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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.04.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-04-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970414015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897041401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897041401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-04
- Tag1897-04-14
- Monat1897-04
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Tabellarischer und Ziffer»satz uach höherem Takts. iktrn-Vetlagen (gefalzt), nur mit der Margen - Au-gabe, ohne PostbesvrderuNg SV— mit PostbefSrderuug 70.—. " Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4Uhr. Bet den Filialen «nd Annahmestellen je rin» halbe Stunde frutzer. Anzeigen sind stets an die Expeditlon zu richten. Druck und Verlag von E. Polz tu Leipzig. 18S. Mittwoch den 14. April 1897. MS 91. Jahrgang. Das Eentrrrrn «nd -er Reichskanzler. Im Leitartikel unserer letzten Sonntag-auSgabe haben wir bereit« auf eine Auslassung der ultramontanen „Köln. Volk-ztg." hingewiesrn, die eine Aenderung in der bisherigen Taktik der Centrum-frnction p^D Reichstag-, vaS Fallenlassen jeder persönlichen Rücksicht auf den jetzigen Reichskanzler un» da- Zurückgehen auf eine Politik strengster Sachlichkeit in Aussicht stellte. Wir knüpften an die kürzt Erwähnung dieser Au-lafsung dir Bemerkung, wir hätten von persönlichen Rücksichten des Centrum» auf de» Fürsten Hohenlohe bisher nicht» bemerkt und glaubten an streng sachliche Politik dieser Partei in der Zukunft ebensowenig, wie früher. Da aber jene Auslastung zu langen und theilwrist irreführenden Aus führungen selbst in nationalliberalen Organen geführt hat, halten wir eS für nöthig, unS eingeheoder mit der klerikalen Kundgebung zu beschäftigen. Sie lautet im Wesentlichen: „Die Ereignisse der jetzigen Session haben gezeigt, datz die Mehrheit de» Reichstages nicht geneigt ist, die Politik fortzusetzrn, die bezweckte, durch möglichstes Entgegenkommen ein ent« sprechende- Entgegenkommen zu erreichen, und sich bisher nicht bewährt hat. Sie h at das Gegentheil von dem erreicht, wa» mit Ihr beabstchttgt war. AIS z. B. im vorigen und vorvorigen Jahre der Reichstag bei den Morinesorderungen sehr weit rntgegenkam und bei dem Finden der Mittellinie zwischen den Bestrebungen der Marineschwärmer und der finanziellen Leistungsfähigkeit des Reiches grotz» Opfer brachte, um innere Er schütterungen zu vermeiden, hat das nur die Wirkung gehabt, die Marinrforderungrn in diesem Jahre zu einer ganz erschreckenden, früher nie dagewesenen Höhe heranwachsen zu lassen. Diese Erfahrung kann den Reichstag nur abjchrecken, weiterhin ein gleiche- Entgegenkommen zu beweisen. Aein Zweifel kann darüber herrschen, daß die Mehrheit des Reichstages auch in Zuknnst nichts thun wird, um die Amtsführung de» Fürsten Hohenlohe, Lessen still beharrliches Ankämpfrn gegen impulsive Entschlüsse, phantastische Pläne und verfehlte Matzregeln von der Nachwelt weit mehr anerkannt werden dürste al» von der Jetztzeit, irgendwie zu erschweren. Aber die Zeit ist vorbei, wo diese Mehrheit geneigt ist, besondere Opfer zu bringen, um die Weiter- sührung der ReichSkanzlerschast de» Fürsten Hohenlohe oder irgend eine» sonstigen Reichskanzlers zu ermöglichen. Kein Zweifel darf daher fortan auch darüber herrschen, dah die Mehrheit de» Reichs- tage», taSbrsondrre da» Lentrum, in Zukunft bei ihrer Stellungnahme nur Noch ausschlietzlich durch sachliche Gründe sich leiten zu lassen ge- sonnen ist, ohne jede Rücksicht darauf, ob eine solche streng sachliche Politik die Stellung d»S einen oder anderen der leitenden Persönlich keiten im Reich ins Schwanken bringen könnte. Wenn au» einer solchen streng sachlichen Politik Wirkungen entstehen sollten, welche persönliche Rückwirkungen unerfreulicher Art zeitigen könnten, so wird an solchen Rückwirkungen nicht das Centrum oder die jetzige Reichstagsmehrheit schuld sein, sondern die Verantwortlich keit fällt auf diejenigen Instanzen, welche es nicht verstanden haben, das bisherige große Entgegenkommen des ErntruniS und der ge- jammten Mehrheit drS Reichstages richtig zu verstehen und zu würdigen. Das ist nichts wir der natürliche Reflex der „LonslictS"»Bestrebungrn bei der Jnvalidenversorgung und der „Ttaatsstreich"-Trkiber»ien bei den Marinesorderungen. Der Michstag kann gar nicht mehr anders, als diese Aenderung seiner Politik vorzunehmen; sie ist ihm förmlich aufgezwungen worden." Wer seit langen Jabren die Taktik deS (Zentrums und die Auslastungen seiner Presse mit Aufmerksamkeit verfolgt hat, konnte unseres Erachten- aus dieser neuesten Leistung der „Köln. DolkSzta." nicht» Anderes herauSlesrn, al» eine gegen den Reichskanzler und Len Bundesrath ge richtete Drohung, in eine schroffe, möglicher Weise den Fürsten Hohenlohe zu Falle bringende OppositionSstellung einzuschwenken, wenn künftig die ultramontanen Wünsche und Forderungen nicht größere Berücksichtigung finden und wenn namentlich nicht einer der Heiden Beschlüsse des Reichstags über das Jesuitengesetz die Zustimmung des BundeS- ratbs erlangen sollte. Um so befremdlicher war es, daß selbst einzelne nationalliberale Organe in der Auslastung einen Beweis der Einsicht der CentrumSführer in die Mangel haftigkeit ihrer Leistungen und einen Versuch erblicken zu dürfen meinten, die enttäuschten Centrumswähler durch ConflictSgerllchle und die Versicherung unentwegten Eintretens für die bedrohten Volk-rechte durch daS Centrum zu be schwichtigen. Von derselben oder dock einer ähnlichen An schauung schien die „Nationalliberale Corresp." auSzugehen, als sie schrieb: „Dem Klerikalismus wird vor seiner Gottühnlichkeit bange. Mit tausend Masten fuhr er in den Ocean, als seine parlamentarische Vertretung, um im Sprachgebrauch führender Centrumsorgane zu bleiben, so „charaktervoll" war, um dem Fürsten Bismarck den Glückwunsch zum 80. Geburtstag zu ver sagen, und der conservative Präsident und national-liberale Vice- Präsident auf ihre Sitze verzichteten, um Freiherrn von Buol und Herrn Spahn vom Centrum Platz zu machen. Mit stolzer Zu versicht übernahm das Centrum die Leitung der Geschäfte und drückte mit der ihm zur Verfügung stehenden Bundesgenosirnschaft von Demokraten und Socialisten und dem welfisch - dänischen- ptotestlerischen Appendix den Beschlüssen je länger desto mehr seinen Stempel auf. Aber immer mehr sank das Niveau der Berathungen. Persönliche Ausfälle, die sonst im Lande in wohlgesitteter Gesellschaft nicht geduldet wurden, hier gingen sie oft genug ungrrügt vorüber oder erhielten die Zurecht weisung so spät, daß dies nur ein Ansporn sein konnte, weiter in diesem trüben Fahrwasser sich zu bewegen. Und immer mehr ging die Beschußjähigkeit zurüa, bis in t-iest-m W.uler von 3S7 mehr als dreihundert leere Sitze wochenlang die eindringliche Frage erneuten, wozu man ein so prunkvolles Haus eigentlich gebaut habe. Und geleistet wurde schließlich nichts. Was nicht an sich von Vorlagen absolut technischer Natur und von der Regierung so wohl vorbereitet gewesen, daß eS mit leeren Schlagworten nicht abgewiesen werden durste, wie das Handels gesetzbuch, dir Grundbuchordnung, die Zwangsvollstrrckungsordnung, ist zumeist nicht zu Stande gekommen. In wichtigen Fragen, wie im Margarinegesetz, der Behandlung der Organisation des Hand werks, bekundet dazu die Partei eine Zersahrenheit, wie sie in den letzten Jahren in keiner anderen Partei beobachtet werden konnte. So steht auf der einen Seite eine parlamentarische Abwirth- schaftung des Eentrnms, die alle Erwartungen weit hinter sich läßt, und aus der anderen Seite die absolute Impotenz, die freiwillig und pathetisch dafür übernommene Verantwortung vor dem denkenden Theile seiner sGefolgschaft tragen zu können. In dieser schwierigen Situation knm dem Centrum zu Hilfe, daß es unter dem Borwand, ein Conflict bereite sich vor, bor seine» Wählern als „Verfassungspartei" zu paradiren vermochte. Diesem Vorwand, der nur in der Aufregung der Wahlbewegung durch die mit Sicherheit zu erwartende Irreführung der Wähler Bedeutung finden könnte, sucht nun das Centrum für seine Zukunstspotitck Dauer zu verleihen. Es wird nun der Anschein erweckt, als ob mit einer unbedachtsam aus einer privaten Unterredung mit dem Träger der Krone in das Parlament hineingetragenen Aeußerung der Verfassungsconslict schon da war, als ob ein solches unver bürgt weiter getragenes Wort schon der Entschluß oder die Thal wäre, als ob daS Reich kein Bundesstaat wäre und als ob nicht schließlich bei einseitigen Verfassungsänderungen auch noch andere Bundesfürsten rin Wort zu sagen hätten. Man braucht die Situation nicht weiter auszuipinnen, es liegt auch so schon auf der Hand, daß es nur ein hohler Vorwand ist, das Centrum habe diesmal wirklich als Hüter der Volksrrchte aus der Warte gestanden. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Die Verfassung wird nur dann gesichert, wenn alle verfassungsmäßigen Factoren gleich stark und kräftig bleiben. Unter der Aegide des Centrums aber ist der Reichstag in seiner Besetzung und seinen Entschließungen so heruntergekommen, daß die Achtung vor der Einrichtung selbst darunter gelitten, und es erklärlich ist, wenn unter solchen Um ständen der Zweifel auftauchen konnte, ob, da die Menschen ver sagten, Maßregeln helfen müßten, ob nicht die Einrichtung an sich die Schuld trage und somit verbesserungsbedürftig sei. Hätte das Centrum ernsthaft das Bedürfniß, sich als Hort der Verfassung zu bethätigen und sich nicht nur gelegentlich als solchen aufzu- spielen, dann müßte es zunächst dafür sorgen, daß seine Abge ordneten ihrer Pflicht Nachkommen und nicht der Reichstag wochenlang eine Präsenz aufweist, so groß wie daS halbe Centrum allein; dann müßte es die ihm ergebene Mehrheit zujammen- halten und wenigsten- äußerlich dafür sorgen, daß der gute Schein einer sorgsamen Behandlung der Geschäfte gewahrt würde; dann müßte eS eine« Präsidenten aus die sella. euruUs setzen, der nicht versagt, sobald die Versammlung unruhig und lebhafter wird. Nichts davon wird für die Zukunft in Au-sichl gestellt. Statt dessen ver kündet das führende Centrumsorgan, die „Kölu. BolkSztg.", man habe bisher eine Politik persönlicher Rücksicht getriebru, um Männern, deren Antheil an der Reich-Politik eS für erwünscht und verdienst voll halte, die Führung des Amtes nicht zu erschweren; dir Zeit !-i vo-br', wo diese Mehrheit geneigt sei, für irgend eine Reichs- kaiizlerschaft Opfer zu bringen. Nur zu! Stoch eine Session, wie die letzte, und auch dem blödesten Wähler müssen die Augen Ouf- gehen über daS, was er im Jehre 1893 gethan hat, als er diese Vertretung in die Reichshauptstadt sandte." Wem vor seiner Gottähnlichkeit bangt, der droht nicht, wenigstens Denen nicht, die ün diese Gottähnlichkeit nicht glauben. Und zu diesen gehört der Reichskanzler, der über die Leistungen deS im jetzigen Reichstage ausschlaggebenden CentrumS sicherlich ganz ähnlicher Ansicht ist, wie die „Nat.- Lib. Corr." Wer so droht, wie die „Köln. Volksztg." eS tbut, niuß sich bewußt sein, ein Pression-mittel in der Hand zu baden, daS aus nicht allzu feste Naturen einen Eindruck Wohl machen kann. Und diese» PressionSmittel ist, wie schon gesagt, der Doppelbeschluß des Reichstag» bezüglich deS Jesuiten gesetzes. Erlangt da« Centrum wenigstens die Aufhebung des 8 2 de» JesuitengrsetzeS, so erhält es von seinen Wählern Absolution für alle möglichen Begehung-- und Unterlostutig» sünden; die Centrunisführer müßten daher nicht die gewiegten Taktiker sein, die sie sind, wenn sie nicht rin „Entgegen kommen" forderten und au diese Forderung die Drohung rücksichtslosen Vorgehens knüpften. Leider hat wenigstens die Hälfte der nativnallikerale n Reichstagsfraction dem Centrum dieses PressionSmittel in die Hand drücken helfen. Die „Nat-lib. Corr." hat gegen diese Haltung der Hälfte der Partei nichts einzuwenden ge habt; man muß also annehmen, daß sie damit einverstanden sei. Um so unbegreiflicher ist eS, daß daS Parteiorgan da» Centrum als einen mit Sünden bis zum Rande gefüllten Krug darstellt, der länger als bis zu den nächsten Wahlen nicht zum Wasser getragen werden könne. Glaubt inan, daß es so mit dem Centrum bestellt sei und daß eS, bange vor seinem Schicksal, nach ConflictSgerüchten Haschen müsse, um seine Wähler zu beschwichtigen, wie in aller Welt konnte man da diesem selben Centrum ein PressionSmittel in die Hand geben helfen, das möglicherweise zu einem Triumphe dieser Partei führt? Jedenfalls bat jene Hälfte der national liberalen Reichstagsfraction, die für die Aufhebung des 8 2 des Jesuitengesetzes eintrat, dem (Zentrum einen ebenso großen Gefallen gethan, wie dem Reichskanzler einen schlechten. An die Aufhebung des ganzen Gesetzes glaubte nachgerade die ultramontane Wählerschaft nicht mehr. Ein erneuter Reichstagsbeschluß aus Aufhebung des ganzen Gesetzes hätte daher den Reichskanzler kühl lasten können. Ganz anders liegt die Sache mit der Aufhebung des tz 2 des Gesetzes, der die Befugniß enthält, nichtdeutsche Jesuiten au» dem Reiche auszuweisen und einzelnen deutschen Angehörigen des Ordens den Aufenthalt an bestimmten Orten zu versagen oder anzuweisen. Die Aufhebung dieses Paragraphen haben sogar nationalliberale Abgeordnete gefordert «ud damit nicht nur dem Centrum Gelegenheit gegeben, ihren Wählern vorzureden, seit Erlaß de- Jesuiteugrsetze» habe da« „katholische Volk", sogar nach nationalliberalem Zeugniß, unter dem Drucke einer ungerechten und verbitternden Bestimmung gestanden, sondern auch dem Reichskanzler und dem Bundeß- ralh eine Daumenschraube ansetzen Helsen. Man sagt zwar, der tz 2 habe nichts zu bedeuten; auch ohne ihn könnten fremde Jesuiten auSgewiesen und den einheimischen die Ausübung der Ordensthätigkeit unmöglich gemacht werden. Der Reichskanzler weiß das anders und bester. Aller dings bleibt die allgemeine AusweisungSbefugniß de- Faeerllatsn. Der Leipziger Spatzen Rolh und Klage. Nachdruck verbetkn. Der alte König Salomo hatte viele Schätze, beiderlei, in wirklicher und in übertragener Bedeutung, große Macht und erstaunliche Weisheit. Darin unterscheide ich mich aar sehr von seiner längst allerhöchst verstorbenen Majestät, aber in einem Puncte habe ick doch eine gewisse Aehnlichkeit mit ihr, — ich verstehe nämlich auch die Sprache der Vögel. Ja, die verstehe ich, besonder» die der Spatzen. Ob ick die der Jerusalemer Spatzen würde begriffen haben, ist mir allerdings sehr zweifelhaft. Die Sprache der Leipziger Sperlinge ist besonder» hübsch, sie schleicht sich so weich m» Ohr und in» Hern« hinein; denn die lieben Vögelchen biebsen und greischrn, während sie wo anders piepen und kreischen. Gehe ich da vorige Woche an einem der Frühling heuchelnden Tage gegen Abend die Grim- maische Straße herunter nach dem Markte zu. Wie ich in die Nähe von Auerbach'- Keller komme, höre ich schon ein paar Häuser weit, daß die Spatzen wieder RathSversamm- lung hatten auf dem einen Baume link- in der Ecke des Raschmarkt». Es ging besonder» lebhaft zu. Was mögen die beute zu verhandeln haben? dachte ich und trat näher beran, aber nicht zu nahe, denn sie lasten schneien über Ge rechte und Ungerechte. Ich muß vorausschicken, daß die Sperlinge unseres Marktes und seiner näheren Umgebung eine besondere Elaste von Sperlingen sind, so eine Art von Aristokratie, sie kalten sich wenigsten» dafür, und da» ist eben so gut, atS ob sie e« wirklich wären. Die Unterhaltung war wie gesagt un gewöhnlich lebhaft, wenn nicht gar stürmisch, ich unterschied au» dem allgemeinen Geschrei einige Stichworte wie „Herab drückung der ärmeren Elasten", „Recht zu leben", „Kampf um» Dasein so schon schwer genug" u. s. w., woran sich einige kräftige, aber nicht gerade schmeichelhafte Bezeichnungen gewisser, höchst einflußreicher einzelner Persönlichkeiten, sowie ganzer Gesellschaften unserer guten Stadt anschlosten. Drüben auf der Trepp« der Polizeiwache stand rin Schutz mann und schaute dem Treiben mit ahnungslosem Wohl wollen zu, — Gott sei Dank, der Mann verstand offenbar nickt« von der Vogelsprache, obgleich ihre Kenntniß für die Polizei von nicht zu unterschätzender Bedeutung sein dürste. Nun gut, — die Spatzenversammluna wurde von Seiten der hohen zuständigen Behörde nickt aufgelöst, und da- Ge lärme und Raisonniren von allen Seiten dauerte noch geraume Zeit fort, bi» Ruse laut wurden: „Stille! Rübe dortl xileotinm l Tschelp Piepling» will reden! Hurrah Piepling»! Vivat!" Auf den obersten Zweig de» Baume» hatte sich eine ehr würdige Eperlingsgreisengeflalt geschwungen, di« ehrwürdigste, die ick jemals sah. Da« war also Tschelp Piepling-, der sich keine» geringen Ansehen» bei seinen gefiederten Genossen zu erfreuen schien, -r war »in prachtvoller, wenn augen blicklich auch etwas dreckiger, alter Hahn, mit einem dicken Kopf, unternehmend blitzenden, gewiß noch für die Herzen mancher Spatzendamen (die Sorte hat Temperament) gefähr lichen Augenpaare und einem besonders großen, schwarzen Kehlfleck. Er wartete ruhig, bi» sich der Tumult um ihn gelegt hatte und die Versammlung erwartungsvoll schweigend und gespannt auf ihn blickend um ihn herum saß. PieplingS warf sich in die Brust, blieS sich etwa» auf, wippte ein paar Mat mit dem Schwänzchen, schüttelte sich, öffnete den Schnabel und begann also: „Meine Damen und Herren! Mitbürgerinnen und Mitbürger? Geliebte Freundinnen und geehrte Freunde! Wie lange noch beabsichtigt der Stadtrath unsere Geduld zu mißbrauchen, — bi» zu welch' schwindelnder Höhe wird sich sein Unternehmungsgeist noch versteigen? Bis zu welchem Grade will er noch da» Wohl, ja die wichtigsten Lebensfragen hiesiger Sperlingschaft außer Augen setzen? — Darf daS so fortgehn? — Nein, es dark nicht so fortgehn, eS muß etwas geschehen, aus unserer Mitte heraus muß etwas geschehen! (Hört! Hört!) Das „Was" zu erwägen, muß ich mir bis zum Schluffe meiner Rede »ersparen, lassen Sie mich zuerst die unerhörten Eingriffe in unsere Rechte, die ungeheuerlichen Frevel, die an uns geschehen sind, kurz auseinandersetzen, lassen Sie mich das blutende Herz eines glüdenden Patrioten, eines, ich darf eS wohl mit Recht und mit Stolz sagen, eine« der Väter seines Volk» (seiten» einiger Damen ließ sich hier ein unterdrückte«, halb verlegene», halb schalkhafte« Zwitscher- grkicher vernehmen, mehrere Herren sträubten das Scheitel« gefieder, waS so viel ist, als wenn wir Menschen die Stirn in mißmuthige Falten ziehen), lassen Sie mich es vor Ihnen auSschülten. Man hat neben vielen anderen kleineren Tücken und hämischen Benachtheiligungen (ich gratulirte Piepling» innerlich zu diesem schönen Worte, das in jeder deutschen Gesetzsammlung eine Stelle verdiente) namentlich zwei Streiche geführt, die die hiesige Spatzrnschaft bis in da« Lebensmark trafen und treffen mußten, — vor einigen Lenzen durch die Errichtung der Markthalle nebst der sich daran knüpfenden Verlegung der Wochenmärkte vom diesigen Marktplatz? dorthin und neuerdings, wir Alle haben'- erleben müssen, durch dir Eröffnung der elektrischen Straßenbahnen. Die gute, alte Zeit! Ich sehe nicht mehr viele unter Euch, ach. da- wird so leer um mich, die jene Tage noch mit erlebt haben, als auf dem Markte drüben und in der Katharinenstraße ein fröhliches Gewimmel kaufender un» verkaufender Mannthiere (Piepling- wählte den alten Aus druck de» Thierepo» für „Mensch", wie er sich im „Frosch- meusler" Rollenhagen'- findet) herrschte. Drei Mal wöchentlich kam zusammen, was die Jahreszeit an Früchten de- Felde« und de» Garten-, an Mild, Kleinvieh, Fischen und Krebsen de« Walde«, der Flur und der Gewässer bot. Da thürmten sich Bückling-berge. da blickten melancholisch und von der Fischbrit ganzem Jammer augenscheinlich an gefaßt unzählig» Hering-köpf, au» riesigen Tonnen. Di« sauere Gurke krümmte sich, der Schweizerkäs« schwitzte, und die verschiedenen vaterländischen Käsesorten entwickelten ein herzerquickendes, gemütherhebrnveS Arom unter den Strahlen der Sonne! Es war so schön, so schön, ja eS ist wohl zu schön gewesen, und eS ist nun vorbei, vorbei für ewige Zeiten! (PieplingS Stimme erzitterte leise bei diesen Worten, und mehrere alte Damen wischten sich die Augen mit dem Ftügelbug.) Ihr Jüngern, fuhr er im begeisterten und begeisternden MittheilungStrieb seine- Alter- fort, ihr Jüngern könnt Euch keinen Begriff von dem Dust oder dem Bouquet von Düften machen, wie eS damals an einem heißen Sommermittag über dem Marktplatz schwebte. War kurz vorher etwa gar noch rin plötzlicher, unvorhergesehener Strichregen niederaegangen, wtte die großen, zeltartigrn Schirme über den Verkaufs tänden und die Kleidung der männlichen und weiblichen, ändlichen und städtischen Mannthiere eingeweicht, dann erst — dann war die Lust so voll deS Aromas, daß man es ordentlich mit dem Schnabel hätte herauspicken können. Und im Sommer und Herbst die Beeren und Früchte! WaS bekommen wir denn jetzt etwa noch von Kirschen zu sehen? Nun ja, ab und zu fährt ein altes Weib einen Karren durch die Straßen und ruft, wahrlich mehr abschreckend als einladend, ihr „Kerschen, Kerschen", aber waS haben wir davon? Die Kirschen, die beim Kaufgeschäft verloren gehen, die als, nach des MannthiereS Ansicht, un genießbar weggeworfen werden, verzetteln sich durch die ganze Stadt. Daß die Centralisation des Marktverkaufs undrwar die Ceutralisation auf unserem altangestammten Markt aufgrhört hat ist unerträglich. WaS siel da nicht Alle» für unser» Schnabel ab! Und die lieben Straßenkehrer hatten immer rin Herz für uns und rin Einsehen und übereilten sich nicht mit der Reinigung deS Platze», wenn sich da» Marktgrwühl verlaufen hatte — sie dachten: leben und leben lasten, und gönnten unS völlige Zeit, die Braven, eine reich liche und erfreuliche Nachlese zu halten. WaS haben wir jetzt statt dessen? Man komme mir nicht mit dem SirgeSdenkmal, auf dem die vier Gäule nicht einmal das leisten, WaS richtige Gäule den Sperlingen gegenüber zu leisten von der Natur doch eigentlich verpflichtet und bestimmt sind. WaS haben wir von dem Siegesdenkmal? Girbt eS un» etwas zu »ffen? Nein. Läßt man un- ruhig darin nisten? Abermal»: Nein! Dürften wir etwa auch nur unsere Eonferenzen darauf abhalten, wie hier auf diesem Bäumchen? Zum dritten Male: Nein! WaS sind denn also die Borthrile, die die Spatzeuschaft von jenem Erz- und Steinberg bat, und wo sind sie? Ich sehe allüberall keine I Man hat un» Steine statt Brod gegeben. Wedel (Lebhafte Zustimmung von allen Seiten. Der Schutzmann drüben sah vergnügter und wohlwollender au-, denn je.) Betrifft diese« Unglück wesentlich nur un» Patricier- samilien de« Markte- selbst und seine benachbarten Straßen, wa« freilich schon schlimm genug ist, so ist der »weite Streich, den man durch Eiarichtung der elektrischen Straßenbahnen geführt hat, für dir gesammte Sperlingsschast tziestgrr Stadt, für Vornehme und Geringe, höchst gefährlich und von unüber sehbaren Folgen. — Die Meisten von Euch sehen mich verwundert an und wähnen wohl, ich spräche im Fieber? Ach, — ich wollte, dem wäre so! Ihr seid kurzsichtig, aber meine Augen, wenn sie auch alt sind, oder besser, gerade, weil sie alt und durch lange Erfahrung geschärft sind, sehen weiter. Wir Sperlinge und die Droschkenkutscher wir leiden am meisten unter diesen verruchten Funkenkutschen, und ich weiß mich in völliger Uebereinstimmung mit den Herren jenes illustren und ehrwürdigen Stande-. Ja da», das sind brave Leute, viele von ihnen sind dicke, folglich auch gute Männer, bei vielen erglüht die Nase „rotb und rother vvn jener Jugend, die unS nie entflieht", die haben Unseresgleichen nie gehaßt, denn wir gehören zusammen, — der Gaul ist da« verknüpfende Band zwischen un«. Freilich — die Herren könnten ja wohl auch etwa» mehr für unS thun, ich gebe es gern zu, wenn sie ihren edeln Rossen mehr Hafer der abreichen wollten. Durch die Außerbetriebstellung der Pferdebahn, soweit sie bis heute schon erfolgt ist, hat sich daS Pferdematerial um etwa 1000 Stück vermindert, 1000 weitere werden bald folgen, und auf den neu eröffneten und noch zu eröffnende» Linien beider elektrischen Bahnen könnten an Stelle de Motorwagen gut und gern« 2000 Pferde laufen. Da» ist Summa Summarum ein Ausfall von circa 4000 Pferden. Ein jedes Pferd erhält durchschnittlich 15 Pfund Hafer läa lich, daS sind für 4000 Stück täglich 60 000 und jährlil, 21 900 000, in einem Schaltjahre gar 21 960 000 Pfund Nun verlassen etwa 15 Procent der vrrzehrtrn Körner den Pferdekörper »»verzehrt, daS macht bei eben genannter Summe im Jabre weit über 3 Millionen Pfund, uno diese 8 Millionen und so und so viel Pfunde, wem werden sic entzogen? UnS werden sie entzogen, und daS ist eine Schmach, ein Scandal ist eS! (Sehr richtig! von allen Seiten.) Was können wir dagegen thun? — Nun, meine Damen und Lerren, ich möchte Ihnen folgenden Vorschlag machen Sie Alle wandern auS, suchen sich eine neu« Hermatb, die Welt ist ja so groß, und lasten mich mit etwa sechs oder acht meiner treuesten und bewährtesten Freundinnen hier zurück. Ich bin zu alt, um noch zu wandern, alte Bäume verpflanzt man nicht mehr, und bin schon alt genug, um hingebende weibliche Pflege nicht entbehren zu können. Das wäre mein Vorschlag, üeberlegen Sie sich die Sache in aller Ruhe!" Aus diese gewichtige Rede folate ein allgemeine«, Pein licheS Stillschweigen. Prrrl Da flog einer nach link-, prrr! ein anderer nach rechts, und bevor zwei Minuten vergangen waren, saß MuSjeb PieplingS allem in einem Kreiß von etwa einem halben Dutzend Damen. Da« SprrlingSgeheimniß war für heute gelöst: der glühende Patriot hatte sich al- ein durchau- schäbiger Egoist eutpoppt. Soll gelegentlich bei ganz heiß glühenden Patrioten unter den Menschen auch Vorkommen können! L.L.
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