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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.04.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-04-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189704044
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18970404
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18970404
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-04
- Tag1897-04-04
- Monat1897-04
- Jahr1897
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.04.1897
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B»z«tzS.PreiS in der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Aus- xobestellen ab geholt: vierteljährlich-64.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in« Haus .6 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertellährlich -6 6.—. Dlrectr tägliche Kreuzbandsendung ins Ausland: monatlich ^ 7.50. Die Morgen-Ausgabe erscheint um V-7 Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Rkdlictlon un- Expedition: HohanneSgasse 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: Otto Ulemm's Tortim. (Alfred Hahn). Universitätsstratze 3 (Paulinum), Louis Lösche. Katharinenstr. 14, pari, und Königsplatz 7. nprigerTagelllatt Anzeiger. NmtMatt -es königlichen Land- nnd Äintsgenchtes Leipzig, -es Raches nn- Nolizei-Ärntes -er Lta-t Leipzig. Att-eigem-Prei- die 6 gespaltene Petitzeile L0 Pfg. Reclamrn unter demRedactivnsstrich läge- spalten) 50/H, vor den Familiennachrichten (Lgespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem PreiS- verzeichniß. Tabellarischer und Zissernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Posibrsörderung >ll 60.—, mit Postbesörderung .6 70.—. ^nnahmeschluß für Anzeigen. Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeige» sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von L. Polz in Leipzig. 171. Sonntag den 4. April 1897. SI. Jahrgang. Aus -er Woche. Ludwig Steub bekam in vorgerückten Jahren in einem Federkriege von einem viel jüngeren Manne einmal zu hören, er sei ein „altersschwacher Greis". Ter geistreiche Schriftsteller zeigte sich darob gar nicht beleidigt, er forderte nur seinen Gegner auf, sich bei ihm, um aus Erfahrung sprechen zu können, die wohlverdiente Ohrfeige auszubitten. Der Betreffende hat sich nicht gemeldet und Eu gen Richter, der soeben in seiner Zeitung den Fürsten Bismarck eben falls einen altersschwachen Greis genannt hat, braucht nicht einmal jene peinliche Einladung zu fürchten. Er darf sich vielmehr in der nächsten freisinnigen Versammlung rühmen, durch sein Urtheil den Fürsten Bismarck außer GesechtS- linie gesetzt zu haben, er. der von Kraft des Körpers und des Geistes strotzende herrliche Recke. Außerhalb des illustren Kreises, der diese Caricatur des grimmen ! Hagen bewundert, wird man aber vielleicht sagen, daß zu den charakteristischsten und zugleich unleidlichsten Merkmalen der Greisenhaftigkeit die Unfähigkeit gehört, sich der unaus gesetzten Wiederholung einer und derselben Rede zu ent halten. Und da läßt sich der Eindruck nicht abweisen, daß der Berliner Agitator den Zeitpunct» sich aus seine jugend liche Geistesfriscke ansehen zu lassen, ausnehmend schlecht gewählt hat. Denn gerade jetzt trägt er Tag für Tag denselben, nicht einmal von ihm ersonnenen, sondern von den Fortschrittsleuten der scchSziger Jahre entlehnten Gedanken vor, daß nämlich aus Parlamentsacten, in denen die Ver weigerung von Mitteln zur LandeSvertheidung proto- collirt sei, die Blume der bürgerlichen Freiheit empor- sprießen müsse. Die Besseren unter den — gleichfalls freisinnigen — Andersdenkenden hören auf das eintönige Gemurmel gar nicht mehr, ein Zeichen, an dem Herr Richter erkennen könnte, daß er nicht wohl daran tkut, Vergleiche zwischen seiner und des Fürsten Bismarck, auf dessen Aussprüche eine Welt lauscht, derzeitiger politischer Be deutung herauszufordern. Das Datum des Taufscheins lhuls eben nicht. An einen Wechsel in der Leitung deS ReichS- marineamteS kann nicht mcbr ernstlich gezweifelt werden, ebenso scheint eS sicher, daß Contre-Admiral Tirpitz zum Rachfolger des Admirals Hollmann ausersehen ist. Dem Zurücktretenden folgt die Anerkennung Aller, die seine Wirk samkeit an der Spitze der Flottenverwaltung wie sein Geschick, Forderungen des Ressorts im Reichstag zu vertreten, genau kennen gelernt baden. Der Mißerfolg bei der letzten Elatsfestseyung ist vorläufig für die weitere Oeffentlichkeit mit Hollmann's Namen verknüpft, seine Persönlichkeit hat ihn jedoch schwerlich verschuldet und wenn das Austreten des Marinesecretairs in der Budzetcommissions-Sitzung vom 5. März der vertheidizten Sache nicht genützt hat, so ver- mntbet man, daß er bei dieser Gelegenheit nicht er selber gewesen sei. Büßen muß er trotzdem und würde auch büßen müssen, wenn er auf seinem Posten bliebe. Kein Mensch ist eben ungestraft zuweilen nicht er selber. Seinen Nachfolger wird Admiral Hollmann um geringere Schwierigkeiten kaum zu beneiden haben. Noch ehe er sich in Ostasien eingeschifft hat, bemühen sich angebliche Bewunderer seiner Person, Publicisten, deren Politik mit jedem Tag undurchsichtiger wird, eine Stimmung gegen den Mann zu erzeugen, für die der Boden nur allzu gut vor bereitet ist. Man begrüßt ihn als den künftigen „Roon der Marine" und giebt damit den Gegnern einer ausreichenden Stärke Deutschlands zur See willkommene Gelegenheit zu dem Hinweise, daß Roon doch mindestens ebensosehr poli tischer und als solcher Conflictsminister gewesen ist, als militairischer Techniker. Daran schließt sich in der oppo sitionellen Presse natürlich die Versicherung,^daß die Berufung des ContreadmiralS weniger um neuer Schiffe als um — anderer Dinge willen erfolge. Die deutsche Marine ist nun wirklich an den Punct gelangt, wo sie ausrnfen darf: Gott schütze mich vor meinen Freunden, mit meinen Feinden wird der gesunde Menschenverstand der deutschen Wählerschaft schließlich fertig werden. Die schwarzen und die heiteren Loose der Handwerks- vorlage sind in den Sckooß einer Commission versenkt worden. Die Plenarberathung, die diesem Acte vorausging, war eine Farce, wie sie sich im Reichstage vielleicht noch niemals abgespielt hat. Die „Handwerkerparteien", zwei- bundert Mitglieder zählend und vielleicht zwei Dutzend Mann stark vertreten, haben in „Wählerbehandlung" Großes gewirkt. Tayllerand hätte es vielleicht feiner gemacht als die Redner der Mehrheit, aber gewiß nicht — vorurtheilsloser. Indessen WS'-', diese auch in der Form zufriedenstellend, wenigstens Herr Jakobskötter und dieser wenigstens für den Staats- secretair v. Boellicher, der die Rede des bekehrten Zunft mannes mit einem „Brav gemacht, mein lieber Jakobskötter" belohnte. Wenn aber dem Centrumsmitglied Euler, der mit einer bei einem schlickten Tischlermeister wahrhaft ver blüffenden Dialektik seine Berufsgenossen „an der Nase herum" zu ziehen verstand, nicht wenigstens daS gleiche Lob zu Theil geworden ist, so ist Herr v. Bötticher ein unbilliger Mann. Die Antisemiten, die die Verheißungen der wirklichen Zwangs innung und des Befähigungsnachweises jetzt zu monopvlisiren gedenken, kamen rednerisch nicht zur Geltung. Hoffentlich macht es aber den gewünschten Eindruck, daß sie — nämlich die Herren, die von ihnen dort anwesend waren — die Bor lage nicht einmal einer Commissionsberathung Werth er achteten. Herr Vielbaben läßt vielleicht die Rede drucken, die er abbrach, weil ihn der Präsident zum Gegenstände verwies. Eigentlich batte er diesen nicht verlassen. Wenn man in der allgemeinen Erörterung eines die Verhältnisse des Handwerks regelnden Gesetzentwurfs auch auf die Statistik des Handwerks zu sprechen kommt, so ist das kaum eine Abschweifung zu nennen. Herr Bielbaben, das ist ja richtig, gilt als selbstgefälliger und nicht kurzweiliger Redner, aber Herr v. Buol, hervorgeaangen aus einer Partei, die sich am häufigsten von einem Lieber rhetorisch vertreten läßt, sollte sich durch solche Eigenthümlichkeilen eines Abgeordneten nicht so leicht ungeduldig machen lassen. Herr Liebermann v. Sonnenberg nahm den von seinem Parteigenossen weg geworfenen Faden auf, brachte aber nichts vor, was in Handwerkerkreisen zu zünden vermöchte. Die Handwerksvorlage ist also in einer Commission. Ob sie wieder herauskommt, vermag Niemand zu sagen. Vor de», Herbste jedenfalls nicht und dann nur, wenn man sich entschließt, ein drittes Mal statt des Reichstagsschluffes Vertagung eintreten zu lassen, so daß die gegenwärtige „Session" bei ihrem Ende drei Jahre gewährt haben würde. In diesem Frühjahr wird außer dem Handels gesetzbuch«, dem Nachtragsetat und dem ^Nargarinegesetz nichts Wichtiges mehr fertiggestellt werden und an die Möglichkeit, auch nur die Fiction eines Versammeltseins des Reichstags, mit der man sich jetzt begnügt, bis zum Sommer aufrecht zu erhalten, glaubt wohl kein Mensch mehr. Es ist auch genug, über genug. Wenn, wie vorgestern geschehen, ein akademisch ste- bilveter Abgeordneter das Haus erheitern konnte, in dem er einem das Schlächter-Gewerbe betreibenden College» die abgedroschenen und abgeschmackten Verse „Nur die allergrößten Kälber wählen ihre Metzger selber" ins Gesicht warf, dann ist es für die Volksvertretung Zeit, ihren Vorrath an attischem Salz den Blicken zu entziehen, und für andere Leute Zeit, sich zu fragen, ob der Friedensrichter Schaal aus Heinrich IV. nicht eine werthvolle Aguisition für diesen Reichstag wäre. Wenn ein so weit gediehenes Parlament über Angelegenheiten wie die der Polenpolitik, des Jesuitengesetzes so ver handelt und beschließt, wie cs gethan, so hat das eben gar keine Bedeutung mehr. Durch die Bewilligung der Mittel zur Er neuer ungabgenutzterGeschütze, die gesichert ist, wird sich weder der Reichstag noch irgend eine Partei den An spruch auf besonderen Dank zu erwerben hoffen. Alle bürger lichen Parteien genehmigen den Erat und damit die, übrigens verfassungsmäßig gewährleistete, Existenz des Heeres. Dieses in einem Kriege wissentlich mit vergleichsweise minderwerthigen Waffen der Ueberlegenheit des Feindes preiszugeben, wäre ein Verbrechen, das zu vermeiden kein Verdienst ist. Centrum und Deinokralie haben zudem erst die Verweigerung zweier Kriegsschiffe mit der schuldigen Rücksicht auf das Landheer begründet. Wenn man aus alle Fälle Sparsamkeits- Erwägungen Einfluß gewähren will, so bietet der Nachtrags etat auch dazu Gelegenheit. Die Negierung verlangt, über einen vom Reichstage gegen das Centrum gefaßten Beschluß weit hinausgehend und damit dem Wunsche des Herrn Lieber entgegenkommend, den Betrag von 1 Million Mark zum Grunderwerb und zu Vorarbeiten für ein Reichst ags- präsidialgebäuve. Hier läßt sich verschieben und spare». Deutsches Reich. 6. II. Berlin, 3. April. Tie im Nachrichteubureau deö Obercommandos der Marine berausgeaebene „Marine-Rund schau", welche heute erschienen ist, bringt eine Zusammen stellung der Sommercommandirungen für 1897. Es wird hier als Divisionschef der Kreuzervivision Contreadiniral Tirpitz an gegeben; es muß also auch imObercommando terMarine dieAb- berufung des Herrn Tirpitz nach Berlin ganz unerwartet ge kommen sein. Alle die wichtigen Stellenverände,ungen in der Marine sind unter dem 3t. März vollzogen worden, d. h. kurz nach jenen bedeutungsvollen Conserenzen, welche der Kaiser mit dem ReicbskanzlerFürsten Hohenlohe, dein Staats- secretair Freiherrn v. Marschall und dem Staatssecretair Hollmann gehabt hat. Herr Tirpitz soll das Commando der Division an den Capitain zur See Zeye, Counnaiidanten S. M. S. „Kaiser", bereits abgegeben haben nnd nach Berlin unterwegs sein. Es ist ein Jrrthum, wenn behauptet wird, daß Contreadmiral Tirpitz der Ftaggosficier sei, der auf den Ausbau der Panzerflotte ganz besonderen Werth gelegt habe; als er noch Cbef des Stabes des Oberkommandos war, vertrat er vielmehr die Anschauung, daß wir in erster Linie in der Lage sein müßten, im Auslande unsere Interessen durch Kreuzer zu schützen; die Kreuzerflotte aus die Höhe zu bringen, die Deutschlands Machtstellung im Auslande ent spricht, war sein Bestreben, und mit diesen seinen An schauungen befand er sich damals im vollsten Einklang mit dem commandirenden Admiral Frhr. von der Goltz. Jetzt dürften unsere leitenden Marinekreise Wohl mehr der An schauung zuneigen, daß der Kreuzer ohne den Schutz der Panzer wehrlos sei. * Berlin, 3. April. Die „Walsroder Nachrichten", ein in Walsrode (Hannover) erscheinendes Welfenblatt schlimmster Art, verbreiten unter der Ueberschrift „Cen- tenarfeier-Nach klänge" folgende Lüge: Bei de» jüngst zur Verherrlichung König Wilhclm's I. von Preußen siattgesundenen geräuschvollen Feierlichkeiten hat der erst ganz kürzlich nach Walsrode versetzte Amtsrichter Herr vr. Schmer- saht eine Commersrede gehalten, die nach dem WalSroder KrciSblatt folgende Sätze enthielt: „ . . . Gestern ist uns an anderer Stelle gesagt, der Kaiser sei Rathgebern gefolgt, die vor keinem Mittel und Wege zurück gewichen seien. Das heißt mit anderen Worten: Bismarck habe dem Kaiser Böses gerathen. Meine Herren! Wer Bismarck für einen bösen Ralhgeber und unseren alten Kaiser für bösen Rath empsänglich hält, der steht dem Verständniß dieser beiden echt evangelischen Männer und dem wahren Deutschthum so fern, daß wir mit ihm nicht rechten können und wollen." . . . Beweise für diese Behauptungen bcizubringen hat Herr Amts richter Vr. Schmerjahl nicht sür nöthig erachtet und wird derselbe es uns deshalb nicht übelnehmen dürfen, wenn wir die Thaten Wilhelm'» l. und seines „Handlangers" Bismarck unter Zugrunde legung historischen Materials etwas näher beleuchten, »m den Nachweis zu führen, daß das lobende Unheil des Herrn Vr. Schmer- Feuilleton. Moderne Berühmtheiten. Plauderei von Georg Hitler (Leipzig). Nachdruck verboten. Es giebt viele Wege, um berühmt zu werden, und alle werden sie eingeschlagen, um der lieben Eitelkeit zum Siege zu verhelfen. Wer ist berühmt? Der, von dem man viel spricht, möglichst Gutes, wenn es aber durchaus nicht was Gutes sein kann, nur etwas Hervorragendes, etwas über das ge wöhnliche HinauSgehenoes, ganz gleich was, weder Gute« nock Schlimme«. Die gewöhnlichen Berühmtheiten werden durch ihre Handlungen berühmt, durch die Politik, durch ihre Siege, durch die Kunst, die Schriftstellerei, ihre Woblthätigkeit, Er findungen, Forschungen, ja durch ihre Stellung und ihren Neichlhum, Schönheit rc., und wohl gar auch durch ihre schlimmen Tbalen, wie Herostratos und dir neuesten Proceß- helden. Ick weiß nicht, was eS mit dem Gefühl der Berühmt heit auf sich hat, daß aber viele Menschen ein ganz rigen- thümliche« Kribbeln spüren, wenn ihr Name von ihnen unbekannten Leuten genannt wird, daß diesem Kribbeln ein gewisses automatisches Ausrichten desKopfeS folgt, eine straffere Haltung deS Körpers, ein warmer Hauch, der den ganzen Körper durchzieht, und ein inneres selbstzufriedene« Lächeln, das ist mir ojt gesagt worden. Und dieses wohlthuende Gefühl wird durch di« Berühmtheit verursacht. Sie ist also eigentlich rein körperlicher Natur, und für den Einzelnen, der nach ihr strebt, kommt eS daher auch nicht auf DaS an, waS er macht, sondern daß er etwas macht, um berühmt zu werden. Bei dem Streben nach Brrübmtbeit, denken freilich die Meisten nur an das woblthuenke Gefühl, daß sich aber diese- auch in daS Gegentheil verkehren kann, daß böse Menschen, die nicht so reckt an die hervorragenden Leistungen glauben, mit ihre» spitzen Zungen stecken können, daß sie mit geringschätzigem Lächeln und Achselzucken ver wunden und da« biSchrn Freude recht vergällen können, das wird leider nicht oft genug bedacht. Zwar sind viele Be- rühmtheiten sehr gleickgiltig gegen den Tadel, sie sind es aber auch gegen da- Lob und von diesen kann daher nicht die Rede sein, nur von denen, die sich nur dann glücklich fühlen, wenn sie über da« Mittelmaß hinauSragen, wenn sie, wenn auch nur auf Augenblicke, ihren werthen Kopf aus der großen, sich ewig wälzenden, wogrnbildrnden zähen Masse im Weltall, die sich Menschheit nennt, emporbeben können, im stolzen Kraftgefühl: Hier bin ich, seht ibr mich? Solche Leute bat r« immer gegeben und die Geschichte zählt ihre Namen auf, wenn sich auch Niemand die Mühe nimmt, sie ru merken, während wieder andere wider ihren Willen in Aller Munde sind. Bon alterSher hat man Schönheit und Kraft, Verstand und Geist, Thatkraft und Willen aus gezeichnet »nd wenn da« gar bei einem Volte geschah, daS un« durch unser Schulbuch näher gerückt wurde, so merken Wir un« di« Persönlichkeit noch in unser graue« Atter hinein und haben die fröhliche Gewißheit, daß auch unsere Urenkel, Pbryne und Aspasia, Kleon und EphiaUes für wunder was Große« halten. Unserer modernen Zeit genügen aber auch die Tbaten eines LuculluS oder Lepidus nicht mebr; nicht von andern wollen sie gerühmt werden, nicht durch Handlungen sich be rühmt machen, nein durch Handeln wollen sie groß werden, sie selbst sind eS, die im eckten Bürgerstolz ausrufen: „Seht uns an, Ähr große Durchschnittsmasse, wir ragen über Euch hervor, von uns werden Kinder und Kindeskinder noch erzählen" . . . wenn sie nämlich zufällig eine Zeitung auS unfern Tagen in die Hände bekommen. Da sieht man sie in ihrem stillen Glanze, in ihrer vollen Schönheit in den Anzeigenspalten und wird ihre Züge nicht wieder los. Immer und immer wieder taucht Vas Bild eines Hemoenkönigs oder Revolverkaiser- vor uns auf und aus tausend Menschen würden wir ihn herausfinden. Das ist recht so, man muß an seinem eigenen Ruhme bauen, und wenn man nicht in dem redaktionellen Tbeit steht, kann man sich in dem ebenso interessanten Anzeigentheil sehen lassen für sein Geld. So wachsen unsere modernen Berühmtheiten heran. Erst kommt das Conterfei im Lokalblatt, bann sind schon mehr Mittel da und man wagt sich an eine große Zeitung, hat das aber etwas eingebracht, so wendet man sich an die illustrirten Blätter und während diese im vorderen Theil sich schweres Geld kosten lassen, einmal ein Bild irgend einer Persönlichkeit zu bringen, prangt in jeder Nummer daS Bild de« Manne«, der die besten Bäume verkauft, prägen wir uns mit jeder Nummer die GesichtSzüge des Mannes mit der besten Stiefelwichse oder mit den besten Bartbinden ein. Wahrlich solche illustrative Leistungen gehen noch über die dichterischen Ergüsse jener ominösen Zahl, gehen noch über die geistreichen Gespräche deS KockkünstlerS, der im Anzeigentheil fragen läßt: „wo speisen Sie?" Handel und Wanvel regieren unser Zeitalter und eS wäre gewiß falsch, den Mann, der mit seinem großen Schnurrbart und seiner Ballonmütze sich für immer in unser Herz ge graben bat, zu verübeln, daß er sich und seine Stiesel immer wieder in Erinnerung bringt, sind denn gute Stiefel nicht mehr Werth als ein Buch? Von letzteren giebt eS so viele und so viele, die sie schreiben, aber gute Stiefel? Welche angenehmen Erinnerungen weckt in un« eine Land partie, auf der der neue Schuh nicht schmerzte, keine wunden Füße von der modernen Kunst der Bekleidung erzählten, sollten diese Erinnerungen sich nickt auch mit ewig lächeln den Blicke deS freundlichen Meister« beschäftigen? Amerika kennt den Werth solcher Männer, die um da« leiblicke Wohl ihrer Mitmenschen besorgt sind und läßt neben ihren Portrait« auch ihre LebenSgeschichte erscheinen. Wir sind darin noch sehr weit zurück. Die LebenSgeschichte anderer Berühmtheiten findet sich nur unter den amtlichen Bekanntmachungen, wenn das Bild von der Aufforderung das Original „zu erwischen, sestzunehmen und allhier zu liefern", begleitet ist. Aber von diesen Leuten spreche ich nicht, sie machen un- keine Freude, nm wie viel mehr diejenigen, die den deutschen Namen mit Glanz in den Spalten fremder Zeitungen vertreten. Ein wie lebensfrisches, frohe« Gesicht bat doch der Greis, dessen Pillen den französischen Damen über einen verdorbenen Magen hinweg helfen sollen; wie energisch und selbstbewußt schaut der Mann mit dem Selbstrasirapparat in die Welt hinein, und wer je Marienbader Reductionspillen erfand, Kaffee verkaufte oder Hühneraugen operirte, giebt morgen der erfreuten Menschheit seine Visitenkarte mit Portrait, damit man ihren großen Wohltbäter nicht vergesse. Aber was sind alle Schönheiten und körperlichen Vorzüge eines Nickelfabrikanten, eines Hundezüchters, Parfümerie- Händlers, Zauberkastenerzengers, Schnapserfinders, wenn die eigene Charakteristik der modernen Berühmtheit auch für das Festhalten ihrer sonstigen unbildbaren Vorzüge in den Tafeln der Geschichte sorgt. „Der beste Wirth ist dieser (ein Por trait mit starkem Bäuchlein), denn er giebt die besten Speisen, die größten Portionen und hat die billigsten Preise." Schade, daß die Portion nickt abgebildet ist. „Kennt Ihr Den? Fragt nur nach dem kleinen schwarzen KrauSkopf (das Por trait stimmt), der hat schon tausend Bierdruckapparate mon- tirt, er macht es am besten". Man muß schon in die Spalten der Fachpresse hinabsteigen, um die bescheidenen Berussberühmtheilen kennen zu lernen. „Wer bat bas beste Mittel gegen Kesselstein?" ein Mann mit einer goldenen Brille und kräftigem Backenbart. Das beste Kaffeegewürz würde Niemandem munden, wenn auf seiner Verpackung uns nicht das freundliche Gesicht seines Millionair- Erfinders anlachte und welcher hoffnungsvolle Junge, der gern zur See will, prägt sich nicht hin und wieder daS Bild des Heuerbaases ein, dem er seine Carriere anvertrauen will. Wenn wir uns notbgedrungen den Kopf de- ManneS, der das „Food" erfunden hat, ansehen müssen, so geschieht dies in Verbindung mit dem Autogramm einer allerhöchsten Mutter und dem eleganten Wohnhaus« des „Er finders", elegant, soweit englische Begriffe in Frage kommen, und wer seine Kenntniß von europäischen und außereuropäischen Orden erweitern will, der trinke nur Malzbier, da hat er eine Ordenstafel auf jeder Flasche. Aber wir sind nun auch an einem Puncte angekommen, wo sich jeder sein holdes Antlitz behördlich siegeln, wo er es patentamtlich eintragen lassen kann. Was ist das Bertillon'sche Meßverfahren gegen die Photographie nnd den Holzschnitt und alle Arten von Typen. Zeitungen lesen nicht alle Leute, aber Kaffee und sei es auch nur Malzkasfee trinken schließlich Alle, sogar die Kinder, und auf diese muß man einwirken. So wird das Bild als amtliches Maaren,eichen festgehalten und die behördlich approbirten Nasen, Kinne, Augen u. s. w. erscheinen in kmnderttausend- facher Vielheit. Während er vielleicht einen Scat in irgend einem Stadtwinkel spielt, greift da« Baby verlangend nach dem wohlbekannten Blechtopfe mit dem schönen gelben, rothen oder blauen Bilde und schreit so lange, bis die Mutter „einen Löffel in warmem Wasser anflöst" und damit dem Krastmilckmehlgrie«autor zu seinem Zwecke ver bisst. Aber webe, wenn ein anderer käme, um es ihm gleich zu thun. Sobald daS Patentamt daS Zeichen eingetragen bat, kann der schönste Mann der Welt, die reizendste Frau Europa« kommen, wenn ihre Nase, Mund, Ohren, Kinn zu- fällig dieselbe Form haben, wie das „eingetragene" Bild, so ist sie von der Berühmtheit ausgeschlossen, so kann sie auf diesem nicht mehr ungewöhnlichen Wege sich nicht mehr in des Volkes Herze schleichen, wie der Dichter, der Hosen und Winterüberzieher besingt. Vielleicht kann der Mann durch Rasiren oder einen Bart eine Aenderung seines Gesichtes herbeiführen, aber die Frau müßte wenigstens zehn Jahre vorüber gehen lassen, ehe sie an die „Eintragung" ihrer Züge in das Musterschutzgesetz denken könnte, denn dann ist sie älter geworden. Aber das wird sie nicht wollen. Und da kommen wir zu der schönsten Eigenschaft unserer modernen Berühmtheiten. Sie werden nickt alt? Ta« Clich6 in den Zeitungen stammt aus ihren besten Jabren. Hier erfreuen sie sich nicht nur alle des besten Wohlseins, der körperlichen Vorzüge, geistvollen Augen nnd schönsten Schnurrbärte, sondern auch einer ewigen Jugend, und wenn ihr Haar gebleicht oder ausgegangen ist, wenn ihre Haut schlaff geworden und Runzeln zeigt, wenn ihre Haltung gebückt von der Last der Jahre ist, so wird doch nie ibr Bild in der Weltgeschichte ein anderes. Wie es die Großmutter sah, so erscheint es der Enkelin, ewig irisch, ewig jung, so lange sich die Anzeige kosten verlohnen und das Fabrikat noch den Beifall der Menge findet. Die Berühmtheit ist ihm aber gesichert. Und schon jetzt macht sich ein unheimliches Walten und Wispern breit. Bei den Jungen geben dicke Bücher von Hand zu Hand, einige Seiten sind mit Bildern, die auS Zeitungen geschnitten sind, beklebt, und fragst du, was daS sei, ob es vielleicht eine Sammlung von Bildern von Staats männern, Wappen und Gerätbschaften fremder Völker sei, so wird der Junge lächeln und dich geheimniß- voll fragen, ob du keine fremden Zeitungen hast, )e fremder, desto besser, aber wo recht viele Bilder darin sind. Und verlangst du schließlich sein Buch zu sehen, da blicken dich die Bilder berühmter Zeitgenossen an und alle die Wohltbäter der Menschheit, die durch Handeln reich werden wollen und berühmt, findest du beisammen. Ist der deutsche Stiefelwichsefabrikant doppelt verbanden, dann tauscht man ihn mit einem Neuseeländer Bierbrauer und die flotte amerikanische Advocatin aus den „Chicago News" wird mit dem eleganten Bartbindenerfinder zu einem Paar copulirt. Der Landagent aus der Buenos AyreS „Prenta" wird gegen den russischen Juchtenlederstieset-Erzeuger vertauscht und Pfarrer Kneipp wandelt in unzähligen Exemplaren nach Afrika, um den Wüstenjünglingen den Appetit nach Wasser zu reizen. Und so sammeln d,e Kinder und freuen sich, so tauschen sie und schachern, nnd au« den localen Berühmt heiten werden weltberühmte. Sie schmücken den Bungalow de» Indier«, die Schneehütte de« E-kimoS, den Holzschuppen de« Goldgräbers in Transvaal und das freundliche Hans des Deutschen in Brasilien. Wobin auch die Zeitung geht, überall verkünden sie den Werth de- Fabrikats, den Rubin des Fabrikanten, zeigen sie das Bild des Herstellers, je mehr, je höher, je größer, als die Berühmtheit sich mit dem Geschäfts unkosten verträgt. Modern — aber praktisch!
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