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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.04.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-04-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970403023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897040302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897040302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-04
- Tag1897-04-03
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Der Bundesrath, oer Uber einen früheren, die Aufhebung des Iesuitengesetzes fordernden Be schluß de? Reichstags noch zu befinden batte, hätte den Versuch machen können, ob das Eentrum aus ein solches Geschäft sich einließe; aber er hat es nicht getan. Die Kreuzer sind haupt sächlich infolge der Haltung des Eentrnms abgelchnt; nun will die Mehrheit unseres wackeren Reichstags den Bundes- rath zwingen, ccm Eentrum trotzdem die Jesuiten zu geben. Mit ansehnlicher Mehrheit bat er gestern abermals einen Antrag auf Aufhebung des Jesuitengesetzes angenommen und dann noch ein Uebriges getan, indem er einen Antrag aus Aufhebung des 8 2 des Gesetzes mit noch stärkerer Mehrheit genehmigte. Das ganze Gesetz lautet bekanntlich: 8 1. Der Orden der Gesellschaft Jesu und die ihm verwandten Orden und ordcnsähnlichcn Eongregalioiien sind vom Gebiete des deutschen Reichs ausgeschlossen. Die Errichtung von Nieder lassungen derselben ist untersagt. Tie zur Zeit bestehenden Nieder, lassungen sind binnen einer vom BundeSrath zu bestimmenden Frist, welche sechs Monate nicht übersteigen Lars, auszulösen. 8 2. Die Angehörigen des Ordens der Gesellschaft Jesu oder der ihm verwandten Orden oder ordcnsühnlichen Congregatione» können, wenn sie Ausländer sind, aus dem Bundesgebiet aus- gewiesen werde»; wenn sie Inländer sind, kann ihnen der Auf« enthalt in bestimmten Bezirken oder Orlen verjagt oder angewiejen werden. Da der 8 1 keine Strafbestimmungen gegen Zuwider handlungen enthält, so ist er ohne den 8 2 ziemlich be deutungslos; der Bundesrath mag also den einen oder den andern der gestrigen Reichstagsbeschlüsse annehmen, jeden falls erhält das Eentrum „seine" Jesuiten wieder, sofern die einzelstaatlichen Bestimmungen ihnen nicht einen Riegel ver schieben. Die Debatte, die diesen Beschlüssen vorausging, war so kläglich wie möglich, ja noch kläglicher, als man es nach der Fülle von Material, daS die Jesuiten gerade in verletzten Zeit durch den famosen Teufel Bilrn und andere Leistungen ersten Ranges ihren Gegnern geliefert haben, hätte für möglich kalten sollen. Das Haus ist eben in Folge der beharrlichen Wiederholung der auf die Jesuiten bezüglichen Eentrums- anträge der Jesuitendebatten müde geworden, es sieht trotz des Iesuitengesetzes fast überall im Reiche die „frommen Väter" im Dunkeln wühlen, eS betrachtet Eentrum als „Trumpf" und will „seine Ruhe haben". Nu» fragt es sich, ob auch der Bundesrath der Jesuitenanträge müde ist nnd ob er zu der angeblichen Ansicht jenes preußischen Ministers sich bekehrt, das Jesuitengesetz sei ein geeignetes Mittel, das Centrum „flottcnfreuiidlicher" zu machen. Sollte auch er bckehrungSreif sein, so hätte er geschäftsklüger ge handelt, die Aufhebung des Gesetzes schon vor der Entscheidung über die Kreuzer zu beschließen. Jetzt läuft er Gefahr, da« Jcsuitengesetz aus der Hand zu geben und ii» nächsten Jahre die Kreuzer erst recht nicht zu erhalten. DaS Eentrum hatte gestern überhaupt einen glücklichen Tag, den» außer den das Jesuitengcsetz betreffenden Anträgen wurde auch der des Abg. Liebermann v. Sonnenberg auf Wiedereinführung der konfessionellen Eides formel angenommen. Jetzt ist cs Jedem unbenommen, den confessionellen Zusatz zum Eide zu machen, und dadurch wird die Freiheit aller Gewissen gewahrt. Die Wiedereinführung der confessionellen Eidesformel, die der Antragsteller im Namen der Gewissens freiheit forderte, bedeutet in Wahrheit eine Bedrückung nickt aller, aber mancher Gewissen, freilich solcher, deren Bedrückung das Eentrum gern sieht. Der Beschluß ist Wasser auf seine Müble. Wie der Bundesratb sich zu ihm stellen wird, ist zweifelhaft, wie so vieles Andere. Gestern hielten es seine in der Sitzung anwesenden Vertreter für überflüssig, sich zu der Sache vernehmen zu lassen. Der Reichstag selbst war nach beiden Thaten so erschöpft, daß er die zweite Lesung der Margarinevorlage nicht mehr zu Ende führen konnte. Er documentirte bei der Abstimmung über die getrennten Verkaufsräume seine Beschlußunfähigkeit. Die Besorgniß, daß im RktchStagSwahlkretse Schwel; der polnische Eandidat über den deutschen den Sieg davon- tragen werde, bat sich leider als begründet erwiesen. Sollte die Meldung des „Schwetzer Kreisbl.", daß der Pole 7872, der Deutsche 6956 Stimmen erhalten habe, richtig sein und nicht auf einem Druckfehler beruhen, so wäre die Wahl betheiligung geradezu enorm gewesen, denn der Kreis hat nicht viel über 15 000 Wahlberechtigte. An der Haupt- wahl von 1893 nahmen nur etwa 12 000, bei der Ersatzwahl von 1896 im ersten Wablgange nur etwa 9000 Wähler Tbeil. Die außergewöhnliche Betheiligung würde die außerordentliche Erbitterung zwischen den Parteien beweisen. Wohl hat in diesem Wahlkreise schon wiederholt der Pole gesiegt, aber noch niemals hat er eine Majorität von 1000 Stimmen aufzubringen vermocht. Es würde also — immer vorausgesetzt, daß die Zahlen des „Schw. Kreisbl." richtig sind — das Wahlergebniß beweisen, wie sehr das Polenthum auf Kosten des Deutschthums Fortschritte zu machen vermag. Die Polen und ihre Freunde werden gewiß schnell mit der Behauptung bei der Hand sein, daß die jetzt den Polen zu Tbeil werdende Behandlung dieses Resultat hervor- gebrachl habe. Im Gegentheil: die jahrelange schwächliche Nachgiebigkeit gegenüber den Polen hat daS Polenthum in dieser Weise erstarken lassen. An die Meldung über daS Wahlresultat schließt sich übrigens eine andere, die ein grelles Streiflicht auf die „Taktik" der Sieger wirft. Deu „Berl. Polit. Nachr." geht nämlich folgendes Telegramm zu: Schwel;, 2. April. Eine fanatische Mordthat hat die Neichslagsivahl gezeitigt. Ter Lehrer Gruelter aus Luschkowo, der mil polnischen Arbeitern, welche hier gewählt hatten und »lin in ihr Arbeitsgebiet reisten, in einem Eisenoahiiwage» bis Tcrcspol zusammen fuhr, gericth mit ihnen wegen des Wahl ergebnisses in Schwetz in Streit, wurde erwürgt und zur Evupöthiir hinansgeworfen. Die Leiche fand man am Eisenbahndamm. Die Untersuchung ist eingeleitet. Die Blätter des Eciilrums und der Demokratie werden auch diese Unthat auf das Conto der deutschen „Polenhetzer" schreiben. Es fehlt nur noch, daß diese Schützer der In tegrität des Reiches und Preußens den Deutschen in West preußen und Posen den Rath ertheile», den Staub von den Schuhen zu schütteln, auszuwandern und dadurch die Ruhe in diesen Provinzen wieder herzustellen! Mit vieler Mühe scheint endlich ein Ort zur Abhaltung des diesjährigen „Katholikentages" ausfindig gemacht zu sein. Nämlich Lands Hut am Isar, das, wie die Eentrumsblätter melde», den Vorzug hat, — an der Bahn von Berlin nach München zu liegen, gleich bequem von München und Regens burg erreichbar. Es fehlt nur noch die Zustimmung des „ständigen Commissars der Katholikentage", res Fürsten Karl zu Löwenstein auf Kleinhrubach. Dessen Bemühungen gingen bekanntlich dahin, die Generalversammlung in diesem Jahre, anstatt sie politisiren zu lassen, auf die Wallfahrt zu schicken. Als die Städte Revue passirten, denen man die Ehre der Generalversammlung zugevacht, war allein Augsburg übrig geblieben, aber Fürst zu Löwenstein verwarf eS, weil eS als Ausgangspunkt für die zum Grabe beS seligen Canisius nach Freiburg in der Schweiz mit den CanisiuSvereinen vereinbarte Wallfahrt „gänzlich ungeeignet" sei. Von Landsbut ist es aber noch weiter nach Freiburg. Fürst Löwenstein wird sich indessen darein fügen müssen, daß sein Abkommen mit den CanisiuSvereinen nicht ratificirt wird, Venn die gesammte Centrumspresse, insbesondere in Nieder bayern, ist bereits mobil gemacht, um ihm die Zustimmung für Landshut zu „erleichtern". In Oesterreich ist unerwartet eine Minister krise auS- gebrochen. Das gesammte Ministerium Badens hat de- missionirt, aber es scheint, daß Graf Badeni mit der Neubildung des Cabinets betraut werden wird. Der Grund der Krise ist das Scheitern des Versuchs, eine gemäßigt liberale Mehrheit zu bilden, die aus Jungtschechen, Polen, den fortschrittlichen Deutschen, dem liberalen und vielleicht auch noch dem conservativen Großgrundbesitz bestehen sollte. Diese Mehrheit wäre voraussichtlich auch zu Stande gekommen, wenn Graf Badeni den Jung- tschechen nicht zu viel versprochen hätte, wodurch er die Deutschen vor den Kopf stieß. Bekanntlich suchte er die Tschechen durch die ominöse böhmische Sprachenverord nung zu befriedigen, welche eine sehr weitgehende Doppel- sprachigkeit der landesfürstiichen Behörden im Verkehr mit dem Publicum und den Parteien eiiiführte und das einheitliche deutsche Sprachgebiet durchbrach. Der „große Moment", sich auszuopsern, war für die Deutschen gekommen, aber sie spürten absolut keine Lust dazu und lehnten rundweg den Eintritt in die neue Regierungsmehrheit ab. Was sollte Graf Badeni tbun? Ging es nicht mit einer gemäßigt liberalen Mehrheit, so vielleicht mit einer gemäßigt con servativen. Nun aber stellte es sich heraus, daß bci den zersplitterten Partcivcrhältnissen im österreichischen Neichsrath — er zählt nur ein viertelbundert Frak tionen! — auch bei dem neuen Projekt ohne die Jungtschechen nicht auszukommen sei. Diese, so plötzlich im Werthe gestiegen, verfehlten nickt ihre Forderungen zu steigern und stellten als Bedingung für den Eintritt in Badeni's Gefolgschaft die Forderung, daß die Sprachenverordnung einer Revision unterworfen und zwar in entschieden tschechisch-freundlichem Sinne umgearbeitet werde; namentlich verlangten sie die Einführung des Tschechi schen in den Verkehr der Behörden untereinander, eine For derung, die ihnen die Regierung bisher standhaft verweigert batte, da sie mit den Bedürfnissen einer einheitlichen Staats verwaltung bedenklich contrastirt. Gegen dieses neueZugeständ- niß soll besonders der Justizminister Graf Gleispach Widerspruch erhoben, und der Unterrichtsminister Freiherr von Gautsch soll sich ihm angeschlossen haben. Gleichwohl, so heißt es, entschied sich das Cabinet in seiner Mehrheit für die tschechische Forderung und die Bildung einer tschechisch klerikalen Mehrheit. Dies batte zur Folge, daß die beiden genannten Minister ihren Rücktritt ankündigten, und da nun auch der Landesvertheidiguiigsminister Graf Welsersheim nach liberaler Seite hin schwankend zu werden begann, einigte man sich auf den Rücktritt des gesammte» Cabinets. Ob der Kaiser die Demission annehmen wird, ist noch nicht entschieden. Vielleicht wird er Badeni mit der Neubildung des Cabinets betrauen, möglich aber ist es auch, daß er seine Zustimmung zu den über alles Maß binausgehenden Zugeständnissen an die Tschechen in der Sprachenfrage verweigert. In diesem Falle dürste trotz viel facher entlegenste!,cnder Schwierigkeiten der Versuch gemacht werden, eine rein reactionäre Mehrheit, ohne die Jung tschechen zu bilden, was wahrscheinlich eine Annäherung zwischen diesen und den liberalen Deutschen zur Folge haben würde. Nimmt die Krise einen solchen Verlauf, so erscheint der Fall Badeni'S unvermeidlich, da er erklärt hat, mit einer aus schließlich reactionären Mehrheit nicht regieren zu wollen. Ueber die Krise liegt uns »och folgende Meldung vor: * Wik», 3. April. (Telegramm.) Ueliereinstimmende Meldungen stellen fest, daß die Entscheidung des Kaisers über den Rücktritt des gesammte» Cabinets Vndeni noch nicht getroffen ist und daß daher alle Mitlbeilungen über eine anderweite Be trauung Badeni's mit der Bildung eines Cabinets oder über die Berufung anderer Persönlichkeiten hierzu, sowie die Angaben über Minisler-Combinalione» vollständig haltlos sind. Bis gestern wurde vom Kaiser keine politische Persönlichkeit empsaiigeii. Von Len um laufenden Ausführungen über den Grund der Abdankung scheint die bestbeglaubigte die zu sein, daß Graf Bade»! bei dem Versuche der Bildung einer von ihm angeslrebten Mehrheit von Polen, Jung- tjchechen und Deutschliberalen bei letzteren auf Schwierigkeiten gestoßen ist. Verschiedene Blätter, darunter auch deutschliberale, vermnthen und befürworten die Ablehnung des Ent lass» u g s g e s» ch s Badeni's. Diese Befürwortung erklärt sich nur aus der Furcht vor einem Regime der schwärzesten Reaction, ein Gespenst, das bekanntlich Badeni an die Wand gemalt hat für den Fall, daß die Deutschen ihn bei der Bildung einer gemäßigt liberalen Mehrheit nickzl .interstützen würden. Ueber die Blockade der griechische» Häfen oder auch »ur des Piräus schweigt beule der Telegraph vollständig. Wir meinen, das sei kein besonders gutes Zeichen. Hier und da beginnt man denn auck schon wieder daran zu zweifeln, daß die Blockade überhaupt perfect wird. So heißt es in einer Pariser Meldung der „Köln. Ztg." vom gestrigen Tage, Rußland und England hätten sich durch Vorbehalte Hinler- thüren offen gelassen. Man sieht: immer ist es der russisch- englische Antagonismus, das Mißtrauen beider Mächte gegen einander, welches hemmend und verzögernd wirkt und schließ lich noch zu einer ernsten Bedrohung des Friedens führen kann. Wie sehr mißgestimmt man an der Newa gegen England ist, geht aus einer auffallenden Peters burger Zuschrift der „Pol. Corr." hervor, in welcher es u. A. heißt: „Es ruft hier einen unangenehmen Eindruck hervor, daß die Bemühungen der Cabinette der continentalen Mächte, um die kretische Krise rasch zum Abschlüsse zu bringen, durch die Haltung der e n g l i s ch e n R e g i e r u n g behindert werden, und letztere scheint d e m Concerte der Mächte nur zu dem Zwecke beigetreten zu sein, um jene Vorschläge der Mächte zu vereiteln, welch e, wie die Blockade der griechischen Häfen, am geeignetsten erscheinen, Griechenland zur Unterwerfung unter den Willen Europas zu zwingen. Das gekennzeichnete Vorgehen Englands hat hier eine bedauerliche Verstimmung hervorgerufen; denn nicht nur das russische Publicum im Allgemeinen, sondern auch die russischen Regierungskreise sind Uber das fortwährende Abschwenken der englischen Regierung von ihren Zusagen sehr ungehalten. Indem England störend in die Entente der Mächte, der es in formeller Weise beigelreten ist, ein greift, verscherzt es sich jedes Vertrauen Rußlands. Abertrotz dieser schädlichen Rück wirkungen der schwankenden Haltung Großbritanniens ist Rußland Feirrlletsn. Sneewittchen. 3s Roman von A. I. Mordtmann. Nachdruck Verbote». Ein flüchtiges Lächeln glitt über MauvillonS Zü^e, erstarb aber gleich wieder. „Darüber würde ich keine >silbe ver lieren," bemerkte er so gleichgiltig, daß Gerard ihn ganz entsetzt anstarrte. „Ich habe hier nämlich einen Brief — aber erst setze Dich einmal." „Laß mich. Ich kenne Dich schon — Du wirst irgend eine ganz wahnsinnige Idee haben, und es ist mir unleidlich, stille zu sitzen wie ein Oelgötz, wenn Du birnwüthige Projekte entwickelst. Na, schieße los." Und in Widerspruch mit seinen Worten setzte er sich — wie denn überhaupt sein ganzes Wesen mit der Redeweise, die er angenommen hatte, in auffallendstem Gegensätze stand. Wer ihn nicht kannte, hätte aus seinen Worten, die immer die stärksten Register zogen, nach den schäbigsten Spatzen nicht anders als mit Geschützen schwersten Kalibers feuerten nnd alle Donner des Himmels zur Vernichtung von Grashüpfern anriefen, folgern sollen, daß eine vernünftige Beratbung mit ihm unmöglich sei. Aber Hartmann und Mauvillon wußten eS besser und entbehrten bei wichtigen Angelegenheiten nur ungern seine» Beirath; sei» Votum, mochte eS auck von den lächerlichsten und übertricbendsten Redensarten umrahmt sein, verfehlte selten daS Nichtige. „Ich habe einen Brief von Paul bekommen," begann Mauvillon, „und will Euch beide Uber die Antwort zu Rathe ziehen." „Schreib ihm, wir werden ihm einen Mühlstein schicken, den er sich um den Hals binden kann, und dann soll er sich ersäufen, wo daS Meer am tiefsten ist!" polterte Gerard. „So ungefähr habe ich eS mir auch gedacht, nur mit dem Unterschiede.. „Ja, lieber Ernst, Du redest da drei Stunden in« Blaue hinein — willst Du mir nicht gefälligst erst einmal mit- tbeilen, was der schmierige Schafbieb geschrieben bat?" „Nun einen Schafbieb kann man ihn doch eigentlich nicht nennen." „Nicht? Dann bitte ich um Verzeihung. Ich habe aller dings nicht gewußt, daß er ein durch Tugend und Ehrlichkeit berühmter Millionär ist." „Er schreibt also, daß er vollkommen begreife, daß er keine Ansprüche irgend welcher Art an uns bade, da wir weit über jede Verpflichtung hinaus für ihn gesorgt hätten, und daß er es dennoch noch einmal wagte, eine Bitte, sicherlich die letzte, an uns zu richten." „Der Schlingel!" zürnte Gerard. „Das ist der 9999ste Brief, den er an uns richtet, und wir haben jedes Mal geschickt." „Ja, ich muß zugeben, daß eS gewiß sieben bis acht Mal gewesen ist . . ." „Wie Du wieder wahnsinnig übertreibst — nur sieben bis achtmal! Man sollte glauben, daß Du nicht bis zehn zählen kannst. Nimm mir's nickt übel, lieber Ernst, Du hast so viel Zahlensinn wie ein einäugiger Tintenfisch. Wie oft ist es gewesen, Hartmann?" Der alte Disponent lächelte ein wenig. „Seitdem Herr Paul abgefunden wurde, hat er genau viermal um Geld ge schrieben, und wir haben jedesmal eine ziemlich große Summe an ihn abgeschickt." „Jedesmal!" riefen die beiden CompagnonS. „DaS beißt die drei ersten Male", verbesserte sich Hart mann, etwas verlegen werdend. „DaS letzte Mal batten wir allerdings beschlossen, ihm nichts mehr zu schicken, weil eS ja doch nichts nütze, aber nachher. ." „Schon gut, Hartmann, da« wissen wir ja", unterbrach ihn Mauvillon; und Gerard rief fast gleichzeitig: „Zehn tausend Elstern können nicht so viel schwatzen, wie so ein alter Klapperkasten!" Hartmann verbeugte sich. Die beiden Principal« schwiegen, ganz bestürzt durch die mit genauer Noth beseitigte Gefahr, daß der andere erfahre, wie jeder von ihnen heimlich für seine Person durch Hartmann dem schwarzen Schaf der Familie heimlich die Gelder zugeschickt batte, die sie ihm durch gemeinsamen Beschluß verweigert hatten. Gerard war der erste, der die Situation vollkommen begriff und mit dem dröhnenden Lachen, in da« er anSzubrechen pflegte, rief: „Schau, Ernst! Einen so erzdummen Beschluß fassen wir niemals wieder! DaS kostet bloS doppelt Geld." Auch Mauvillon stimmte in daS Lachen ein, obgleich ihm eigentlich ganz anders ums Herz war; er gab Gerard die Hand, die dieser mit festem Druck umfaßte, und als vann beide da- Gefühl hatten, als flimmerte in ihren Augen etwa-, das nicht eine Folge des Lachens war, wandte sich Hartmann ab, um sich mit großem Getöse zu schneuzen. „Wie konnte ich nur ein so kolossales Mammutb sein!" rief Gerard. „Damals schrieb mir der Lump einen DankeS- brief für die 5000 Mark und ich halte doch blos 2000 Mark geschickt. Der Hartmann, der miserable Heuchler, redete mir ein, eS wäre Wohl ein Schreibfehler." „5000 Mark! Das sind ja schöne Geschichten Hart mann!" wandte sich jetzt Mauvillon an diesen. „Philipp 2000 Mark —, ich habe 2500 geschickt — woher kommen die übrigen 500 Mark?" Der wackere Mann saß da, wie ein armer Sünder, und selbst Gerard fand in diesem Augenblick keine Worte sür die Empfindung, die in ihm aufwallke. Er sprang auf, rannte einige Male schnaubend und pustend um de» Tisch herum, und erst als er sich nach dieser heilsamen Bewegung wieder gesetzt hatte, sagte er: „Jetzt seht Jhr'S wohl selbst ein, daß mit zwei solchen Waschlappen, wie Ihr seid, vernünftige Beschlüsse gar nicht gefaßt werden können. Wir wollen doch lieber gleich liquidiren!" Hartmann hatte seine Verlegenheit überwunden und bemerkte gelassen: „Es ist wohl am besten, wir setzen gleich fest, wie viel wir dem Herrn Paul schicken wolle». Er ist doch immer der Sohn unseres unvergeßlichen Herrn Alexander." „Lassen Sie doch das Geheul, Hartmann!" schalt Gerard. „Hier ist doch nicht der Nil, wo jedes Krokodil greinen darf, so viel ihm beliebt." „Paul schreibt", so lenkte Mauvillon wieder in eine vernünftige Besprechung ein, „daß er nach Allem, was er schon von uns bekommen bätle, auf weitere Zuwendungen keine Ansprüche mehr erheben könne. Und dann heißt eS weiter:" und Mauvillon nahm den Brief und las vor „dennoch wende ich mich noch einmal an Eure Güte, um mir den letzten Versuch zur Erlangung einer geordneten Existenz zu erleichtern. Diesen Versuch werde ich unternehmen, auch wenn Ihr mir, wozu Ihr in jeder Weise befugt seid, Euren Beistand versagen wollt. Eigentlich ist es diesmal nicht eine Bitte, die ich an Euch richte, sondern nur eine Darstellung de- Sachverhaltes, wobei ich es ganz einsack Euch überlasse, ob Ihr mir zu meinem Vorhaben eine materielle Unter stützung zu Tbeil werden lassen wollt oder nicht. Wollt Jbr nicht, so nehme ich eS Euch gar nicht übel, und vielleicht würdet Ihr mir damit sogar einen Dienst erweisen. Gelingt es mir, ein anständiger Mensch zu werden und einst vor Euch binzutreten mit den Worten: Endlich habe ich es doch aus eigener Kraft zu etwas gebracht — so würde ich dann auf beute zufriedener zurückblicken, als wenn Ihr noch einmal Nachsicht geübt hättet." „Wo kriegt der Bengel nur die feinen Redensarten her?" unterbrach Gerard den Vorleser. „Das ist ja als wenn Schiller und Kotzebue zusammen gearbeitet hätten: Wenns nur auss Schwadroiiircn ankäme, der könnte Minister oder gar Präsident werden!" Mauvillon las weiter: „Bei einer Rauferei zwischen allerhand Nachtvögeln und Bürgern batte ich neulich das unverdiente Glück, einen Herrn, der von einer Ueberzahl solchen Gesindels hart bedrängt war, durch einige tüchtige deutsche Fauslhiebe berauSzuhauen. Der Mann hat mich in seiner Dankbarkeit mit nach Hause genommen, sich meine Geschichte erzählen lassen »nd den löblichen Vorsatz gefaßt, mir eine Zukunft zu schaffen. „Das ist nicht so arg schwer, wie cs aussieht, und alle einleitenden Schritte haben bereits den gewünschten Erfolg gehabt. Der Sohn dieses wackeren Mannes bekleidet einen ziemlich einflußreichen Posten im Ministerium der Eolonien; er ist die rechte Hand des llnterstaatSsecretairö, und eine Empsebluiig von ihm ist niemals fruchtlos. Man bietet mir also ein „Bahntjc" in der seiiegalensische» Eolonie an — mein französisch klingender Name bat da tüchtig initgebolsen — »nd da es sich um eine» Posten ziemlich weit im Innern bandelt, wohin sich die Franzosen imger» schicken lassen, so ist die Eonclirrenz nicht groß. Nun aber soll mir — unter der Hand natürlich! — die Erlaubnis; nicht versagt sein, einen kleinen Handel mit de» Eingeborenen zu treiben, der recht einträglich sein kann, da es nur der Auslagen sür geringe europäische Waaren bedarf, und die Schwarzen mit Gold- staub bezahlen. Ein Capital von 1500 bis 2000 ^ würde vollauf genügen. „Wollt ähr das Geld noch einmal an mich wenden — schön nnd gut, und ich bin Euch dankbar. Wenn aber nicht, so macht es auch nichts. Das Gebalt ist gut. weil die Re gierung mit dem niederträchtige» Klima rechnen muß, und denen» die sich ihm aussetzen, eine kleine Entschädigung schuldig ist. Man sagt mir, daß in zwei Jahren unrettbar 75 Proc. aller Nciiankomiiieiiden dem Fieber z im Opfer fallen. Mich geniert das nicht. Im Gegentbeil." „Noch einmal, ich nehme eS Euch nicht übel, wenn Eure
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