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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.04.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-04-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970407028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897040702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897040702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-04
- Tag1897-04-07
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Während dieser die Bildung einer Zwangsinnung von der Zustimmung der Mehrheit der betheiligten Handwerker und jene sie von dem Perlange» einer solchen Mehrheit abhängig macht, ermächtigt die CommissionSfassung die höhere Ver waltungsbehörde, die Errichtung von Zwangsinuunzen einfach zu befehlen, gleichviel 'ob die Handwerker die Einrichtung wollen oder nicht. Das Schönste an diesem Beschlüsse ist, daß er von dem Abg. Gamp herbeigeführt worden ist, demselben Mitglied? der Reichspartei, das in der erste» Lesung im Plenum gesagt hat, seine Partei hätte niemals daran gedacht, widerstrebenden Handwerkern eine Zwangsinnung zu octrohircn. Wir haben keine Ursache, uns über die vom MinisterBrefeld schwach, von dem StaatS- sccretair vr. v. Boetticker entschieden bekämpfte Entscheidung aufzursaen. Sie ist eine sehr vorläufige, wie Alles, waS diese Commission etwa noch beschließen sollte. Aber der Beschluß stimmt zu gut zu der tiefen Unaufrichtig keit, die diese ganze gesetzgeberische Action von Anbeginn gekennzeichnet hat, als daß man ihn ganz mit Still schweigen übergehen könnte. Der CentrumSmann Hitze, der im Plenum sehr energisch gegen bureaukratiscbe Einmengung in Handwerkerverhäitnisse geredet hat, sprach und stimmte für den Antrag Gamp, der einfach Alles der Entscheidung der Bureaukratie überantwortet. Und die „Post". daS Organ der Reichspartei, muß schreiben, der Beschluß sei gefaßt worden, weil nicht die größere Zahl, sondern die „Leistungsfähigkeit und Intelligenz in dieser Be ziehung ausschlaggebend sein soll". Ein doppelter — Schwindel. Ausschlaggebend wären weder die Intelligenten und Leistungs fähigen, noch nicht dieNichlintelligenten nnd Leistungsunsähigen, sondern die Rcgieruug. Und zweitens hat man neuerdings anerkannt, daß dort, wo ZwangSinnungeu „nöthig" seien, weniger Intelligenz, LeistungSfähigkeik und Gemeinsinn sich bemerkbar machten, als in den Gebieten der allgemeinen Zunftgegnerschast. Die „Post" tröstet auch die Württem berg», daß ihre Negierung ganz gewiß keine Zwangs- innungen zulassen werde, und sie bestätigt damit, was wir keinen Augenblick verkannt haben, daß dieses „Reichs gesetz" bestimmt ist, die einheitliche Ordnung des deutschen Gewerbes auszuheben. Da das Vorhandensein von 20 — zwanzig — „belhciligten" Handwerkern in einem Bezirk nach einem weiteren EommissionSbeschluß auS- reichen soll, um der Behörde die Decretirung einer ZwangS- innung zu gestatten, wäre ein herrliches Kaleidoskop vorauS- zusehen, wenn diese Gesetzgebungskomödie bis zum letzten Acte abgespielt werden würde. Ultra montane Blätter höhnen die „BiSmarcksreunde", diese fühlten großen Schmerz über die Nichtbeachtung des htcburtstagcs des Altreichskanzlers an höchster Stelle, cS fehlte ihnen aber der Mnth, ihren Empfindungen männ lichen Ausdruck zu geben. Soviel ist auch richtig, daß der siberwi'czende Theil der nationalen Presse gleich uns sich mit der Mittheilung des allerdings sehr schmerzlichen Sach verhalts begnügt hat. Scheu, das Mißfallen Mächtiger zu erregen, war aber wohl nirgends sür diese Zurück haltung bestimmend, sondern die Einsicht, daß es zwecklos sei, eine nicht mehr nachzubolende Unterlassung des Monarchen der öffentlichen Erörterung zu unterziehen. Nachdem nun die von Herrn Lieber inspirirte Presse» die diesmal leider mit Recht von sich sagen darf, sie sei „an die Seite des Kaisers getreten", die Beweggründe des patrio tischen Schweigens fälscht, so mag eö gesagt sein, daß die „BiSmarcksreunde" nicht als solche, sondern als treue Anhänger des Kaisers die Versagung des Geburtstagsgrußes an Bismarck beklagen. Dem Fürsten Bismarck kann so wenig wie Kaiser Wilhelm I. durch Menschenhände etwas von ihrer Bedeutung für Deutschland gegeben oder ge nommen werden, aber die Unterlassungen des 22. März und deS l. April geben einer Stimmung im Lande Nabrung, die nicht dem deutschen Kaisertkume förderlich ist, wohl aber den Parteien, die, wie sie eben wieder in der Flottenangelegenheit gezeigt haben, im Gegensätze zum Reiche und zum Kaiser stehen. Es hätte der ultramontaneii Aeußerung der Genugthuung über die ausgebliebene Beglück- wünschungSdepescbe gar nicht bedurft, um die politische Tragweite der großen Versäumniß erkennen zu lassen. Die demokratische „Franks. Ztg." hat schon früher dafür gesorgt, daß an maßgebender Stelle erkannt werde, wer am meisten Anlaß hat, über die Unterlassung zu triumphiren. Das demokratische Blatt schrieb unmittelbar, nachdem das Wolss'sche Telegraphcn-Bureau seine Falschmeldung dementirt hatte: „Wie schnell sich doch die Zeiten ändern! Fürst Bismarck hat diesmal zu scincin 82. Geburtstag keinen Glückwunsch vom Kaiser erhalten, ei» Beweis, daß seit den Hamburger Enthüllungen die Fäden zwischen Berlin und Friedrichsruh völlig abgeschnitten sind. Damit vergleiche man die Kritik, die der Kaiser vor zwei Jahren am Reichstag übte, als dieser am 23. März die besondere Bismarck-Ehrung ablehnte. Damals sandle der Kaiser an Bismarck folgendes Telegramm: „Euer Durchlaucht spreche ich den Ausdruck tiefster Ent« rnstung über den eben gefaßten Beschluß des Reichstags aus. Derselbe steht im vollsten Gegensatz zu den Gefühlen aller deutschen Fürsten und ihrer Völker." Heute hat der Kaiser offenbar selbst eine anderc Ansicht von der Sache." Ziemlich gleichzeitig ist von zwei sehr verschiedenen Seiten her dem durch mancherlei eigenthümliche Vorgänge im Anrstenthnm Rens; älterer Linie verletzten Nationäl- empfinden Genüge geschehen: durch das scharfe Schreiben des Erbprinzen von Neuß jüng. L., das noch bedeut samer dadurch wird, Laß der Erbprinz es als „Regent" unterzeichnet hat, und durch die Entlassung des allzu reußisch gesinnten LandrathSamtsverweserS von USlar- Gl eichen. Besonders erfreulich ist die Kundgebung des reußischen Erbprinzen und Regenten, deswegen nämlich, weil hier ein Bundesfürst selbst gegen das nicht nationale Verhalten eines andern Bundessürsten in schärfster Weise Stellung nimmt. Damit wird der Ver dacht im Auslande, als ob deutsche Fürsten particularistisch gesinnt seien, am besten zerstört. WaS die Entlassung deS Herrn von Uslar-Gleichen anbetrifft, jenes Herrn, der bekanntlich am Centenartage die Entfernung der preußischen Fahne von dem Hause eines Greizer Bürgers veranlaßt hat, so tritt man wohl der Regierung von Reuß ä. L. nicht zu nahe, wenn man die Vermuthung ausspricht, daß sie diese Entlassung nicht ganz aus freien Stücken verfügt hat; denn Herr v. Uslar-Gleichen hat ja ganz im Geiste der Regierung gehandelt, wenn diese auch seine Uebereilung nachträglich mißbilligt. Die preußischeRegierung dürfte wohl aus den Entschluß der Regierung in Greiz ein wenig eingewirkt haben. Man könnte das gewiß nicht tadeln; denn ein Beamter, der in dem einen Bundesstaate die Rechte der Angehörigen deS andern Staates in ungebührlicher Weise verletzt, gehört nicht in sein Amt, sondern mag sich lieber „ach Frankreich oder anderswohin wenveii, wo die Abneigung gegen die preußischen Farben schon erklärlicher ist. Auswärtige Blätter beschäftige» sich lebhaft mit einer angeblich geplanten Begegnung zwischen dem Sentschen Kaiser und dem Präsidenten der französische» Re publik. So schreibt daS Petersburger Militairblatt „RaS- wedtschik", daß während der Sommermanöver in der Nähe von Bjelostok Kaiser Franz Joseph auf dem Gute des Grafen Rüdiger.Kaiscr Wilhelm auf dem GuteEhoroschtsch des Herrn MoeS und der Präsident der französischen Republik im Hause des Stabes deS Mariupolschen Dragoner-Regiments Aufenthalt nehmen werden. Ferner läßt die „Neue Zür. Ztg." sich aus Brüssel berichten: „In der belgischen und aus wärtigen Presse wurde dieser Tage die Möglichkeit einer Be gegnung des Kaisers Wilhelm mit dem Präsidenten der französischen Republik auf dem neutralen Boden Belgiens anläßlich der diesjährigen internationalen Ausstellung in Brüssel lebhaft erörtert. Ich bin in der Lage, ihnen hierüber folgende, aus der besten Quelle geschöpfte Mittheilungen zu machen. König Leopold II. hegt schon seit geraumer Zeit den Plan, auf dem Königsschloß zu Lacken eine Begegnung zwischen den Häuptern seiner beiden mächtigen Nachbar- staalen herbeizuführen. Unter der Präsidentschaft Carnot'S machte er einen Versuch in diesem Sinne, der jedoch mißlang. Wird er diesmal von besserem Erfolg gekrönt fein ? Diese Frage kann derzeit noch Niemand beantworten. Bekanntlich wird die Hauptanziehung der Brüsseler Aus stellung in einer großen Congo-Ausstellung liegen, die der König im Parke zu Tervueren veranstaltet und zu deren Besichtigung er den deutschen Kaiser und den Präsidenten Faure besonders einladen wird. Daß der König dabei an ein gleichzeitiges Eintreffen der beiden Staatshäupter denkt» ist gewiß. ES bleibt aber zweifelhaft, ob die in letzter Zeit erfolgte ersichtliche Besserung der deutsch-französische» Be ziehungen schon jetzt eine Begegnung zwischen Kaiser Wil helm und Herrn Felix Faure gestattet." Das „Journal de Bruxelles" hat zwar die Nachricht, daß fremde Fürstlich keiten sür den Sommer nach Brüssel eingeladen seien, demen tirt, doch will daS Dementi in seiner allgemeinen Fassung nicht viel besagen und so empfiehlt cs sich doch, die Angelegen heit im Auge zu behalten. ^ Im österreichischen Abgeordnetenhause ist durch die Bildung des Executiv-ComitäS der Rechten die Re gierung vor eine neue Situation gestellt. Bekanntlich hatte Graf Badeni erklärt, er könne keine Mehrheit bilden, in welcher die Klerikalen einen wesentlichen Bestandtheil bildeten. Er hat es auch nicht gethan und geäußert, er werde ohne feste Mehrheit regieren, eine solche von Fall zu Fall erstrebend, aber trotzdem ist die Mehrbeit da, sie hat sich unmittelbar nach der Erklärung Badems aus Polen, Tschechen und klerikaler Volkspartei gebildet, ein Executiv-Comits ist an ihre Spitze getreten, die (Koalition hat SI. Jahrgang. bereits das Präsidium — als erster Präsident wurde ein Klerikaler gewählt! — inne und beherrscht vollständig, das Parlament. Auch die Regierung? Das wird siw sehr bald zeigen. Jedenfalls steht Graf Badeni vor der Thatsache, daß ihm sich plötzlich eine Majorität ans dringt, die er umgehen wollte. Und sie wird zweifellos sehr aufdringlich werde», ja sie kann sich jeden Augen blick gegen Badeni kehren, den sie schon unter Controlc, unter Curatel gestellt hat, und man kann es erleben, daß sie ihm den Stuhl vor die Thür setzt, ihm, der »m der Prätension ins Amt trat, sich von den Parteien nicht leiten zu lassen, sondern diese z» leiten. Will die Rechte den Grafen? DaS ist mehr als zweifelhaft. Don lauern gierige Blicke auf eine Gelegenheit, die politische Gc Walt zu erobern, die Einheit der Verwaltung zu durchbrechen, die Spuren der liberalen Gesetzgebung zu beseitigen, die Schule unter geistliche Aufsicht zu bringen, alle Instincle der Hensä>- sucht zu befriedigen. Die Erfüllung aller klerikalen Wünsche aber kann Gras Badeni nicht garantirc»; dadurch aber schass: cr sich für die Ausgleichsverbandlungen, die ihm die Gegnerschaft derKlerikalen und der Christlich-Socialen gegen daS antirömiscbc und„verjudete" Ungarn zu vollem Bewußtsein bringen werden, eine äußerst schwierige Lage, der Ausgleich kann dadurch selbst in Gefahr kommen und sein Scheuern wäre zweifellos der Sturz deS Badeni'schen Cabinctö. Es fragt sich nun, ob die Deutschen wieder inconsequcnt genug sein werden, ihm in dieser Klemme beizustehen. Uie Uiiockus, die srrktal Die deutsch - böhmischen Fortschrittler haben auf das Bestimmteste erklärt, daß sie der Regierung grund sätzlich Opposition machen werden und zwar in der schärfsten Form. Und der liberale Großgrundbesitz? Nocl, am Montag hat er erklärt, er werde nur in der Sprachen- srage gegen die Regierung sein, sonst aber sie unterstützen Das war vor der Bildung des slavisck-klerikalen Executir- Comitös. Gestern, also nach der Etablirung der tschechiscb- ultramontanen Mehrheit, bat er in Gemeinschaft mir den ibw verwandten liberalen Gruppen einstimmig die Erklärung be schlossen, daß er einer sich bildenden Majorität auf der Rechten mit Rücksicht auf die Klerikalen nicht angebören könne und sich in Zukunft nach allen Seite» hin eine freie Stellung wahren wolle, indem er sich lediglich von den Pflichten gegenüber dem allgemeinen Staatsinteresse leiten lassen werde. Diese Erklärung darf als ein Fortschritt in der Erkenntniß des liberalen Großgrundbesitzes, daß er auf falschem Wege war, angesehen und begrüßt werden; ob er aber in der Stunde der Entscheidung seine Stellung auf Seite einer kraftvollen, im Interesse des Deutschthums un umgänglichen Opposition nehmen wird, siebt noch dahin. Die Rücksicht auf die „allgemeinen" Staatsiuteressen läßt be fürchten, daß er der Regierung in ihren AusgleichSsorgcn doch wieder beispringen wird. Ter griechische Nationalfeiertag ist bis jetzt ohn: Zwischenfall verlausen. Illumination der Hauptstadt, un beschreibliche Begeisterung, großes Gedränge in den Haupt straßen, überall Rufe: „Krieg! Krieg!", einige Schüsse, welch- den Demonstrationen wohl ein revolutionaireS Gepräge geben sollten, das war Alles. Ausfallen muß es, daß der König sich kaum hat blicken lassen. Nach den bis beute Mittag vorliegenden Meldungen, hat ihn die Menge nur bei der gestrige» Frübfahrt nach der Kathedrale zu Gesicht bekommen, den Theilnehmern an dem großen Meeting aber, welches sich für den Krieg aussprach und Feitilleton. Sneewittchen. 6s Roman von A. I. Mordtmann. Nachdruck verboten. Die gemüthjiche Art der Eltern und CäcilienS sinnender Ernst ließe» den ersten Moment der Verlegenheit rasch vorübergehen, und als es später wurde, hätte Fritz sogar die übermüthige Laune HelencnS in dem kleinen Kreise, in dem er rasch heimisch wurde, nicht missen mögen. Als er Abends nach Hause ging, war de, junge Zarnow zum ersten Male in seinem Leben so hoffnungslos verliebt, wie ein junger Mensch eS überhaupt sein kann. Dann flogen seine Gedanken zu einem zweitrn Regentage zurück. DaS war ein Jahr später gewesen. Zarnow hatte im naturhistorischen Museum seine Angebetete getroffen und, da sie ohne Schirm war, sie mit seinem Regendach nach Hause geleitet. Und an einer einsamen Stelle deS Weges hatte er den ersten Kuß von ihr bekommen. Wieder ein Jahr später ging Fritz auf die Universität, und Rudolf, bei dem die Ueberzeugung zum Durchbruch ge kommen war, daß er niemals einer der vier Facultäten zu sonderlicher Zierde gereichen würde, trat in daS väterliche Geschäft ein. Die Schülerliebe aber erlosch nicht, und es war schier verwunderlich, daß die kleinen glühenden Briefcken, die von den Liebenden gewechselt wurden, nicht die übrigen Post sachen in Brand steckten. Als Zarnow von der Hochschule zurückkam, ward er Lehrer am Iohanneum. Der erste Besuch aber, den er bei seinen alten Freunden abstattete, war ein Condolenzbesuch; denn die Eltern der drei Geschwister waren in einem Zwischenraum von wenigen Stunden an der Cholera gestorben. Dann kam die licht- und sonnenvurchsunkclte Zeit, da seine Liebe zn Cäcilie auf geebneter Bahn Fortschritte machte, eine Zeit voll freudiger, glückseliger Erinnerungen; aber ihrer keine war doch zn vergleichen mit jenen Tagen strömenden ReAtn«, den, einen, da er zum ersten Male das holdselige Mädchen gesehen und jenem anderen, da er den ersten Kuß auf ihre rothen Lippen gedrückt hatte. — Die Post hatte während seiner Abwesenheit zwei Briese für Herrn vr. Fritz Zarnow gebracht, beide mit einem ofsiciellen Siegel, aber den einen auS der nächsten Nähe, den anderen aus weiter Ferne. Er legte beide gieichgiltig beiseite: weder der aus Hamburg kommende noch der mit großer brasilianischer Marke versehene erregten in besonderem Grade seine Neugierde. Ihm lagen ganz andere Dinge am Herze». Er warf einen langen, liebevollen Blick auf daS an der Wand hängende Bildniß CäcilienS, einen mißmuthigen auf den Stoß blauer Hefte, den der Schul diener gebracht hatte, und dann ging er daran, seine gründ lich durchnäßte Kleidung zu wechseln. Seine Wirtbin brachte ihm den bestellten Thee und kalten Aufschnitt und dann erst, als Beides in zweckentsprechender Weise beseitigt war, und Zarnow in seinem Lehnstuhl saß, eine Flasche Margaux neben sich und aus seiner langen Pfeife den wohlriechenden Dampf des feinen Latakia — andern rauchte er nie — cinsaugend, öffnete er die Briefe, um von ihnen Kenntniß zu nehmen, bevor er sich in daS brandende Meer der lateinische» Stil- übungen stürzte. Der hamburgische Brief war vom Hauptpastor Herrn vr. tkvol. Ritzau, der darin an den Oberlehrer Herrn vr. Fritz Zarnow daS Ersuchen richtete, ihm im Laufe deS nächsten Tages einen Besuch abzustatten; eS waren nicht kirchliche Angelegenheiten, die der Hauptpastor mit dem Lehrer zu besprechen batte, sondern Schuljachen, wie daraus hervorging, daß der Geistliche als Mitglied und im Aufträge deS löblichen ScholarchatS unterzeichnet batte. „WaS mag der Pastor von mir wollen?" murmelte Zarnow mürrisch. „Warum kann man dem Director nicht mittheilen, WaS man von mir will? Die Besuche mit obligater Ab- rüffelung soll der Kuckuck holen!" Verdrießlich öffnete er den zweiten Brief; dieser kam von dem Vorsteher einer deutschen Colonie in der brasilianischen Provinz Sao Paulo, einem seiner Schulfreunde, den unruhige Schicksale und ein unsteter Charakter dorthin über daS Atlantische Meer verschlagen hatten. Den drüben angesiedelten Deutschen, so schrieb er, fehlte es zwar nicht an leidlichen Schulen, wohl aber ließ deren Organisation an Einheitlichkeit und Gleichmäßigkeit zu wünschen übrig. Hierfür suchte man eine tüchtige Kraft, und im Aufträge seiner Mitbürger fragte er an, ob Zarnow Lust babe, dazu den brasilianischen Lands leuten seine Dienste zur Verfügung zu stellen: er werde eine angenehme, pecuniär gut dotirte und für die Zukunft gesicherte Stellung einnehmen. Zarnow warf achselzuckend den Brief bei Seite. WaS ihm da geboten wurde, reizte ihn nicht. Cäcilie würde Wohl auch keine Lust haben, in den brasilianischen Urwald über zusicdeln. Sie konnte nur in civilisirter Gesellschaft glänzen — und glänzen sollte sie, sagte sich Zarnow mit freudigem Stolze. Am nächsten Morgen begab er sich, nachdem er sein vor mittägliches Lehrpensum abgewickelt hatte, in die Paulstraße zu dem Herrn Hauptpastor. Ritzau galt als einer der be gabtesten Vertreter der orthodoren Alt Lutheraner, war aber nicht unduldsam, und sein freimüthiger Charakter, seine Wohlthätigkeit, die hinreißende Gewalt seiner Rede wurden auch von seinen Gegnern anerkannt. „Ich möchte gern eine vertrauliche und freundschaftliche Unterredung mit Ihnen haben, lieber Zarnow", empfing er seinen Besuch. „Setzen Sie sich — nein nicht da — bitte hier in den Lehnstuhl. Man kann sich nicht gemüthlich und heimisch fühlen, wenn man sich auf einem harten Stuhl herumdrückt. Wir wollen uns eine Pfeife anzünden — dann sind wenigstens die äußeren Bedingungen gegeben, um eine Einigung zu erzielen und zu einem Verständniß zu gelangen." „Es wird hoffentlich nicht schwer sein", antwortete Zarnow. „Na, ich weiß nicht", sagte der alte Herr, indem er seine Pfeife stopfte und den Tabakskasten seinem Gaste hinsckwb, damit dieser ein Gleiches thue. „Mit Euch jungen Dickköpfen ist immer schwer fertig zu werden. Ich habe mir schon manches Mal die Kehle heiser gesprochen und die Lippen trocken geredet Stunden lang, und war dann genau so weit wie im Anfang." „Sie werden mich fügsam finden, wo . . ." „Wo Ihre Ueberzeugung nicht in Frage kommt oder an getastet wird", ergänzte gut gelaunt der Geistliche. „Die Redensart kenne ich schon. Und Ihr jungen Leute von heut zutage habt Ueberzeugungen überall, und wäre eS auch nur über die Frage, ob man zum Grog drei Stücke Zucker nehmen soll oder vier. Und Sie nun gar! Sie sind ein Friese nnd das waren schon zu TiberiuS' Zeiten Eisenköpfe." „Darum zählt Deutschland sie auch zu seinen besten Söhnen." „Gewiß und unleugbar", erwiderte der Hauptvastor. Er war cs von seinen Predigten her gewohnt, mit Vorliebe jeden Begriff durch zwei Wörter oder parallele Redensarten auszudrücken. Die Pfeife brannte und Zarnow harrte ge duldig der Dinge, die da kommen sollten. Ritzau nahm aus einer schwarzen Mappe, die vor ihm aus dem Tische lag, einen Brief, den er auseinander faltete und noch einmal flüchtig überblickte. Dann begann er: „Ehe ich zur Sache komme, lieber Zarnow, möchte ich voransschicken, daß man Ihnen bei unS sehr Wohl will. Die Berichte über Sie lauten sehr zufriedenstellend und erfreulich, Mau will bemerkt haben, daß die jungen Leute Ihnen zuge- tha» sind, und daß darunter die Zucht und gute Ordnung nicht leiden." Zarnow verbeugte sich. „Es ist Ihnen nicht verborgen geblieben, daß man nach reifer und eingehender Ueberlegnnz den Beschluß gefaßt hat, Sie nach Ablauf deS gegenwärtigen Quartals, d. b. also zu Michaelis, zum Professor zn ernennen nnd Ihnen gleichzeitig als Claffenlehrer die Secunda zn übergeben. Professor Mehlhorn ist alt und rcgierungSmüde, und die Herren Secnn- daner tanzen ihm vergnüglich anf der Nase herum. Das geht nicht mehr, und Meblborn bat das selbst begriffen und eingesehen. Er wird pensicuirt werden nnd, wie weilan! Kaiser DiocletianuS, draußen in Horn sein:,, Kobl baue». Nun gebt Ihnen zwar Professor Ulrich in der Tertia an Anciennität vor. . ." „Professor Fischer auch." „Ach freilich — aber Sie wissen, den können wir in Sexta nicht ersetzen — und Professor Ulrich steht auch schon nabe an der Pensionirung, der hat keine Lust mehr die Odyssee und den Xcnophon anfzugeben — also sind Sie wirklich, theils durch Glück, theils durch eigenes Verdienst, so weit vor geschoben, wie man eS sonst in Ihrem Alter nicht zu sein pflegt/' „Sie sind zu gütig, Ehrwürden. Ich kann meinen Vor gesetzten nie genug für das Wohlwollen danken, das sie mir bewiesen haben." „Nur nach Verdienst, mein Lieber, nur nach Verdienst. Nun aber, Herr Dvctor — paullo nwiora canumu-c — wissen Sie, welche Stunden dem Ordinarius in Secunda zufallen?" „Die Ilias, der Cicero, die griechischen Erteniporalien und Excercitien — und die Religionsstunden." „Und die Religionsstunden! v»a. ja, — Sie nennen die Religion zuletzt, als wenn sie unwichtiger wäre als Homer und Cicero »nd die griechische Scriblerci. DaS ist sie aber keineswegs, ganz und gar nicht." „Sie siel mir nur zuletzt ein." „DaS ist cs eben, mein junger Freund, das ist charak teristisch." „v»8t not Iou8t, Ehrwürde,,." „O kaffen Sie doch daS Ehrwürden! Wir reden hier als gute Freunde miteinander, nicht wie ein Hauptpaslor mit
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