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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.03.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-03-31
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970331011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897033101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897033101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-03
- Tag1897-03-31
- Monat1897-03
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Der Bezugspreis beträgt wie bisher vierteljährlich für Leipzig 4 50 mit Bringerlohn für zweimaliges tägliches Zutragen 5 ^ 50 ^s, durch die Post bezogen für das Deutsche Reich und Oesterreich-Ungarn 0 ^ In Leipzig nehmen Bestellungen entgegen sämmtliche Zeitungsspediteure. die Hauptexpeditiorr: Joharrnesgaffe 8, ^ die Filialen: Katharinenstratze 14, Königsplatz 7 und Urriversitiitsstratze 3, sowie nachfolgende Ausgabestellen: Arn-tstraste 35 Herr L. 0. Kittel, Colonialwaarenhandlung, Beethove»,strafte 1 Herr ^Iiooü. I'eter, Colonialwaarenhandlung, Brühl 80 (Ecke Gvethestrahe) Herr Ileri». LIo88ke, Colonialwaarenhandlung, Frankfurter Strafte (Thomasiusftraßen-Ecke) Herr Otto Kranrr. Colonialwaarenhandlung, Löhrstraste 15 Herr Ltluaril Ilet/vr, Colonialwaarenhandlung, Niarschnerftrafte 0 Herr Llax diolmeUler, vorm. 1>uul Zel»r« liier, Trogengeschäft. Nürnberger Strafte 45 Herr LI. K. ^Ibreeltt, Colonialwaarenhandlung, in Anger-tLrottendorf Herr Notiert ttrelner, Zwemaundvrfer Straße 18, - Eutritzsch Notiert Xltner, Buchhandlung. Telihscher Straße 5, - Gohliö Notiert ^ltner, Buchhandlung, Lindenthaler Straße 5, - Lindenau Herr Alliert Oiiulnvr, Bettiner Str. 51, Ecke Waldstr., Buchbinderei. - Neustadt Ärllejt'v ^uuoiieen-Nxpvüttlon, Eisenbaünstra, e 1, Rauftfche Gasse O Herr Krletlr. Klselier, Colonialwaarenhandlung, Ranstädter Steinweg I Herr 0. Luevlmrnm, Colonialwaarenhandlung, Schütrenstrafte 5 Herr ^ul. 8el»ü>ttielren, Colonialwaarenhandlung, Herr NernI». U'vtivr, Mützengeschäft, Leipziger Straße 6, Thonberg Herr N. Nüntsel», Zteitzenhainer Straße 58, BolLmarsdors Herr tt. A. Liuuwauu, Conradstr. 55 (Ecke Elisabethstr.). Gewerbsmäßige Seschaffnng von üegnodigungen. ü Da« Befremden über die Begünstigung des Duell- Delict« hei den Begnadigungen zur Hunvertjahrfeler fft in der Presse, die nur ungern Mißcoue in die Nachklänge des Feste« dringt, kaum noch zu kräftigerem Ausdruck gelangt, und schon greift neue Beunruhigung über die Ausübung des Begnadigungsrechte« in Preuße» um sich. Allnvmg« ganz anderer Art ai« jene durch die Freilassung der Herren v. Kotze, v. Hünerbein re. erzeugte. Dort ist in formeller Hinsicht nichts zu bemängeln, und auch ui sachlicher Beziehung darf man wohl sagen, daß wenigstens das Ausbleiben einer Amnestie nicht beklagt wird. Der Straferlaß für Kategorien ist ein mechanisches Verfahre», bei dem daö ausgeschlossen ist, wa« bei dem Walten der Gnade vorausgehen soll, nämlich die Würdigung der Umstände, unter denen eine Strajthal verübt worben ist. Au« diesem Grunde würde e« kaum übel ausgenommen werden, wenn der Brauch der Amnestie der feierlichen An lässen ganz verschwände. WaS allerneuestens die Blicke auf die Ausübung des Begnadigungsrechtes zieht, hat jedoch mit Principienfragen nick,iS zu thun. Wir haben im gestrigen Morgenblatte unter der Rubrik „Gerichtsverhandlungen" einen Bericht aus HildeSde i m über eine Berbanvlung mitgetheilt, die kürzlich vor der dortigen Strafkammer gegen einen „Privatsecretair" Namens Pfahl au« Hannover stalt- fand, der die Beschaffung von Begnadigungen gewerbsmäßig und mit erstaunlichem Erfolge betrieben hak. In dem Falle, wegen dessen er de« Betrug« augeklagt war, handelte es sich um drei Leute Namens DierS, die einen Mann dergestalt mißhandelt hatten, daß er für sein ganzes Leben siech ge> geblieben ist; sie waren dafür zu je lV, Jahren Gefängniß verurtheilt worben und harren dem Migyanvellen eine Ent schädigung von 20 000zahlen müssen. Sie wurden auf Pfahl als auf einen Mann ausm«rk>am gemachl, der im Rufe stehe, Begnadigungen bewirken zu können, und an den deshalb sogar angesehene RechlSanwälte verunheilte Klienten zu verweisen pflegten. Pfahl übernahm den Auftrag gegen Zusicherung einer beträchtlichen Summe für den Fall des Eisolges, und die dre, Urbellhätrr wurden in der Thar, nach dem sie einen Theil ihrer Strafe verbüßt, begnadigt, ob gleich die zuständige Staatsanwaltschaft sich auf drei Anfragen dreimal dagegen erklärt und die Strafanstalts- Berwallung über das Verhalten der drei Personen im Ge- fängiub eine ungünstige Auskunft ertheilt batte. Der Staats anwalt bcankragle gegen Pfahl eine G-fängnißstrafe von t Jahr 6 Monaten, das Gericht aber sprach oru Beklagten »rei, da eine betrügerische Handlung nicht nachzuweisen V auch nicht festgest.lll sei. daß er jenen drei Personen ge^...- über von seinem Einflüsse auf hochgestellte Personen — an geblich hat er sich auf leinen Bruder, den Wirkt. Geb. Ober- ftuauzratt^ Pfahl, welcher Dirigent der Verwaltung der direkten Steuern in Berlin ist, den Wirkt. Geh. Nalh Horst- mann im preußischen Iustirmilnsteriuin, ja sogar auf den Chef des Civilcahinelö, Wirkt. Geh. Rarh v. LucanuS, be rufen — gesprochen habe. Man wird nicht bestreiten können, daß dieser Proceß eine absonderliche Erscheinung bildet. Daß ein Mann, den vielleicht ein schriftstellerisches Specialialent dazu befähigt, die Abfassung von Gnadengesuchen mit Erfolg zu einer geichäsllichen Specialt- lät ausbitrel, ist an sich eine ziemlich harmlose Erscheinung. Freilich würde e« Verwunderung erregen müsse», wenn die hochgestellten Juristen, die die Begnadigungssachen zu bearveilen haben, sich der Eloquenz eines „Privatsecrelair«" gefangen gäben. Aber diese Möglichkeit ist nicht die einzige, die der Hildesheimer Proceß auftauchen läßt. Nicht er wiesen, aber auch nicht widerlegt ist durch die Verhandlung der Verdacht, daß die Unterschrift deS Kaisers -zu Gunsten von Verurteilten auf krummen Wegen erwirkt, erschlichen worden ist. Man kann sich nicht de« Eindrucks erwehren, daß der Ltaalsanwall, der gewiß vor allen Dingen deshalb gegen Herrn Pfahl eingeschrttien ist, weil er ihn des Betruges für schuldig hielt, doch auch nebenher Aufklärung über das Verfahren bei der Erledigung von Gnadengesuchen schaffen, etwa« wie eine „Flucht in die Orssentlichkeit" bewerk stelligen wollte. Nun ijl bas Gericht der juristischen Auf fassung de« Staatsanwalt« nicht beigetreten und hat auf Freisprechung erkannt. Da e« nun bet dieser Freisprechung von der Ansicht ansgegangen ist, Pfahl habe sich bei jenen drei Kunden eines Einflusses auf die Tbätigkeit höherer und hoher Persönlichkeiten Berlins nicht gerühmt, so wird daS Gericht angenommen haben, daß diese drei Auftraggeber Psahl'S sich lediglich auf dessen Geschick im Abfafsen von Gnadengesuchen oder gar auf sein, vom Staatsanwalt her vorgehobenes „Glück" verlassen haben; das „ReuommS" thut in der Tbat sehr viel beim Publicum. Daß RechrSanwälle, die genaueste Actenkenntniß vor dem Privatsecrelair vorausgebabl haben werden, diesem eine größere ^Sprachg-watt zngetraut haben als sich selbst, ist schon aus fälliger, aber man wird sich erinnern, daß eS auch Aerzte gicbr, die Patienten an nicht approbirte Heitkünstler ver weisen. Es sind jedoch in diesem Processe auch Tbatsachen zum Vorschein gekommen, deren Erklärung Schwierigkeiten biete», aber dennoch gebieterisch eine Erklärung verlangen. Wenn entgegen der Auffassung dreier Gutachten der Slaats- anwallschast und eines Gutachtens eines Strafaiistalts- direclorS eine Begnadigung erfolgt, so braucht dies zunächst ebenfalls noch nicht stutzig zu machen. Vielleicht kommt es häufiger vor, daß die Staatsanwaltschaft in einer Begnakigungssache mehrmals gehört wird, jedenfalls ist es nicht beunruhigend, wenn man erfährt, vaß der Behörde, welche die Berurtheilung hrrbeizu- führeu batte und dabei an Unbefangenheit eiugebüßt haben kann, kein ausschlaggebendes Gewicht bei der Entscheidung über die Begnadigung zuzebilligt wird. Aber befremdend in hohem Grade ist eö, daß ein StaatSanwalt in öffentlicher GerichiSverbanblung erklärt, ein BcgnabigungSact habe ihn „frappirt", und dag er dabei die Beeinflussung hoher Stellen durch einen professionellen Verfertiger von Begnadigungsgesuchen zwar — wie selbstveistänolich, denn auf dieser Negation be ruht seine Anklage — bestreitet, aber durchblicken läßt, es sei nicht überflüssig, sich einmal zu erkundigen, wie diese Dinge in Berlin eigentlich behandelt werden. Für die Erlevigung von Begnadigungsgesuchen ist der Justiz- minister verantwortlich. Dieser ist der oberste Chef der SkaatSanwälte, die seinen Weisungen zu folgen haben, ein Unistand, der die Frage nahe legt, ob der Beamte in HildeSheim da« Erstaunen über einen bestimmten Gnadenaci nicht in höherem Aufträge bekundet habe. Weiter ist der Umstand nicht gleichgiltig, daß der in Berlin ein höhere« StaatSamt — jedoch nicht im Justizdienst — bekleidend« Bruder des glücklichen Privatsecrelair« von dem auf die Verwandtschaft begründeten Rechte der Zeugnißoerweigrrung Gebrauch gemacht hat. Drittens steht man der ernsten Tbatsache gegenüber, daß dem von der Anschuldigung der falschen Vorspiegelung Freigesprochenrn in dem Falle, der der Anklage zu Grunde lag, als Entlohnung eia« Summe ver sprochen war, deren Höbe mit dem ArbeitSaufwaabe für ein Begnadigungsgesuch, und sei diese- mit cicerouianifcher Ueber- zeugungskraft geschrieben, in einem crafsrn Mißverhältnisse steht. Es wird ermittelt werden muffen, ob Herrn Pfahl von Anderen ähnlich hohe Summen geboten oder bezahlt worden sind, namentlich von solchen Personen, die durch Anwälte, also Leute, di« den Werth geistiger Arbeiten dieser Art zu ermessen wissen, an den Privatsecrelair verwiesen worden sind. Der StaatSanwalt in Hilvesheim hat Hervorgeboben, daß Angaben wie die von Pfahl gemachlen der Meinung Vorschub leisteten, e< sei mit dem Rechte schlecht bestellt, es herrsche Bestechlichkeit. Ja dem Spruche des Gericht«, wir wiederholen da«, findet eine solche pessimistische Vorstellung keine sichere Stütze. Dessenungeachtet ist es eine dringende Rothwendigkeit, daß durch weitere Untersuchungen jeder Schein zerstreut werde, als seien im Begnadigungswe>en dem Ordens- uuv Tilelschacher ähnliche Dinge nicht ganz und gar ausgeschlossen. Deutsches Reich. * Leipzig, 30. März. In Nummer 130 der vou dem bekannten Caplan DaSback herauSgegebeuen „Trirrischea Lanbeszeitung" werden die Taaebuchblaltrr der Trierischrn Oberbofmcisterin Gräfin von Voß über die ersten Lebens lage Kaiser Wilbelm's I. mitgetheilt. Natürlich fehlt auch nicht die bekannte Notiz vom 8. April 1797: „Tag der Taufe. Der Kronprinz kam um 18 Uhr von Potsdam, die ttönigin, die Prinzen und Prinzessinnen aßen alle hier, ebenso alle Minister und Generäle. Ter König kam ebenfalls zur Stadt, I aber kam nicht zum Diner. Gleich nach Tische ging Alle« zu der Faurlletsn. Wie -ie „Leiden des jungen Werther" dramatißrt wurden. Bon Hermann Pilz. Unsere Zeit kennt keine Bücher mehr, welche geeignet wären, eine Erschütterung bervorzurusen, die sich de« ganzen Volke- bemächtigte, ein Fieber zu entzünden, welches nur gauz allmählich wieder heilte, wie e« bei Goetbe'S „Leiden de« jungen Werther" der Fall war. Die besten Schöpfungen der Neuzeit, ja selbst die Modebücher, welch« von Zeit zu Zeit den Markt beherrschen, und mit zahlreichen Auflagen prunken können, wissen nicht« von einem Erfolg ru erzählen, wie ihn der unglückliche Jüngling im blauen Frack und gelber Weste aufzuweisen gebabt hak. Die Jünglinge schwärmten für Wertber, die Jungfrauen weihten ihm Tbranenopfer, und auch ernste Männer und Frauen vermochten sich der tiefe» Wirkung der Wertber«Briefe nicht zu entziehen. La» doch selbst Bonaparte am Fuße der Pyramide» „Werther'« Leiden", ein Man», der wabrtich frei von Empfindsamkeit und Weichmüthigkeit war. Da« Werther-Fieber, dem später da« noch vieljämmerlichere Sieg- Wart«-Fieber folgte, hervorgerufen durch Miller'« schauerlichen Klosterroman, hakte die ganze gebildete Menschbeit gepackt. Nicht Richardson'S Clarissa, nicht Rousseau'« neue Heloisr batten die GemUlher derartig in Aufregung versetzt. Man schrieb und sprach nur von Wertber'« Selbstmord. Die Recensenten erhoben da« Buch in den Himmel oder fielen mit Spott und Hokn, auch mit dem Brustton sittlicher Ent rüstung, über dasselbe her. Die Bänkelsänger sangen nur noch von Weither und Lotte, zahllos waren di« Schriften über den Selbstmord» die Werther'« Pistolenschuß er» weckte, zahllo« die sentimentalen Gerichte an Wertber, Lotte und Albert, rur Erbauung weicher, rührseliger Gemüther. Sie finden sich zum Theil gesammelt in dem trefflichen Werke „Werther und seine Zeit" von Johann Wilhelm Appell, da« rin überau« werthvvller Beitrag zur Goethr- literatur ist. Wertber'« Schatten verfolgte Goethe ge- penslerisch. In der Schweiz, in Italien, am Rhein, wo er nur immer binkommt, gilt er als der „Dichter des Werther", als ob er nicht mehr in seinem Leben geschrieben hätte, wie diese« Bnchl Seine Freunde nehmen für ihn Partei gegen übelwollende Recensenten, und eS beginnen literarische Fehve- züge, de, denen mit wenig reinlichen Waffen gesochlen wird. Nicolai in Berlin schreibt die „Freuden des jungen Wertber" und erweckt damit den Zorn der Goethefreunde. Leopold Wagner, der „trockene Schleicher" aus dem „Faust" und Dichter der unge heuerlichen „KinveSmörderin", schreibt die Farce: „Prometheus, Deukalion und seine Recensenten", in welcher Nicolai oder Orangutang auftritl, und Hottinger in der Schweiz ant wortet sofort zu Nicolai'« Ehren mit dem Pvffenspiel: „Menschen, Thiere und Goethe", da« zugleich eine Abwehr gegen Goethe'» „Götter, Helden und Wieland" sein sollte. Goethe erscheint in diesem witzlosen Erzrugniß mit der Hans- wurstpritsche in der Hand. Wenn man die damals er schienenen Streitschriften einsiebt, so muß man sich wundrrn, vaß in der Zeit der weichlichen Schwärmerei und Empfind samkeit die kritische Liieratur doch ein so rüpelhafter Ton be herrschte, wie er sich in diesen GeisteSprobucten breit macht. Aber eS war eine Zeit der Contraste. Mit der sentimentalen Empfindelei paarte sich Sturm und Drang» Geniesocht, rin künstlich angefachter Titanrntrotz, der auf uaS heutzutage nur eint komische Wirkung auSüben kann. DaS Publicum ließ sich durch di» goelbeseindliche Kritik nickt irre machen. In den Stuben hingen Kupferstiche zu „Werther'« Leiden", die namentlich au« Englanv importirt wurden, auf Fächern, Taffen, Kaffee- und Tbeekannen präsentirte sich Wertber mit seiner Lotte. Di« „Werther-Dosen" wurden so berühmt, wir die „Lorenzovosen" de« scbmachtlappigen Johann Georg Iacobi, eine sonderbar« Huldigung an Sterne'« Peter Lorenz», dir zur Begründung de« „Orden« der Sanftmut!» unv Ver söhnung" führte, bei welchem dir Schnupftabaksdose daS Er kennungszeichen bildete. Der Fäckersabrikant Lösckentohl in Wien lieferte Fächer, aus denen „Lotte an Werther« Grab" und ^Lottr in Ohnmacht mit Albert" abgebildet war. Zahlreich waren die Wallfahrten nach Wetz lar, und nachdem «in schlauer Wirth in einem Haine einen Erdbügel hatte aufwerfen lassen, der als „Wertber's Grab" bezeichnet wurde, strömten namentlich die Engländer dabin und zogen mit Erdkiößen beschwert wieder von dannen. Aber auch um de« junge» Jerusalem Grab, dessen Selbst mord Goethe in seinem „Werther" in allen Aeußerlickkeiten genau wievererzäblte, wurde das Mekka zahlreicher Pilger. der Geisterstunde umzogen die empfindsamen Seelen mit Wachslichtern in der Hand da« einsame Grab an der Kirch- hof-mauer und sangen traurige Lieder, bi« die Polizei behörde sich allen Ernste« diese romantischen Processionen verbat und den Verzückten die Arretur ankündigte. Ja, das Buch, da« vor lauter Schwärmerei und Gefühlsduselei gründ lich mißverstanden wurde, regte sogar zum Selbstmord an. In England waren verschiedene Selbstmorde auf „Werther'« Leiden" zurückzusühren, und in Weimar stürzte sich die jugend liche Christine von Laßberg in die Ilm, „Werther'« Leiden" in der Tasche deS Kleide« verborgen haltend. Da« Wertber- fieber erstreckte sich sogar auf die ehrsamen Handwerkerkreise. In Halle rrbing sich rin Schustergesrlle im „Wertherfieber". Daß diese Zustände dazu führten, von der Kanzel herab gegen da« tolle Buch zu eifern, war zu erwarten, unv nament lich der durch Lessing zu trauriger Berühmtheit gelangte Hauptpastor Gorze in Hamburg erwie« sich auch in dieser Sache al« „Gorze mit der streitbaren Hand". Au« dem von Gustav Wustmann in den „Grenzboten" mit- getbeilten „Proniemoria an die Eburfürstlichr Bücher- Commission" seden wir, daß selbst Professor Ernesti, Dekan der «beologischen Facultät an der Universität Leipzig, von der verderblichen Wirkung de« Buche« überzeugt war. Da« Dokument lautet nach Wustmann: „Es wird hier rin Buch verkauft, welche« den Titel führt: Leiden de« jungen Werther » u. s. w. Dies« Schrift ist »ine Apologie unv Empfehlung de« Selbst Morde«; und r« ist auch um deswillen gefährlich, weil r« in wizigrr und einnehmender Schreib Art abgefaßt ist. Einige gelehrt« und sonst grsezte Männer haben gesorgt, daß sie sich nicht getrauet hätten, da« Buch durckzulesen, sondern es etliche mal weggelegt hätten. Da die Schrift als» üble Impression»« machen kann, welche zumal bey schwachen Leuten, Weib- Personen, bey Gelegenheit auf- wacheu, und ihnen verführerisch wrrdea könne»; so hat dir theologische Facultät für nöthiz gefunden zu sorgen, daß diese Schrift unterdrückt werde: dazumal itzo die Exempel de« Selbstmordes frequenter werden. Daker ich die Löbl. Bücher- Commission im Namen jener hierdurch ersuche, den Verkauf dieser Schrift zu verbieten, und dadurch üblen Folgen Vor beugen zu helfen. Leipzig, am 28. Januar l77b." Wirklich wurde das Verbot ausgesprochen. Aber e« war wie immer bei solchen Verboten, sie förderten nur die Ver breitung deS Werkes, unv der Verleger Weygand druckte im Jahre 177b, wie Wustmann berichtet, noch drei neue Auf lagen deS Romans. Hätte sich bei einer solchen eminenten Popularität de« Roman« nickt auch die Bühne schnell deS Stoffes be mächtigen sollen? In der That wurden „die Leiden des jungen Werther" bald nach ihrem Erscheinen dramatisirt. Oppell giebt in seinem bereit- erwähnten Werke auch eine vollständige lieber- sicht über die dramatischen Bearbeitungen de« Roman«. Je nachdem er Eindrücke auf die Bearbeiter gemacht batte, erschien er als Trauerspiel, Posse, Operette, ja als Ballet auf den wrltbevrutenden Brettern! Im Jahre 1775 schrieb der Berner Bibliothekar Rudolf Sinnrr in französischer Sprache ein Drama ölalimurs cko l-'Xmvur", we cheS sich eng an den Roman anschließt, wenn auch die Romane verändert sind und nicht au« Ossian, sondern au« einem Roman der Madame de Jenein „blemoires cku Ovmts cke Lommings" dorgelesea wird. Dir „Frankfurter gelehrten Anzeigen" halten es „für da« beste dramatische Stück von denen, die durch die Leiden Werther'« entstanden sind. In Deutschland erschien zur selben Zeit „ein Trauerspiel au« dem Illyrischen", da« den Titel führt: „Masuren oder der junge Werther". Der Ver fasser, August Friedrich Gru«, Hosrichter beim Grafen von Benthrim-Steinfurt, bat mit Goethe zusammen in Wetzlar gelebt und an der Rittertafelrunde im Kronprinzen der edle Ritter Crucey theilgenommen. Gru« sagt zwar, daß der Stoff einer illyriscken Handschrift entnommen sei, die eine auffallende Ähnlichkeit mit Wertber'« Leiben bade, indessen har er ganze Stellen wirklich dein Goetbe'schen Romane ent> lehnt, so daß auf diese Aeußerung nicht« zu geben ist. Grus
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