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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.04.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-04-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970406017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897040601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897040601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-04
- Tag1897-04-06
- Monat1897-04
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Größer» Schriften laut unserem Preis- ver-,richniß. Tabellarischer und giffernjatz uach höherem Tank. Itzt» «-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderuag 60.—, mit Postbeförderuag ^ll 70.—. Innahmefchlllß flir Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag« 10 Uhr. Morgen.Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stund« fraher. Anzeigen sind stet« an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz tu Leipzig. ,74. Die nalionalliLerale ReichstagLfraction. Arber den gegenwärtige» Reichstag ist kein Wort mehr zu verlieren. Da- ultramontene Hauptorgan, die .Mlniscke B-ltSztg.", hat dieser Tage von ihm gesagt, er sei „eigentlich ein Reich-tag, wie er sei» soll," und da« ist richtig vom Standpunkt einer Partei, der da« Reich ein Torn im Auge ist. Die Socialdemokratie und die demokratischen Particula- risten unterschreiben auS gleicher Denkungsart heraus daS Verbiet, daS dadurch ein rechtskräftiges Verdammungßurtheii wird. Wenn man sich mit diesem Parlamente künftig noch be schäftigt, so kann eS nicht die Mehrheit sein, die dazu den Anstoß giebt» sondern die nationalen Minderheitsparteien, die seit Jahren al« die wesentlichst» Aufgabe hätten erkennen müssen, durch ihr Verhalten der Bildung eines tauglicheren Reichs tag« für die nächsten Wahlen vorzuarbeiten. Da« galt und gilt insbesondere von der national- liberalen Fraktion. Es Ware gewagt, zn behaupten, daß sie während der laufende» Legislaturperiode sich häufig von jener Erkenntniß geleitet gezeigt hätte, und bei der Be- rathung der Jesuitenanträge in der vergangenen Woche schien sie geradezu von der Ansicht außzugehrn, daß die parla mentarische Welt, in der wir leben, die beste aller parla mentarischen Welten sei. Bei ihren Freunden im Lande kann daS Vorgehen der Fraktion nichts Andere« bewirken, als Verstärkung der Apathie gegenüber dem klerikalen VorwärtS- dränzen, wo sie sich bereits einzunisren begonnen hat, und Entfremdung zwischen Fraction und Wählern dort, wo der Blick für die größte nationale Gefahr noch nicht getrübt ist. Es ist richtig, schon im vorigen Jahre ist der Z 2 des Jesuitengesctzes von einem Theile der nationalliberalen Abgeordneten preisgegeben worden. Aber zwischen jener Abstimmung und der vorgestrigen liegt der Berliner Delrgirtentag, der angeblich einberusen worden war, um den Fraktionen Gelegenheit zu geben, sich über die Grundstimmunz der Parteigenossen im Lande zu informiren. Ucber A 2 des JesuitenzesetzeS ist dort aller dings nicht geredet worden, aber der e inbe lligen Brurlhei- lung deS unverkennbaren Anwachsen« dek nltramontanen Ein flusses war deutlich genug zu entnebmen, daß Niemand in der Versammlung geneigt sei, ein Enlgegentommen gegenüber dieser Richtung zu billigen. UebrigenS ist eS nicht so sehr die Preilzabe jenes 8 2 Dienstag den durch dir Mehrzahl ihrer Mitglieder, wa« das Verhalten der nativnalliberalen Fraktion in der Freitags-Sitzung unbe- greiflich erscheinen läßt, sondern dir Schüchternheit, mit der sie daS Beharren bei der wesentlichen Bestimmung deS JesuitcngrsetzeS rechiferligen, um nicht zu sagen entschuldigen ließ. DaS Centn»» batte ein böseö Gewissen für seine Jesuiten und deren wieder zugelassene Asfiliirten, und es ist kein Zufall, daß eS seinen Antrag zu einer Zeit zur Beratbung gelangen ließ, wo der Reichstag bereits von äußerster Ferien- ungeduld befallen war. Aber die Nationalliberalen ballen einen Strich durch die Rechnung machen sollen und jedenfalls hätten sie rednerisch nicht so auftreten dürfen, daß die Debatte, von der das Centrum Verlegenheiten befürchtete, ihnen, den Nationalliberalen, unbequem zu sein schien. Sie hatten einen Abgeordneten aus Bayern zumFractionsrcdner bestimmt und dennoch blieb eS den Ultramontanen erspart, auch nur ein Wort über die dort von Geistlichen und Laien mit den Jesuiten, die den Namen Redemptoristen führen, gemachten üblen Erfahrungen zu kören, Erfahrungen, die sogar einen gegen den Klerikalismus sowenig widerstandsfähigen Minister, wie Herr v- Landmann in München ist, zu gewissen Ab- webrmaßregeln bestimmt baden. Diese fatalen Erinnerungen blieben dem Centrum geschenkt, und die Heye der „OivMrt oattollcn", deS Organs deS Jesuitengenerals, gegen Deutsch land und den Dreibund wurde zwar erwähnt, aber ohne daß der nationalliberale Redner genügend vorbereitet gewesen wäre, um eine leere Ausflucht de« Herrn Lieber als solche zu kennzeichnen und damit ihrer Wirksamkeit z» berauben. Die Erklärung des „deutschen" Jesnitenprovinzials Haan „gegen" die haßerfüllten Ausbrüche der „OiviltL" besagt gar nichts, sie wird in der „Allg. Ztg." von einem Kundigen mit Recht ein „Jesuitenstück" genannt, und einem scharfsinnigen Manne, wie Herrn v. Marquardsen,würde der Unwerth jener Erklärung nicht entgangen sein, wenn er sich vor der öffentlich i Er wähnung dcS für den Jesuitenorden vom deutschen Standpunkte vernichtenden politischen Programms der „OiviltL" mit ihr bekannt gemacht hätte. So blieb in dieser in ihrer Wichtigkeit gar nicht zu ermessenden Frage das letzte Wort, materiell wenigsten-, dem Herrn I>r. Lieber, der doch mehr Jesuitcnschlller, als Schüler des Professors v. Marquardsen zu sein scheint, so oft auch diese letztere Eigenschaft de« CentrumSsührers in diesem mit befremdender Gemütblichkeit geführten DiScussion hervor» gehoben worden ist. Bei der Kennzeichnung de« vaterlands- 6. April 1897. verleugnenden Erlasses des Bischof« von NegenSburg blieb das letzte Wort sogar dem Socialdemokraten v. Voll mar, der dies schmählichste Aktenstück zur Geschichte der Hundertjahrfeier natürlich höchlich belobt». Bei solch gleichgültigem Verhalten der nationalliberalen Fraction kann cs nicht Wunder nehmen, wenn der Thalsache, daß die Verbreitung deS Bitru-ScbwindelS in Deutschland Jesuiten- Arbeit, an der sich auch die führenden Centrumsblälter beibeiligten, gewesen ist, gar nicht gedacht wurde, und auch wir erwähnen diese« Rubmescapitel in der neuesten Geschickte deS deutschen Ultramontanismus nur, weil auf dem Berliner Delcgirtentage mit besonderer Dringlichkeit der Wunsch hervorgetreten ist, die nationalliberale Partei möchte der im Schwange befindlichen vergiftend wirkenden Erfüllung der Köpfe der niinder gebildeten Katholiken mit Teufels- und Hexenglanben ihre Aufmerksamkeit nicht versagen. Der Voiwurf, dies Alles verabsäumt und den Ultramontanen statt einer empfindlichen moralischen Niederlage einen Erfolg bereitet zu haben, trifft die Fraction, nicht ihren Redner, von dem wie von einer Reibe anderer älterer Juristen der NeichStagSvertretung längst bekannt war, daß er seit der Waffenbrüderschaft mit dem Cei'trnni, die bei dem Zustandebringen des Bürgerlichen Gesetzbuches vorübergehend aufgelebt ist, sich nicht mehr recht in die einer nationalen und wirklich liberalen Partei be stimmte Stellung gegenüber dem Ultraniotanismus zurück zufinden vermag — ein menschlich begreiflicher Zug, der aber der Physiognomie unserer Gesamnitpartei, die in der Jesuitendebalte hätte hervortretra müssen — und neuerdings auch bei anderen, verwandten Anlässen vermißt worben ist —, nie und nimmer ausgesprägl werden darf. DaS Centrum ist zu mächtig, als daß sich über seinen wahren, unvertilg- baren Charakter die Führung einer zur Erhaltung des Reiches berufenen Partei ohne schweren Schaden für daS Gemeinwohl einer Tänschung hingeben dürfte. Die« wird m Reiche lief empfunden und auch in einem Berliner Blatte, das selbst nicht natioiiaUiberal ist, aber in diesem Falle, wie wir an- nebmen zu dürfen glauben, einem sehr angesrbenen Partei» genossen da« Wort »erstattet bat, begegnet man der gleichen Auffassung. Die „Berliner Neuesten Nachrichten" schreiben: „So lange das Eentrum seine herrschende Stellung im Reich«» tage behauptet, können die Verhältnisse nicht anders werden. Mag man immerhin in einzelnen Kreisen dir Meinung hegen, auf ab» sehbarr Zeit werde es doch nicht möglich sein, dem Centrum in den dachte, sollst ihn schon kennen lernen." Bismarck verlor ein paar Hundert Tbaler und der Graf — dielt ihn für wag halsig und gab daher um de« Frieden« willen bei den Ver handlungen nach. Es liegt in diesem, wenn wir ihn so neunen dürfen, umor nülltans, den er ja besonders in seiner Frankfurter Zeit so oft angewandt bat (die Gesandten» cigarrr!), etwas von der urgermanischen Freude am Kampfe, die ja Bismarck nach seiner eigenen Angabe den Osficiers- stand eigentlich viel begehrenSwertder al« die diplomatische Laufbahn machte. Man bezeichnet oft jenen Humor, „der die Tbräne im Wappen führt", al« den größten, ja einzig echten. Mit diesem Ausdrucke wird aber dock unsere» Erachten- viel Unfug ge trieben. Nur so viel scheint uns daran richtig, daß ein dem GeinütbSleben fremder Humor »in Unding ist, daß eine kalte» verstand-mäßige Anlage es wobl zu Witz, Ironie, Satire, aber nie zu einem wirklichen, über die Dinge sich erbebenden Humor bringen kann. Bei Bismarck aber sind die seelischen Canäle, durch die sein Gefühlt leben und sein Humor in Ver bindung stehen, deutlich zu erkennen Er schildert seiner Schwester eine Fuchsjagd — oder vielmehr die Komödie, die sein Bater Fuchsjagd zu nennen beliebt. Der alle Herr setzt sich in den Kopf, eine Fuchsjagd zu haben, die sein Sohn mitmacht. Sie umstellen „mit aller jägermäßigen Vorsicht, lautlos, unter sorgfältiger Beachtung de» WindeS, eine« Kicfrrnbusck, von dem wir Alle, und vielleicht auch der Bater, unumstößlich überzeugt sind, tag außer einigen bolzsuchentrn Weibern kein lebendes Geschöpf darin ist". Jetzt werde» seltsame und schreckliche Töne au-gestoßen, Bismarck senior steht schußfertig, al« ob er wirklich ein Thier erwarte, und „dann fragt er mich ganz unbefangen, ob ich nichts gesehen bade, und ich sage mit einem möglichst natürlich gegebenen Anflug von Verwunderung im Tone: ueinl nicht das Min deste!" Veim nächsten Busche wirdcrbolt sich dasselbe Spiel. Wie zart und doch wie humorvoll zugleich »st hier d,e wunder liche Lau»» de« Vater- geschildert und gekennzeichnet! Eia andere» Mal bient sein Humor wohl nur dazu, seine Be wegung zu verbergen. Das Befinden seines kleinen Töchler- cbens hat eine Seereise nöthig gemacht. Bismarck bat sich lange dagegen gesträubt, „aber da alle Mütter und Tauten darüber einig waren, daß nur Seewasser und Luft dem armen Mariechen Helsen können, so würde ich, wenn iw mich weigerte, bei jedem Schuupsen, der daS Kind bis in sein 70. Jahr besällt, uieinen Geiz und meure väterliche Barbarei anklagen bören mit einem: „Siehst Du wohl, ach, wenn das arme Kino hätte die Ser ge brauche» können!" Man fühlt, daß ihn die Geiundbeit des Kindes besorgt macht, aber diese zärtliche Besorgniß klingt nur wie ein leiser Unlerton durch den Humor der Schilderung hindurch, in der er, anscheineiiv ärgerlich, seinen Zustand malt: „Der Junge in Dur brüllend, da« Märchen io Moll, zwei singende Kindermädchen, zwischen nassen Windeln und Milchflaschen ich al« liebender Familienvater." Wen» es mit Recht al« rin Zeichen de« echten und großen Humor« ao- zeiehen wird, daß er den Geist über die Bedrängnisse der Situation diaau«hebl und ihn die Dinge gewissermaßen au« vrr Vogelperspektive, mir »mer über sich selbst hinaus» 91. Jahrgang. Wahlen einen erheblichen Abbruch zu thun, jedenfalls kann eS gelingen, diejenigen Parteien, welche dem Centrum Gefolgschaft leisten, soweit zu schwachen, daß ihm die Mehrheit verloren geht. Aber dazu ist erforderlich, daß da« Verderbliche der Centrums, fiihrung für die naiionaien Interessen in den betreffenden Wühler- schaffen vollauf erkannt wird. Das ist indeß uumöglich zu erreichen, wenn die nationalen Parteien im Reichstag» immer nur anerkennende Worte und Lieberwerbungen für das Centrum haben und, nachdem dieselben ohne Erfolg gewesen, sich schweigend unter sein Joch beuge». Bei den Conservativen, die sich dem Centrum in gewissen Dingen verwandt fühlen und in dieser Beziehung noch immer große Hoffnungen auf dasselbe setzen, ist ein solche- Verhalten, so sehr man eS beklagen muß, immerhin noch begreiflich; beidenN ationalliberalen aber, diesen ausgesprochensten und unversöhnlichsten Antipoden der ultramontanen Partei, ist es ein un lösbares Räthsei. Diese Partei ist ihrer Natur nach berufen und daraus angewiesen, die ausschlaggebende Stellung deS Centrums in den öffenilichen Angelegenheiten mit aller Kraft zu bekämpfen. Tie Frage, ob sie dieser Pflicht im Reichstage neuerdings, ins besondere gelegentlich der Marineverhandlungen, in genügendem Maße nachgekommcn ist, braucht nicht erst gestellt zn werden. Es ist hohe Zeit, daß die Partei sich in diesen Dingen wieder mehr aus sich selbst besinnt. Wenn man dem Centrum, wo es an einem nationalen Werke, wie dem Bürgerliche» Gesetzbuch», aus guten Gründen mitzuthun für ge raden findet, einige Höflichkeiten sagt, so mag das nicht weiter be denklich erscheine»; wenn man ihm aber da, wo es die Befriedigung eines nationalen Lebensbedürfnisses zu versagen im Begriff» steht, die Position noch zu erleichtern sucht, so ist schwer zu sagen, was das mit nationaler und gar mit nalionaNiberaler Politik zu thun hat. Unseres Erachtens haben alle nationalen Parteien, voran aber die nationalliberale, das Volk zu überzeugen, nicht, daß »« „auch so", soiidern daß es „nicht so geht". Möchten sie dazu dir Zeit noch nutzen, die bis zu den Wahlen gegeben ist!" Möchten sie! Möchten aber vor allen Dingen Männer, die, wie nach unserer Mutbmaßung der Urheber der vorstehenden Mahnung, dazu im Stande sind, ihren Einfluß dahin geltend machen, daß die Wandlung in der nationalliberalrn Partei dort rinsrtzt, wo sie am meisten und eigentlich allein noth thut — in kttpflo! Deutsches Reich. Leipzig, 5. April. Der Geist Stegmüller'S gebt in Sachsen »in unv bat einen veritablen socialdemvkra- tische» Streik gegen die Maifeier gezeitigt. Ter ausschließlich von Socialdcmokralen verwaltete Consum- vrrein in Striesen will nicht mitmachen und am l.Mai wachsenden Uebrrlezenbeit betrachten lehrt, so haben wir hier wabre» Humor vor »nS. Aber der Gefüblston klingt eben in dem DiSmarck'ichen Humore nur an, die Empfindung hält sich zurück, und der Humor wird um so weniger sentimental, als Bismarck mit jenem Rüstzeug, daS den äußeren Schmuck, die reiche Aus stattung, den blendenden Glanz des Humors berzugeben pflegt, in seltenem Maße auSgestallet ist: mit Witz. Al« Jules Favre, enisetzt über die Forderung von 5 Milliarden, ausrief, man würde diese Summe nickt zäble» könneu, selbst wenn man bei Cbristi Geburt damit angesangrn hätte, zeigte Bismarck auf Herrn von Bleickröder und meinte, dieser Herr zäble aber von Erschaffung der Welt ab. Dem König soll er 1870 auf die Frage, waS nun gesckrben solle, geantwortet haben: „Wir spielen mit Frankreich 66." Solche Aeußerunzen besitzen jene blitzartige Scklagsrrtigkeit, die dem Kcrnwitz, rem ungesuchten, natürlichen, eigen sind. Die Schärfe dieses Witzes wird dadurch gemildert, daß er die Waffe zuweilen auck gegen fick ricktete und sich selbst ironisirte. „Ich habe da (im pouinierschen Provinziallandtage und im Bereinigten Landtage) doch manche dumme Rede gebärt", meinte c: einmal, — „und gebalten", setzte er darauf hinzu. Aust in den bereits erwähnten Schilderungen seines bäur licken Zustandes mischt sich in ganz wundersame Weise ein gut Tbeil Selbstironie mit rin wein, Rührung, ein bischen Aerger und viel Witz zu «ine > charakteristischen Humor. In dieser Zusammensetzung zu : Pl-marck's Humor eine gewisse Verwandtschaft, die eige thünilicker Weise bisber nicht beachtet wurde, — eine V. wandtschaft mit der Figur de- Conrad Bolz in r. i „Journalisten". Freilich. Bismarck ist durch und durch Thai uicnsch uub Bolz ist eiu wenig Winvbuud; auch ist dcr Journalist unendlich viel weickmülbiger al- der Mann de? Leben«. Aber die Unerschöpflichkeit, Schlagsertigkeit und Be wegtickkeit des Geistes, die Neigung zur Selbstironie, der bebende, nie fehlende Witz und die Fädigkeit, den Humor bis an die äußersten Grenzen der Möglichkeit fcstzuhalle», stellen trotzdem eine unverkennbare Aebnlichkeil her. Man wird kaum einen der zahlreichen Bände, in denen BiSmarck's Briefe und Rede» nun gesammelt sind, durchlescn können, ohne von seinem Humor anziehende, zum Tbeil wundervolle Proben zu finden. Der Humor liegt eben ues in seinem Wesen deickloffen, und er bat ihn oft wie ein Schwimmzllrtel auf den tobenden Wellen de« Leben« erhalten Selbst »a die amtlichen Schriftstücke alüdt zuweilen ein Fünkchen davon hinein. Die verbitterten Parteikämpse unseres Parlaments hat der Fürst in der humorvollen Erinnerung an die uralte Streitsucht der Deutschen ertragen, bei deu.u sich ja in den Garnisonen die Soldaten, die schwarze« u»2 die weißeS Lererzeug tragen, grimmig befehvrteo. Und wir dürfen gewiß sein, auch in die Einsamkeit de« Sachsenwale-s hat iba seiu Humor begleitet, und er hilft dem sinnenden Greise, den bunten Gang der menschlichen Dinge mit Philo sophischem Lächeln zu übersehen. Ihm Hilst der Humor z.im Besten, was er gecc.» kann: „lieber der Menschen Thun «nd Gebühren blickt er mit ruhiger Klarheit dahin." FeiriHetom. Sismarck als Humorist. Bon Rrinhold Schneider. Nachdruck vertairn. Es liegt im Charakter der Deutschen, daß sie von ihren Nationalhelden eine starke humoristische Ader erwarten. Eine so völlig bumorlose Gestalt, wir die de« ersten Napoleon, wäre io Deutschland kaum jemal« wirklich populär geworden. Gerade die humoristischen Züge von Männern, wie Lutber oder Friedrich dem Großen, wurden am schnellsten allgemein bekannt, verstanden und beliebt. Vollends beim Fürsten Bismarck bildet sein Humor ein besonders starkes Element seiner BolkSihümlichkeit. Dieser sein Humor mildert gewisser maßen die derbe, fast erdrückende Kraft seine« Charakter«, unv in seiner schlagenden Ursprünglichkeit, in seiner Vorliebe für-praktische Leben bildet er eine wichtige Brücke, auf der das Versländniß dcr Volksgenossen diesem Uebermenschcn sich näherte. Es ist hierfür charakteristisch, daß die humoristische BiSmarck-Figur des „Kladderadatsch" den ersten populären BiSmarck-TypuS bilrele. So mag es anläßlich deS Geburts tages deS greisen Manne« angebracht sein, auf diese Seite seine« EbarakterS einen Blick zu werfen, die bisher noch recht wenig Beachluna gefunden bat. Bismarck'S Humor entspringt in erster Linie nicht der Empfindung, sondern dem Verstände, richtiger gesagt: dem Rricktbume an Geist. Will man sich seinen polaren Gegensatz vergegenwärtigen, so ist es der Humor Jean Paul «. DaS ist ein reiner Grsühlshumor, der oft im guten, wie auch manchmal im ungünstigen Sinne de« Worte« sentimental wird. BiSmarck ist auch al« Humorist nie und in keiner Weise sentimental gewesen. Sein Humor ist der eine« CharakteristikerS, der für die Eigenheiten der Menschen ein überaus scharfe« Aujze bat und die Gabe besitzt, seine Beobachtungen ebenso geistreich wie Plastisch zn schildern. In einem Briefe vom Jahr« 1844 zeichnet er seine Tischgesellschaft in Norderney, »inen alten Minister, „eine jener Gestalten, di« un« erscheinen, wenn wir schlafend Übel werden: ein dicker Frosch ohne Beine, der vor jedem Bissen den Mund wie einen Nachtsack bi« an die Schultern aukreißt» so daß ick mich schwindelnd am Rande des Tische« feilballen muß", und dann einen russischen Officirr, „gebaut wie ein Stiefelknecht, langer schlanker Leib unv kurze krumme Beine". Da» sind Bilder, die sich sofort rinprägrn, Vergleiche von einer grote«ken Derbheit» die vielleicht etwas sprcifiich Norddeutsche« hat und jedenfall« an die genial» Bizarrerie Kleist'S erinnert. Aber da ist doch auch wieder ein großer Unterschied. Kleist schweift mit seinen Vergleichen gern einmal in die Weite, besonder« in den Orient; Bi«marck'« Humor aber erhält gerade dadurch sein scharfe« Gepräge, baß er durchaus im hrimathlichen Boden, >M praktischen Leben wurzelt und aus ibm seinen Gehalt saugt. Wenn er de« Mußprrußea von 1866 Preußen al« «ine wollene Jack» »»pstehlr, m der «aa sich »ohl zunächst uadehaglich, mit der Zeit aber doch angenehm und gesund fühle, so ist diese humorvolle Kleider-Cbarakteristik jedermann verständlich. Gern verwendet er seine Erfahrungen und Kenntnisse al« Reiter und Landwirth für seine humoristischen Ergüsse. Jenen Abgeordneten, der ihn im vereinigten Land tage immer und immer wieder mit seinen angeblich mittelalterlichen Ansichten stichelte, fertigte er mit dem glück licken Ausdrucke ab, er sei auf einem etwas müde gerittenen Pferde auf ibn eingesprengt, und einen politischen Doktrinär und Theoretiker charakterisirte er al« „Pbrasengießkanne". Noch eine weitere Quelle, die Bismarck'« Humor tränkt, muß «rwäbnt werden; seine literarische Bildung, vir sich aller dings auf einen gewissen K»ri« (Lhakeipeare, Goethe, Schiller vor Allem) beschränkt, diesen aber völlig beberrscht. Al» er nach der glücklichen Erledigung der schlrSwig-bclsteinischen Verhandlungen den König kommen sah, machte er den geist reichen Vorichlag» ihn, analog dem Gruße der Hexen an Macbeth, mit „Heil, Tban von Laucnburg! Heil Dir, Tban von Kiel! Heil Dir, Than von Schleswig" zu begrüßen. Schillern entlehnte er die in ibrer Kürze besonder« humor volle Bezeichnung Napolcon'S III. als „Tic»e»bacher"; man muß sich bierbei die Cbaraklerislik dieser Truppe als „Ge vatter Schneider und Handschubniacher" vergegenwärtigen unv sich erinnern, daß Bismarck den angeblich so tief?« und ipbinxbafte» Imperator als „dumm und sentimental" be- urldeilte. So von der Füll« des Leben» genährt, von einer lite rarischen Krnlttiiiß, die er in jedem Augenblicke zu beliebiger Verfügung parat halte, bereichert, von einem glänzenden, unerschöpflichen und überlegenen Geiste getragen, gewann der Bi-marck'scke Humor eine seltene Kraft, die sich in einem sprudelnden Uebermuthr, in einem souverainen Spielen mit Menschen und Dingen äußert. So sprach er nicht nur, so war er. Wenn er al- Göttinger Student den, Universiläl«» richlrr, der ihn wegen einer aus seinem Fenster geflogenen Flasche vor sich citirl hat, den Vorfall mit Hilf« des Tinten fasses in einer für den richterlichen Schädel höchst bedroh lichen Weise zu erklären sich anschickt, so liegt hierin derselbe, dem Gefühle der Ueberlegenheit entspringende übcruiütbige Humor, als wenn er den Franzosen dahin schildert: „Man kann ihm 15 aufzählen, — wenn man ihm dabei nur eine schöne Rede von dcr Freiheit unv Menschenwürde hält, die sich darin ausdrücke, »nd die entsprechende Altitude dazu macht, so bildet er sich ein, er wird nicht geprügelt." Bismarck bäite gegebenenfalls kaum gezögert, die« «igenarlige Verfahren anzuwenden. Denn er gehörte gar nicht zu jenen Humoristen, zwischen deren Handeln und Sprechen eine große Kluft gähnt, die humoristisch schreiben, aber al» Menschen wie dir Gries grame einherwanvelu und ganz ohne Humor in ihrem Han deln sind. Nein, BiSmarck bat oft gerade besonder- tckwierige Situationen gehalten und gerettet, indem er seinen drastischsten Humor spielen ließ. Wir erinnern nur an seine Quinze- Parlie mit dem dänischen Grafen Vlouic während der Gasteiaer Friedrn-vrrbandlungrn. Er spielte sonst überhaupt nie, hier aber spielte er ganz leichtsinnig darauf lo«. Der Graf wollte nämlich »in alle« Recept prodiren, uach dem man di« Mensch,» deim Ouinzr am beste» kennen lern». „Ich
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