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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.04.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-04-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970427020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897042702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897042702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-04
- Tag1897-04-27
- Monat1897-04
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Trotzdem ist eS noch fraglich, ob er nicht freiwillig noch die eine oder andere Frage in seine Verhandlungen mit aufnimmt. So könnte z. B. nach dem Vorgänge der meisten europäischen Parlamente nochmals die orientalische Frage zur Verhandlung gelangen. Man wird aber ausnahmsweise einmal mit der „Freisinn. Ztg." übereinstimmen können, wenn sie schreibt, daß bei dem gegenwärtigen Stande der orientalischen Frage eine parlamentarische Verhandlung nicht von Nutzen sein könnte und um so weniger einen Zweck Härte, je mehr man mit der von der deutschen Regierung in der kretischen Frage eingeschlagenen Politik der Zurückhaltung einverstanden sein müßte. Hinsichtlich der parlamentarischen Behandlung einer andern Frage kann man indessen dem Organe des Herrn Richter nicht zustimmcn. Das Blatt möchte, was bei seinem Standpunkte allerdings sehr begreiflich ist, die amerikanische Zollfrage gar nicht berührt seben und verspricht sich deshalb gar keinen Nutzen von der Be sprechung der von den Conservativeu eingebrachlen Inter pellation über diese Angelegenheit. Hierin irrt sich das Blatt aber doch sehr; cS kann durch die Besprechung nach zweierlei Seiten hin Nutzen geschaffen werden. Einmal nämlich können die deutschen Interessenten, d. h. die deutschen Exportgeschäfte, dadurch Vortheil haben, indem sie sehen, in welchem Umfange die deutsche Regierung die selbstverständ lichen Bestrebungen deS deutschen Exports, nicht von den strengen Prohibitivzöllen betroffen zu werden, unterstützt. Zweitens aber kann eS für die Haltung der Vereinigten Staaten von Werth sein, zu sehen, daß die deutsche Regierung die drakonischen Zvllmaßregeln nicht so gelassen hinnehmen will. Natürlich wird man von der Regierung nicht verlangen dürfen, daß sie bis aufs Einzelne auscinandersetze, was sie etwa thun will; denn ein absolutes Festlegen auf eine be stimmte Richtung ist in der Politik niemals von Vortheil. Andererseits aber kann es gar nichts schaden, wenn man sich darüber klar wird, ob die Regierung — abgesehen von der Frage deS ZuckerzolleS, in der sie ja schon «men Protest ein- getegt hat — noch' etwas thun will oder nicht. Will sie nichts thun, so schadet cS gar nichts, wenn daS alsbald rund beraus erklärt wird; denn durch dunkle Andeutungen in der Presse allein lassen sich die klugen Amerikaner wahrlich nicht einschüchtern. So ist also durchaus zu wünschen, daß die Interpellation sehr bald zur Sprache kommt und daß die Regierung sich geneigt zeigt, über den Inhalt der Inter pellation Rede zu stehen. Je bündiger ihre Erklärung sein wird, um so weniger wird man eine zeitraubende Debatte zu besorgen haben. Die Centralbehörde für socialistische Masscnkämpfe, die Hamburger Gcneralcommission, hat den ihr unter stellten Gewerkschaften neue Anweisungen über die Taktik bet Lohnbewegungen zugeben lassen. In ihrem Rund schreiben, daS ein weiteres Steigen deö StreikfieberS für den kommenden Sommer ankündigt, heißt eö wörtlich: „Dir Unternehmer haben die Millionen eingesteckt und verleben vergnügte Tage und sehen, wenn die Arbeiter sich nicht regen, der ukunft nicht nur ruhig, sondern freudig entgegen. Sie mögen ich aber nicht wundern, wenn auch in diesem Frühjahr Lohn» dewegungen in großer Zahl stattsindea werden. Sie selbst tragen die Schuld daran.... Di« Frage, ob auch nur eine der bevorstehenden Lohnbewegungen berechtigt ist oder nicht, braucht uns deshalb nicht zu beschäftigen." Die an solche Mahnungen geknüpften Rathschläge wegen der in Zukunft zu beachtenden Taktik bewegen sich nach zwei Richtungen; sie erörtern die Fragen, wie Niederlagen ver mieden und wie Erfolge befestigt werden können. Durch Geschicklichkeit und Machtentfaltung sollen sich die Gewerk- schastsverbände „Respect" bei den Unternehmern verschaffen; diese müssen zur „Einsicht" gebracht werden. „Und da- geschieht selbst durch verloren gegangene Streiks, wie eS beispielsweise der Hamburger Hafenarbeiterstreit einer war." Trotzdem will die Hamburger Generalcommissiou von der Iuscenirung weiterer großer Streiks, wie auch ihr AuSgang sein möge, vorläufig nicht- wissen, und zwar, weil sie fürchtet, daß die Gewerkschaftsführer durch große Ausstände die „Sympathie" bei den unorgaoisirten Arbeitern rinbüßen würden. Au Stelle der „großen Schlachten" soll der Kleinkrieg treten: „Es wird sich empfehlen, nur solchen Bewegungen in Fluß zu helfen resp. kommen zu lassen, die sich mit den Mitteln der de» treffenden Gewerkschaft und eventuell mit Unterstützung der übrigen Arbeiter deS betreffenden Ortes voraussichtlich durchführen lassen. Allen Bewegungen, die voraussichtlich auf die Hälfte aller klaffen» bewußten Arbeiter angewiesen sind, müßte von vornherein entgegen- ge treten werden." Schließlich empfiehlt die Generalcommission, um die Schwächung der socialistischen Organisationen in den Zeiten deS Niederganges aufzuhalten (sie meint, die Conjunctur sei bald auf ihrem Höhepunkt angelangt), die Schaffung großer KriegScassen: „Auf große Streiks soll keineswegs Verzicht geleistet werden aus dem Grunde, die organisirten Arbeiter von höheren Beiträgen zu entlasten, sondern im Gegrntheil sind wir der Meinung, daß auch ohne Aussicht auf große Streiks die Beiträge niemals zu hoch sein können." Getreu dieserAnweisung haben die Abgesandten der General commission auch auf den Congreffen während der Oster feiertage mit Eifer der Erhöhung der Beiträge bas Wort geredet. Allerdings haben sie einen Erfolg damit nicht er zielt; die organisirten Arbeiter sind schon jetzt durch die Parteisteuern und durch allerlei außerordentliche Beiträge für Partei- und Gewerkschaftszwecke bis auf das Aeußerste in Anspruch genommen worden. Dagegen läßt sich nicht ver kennen, daß die einzelnen Organisationen sich einmüthig für die von der Centralleitung empfohlenen Kleinkrieg« aus gesprochen haben. Angesicht- dieser Thatsache wird man im kommenden Sommer aus eine große Zahl von kleineren localen Streik- zu rechnen haben, für die nach ihren eigenen Auslastungen die Agitatoren der Generalcommissiou allein die Verantwortung zu tragen haben werden. In Teutschlaad hätte wohl Niemand daran gedacht, in dem griechisch-türkischen Kriege eine Art von Duell zwischen Deutschland und Frankreich zu erblicken; die Franzosen aber in ihrer verletzten Eitelkeit haben selbst aus die Puncte hingewiesen, die diesen Krieg gewissermaßen zu einer Art Kampf zwischen Deutschlauv und Frankreich machen. Die griechische Armee ist Anfang der 80er Jahre von dem General Thomassia, einem befähigten französischen Officier, sowie von einem ganzen Stabe französischer Officiere reorganisiert worden. Die türkische Armee ist etwa zu derselben Zeit von dem deutschen Generale von der Goltz-Pascha und anderen deutschen Officieren re- organisirt worden. Den französischen Officieren wurden bei ihrer Arbeit in Griechenland keine Schwierigkeiten in den Weg gelegt, während die deutschen Officiere wegen der bekanntlich ewig währenden Palastintriguen und der Energie losigkeit der leitenden türkischen Kreise in ihrer Arbeit un endlich gehemmt wurden. Hat doch Goltz-Pascha eben jetzt die Rückkehr nach der Türkei nur dann antreten wollen» wenn er gewisse Garantien für die Möglichkeit, seine Pläne durchzufübren, erhielte; er wird wohl Erfah rungen gesammelt haben, die ihn zwangen, derartige Bedingungen zu stellen. Obgleich also das deutsche Werk nicht vollendet werden konnte, hat es doch seine Früchte getragen. Die türkische Mobilisirung vollzog sich, wenn natürlich auch nicht mit der Ordnung und mit der Schnelligkeit, wie eine deutsche, so doch vergleichsweise in nz glatter Weise. Diese Mobilisirungsparade aber ist daS >erk der deutschen Officiere. Auch die türkische Strategie, die zu so vielen Erfolgen in diesem gegenwärtigen Kriege bereits geführt hat, ist, wie die Franzosen selbst zugeben, deutschem Vorbilde zu verdanken. Im Gegensätze dazu bat die grichische Mobilisirung sich in viel schlechterer Weise vollzogen, und eS wird diesem Umstande ein Theil der schlimmen Situation zugeschrieben. Von einer bevorragenden griechischen Strategie hat man ebenfalls noch nichts gemerkt. Aber nicht nur be, der Ausbildung ver beiden Armeen, sondern auch bei ihrer Bewaffnung befinden sich Deutschland und Frankreich in feindlichen Lagern. Deutsch land hat den Türken Gewehre und Kanonen geliefert, Frank reich den Griechen. Nun hat zwar ein deutsches Blatt den nicht beneidenSwerthen Muth gehabt, zu behaupten, daß die griechischen Kanonen sich im Kriege bisher besser bewährt hätten, als die deutschen. Dieses Blatt ist aber sofort von wohlinformirter türkiscberSeite energisch zurückgewiesen worden. Wichtiger aber noch, als dies Zeugniß aus türkischen Kreisen sind die Berichte der „Times", denen man Deutschfreundlichkeit doch wahrhaftig nicht nachsagen kann. Ein offenbar militai- rischer Berichterstatter des großen englischen Blattes, der den Kämpfen an den Pässen in nächster Nähe beigewohnt hat, hat einmal über das andere versichert, daß die türkische Artillerie den wesentlichsten Antheil an den Erfolgen gehabt hat. Ihre Leistungen sollen geradezu fulminante gewesen sein. Man kann also wohl sagen, baß bei diesem Wett kampfe zwischen Deutschland und Frankreich der erste« Staat, um einen militairischen AuSdruck zu gebrauche», sehr gut ab schneidet. Die Niederlage der Griechen in der thessalischen Ebene ist eine äußerst schwere gewesen und hat in Alben große Bestürzung hervorgerufrn. Die Verluste auf griechischer Seite waren sehr bedeutend, und die Mehrzabl der in der Front kämpfenden Officiere wurde getödtet oder verwundet. Den türkischen Truppen fiel in Turnavo eine große Menge Gewehre, Munition für Kanonen und sonstige- Material in die Hände. Hunderte griechischer Gefangenen befinden sich auf dem Wege nach Elaffona. Als die Türken in Turnavo einzogrn, fanden sie in den Wohnungen uoch warme Spersen und frische- Brod vor. Bon der griechischen Bevölkerung waren niv vier Familien ge blieben. Edhem Pascha befahl nach Einnahme der Stadt, die großen Magazine militairisch zu besetzen und die Kirchen mit Wachposten zu versehen, um Plünderungen zu verhüten. Er hat außerdem jür das besetzte Gebiet eine Polizei truppe geschaffen, welche überall strenge Ordnung aufrecht erhält, so daß Leben und Besitzthum der Einwohner durchaus gesichert sind. Die Haltung der türkischen Truppen wird von den aus türkischer Seite befindlichen Fremden rückhaltlos anerkannt, ebenso daß der echt preußischen DiSciplin. der Türken die errungenen Erfolge nicht zum Mindesten zu danken sein dürften. Auch in Larissa mußten den Türken große Vorräthe und zahlreiche Ver wundete überlasien werden. Es handelt sich bei dem von Edhem Pascha errungenen Siege um eine bedeutsame Waffenthat. Obgleich die türkischen Reserven, welche nach der Grenze unterwegs sind, noch nicht angekommen waren, warf Edhem sich mit im Ganzen nur vier Divisionen (eingerechnet die Division Harndi Paschas, welche, den rechten Flügel der türkischen Streitkräfte bildend, den Feind schließlich zurückdrängte und sich mit dem GroS vereinigte) auf die 65 V00 Mann starke griechische Armee, welche überall Verschanzungen aufgeworfen hatte und welcher der General MavromichaliS in Eilmärschen zu Hilfe kam. Dem türkischen CorpS vermochten die Griechen, trotz ihrer Ueberzahl und trotz ihrer guten Positionen, nicht Stand zu halten. Sie ergossen sich in wilder Flucht auf Pharsala. Der Kronprinz Konstantin mit seinem Stabe wurde beinahe gefangen genommen. Der Rückzug von Turnavo über Larissa war in Athen schon vor der entscheidenden Schlacht beschlossen; wenn nun derselbe doch, wie jetzt von allen Seiten gemeldet wird, in völliger Unordnung erfolgte, so läßt sich dies nur so erklären, daß man aus griechischer Seite von dem kühnen Schlag Edhem Paschas überrascht worben ist. WaS werden nun beide kriegführende Theile zunächst thun? Bon tür kischer Seite wird erklärt, fall« Griechenland die bisherigen Niederlagen nicht als genügend zum Rückzuge betrachten sollte, würden die Türken nach Athen marschiren. Der Thermo- pylenpaß wäre ungleich leichter als der Melunapaß zu nehmen, die Griechen tauschten sich, falls sie sich hinter dem Thermo- pylenpaß sicher glaubten. Wie uns aus Athen gemeldet wird, haben die Türken in der Umgebung von Larissa Vorposten aufgestellt und provisorische Befestigungen errichtet; auch wurden türkische Truppen vier Kilometer diesseits von Larissa gesehen. Es scheint also jestzustehen, daß die Türkei sich mit den errungenen Erfolgen nicht begnügen will, sondern weiter vorzuvriugen gedenkt. Allerdings ver lautet, daß der Sultan nicht einmal seine Zustimmung zum Vormarsch auf Larissa habe geben wollen nnd zwar in der Befürchtung, eine Niederlage der Griechen zu Lande könnte ein Vorgehen derselben zur See gegen Soloniki und die Dardanellen zur Folge haben. Allein diese Besorgnisse scheinen nach dem glanzenden Siege Edhem Paschas in den Hinter grund getreten zu sein, wenn man auch mit ihrem Wieder auflauchen rechnen muß. Daß man auf griechischer Seite sich noch nicht für besiegt hält, haben wir schon gestern ge sehen. Man wird den Krieg fortsetzen und hat die zweite Phase mit einem Wechsel im Oberkommando begonnen. Oberst Smolinski, welcher bei Reveni eine Brigade be fehligte und seit der Vertheidigung von Reveni bei den Truppen sehr beliebt ist, wurde zum Chef deS General- stabes der Armee in Thessalien mit der Ermächtigung ernannt, die übrigen Mitglieder deS Generalstabes selbst aus zuwählen, und der Commandant des PanzergeschwaderS SacturiS wurde zur Disposition gestellt und durch Admiral StamatelloS ersetzt. Bei diesem Personenwechsel ist auffallend, daß auch der Commandant der griechischen Flotte in Ungnade gefallen ist, man muß sich also in Athen auf See größere Erfolge versprochen haben, als man davon getragen hat. Ueber die Stimmung in Athen wird unS be richtet: I.O. Athen, 26. April. Trotz der türkischen Fortschritte in Thessalien wird an maßgebender Stelle erklärt, Griechenland werde den Kamps mit Aufgebot aller Kräfte sortsetzen. Ja den rit Frrrrlletoir. Sneewittchen. Roman von A. I. Mordtmann. Nachdruck verboten. Zu Bette mockte er nicht geben; wie konnte er sich mit dem Gedanken schlafen legen, daß er beim Erwachen vielleicht mit einer furchtbaren Botschaft begrüßt werden würde? Sollte er ruhig schlummern, während seine Frau den schweren Kampf zwischen Leben und Tod auSfocht? „Meine Frau!" Eine warme Welle tiefer Empfindung fluthrte durch sein ganze- Wesen, indem er leise und innig das Wort wieder holte. Die volle Hingebung, das Ideal der Gattrnliebe batte Anna ihm gewährt, das gestand er sich reuig und beschämt, indem er -ostloS hin und der wandrrte und unwillkürlich von Zeit zu Zeit da- magische Wort sprach, da» ihm an diesem Abend der Inbegriff alles Guten und Holden zu sein schien. Er dachte an Helene, an andere Frauen, dir früher seine mehr oder minder flüchtige Neigung gefesselt hatten. Nein — nicht eine von ihnen wäre ihm DaS geworden, was Anna ihm geworden war; keine Andere konnte e» ihm jemals werben. > Und wie hatte er vergolten? Wieder rang sich aus seinem Innern der sehnsüchtige Wunsch empor, wenn er doch nur einige Woche», ja wenn er nur noch einige Tage hätte, um gut zu machen! Wäre doch Alle- «in Traum und sähe er beim Erwachen da» liebe Gesicht wieder Grübelnd nnd unruhevoll warf sich Paul auf einen Divan. Es war ein peinigender Gedanke, daß Anna in diesen schweren Stunden nicht ihn an ihrer Seit« haben sollte, der ihr am Altäre Treue bi» in den Tod gelobt. Sie mochte freilich in seinem Fortbleibrn nicht» Unnatür liche» sehen uud von ihm nicht» Andere» erwarten. In ihm hatte sie wahrlich keine Stütze bei dem Ringen um ein Leben, da» ihr doch für di« Zukunft nicht» Andere» al» eia lirbrleere» Dasein bot. Ihm siel ein, daß er einmal gelesen hatte, der starke Wille zum Leben sei eine mächtige Waffe gegen den Tod, und vie mehr Kranke könnten gerettet werden, wenn ihnen nicht bei geschwächter körperlicher Energie auch die geistige Willra»kraft zu solchem Entschluß abhandea käme. Wenn er doch Anna diese Energie einflößen könnte! Er hing dem Gedanken nach, der ihn immer lebendiger erfaßte. Wie wäre e», wenn er morgen zu Anna hinginge und ihr so recht zärtlich und liebevoll zuredete? Freilich — die Ansteckung ... er hätte sich impfen lassen sollen ... jetzt war die Sache nicht ungefährlich . . . aber auch um so ver dienstvoller. Paul malte sich auS, wa» er sagen wollte, wa» Anna erwidern würde — eS waren erfreuliche Phantasien, in die er sich vertiefte, und bei denen er die gegenwärtige Gefahr beinahe vergaß. Die Augen sieten ihm zu: im Moment, da er handeln sollte, machte ihn die Freude über die beabsichtigte Handlung zum Handeln unfähig. Einige Miauten lag er schlaftrunken da — plötzlich fuhr er auf, von einem zener plötzlichen und unerklärlichen Schreckensanfälle erfaßt, die auf der schmalen Trennungslinie zwisckien Schlafen und Wachen nicht selten sind. Er starrte m das Zimmer hinein und bemühte sich, seine Gedanken zu sammeln, welche die Berührung mit den Verhältnissen der wirklichen Außenwelt verloren hatten. War eS nicht Anna'» Stimme gewesen, durch deren Ruf „Paul" er aufgescheucht wurde? Ja. da» war e» gewesen, jetzt besann er sich ganz deutlich daraus. Eine Sinnestäuschung — etwa» Anderes konnte e» nickt sein. Er horchte angestrengt, aber im Hause herrschte Todtenstille. Auch da» Geräusch auf der Straße war ver stummt — r» war nicht weit vou Mitternacht. Paul war fieberhaft erregt; die geheimnißvollen Schauer der Nacht erfaßten ihn und machten seine Pulse klopfen und seine Nerven zittern. War der Ruf, den er vernommen, nicht doch mehr als eine Vorspiegelung seiner Sinne? Er hatte von Fernwirkuna gehört — wie wenn Anna'S schmerz, liche Sehnsucht nach ihm den Weg zu seinen Sinnesorganen gefunden yätte? E- waren thönchte Einbildungen einer aufgeregten Phantasie, da« sagte er sich selbst, aber dennoch konnte er sich ihnen nicht entziehen. Noch ein fecundenlange- Schwanken, dann ging er ent schlossen auf die Thür zu. Mochte kommen, waS da wollte, er ließ sich nicht mehr von seiner Frau fern Haltens sie sollte in seinen Arme» neuen Muth zum Leben schöpfen oder — wenn'- denn nicht ander» war, in seinen Armen sterben. Er ging mit leisen Schritten, aber ohne Zögern den Corridor hinunter, wandte sich dann recht» und stand nun vor der Thür deS Fremdenzimmers. Hier lauschte er einige Augenblicke: eS war auch da drinnen so still, daß ihn eine furchtbare, unnennbare Angst ergriff; rin leises Stöhnen, vas er zu hören glaubte, entriß ihm einen Seufzer der Er leichterung. Gott sei Dank! Nock lebte sie! Er drückte behutsam auf die Klinke und trat ein. DaS Erste, WaS er sah, war die Wärterin, die zurückzelehnt in ihrem Stuhle lag und mit tiefen, regelmäßigen Athemzügen den Schlaf deS Gerechten schlief. Auf dem Krankenlager aber warf sich Anna unruhig und fieberhaft hin und her, von Zeit zu Zeit ein leise- Stöhnen auSstoßend. In einem Augenblick war Paul an ihrer Seite; sie be merkte eS nicht, denn ihre Augen waren geschlossen. Er lauschte vornüber gebeugt, und dann kam wieder das Stöhnen und der geflüsterte Laut: „Bitte zu trinken!" Paul empfand etwas wie einen andächtigen Äubel. „Herr Gott im Himmel! Gerade zur rechten Zeit!" rief eS in ihm. Er umschlang Anna mit der Linken, um sie aufzurichten, ergriff da» GlaS mit eisgekühlter Limonade, daS dort auf dem Tische stand, und führte es an ihren Mund. Sie trank in gierigen Zügen, uud dann erst fragte sie: „Sind Sie'«, Herr Doctor?" „Nein, ich bin'-." „Du Paul! Du hier?" „Ich hatte solche Angst um Dich, daß ich e- nicht länger auSbaltrn konnte. Die Wärterin schläft — die arme Person mag auch müde sein — nun, eS schadet nicht-." „Nein, nun nicht, nun Du da bist." Anna führte Paul » Hand zärtlich an ihre Wangen und Lippen — dann sank sie zurück und lag mit verklärten Ge- sicht-zügen da. Die Krankheit batte ihr Gesicht säst ganz frei gelassen, so daß es kaum entstellt auSgesehen hätte, wenn nicht die Augen zugeschwollen gewesen wären." „Ich kann Dich nicht sehen, Paul", flüsterte sie, „denn ich kann die Augen nicht aufmachen." „Sollst Du auch nicht, mein Herz", antwortete Paul. „Schlafen sollst Du — nicht reden und nicht schauen. Warte." Er ordnete ihr da-Kopfkissen bequemer, dann legte er ihr sanft den Kops zurück; sie lächelte unsäglich zusrieden und be wegte die Lippen zu Dankesworten, doch so leise, daß Paul sie nicht hören konnte; er küßte sie aus den Mund, sie umklammerte mit beiden fieberhaft glühenden Händen seine Rechte und war bald friedlich ringeschlummert. Eine wundersame, qualvolle und doch wonnige, eine alle Fibern seine- Wesens aufrüttelnde Krankenwacht war es, die Paul hielt. Drüben die Wärterin schlief wie eine Todte, Anna aber batte jenen unheimlichen Schlaf, dessen ergreifende Wirkung nur kennt, wer ihn selbst beobachtet, wer selbst solche Nächte am Lager eines schwerkranken Theuren durchwacht hat. Einige Minuten regelmäßigen AthmenS — dann ein be ginnendes Röcheln — darauf kurze hestige Stöße — und endlich jenes sekundenlange Aussetzen der Alhemthätigkeit, das die eisernsten Nerven erschüttert — so ging eS die töbtlich lange Nacht, während deren Paul nicht eine Secunde vom Bette wich. Ab und zu benetzte er Anna'S trockene Lippen »nt dem kühlenden Tranke, und jedes Mal sah er mit zitternder Wonne, wie wohl ihr die Erquickung that. Einmal sagte sie auch, halb wach geworden: „Paul, machen sie Dir auch Alles behaglich?" Aber ehe seine Antwort erfolgte, war sic wieder in das bewußtlose Dunkel des Fieberschlofes zurück gesunken. Würde sie in diesem Dunkel die Schwelle zwischen dem Diesseits und dem großen »»gekannten Lande überschreiten? Oder würde sie noch einmal zuin Leben und zum Bewußt sein erwachen? Geschähe dies auch nur zu kurzem Aufschub vor dem Ende, Paul fühlte, daß er auch für dies Wenige den unerbittlichen SchicksalSgöttinncn danken würde, deren düstere Gestalten sich in seinem Heim niedergelassen: in seinem trauten Heim, dessen köstliches Glück er bis dahin mit so blinder Thorheit verkannt batte. Er beugte sein Gesicht über Anna'S fiebernde Hände. Ein heißer Tropfen fiel darauf, daß die Kranke zusammen- zuckte. Aber sie erwachte nicht und schlief in seiner Hut dem allmählich ausdämmernden neuen Tage entgegen. Als der grauliche Lichtschimmer de« anbrechenden MorgenS das Zimmer zu erhellen begann, ward Anna'S Schlaf ruhiger. Regelmäßiger und leichter hob und senkte sich ihre Brust, nicht mehr, als wenn eine schwere Last darauf ruhte. Die Thurmubren schlugen sechs, die Dienstboten wurden draußen laut, und nun erwachte endlich auch die Wärterin. „O du mein Gott!" jammerte sie. „Wie bin ich nur ringeschlasen! Und der Herr hier!" „Still, Sie gewissenlose Person!" sagte Paul leise, aber streng. „Wäre ich nicht gekommen, meine arme Frau wäre vor Durst verschmachtet. Nun halten Sie Ihren Mund und tummeln Sie sich! Schaffen Sie uns etwa« Kaffer!" Die Wärterin beeilte sich, diesem Befehl nachzukommen. Der beiße Trank that Paul gut, bei dem die beiden schlaf losen Nächte doch ihre Einwirkung auSzuüben begannen. (Fortsetzung folgt.)
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