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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.04.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-04-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970413013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897041301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897041301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-04
- Tag1897-04-13
- Monat1897-04
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Arbeitgeber wie Arbeitnehmer haben daS gleiche Interesse daran, richtige Angaben über die Lohnhöhe zu machen, da sich hiernach auch die Beitragshöhe richtet. Würde der Lohn zu hoch angegeben, so würbe daS nur zu köderen Beiträgen führen, also zu einer völlig unnötbizcn Belastung. DaS werden beide Theile vermeiden wollen unv deshalb können die Feststellungen der OrtSkrankencasse als ein zuverlässiger Anhalt für den Arbeitsverdienst gelten. Zn Nachstehendem seien nun die Ergebnisse für das Jahr 1891 und die für daS Jahr 1896 gegenübergestellt, um die Entwickelung während eines ZahrfiinfteS zu zeigen. Diese Ergebnisse sind folgende: Männliche Mitglieder: »laste I Arbeitsverdienst Zahl der Mitglieder Procentual pro Woche über 21 1891 13 657 1896 28 544 1891 21,7 1896 34.8 11 19'/,—21 6 462 8 340 10.3 10,2 III 15 —19'/, - 18215 21039 28.9 25,6 IV 12 —15 - 9 692 8 585 15,4 10,5 V unter 12 - 6 345 6 963 10,1 8,5 Vl Jugend» l 6 —9 - 1813 1325 2.9 1,6 VII liche j unter 6 - 6 626 7210 10,5 8.8 VIII — 112 29 0.2 (0.03) Zusammen: 62 922 82 035 100,0 100,0 Wie schon ein oberflächlicher lieberblick zeigt, ist es vir Elaste I mit einem Wochrnverdirnst von über 2t deren Zuwachs bei Weitem den aller anderen Elasten überwiegt. DaS procentuale Verhäitniß stellt sich sogar derart, daß in Folge des starken Zuwachses der Elaste I alle anderen Elasten eine Abnahme ihres AntheilS erlitten haben. Nur die nächstfolgende Elaste II vermochte so ziemlich ihren An theil zu behaupten. Wir sehen also, daß der Arbeitslohn im vergangenen Jahrfünft eine ganz beträchtliche Er höhung erfahren hat. Im Wesentlichen entfällt übrigens das Anwachsen der Mitglieder in Elaste I auf die letzten drei Jahre. Es ist in den einzelnen Jahren von 189l—1896 folgendes gewesen: Jahr Gesaimnt,ahl der männlichen Mitglieder Davon in «laste 1 Procentual 1891 . . . 62 922 13 657 21.7 1892 . . . 62 673 14 323 22.9 1893 ... 66 085 15 673 23,7 27,0 1894 . . . 69 242 18 699 1895 . . . 75 685 22 496 29,7 1896 . . . 82 035 28544 34.8 DaS Anwachsen der Mitglieder in Elaste I nimmt also mit dem Jahre 1894 seinen Anfang, denn bis zum Jahre 1893 war, wie die vorstehenden Ziffern zeigen, eine unver kennbare Stagnation vorhanven. Der erheblichste Aufschwung ,st aber erst von 1895 zu 1896 eingetreten und angesichts der Zahlen, wie sie hier nunmehr vorliegen» muß thatsächlich daS vorige Jahr als ein wirthschasrlich sehr günstiges bezeichnet werden. Die vielfachen Lohnbewegungen, welche stattfanden, dürften hieran ebenfalls einen wesentlichen Antheil haben. Gar nichts oder doch nur sehr wenig scheinen die Arbeiterinnen von diesen Lohnbewegungen prositirt zu haben. Die Statistik der OrtSkrankencasse liefert uns hier folgendes Bild: Weibliche Mitglieder: «lasse Arbeitsverdienst pro Woche Zahl der Mitglieder 1891 1896 Procentual: 18S1 1886 I. über 21 110 221 0.6 0.9 II. 19' /--21 - 75 67 0.4 0.3 III. 15 -19'/, - 360 635 2.0 2.7 IV. 12 —15 - 786 1683 4.3 7.0 V. 9 —12 - 5 588 7 836 30.9 32.7 VI. 6 — 9 - 9 876 12 028 54,5 50.2 VII. jng. unter 6 - 1290 1 482 7,1 6.2 VIII. — 34 9 0.2 (0.04) Zusammen: 18119 23 961 100.0 100,0 Die Veränderungen, die bei den weiblichen Mitgliedern in der Lohnhöhe zu Tage treten, sind — obwohl zwischen den zum Vergleich gestellten Ziffern ein Jahrfünft liegt — nur geringfügiger Natur. Im Jahre 1891 waren es 6l,8 Proc. aller Versicherten, die weniger als 9 ^ pro Woche verdienten, im Jahre 1896 immer noch 56,4 Proc. Also nur 5,4 Proc., d. b. der zwanzigste Theil der Mitglieder, waren cmporgernckt. Nicht ganz 40 Proc. der Versickerten verdienten zwischen 9 und 15 kaum 4 Proc. aber über 15 -eil! Stellt man gegenüber, daß von den männlichen Versicherten über 70 Proc. mehr alö 15 Wochenverdienst haben, von den weiblichen Versicherten aber noch nicht ganz 4 Proc., so erhält man einen Begriff von dem Abstand, der im Erwerbsleben zwischen Männern und Frauen obwaltet. Hieran dürfte so gut wie nichts ge ändert werden, wenn man die in den Betriebskrall ken- caffen versicherten weiblichen Mitglieder berücksichtigt, denn in den betreffenden Betrieben dürften die Löhne ebenfalls keine höheren fein. Ueber die somit nicht wegzustreitende Thatsache, daß die Lohnbewegung der letzten Jabre fast ausschließlich den männ lichen Arbeitern zu Gute gekommen ist, während die weib lichen nur in ganz geringfügigem Maße einige Erhöhungen erringen konnten, ließe sich so Manches sagen. Für den Zweck des gegenwärtigen Artikels genügt jedoch vollständig die einfache Feststellung der Tdatsache. Eine anderweite Lohnstatistik, bezw. Statistik des Arbeits Verdienstes, ist den Beiträgen für die JnvaliditätS- und Altersversicherung zu entnehmen. Auck diese richten sich nach der Höhe des Verdienstes. Die aufsteigende Ten denz desselben geht aus folgender Gegenüberstellung hervor: Auch aus der Elastenstatistik für die JnvaliditätS- und Altersversicherung geht übrigens hervor, daß die Zunahme des Verdienstes auf die letzten zwei Jabre entfällt. 2»i Durchschnitt der ersten drei Jahre deö Jahrfünfts hatte die höchste Elaste bei den männlichen Versicherten einen Zuwachs von je 1765, im Durchscknitt der beiden letzten Jahre einen solchen von je 6735 Versicherten zu verzeichnen. Männliche Versicherte. «lasse I. II. m. IV. Wochenverdienst bis 7 7—11 - 11-17 - über 17 - Zahl der Versicherten 1891 1896 Procentual I8S1 1896 1549 1 178 92 765 37 405 2 491 660 18 562 56 168 77 88 t Zusammen: 62 897 Weibliche Versicherte. 2.5 1.9 36.2 59Z 100,0 3.2 0.9 23.8 72,1 100,0 «laste i. n. m. IV. Wochenverdienst bis 7 7—11 - 11—17 - über 17 » Zahl der Versicherten 1891 188V 185 269 19042 21 053 5 905 8 919 502 877 Procentual 1SS1 1896 0.7 74.2 23.2 1.9 0,9 67,7 28,6 2.8 Zusammen: 25 634 31118 100,0 100.0 Obwohl die Zusammensetzung der Versicherten eine etwas andere ist als die der OrtSkrankencassenmitglieder (es sind nämlich die unter 16 Jahre alten Personen nicht ver- sicherungspflichtig, dagegen treten die Dienstboten in die Reihe der Versicherten ein), so bleibt doch daS Ergcbniß der statistischen Aufnahme nahezu dasselbe. Bei den Männern sind im letzten Jahrfünft rund 12'/, Proc. aus Len Elasten mit weniger als 17 .6 Wochenverdienst in diejenige mit mehr als 17 Wochenverdienst gelangt, während bei den Frauen nur 6>/« Proc. die Verdienstgrenze von 1l ^ über schreiten konnten. Einen Verdienst von 17 .<e und darüber halte nur eine auf je vierzig weibliche Versicherte. Deutsche- Reich. — Leipzig, l l. April. Ter „alternde" Liebknecht hat in der „Neuen Zeit" einen Aufsatz „Acht Tage in Holland" veröffentlicht, der den Zorn des „Genossen" vr. Bruno Schönlank heranSgeforderl nnd letzteren veranlaßt bat, in seiner „Leipziger Volkszeitung" dem nur noch nominellen Führer der Socialdemokratie mit grober Höflichkeit den Text zu lese». Zunächst rügt Schönlank, daß Liebknecht als einer der hervorragenden Vertreter der deutschen Sccialdemokratie in der wissenschaftlichen Zeitschrift der Partei die Zustände der arbeitenden Elaste in Holland unrichtig darstelle und damit zum Mindesten einen großen Theil der Leser zu einer irrigen Auffassung der Dinge verleite. Liebknecht sehe auf der Reise Menschen und Welt mit dem Auge des Enthusiasten. Unter dem Bann eines rosig verklärenden Optimismus ver schöne sich ihm die Fremde. Ihm eigne die Gabe, hier das nur zu sehen, was gefällt. Besonders drei Stellen des Lieb- knechl'schen Aufsatzes sind es, die Genosse I)r. Schönlank be anstandet: „Immerhin muß gesagt werden, daß der Wohlstand in Holland allgemeiner verbreitet ist als bei uns und die »tust zwischen Arm und Reich weniger breit und tief." (..Neue Zeit" 1896 97, Heft 28, S. 50). Und weiter: „In den bescheidensten Häusern findet man Teppiche, masiive Mahagonimöbel und Stücke asiutiichen Porzellans." (S. 44). Ferner: „Ich habe mich nach den Nahrungs- und WohnungSverhältnissen des armen Volkes, insbesondere der Arbeiter, erkundigt und durchweg gesunden, daß, zwar nicht immer die Wohnung, allein durchgehends die Nahrung und Wohnnngsaus- stattung das für die Mehrzahl der deutschen Arbeiter geltende Niveau entschieden übertrifft." (S. 49.) An der Hand amtlicher holländischer Erhebungen aus den Jahren 1887 und 1890, sowie unter Heranziehung der Arbeit Otto Prinzsbeim's (Die Lage der arbeitenden Elasten in Holland, Braun's Archiv für sociale Gesetzgebung und Statistik, I. Band) und der Auslastungen des bürgerlichen Politikers Vr. Kerdigk, Mitglied der II. Kammer der General- staaten (Handwörterbuch ver Staatswissenschaften I, 47 l) überschüttet Schönlank den Aufsatz Liebknecht's mit beißendem Spott und kommt zu folgenden» für einen Socialdemokraten bemerkenswerthen Schlußfolgerungen: „Tentschland wäre nicht der mit England wetteifernde Industrie staat aus hoher Stufenleiter, wenn die holländischen Zustande (die Schönlank als trostlose bezeichnet) bei uns die Regel bildeten. Eine großgewerbliche Volkswirthschast, die sich so normal-capitalistisch ent> wickelt, wie gerade die deutsche, bedingt ein höheres l^istenzmindcst maß der arbeitenden Elaste. Die lange durch untere Partei gelaufene, auch im ersten Theile des Erfurter Pro gramms noch aufbrwahrte Ansicht von der sich stetig verschärfenden Verelendung ist nicht mehr zu ballen. Das Niveau der Volksmasje hat sich mit der modernen Entwickelung etwas gehoben; auch die deutsche Ein- kommensieuerstatistik läßt darüber keinen Zweiset aufko mmen Wir schreiben für deutsche Leser, eS ist also nicht nöthig, etwa der Contrastwirkung wegen, die deutschen Zustände im Einzelnen zu kennzeichnen. Das aber steht sicher fest, daß die Auffassung Liebknecht's gegen die simpeln Thatsachen der deutschen Socialstatistik verstößt. Sicherlich haben auch wir in einzelnen Bezirken des deutschen Reiches holländische Zustände. Daß aber der Leben« maßstab der holländischen Arbeiter höher sei, als die durchschnittliche Lebenshaltung der deutschen Arbeiterschaft, ist eine durch nichts gerechtfertigte Behauptung." Zum Schluß wird Liebknecht vorgeworfen, daß es nicht das erste Mal sei, daß er das Ausland und seine Vorzüge und Tugenden lobe, Deutschlands aber mit Herbheit gcdente. Die deutsche Nation immer wieder zu Gunsten anderer Nationen in den Schatten zu stellen, sei eine alte und nicht erfreuliche Gewohnheit aus der Verbannung. Man darf gespannt sein, ob das Ansehen und der Einfluß Liebknecht s noch ausreichend sind, um kurzer Hand derartige höchst ver- d ä ch ti ge „n at ion ale" Regu ngen, wie sie Schönlank offen bart, wiederrufen zu lassen, oder ob i der Eintritt des vr. Gradnauer-Dreöden in die Redaction des „Vorwärts'' wirklich gleichbedeutend mit einer, wenn auch äußerlich noch verschleierten Verabschiedung Liebknecht's ist. * Berlin, 12. April. Als lehrreiches Zeichen, mit welch' schmählichen Mitteln in der polnischen Presse die Auf hetzung gegen das Deulschtbum betrieben wird, kann ein „Die Schiffbrüchigen" überschriebener Aufsatz im „Kurver WarszawSki" vom 5. d. M. dienen, der sich mit der schreck licken Katastophe" des französischen Schiffes „Bille des Saint Nazaire" beschäftigt. Nach genauer Beschreibung des Unglücks schließt der Artikel mit folgender Bemerkung: „Jedoch der Eyklon, Hunger, Kälte, der Wahnsinn der Mitfabrenden, Alles dies war nichts im Vergleich mit dem empfundenen Eindruck eines schrecklichen Augenblicks. Es war nämlich am achten Tage des Herumirrens aus dem Meere. Tie Schiffbrüchigen halten bereits alle Hoffnung verloren, als sie plötzlich in einer Entfernung von etwa 2000 Schritten ein Schiff erblickten, das auf ihr Boot zusteuerte. Man rief um Hilfe und wehte mit Tüchern, bis endlich der Dampfer das Boot ersah; er hielt an, begann sogar die Schaluppe aufs Meer herunterzulassen, doch plötzlich wurde diese auf das Verdeck zurückgezogen, es erscholl ein Pfiff des DampserS und daS Schiff segelte weiter. Was wohl die Ursache deS für die Schiffbrüchigen schreck lichen Absegelnö gewesen sein mag, ist unbekannt. Genug, daß es so gewesen ist, und der Eapitain Nicolai kann sich dies bis jetzt nicht enträthseln. In Folge des Nebels bat man die Flagge des Schiffes nicht erkannt. Nach Mitthciliingen der französischen Zeitungen ist anznnehmcn (!), daß es ein deutsches Schiff war, das aus dem Boot eine französische Flagge erkannte nnd weiter fuhr, ohne die Schiffbrüchigen aufzunebmen. Sobald sich dieser Verdacht bestätigt, wird das Völkerrecht eine furchtbare Niederträchtigkeit zu verzeichnen haben, wie sie noch nie auf dem Meere vorgekommcn ist." Diele leichtfertig-böswillige Verdächtigung deutscher Seeleute ist um so niederträchtiger, so schreibt man der „Voss. Ztg." im Anschluß an diese Mil- lheilung aus Warschau, als gerade in den letzten Jahren zu wiederholten Malen französische Seeleute in Noth durch deutsche Schiffe unter eigener Gefahr gerettet worden sind; die französische Presse hat jeden solchen Anlaß benutzt, der aufopfernden Menschenfreundlichkeit der deutschen Seeleute die rühmenbste Anerkennung zu spenden. Einem polnischen Blatte war die Niedrigkeit Vorbehalten, deutschen Seeleuten anzu- sinnen, sie hätten in Todesgefahr schwebende Mitmenschen lediglich deshalb in Stick gelassen, weil sie sie als Franzosen erkannten. Es sei noch daran erinnert, daß Kaiser Wilhelm II. bei seiner vorjährige» Nordlantfahrt einem bavarirtcn fran zösischen Vergnügungsdampfer persönlich Hilfe schickte; ei» Act, dessen daniats von der französischen Presse mit höchsten Lobsprüchen gedacht wurde. V. Berlin, 12. April. (Telegramm.) Der Kaiser und die Kaiserin besuchten am gestrigen Sonntag den Gottes dienst in der Gnadentirche. Zur gestrigen Frühstückst,iset waren Einladungen an den preußischen Gesandten in Brüstet Grafen von Alvensleben, an die Oberhosmeisterin von Winter seid und an den preußischen Gesandten in Oldenburg vr. von Bülow ergangen. Heute Vormittag machten der FerriHet»«. Eine höhere Tochter vom ün üa siöelo. (Maria Baschkirtseff.) Laura Marholm sagt in ihren „Zcitpsychvlogischen PortraitS": Di« moderne MLdchenerziehung mit ihrer Viel sprachigkeit und Vielwiffrrei begünstigt eine oberflächliche Verstandesbildung und macht da» Weib anspruchsvoller, ohne daß es dabei anziehender würde. „Die Frauen unserer Zeit sind nicht glücklich und machen nicht glücklich." Als sörmlich verblüffender Beweis für diese Annahme kann der Lebenslauf der reichtalentirten russischen Malerin Baschkirtseff gelten, den wir mit Hilfe ihre» Tagebuches (ins Deutsche übersetzt von Lolbar Schmidt, in zwei Bänden erschienen bei L. Franken st rin, Berlin) auf daS Genaueste zn verfolgen >m Stande sind. DaS Buch ist um so zuverlässiger, als sich in ihm die Verfasserin in Wahrheit „ganz giebl" und hält, was sie verspricht: „immer zu sagen, was sie denkt und selbst daS nicht zu verheimlichen, was unvortheilhaft für sie sein tonnte." Ihr Lebenslauf nun entrollt vor unfern Augen ein erschreckende« Bild von Herz- und Pietätlosigkeit, von einer an Größenwahn streifenden Eitelkeit, abstoßender Frühreife uud lähmender Unzufriedenheit. Die- Alles bei einem Mädchen, daS in günstigen äußeren Verhältnissen lebt, von der Natur mit scharfem Verstände ausgerüstet ward und über ungewöhnliche» Talent wie ungewöhnliche» Wissen verfügt. Maria Baschkirtseff ist im Jabre 1860 geboren. Ihre Eltern lebten nach zweijähriger Ehe zumeist getrennt von einander, und Maria blieb mit den beiden Geschwistern au- schließlich der mütterliche» und großmütterlichen Erziehung überlassen. Einer Erziehung, der sie alle Mißerfolge unv Enttäuschungen ihre» kurzen Dasein» zuschreibt. Dabei spielt ihre überreizte Empfindlichkeit gegen zärtliche Rücksichtnahmen eine große Rolle. Schon als kleine- Kind fühlte sie. „daß sie ganz blaß wird gegenüber einem gutgemeinten Aufwanve von Zärtlichkeit" und als junges Mädchen schreibt sie: „Ich habe Geld genug, um hingehen zu können, wo ich will, und zu malen, und zu reisen; man thut mir in Allem meinen Willen. Aber ich möchte lieber kein Geld haben und meinen Willen nicht durchsetzen, als in einem fort mit Leuten (ihre Mutter und ihre Tante) zusammen sein, die mich mit ihren ewigen Sorgen um mein Wohl nervös machen." Charak teristisch für sie in dieser Beziehung ist ferner der Ausspruch: „Bis zu zwölf Jahren hat man mich verhätschelt, hat man nie an meine Erziehung gedacht. Mit zwölf Jahren habe ich nach Lehrern verlangt; man gab mir welche, und ich selbst habe den Stundenplan entworfen. Ich verdanke Alles mir selbst." An Gelehrsamkeit ist die» nicht wenig; sie kennt AristophaneS, Plutarch, Herodot, «in wenig auch Tcnopbon, Epictrt, Homer und Plato. Aber wenn sie auch als sechS- zehnjährigeS Mädchen sagt: „Ick verstehe die Frauen nicht, die ihre Mußestunden mit Stricken und Sticken zubringen, so daß die Hände beschäftigt sind und der Kopf müßig ist: da müssen einem ja eine Maste unnützer und gefährlicher Gedanken kommen", so beweist doch ihr ganzes Leben, daß weder ihr Talent noch ihr Wissen sie vor unnützen und ge fährlichen Gedanken und Handlungen zu bewahren, ihr aber auch nicht zu einem Größerwerden, einem HinauStretrn auS sich selbst zu verhelfen vermochten. Ihr Wissen dient ihr nur al» Zweck, ihre Persönlichkeit in rin möglichst verführe rische» Licht zu rücken. „Ich besichtigte dir Landarbeiten nnd bekümmerte mich selbst um Einzelheiten, was mich ja allerdings nicht inkeressirte, aber mir immerhin eine« TageS zn Statten kommen könnte, wenn ich über wirthschaftliche Angelegenheiten al- Kennerin spräche unv neben einem Verse von Shakespeare oder eine Phrase über die platonische Philosophie von Gerstensamen und von den Qualitäten des Getreide- reden würde", schreibt sie al» Sech-zehnjährige. An anderer Stelle registrirt sie mit großer Grnugthuung: „ich ließ mich in ein Gespräch über die Politik in Frankreich ein und zeigte dabei Kenntnisse, die weit über den Rahmen der Bildung meines Geschlechts bin- auSgehen". Daß diese Kenntnisse sie nickt vor der Gewöhn lichkeit schützen, giebt sie weiterhin allerdings selbst zu: „Ich tadelte meinen Vater, und dieser schluckte den Tadel runter. Das war wieder so eine Vulgarität; aber mein Tagebuch ist ja voll davon. Ich bitte euch zu glauben, daß ich nicht aus Unbildung oder von Natur aus vulgär bin. Ich bin so geworden durch die Leichtigkeit und Schnelligkeit, mit der ich handle und spreche." Selbst ihr künstlerischer Ehrgeiz schützt sie gar nickt vor den kleinlichen Regungen körperlicher Eitelkeit. Während einer wichtigen Besprechung über ihre Malstudien denkt sie hauptsächlich daran „daß sie nach frischen Veilchen roch, daß ihr welliges Haar augenblicklich in einer vortbeilhaften Be leuchtung wäre, und daß ihre Hände in sehr vortheilhafter Pose wären." Für ihre abnorme Frühreife und Eitelkeit zugleich spricht das Gebet, daS sie als zehnjähriges Kind jeden Tag vor dem Schlafengehen betete: „Lieber Gott mache, daß ich nie die Pocken bekomme, daß ick hübsch werde, daß ich eine schöne Stimme habe, daß ich glücklich in der Ehe bin und daß Mama lange lebe." Mit dem zwölften Jahre beginnt sie ihr Tagebuch und zwar in de», Wunsche, daß „von ihr etwas auf Erden übrig bleibe." Wohl hofft sie, daß ihr Andenken als das einer großen Künstlerin erhalten bleiben werke; „aber wenn ich jung sterbe", fügt sie hinzu, „so soll mein Tagebuch ver öffentlicht werden, das nicht anders als interessant sein kann. Mein Ich an sich bedeutet vielleicht wenig für den Leser; aber er denke nicht, daß cS sich um mick bandle, sondern um ein menschliche» Wesen, das ihm alle seine Eindrücke seit der Kindheit erzählt: das ist interessant al« ckncument Inimain." Mit zwölf Jahren also beginnt sie ihr Tagebuch und durchleb» gleichzeitig ihren ersten HerzenSroman. und zwar ist der Held desselben „ein Mann, den sie kann, kennt, den sie zehn- oder zwölsmal auf der Straße gesehen hat und der nicht weiß, daß sie existirt." Ans der ersten Seite deS BuckeS schreibt sie: „O mein Gott! gieb mir den Herzog von H ! ich werde ihn immer lieben und glücklich machen; ich werde selbst glücklich sein und den Armen Gutes tbun. Ich liebe ihn, und kann es ihm nicht sagen, und wenn ich es ihm selbst sagte, er würde nicht darauf achten. Als er in Nizza war. hatte eS für mich einen Zweck, auszugehen, mich anzukleiden ; aber jetzt!" Bald darauf entspinnt sich zwischen ihr und einem jungen Italiener ein Verhaltniß, das sich durch mehrere Jabre binziebt und über welches sie sich verschiedentlich äußert. Mil sechzehn Jahren schreibt sie über ihn und ihren eigenen Zustand: „Ein kleiner Kerl, ein Hungerleider und schlechtes iLubject; ein Gemisch von Jesuit, Kind und Hanswurst! So was habe ich geliebt! Bah! Warum nicht! Ein Mensch kann eine Cocotte, eine x-beliebige Canaille, eine Bauerndirne lieben — große Menschen haben immer Nichtigkeiten geliebt." Auch ibre Hoffnung aus die Zukunft wird durch die Ent täuschung nicht zerstört: „Bah! Bei meinem Gesicht findet man noch immer Einen. Als Beweis kann dienen, daß ick kaum sechzehn Jabre alt bin und schon zwei Mal hätte Gräfin werden können" schreibt sie im Mai 86. Doch kaum ein Jahr später ist sie schon deS Wartens überdrüssig. Ta beißt eS: „Wann endlich werde ich wissen, was die Liebe ist, von der man so viel spricht? Ich würde A. geliebt haben, aber ich verachte ibn. Ich habe den Herzog von H. bis zur Ekstase geliebt, als ich noch ein Kind war. Dies war eine Liebe, die ganz und gar auf Rechnung des RcichtbumS, des Namen», der Extravacanzen des Herzogs und meiner grenzen losen Einbildungkraft zu setzen ist. — Gestern Abend war ich ganz verzweifelt; ich hätte laut aufhrulen mögen, und in meiner Wuth nahm ich die Wanduhr aus dem Eßsaal und warf sie ins Meer." Mag dieser Wutb- auSbruch noch etwas kindisch erscheinen, um so trauriger be rührt e», wenn sie kurze Zeit darnach schreibt: „Je weiter ich in- Greisenalter meiner Jugend vorrücke, desto gleicbgiltiaer werde ich. Da» Vertrauen und di« Empfänglichkeit de« Gr»
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