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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.04.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-04-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970409026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897040902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897040902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-04
- Tag1897-04-09
- Monat1897-04
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Vrtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderum, 60.—, mit Postbesörderung ^l 70.—. Anzeiger. Amlsvlalt des königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Natljes «nd Notizei-Amtes der Ltadt Leipzig. Armuhmeschluö für Anzeigen: Abend-Ausgab«: Vormittag» 10 Uhr. Borgen-Ausgabe: Nachmittag» 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stund« früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 181. Freitag den 9. April 1897. 91. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, S. April. Die Erklärung de» Wolfs'schen Telegraphen- BureauS, daß seine falsche Nachricht über den Geburt»« tagsgliickwunsch de» Kaiser» an den Fürsten Bismarck von dem Hofrath de Grahl herrühre, veranlaßt die „Hamb. Nachr." zu folgender Auslastung: „Vielleicht erkundigt sich die Continental-Telegraphen-Compagnie bei Herrn de Grahl auch noch danach, von wem er die falsche Nachricht „erhallen" hat, und theilt die Antwort darauf dann eben- falls öffentlich niit. Daß Herr Le Grahl sich die Sache aus den Fingern gesogen haben sollte, wird doch kaum anzunehmrn sein, und eS ist daher begreiflich, wenn man die wirklichen Urheber der Mysti- fication kennen zu lernen wünscht. Herr de Grahl dürste von der öffentlichen Meinung einstweilen nur als doue Lmisssire betrachtet werden und eine Suche nach seinen „Hintermännern" wird schwerlich ausbleiben. Auf der Continental-Tclegraphen-Compagnie scheint überhaupt neuerdings nicht Alles mit rechten Dingeu zu. zugeben. So hielt eS dies Bureau, Las doch officio» bis aus die Knochen ist und äe tueto in einem Abhängigkeitsverhältniß zur Regierung steht, neulich für seines Dienstes, den Schlußsatz eines Leitartikels der „Hamburger Nachrichten", welcher unentschlossene, ängstliche Minister als ungeeignet zur Lösung der ihnen gestellten Aufgabe bczeichncte und ihre Entlassung anrieth, telegraphisch weiter zu verbreiten, was, wie wir hören, in den be- treffenden Kreisen zu Kundgebungen der Verwirrung und des Mißtrauens geführt haben soll, die für den unbetbeiligten Zu schauer nicht der Ergötzlichkeit entbehrt hätten. Ferner lesen wir im „Braunschweigischen Tageblatt", das officiöse Telegraphen- bureau sei mit seiner saljchen Nachricht über das angebliche Glückwunschtelegramm „daS Opfer der Jntrigue einer Stelle geworden, von der nicht zum ersten Male derartige Manöver aus. gegangen seien, die nur die eine Wirkung hätten haben können und wohl auch daraus berechnet gewesen wären, den Kaiser und den Fürsten Bismarck gleichzeitig zu verletzen." Es besteht zweifellos ein öffentliches Interesse daran, Liese intriguanle „Stelle" näher kennen zu lernen und die Eontinental.Telegraphen.Comvagnie wird gewiß nicht versäumen, di« Spur der UebeUhäter über Herrn de Grahl hinaus zu verfolgen." Wir bezweifeln nicht, haß das Wölfische Bureau, das in der Angelegenheit der angeblichen Kaiserdepeschc offenbar ebensowenig in einem Abhängigkeitsverhältnisse zur Regierung sich befunden hat, wie bei der Verbreitung des Schlußsatzes eines Leitartikels der „Hamb. Nachr.", nicht minder gern als dieses Blatt die Quelle kennen lernen möchte, aus der Herr de Grahl seine Falschmeldung geschöpft hat; denn eS muß einer Anstalt von solcher Bedeutung daran liegen, auch die „Hinter männer" ihrer Berichterstatter auf ihre Zuverlässigkeit prüfen zu lönnen. Aber schwerlich hat das Bureau ein Mittel in der Hand, Herrn de Grahl zum Reden zu bringen. Daß sein „Hintermann" nicht Herr v. Tausch ist, versteht sich von selbst, denn der sitzt hinter Schloß und Riegel. Aber jedenfalls ist eS ein Mann, der» wie Herr v. Tausch, sich auf allerhand Schliche versteht. Das gebt schon daraus hervor, daß er seine Nachricht Herrn de Grahl gegenüber als aus Hamburg stammend bezeichnet« und sie auch dann noch nickt widerrief, al» begründete Zweifel an ihrer Richtig keit laut wurden. E» liegt also die Vermuthung nahe, der dunkle Ehrenmann habe die Absicht gehabt, den Fürsten Bismarck in den Augen de» Kaisers al- den Urheber der Falschmeldung erscheinen zu lassen, und zwar als Urheber mit der Absicht, den Kaiser zu einem Dementi der Nachricht zu nötbigen. Einen Theil seiner Absicht scheint der dunkle Hintermann, wenn man einen Schluß aus den An deutungen einiger Blätter ziehen darf, auch erreicht und dadurch die Verstimmung des Kaisers gegen den Fürste» noch verstärkt zu haben. Wer nun den meisten Anlaß hat, nach dem Hinlermanne deS Herrn de Grahl zu forschen und der ganzen nichtswürdigen Jntrigue — denn um eine solche handelt e» sich ganz zweifellos — aus den Grund zu geben, braucht wohl kauni gesagt zu werden. Ter Erfolg eines energischen Schrittes würde überall mit Freuden begrüßt werden. Gestern ist das preustische Abgeordnetenhaus dem Reichs tage in die Ferien nachgefolgt. Seine bisherige Tbätigkeil verdient außerhalbPreußens hauptsächlich deshalbBcacktung, weil sie das lebhafteste Argument für die Diäten-Gewährung an die Reichstagsabgcordneten, die ja auch in diesem Jahre wieder verlangt worden ist, in seiner ganzen Nichtigkeit zeigt. Man sagt und schreibt und schreibt und sagt unaufhörlich: Die Arbeiten des Reichstags schreiten nickt fort, weil die ewige Beschlußunfähigkeit die Beendigung endloser unnützer De batten unmöglich macht; die Beschlußunfähigkeit aber ist eine Folge der Diätenlosigkeit. Nun, die preußischen Abgeordneten beziehen Diäten, der Etat ist ihnen Mitte Januar zu gegangen, und gestern sind die Herren nach Hause gereist, ohne auch nur die zweite Lesung des Etats, der ver fassungsmäßig am 1. April Gesetz sein soll, beendigt zu habe». Er wird nach der Osterpause ungefähr noch eine vierwöchige Berathung in Anspruch nehmen, und dann kommt erst das Herrenbaus, so daß bis in den Juni ordnungswidrig verwaltet werden muß. Es ist richtig, daß durch die Lehrer- und dann die Richterbesoldungsvorlage, sowie durch die allgemeine Gehältcraufbcsserung die Durch- berathung de» Etats eine natürliche Verzögerung erfahren hat, aber der Landtag ist hauptsächlich mit Rücksicht auf diese Mehrarbeit viel früher einberufen worden, als gewöhnlich. Für die unerhörte Verschleppung der Angelegenheit des Staats haushaltes liegt also keine Entschuldigung vor. Die Diäten haben den Geschäftsgang nicht im Mindesten gefördert. Wie es mit der Beschlußfähigkeit im Allgemeinen bestellt war. darüber seblen zuverlässige Angaben. War sie in der Regel verbanden, um so schlimmer für Herrn Richter, der dock alles Ucbel im Reichstag von der Diätenlosigkeit herleitet. Denn dann können nur die Tagegelder die An regung zu der Verzögerung dieser verfassungsgemäß dringlichen Arbeiten geboten haben. War die Beschluß fähigkeit nickt vorhanden, so ist sie in einem Diäten beziehenden Reichstag ebensowenig zu erwarten, wie unter den heutigen Verhältnissen. Früher war der Reichs tag viel besser besucht und das Abgeordnetenhaus arbeitete rascher. Der Diätenbezug und die Diätenlosigkeit entscheiden also nicht, sondern der Grad des Pflick tgcf übls der Abgeord neten und wohl auchdie Stärke des parlamentarischen Interesses, die ihrerseits von dem Verhalten der Regierenden zur Volks vertretung nicht unabhängig ist. Angesichts der Geschäftslage im Abgeordnetenhaus« und reS Preußischen Diätengesetzcs wagt die ultramontane Presse eine Ungeheuerlichkeit, wenn sie den „Verdacht" aussprickk, der preußischen Regierung sei der Zustand der Diätenlosigkeit im Reiche und der Diätrngewährung in Preußen sehr erwünscht, weil er den preußischen Inhabern von DoppelmanLaten den Aufenthalt in Berlin im Vergleiche zu nichlpreußischen Reichstagsabgeordneten erleichtere und dadurch den preußi schen Einstuß auf die ReichstagsHeschäfte stärke. Die preußischen Landlagsabgeordneten können bekanntlich ihre Diäten beziehen, gleichviel ob sie in Berlin anwesend sind oder nicht; wer die entschädigte Mandat-au-übung unterlassen zu dürfen glaubt, kommt ganz gewiß deshalb nicht nach Berlin, um seinen NeichstagSplatz ohne Entschädigung auszusüllen. Behauptet wurde allerdings im vorigen Jahre ein Zu- bamnienhang zwischen verlängerter Reichstags- und ver längerter Landstagstagung. Aber die Negierung, die wobl wußte, daß die Maßnahme keine Garantie für die Beschluß fähigkeit des Reichstags bietet, konnte sie deshalb, abgesehen von den Versassungsbedenken, unmöglich im Hinblick auf die preußischen Diäten getrosten haben. Wer eine Pflicht versäumt, kann auch zwei Pflichten versäumen, das ist ein einfaches Exempel, auf das die Berliner parlamentarische Erfahrung alltäglich die Probe macht. Die „Beschlußfähigkeit" des preußischen Abgeordnetenhauses, so viel ist sicher, beruht nicht auf den Diäten, sondern auf der allen Parteien gemeinsamen Scheu, die Absentismus reichlich entschädigter College» so häufig sest- stellen zu lassen, wie es im Reichstag geschieht oder doch droht. Das Abgeordnetenhaus, um das biiizuzufügen, hat bis zu den Ferien außer den erwähnten Besoldungßvorlagen ein ConvertirungSgesetz, ein Gesetz, welches eine alljährliche Schuldentilgung vorschreibt, und eine Gewerbeordnung für die Provinz Hessen-Nassau erledigt. Gestern hat, wie gemeldet, der Gemeinderath der kaiserlichen Haupt- und Residenzstadt Oesterreichs den Antisemitcnführer vr. Lueger mit großer Mehrheit zum ersten Bürgermeister gewählt. Unmittelbar nach der Wahl sagte Lueger in einer Ansprache, seine Leitsterne seien Liebe und Treue zum deutschen Volke, dem österreichi schen Vaterlande und zur christlichen Religion. Sein vor jähriger Verzicht sei der Ausdruck der Treue zum Monarchen gewesen, irgendwelche Versprechungen seien damals weder ver langt noch gegeben worden. Das muß stimmen, denn Lueger, dessen Wahl vom Kaiser wegen seines Parteifanatismus und seines aller Gesittung und allem Anslande Hohn sprechenden De- magogenthums passirt wurde, ist bis heute der Alte geblieben. So müßte man erwarten, daß die kaiserliche Bestätigung ihm auch diesmal versagt bleibt. Indessen, eie Zeiten haben sich geändert, der Liberalismus liegt in den letzten Zügen am Boden, im Abgeordnetenhause bilden die Jungtschechen unter Verleugnung ihrer radicalen Vergangenheit mit Polen und Klerikalen eine compacte Mehrheit und der Kaiser bat beim Empfang des von dieser Majorität gewählten Präsidiums seine Befriedigung über die Wabl aus gesprochen, so daß er schwerlich über die Erhebung Lueger'», der die slawisch-klerikale Aera eifrig mit hat kerausführen belfen, aus den Bürgermeisterthrvn der Stadt Wien feine Nichtbefriedigung aussprechcn wird. Nur eins könnte zu Bedenken Anlaß geben. Man denkt nämlich in Lueger'schen Kreisen, wie eS fast den Anschein hat, ernstlich daran, eine Aront- veränderung in dem Sinne vorzunehmen, daß sich Lueger als Führer des Deutschthum- gegen die Slawen ausspielen will. Sein Organ, die „Deutsche Zeitung", sagt: „Der ganze Bau, den Lueger in jahrelanger mühevolstr Arbeit aufgerichtet, würde Zusammenstürzen, wenn er einem slawisch- klerikalen RegierungSring al» Stütze diente." Das Blatt erwartet von den Ehristlich-Socialen sogar einen Frontwechsel und Bekämpfung der Klerikalen; alsdann würden die auf aniisemitischer, socialreformerischer Grundlage stehenden Parteien dereinst als die berufenen Vertreter deutschen BürgerthumL den Grundstock für eine Mehr heit im Reichsrath bilden, die den Deutschen in Oesterreich wieder den ihnen gebührenden Rang anweist. Das kann ja eine Drohung sein, für den Fall, daß Badeni wider- allgemeines Erwarten die Bestätigung Ifi. Lueger» nicht be sürworlen würde; es kann aber auch ernst gemeint sein — dann würde eine neue und recht seltsame Parteigruppirung in Oesterreich nicht außer dem Bereich der Möglichkeit liegen. Alle Deutschen, abgesehen von den Klerikalen, von Kronawetter bis Lueger und Schönerer im Kamps gegen Slawenthum und Klerikale in Oesterreich ver einigt — das wäre, meint die „Nat.-Ztg", allerdings ein Traum ganz besonderer Art! An seine Realisirung glauben wir nicht. In der orientalischen Angelegenheit wird noch immer verhandelt, verhandelt ohne Unterlaß. Einer der letzten Gegenstände des Gedankenaustausches zwischen den Cabinetten scheint der russische Vorschlag eines kretischen Plebis- cits nach vorhergegangener Zurückziehung der griechischen Truppen von der Insel gewesen zu sein. Der Vorschlag sand aus naheliegenden Gründen keinen allgemeinen Anklang. Jetzt ist die Gouverneur frage auf dem Tapet; die Türkei drängt auf ihre Erledigung. Mil alledem aber ist zur Ver- bütung einer schlimmen Eventualität an der gefährlichsten Stelle, nämlich an der thessalischen Grenze, nichts ge- than. Die identische Note, welche de» etwaigen „Angreifer" warnte, bat in Alben keinen tieferen Eindruck bervor- gebracht, und je länger die Blockade des Piräus lsinaus- geschoben wird, desto geringer wird die Furcht vor ihr. Das ist der höchst problematische Effect des diplomatischen Vexir- spielS, das die Mächte untereinander aussühren — im Namen und unter dem Scheine ibrer unverbrüchlichen Gemeinsamkeit. Diese durch Griechenlands Vorgehen geschaffene diplomatische Lage wird durch eine Zuschrift an die „Frkf. Ztg,", welche das Blatt als von gut unterrichteter Seite stammend bezeichnet, in bemerkenSwerther Weise charakterisirt: „Tie unmerkliche, aber hartnäckige Eonsequenz, mit der die Großmächte an der Blockade griechischer Häsen sesthalten, ve» sieht sich an dem Gedanken, findet ihr wohlverdientes Wider- spiel in dein edlen Trotz, de» Griechenland Len ihm täglich von der europäischen Prefic in Dur und Moll vorgelungenen Bußpsaliiien entgegensetzt. Gegen ernstere Verluste können sich die Griechen bei den unberechtigten Eigenthümlichkeiten ihrer Verhältnisse so ziemlich gefeit glauben. Den» auch schlimmsten Falls, wenn sie nämlich wirklich von den Türken die Hiebe kriegen, wonach ihnen das Fell juckt, haben sie eine Gcbietsve» kleiner»»- kaum zu befürchten und behalten unter allen Umständen die Möglichkeit, ihre Paroderolle als unterdrückte» Culturvolk mit noch wirksamerem Pathos als bisher durchzuführen. Nebenbei wissen die schlauen Hellene» ganz gut, daß die erste Macht, für die, ab- gesehen von der Türkei, bei», Ausbrechen des langsam schwelenden Brandes im Orient Lebensinteresscii auf dem Spiele stehen, — Rußland sein würde, und dasselbe weiß man in London. So abenteuerlustig, uni die russischen Erbrechte am goldenen Horn offen anzufechtcn, sind die englischen Staats- und Gc- schästsmänner nicht. Wenn aber der Hellenismus zum eutäul terrible wird, das urplötzlich anfängt, der gelammten slawischen Welt ans der Nase berumzutanzen, jo darf inan sich in Downingstreet und in einer stillen Billa an der Cüte d'Azur schon den Luxus erlauben, dieses Pulcinellospiel mit sorgfältig verhehlter Schadenfreude zu betrachten. Umsomehr, als eine Störung des Vergnügens durch Frankreich nicht befürchtet zu werden braucht, seitdem ein Meister der Menschen, behandlung nach Paris gegangen ist, um Herrn Hanotaux das Gruseln zu lehren. Tie lustigen Truggestatten griechischer Zukunft». Hoffnungen, die gegenwärtig um dir Dardanellen und den Bosporus schweben, besorgen Englands Geschäfte so gut wie ein Panzergeschwader: den nordischen Befreiern der Haja Sophia wird dadurch der Anmarsch erschwert. Rußland mäße vielleicht im Ernstfall nicht bloS über die Türkei, sondern auch über den Leichnam des Panhrllrnrnthums hinwegschreiten, und man rechnet damit, das werde dem friedlich»milden Sinne de« Zaren als trop cke cackavre erscheinen. So kann in den Feuilleton Sneewittchen. 8j Roman von A. I. Mordtmann. Nachdrml «crbolen. Wesentlich berubigt durch drn Verlauf dieses Theils der Unterredung, schloß Frau Delmar: „Wir werden also nickt entbehren, aber ein wenig rin schränken müssen wir un» doch. Und da habe ich gemeint, wir könnten gleich einen guten Anfang machen, indem wir unsere Gesellschaft für nächsten Donnerstag absagen." „Das würde ich nicht thun, Mama," sagte lebhaft die älteste Tochter Ellen. „Ersten« ist e» doch nicht so schlimm; und zweitens würde e« sehr schlecht au-sehen und könnte Manchen abschreckrn ..." sie warf einen etwas spöttischen Blick auf ihre jüngere und hübschere Schwester Alice. Diese nahm kampflustig den hingeworfenen Fehdehand schuh aus. „Aengstige Dich nicht, Ellen," versetzte sie. „Der Fisch sitzt fest an der Angel und reißt sich nicht mehr loS." „Wie Du nur wieder burschikos redest!" scbalt die Mutter. „Diese Manieren, die gar nicht für rin junge» Mädchen passen, solltest Du doch endlich einmal oblegen." „Ja warum denn? Ich finde sie sehr angenehm, und wa» in Amerika erlaubt ist, kann doch hier nicht verpönt sein." „Man ist hier strenger, da« solltest Du doch wissen. Es hat mir schon oft Leid gethan . . ." „Daß wir so lange bei Großpapa gelebt haben?" unter krack Ellen unehrerbietig die Mutter. „Da« hast Du schon oft gesagt, und es wird darum doch nicht ander»." „Leider. Wenn ich denke, wie Ihr früher . . ." „Aber Mama, so laß doch nur jetzt da» ewige Predigen", fuhr nun auch Alice dazwischen. „Wir haben jetzt an andere Dinge i» denken. Wenn D« die Donn«r»tagS-G«sellschaft absaast, so fürchte ich nur eins." „WaS denn? sprich eS nur auS." „Ja, mein Gott, ich weiß immer nicht, ob ich nicht An stoß bei Dir errege, wenn ick frei und deutlich von den Dingen rede, wie sie sind." Frau Delmar seufzte; ibr deutsches Gemüth konnte die geschäft-mäßige Art zu denken und zu reden, die ihre Töchter sich in Amerika angewöhnt batten, nicht ertragen, und dock war sie zu schwach, ihr ernstlich entgegen zu kämpfen. Sv war sie bei den kleinen Streitigkeiten, die aus dieser ver schiedenartigen Lebensanschauung entsprangen, immer der unterliegende Theil. „So laß Horen, was Du meinst" sagte äe resignirt. „ES wäre für un« ein großer Glücksfall, wenn Anna hei ratbete, nicht wahr?" fragte Alice. „In gewissem Sinne ja", antwortete die Mutter. „Aber ich sähe sie ungern au» dem Hause gehen." „Nun ja doch", versetzte Alice ärgerlich und ungeduldig. „Wir wissen schon, daß sie Dein Ideal ist, weil Du in ihr findest, was Du bei un« vergeben» suchst. Aber Du kannst sie doch nicht immer bei Dir behalten." „Wenn sie nicht heirathet, warum nicht?" „Da» ist e» ja eben. E« ist ein Bewerber in Sicht. Der junge Mauvillon beschäftigt sich auffallend viel mit ibr — Du weißt, der Neffe der Firma." „Paul Mauvillon? Unmöglich!" „Warum unmöglich?" „Er ist doch mit Helene Friedrichsen verlobt?" „Gewesen, Mama. Die Sache ist znrückgegangen — natürlich — da Helene kein Geld mehr hat." „Nun, und Anna?" „Er wird glauben, daß sie Geld hat." „So muß man ihn enttäuschen." „Beste Mama, Du bist wirklich entsetzlich in Deiner himmelschreienden Gutmüthigkeit. Wenn der junge Mensch nach Geld heirathet und siebt sich nachher gelauscht, so geschieht ihm doch ganz recht. Die Beiden müssen zusammen- gebracht werden, und darum müssen wir die Gesellschaft geben." „Sie können auch anderswo zusammen kommen." „Aber nicht so gut. Und bei un» können wir e» am besten einrichten, daß sie ungestört bleiben." Beide Schwestern trugen wie immer den Sieg über die Bedenken ihrer Mutter davon. Aber diesmal war der Sieg doch nur ein äußerlicher. Denn Frau Delmar war ent- schloffen, die bevorstehende Gesellschaft in ganz anderem Sinne zu benutzen, al« in der Absicht ihrer Töchter lag. Bei ihr stand der Entschluß fest, daß Paul nicht getäuscht werden sollte. Sie wollte zunächst beobachten, wa» an den Angaben ibrer Töchter Wahre» sei, und dann die ent sprechende Warnung und Abkühlung eintreten lasten. „Du hättest der Mama nicht« verratber sollen," sagte Ellen, al» ihre Mutter daS Zimmer verlassen hatte. „Du kennst doch ihre altvaterischen Schrullen." „Ja. aber die Gesellschaft war gefährdet," vertbeivigte sich Alice. „Darum mußte ich mein schweres Geschütz auf- sahren." „Es war nicht nöthig," beharrte Ellen. „Paul Mau villon wird auch ohnedies Gelegenheit finden, sich Anna zu nähern." „Je länger er sie sieht, desto weniger anziehend wird sie ihm Vorkommen." „Nun also — WaS kann die Gesellschaft dann nützen?" Alice brach in zorniges Lachen au». „Wirklich, Ellen, ich möchte an Dir verzweifeln!" rief sie. „Du weißt also nicht, wie die Salontoilette auf die meisten Männer wirkt? Ich möchte wetten, nicht die Hälfte aller Heirathen in der feinen Welt käme zu Stande, wenn die Herren ihre AuSerwählte nur immer im Hauskleide sähen." „Die Mama bat schon Recht, Alice, Du bist sehr cynisch. Ich mag Dich gar nicht so reden hören." „Anna ist nicht schön," fuhr Alice unbeirrt fort; „aber sie hat einen hübschen weißen Hal» und Nacken, und ein Gesellschaftskleid steht ihr prächtig. DaS wird Herrn Paul Mauvillon mindestens nickt abschreckrn." Ellen mußte unwillkürlich lächeln. Aber sie gab ihrer weltklugen Schwester Recht; beide fanden die „praktischen" Gesichtspunkte, von denen aus sie die ganze Angelegenheit betrachteten, so natürlich, daß sie für die spießbürgerlichen Bedenken ihrer Mutter nur ein verächtliches Mitleid hatten. Während die beiden Schwestern solche Pläne für ihre Cousine schmiedeten, batte diese selbst ein ernstes Verhör bei ihrer Tante zu bestehen. Stockend und «rröthend bekannt« sie, daß Paul Mauvillon, seitdem er sie zuerst bei Friedrichsen- gesehen hatte, ihr mit ungewöhnlicher Aufmerksamkeit begegnet lei, die kaum noch als leere Galanterie angesehen werden könne. Und auf di« Frage der Tante, wie denn Anna selbst über den jungen Mauvillon denke, antwortete sie offen, daß sie seine Aufmerksamkeiten gern sähe. Frau Delmar seufzte wiederum. Die» Bekenntniß stürzte sie in ein Meer von Zweifeln; aber mehr nnd mehr neigte sie der Meinung ibrer Töchter zu, daß es nicht woblgetban sein würde, in die Entwickelung des beginnenden Verhältnisse» mit störender Hand rinzugreifen. Sie wollte zuvörderst beobachten, und dazu war die Donner«»ag«zesellschaft eben recht. Diesem Vorsatze getreu verfolgte Frau Delmar, als die Gäste anfingen, einzutreffen, den jungen Herrn Mauvision, der zugleich mit seinen beiden Obeimen erschien, mit beson derer Aufmerksamkeit. Einiges Unbehagen verursachte es ihr, daß Paul von den beiden Fräulein Friedrichsen mit kältester Zurückhaltung, von Herrn Doctor Zarnow mit einer unböslichen Nichtachtung behandelt wurde, di« geradezu be leidigte. Wie unangenehm war es, daß auch Andere die gleiche Beobachtung machen mußten, daß es auch Anderen nicht entgehen konnte, daß Paul unmittelbar darauf bei Anna einen Platz einnahm, den er dann fast während des ganzen Abends mit großer Hartnäckigkeit bebauplete. Alice batte mit weiblichem Scharfblick richtig geurtbeilt. Die Gesellschaftstoilette kleidete Anna 'wirklich gut und ließ sie nicht so reizlos erscheinen, wie in der Alltagsgewandung. Paul war erfahren genug, um zu wissen, daß, wenn er diese Wahrnehmung in ein Compliment kleidete, Anna darin so wenig eine Beleidigung finden würde, wie jedes andere lebende Weib. Nachdem beide einige gleichgiltige Redensarten gewechselt batten, wobei Anna mit einigem Hrrzklopsen bemerkte, daß Paul'» Augen eine bei Weitem beredtere Sprache sübrten als seine Lippen, kam Las Gespräch auf das Theater. Anna fragte ihren Verehrer, ob er schon etwas von den Absichten de» Stadttheater-Directors für die kommende Saison gehört habe; er antwortete mit Absicht so zerstreut und wunderlich, daß sie lachte und sich neckend erkundigte, woran er denke. „O, meine Gedanken waren nicht weit, Fräulein Resch- witz", antwortete Paul mit einem beredten Blick. „Aber nicht gerade beim Theater. An meiner Zerstreutheit sind Sie schuld." „Eine bequeme Ausrede!" spottete Anna. „Aber wie kann man ungalante Unaufmerksamkeit besser entschuldigen als durch «ine galante Au-rede?" „Sie wollen dock nicht, daß ich mich gegen diese Bosheit vertheidiae? Seit ich Sie deute gesehen habe, existiren andere Dinge und Personen für mich nicht mehr. Und Sie wissen e» ganz gut." „Wie oft mögen Sie Aebnliches zu meiner Freundin Helene gesagt haben?" „Nicht ein einzige» Mal," betheuert« Paul. „Vielleicht hätte ick eS gethan, wenn sie verstünde, sich mit solchem Geschmack zu kleiden wie Sie." Nun wußte freilich Paul so gut, wie e» Anna wußte, daß Helene Friedrichsen sich stets mit tadellosem Geschmack
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