abgetragen. Um seine Wiedererbauung unmöglich ^ dann di-Leidiger ein sehr g-sck'ckteS Mittel. Sie dberl.-ß n den Platz an diejenige Macht, wrlcke damals am jchwersten von dem, was sie einmal eingenommen hatte, zu wercken pflegte, an die Kirche, und so erhob sich hier seit 1229 das Dominikaner Kloster zu St. Paul und spater die Un,- " Geschicke deS zweiten Schlosses sind, wenn e» über haupt deren wichtige aufzuweisen gehabt Kat, völlig m Dunkel gehüllt. Nach einer Nackricht fangen am Ende deS funszebnten Jahrhunderts die Franziskaner (Barfüßer) an, einen Tbell der ihnen überlassenen Gebäude dieses Schlösse- zu ihren Zwecken umzubauen; dem gleichen Schicksal wird wohl später daS ganze Schloß verfallen sein. Di- Barsüßer-Kirche wurde dann zur Neuen Kirche, der tz>.a. ^ . Ma-'thäikircke Mit der Geschichte de» dritten Schlosses bebt die Bor- geschickte der Pleißenburg an. Während die beiden andern Schlösser bald ihre Wichtigkeit einbüßten, batte diese- daS ganze Mittelalter hindurch die Bestimmung, als feste Zwing burg Leipzigs zu dienen. Nach der Anschauung dieser Zeit gehörte die alte Pleißenburg zu den sogenannten Wasser- Vesten, daS beißt zu den Burgen, welche in der Ebene am Ufer eines Gewässers gegründet waren. Eins der besten Beispiele hierfür liefert die sogenannte Wasserburg zu Meißen. Diese, die älteste jener an Burgen so reichen Stadt, lag im Niederland, dickt am Elbufer, während die vielen anderen Schlösser deS OrteS auf den Höben erbaut waren. Den Wettinern freilich begegnen wir seiten in den Mauern der alten Pleißenburg. Viele andere Städte Sachsens be wahren noch jetzt in den Schlössern, die dem Aufenthalt der Wettiner ihren Ursprung verdankt baden, ihren besten künst lerischen, geschichtlichen oder malerischen Schmuck. Dies ist bei Leipzig nickt der Fall. Niemals — ausgenommen in der ersten Hälfte de« sechzehnten Jahrhunderts und zur Zeit der säcksisckcn Pvlenkönige, August'» deS Starken und seines Nachfolgers — haben die sächsischen Fürsten sich Leipzig zu der Leipziger Geschichte, in denen die Stadt von den Wet tinern fast geflissentlich gemieden worden ist. Auch die Pleißenburg des Mittelalter« ist nie eine eigentliche Fürsten- resibenz gewesen. Zunächst schweigen über sie, ebenso wie über die beiten Geschwisterburgen die Nachrichten. Die wichtigsten äußeren Ereignisse Leipzigs aus der späteren Zeit de« Mittelalter« sind die Kämpfe um den Besitz der Stadt, welche der Thüringische Erbfolgekrieg ums Jahr 1293 und dann der Krieg Friedrich'- und Tietzmann'S, der Söhne Aldreckt'S des Unartigen, gegen den deutschen König Adolf von Nassau um die Wende des 13. Jahrhunderts mit sich brachten. Hier bleibt überall die Pleißenburg unerwähnt, obgleich unzweifel haft anzunehmen ist, daß sie in diesen Kämpfen jedesmal eine Nolle gespielt bat. Auch aus den folgenden hundert und fünfzig Jahren sind bedeutende geschichtliche Ereignisse über die alte Pleißenburg nicht zu berichten. Im Jabre 1438 besiegte Friedrich der Streitbare bei Brüx in Böhmen, die Hussiten. „Die gefangenen Hussiten wurden in unterschiedliche Städte, auch nach Leipzig geführt und die Gefängnisse und Thürme mit ihnen angefüllt, worinnen sie auch meistentbeilS gestorben sind." Hier be ginnen sich also die Räume der Pleißenburg, bezeichnend für einen großen Zeitraum ihrer Geschichte, mit jenen unglück lichen oder unheimlichen Gästen, den Gefangenen, zu fülle». Dieser Gefangenen sind unendlich viele Arten auf der Pleißen- burg gewesen — Stichproben der sächsischen Geschichte — Hussiten, Lutheraner, Krvptocalvinisten, polnische Adelige, preußische Soldatenwerber, Deserteurs und im Sommer 1813 ein Theil der von Napoleon I. während des Waffenstillstands widerrechtlich gefangen genommenen Lützower Freiwilligen. Schließlich hat die Pleißenburg während der Jahre 1870 und 1871 mehrere Tausend französischer Kriegsgefangener beherbergt. Erst zu Ende deS Mittelalters nimmt das, was von der Pleißenburg berichtet wird, kellere Gestalt an. Im November 1485 bewohnten sie Ernst und Aldreckt, die Söhne Friedrich'« de« Sanftmütbigen, al« diese nach Leipzig gekommen waren, um hier ihre Crbländer zu theilen. Der Act der Theilung selbst fand auf dem Rathhause statt. Diese Theilung bat die beiden Länder Thüringen und Meißen fast für immer getrennt. Damals war sie jedoch kein außerordentliches Ereigniß und nur eine der unzählige» Ländrrtheilunzen. wie sie im Mittelalter unter Fürstenhäusern üblich waren. Ader die Geschichte hat gewollt, daß gerade durck sie vier Jahrhunderte hindurch zeltender Zustand ge- schaffen wurde, der noch heute in der Gestaltung Mittel deutschlands wiederzufinden ist. Mit dem Meißner Tbeil kam Leipzig an die Albertinischen Fürsten, und die Pleißenburg wurde von ihnen jetzt häufiger al« Resibenz gewählt; i» den Urkunden Georgs deS Bärtigen wird sie deshalb auch „unser fürstliches Schloß zu Leipzig- genannt. Die Regierung Herzog Georg'S (1500—1539) fällt in die Epoche der deutschen Kirchenresormation. Dieses Zeit alter und das Neuerwachen unserer Nationalliteratur Ende des vorigen Jahrbunderls sind die beiden Perioden der neueren deutschen Geschickte, denen wir immer noch da» Beste unserer modernen Cultur zu verdanken haben. Gerade in riesen beiden Perioden fällt ein Heller Strahl der großen deutschen Geschichte auf die sonst unscheinbare Pleißenburg. Die beiden größten deutschen Geistesbelden der neueren Zeit, Luther und Goethe, baden in den entscheidenden Jahren ihres. Lebens sie betreten, und was diesen Beiden in jenen Mauern begegnete, sollte auf ihre geistige Entwickelung von gewaltigem Einfluß werden. FerriHeton. Die Töchter des Iujthraths. Humoristische Novellette der Wirklichkeit nachrrzählt von Anua Gaevko«. Nachdruck vkrtotm. Sie Waren die Töchter eines bekannten JustizrathS und die lieblichsten Geschöpfe, denen ich je im Leben begegnete. Als ich sie zuerst sah, standen sie im Begriff, mit ihren Eltern zum Juristenball zu fahren; sie hatten rosa Tarlatan- kleider an, Kränze von RosrnknoSpen in dem Haar und boten einen so entzückenden Anblick, daß mir buchstäblich da- Wort der Bewunderung, da» mir aus dir Lippen trat, so vieler Anmuth gegenüber flach und schal vorkam. Natürlich fehlte r» dem lieblichen Schwestrrpaare nicht an Bewerbern, und gar nicht lange dauerte e», so hatte ich auch die VerlobungSanzeigra der jungen Mädchen in meinen Händen und sah, daß sich die Aeltestr, di« braunäugige, draunhaarige Martha, einen Philologen zum Lebensgefährten erwählt, während dir jüngere, blondlockige Frieda idr Ge schick vertrauensvoll in die Hand eines Doctor» der Ehemie, der, wir ick wußte, in der Provinz eine gut gehende Apotheke besaß, gelegt hatte. Bi» hierher bot nun da» Leben meiner jungen Freundinnen nicht» Außerordentliche», und ihr Schicksal glich ganz dem, wa» auch anderen Mädchen begegnet. Aber e» kommt! Noch vermochte der ernsthaft« Doctor der Philologie sein Glück nicht zu fassen, noch meinte er immer, die schöne Wirklichkeit al» Traum zerrinne« zu sehen, wen« er daran dacht«, daß Martha G. - - da» viel bewunderte, viel um worbene Mädchen, eiugewilligt, die Seine zu werden. Mit einer Art ehrfurchtsvoller Scheu begegnete der stille Mann noch immer seiner Verlobten und bewunderte jede» Wort, jede» Rühren der kleinen, weißen Hand bei ihr. „Du wirst e» einmal gut haben*, beneideten die Freundinnen da» Mädchen um sein Glück. „In jeder Brautzeit finden fich doch ab und zu klein« Meinungsverschiedenheiten, ein wenig Krieg; aber bei Euch schwebst Du al» Engel über dem Ganzen, und gieb Acht, er betet Dich auch noch bei der goldenen Hochzeit an und behauptet, solch vollkommenes Wesen, wie Du, existire I nicht noch einmal unter brr Sonne.* Martha lächelte befriedigt. Es war ganz hübsch, sich so verherrlicht zu sehen, und ganz bequem, den Standpunct ein- zunebmen, den ihr die Liebe des Bräutigams gab. „Wenn ich Dich sehe, meine Martha, und dann die meisten anderen Damen, die ich kenne, wie viel Geschraubt heit, wie viel Geziertheit, wie viel Unnatur bei ihnen!' rief der glückliche, verliebte Bräutigam eines TagcS im Ueber- schwange seiner Gefühle. „Mit dein falschen Haare, da- sie de» Morgen« aufstecken, legen sie zugleich die trügerische MaSke vor, die über Hohlheit deS Innern, Eitelkeit und Ge fallsucht hinforttäuschen soll, nein, ich Preise mein Geschick, daS Dick mir zugeführt. Dich, die Wahre, au der kein Titelchen Falsch zu finden ist.* Martha barg den braunen Kopf an der Schulter de» Erwählten, sie erwiderte kein Wort, aber der Schlag ihre» Herzens ging höher und die Wangen erglühten in einem dunklen Roth. Und während hier der Doctor der Philologie einen Hymnu» zu Ehren der Geliebten sang, war auch der Doctor der Chemie nicht untbätig, kämpfte mannhaft in einem Strauße, der die häuslichen Tugenden der Dame« der Jetzt zeit im Allgemeinen, dir seiner Braut im Besonderen cmgriff, und trocknete mehr al» einmal die Hellen Schweißtropfen von der Stirn, wenn die Debatte gar zu heftig und gar zu laut werden wollte. Er war au» der Provinzstadt, wo er seine Apotbeke batte, wie schon öfter, seitdem er sich verlobt, nach der Residenz brrüberaekommen, und da jetzt seine verheiratbung in allernächster Zeit bevorstand, batten ibn seine drei besten Freund« noch einmal zu einem gemütblichen Junggesellen abend, in demselben Restaurant, eingeladrn, in dem er vormal«, al« er noch Provisor in der Hofapotheke gewesen war, viel verkehrte. Zunächst war dem glücklichen Bräutigam von den Gastgeber« wie einem Abtrünnigen. Verblendeten begegnet worden. Man bemitleidete ibn der Fesseln wegen, in di« er sich schmieden ließ, man warnte ihn vor dem Pantoffel, der von zarter Hand geschwungen werden würde, und schließlich, al» der Kellner gerade na sehr schmackhafte« Fleischgericht aufgetraaen hatte, rief der dick« Mediciner: „Unglücklicher, wcr wirst Du Dich nach den Fleischtöpfen versalzenen Suppen und angedrannten Speise» beginnt!* „Ob, meine Braut kann kochen", schaltete der junge Apo theker einigermaßen geärgert ein. ..Just so, wie meine vier Cousinen*, lachte der gemüthliche Affeflor, „in der Theorie, aber nicht in der Praxis. Könnten sie e«, ich hätte mich längst für eine entschieden, aber, komme ich hin. sehe ich sie wohl unter allerlei Gemüse begraben, aber nur, um die Mohrrüben und Koblköpfe, die Birnen und Aepfel, die Artischocken und die Melonen auf der Leinwand niederzumalen.* „Nun gut. wa» Ihr nicht glaubt, müßt Ihr sehen", sagte der Apotheker mit einer Art verbissenen GrimmeS, „am Sonn abend werden wir daheim ankommen, denn Sonnabend über drei Wochen ist unsere Hochzeit, acht Tage wollen wir in Dresden bleiben und am Sonntag darauf speist ihr bei uns, eine Mahlzeit, die. wie ich Such verspreche, meine Frida allein zubereitet haben soll." „Wir kommen Alle", so tönt« e» durcheinander, und die schlanken, mit Champagner gefüllten Kelche gaben beim An- stoßen einen bellen Klang, der die Stimmung der Trinker zu ungrtrübker Lust, harmloser Freude anfachte. . Die beiden Schwestern verheirathecen sick an einem Tage, sahen bildhübsch und verklärt durch bräutliche« Glück aus und trugen da« Haar wiederum so zwanglos in Locken arran- girt w,e damals, al» ich sie zuerst gesehen und sie im Begriff gewesen waren, zum Juristendall zu fahren. Ich war. als nabe Verwandte, noch kurz vor der Trauung in der elterlichen Bebausiing der Mädchen gewesen und batte eS bewundert "" d'e Frau Justizräthin, die immer für energische Hausfrau gegolten, zu vrr- vlelfaliigen schien um allen Anforderungen an diesem feier lichen Tage gerecht werden zu können. Sie war überall ru ^'Ppelte von den Zimmern »ach der Kücke und kehrte wieder zurück, und selbst, als die Schwieger- söhne schon m Gala erschienen, hatte sie noch diese und jene Ermahnung für die Töchter, zupfte und strich glatt und Päckchen, da» Martha, die «eltest'e zu z^srsi,.^" nächsten Tage wohlversorgt ».-^'^^^ ^"^^.fiiffen. Bräutigam hinzu und ün» ^2.^n k'n, und dann fuhren die Hochzeitskutschen vor und brachten r,n paar Bräute vor die Kirchentbür, an Freude hatten. Von dem belebten HochzeitSmable brachen die Ehegatten auf, nicht, ohne daß die Frau Justizrätbin ihrer Tochter, die in der Residenz blieb, ein großes Stück Torte eingewickelt, daS sie Minna, dem neuengagirten Dienstmädchen, mitnebmen sollte, und daS der glückliche Ehemann in die Taschen seines Rockes versenkte. Dann fuhren die Einen dem lieblichen Dresden, die Anderen dem Norden Berlins zu, und die Hochzeitsgesellschaft blieb noch ein paar Stündchen zusammen, um sich dann auch zu zerstreuen und die einzelnen Momente des Festes nochmal« in der Erinnerung zu durchgeben. Minna hatte das junge Heim von „Doctors" reizend geschmückt; Guirlandcn prangte» an der Thür und rahmt.» ein leuchtendes „Willkommen" ein, Bouquet- standen an, den Tischen, und sie selbst zeigte sich mit einem schäm-g erwartungsvollen Gesicht, was ihre Herrschaft wobl sage» würde. Martha war auch wirklich überrascht und, nicht nur überrascht, auch gerührt, und in einer Hellen Uederwallung ihrer Gefühle ries sie auS: „Heinrich, nun gieb aber auch dem Mädchen ihren Kuchen!" Der junge Gatte holte da» Päckchen hervor, legte es in die Hand Minna'S und, ehe sich diese noch zurllckziebrn konnte, ja ehe sie noch ihren Dank ausgesprochen, ermunterte die junge Frau sie, da» Packet zu öffnen, da die schönen Früchte des Kuchens gewiß schon srbr durch die Verpackung gelitten. Minna tbal eS, daß Papier fiel und — von zwei Lippen- paar«» zugleich erscholl ein lauter Schrei. Wie sollte die Köchin den Inhalt essen können, der in einem alleiliedsien, braunen Zopfe, genau zu den Haaren der Frau Doctor passend, bestand, wie sollte diese Worte finden, sich bei dem Gatten zu entschuldigen, daß eS doch eine ganze Kleinigkeit gab, die nicht echt, dir falsch an ihr erfunden werten mutzte? Ach, daß die Mama den Zopf daheim behalten, daß sie ihn nicht vorsorglich eingepackt hatte, damit sich da« Töchterchrn am andern Morgen da» Haar in gewohnter Weise machen könne, ach, daß auch Heinrich so dieiistbefliffen sein mußte, vkn Zopf und den Kuchen durchaus selbst tragen zu wollen. I Dadurch war dir Verwechslung, die fatale Verwechslung I gekommen, und mit einem heißen Thränenstrom und glüh- > rotben Waagen lehnte di« jung« Frau «inen Augenblick
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