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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.04.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-04-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970406027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897040602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897040602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-04
- Tag1897-04-06
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Größere Schriften laut unserem Preis- vrrzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen»Au-gabe, ohne Postbesörderunn 60.—, mit Postbeförderung ^tl 70.—. Annahmeschluk für Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittag« 10 Uhr. Rtorgen-Ausgabe: Nachmittag« «Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richtea. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. ^ 175. Politische Tagesschau. * Leipzig, 6. April. Die bisherige Behandlung des Handelsgesetzbuchs, dessen zweite Lesung der Reichstag gestern begann, ist ein Beweis dafür, wie selbst trotz der Erschwernisse der gegenwärtigen Ver fassung dieser Volksvertretung umfassende Gesetzentwürfe gefördert werden können, wenn ein entschlossener persönlicher Wille sich dahinter setzt, das Material für eine wohlfeile agitatorische Verarbeitung sich zu spröde erweist und störende Eingriffe fern bleiben. In sechzehn Sitzungen hat die Commission die umfangreiche Vorlage verbreitet. Zehn Sitzungen ent fielen auf die erste Lesung, sechs auf die zweite; l47 Seiten umfaßt der jetzt vorliegende Commissionsbericht, der über daS 1. und 2. Buch von dem nationalliberalen Abg. Basser mann, über das 3. und 4. Buch und das Einsührungsgesetz von dem Centrumsabgeorbneten Wellstein erstattet und trotz seines Umfangs in zwei Tagen fertiggestellt worden ist. Der Gesetzentwurf war, wie auch in der ersten Lesung im Reichstage anerkannt werden mußte, so vortrefflich vorbereitet, daß es tiefeinschneidender Aoänderunzen nicht bedurfte. So verlief die Commissionsberathung schnell und sachlich. Immerhin hat sich noch Gelegenheit gefunden, in nicht unerheblichen Punclen den Entwurf zu verbessern, und eS erfüllt uns mit besonderer Gcnugthuung, daß hierin gerade von nationalliberaler Seite die hauptsächlichsten Anregungen kamen. Insbesondere haben der Initiative des Abg. Bassermann weite gewerbliche Kreise hochbedeutsame Verbesserungen zu danken, zunächst im ersten Buche „HanvelS- stand" bei den Bestimmungen über die Rechte der Handelö ge Hilfen. Nach der Vorlage soll das Gehalt spätestens am Schluffe des Monats gezahlt werden. Hierzu wurde der Antrag Bassermann angenommen, daß zuwiverlaufende Ver einbarungen nichtig sind, ebenso solche, welche darauf hiuaus- geheu, daß der anS der Unfall- und Krankenversicherung er haltene Betrag ungerechnet werden darf. Vergeblich blieb der Versuch, die Versticklungen des Geschäftsreisenden dahin zu präcisiren, daß er keine Verpflichtung hat, andere Dienste zu Ihun, als solche, die mit seiner Reisethäligkeit Zusammenhängen. Von besonderer Wichtigkeit war ferner die auf Antrag des Abg. Bassermann erfolgte Einschränkung der Con cu rre n zcl au s e l. Nach der Vorlage sind Vereinbarungen zwischen Principal und Handlungsgehilfen, durch welche dem Handlungsgehilfen Be- jchränkungen m seiner gewerblichen Thätigkeit nach Beendigung der Dienstzeit auferlegt werden, nur in soweit verbindlich, als die Beschränkung nach Zeit, Ort und Gegenstand nicht die Grenzen überschreitet, durch welche eine unbillige Erschwerung deS Fortkommens deö Handlungsgehilfen ausgeschlossen wird. Auf Antrag des Abg. Bassermann wurde hinzugefügt, daß diese Beschränkungen überhaupt im Maximum nur drei Jahre vom Tage des Austritts an dauern dürfen. Damit haben also die Handlungsgehilfen bereits nach drei Jahren ihre volle wirth- schaftliche Freiheit wieder. Ferner brachten die nationalliberalen Commissiousmitglieber in den Gesetzentwurf die Bestimmung, daß die Concurrenzclausel nichtig wird, wenn der Principal durch vertragswidriges Verhallen den Handlungsgehilfen zur Kündigung nöthigt, und ferner, daß im Falle einer Kündigung auf nichtige Gründe hin der Principal nur dann Anrecht auf Innehaltung der Concurrenzclausel hat, wenn er dem Gehilfen für die Dauer der Beschränkung weiter Gehalt bezahlt. Schließlich sorgte der Abg. Bassermann dafür, daß diese Schutzdestimmungen gegen den Mißbrauch der Concurrenzclausel auch auf die zahlreichen Angestellten in Gewerbe und Industrie, wie Chemiker und Werkmeister, Dienstag den ausgedehnt wurden. Auch in den weiteren Büchern des Handelsgesetzbuches hat die bessernde Hand, welche von nationalliberaler Seite angelegt wurde, bemerkbare Spuren zurückgelaffen. Im Laufe der parlamentarischen Verhand lungen wird sich noch Gelegenheit bieten, darauf zurück zukommen. Gestern wurde au den Commissionsbeschlüffeu keine Aenderung vorgenommen. Der durch die Wablbewegung im Reichstazswahlkreise Sch wetz aufgestachelte polnische Fanatismus hat, wie es scheint, noch ein zweites Opfer gefordert. Ein Correspondent der „Bert. N. N." in Schwetz meldet nämlich: „Ein polnischer Wähler Namens Peter Leppek aus Lons- kipiec, Kreis Schwetz, hat einem Deutschen, dessen Name bisher »och nicht jestgesteUl worden ist, mit einem Steine die Schädeldecke zertrümmert und ihn dadurch getödtet; er schrie dabei wie ein Wahnsinniger: „Ich muß deutichesBlutjehen'" Ter Mörder wurde verhaftet und in das Schweger Gefüngniß eingeliescrt." Auch über diesen Vorfall muß man sich ein definitives Urtheil bis nach Abschluß der gerichtlichen Untersuchung Vor behalten. Jedenfalls aber geht aus all den Nachrichten, die aus dem Wahlkreise vorliegen, überzeugend hervor, daß der deutsche Abgeordnete, der unlängst erklärte, er könne rn der polnischen Agitation eine Gefahr nicht erblicken, ein Urtheil in dieser Angelegenheit sich nicht hätte gestalten dürfen. Aus allen Theilen des Wahlkreises wird gemeldet, daß die fanatisirten polnischen Arbeiter das Bekenntniß des Deutschlhums wie ein an ihnen begangenes Ver brechen angesehen haben. Der Schutz solcher Staatsbürger, die es noch wagen zu dürfen glauben, deutsche Anschauungen auch in Gegenwart von Polen zu bekennen, wird daher zur unerläßlichen Pflicht. Dieser Schutz bedingt vor allen Dingen die Einschränkung der polnischen Agitation in Wort und Schrift. Die Thätigkeit der Agitatoren und der polnischen Presse muß in noch ganz anderer Weise als bisher beachtet und, wenn sie zur Verhetzung auSartet, nachvrücklichst bestraft werden. Denn wenn man nur Diejenigen, die Gewalt- lhaten factisch verüben, bestraft, die intellektuellen Urheber aber frei ausgehen läßt, so handelt man zugleich wider Moral und Slaalsinteresse. Die Erbauung einer evangelischen Kirche in Deutsch- Ostafrika, und zwar in Dar-es-Salaam, ist jetzt bestimmt in Aussicht genommen, was gewiß nicht blos in religiöser Hinsicht als eine Errungenschaft zu begrüßen ist. Wegen der Kirchenbaufrage hat der Gouverneur Oberst Liebert vor seiner Abreise von Berlin noch dem Präsidenten des Oberkirchenraths v. Barkbausen einen Besuch gemacht und seine Bereitwillig keit erklärt, in der Sache nach seiner Ankunft in Ostafrika etwas zu thun. Der Plan eines Kirchenbaues in Dar- es-Salaam wurde schon ins Auge gefaßt, als vor zwei Jahren ein Geistlicher mit der Seelsorge in Ost afrika betraut wurde. Dem Pastor Ioh. Holst von der deutsch - ostafrikanischen Mission wurde sie übertragen. Pastor Holst konnte annähernd feststcllen, daß 172 Evange lische in Dar-eS-Salaam anwesend waren; fast alle gehören der deutschen Nationalität an; dazu kommen noch einige Syrier auS dem Scheller'schen Waisenhause in Jerusalem, die auch Deutsch sprechen. Auch die zahlreich vertretenen Griechen nehmen die evangelische Seelsorge, namentlich bei Begräbnissen, öfter in Anspruch. Die Griechen haben zum Dank dafür zum Bau einer evangelischen Kirche 6. April 1897. 300 Rupien geschenkt. Auch auf die Kriegs- und Kauf fahrteischiffe hat der Pastor seine Seelsorge erstreckt. In Dar-es-Salaam wurde an allen Sonn- und Festtagen in der kleinen Capelle deS evangelischen Missionshospi- talS Gottesdienst abgehalten. Die Capelle bat 30 Sitz plätze und genügt bei gewöhnlichen Gottesdiensten, doch nicht bei Festen wie Weihnachten, wo sich 70 bis 80 Personen in dem überheißen Raum zusammendrängen. Ein anderer Uebel- stand ist die ungünstige Lage der Capelle an einem Ende der Stadt. Außerdem liegt daS Europäer-Viertel in weitem Bogen, eine halbe Stunde lang, um den Hafen herum. Der Plan deS Kirchenbaues hatte viel Anklang gefunden, der Pastor hatte schon damals 2700 Rupien erhalten. Eine Collecte in der preußischen Landeskirche hatte im Jahre 1894 33 000 ^ eingebracht. Pastor Holst sprach den Wunsch aus, die Kirche sollte aus praktischen wie ästhetischen Gründen auf dem großen, freien Platze bei dem Posthause in der Mitte der Stadt liegen. Wenn wir gestern der Meldung, daß der liberale deutsche Großgrundbesitz in Oesterreich in der Ministerkrise daS Opfer des Intellekts und der nationalen Ebre gebracht habe, um die Bildung einer klerikal-reactionären Mehrheit im Abgeordnetenhaus« zu verhüten, Zweifel entgegenbrachten, so zeigt eS sich heute, daß diese nicht un begründet waren. Der liberale Adel bat. wie wir annahmen, allerdings den Eintritt in die von Bakeni geplante Mehr heit zugesagt, aber nur unter der Bedingung, daß sie in Sachen der böhmischen Sprachenverorvung eventuell mit den deutsch-fortschriktlicken Abgeordneten— also der Opposition — stimmen und auf keinen Fall in eine Verbindung eintreten würden, welcher auch klerikale Gruppen angeboren sollten. Da rauf erklärte Badeni, nicht eingehen zu können, und so war der Versuch eine Mehrheit mit den liberalen Deutschen zu bilden, gescheitert, ebenso aber auch die Organisirung einer Mehrheit ohne die Deutschen, in welcher die katholische Volkspartei als wesentlicher Bestandtheil Aufnahme gefunden hätte, da Graf Badeni zwar gern eine Gruvpe katholischer Abgeordneter zur Sicherung der polnisch- tschechisch-deutschen Majorität herangezogen hätte, aber im Hinblick auf den Ausgleich mit Ungarn nicht wagen konnte, einer mit dem Regierungsstempel gesichten klerikalen Partei eine entsch e idendeRollezuzuweisen. Badeni wird nun mit seinen übrigen Minislercollegen im Amte bleiben, da der Kaiser die Demission deS Cabinets ab- gelehnt und dasselbe seines vollsten Vertrauens versichert hat. Es wird obne sichere Mehrheit zu regieren ver suchen und sich eine solche von Fall zu Fall zu bilden bestrebt sein. Dies dürfte ihm auch glücken, denn die böh mische Sprachenverordnung, welche in diesem Augenblick bereits veröffentlicht sein dürfte, wird im VerordnungSweg eingeführt werden und zweisellos trotz des Widerspruchs der deutsch- liberalen Abgeordneten die Sanktion deS Parlaments erhalten, und wenn der Ausgleich mit Ungarn auf die Tagesordnung kommt, für welchen Badeni auf die deutsch-liberalen Stimmen angewiesen ist, so hat er bereits die Zusicherung deS liberalen Großgrundbesitzes, daß dieser nicht beabsichtigt, ihn auf einem ander» Gebiet als dem der Sprachenverordnung — viel leicht nicht einmal auf diesem — Opposition zu machen. Durch diese Erklärung haben die liberalen Großgrundbesitzer leider gezeigt, daß sie nicht die Kraft haben, sich zu einer männlichen, die deutschen Interessen, weil schwer gefährdet, in den Vordergrund stellenden grundsatzgetreuen 91. Jahrgang. und charaktervollen Opposition aufzuschwingen, und das muß sie wieder tief in der Achtung deS rcichsdeulscken Liberalismus herunlersctzen,mögen sie immerhin davor zurückgeschreckt sein, sich der Regierung auf alle Fälle auszuliefern und sich von vorn herein die Hände zu binden. Noch schlimmer aber und tief be dauerlich ist cs. daß lediglich die deutsche Fortschritts partei, welche bisher nur aus drutsch-böhmischeu Abge ordneten besteht, entschlossen ist, das die Sprachenverordnung erlassende Ministerium mit allen gesetzlichen Mitteln systematisch zu bekämpfen, daß dagegen deutsch-liberale Abgeordnete anderer Kronländer — bis jetzt sind es 14 an der Zahl — Erklärungen abgegeben haben, die sich dem Standpunkt des liberalen Großgrundbesitzes nähern. Der Grund für diese schwächliche Haltung eines TheileS der Liberalen wird von dem „Journal des D6bats" vielleicht nicht unrichtig auSgevrückt, wenn das französische Blatt meint, daß diese Liberalen nun schon so lange solchen Ministerien, die das Deutschthum verletzen, Handlanger ge wesen sei, um sich in den Gedanken hineinsinden zu tönnen, daß man auch Opposition machen könne. Wie ein Ei dem andern, so gleicht die Action der Mächte in der griechisch-kretischen Sache der Echternacher Springprocession: zwei Schritte vorwärts, einer zurück. So auch im gegenwärtigen Moment. Gestern: gem e i n sam erBeschluß der Piräusblockade und Anweisung der Admirale, die Sperre zu beginnen, morgen: Erklärung des ersten Lords des Schatzes Balfour im englischen Unterhaus (die ausführliche Meldung findet sich unter „Orient"), die Regierung würde nicht zögern, sich den anderen Mächten bei der Blockade anzu schließen, — wenn es für die Aufrechterhaltung des Friedens nöthig sei; vorläufig sei es aber noch nicht so weit, vielmehr erfolge inzwischen eine allgemeine Er klärung der Mächte in Athen und Konstantinopel, durch welche die Aufrechterbaltung deS Friedens er reicht werden dürste eine Erklärung dahingehend, daß im Falle eines Conflictes an der makedonischen Grenze der an greifende Theil als verantwortlich angesehen werde für alle Folgen der Störung des allgemeinen Friedens, und welches immer die Folgen deS Kampfes sein mögen, die Mächte würden nicht zugeben, daß der angreifende Tbeil den kleinsten Vortheil daraus ziehe. Eine wunderbare Erklärung, wie sie nur ein diplomatisches Genie sondergleichen eiogegeben haben kann! In Athen wird man dieselbe kaltblütig zu dem klebrigen legen, denn dort ist man sich der vollen Verant wortung längst bewußt, vertraut aber, und nicht ohne Grund, daß die Einigkeit der Mächte nur scheinbar besteht, daß sie aber mindestens während eines griechisch-türkischen Krieges in die Brüche gehen und Griechenland auf diese Weise doch noch zum Ziele gelangen werde. Und zudem: wer wird, wenn Griechen und Türken aus dem Balkan band gemein geworden sind, feststellen können, welcher Theil der angreifende gewesen ist, also die Verantwortung trägt? Wer bat zuerst geschossen, wer provocirt, wer hat darüber zu befinden? Alles Fragen, die kaum zu beantworten sind und über denen sicherlich die Harmonie der europäischen FriedenS- büter sich in ihr Gegentheil verkehren wird. In Konstan- tinopel wird man solche Erwägungen gar nicht anzustellen brauchen, da man dort nur zu Kriegsdrohungen sich auf rafft, aber kaum daran denkt, tbatsächlich aggressiv vvrzugehen. Nach Balfour's Erklärung bat es den Anschein, als ob die Mächte sich dahin geeinigt hätten, mit der Blockade — wenn überhaupt — erst dann zu beginnen, wenn Griechenland trotz Sneewittchen. üj Roman von A. I. Mordtmann. Nachdruck verboten. Ein Heller Blitzstrahl flammte am jenseitigen Ufer der Alster aus und spiegelte sich unheimlich in der noch immer bewegungslos daliegenden seeartigen Fläche des Flusses. DaS Wetter mahnte dringend zum Ausbruch. Aber Zarnow konnte sich nicht so rasch loSreißen; noch eine Weile standen sich die Liebenden, Hand in Hand gefügt, Auge in Auge getaucht, gegenüber. Dann kam Helene herein, und Zarnow nahm mit innigem Handkuß von Cäcilie, mit leichtem Scherzwort von ihrer Schwester Abschied. In stundenlang niederströmenden Regenfluthen, in un unterbrochen aufzuckenden Blitzen und grollenden Donner schlägen entlud sich daS Unwetter, das bis lange nach Mitter nacht tobte. Aber die Bewohner des Hauses an der Alster achteten seiner nicht; denn während deS ärgsten Aufruhrs der Elemente war Rudolf Friedrichs«» in einer Droschke an- gefahren gekommen, und sein bleiches Gesicht, seine zuckenden Lippen hatten den Schwestern verrathen, waS kommen würde, noch ehe er ein Wort gesprochen hatte. Eine Reihe weiterer Fallissement» in Amerika und der Zusammenbruch einer großen Importfirma in Hamburg hatten das HauS Friedrichsen L Thormählen, dessen einziger Inhaber Herr Rudolf Friedrichsen ist, gezwungen, um ein Moratorium einzukommen; morgen würde Rudolf seine Gläubiger zusammenberufen; noch könne nicht übersehen werden, wie viel noch au» dem Sturze zu retten sein würde; aber wo ringsum Alles brach und krachte, hatte die schlimmste Vermuthnng die größte Wahrscheinlichkeit für sich. DaS Abendessen stand unberührt auf dem Tische, und keiner der Anwesenden beachtete da» gemüthlicbr Summen der Theemaschine, so lange Rudolf seinen Unglück-bericht ab stattete. Beide Schwestern unterbrachen mit keiner Silbe die Ausführungen de» Bruders. Cäcilie saß regungslos mit geschloffenen Augen da, Helene streichelt« zuweilen Rudolf'» Arm, wie um ihn zu trösten. »Und WaS wirst Du nun an fangen?" fragte sie, als endlich Alle» heraus war. Rudolf fuhr sich erschöpft mit der schlanken Hand über den schon dünn gewordenen Scheitel. Die Sorgen der jüngsten Zeit hatten auf ihm gelastet und ließen noch pein licher bervortreten, wie sein Aussehen um viele Jahre seinem wirklichen Alter vorauSzeeilt war. „O ich!" antwortete er auf die Frage der Schwester. „Die Frage ist nur, was Ihr anfangen werdet! Das ist meine Sorge." „Wie können wir daS wissen, ehe wir klarer sehen?" be merkte Cäcilie in ruhigem Tone. „Ist denn keine Hoffnung mehr für die Firma?" „O ja — eine letzte Hoffnung habe ich noch für die Firma", antwortete Rudolf. „Wir können unS wieder aufraffen, wenn der Garantie-DiSconto-Verein unsere Tratten schützt." Cäcilie betrachtete aufmerksam ihren Bruder. Sie er- rieth, daß er etwas verschwieg, weil eS ihm schwer wurde, eS zu sagen. „Wenn er eS thut", sagte sie. „DaS bedeutet nicht viel. Die Frage ist: glaubst Du, daß er eS thun wird?" „Ich glaube schon, denn von uns hängen einige kleine Häuser ab, die man gerne halten will, um da» Vertrauen wieder hrrzustellen; und tritt der Verein für un» ein, so wird eine förmliche Bankerotterklärung vermieden werden." „So ist eS ja gut", versetzte Cäcilie aufathmend. „Ja — eS ist gut", sagte Rudolf zögernd. „Aber eS wäre bestenfalls eine Ehrenrettung — unser Wohlstand ist dahin!" „Der kommt wieder!" tröstete Cäcilie zuversichtlich. „Nicht so leicht. Wenn man Alle« verliert, ist eS schwer." „Dann ist ja nocd unser kleine» Vermögen da", äußerte Cäcilie, deren Augen nicht eine Secunde de» Bruder» sorgen volle» Antlitz verließen. „Das ist e» eben. Ich weiß nicht, ob ich Eure Einlagen halten kann." „Warum hast Du da» nicht gleich gesagt?" fragte Cäcilie. „Ich habe es mir wohl denken können, daß daS Geld mit verloren geht." „Jedenfalls. Selbst wenn ick den Bankerott mache, würde ich mich schämen, Eure 50 000 Mark al» Schuld der Firma anzugeben und so zum Nachtheil der anderen Gläubiger für Euch, da» heißt für unS, etwa» zu retten. Ich bin überzeugt, daß Ihr derselben Meinung seid." „Selbstverständlich!" betheuerte die ältere Schwester. Helene schwieg still. „Wenn ich nun von Fremden Hilfe verlange, so kann ich unmöglich die eigenen Verwandten schonen. Kann ich aber dem Garantie-DlSconto-Verein mittheilen, daß ich meine und meiner Schwestern ganze Habe hergebe, um unsere Verbind lichkeiten zu decken, so ist er moralisch beinahe gezwungen, unsere gefährdeten Tratten in Schutz zu nebmen." Fräulein Helene spielte unschlüssig mit den Bändern der koketten Schürze, die sie bei Verrichtung ihrer häuslichen Ob liegenheiten trug, und die ganz nach dem neuesten Muster der Modenzeitung geschnitten war. „Wenn Du nun gar nicht» von diesem Gelde erwähntest?" fragte sie. „Meinst Du, daß man sich danach erkundigen wird?" „Schwerlich, wenn ich selbst nichts sage. Aber da daS Vorhandensein Eures Geldes kein Geheimniß ist, so wild man darüber reden, wenn ich nicht dabei bin. Und waS daS für Folgen haben würde, könnt Ihr Euch an den fünf Fingern abzählen." Die Geschwister traten nun in eine Erörterung der Ge schäftslage ein, und eS ergab sich auS den langen Zahlen reihen, die Rudolf seinen Zubörerinnen vorführte, daß die Ebre der Firma mit Hilfe deS Garantie-DiSconto-VereinS gerettet werden konnte, wenn jede von ihnen die 25 000 Mark, die ihr mütterliches Erbtheil bildeten, hergäbt. Es würde dann sogar ein kleines Capital übrig bleiben, womit man das Geschäft zunächst in bescheidenem Umfange weiterführen könnte, um später vielleicht, gestützt auf alte Verbindungen und den unangetastet gehliebenen Credit deS Hauses, die alte, hoch angesehene Stellung in der HandrlSwelt wieder zurückzugewinnen. Während Cäcilie nicht eine Secunde schwankte und ohne Zögern auf ihr Erbtheil verzichtete, war Helene viel zurück haltender, und wenn sie auch schließlich ihre Einwilligung gab, so geschah eS doch nur zaudernd und widerstrebend. Als die beiden Schwestern sich für die Nacht zurückzogen und Rudolf seinen Berechnungen überlaffen hatten, bekam Helene über da» geringe Entgegenkommen, da« sie dem sorgen belasteten Bruder bewiesen habe, herbe Borwürfe zu hi^en. „Du hast gut reden", vertheidigte sie sich, vor dem Spiegel ihr volle« blondes Haar lösend und wohlgefällig bewundernd, wie eS gleich einem Mantel über die schneeweißen Schultern niederwallte. „Wenn ich an Deiner Stelle Ware, so würde ich mich auch nicht lange besonnen haben. Aber bei mir ist eS ganz etwa» Anderes." „Und bitte, welchen Unterschied siehst Du zwischen unS Beiden?" „Siehst Du keinen Unterschied zwischen Paul und Fritz?" „O natürlich! Einen großen! Fritz . . ." „Aber Schwesterchen!" Und Helene sprang lachend auf Cäcilie zu und legte ihre Hand auf deren Mund. „Was Du mir da jetzt vorzupredigen beabsichtigst, will ich ja gar nicht hören. Das kenne ich längst. Natürlich ist Fritz der idealste aller Männer und ein Ausbund aller Tugend, während Paul in der großen Masse nur so eben.mit durch läuft." Cäcilie, die aus einem niedrigen Stuhle saß, zog Helene zu sich herab, um ihr ernst in die Augen zu sehen. „Du willst meiner spotten, Kind", sagte sie dann. „Aber Du irrst Dich. Du meinst, die Liebe macht mich blind und verführt mich, in Zarnow ein Ideal zu sehen. Es ist umgekehrt. Er ist wirklich ein idealer Mensch, und darum liebe ich ihn. Wäre er ander- . . ." „O laß doch, Cäcilie!" fiel Helene mit erheuchelter Angst eia. „Ich kenne schon die Schrecken Deiner Beredsamkeit, wenn der ideale Magister aufs Tapet kommt." „Magister! Schäme Dich! Er ist Oberlehrer am Iohanneum." „Sogar an der gelehrten Schule", ergänzte Helene. Sie wickelte nachdenklich eine Strähne ihres schönen Haares um ihre Finger und dann wieder los. Cäcilie sah ihr mit bekümmertem GesichtSausdruck zu. Endlich begann Helene wieder: „ES ist wunderlich, wie Du immer Uber Zarnow beredt bist. Du mußt mir zngeben, daß ich niemals so viel über Paul rede." ,<3ch wollte, Du tbätest eS." „Warum denn? Er ist eben kein Ideal. Aber lieb habe ich ibn darum doch." „Nun also! Das ist ja die Hauptsache. Aber davon wollten wir ja eigentlich gar nicht reden. WaS haben unsere Freunde, oder vielmehr die Verschiedenbeit unserer Freunde damit zu thun, daß ich ein Opfer bringe, daS Du scheust?" „Alle- in der Welt, Du einfältiges Mädchen! Ich wundere mich, daß Du daS garnicht einseben willst." „Komm meinem schwachen Geist etwa» zu Hilfe." „Ich bin schon dabei. Du sollst über meine Methode staunen. Glaubst Du, daß irgend etwas geschehen könnte, waS Dir den Doctor Zarnow abwendig machte?" „Nicht-. Ich glaube, er käme noch als Todter zu mir." „Nun, siehst Du! Mit Paul ist e» ganz anders. Er ist ein prächtiger Mensch und hat mich sehr lieb — wie ich eS verdiene, natürlich! — aber ich glaube, daß unter den vielen Vorzügen, die er an mir bewundert, meine 25 000 Mark zwar die letzt« Stell«, aber immerhin doch eine Stell«
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